Wacken (epd). Dauerregen, Schlamm und Gummistiefel - beim Wacken Open Air ein vertrautes Bild. In diesem Jahr aber versinkt der Festivalacker schon vor der Eröffnung am 2. August in brauner Schmiere. Die Anreise der Fans gerät zum Chaos und wird vorzeitig gestoppt. Wer es aufs Gelände geschafft hat, feiert dennoch unverdrossen und reckt brüllend die Hörnerfaust, auch „Pommesgabel“ genannt, in den wolkenverhangenen Himmel. Der Mythos Wacken ist um ein medial gut dokumentiertes Kapitel reicher.

Vom Dorffest zum Mega-Event

Das Festival zeigt beispielhaft, wie sich eine einst misstrauisch beäugte Subkultur zum Massenphänomen gewandelt hat. Der Heavy Metal, der maßgeblich im englischen Arbeitermilieu der 70er und frühen 80er Jahre entstand, ist längst ein Millionenmarkt. Nach einer Allensbach-Umfrage vom vergangenen Oktober hören 26 Prozent der Deutschen gerne Musik der härteren Gangart. Das Wacken-Festival ist derweil seit seiner Gründung 1990 vom Dorffest zum Mega-Event mit bis zu 85.000 Besuchern mutiert. Zur diesjährigen Ausgabe, die bis Samstag dauern soll, haben sich rund 200 Bands angekündigt.

„Der Aufstieg von Wacken korreliert mit der Popularisierung des Heavy Metal“, sagt Manuel Trummer, Kulturwissenschaftler an der Uni Regensburg. Es sei in einer Zeit entstanden, als große Bands wie Metallica und Guns n' Roses ihren Durchbruch gefeiert hätten und ein kaufkräftiger Markt entstanden sei.

Zum Wacken-Erfolg hätten wesentlich auch die Medien beigetragen, die das Festival ab den 2000er Jahren als sympathische Freak-Show inszeniert hätten. „Gezeigt wurden 'edle Wilde', die vier Tage die Sau rauslassen, aber eigentlich ganz freundlich und friedlich sind“, sagt Trummer. Dieses Narrativ habe die Veranstaltung in den Mainstream getragen. Der Kontrast von dörflichem Ambiente und globalen Mega-Event sei bis heute ein „superinteressanter Storytelling-Point“.

„Viele Festival-Besucher sind einfach nur Party-Touristen“

Nach Beobachtung des Braunschweiger Medienästhetik-Professors Rolf Nohr rückt bei dem Hype um Wacken die Musik selbst inzwischen in den Hintergrund. „Die Popularität des Wacken Open Air speist sich weniger aus der Musikalität als aus dem Event-Charakter“, sagt Nohr. „Viele Festival-Besucher sind einfach nur Party-Touristen.“

In der Tat ist das Wacken Open Air heute ein kommerziell durchchoreografierter Vergnügungspark: Zehntausende Headbanger haben Tickets für je 300 Euro erworben; zusätzlich laden sie Geld auf Chip-Bändchen, mit denen sie vier Tage lang Merchandise-Produkte, Bier und Fast Food kontaktlos erwerben. Zu den Sponsoren zählen eine Großbrauerei, ein Telekommunikationskonzern und ein schwedischer Truck-Hersteller.

Und unter dem Wacken-Label mit dem Rinderschädel werden Kreuzfahrten, Ski-Touren und internationale Band-Wettbewerbe veranstaltet. Eine Streaming-Serie fiktionalisiert die Entstehungsgeschichte des Festivals als kauziges Heldenepos. „Wacken ist eine riesenhafte Gelddruckmaschine geworden“, sagt Nohr.

„Größte Metal-Party der Welt“

In der Folge hat sich ein Teil der Metal-Szene abgewendet. Dort gelte Wacken als „Aushängeschild für die Kommerzialisierung des Genres“, sagt Forscher Trummer, der selbst in einer Metal-Combo spielt. Die radikale Vermarktung widerspreche dem „Authentizitätsanspruch“ der Szene, die sich als Gegenkultur verstehe. „Die Kreativität und Widerständigkeit der Musikrichtung wird von Underground-Bands hochgehalten, die nicht in Wacken auftreten.“

Thomas Jensen, der das Festival mit seinem Kumpel Holger Hübner gründete, ficht die Debatte um Kommerzialisierung und mutmaßlichen Authentizitätsverrat indes nicht an. „Metalheads aus über 80 Nationen kommen bei uns zusammen, um ihre Musik, den Lebensstil und die Gemeinschaft zu feiern“, erklärt er auf epd-Anfrage. Dabei kämen Bands aller Größenordnungen und Subgenres zum Zuge. Durchaus lasse sich das Festival als „größte Metal-Party der Welt“ bezeichnen, betont Jensen: Daran sei nichts verwerflich.

Rolf Nohr, ein Pionier der „Metal Studies“ in Deutschland, erkennt in der Entwicklung des Genres ein Muster: „Der Metal bewegt sich immer wieder auf die Kulturindustrie zu, begreift dies aber immer auch als Verrat“, erläutert er. So folge auf eine Welle der Kommerzialisierung stets eine Erneuerung. Ein Beispiel sei der Black Metal, der Anfang der 1990er Jahre in Skandinavien als Reaktion auf die Popularität von Bands wie Metallica entstand.

Mit Blick auf Wacken fragt sich Nohr, „wie weit die Festivalmacher die Kommerzialisierung noch treiben können. Irgendwann werden alle sagen: Wacken nervt.“ Aber genau das könnte der Punkt sein, an dem sich der Metal ein weiteres Mal erneuern werde.