Berlin/Bogotá (epd). Der umfassende Frieden: Es ist das Herzensprojekt des ersten linken Präsidenten Kolumbiens, Gustavo Petro. Mit dem Versprechen, den seit Jahrzehnten anhaltenden Bürgerkrieg zu beenden, gewann der Ex-Guerillero im vergangenen Jahr die Wahl. Doch die Gewalt hält an - trotz Friedensgesprächen mit der größten aktiven Guerilla ELN. Auch angekündigte Reformen im Gesundheits- und Bildungssektor für die arme Bevölkerung sind ins Stocken geraten. Hat der Hoffnungsträger der Armen, Linken und Minderheiten zu viel versprochen?

Die Bevölkerung im drittgrößten südamerikanischen Land ist tief gespalten. Nach Petros Wahlsieg ging ein Aufschrei durch die konservative Elite. Inzwischen müssen aber selbst seine schärfsten Kritiker eingestehen, dass Kolumbien keine sozialistische Autokratie geworden ist. Petro war mit dem Wahlspruch „Cambio“ (Veränderung) angetreten. Symbolisch dafür steht auch die afrokolumbianische Vizepräsidentin Francia Márquez, die als Umweltaktivistin die sozialen Bewegungen und die marginalisierte Bevölkerung mobilisiert hat.

Vier von zehn Menschen leben in Armut

Allerdings hat die neue Regierung ein schweres Erbe angetreten. Rund 40 Prozent der Menschen leben in Armut. Die Inflation von rund 13 Prozent in diesem Jahr, Arbeitslosigkeit und hohe Auslandsschulen schränken den Handlungsspielraum ein. Für seine Reformen muss Petro Mehrheiten im Kongress organisieren, da sein Bündnis „Pacto Histórico“ fast 20 Parteien vereint, die aber nur rund ein Viertel der Abgeordneten stellen. Seine Gesundheitsreform wurde blockiert. Derzeit wackelt Petros Machtposition.

Seit Jahrzehnten eines der größten Probleme ist der Drogenhandel, Treibstoff und Ursache zugleich für die Gewalt, der allein in diesem Jahr laut dem Friedensforschungsinstitut Indepaz bislang knapp 100 Menschenrechtsverteidiger sowie Aktivistinnen und Aktivisten zum Opfer gefallen sind. Guerillas, Paramilitärs und Kartelle finanzieren sich mit Drogen, Kleinbauern bauen vor allem mangels Alternativen Koka an und geraten damit zwischen die Fronten. Um die Macht der Kartelle zu brechen, wirbt Präsident Petro international für die Entkriminalisierung der Drogen. „Diese falsche Verbotspolitik - vor allem, wenn es um Marihuana und Kokain geht - hat Länder wie Mexiko und Kolumbien in die gewalttätigste Region der Welt verwandelt“, sagte Petro in einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“.

Zugleich will der Präsident die Landreform vorantreiben, die im Friedensvertrag von 2016 mit der Farc-Guerilla festgelegt ist, jedoch von seinem Vorgänger Iván Duque blockiert wurde. Sie soll die ungerechten Besitzverhältnisse aufbrechen, die Hauptursache für den Bürgerkrieg. Verfügte die rurale Bevölkerung über Land, würden laut Petro weniger Drogen produziert, denn die Parzellen reichten derzeit nicht aus, um den Lebensunterhalt zu sichern. Nach einem Rückgang ist Kolumbien wieder weltweit größtes Koka-Anbaugebiet.

Verhandlungen über Friedensschluss mit ELN-Guerilla

Petros größter politischer Sieg wäre ein Friedensschluss mit der ELN-Guerilla, nach der Entwaffnung der Farc ein weiterer Meilenstein zur Beendigung des Bürgerkrieges, in dem etwa 300.000 Menschen getötet und rund sieben Millionen vertrieben wurden. Seit November verhandelt die Regierung mit der rund 3.000 Kämpferinnen und Kämpfer zählenden Rebellengruppe. Seit dem 3. August gilt ein Waffenstillstand. Auch die Wiederaufnahme der politischen Beziehungen mit Venezuela und die Wiedereröffnung der Grenzen spielt für die Sicherheitspolitik Kolumbiens eine wichtige Rolle, galt das Nachbarland doch als Rückzugsgebiet für die ELN.

Außerdem will Kolumbien Vorreiter bei der Produktion von grünem Wasserstoff werden. Im Juni besuchte Petro Deutschland, auch um für dieses Anliegen zu werben. „Südamerika ist die Region mit dem größten Potenzial für die Erzeugung sauberer Energie, vor allem von grünem Wasserstoff, dank viel Sonne und Wind“, sagte er. Damit will der Präsident die einseitige Abhängigkeit Kolumbiens von fossilen Rohstoffexporten beenden. Bis dahin ist es allerdings noch ein langer Weg. 2050 will Kolumbien CO2-neutral sein. Doch gerade einmal sechs Prozent der Energie wird derzeit aus erneuerbaren Energien erzeugt.