Düsseldorf (epd). Trotz des Rechtsanspruchs auf Kinderbetreuung ab dem ersten Lebensjahr hat die Mehrheit der erwerbstätigen Eltern mit kleinen Kindern in Deutschland Probleme, einen Platz in einer Kita oder bei Tageseltern zu finden. In einer am 4. August veröffentlichten Online-Befragung für die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung erklärten 57 Prozent, dass sie in diesem Frühjahr mit Kürzungen der Betreuungszeiten oder zeitweiligen Schließungen der Einrichtungen aufgrund von Personalmangel konfrontiert waren.

Sehr viele berufstätige oder Arbeit suchende Eltern seien durch die unzureichende Versorgung „vor große Probleme im Alltag“ gestellt, hieß in der Befragung der in Düsseldorf ansässigen Stiftung. Zwei Drittel (67 Prozent) der betroffenen Befragten gaben an, dass sie die Ausfälle bei der Kinderbetreuung oder die zeitliche Verkürzung als „belastend“ empfinden. 30 Prozent bewerteten die Situation sogar als „sehr belastend“.

„Frühe Bildung auf wackeligen Füßen“

Knapp die Hälfte der betroffenen Mütter und Väter hat während der Schließung oder Kürzung der Betreuungszeit Urlaub genommen oder Überstunden abgebaut, um die Betreuungslücke auszugleichen. Knapp 30 Prozent mussten zeitweise ihre Arbeitszeit reduzieren.

Um den Engpass bei der Kinderbetreuung zu überbrücken, übernehmen in den Ehen und Partnerschaften vor allem die Frauen die Erziehungsaufgabe. Während 63 Prozent der befragten Väter in heterosexuellen Beziehungen angaben, dass ihre Partnerin bei der Kinderbetreuung eingesprungen sei, berichteten das nur 33 Prozent der Mütter über ihren Partner.

„Die Zahl ist ein Alarmsignal: Die frühe Bildung in Deutschland steht auf wackligen Füßen“, sagte die Wissenschaftliche Direktorin des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Stiftung, Bettina Kohlrausch. Zwar sei die Kinderbetreuung in den „vergangenen zwei Jahrzehnten stark ausgebaut“ worden. Aber unzureichende finanzielle Ausstattung und der damit verbundene Fachkräftemangel in Erziehungsberufen machten die Betreuung „unzuverlässig“.

Kohlrausch mahnte eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen in den Erziehungsberufen an, andernfalls drohe eine „sich selbst verstärkende Spirale nach unten: Es gibt generell zu wenige Stellen an Kitas, weil die Betreuungsschlüssel zu schlecht sind und zu wenig ausgebildet wird. In dieser Situation steigen dann Erzieherinnen und Erzieher aus.“ Der Fachkräftemangel in der frühkindlichen Bildung verschärfe dann wiederum den Arbeitskräftemangel in anderen Branchen, weil Mütter und Väter ihre Erwerbstätigkeit einschränken müssten.

Die Expertin plädiert deshalb für eine Ausbildungsoffensive in den Erziehungsberufen, die an „deutlich bessere Personalschlüssel“ gekoppelt sei. Auch bei der Bezahlung der Beschäftigten gebe es „noch Luft nach oben“.

Für die repräsentative Umfrage befragte Kantar Deutschland im vergangenen Monat mehr als 5.000 erwerbstätige und Arbeit suchende Personen. Zuerst hatte die „Süddeutsche Zeitung“ (Freitag) über die Umfrage berichtet.