Kirchen

Not lehrt Beten


Gottesdienst und Gebet per Video-Stream
epd-bild/Jens Schulze
Die Gebetsaufrufe häufen sich derzeit im Internet. Nicht nur Religionsgemeinschaften laden zum öffentlichen Gebet ein, auch Nutzer sozialer Netzwerke bekennen, dass sie beten. Manche glauben nicht mal an Gott.

Nichts ist so sicher wie das Amen in der Kirche - doch zurzeit scheint nicht einmal das sicher. Denn Gottesdienste mit Gemeinde finden nirgendwo in Deutschland statt, und auch im Vatikan oder in Israel wird vor überwiegend leeren Kirchenbänken gepredigt. Gleichzeitig wächst aber die Sehnsucht nach dem Zuspruch der Kirchen. Rundfunkgottesdienste erzielen Rekordreichweiten, aber auch im Internet ist die Kirche jetzt omnipräsent. Fast jede Gemeinde bietet eine Predigt als Podcast oder einen Gottesdienst zum Streamen an - und die Gebetsaufrufe häufen sich.

Um 19.30 Uhr ist an vielen Orten derzeit das Große Geläut zu hören, Kirchen wollen damit zum gemeinsamen Gebet aufrufen. Der Papst forderte in dieser Woche gleich zweimal zum Gebet auf, am Mittwoch sollten die Menschen um 12 Uhr kollektiv das Vaterunser, das bekannteste Gebet der Christenheit, sprechen, am Freitagabend will er eine Andacht abhalten und seinen traditionellen Segen "Urbi et Orbi" (Der Stadt und dem Erdkreis) spenden. Das evangelische Internetportal "evangelisch.de" hat ein Dauergebet im Internet gestartet. Freiwillige beten auf der Seite "coronagebet.de" jeweils 20 Minuten am Stück und nehmen Gebetsanliegen von anderen Nutzern auf. Ziel ist, dass das Gebet nie abreißt. In Jerusalem können Gläubige über das Internet die Gebetsstunden verfolgen - etwa von der Monastischen Gemeinschaft und der Dormitio Abtei.

Beten könne ja nicht schaden

Aber auch in sozialen Medien wie Twitter, Instagram, Youtube und Facebook werden Gebetsanliegen geteilt. Dort finden sich auch Nutzerinnen und Nutzer, die von sich selbst sagen, dass sie weder religiös sind, noch an Gott glauben. Aber Beten könne ja nicht schaden.

Das Gebet ist also in der Krise populärer wie nie zuvor. Diese Beobachtung hat auch die Essener Pfarrerin Hanna Jacobs gemacht, die beim alternativen Gemeindeprojekt "Raumschiff Ruhr" arbeitet. Sie führt die Tatsache, dass jetzt auch viele nichtreligiöse Menschen wieder beten, auf zwei Gründe zurück. Zum einen gebe es in der amerikanisch geprägten Popkultur starke Vorbilder. Zum anderen besönnen sich viele Menschen in Kriegs- oder Krisenzeiten auf eine höhere Macht, die ihnen vielleicht helfen kann.

"Not lehrt Beten", sagt die evangelische Theologin Eva Harasta, die sich wissenschaftlich mit dem Thema "Gebet" befasst hat und auch auf Twitter aktiv ist. Dort finde sie vor allem Fürbitten und Segensprüche, die viele Menschen teilen und die häufig auch von kirchlichen Internetseiten gepostet werden. Der Satz "Not lehrt Beten" lasse sich aber auch umkehren, sagt sie. Beten lehrt Not bedeute, dass die Menschen in einem Gebet ihre Not auch anders wahrnehmen und sie, wenn sie gläubig sind, vor Gott bringen wollen. "Im Gebet entwickelt sich auch ein Verhältnis zum eigenen Leben", sagt Harasta.

"Ausdruck von Hilflosigkeit"

Gerade in Krisenzeiten haben viele Menschen das Bedürfnis, sich mit dem Lebenssinn zu beschäftigen. Im Wunsch zu beten drücke sich daher auch eine Verunsicherung aus, die viele Menschen angesichts einer durch Krankheit und wirtschaftliche Not gefährdete Existenz fühlen, vermuten die beiden Pfarrerinnen Jacobs und Harasta. "Die vielen Gebetsanliegen sind Ausdruck von Hilflosigkeit, aber auch ein Wunsch nach Trost", sagt Jacobs. Sie sind auch Momente der Selbstreflexion.

Ein Gebet könne helfen, die Unsicherheit zu akzeptieren und festzustellen, dass man die Situation gerade selbst nicht kontrollieren könne, was aber gleichzeitig nicht heißen müsse, dass alles schlecht endet, sagt Harasta, die an der Evangelischen Akademie in Wittenberg arbeitet. Sie stellt fest, dass viele Postings nicht nur Bitten, sondern auch viel Dank enthalten. Dankbarkeit für kleine Dinge, die die Aufmerksamkeit auf Schönes lenken. Da poste etwa jemand das Bild einer blühenden Magnolie.

Einen Punkt halten jedoch beide Theologinnen für wesentlich: Es ist nicht egal, an wen man sich im Gebet wendet. In der christlichen Tradition ist das nun mal Gott. Gott könne jedoch auch Ausdruck in der Gemeinschaft der Gläubigen finden, die sich gerade im Internet versammelt. Viele, die von sich sagen, sie glaubten nicht an Gott, wünschten sich trotzdem Feedback von der Community im Netz, die vielleicht die Gebetsanliegen aufgreift, sagt Harasta. Das gemeinsame Gebet und das Teilen von Gebetsanliegen sei auch gegenseitige Unterstützung und Bestärkung. "Wenn die sozialen Medien so einen Austausch bringen können, wäre das doch ganz wunderbar."

Franziska Hein (epd)


Geistliche rufen zu Solidarität mit Menschen in Not auf


Fernsehgottesdienst im Michel mit "Foto-Gemeinde"
epd-bild/Stephan Wallocha
Die Corona-Pandemie hat am 29. März erneut die Predigten leitender Geistlicher beherrscht. Sie appellierten an die Gläubigen, alte und kranke Menschen jetzt nicht alleinzulassen. Im Hamburger Michel wurde ein "Foto-Gottesdienst" gefeiert.

Angesichts der Corona-Pandemie haben leitende christliche Geistliche am 29. März zur Solidarität mit Menschen in Not aufgerufen. Vielen sei nun besonders bewusstgeworden, "wie zerbrechlich und bedroht das Leben sein kann", sagte der hessen-nassauische Kirchenpräsident Volker Jung am Sonntag in einem ZDF-Fernsehgottesdienst. Der Kölner Erzbischof Rainer Maria Woelki betonte, alte und kranke Menschen dürften trotz aller Sorge um Ansteckungsgefahren nicht alleingelassen werden. Papst Franziskus hatte in einer Andacht am Abend des 27. März erklärt, die Epidemie zeige, "dass wir alle im selben Boot sitzen".

Kirchenpräsident Jung sagte, Menschen seien von den Folgen der Krankheit und dem Tod bedroht, und berufliche Existenzen stünden auf dem Spiel. Jetzt sei es besonders wichtig, solidarisch zu handeln. Gerade das Gebet könne Hoffnung und die Kraft zur Geduld geben, sagte er am 29. März in der Saalkirche im rheinhessischen Ingelheim. Der Gottesdienst stand unter dem Motto "Nur Mut!". In den kommenden Wochen werden wegen der Corona-Krise alle evangelischen ZDF-Fernsehgottesdienste aus Ingelheim gesendet.

"Schwache schützen"

Jung ging in seiner Predigt auch auf die wirtschaftlichen Befürchtungen, die Belastungen in Medizin und Pflege sowie die politischen Herausforderungen ein. Viele Menschen wüssten nicht, wie es nach der Corona-Krise weitergehen solle. "Ich bin dankbar, in einer Gesellschaft zu leben, die darum ringt, gerade die Schwachen und besonders Verwundbaren zu schützen", sagte er. "Diesen Weg müssen wir weitergehen."

Woelki betonte, gerade jetzt sei es wichtig, allein lebenden alten und kranken Menschen zu zeigen: "Wir sind für dich da." Eine notwendige Hilfe sei die Erledigung des Einkaufes. "Aber auch auf das Gespräch - ob am Telefon oder durch das geöffnete Fenster von draußen - darf nicht verzichtet werden", sagte der Kardinal im Kölner Bistumssender Domradio.de.

Kölner Priesterseminar wird für Obdachlose geöffnen

In einem Ponitikfikalamt im Kölner Dom kündigte Woelki zudem an, dass von 30. März an die Türen des Kölner Priesterseminars für Obdachlose geöffnet werden. Die Menschen sollten dort mit einer warmen Mahlzeit verpflegt werden und die sanitären Anlagen benutzen dürfen, sagte Woelki in dem Gottrsdienst, der von Domradio.de übertragen wurde. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe hatte am 27. März darauf hingewiesen, dass die soziale Distanz, die notwendigen Hygienemaßnahme und der weitestgehende Rückzug in die eigenen vier Wände nicht mit den Lebensumständen wohnungsloser Menschen vereinbar seien. Tagestreffs seien zum Teil geschlossen, stationären Einrichtungen sei ein Aufnahmestopp verordnet worden.

Papst Franziskus betonte die Auslöschung von Unterschieden durch die Krankheit Covid-19. Die Epidemie zeige, "dass wir alle im selben Boot sitzen", sagte das katholische Kirchenoberhaupt am Freitagabend auf dem leeren Petersplatz. In dieser Situation komme nicht jeder für sich voran, sondern nur alle gemeinsam, betonte Franziskus in der Andacht auf dem für das Publikum geschlossenen Platz. Zum Abschluss der Andacht sprach der Papst den Segen "Urbi et Orbi", den er gewöhnlich nur an Ostern und Weihnachten erteilt.

Fotos von Gottesdienstbesuchern

Ein Fernsehgottesdienst der besonderen Art wurde aus der evangelischen Hauptkirche Sankt Michaelis in Hamburg ausgestrahlt: Die Kirchenbänke blieben keineswegs leer, sondern waren mit Fotos im DIN-A4-Format bestückt. Die Bilder zeigten Gottesdienstbesucher, die normalerweise hier gesessen hätten - was in Corona-Zeiten nicht geht. Unter der Motto #verbundenbleiben hatte die Hauptkirchengemeinde zu der Foto-Aktion aufgerufen. "Die Rückmeldungen, die wir erhalten haben, zeigen uns deutlich, dass viele Menschen durch diese Übertragung Ermutigung und Trost gefunden haben", sagte Michel-Hauptpastor Alexander Röder.

Der Bischof der Erzdiözese Freiburg, Stephan Burger, warnte vor Aggression und Egoismus in der Corona-Krise. Das deutschlandweite Kontaktverbot sei ein "Stresstest für unsere Gesellschaft", sagte Burger in einer Videobotschaft. Der Evangelisch-reformierte Kirchenpräsident Martin Heimbucher betonte, neben Behörden, Krankenhäusern, Pflegeheimen und der Wirtschaft müssten sich auch Pastorinnen und Pastoren auf die Extremsituation der Pandemie einstellen. Sie würden jetzt zunehmend als Seelsorgerinnen und Seelsorger gebraucht.



Mit goldener Feder und per Telefon


Diakon Dirk Hartung schreibt Postkarten an Menschen, die sonst zu seinen Angeboten für Senioren kommen.
epd-bild / Uwe Lewandowski
Treffpunkte, Gruppen, Fahrten und auch Gottesdienste fallen in Zeiten von Corona aus. Für viele ältere Menschen bedeutet das: Noch mehr soziale Kontakte brechen weg. Kirchengemeinden versuchen, das mit Anrufen oder persönlichen Briefen auszugleichen.

Diakon Dirk Hartung aus Osnabrück setzt sich an seinen Schreibtisch und nimmt den Füller mit der goldenen Feder zur Hand. Täglich schreibt er seit einigen Tagen Postkarten, mit der Hand versteht sich. Mehr als 50 hat er schon in Umschläge getütet und verschickt - immer mit dem passenden Motiv. "Ich habe eine Sammlung mit Toskana-Karten", sagt der 62-Jährige, der in der größten evangelischen Kirchengemeinde von Osnabrück die Seniorenarbeit leitet: "Die gehen an diejenigen, die eigentlich bei einer Toskana-Freizeit dabei sein wollten." Eigentlich - vor der Corona-Krise.

Rund 300 Seniorinnen und Senioren kommen regelmäßig zu Hartungs Angeboten ins Gemeindehaus. "Runter vom Sofa, ab in die Seniorenakademie", lautet normalerweise sein Motto. In der Corona-Krise aber sollten die Menschen zu Hause bleiben. Doch längst nicht alle Älteren seien mit dem Internet, mit E-Mails und den sozialen Medien vertraut. "Darum mache ich es jetzt wie früher und schreibe, um in Kontakt zu bleiben", erzählt der Diakon. Wie Hartung bemühen sich derzeit viele Pastorinnen, Diakone und Ehrenamtliche, Menschen nicht allein zu lassen, für die sonst Angebote der Kirche auch wichtige soziale Kontakte bedeuten.

Telefonate statt Besuche

Die Lüneburger Diakonin Antje Stoffregen und viele Kollegen greifen dafür zum Hörer. "Wir rufen Menschen an, die sonst zu uns ins Haus kommen", sagt Stoffregen. Im Paul-Gerhardt-Haus und bei der Kindertafel ihrer Gemeinde sind das vor allem ehrenamtlich Mitarbeitende und Senioren, darunter Menschen, die alleine leben. "Eigentlich würden wir uns heute zum Spielenachmittag sehen", ist dann etwa ein guter Aufhänger für ein Telefonat. "Die Menschen suchen die Gelegenheit, das was aus dem Fernsehen auf sie einprasselt, auch mal mit jemandem zu besprechen", hat die Diakonin beobachtet. "Es gibt so viel Information und soviel Aktion. Da fragen sich viele, was soll ich jetzt eigentlich machen?"

Auch die Besuchsdienstarbeit, in der sich allein in der hannoverschen Landeskirche rund 10.000 Ehrenamtliche in 1.000 Gruppen engagieren, rät dazu anzurufen, statt wie sonst zu Geburtstagen zumeist zu Älteren ins Haus zu kommen. "Wir müssen beide Seiten schützen, die Besuchten und unsere Ehrenamtlichen, von denen die meisten über 60 Jahre alt sind", erläutert die landeskirchliche Referentin für den Besuchsdienst, Helene Eißen-Daub.

"Noch ein kleines Nervenpolster"

Pastorin Iris Junge, die im evangelischen Kirchenkreis Uelzen die Besuche koordiniert, sieht erst den Anfang bei der seelischen Unterstützung per Telefon. "Bisher bin ich angenehm überrascht, dass die meisten es über die Familie, Freunde und Nachbarn schaffen, sich zu versorgen, ohne aus dem Haus zu gehen", sagt Junge. Doch es könnten sich noch viele Ängste aufbauen, je länger die Krise dauere. Menschen, die ohnehin viel allein seien, litten mehr als sonst darunter: "Jetzt wissen sie, dass sie keinen Besuch bekommen können."

Angebote der Krisen-Hilfe wie die Telefon- und Chat-Seelsorge sind in diesen Tagen deutlich mehr gefragt als sonst. Bei neu eingerichteten Hotlines und Anrufdiensten, wie sie etwa der evangelische Kirchenkreis Hittfeld oder der Bremer Dom initiiert haben, gehen dagegen bisher vergleichsweise wenige Anrufe ein. "Die Menschen haben noch ein kleines Nervenpolster", sagt Dompastor Henner Flügger. Doch verstärke sich das Empfinden, abgeschnitten zu sein. "Da kriechen Ängste und Gedanken allmählich die Beine hoch." Auch Pastorin Caroline Warnecke aus dem Kirchenkreis Hittfeld bei Hamburg rechnet mit steigendem Bedarf, "wenn erst einmal heruntersackt, was gerade geschieht".

Diakon Hartung greift zur Jugendstilkarte für die Dame, die Kunst so liebt, wie er selbst. "Ich habe beim Schreiben ein Bild von den jeweiligen Adressaten vor dem Auge", sagt er. "Mir fehlen die Leute ja auch." Umso mehr freut ihn: "Ein paar haben schon zurückgeschrieben."

Karen Miether (epd)


"Himmlische Herbergen" fürchten um ihre Existenz

Evangelische Tagungshäuser befürchten "verheerende Folgen" der Corona-Krise. Durch aktuelle und noch zu erwartende Buchungsausfälle seien fast alle Einrichtungen in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedroht, heißt es in einem am 24. März veröffentlichten Schreiben an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und die zuständigen Fachminister aller betroffenen Bundesländer.

Die mehr als 300 Mitgliedshäuser benötigten jetzt "die besondere Unterstützung des Staates", heißt es in dem Schreiben der Arbeitsgemeinschaft der evangelischen Tagungs- und Gästehäuser in Deutschland. Die gemeinnützigen Einrichtungen verfügen nach eigenen Angaben über Programme für Kinder-, Jugend-, Familien- und Erwachsenengruppen aller Art.

In der Arbeitsgemeinschaft evangelischer Tagungs- und Gästehäuser haben sich kirchliche Träger und in kirchlicher Bekenntnisgemeinschaft stehende gemeinnützige Vereine und Verbände zusammengeschlossen.



Lippische Frühjahrssynode wegen Corona abgesagt

Wegen der Corona-Pandemie findet die für Juni geplante Lippische Landessynode nicht statt. Die Kirchenkreise, die in Lippe "Klassen" heißen, könnten nicht im April zu den vorbereitenden Beratungen zusammenkommen, erklärte der Synodenpräses Michael Keil am 25. März in Detmold. Auf diesen Zusammenkünften werden Gesetze beraten, die auf der Tagesordnung der Synode im Juni stehen sollten. Diese Entscheidung sei nicht leichtgefallen. "Wir sehen aber unter den derzeitigen Gegebenheiten keine Alternative dazu", sagte Keil.

Die Landessynode ist das höchste Leitungsgremium der Lippischen Landeskirche mit rund 155.000 Gemeindemitgliedern. Sie tagt zweimal pro Jahr, die nächste Lippische Landessynode soll am 23. und 24. November stattfinden.



Kirchen-Challenge unterstützt Flüchtlingskinder


Unterricht im Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos
epd-bild/Jörn Neumann

Die evangelische Kirche ruft Kinder in Deutschland zu einer Challenge für den guten Zweck auf. Jeden Tag würden auf der Homepage "www.kindergottesdienst-ekd.de" neue Beschäftigungsideen zu christlichen Themen vorgegeben, die die Mädchen und Jungen zu Hause kreativ umsetzen sollen, teilte der Gesamtverband für Kindergottesdienst in der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) am 26. März in Münster mit. Für jeden eingesandten Beitrag gehe eine Spende von einem Euro an "Ärzte ohne Grenze" für Hilfen für Kinder in den griechischen Flüchtlingslagern. Die Aktion läuft den Angaben nach solange, wie die Schulen und Kindertagesstätten aufgrund der Corona-Pandemie geschlossen bleiben.

Jede Woche hat ein anderes Motto, wie es hieß. Zum Start sollten sich die jungen Teilnehmer in der vergangenen Woche mit dem Thema Schöpfung in ihrer näheren Umgebung auseinandersetzen. Jeweils samstags werden die Beiträge auf der Homepage sowie dem Facebook- und Instagram-Account des Kindergottesdienst-Verbandes veröffentlicht. Unter den Einsendungen werden wöchentlich Sachpreise verlost, alle Teilnehmenden erhalten am Ende ein Überraschungsgeschenk. An den Sonntagen bietet der Verband auf seiner Homepage zudem einen Kindergottesdienst per Livestream an.



Bernhard Felmberg wird evangelischer Militärbischof


Der bisherige Militärbischof der EKD, Sigurd Rink (re.), scheidet aus dem Amt. (Archivbild)
epd-bild/Harald Koch
Die evangelische Kirche bekommt einen neuen Militärbischof. Der frühere Bevollmächtigte der EKD, Bernhard Felmberg, soll Sigurd Rink im Oktober ablösen. Rink wechselt ins Evangelische Werk für Diakonie und Entwicklung.

Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) hat einen neuen Militärbischof berufen. Wie das Kirchenamt am 26. März in Hannover mitteilte, soll der frühere EKD-Bevollmächtigte Bernhard Felmberg zum 1. Oktober in das Amt wechseln. Der bisherige Militärbischof Sigurd Rink soll nach sechsjähriger Amtszeit ausscheiden und Büroleiter bei Diakonie-Präsident Ulrich Lilie werden. Rink selbst wurde nach eigenen Angaben erst spät über den Personalwechsel informiert.

Felmberg bleibe "in der Spur der friedensethischen Äußerungen der EKD", vertrete biblisch gegründete Positionen und bringe theologische Leitungserfahrungen mit, erklärte der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm. Felmberg war nach Kritik an seiner Lebensführung 2013 aus dem Amt des EKD-Bevollmächtigten geschieden, der die Position der Kirche gegenüber der Bundespolitik vertritt. Der 54-Jährige war danach Abteilungsleiter im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.

"Zum gerechten Frieden beitragen"

Ein damals von der EKD eingeleitetes Disziplinarverfahren gegen Felmberg wegen des Vorwurfs mehrerer Affären wurde eingestellt. Nach dem Pfarrdienstgesetz gelten für solche Amtsträger in der Kirche in Ehe und Familie besondere Verpflichtungen zur christlichen Lebensführung. "Die Entscheidung für Bernhard Felmberg haben wir in dem Bewusstsein darüber getroffen, dass es auch Brüche in seiner Biografie gegeben hat", sagte Bedford-Strohm. Über die Personalie wurde den Angaben zufolge im Rat der EKD und in der Kirchenkonferenz, dem Zusammenschluss der Landeskirchen, im Einvernehmen mit der Bundesregierung entschieden.

Felmberg erklärte, er verstehe das ihm anvertraute Amt "als Dienst an Soldaten und Soldatinnen mit ihren Familien, die ethisch und situativ höchste Verantwortung tragen". Er wolle Positionen der evangelischen Friedensethik in die Gesellschaft tragen: "Wir wollen unseren Teil zum gerechten Frieden beitragen."

Rink hätte Amt wohl gerne behalten

Bedford-Strohm dankte Rink für dessen intensive Arbeit in der Militärseelsorge. Sigurd Rink war 2014 als erster hauptamtlicher Militärbischof der EKD eingeführt worden. Davor war das höchste Amt der evangelischen Militärseelsorge in Deutschland ein Nebenamt. Der Militärbischof leitet die Seelsorge an den Militärstandorten. Rund 100 evangelische Militärpfarrer sind bei der Bundeswehr im Einsatz.

Die Stelle ist für den Amtsinhaber auf sechs Jahre befristet, kann theoretisch aber verlängert werden. Rink sagte, er freue sich auf die neue Aufgabe. Auch das Amt als Militärbischof hätte er aber wohl gern behalten. Dem epd sagte Rink, er selbst sei offiziell mit der Mitteilung an die Öffentlichkeit über die Personalentscheidung informiert worden.

Wie die Diakonie auf Anfrage mitteilte, übernimmt Rink zum 15. Juli die Büroleitung des Präsidialbereichs der Diakonie Deutschland. Präsident Ulrich Lilie sagte, er freue sich auf die Zusammenarbeit. Rink bringe auch einschlägige diakonische Erfahrungen aus seinem Dienst als Propst der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau mit.



Kirchlicher Aktionstag gegen Atomwaffen wird verschoben

Der für den 6. Juni geplante kirchliche Aktionstag gegen Atomwaffen am Fliegerhorst Büchel in der Eifel wird wegen der Corona-Pandemie verschoben. Der neue Termin steht noch nicht fest, wie die Projektgruppe "Kirchen gegen Atomwaffen" am 27. März in Bonn mitteilte. Mit dem Aktionstag wollten Christen aus evangelischen Landeskirchen und der katholischen Friedensorganisation Pax Christi ein Zeichen gegen Atomwaffen setzen. Am Fliegerhorst Büchel sollen die letzten US-amerikanischen Atomwaffen lagern.

Kirchliche Aktionstage in Büchel gab es bereits in den vergangenen zwei Jahren. 2019 hatte die frühere EKD-Ratsvorsitzende Margot Käßmann vor mehr als 1.000 Menschen einen Gottesdienst gehalten. Beim ersten Aktionstag im Jahr 2018 war der EKD-Friedensbeauftragte Renke Brahms zu Gast, es kamen rund 500 Teilnehmer. In diesem Jahr sollte die stellvertretende Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), die westfälische Präses Annette Kurschus, predigen.

Die Projektgruppe "Kirchen gegen Atomwaffen" hat sich den Angaben zufolge im Dezember 2017 auf Initiative des badischen Forums Friedensethik gebildet. Ihr gehören Christen aus den evangelischen Landeskirchen in Baden, Bayern, Hessen-Nassau, Kurhessen-Waldeck, der Pfalz, dem Rheinland und Württemberg an. Zudem nehmen Mitglieder der katholischen Friedensbewegung Pax Christi an den Treffen teil.



Mit zwei Terminkalendern für die Kirche unterwegs


Heinrich Bedford-Strohm
epd-bild/Matthias Rietschel
Mit Leidenschaft und unverwüstlichem Optimismus repräsentiert Heinrich Bedford-Strohm die deutschen Protestanten. Auch jenseits von Kirchenmauern setzt er sich für Notleidende und gegen Hass und Hetze ein. Der fromme Enthusiast wird nun 60 Jahre alt.

An seinem 60. Geburtstag wird Heinrich Bedford-Strohm eine ganz neue Erfahrung machen: Statt einer großen offiziellen Schar von Gratulanten in seinen verschiedenen Büros in München oder Hannover erwartet den Bischof wegen der Corona-Krise am 30. März ein eher "stiller Geburtstag". Diese erzwungene Ruhepause werde er aber sehr genießen, sagte er dem Evangelischen Pressedienst (epd) in einem Interview.

Gewöhnlich halten den Theologen, der aus einer bayerischen Pfarrersfamilie stammt, gleich zwei Terminkalender auf Trab - als Landesbischof steht er seit 2011 an der Spitze der knapp 2,4 Millionen evangelischen Christen in Bayern, zugleich ist er seit 2014 als Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) die Führungsfigur der rund 23 Millionen deutschen Protestanten.

Vertreter der "Öffentlichen Theologie"

Diese Spitzenämter füllt der weltzugewandte Lutheraner mit großem persönlichem Engagement, Überzeugungskraft und offensichtlicher Freude aus. Dabei ist ihm seine Prominenz, die ihn oft in die Nähe der großen Politik führt, hauptsächlich ein Mittel zum Zweck und die praktische Umsetzung seines theologischen Programms. Der Draht zum bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) und Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) ist kurz.

Bereits als Theologieprofessor in Bamberg war Bedford-Strohm ein Vertreter der "Öffentlichen Theologie" und damit einer Kirche, die nicht hinter Mauern agiert, sondern in ethischen Fragen Haltung nach außen zeigt: "Wer fromm ist, muss auch politisch sein", dieses Zitat, das auf Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer zurückgeht, wendet er öfter an.

Als Bischof erhebt Bedford-Strohm deshalb seine Stimme für den Klimaschutz, äußert sich zur Sterbehilfe, die seiner Überzeugung nach keinesfalls die unantastbare Würde des Menschen gefährden darf, und setzt sich für Menschen am Rand der Gesellschaft und in Notlagen ein - insbesondere für Flüchtlinge. Weil nach christlichem Gebot niemand im Mittelmeer ertrinken dürfe, hat er maßgeblich mitbewirkt, dass die Seenotrettungsorganisation Sea-Watch nun ein kirchliches Rettungsschiff betreibt. Von Anfeindungen im Internet und Morddrohungen hat er sich nicht beirren lassen.

Kanzel und Soziale Medien

Um Gehör zu finden, nutzt Bedford-Strohm alle möglichen Kanäle: die Kanzel, Interviews und schon früh die Sozialen Medien. Der Bischof ist auf Twitter und Facebook unterwegs und bemüht sich, die vielen Anfragen selbst zu beantworten. Auch dort kämpft er gegen Hassrede und forderte mehrfach eine Berufsethik für Entwickler von Algorithmen.

Bedford-Strohm sucht, wo immer es nur geht, den Kontakt zu den Menschen - auf dem Fußballplatz als Amateurfußballer oder in der Kirche. Berührungsängste hat er keine, diskutiert ernsthaft mit Kritikern seines Engagements für Flüchtlinge vor der Frauenkirche in Dresden. Großes Amtsgetöse ist ihm fremd. Zu Terminen wie seinen traditionellen Besuchen in sozialen Einrichtung an Weihnachten kommt Bedford-Strohm nicht in Dienstlimousine plus Chauffeur, sondern fährt selbst mit einem unscheinbaren, dafür umweltschonenden Kleinwagen vor. Seine Weihnachtspredigt vor jungen Strafgefangenen in einem Jugendgefängnis fällt für die Zuhörer genauso engagiert und intensiv aus wie eine Ansprache bei einem Staatsakt.

Und regelmäßig ist der Bischof im Straßenbild zu sehen - auf dem Weg vom Münchner Landeskirchenamt zu einem Coffeeshop im nahe gelegenen Hauptbahnhof oder auf dem Fahrrad an einer Ampel. Dann ist Bedford-Strohm vielleicht gerade auf dem Weg zu seinem Freund, dem Münchner Erzbischof Kardinal Reinhard Marx.

"Zeitinseln" für die Familie

Kraftquelle ist dem Bischof die Familie - seine drei Söhne und seine Frau Deborah, eine Psychotherapeutin, die aus Amerika stammt und die das "Bedford" zu dem jetzigen Doppelnamen des Bischofs beigesteuert hat. Sie wird von ihm "Debbie" genannt und begleitet ihn häufig zu Veranstaltungen. Für seine Frau und die Söhne plant Bedford-Strohm regelmäßig "Zeitinseln" in seine diversen Terminkalender ein. Dabei ist sich der Bischof auch nicht zu schade, bei dem Umzug einer seiner Söhne mit Hand anzulegen.

In Zukunft hat der Bischof vielleicht wieder mehr Zeit für seine Hobbies, wie Fußball und das Geigenspiel, und vor allem für seine Familie und den ersten Enkel. Denn im nächsten Jahr stehen Ratswahlen an. Bedford-Strohm lässt bisher offen, ob er dem Beispiel seines Freundes Marx folgt, der dieses Jahr nicht mehr für das Amt des Vorsitzenden der katholischen Deutschen Bischofskonferenz kandidiert hat. Dann könnte es sein, dass Bedford-Strohm nur noch einen Terminkalender hat.

Achim Schmid (epd)


Der Papst nur im Livestream: Ostern in Corona-Zeiten


Der Papst feierte am 27. März eine Andacht auf dem leerem Petersplatz und erteilte den Segen "Urbi et Orbi".
epd-bild/Vatican Media/Agenzia Siciliani
Keine Fußwaschung bei den Armen und Ausgeschlossenen, die Ostermesse nur im Netz: Auch der Vatikan muss in der Corona-Krise schmerzliche Abstriche machen. Verschoben wird Ostern aber nicht.

Auf der Prachtstraße, die vor rund 100 Jahren anlässlich der Aussöhnung zwischen dem Vatikan und dem italienischen Staat durch das mittelalterliche Borgo-Viertel zum Petersdom gebrochen wurde, stehen in diesem Jahr keine Blumenkübel mit Ölbäumen. Zu den Osterfeierlichkeiten wird auch der Petersplatz nicht in ein buntes Blumenmeer verwandelt. Dort werden sich nicht wie sonst Zehntausende Menschen versammeln, um den Papst und seine Osterbotschaft zu erleben. Es ist Ostern in Corona-Zeiten.

Seit Wochen verzichtet Franziskus darauf, mittwochs bei der Generalaudienz vom Petersplatz aus zu den Gläubigen zu sprechen. Auch sonntags beim Angelusgebet wendet er sich nicht mehr von einem Fenster des Apostolischen Palastes aus an das Kirchenvolk. Stattdessen werden seine Ansprachen und Gebete aus der Bibliothek des Palastes live im Internet übertragen. Im Netz können Gläubige anders als vor der Corona-Pandemie auch die Morgenmesse live verfolgen, die das Kirchenoberhaupt täglich um sieben Uhr in der nüchternen Kapelle des vatikanischen Gästehauses Santa Marta feiert.

Im Vatikan wird weiter gearbeitet

Bei Streaming-Messen versichert der Papst den Kranken, Isolierten und unter den Ausgangsbeschränkungen leidenden Menschen seine Solidarität. "Vielleicht ist der einzige Horizont, den sie haben, der Balkon", sagt er eines Samstagmorgens besonders mit Blick auf eingeschlossene Familien. Vor dem Hintergrund drohender Familienstreitigkeiten fordert er zum Gebet dafür auf, dass alle gut miteinander sprechen, es schaffen, "innerhalb der Familie Beziehungen der Liebe aufzubauen und die Ängste dieser gemeinsamen Zeit in der Familie zu bewältigen".

Während in Italien nur noch lebenswichtige Aktivitäten aufrechterhalten werden und viele Behörden ihre Mitarbeiter entweder zu Hause arbeiten lassen oder beurlauben, wird in den Ämtern des Vatikans weiter gearbeitet. Die Ausübung des Papstamtes müsse weiter garantiert werden, hieß es in einer Mitteilung des Heiligen Stuhls.

Auslandsreise verschoben

Doch das Virus macht auch vor dem Vatikan nicht halt. So wurde jetzt ein hochrangiger Geistlicher aus dem vatikanischen Staatssekretariat, der ebenso wie Papst Franziskus im Gästehaus Santa Marta wohnt, positiv auf das Coronavirus getestet. Zuvor waren bereits vier weitere Corona-Fälle im Vatikan bestätigt worden, darunter bei zwei Mitarbeitern der Vatikanischen Museen. Papst Franziskus empfängt derweil weiterhin Kurienchefs und Diplomaten in Audienz. Seine nächste Auslandsreise nach Malta verschob er allerdings auf die Zeit nach der Krise.

Und anstatt wie üblich im Kolosseum dürfte der Papst in diesem Jahr am Karfreitag den Kreuzweg in den Kolonnaden vor dem Petersdom oder gar in der Basilika selbst beten. Die Fußwaschung am Gründonnerstag, die Franziskus nach seinem Amtsantritt von der Lateranbasilika in Gefängnisse, eine Behinderteneinrichtung und ein Flüchtlingsheim verlegt hatte, wird diesmal wegfallen. Das Ritual des Papstes, der Häftlingen und Flüchtlingen, darunter auch Frauen und Muslimen, die Füße wusch, trocknete und küsste, gehörte zu den beeindruckenden Momenten der Osterwoche.

Eine Verschiebung des Ostertermins kommt der vatikanischen Gottesdienstkongregation zufolge jedoch nicht infrage. Der Papst werde sämtliche Liturgien "ohne physische Präsenz von Gläubigen" feiern, betont die Vatikanbehörde. Für den Pontifex aus Argentinien, der wie kaum einer seiner Vorgänger den Kontakt zu Menschen sucht, dürfte das besonders bedrückend sein.

Bettina Gabbe (epd)


Gottesdienst aus Lemgo im WDR

Ein evangelischer Gottesdienst aus St. Nicolai-Kirche in Lemgo wird am 19. April im WDR-Fernsehen übertragen. Der Gottesdienst steht unter dem Motto "Neue Kraft für die Müden" soll in Zeiten der aktuellen Krise ermutigen und Kraft geben, wie das Evangelische Rundfunkreferat am 30. März in Düsseldorf mitteilte. In Krisen und Ausnahmesituationen sei die gesamte Gesellschaft gefordert, erklärte der lutherische Superintendent Andreas Lange, der die Predigt hält.

Neben der praktischen und finanziellen Unterstützung helfe auch der Glaube, erläuterte der Superintendent der Lutherischen Klasse in der Lippischen Landeskirche: "Ein Glaube, der ermuntert, nach vorne zu schauen, vorwärts zu gehen und hinter uns zu lassen, was uns belastet." In Zeiten der Kontaktsperre habe die ARD ihr Gottesdienstprogramm derzeit ausgeweitet, um mehr Menschen die Teilnahme zu ermöglichen, erklärte das Rundfunkreferat.

Der Titel "Neue Kraft für die Müden" sei inspiriert von den Worten des Propheten Jesaja: "Alle, die ihre Hoffnung auf Gott setzen, bekommen neue Kraft. Sie sind wie Adler, denen mächtige Schwingen wachsen. Sie gehen und werden nicht müde, sie laufen und sind nicht erschöpft."



Riesenkerze leuchtet am Kirchenturm

Am Kirchturm der evangelischen Kirche in Oberbantenberg im Oberbergischen Kreis leuchtet derzeit jeden Abend eine Riesenkerze als Zeichen der Hoffnung in der Coronakrise. Pfarrer Daniel Boltner und seine Frau Ute haben die beleuchtete Metallkonstruktion selbst gebaut, wie der Kirchenkreis An der Agger mitteilte. Mit der Aktion wolle er seiner Gemeinde und allen Menschen Mut machen, erklärte der Pfarrer: "Die Kerze ist ein Zeichen der Hoffnung, als Mutmacher, als Hinweis auf Jesus Christus, der das Licht der Welt ist." Dazu gibt es auch eine Videobotschaft auf der Gemeinde-Homepage www.ek-oberbantenberg.de



Corona: Internetprojekt ruft Menschen zum Teilen von Andachten auf

Unter dem Motto "Hallo Tag" ruft ein Internetprojekt dazu auf, in Zeiten der Corona-Krise täglich Andachten zu teilen. Zur Eröffnung hat die Theologin Margot Käßmann in einem Podcast darüber berichtet, was ihr angesichts der aktuellen Krisensituation Trost spendet. Die Plattform solle Stütze sein, Seelsorge und Rettungsanker sein, heißt es auf der Internetseite "hallotag" der Schulte Medien in Melle, die unter anderem in Bielefeld das "Evangelische Hörmagazin für Blinde und Sehbehinderte" und "Kirche im Radio" und produziert. Zerstörende oder verstörende Worte gebe es in diesen Zeiten genug.

Interessierte können ihren Lieblingstext, eine Bibelstelle, ein Gebet oder was einem geholfen habe, auf Handy aufnehmen, hieß es. Die Gedanken zum Tag sollen maximal 90 Sekunden lang sein, und können über Mail oder SMS zugesendet werden. Zudem kann eine Aufnahme über Telefon verabredet werden.

Einsendungen per SMS/WhatsApp: 01511-5270476; Terminvereinbarung für Aufnhame: 05427/9229939, E-Mail: info@studioschulte.de. Internetseite: https://hallotag.de



Kirchen starten #kirchefeiert zu Festtagen

Die Kampagne #kirchefeiert informiert über die Hintergründe kirchlicher Feiertage. Die gemeinsame Aktion von Vereinter Evangelischer Mission (VEM) in Wuppertal sowie der Evangelischen Kirche im Rheinland und der Evangelischen Kirche von Westfalen bietet Poster, Postkarten und weitere Bildungsmaterialen, wie die rheinische Kirche am 23. März in Düsseldorf mitteilte. Erläutert werden die biblischen Hintergründe der christlichen Feste Karfreitag, Ostern, Himmelfahrt, Pfingsten, Erntedankfest, Ewigkeitssonntag, Advent und Weihnachten.

Die Kampagne richtet sich den Angaben zufolge an Gemeinden und Lehrer, die das Bildungsmaterial in Form von Meditationen und Bibelarbeiten für die Jugendarbeit und den Religionsunterricht nutzen können. In den sozialen Netzwerken sollen zudem Anwendungsbeispiele in Form von Videos, Fotos, Stories und Texten geteilt werden.




Gesundheit

Ausnahmezustand für Grundrechte


Der Spielplatz in der Innenstadt von Köningswinter bei Bonn wurden wegen der Corona-Krise gesperrt.
epd-bild/Meike Böschemeyer
Mit den Ausgangsbeschränkungen in der Corona-Krise bewegt sich die Politik juristisch auf dünnem Eis. Der Regensburger Staatsrechtler Kingreen vermisst ein Ausstiegsszenario.

Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik sind mit den Ausgangsbeschränkungen wegen der Corona-Pandemie für so viele Menschen etliche Grundrechte außer Kraft oder stark eingeschränkt worden. "Je länger die Ausgangsbeschränkungen dauern, desto weniger sind diese aber verhältnismäßig und rechtlich zu begründen", mahnt der Staatsrechtler Thorsten Kingreen von der Universität Regensburg. Es fehle ein Ausstiegsszenario, unter welchen Voraussetzungen die Beschränkungen wieder zurückgefahren werden sollen.

Bund und Länder hatten sich vor einer Woche zur Eindämmung der Verbreitung des Coronavirus auf zahlreiche Schutzmaßnahmen geeinigt. Bislang selbstverständlich geltende Grundrechte wurden für zunächst zwei Wochen beschränkt. So sind Ansammlungen von mehr als zwei Personen im öffentlichen Raum grundsätzlich verboten. Ausgenommen davon sind Familien und in einem Haushalt lebende Personen.

Gesetz passe nicht richtig

"Einzige gesetzliche Grundlage hierfür ist das Infektionsschutzgesetz", sagt Kingreen. Doch rechtlich passe das Gesetz nicht richtig, um die Beschränkungen zu begründen. So seien danach Aufenthaltsverbote und -gebote zwar erlaubt. Das Gesetz sei aber nur an einzelne, individuell gefährliche Personen und nicht an die ganze Bevölkerung gerichtet. Auch seien die Maßnahmen nur vorübergehend zulässig, "bis die notwendigen Schutzmaßnahmen durchgeführt worden sind". "Ein allgemeines, von konkret-individuellen Gefahren unabhängiges und in seiner Dauer nicht befristetes Fortbewegungsverbot" decke das Gesetz nicht, sagt der Jura-Professor.

Die Frage, welche Grundrechte von den Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie betroffen sind, lasse sich nicht so leicht beantworten. Auf der einen Seite stünden das Recht auf körperliche Unversehrtheit und das Recht auf Leben. Die Maßnahmen sollen die Gesundheit aller Bürger schützen, besonders auch gefährdeter Gruppen wie Alte und Kranke.

Auf der anderen Seite dürften zahlreiche Menschen nun ihren Beruf nicht mehr ausüben, sich nicht mit mehreren Personen treffen, zur Schule gehen oder sich gänzlich frei in Deutschland bewegen. Selbst die Religionsfreiheit leide, wenn Gläubige nicht mehr an Gottesdiensten teilnehmen dürfen.

Irgendwann unverhältnismäßig

"Natürlich sind die Maßnahmen zunächst wichtig, um die Gesundheit zu schützen", sagt Kingreen. Die Rechtsnormen, sprich das Infektionsschutzgesetz, seien als Begründung hierfür aber eher unbrauchbar. Andererseits: "Wir haben auch nicht mit so einer Pandemie rechnen können", gibt der Staatsrechtler zu bedenken.

Es müsse nun nachgedacht werden, wann die Maßnahmen heruntergefahren werden. Das Virus sei ja nicht in sechs Wochen verschwunden. Irgendwann breche die Wirtschaft wegen der Beschränkungen zusammen. Die Einschränkung der Grundrechte werde sonst in wachsendem Ausmaß unverhältnismäßig. Erforderlich seien in Zukunft differenzierte Maßnahmen wie etwa Beschränkungen nur für bestimmte Risikogruppen und nicht für alle Menschen, sagt Kingreen: "Wir müssen auch nicht gleich alle sofort in die Fußball-Stadien gehen."

Erste Gerichte wie das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg haben die Schutzmaßnahmen bislang für verhältnismäßig und erforderlich eingestuft. So wies das Gericht am 23. März einen Eilantrag zurück, mit dem die Beschränkung der Freizügigkeit in der brandenburgischen Coronarvirus-Verordnung gekippt werden sollte.

Freiheitsstrafe

Bei einem Verstoß gegen die Maßnahmen drohen auch Strafen. "Das Infektionsschutzgesetz sieht hier Bußgelder von bis zu 25.000 Euro vor", sagt Jürgen Möthrath, Strafrechtsanwalt und Präsident des Deutschen Strafverteidiger Verbandes. Realistisch seien aber zunächst Bußgelder von einigen hundert Euro.

Doch gehen Menschen trotz Wissens ihrer Infektion oder eines begründeten Verdachts zur Arbeit, könne von einem vorsätzlichen Handeln ausgegangen werden. In diesem Fall sehe das Gesetz Freiheitsstrafen von bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe vor. "Das kann der infizierte Arzt sein, der trotzdem zur Arbeit geht, oder auch die Supermarkt-Kassiererin, die sich an die Kasse setzt und Kunden ansteckt", sagt Möthrath.

Von Frank Leth (epd)


NRW macht wegen Corona-Virus Platz in Gefängnissen


Lichtinstallation "BITTE ABSTAND HALTEN" am Dortmunder U-Turm, Wahrzeichen der Stadt
epd-bild/Friedrich Stark
Nordrhein-Westfalen setzt weitere Maßnahmen gegen die Auswirkungen der Corona-Epidemie um: Vorübergehende Entlassungen aus dem Strafvollzug soll Platz für infizierte Gefangene schaffen. Die Wirtschaft wird mit einem Soforthilfe-Programm gestützt.

Die Corona-Epidemie macht auch vor Gefängnissen nicht halt: Nordrhein-Westfalen will deshalb als Vorsichtsmaßnahme Platz im Strafvollzug schaffen. So sollen Quarantänemöglichkeiten für Häftlinge entstehen. Haftzeiten können unterbrochen oder aufgeschoben werden, wie NRW-Justizminister Peter Biesenbach (CDU) am 25. März in Düsseldorf ankündigte. Mit Blick auf die Wirtschaft hat die Landesregierung zudem das Antragsverfahren für finanzielle Zuschüsse an kleine und mittlere Unternehmen gestartet. Abiturprüfungen sollen in Nordrhein-Westfalen trotz der aktuellen Einschränkungen stattfinden.

Rund 1.000 Zellen von rund 16.000 sollen laut Biesenbach im Strafvollzug frei werden. Aktuell verfüge der Strafvollzug allenfalls über eine Handvoll freier Plätze. Die vorübergehenden Entlassungen betreffen Gefangene mit Ersatzfreiheitsstrafen oder Strafen bis maximal 18 Monaten. Auch sollte ihre Haftzeit regulär spätestens am 31. Juli enden. Noch nicht angetretene Freiheitsstrafen von bis zu zwölf Monaten sollen ausgesetzt werden. Bislang gibt es laut Biesenbach in nordrhein-westfälischen Gefängnissen noch keinen Fall von Strafgefangen mit einer Corona-Erkrankung.

Verbraucherschutzministerin: "Hamstern" bei Einkäufen ist unsolidarisch

Verbraucherschutzministerin Ursula Heinen-Esser (CDU) rief angesichts der Corona-Krise zu einem solidarischen Einkaufs- und Stornierungsverhalten auf. "Hamstern" bei Einkäufen sei unsolidarisch. "Kaufen Sie nur, was Sie aktuell benötigen", appellierte die Ministerin. Bei Stornierungen von Reisen oder Kulturveranstaltungen sollten Verbraucher prüfen, ob sie anstelle Restaurants oder Veranstalter von Kulturangeboten mit Umbuchungen anstelle von Rückforderungen unterstützen könnten.

Am 27. März startete in Nordrhein-Westfalen das Antragsverfahren für finanzielle Zuschüsse für kleine und mittlere Unternehmen, Freiberufler, Gründer und Solo-Selbstständige, die unter der Coronakrise leiden. Die Soforthilfemaßnahmen von Bund und Land sollen dazu beitragen, finanzielle Engpässe zu überwinden und Arbeitsplätze zu erhalten. Am Wochenende meldete Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP), dass in den ersten beiden Tagen schon mehr als 150.000 Anträge eingegangen sind. Vom ihnen könnten bereits 100.000 bewilligt werden, wie Pinkwart am 29. März in Düsseldorf mitteilte. Insgesamt 700 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bezirksregierungen arbeiteten auch am Wochenende, um die hohen Antragszahlen zu bewältigen.

Aus dem Soforthilfeprogramm Corona des Bundes können Betriebe mit bis zu fünf Beschäftigten für die nächsten drei Monate einen Liquiditätszuschuss in Höhe von 9.000 Euro erhalten, Unternehmen mit bis zu zehn Mitarbeitern werden 15.000 Euro gewährt. NRW unterstützt darüber hinaus mit einem eigenen Hilfsprogramm Betriebe mit zehn bis 50 Beschäftigten mit jeweils 25.000 Euro. Bereits in der nächsten Woche sollen nach Worten des Wirtschaftsministers die ersten Bewilligungen vorliegen, in der übernächsten Woche die Auszahlungen erfolgen. Die Soforthilfen sind Teil des Rettungsschirms für die NRW-Wirtschaft in Höhe von 25 Milliarden Euro, den der Landtag am 24. März in Düsseldorf beschlossen hatte.

Abiturprüfungen finden statt

An den Abiturprüfungen hält das Land Nordrhein-Westfalen - wie auch die anderen Bundesländer - fest. Offen ist allerdings noch der zeitliche Ablauf. Die aktuelle Ausnahmesituation sei für alle Schüler eine große Herausforderung, die zugleich mit vielen Belastungen und Ungewissheiten verbunden ist", erklärte Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) am 25. März in Düsseldorf. Dieser Jahrgang könne sich darauf verlassen, dass ihm keine Nachteile entstehen. Das Düsseldorfer Schulministerium wird nach eigenen Angaben einen Rahmenzeitplan erstellen, der koordinierte Prüfungen möglich machen soll. Ministerin Gebauer will diese Planungen am Freitag vorstellen.

Für Verbraucherfragen zum Thema Corona bietet die Verbraucherzentrale NRW ab sofort eine spezielle Hotline mit der Nummer 0211/3399 58 45 an. Auf der Homepage gibt die Verbraucherzentrale außerdem ständig aktualisierte Informationen zu mehr als 60 Fragestellungen rund um Corona.



Keine Lockerung der Kontaktsperren bis Ende April in Sicht


Hinweisschild in einer Apotheke in Bonn
epd-bild/Meike Böschemeyer
Deutschland stehen mindestens noch drei weitere Wochen mit Kontaktbeschränkungen bevor. Die Bundesregierung hält an ihren Plänen fest, Maßnahmen erst nach Ostern zu lockern. Laschet und Lindner fordern, über Ausstiegsperspektiven zu sprechen.

Die Menschen in Deutschland können sich bislang keine Hoffnung auf ein rasches Ende der Ausgangsbeschränkungen infolge der Corona-Pandemie machen. Zwar gibt es führende Politiker, die ein baldiges Ende der Maßnahmen in den Blick nehmen wollen. Doch die Bundesregierung bleibt bislang bei ihrer Linie, das öffentliche Leben frühestens nach Ostern zu reaktivieren.

FDP-Chef Christian Lindner sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe (30. März), der jetzige Zustand dürfe keinen Tag länger dauern, als es medizinisch geboten sei. Die momentane Lage sei für jeden und jede in Deutschland und für das wirtschaftliche Leben eine große Belastung.

Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) forderte ebenfalls, schon jetzt Überlegungen für einen Ausstieg aus den Maßnahmen anzustellen. Es sei jetzt die Zeit, um "Maßstäbe für die Rückkehr ins soziale und öffentliche Leben zu entwickeln, damit auch diese Entscheidung anhand transparenter Kriterien erfolgt", schrieb der CDU-Vize in einem Gastbeitrag für die "Welt am Sonntag".

Merkel bittet um Geduld

Die Bundesregierung lehnt es jedoch weiterhin ab, schon jetzt über ein mögliches Ende der Maßnahmen zu entscheiden. Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) sprach sich gegen eine Lockerung der Einschränkungen aus wirtschaftlichen Gründen aus. Die Restriktionen seien zwar sehr massiv, aber es gehe um Leben und Tod, sagte der Bundesfinanzminister der "Bild am Sonntag". Auch SPD-Chef Norbert Walter-Borjans sagte den Funke-Zeitungen (30. März), zwar sei die schnellstmögliche Rückkehr zur Normalität das Ziel, aber das Schüren falscher Erwartungen könne die nun mühsam erreichten Verhaltensänderungen aufs Spiel setzen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte bereits am 28. März in ihrem wöchentlichen Podcast gesagt, noch gebe es keinen Grund, die Regeln zu lockern. In der Botschaft aus ihrer häuslichen Quarantäne bat sie die Bürgerinnen und Bürger um Geduld. Kanzleramtschef Helge Braun hatte betont, die Maßnahmen würden größtenteils bis zum 20. April gelten.

Streit über Umkehrisolation

Ältere Menschen und Vorerkrankte müsste auch noch länger mit Kontaktbeschränkungen rechnen, ergänzte der Kanzleramtschef im "Tagesspiegel". Die Frage, ob mehr ältere Menschen in der Corona-Krise vorübergehend in Heimen untergebracht werden sollen, hatte am Streit unter Experten ausgelöst. Während der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, dies befürwortete, lehnte der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, den Vorschlag ab.

Reinhardt sagte der "Neuen Osnabrücker Zeitung", in Einrichtungen sei es eigentlich gut möglich, die besonders Gefährdeten vor Covid-19 abzuschotten. Der Vorschlag sei "gefährlich ahnungslos", sagte Patientenschützer Brysch dem Evangelischen Pressedienst (epd). Schließlich steige gerade in vielen Pflegeheimen in Deutschland die Zahl der Opfer des Coronavirus an.

In einem Pflegeheim der niedersächsischen Stadt Wolfsburg waren in den vergangenen Tagen 15 Bewohner infolge des Coronavirus gestorben. Auch in Würzburg ist ein Seniorenstift besonders von der Corona-Pandemie betroffen. In dem Heim starben nach einer Meldung des Würzburger Gesundheitsamts vom 27. März inzwischen zwölf Menschen.



Ethikrat fordert Szenario für Ausstieg aus Alltagsbeschränkungen


Eckhard Nagel (auf dem Dortmunder Kirchentag)
epd-bild/Friedrich Stark
Stimmen, die bei aller gebotenen Vorsicht einen Endpunkt für die Kontakteinschränkungen wegen der Corona-Pandemie fordern, mehren sich. Am Ende laufe es auf die Abwägung gesundheitlicher und wirtschaftlicher Interessen hinaus.

In der Debatte um den Umgang mit der von der Bundesregierung erlassenen Kontaktsperre mehren sich Stimmen, die einen Ausblick auf das Ende der Alltagsbeschränkungen fordern. Auch eine mögliche längere Isolierung von Risikogruppen wird diskutiert. Freiheitsbeschränkungen müssten kontinuierlich mit Blick auf die vielfältigen sozialen und ökonomischen Folgelasten geprüft und möglichst bald schrittweise gelockert werden, forderte der Deutsche Ethikrat in einer am 27. März veröffentlichten Stellungnahme zur sozialen und wirtschaftlichen Krise durch die Corona-Pandemie. Einen Zeithorizont nannte das Gremium nicht.

Mit "Folgeschäden" meint der Ethikrat Beeinträchtigungen derjenigen, die durch die Maßnahmen belastet sind: Patienten, deren medizinische Behandlung derzeit ausgesetzt wird, von häuslicher Gewalt betroffene Frauen oder Personen in Einrichtungen wie etwa Pflegeheimen, denen Besuche vorenthalten werden. Auch auf die Folgen für die Wirtschaft und die Demokratie durch die Grundrechtsbeschränkungen weist das Gremium hin.

Warnung vor Entsolidarisierung

Spannungen zwischen unterschiedlichen Ansprüchen bedürftiger Gruppen müssten fair ausgehandelt werden, sagte der Vorsitzende des Ethikrats, Peter Dabrock. "Ungewissheit über das Ende solcher Maßnahmen führt mit zunehmender Dauer zur Entsolidarisierung und Demotivation", mahnte der Ethikrat.

Der Dortmunder Statistik-Professor Walter Krämer warnte vor einer Zunahme potenziell tödlicher Folgekrankheiten, wenn die Kontaktsperren anhielten. Fettleibigkeit, Diabetes, Suizidalität und auch häusliche Gewalt könnten die Folge sein, sagte er der "Neuen Osnabrücker Zeitung". "Ich gehe davon aus, dass wir in zwei, drei Wochen mit den aktuellen Maßnahmen aufhören und dass wir uns in zwei Monaten darüber totlachen, wie wir uns haben in Panik versetzen lassen", sagte er. Wenn alle Bundesbürger sich jetzt an die Zwei-Personen-Regel hielten, wäre die Corona-Krise schon bald "nur noch ein böser Traum".

Zugleich wurde die Idee diskutiert, einzelne Risikogruppen länger zu isolieren, auch wenn etwa Kindergärten und Schulen nach den Osterferien wieder geöffnet würden. Der SPD-Politiker und ehemalige Vizekanzler, Franz Müntefering, der auch Vorsitzender der Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen ist, hält es für möglich, dass ältere Menschen oder chronisch Kranke zur Eindämmung des Coronavirus länger in Quarantäne gehalten werden als andere Gruppen der Gesellschaft. Gefragt seien "differenzierte Lösungen", sagte er dem "RedaktionsNetzwerk Deutschland".

"Zynisch und falsch"

Die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker (parteilos) sprach sich strikt gegen eine vorzeitige Lockerung der Maßnahmen aus. Vorschläge, sich bei der Isolierung auf die Risikogruppe kranker und älterer Menschen zu beschränken, bezeichnete sie im "Kölner Stadt-Anzeiger" als "zynisch und falsch".

Aus Sicht von Weltärztepräsident Frank Ulrich Montgomery läuft die Debatte darauf hinaus, den Schutz von Menschenleben gegen wirtschaftliche Interessen abzuwägen. "Wir müssen uns zwischen der hohen Priorität der Rettung von Menschenleben und der Rettung unserer Wirtschaft entscheiden", sagte Montgomery der "Passauer Neuen Presse". "Das wird noch zu Diskussionen führen." Er warnte vor einer Umkehrung des Quarantäne-Gedankens. Es könne nicht die Lösung sein, dass alle, die zu einer Risikogruppe gehören, drei Monate zu Hause bleiben müssen.



Luftwaffe bringt Corona-Patienten aus Italien nach NRW


Plastikzelte dichten im Inneren eines Evakuierungsflugzeuges der Luftwaffe Patienten beim Transport von der Umgebung ab.
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Nordrhein-Westfalen hilft Italien und Frankreich bei der Intensivbehandlung von Corona-Patienten. Am Wochenende trafen zehn Schwererkrankten aus Bergamo und Metz ein. Weitere Bundesländer nehmen Infizierte in Kliniken auf. Lob gibt es von der EU.

Die ersten Corona-Patienten aus Italien und Frankreich, die in Kliniken in Nordrhein-Westfalen behandelt werden sollen, sind am Wochenende eingetroffen. Die Luftwaffe brachte am 28. März mit einem Airbus 310 sechs Intensivpatienten aus der italienischen Stadt Bergamo zum Flughafen Köln/Bonn. Kliniken in Köln, Bonn und Bochum nahmen sie anschließend auf, wie die Luftwaffe auf Twitter mitteilte. NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) erklärte: "Danke an unsere Kliniken, an alle Ärzte, Pfleger und Piloten für europäische Solidarität in schwieriger Zeit."

Zwei französische Corona-Patienten wurden am 28. März mit einem Hubschrauber aus der Stadt Metz direkt zum Universitätsklinikum in Essen gebracht. Am Sonntag sollten zwei weitere Patienten aus Frankreich eingeflogen werden. Aus Italien werden insgesamt zehn Infizierte in NRW erwartet. Fünf Krankenhäuser stellen Intensivplätze für die an Covid-19 Erkrankten zur Verfügung: die Unikliniken in Köln, Bonn und Essen sowie das Katholische Klinikum in Bochum und das Herz- und Diabeteszentrum NRW der Universitätsklinik der Ruhr-Universität (Bochum) mit Sitz in Bad Oeynhausen. Weitere Bundesländer bieten Hilfe an.

EU-Gesundheitskommissarin: Dies ist echte Solidarität in Aktion

Die EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides würdigte, dass Deutschland Patienten aus den überlasteten Krankenhäusern in Italien und Frankreich aufnehme. "Dies ist echte Solidarität der EU in Aktion", sagte Kyriakides den Zeitungen der Essener Funke Mediengruppe (30. März). Ohne europaweite Lösungen könne der Notfall im Bereich der öffentlichen Gesundheit auf dem Kontinent nicht wirksam bewältigt werden. "Alle europäischen Länder sind betroffen und alle brauchen gegenseitige Unterstützung. Das dürfen wir nicht vergessen", rief sie zu Zusammenarbeit auf.

Auch Berlin hat am Wochenende sechs Corona-Patienten aus Frankreich aufgenommen. Wie die Berliner Senatskanzlei am 28. März mitteilte, wurden sechs schwer kranke Corona-Patienten per Flugzeug von der Uniklinik Straßburg nach Berlin transportiert, um in der Charité intensivmedizinisch behandelt zu werden. Aus Italien werde zudem ein Transport vorbereitet. Der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) sagte, Solidarität höre nicht an der Stadtgrenze auf. In dieser akuten Krisensituation sei es selbstverständlich, in Einzelfällen zu helfen und Unterstützung anzubieten.

Mehrere andere Bundesländer haben sich in den vergangenen Tagen bereits zur Aufnahme von Erkrankten aus Italien und Frankreich bereiterklärt. Neben Nordrhein-Westfalen und Berlin nehmen auch Hessen, Niedersachsen, Sachsen, Bayern und Brandenburg an Covid-19 erkrankte Patienten aus Italien auf. Das Saarland und Baden-Württemberg haben angeboten, Intensivbetten für Corona-Patienten aus dem benachbarten Frankreich zur Verfügung zu stellen. Dort ist sind vor allem die Regionen Elsass, Lothringen und Champagne-Ardenne stark betroffen.



Medizinethiker dringt auf Handlungsempfehlungen für Ärzte

Der Bayreuther Medizinethiker Eckhard Nagel warnt in der Corona-Pandemie vor seelischen Belastungen für Ärzte, wenn diese entscheiden müssen, welcher Patient eine lebensrettende Behandlung erhält und welcher nicht. Sie bräuchten dafür konkrete Handlungsempfehlungen, sagte Nagel dem Evangelischen Pressedienst (epd). Vergangene Woche hatten mehrere medizinische Fachgesellschaften entsprechende Empfehlungen herausgegeben. Aus Nagels Sicht sind diese aber noch nicht konkret genug, "weil wir einfach noch zu wenig über das Coronavirus und den Verlauf der Krankheit wissen".

Es sei ein gravierendes Problem, dass Ärzte somit zu sehr auf sich allein und ihr Gewissen gestellt seien, sagte Nagel. Er rate Medizinern immer: "Entscheidet nie allein. Holt euch Unterstützung." Diese sollte aus einer Pflegekraft und einem weiteren Arzt bestehen. Zustände wie in Italien oder Spanien, wo nicht mehr alle Patienten so behandelt werden können, wie sie müssten, seien eine "furchtbare Situation, von der ich hoffe, dass wir sie in diesem Ausmaß in Deutschland nicht erleben werden". Es dauere lange, bis Ärzte nach so einer belastenden Situation wieder zur Ruhe kommen. Sie müssten über das Erlebte sprechen, zum Beispiel mit Kollegen oder Notfall- und Krankenhausseelsorgern.

Triage gehöre zum beruflichen Alltag

Sogenannte Triage-Entscheidungen zu treffen, gehört für den Transplantationsmediziner Eckhard Nagel zum beruflichen Alltag: "Es gibt einfach viel zu wenige Organe für zu viele Patienten, die auf Wartelisten stehen. Bekommt jemand kein Organ, dann kann das ein Todesurteil bedeuten." Der Gesetzgeber habe bestimmte Kriterien definiert: Wer braucht am dringendsten ein Organ, und wie gut sind die Erfolgsaussichten nach einer Transplantation? Hautfarbe, Religion oder soziale Zugehörigkeit spielten keine Rolle, sagte Nagel.

Diese Kriterien könnten grundsätzlich auch für schwer an Covid-19 Erkrankte herangezogen werden, allerdings nicht Eins zu Eins, sagte Nagel. Die notwendige Beatmungszeit bei Corona-Patienten dauere vergleichsweise lange, oftmals vier oder fünf Wochen. "Das ist ungewöhnlich für eine rein infektbedingte Lungenentzündung", sagte Nagel. Die Ärzte müssten daher natürlich bedenken, dass ein Patient, etwa aufgrund von Vorerkrankungen, so eine lange Beatmungszeit womöglich gar nicht überlebt.

Eckhard Nagel ist Direktor des Instituts für Medizinmanagement und Gesundheitswissenschaften an der Universität Bayreuth. Bis 2016 war der mehrfach promovierte Mediziner und Transplantationsexperte Mitglied im Deutschen Ethikrat. Im Jahr 2005 war er Präsident des Deutschen Evangelischen Kirchentags, 2010 des Ökumenischen Kirchentages.

epd-Gespräch: Christiane Ried


Elternbeiträge wegen Kita-Schließungen in NRW erlassen

In NRW müssen Eltern wegen der Kita-Schließungen im April keine Beiträge zahlen. Derweil klagt ein Mann aus Aachen gegen das von der Landesregierung erlassene Kontaktverbot. Innenminister Reul erklärte, ihm gehe es darum, die Ausbreitung einzudämmen.

Für den Monat April müssen Familien in Nordrhein-Westfalen keine Beträge für die Kindertagesstätten, die Kindertagespflege und die Offene Ganztagsbetreuung zahlen. Die Landesregierung habe sich mit den kommunalen Spitzenverbänden auf eine Aussetzung der Beiträge wegen der Corona-Krise geeinigt, sagte Familienminister Joachim Stamp (FDP) am 26. März in Düsseldorf. Die durch den Ausfall entstehenden Kosten sollen vom Land und den Kommunen übernommen werden. Die Höhe der Kosten sei noch nicht zu beziffern, da die Berechnungen fehlten.

Die Betreuung der Kinder in den eigenen vier Wänden stelle für alle Familien sicherlich eine große Herausforderung dar, die jedoch im Kampf gegen die Ausbreitung des Coronavirus unverzichtbar sei, betonte Stamp. Es gehe nun darum, weiterhin Disziplin zu wahren und die sozialen Kontakte auf ein absolutes Minimum zu reduzieren.

Oberverwaltungsgericht Münster befasst sich mit Kontaktverbot

Unterdessen klagt ein Mann aus Aachen vor dem Oberverwaltungsgericht Münster gegen die Anordnung des Landes NRW vom 22. März, nach der Treffen von mehr als zwei Menschen in der Öffentlichkeit in der Regel verboten sind. Das Gericht überprüfe die Rechtmäßigkeit der Regelung in einem Normenkontrollverfahren, sagte Sprecherin Gudrun Dahme dem Evangelischen Pressedienst (epd). Der Senat werde in den kommenden Tagen entscheiden. Die Regelungen gelten in NRW bis zum 19. April, dem Ende der Osterferien.

NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) erklärte, dass es ihm im Moment schwer falle, sich mit der Frage zu beschäftigen, "ob das alles nun hundertprozentig astrein ist oder es vielleicht auch ein paar Lücken hat". Es gehe um Leben und Tod und er mache sich vor allem Sorgen, "dass wir, die wir jetzt in der Pflicht sind, alles tun um zu verhindern, dass die Epidemie sich weiter ausbreitet", betonte er.

Mehrheit der Bürger hält sich an Versammlungsverbot

Der überwiegende Teil der Bürger in Nordrhein-Westfalen hält sich laut Reul bisher an das Versammlungsverbot. Es gebe zwar immer noch Leute, die uneinsichtig seien, doch liege die Zustimmung zu den verhängten Maßnahmen laut Umfragen bei 95 Prozent, sagte der CDU-Politiker. Bislang seien gegen 2.000 Personen Bußgelder verhängt worden.

Im Zuge des stark eingeschränkten öffentlichen Geschehens und des Daheimbleibens sehr vieler Menschen hat sich dem Minister zufolge aber auch die Sicherheitslage deutlich entspannt, was Wohnungseinbrüche oder Taschendiebstähle betrifft. Allerdings gebe es neue Betrugsmaschen wie etwa an der Haustür für Geld angebotene Corona-Schnelltests, bei der sich Kriminelle als Mediziner ausgeben. "Das ist der Enkeltrick in weißen Kitteln", sagte Reul.

Aber auch Eltern sollten auf ihre Kinder besonders achten, erklärte der NRW-Innenminister. Denn durch ihren Aufenthalt im Internet bestehe nicht nur die Gefahr von Mobbing, sondern auch von sexuellen Übergriffen durch Erwachsene.

Ein befürchteter möglicher Anstieg häuslicher Gewalt, weil viele Menschen nun für längere Zeit überwiegend zu Hause sind, ist nach Einschätzung Reuls nicht zwangsläufig. "Es gibt keine belastbaren Zahlen", sagt der CDU-Politiker. Die gemeldeten Fälle von häuslicher Gewalt würden im Übrigen zumeist von immer denselben Leuten verübt: "Die Annahme, dass andere nun auch zu Gewalt greifen, ist nicht zwingend."

Angesichts der massiven Beschränkungen des öffentlichen Lebens von Bund und Ländern forderte der Städte- und Gemeindebund eine Ausstiegs-Strategie. "Langfristig können wir nicht das gesamte Land lahmlegen", sagte Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg den Zeitungen der Essener Funke Mediengruppe (26. März). Die Politik müsse jetzt überlegen, wann und unter welchen Voraussetzungen die Einschränkungen gelockert werden könnten.



Telefonseelsorger: Corona-Krise wie ein psychischer Jetlag

Die Bewältigung der verhängten Kontaktsperre wegen der Corona-Pandemie bedeutet nach den Worten des Düsseldorfer Telefonseelsorgers Ulf Steidel für viele Menschen eine psychische Belastung. "Vor allem gesellige und aktive Menschen haben eine sehr große Anpassungsleistung zu erbringen", sagte Steidel dem Evangelischen Pressedienst (epd). Die Anpassung an die soziale Isolation, oft verbunden mit Einsamkeit und Ängsten, bezeichnete der Leiter der Telefonseelsorge Düsseldorf als "psychischen Jetlag".

Menschen, die zuvor schon isoliert lebten, hätten dagegen bereits die notwendigen Ressourcen und Kompetenzen, sagte Steidel. "Ohne das schönreden zu wollen: Ein Teil unserer Klientel kennt sich mit so einer Situation bereits aus, für die ist das jetzt gar nicht so besorgniserregend."

Pandemie ist in jedem zweiten Fall Gesprächsthema

Das Gesprächsaufkommen der Telefonseelsorge nahm durch die Corona-Krise zu, allerdings unterschiedlich stark. Die etwa 300 Telefonseelsorger Region Rhein-Wupper führten in jüngster Zeit ein Viertel mehr Gespräche per Telefon, Mail oder Chat, in Düsseldorf sind es derzeit knapp 50 statt der üblichen 40 Gespräche täglich. Auf Bundesebene wurde die Besetzung in den 104 Seelsorgeeinrichtungen verstärkt, sodass jetzt 26.500 Anrufe wöchentlich geführt werden können - 3.000 Gespräche oder 13 Prozent mehr als zuvor.

Ob tatsächlich mehr Anrufe als üblich eingehen, kann nach Angaben einer Sprecherin derzeit schwer eingeschätzt werden, in jedem Fall gebe es aber einen leichten Zuwachs an Erstanrufern. In knapp der Hälfte aller Gespräche geht es um Corona, dabei werden vor allem Einsamkeit und Ängste thematisiert: Menschen unter 40 und über 80 beschäftigt insbesondere die Einsamkeit, Menschen zwischen 50 und 70 haben vor allem Ängste. 71 Prozent der Anrufer, die sich wegen Corona melden, sind Frauen.

"Alles, worüber wir sonst miteinander reden, finden wir eins zu eins auch in der Telefonseelsorge wieder," erläuterte Steidel. Der 55-jährige evangelische Pfarrer und Supervisor beobachtet einen sehr unterschiedlichen Umgang der Generationen mit der gegenwärtigen Situation. Die Nachkriegsgeneration und vor allem die "Vollkasko-Generation" der Jüngeren seien gewohnt, immer alles verfügbar und sofort zu haben. "Für die entsteht plötzlich Stress beim Blick in leere Regale, das ist eine enorme Umstellungsleistung: Wie gehe ich damit um?"

Ostdeutschen beweisen "Einlagerungskompetenzen"

Dagegen könnte die Älteren sowie Menschen aus Ostdeutschland mit Mangelsituationen besser umgehen, sie hätten "Einlagerungskompetenzen" entwickelt. Hamsterkäufe seien so gesehen nicht nur negativ zu bewerten.

Nach Beobachtung des Düsseldorfer Telefonseelsorgers löst die Krise zwei unterschiedliche Phänomene aus: Während bei den einen Sorgen, Ängste und psychische Probleme "getriggert" würden, zeigten viele andere deutliche Resilienzfaktoren wie Nachbarschaftshilfe und Gemeinsinn. "Corona hilft uns, den Horizont zu erweitern und aus der Individualisierung heraus in den sozialen Raum zu gehen," erklärte Steidel.

Da die Telefonseelsorge und andere Beratungsangebote den Gesprächsbedarf längst nicht decken könnten, hofft der Theologe darauf, dass der gewachsene Gemeinsinn nachhaltig wirkt: "Wir brauchen auch in Zukunft viele seelsorgerliche Orte, an denen wir uns gegenseitig zuhören und fragen: Wie geht's denn den Menschen rechts und links neben mir?" Diese Fähigkeiten sollten weiter kultiviert werden.

epd-Gespräch: Bettina von Clausewitz


Soziologe: Toilettenpapier-Hamsterkäufe sind pathologisch


Leergeräumte Toilettenpapierregale
epd-bild/Christian Ditsch

Der Berliner Konsumsoziologe Kai-Uwe Hellmann sieht in den Toilettenpapier-Hamsterkäufen in der Corona-Krise ein "grenzwertiges, beinahe pathologisches Verhalten". "Die Leute, die acht Packungen Klopapier kaufen, reagieren völlig überdreht. Die Wahrnehmung dieser Menschen hat mit der Realität nicht viel zu tun", sagte Hellmann in Berlin dem Evangelischen Pressedienst (epd). Die Angst vor Lebensmittel- oder Hygieneartikel-Knappheit sei nicht gedeckt durch den aktuellen Stand der Lebensmittelversorgung, die zurzeit offensichtlich nicht infrage steht.

"Wenn ein Teil der Bevölkerung wirklich denkt, dass er für Monate von Einkaufsmöglichkeiten völlig abgeschnitten sei, ist das aktuell noch unbegreiflich. Es ist nirgends erkennbar, dass wir auf dem Land oder in der Stadt eine echte Knappheit erleben werden", sagte der Soziologe. Im Freizeitverhalten müssten sich die Menschen derzeit zwar einschränken, das korreliere aber nicht mit einer Warenknappheit.

"Verquere Weltanschauung"

Die Krisenkommunikation der Verantwortlichen wie auch die Medienberichte in der aktuellen Situation seien "weitestgehend vorbildlich", erklärte der Wissenschaftler. An gesicherte Informationen über das Virus und die Gegenmaßnahmen zu kommen, sei nicht so schwierig. "Man kann sich jederzeit ein ungefähres Bild von der Situation machen", sagte Hellmann.

Das Bedürfnis, Toilettenpapier zu hamstern, sei möglicherweise auf eine "etwas verquere Weltanschauung" zurückzuführen. Es gebe immer mehr Leute, die ihre eigene, sehr subjektive, auf sich reduzierte Wahrnehmung pflegen würden. Die erreiche man auch nicht mehr mit gesicherten Informationen und Nachrichten, da sie eine ganz eigene Bewertung der Vorgänge hätten. "Diese Menschen haben eine Vorstellung von der Zukunft, die ohne Fakten auskommt." Die gleiche Beobachtung habe man in den vergangenen Jahren rund um die Diskussion um Fake News machen können, sagte der Wissenschaftler.

epd-Gespräch: Elisa Makowski


Schutzmasken statt Dirndl


In der Kostümwerkstatt des Theaters Bonn werden nun Gesichtsmasken geschneidert.
epd-bild/Meike Böschemeyer
In ganz Deutschland setzen sich immer mehr Menschen an die Nähmaschine, um den Mangel an Gesichtsmasken in Krankenhäusern und Gesundheitsbehörden zu lindern. Experten warnen jedoch, dass die Masken Marke Eigenbau nur begrenzt schützen.

Alle Bühnen-Produktionen sind abgesagt. Dennoch rattern in der Kostümwerkstatt des Theaters Bonn die Nähmaschinen. Schneiderin Esmilse Vera arbeitete noch vor kurzem an einem langen, bunten Blumenkleid für eine Tänzerin. Seit einer Woche aber haben sie und ihre rund 20 Kolleginnen und Kollegen auf Gesichtsmasken aus weißer, kochfester Baumwolle umgestellt.

"Sie sind mit vollem Elan dabei", sagt Herrengewandmeister Gerhard Kreuzer. Rund 200 Masken pro Tag schafft das Team, das einen eigenen Prototyp entwickelt hat. Die Lieferungen gehen an das städtische Gesundheitsamt, das etwa schon Beschäftigte des Fuhrparks damit ausstattete.

Weil die begehrten Gesichtsmasken derzeit weltweit Mangelware sind, greifen Krankenhäuser, Feuerwehren oder Gesundheitsämter zunehmend auf selbstgemachte Mundschutze zurück. Immer mehr ehrenamtliche Helfer im ganzen Land setzen sich an die Nähmaschine. Auch Diakonie und Caritas schneidern längst selbst.

2.000 Masken für die Feuerwehr

Manuela Grasbergers Geschäft für Trachtenkleider in Aßling im bayerischen Landkreis Ebersberg ist wegen der Corona-Krise geschlossen. Statt Dirndl fertigt die Schneiderin auf ihrem Schnellnäher nun seit ein paar Tagen Gesichtsmasken aus grünem oder gelbem Baumwollstoff. "Die Idee kam durch einen Facebook-Aufruf des Dritten Ordens in München", sagt Grasberger. Eine Mitarbeiterin des Kinderklinikums hatte über die Sozialen Medien einen Hilferuf geschickt, weil dem Krankenhaus die Schutzmasken ausgehen. Die gespendeten Masken sollen nach Angaben des Klinikums in patientenfernen Bereichen wie etwa bei Reinigungskräften oder im Logistikbereich eingesetzt werden.

Bea Saxe vom Stoff- und Gardinenhaus Essen hat schon vor rund einem Monat mit der Produktion von Gesichtsmasken begonnen. Zusammen mit rund 50 ehrenamtlichen Helferinnen nähte sie rund 2.000 Masken für die Essener Feuerwehr. Statt der Nähkurse, die derzeit nicht stattfinden können, holten sich die Kundinnen den von der Feuerwehr bereitgestellten Stoff ab und produzierten zu Hause im Akkord blaue Mundschutze mit schwarzen Bändern.

Warnung vor falschem Sicherheitsgefühl

Experten warnen allerdings davor, dass die selbstgenähten Masken auch ein falsches Sicherheitsgefühl erzeugen könnten. "Selbsthergestellte Masken ersetzen auf keinen Fall die Basishygiene wie regelmäßiges, gründliches Händewaschen, physische Distanz oder Kontaktminimierung", erklärt Leon Ratermann von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin in Dortmund. Virologen weisen darauf hin, dass einfache Mundschutze den Träger selbst kaum vor Ansteckung mit dem Corona-Virus schützen. Allerdings können sie ein Ansteckungsschutz für andere sein.

Laut Christian Kühn, selbstständiger Sachverständiger für das Gesundheitswesen, unterliegen die im Krankenhaus verwendeten Gesichtsmasken strengen Normen. "Selbstgenähte Baumwoll-Masken erreichen nicht die Filterwirkung eines Medizinprodukts", sagt der Experte aus dem schleswig-holsteinischen Bovenau. So bestehen die nach Norm hergestellten Masken aus Materialien, die das Durchfeuchten des Stoffs hemmen. Baumwoll-Masken aber würden schnell feucht und damit durchlässiger.

Große Nachfrage

Ludger Rohe, Leiter der Caritas Werkstätten im niedersächsischen Altenoythe, klärte deshalb vorab mit der Gewerbeaufsicht, wie selbst genähte Mundschutze einzustufen seien. Ende Februar erhielt die Werkstatt für Menschen mit Behinderung vom St.-Marien-Stift in Friesoythe einen Großauftrag für die Herstellung von Gesichtsmasken. "Wir machen kein Medizinprodukt", stellt Rohe klar. Deshalb heißen die Produkte der Caritas-Werkstatt auch nicht Maske, sondern "Mund-Nasen-Tuch". Dennoch könne sich die Werkstatt kaum retten vor Aufträgen aus dem gesamten Bundesgebiet: "Wir können die Nachfrage bei weitem nicht decken." Und das, obwohl die Mitarbeiter in wenigen Wochen bereits mehr als 10.000 Schutztücher produziert haben.

Sicherheitsingenieur Kühn räumt ein, dass die selbst genähten Gesichtsmasken besser seien als gar kein Schutz. Die eigentliche Frage sei allerdings, warum manche Krankenhäuser offenbar schon auf selbst genähten Mundschutz angewiesen seien: "In dieser Lage würden wir uns nicht befinden, wenn alle Pandemiepläne umgesetzt und entsprechende Lagerbestände aufgebaut worden wären."

Claudia Rometsch (epd)


Evangelische Frauenhilfe ruft zu Aktion Mundschutz auf

Die Evangelische Frauenhilfe Westfalen ruft zum Nähen von Mundschutzmasken auf. "Wenn Sie Zeit, eine Nähmaschine, ein Bügeleisen, heiß waschbare Stoffreste und Blumendraht haben, kann es losgehen", heißt es auf der Internetseite der Frauenhilfe. Die so produzierten Masken könnten entweder vor Ort verteilt werden oder über die Frauenhilfe weitervermittelt werden. Auf der Internetseite der Frauenhilfe sind unter anderem Links zu Nähanleitungen etwa der Stadt Essen zu finden.

Inzwischen würden die Mundschutzmasken knapp und es gebe die Bitten, Pflegedienste, Wohngruppen, andere Einrichtungen und die Nachbarschaft mit diesen waschbaren Mund-Nasen-Schutz zu versorgen, hieß es. Das Tragen könne die Übertragungswege einer Corona-Infektion reduzieren.



Portal #pflegereserve will Pflegekräfte und Kliniken zusammenbringen

Das Internetportal #pflegereserve will zur Bewältigung der Corona-Krise zusätzliches Pflegepersonal gewinnen. Auf der Plattform können sich ausgebildete Fachkräfte, die aktuell nicht im Pflegeberuf arbeiten, registrieren lassen, heißt es auf dem Internetportal. Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen könnten dort ihren Bedarf anmelden und auf die Pflegekräfte zugehen. Das Projekt sei eine Initiative der Zivilgesellschaft, hieß es. Eingerichtet wurde das Portal von der Gütersloher Bertelsmann Stiftung. Unterstützt wird die Initiative unter anderem von der Bundespflegekammer und von dem Deutschen Pflegerat.

Als "Pflege-Reservist" können sich Fachkräfte mit einem Staatsexamen bis zum 65. Lebensjahr registrieren. Diese würden dann abhängig von ihren Erfahrungen und ihren selbst gewählten Schwerpunkten eingesetzt werden. Die Reservisten sollen den Angaben zufolge voraussichtlich in der Mehrzahl die Lücken füllen, die durch Umschichtungen oder Erkrankungen beim Stammpersonal entstehen. Für die Honorierung würden derzeit Empfehlungen für eine möglichst unbürokratische Lösung erarbeitet.

Durch die Covid-19-Pandemie könne es kurzfristig zu deutlichen Engpässen in der Gesundheitsversorgung und Pflege in Deutschland kommen, heißt es auf der Internetseite. Fehlen werde voraussichtlich vor allem Personal. Deshalb sollen auf dem Portal "Pflege-Reservisten" mit Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen zusammengebracht werden. Die Betreiber gehen von einem Potenzial von bis zu 100.000 Pflegekräften aus, die gewonnen werden könnten.



Saarland kategorisiert Krankenhäuser für Corona-Pandemie

Das Universitätsklinikum des Saarlandes in Homburg, die Saarbrücker Winterberg-Kliniken und die SHG-Klinik in Völklingen sollen sogenannte Corona-Zentren zur Behandlung der schwersten Fälle werden. "In Anbetracht der steigenden Fallzahlen ist es wichtig, frühzeitig zu agieren und unsere gute Vorarbeit weiter zu präzisieren", sagte Gesundheitsministerin Monika Bachmann (CDU) am 26. März in Saarbrücken. Als Corona-Kliniken, die sich um infizierte Menschen und solche mit mittelschwerem Krankheitsverlauf kümmern, sollen demnach fünf bis sechs Krankenhäuser im Saarland definiert werden.



Forscher starten Corona-Archiv

Wissenschaftler aus Bochum, Gießen und Hamburg haben das Projekt "coronarchiv" gestartet, das die Pandemie aus Sicht der Bürger dokumentieren soll. Zurzeit seien in Presse und Social Media Bilder, O-Töne und Videos zur Krise omnipräsent, teilte die Universität Gießen am 26. März mit.

"So schnell diese Zeitzeugnisse kommen, so schnell können sie auch wieder verschwinden", sagte der Gießener Wissenschaftler Benjamin Roers. Deshalb suchen die Forscher Einsendungen aus der Bevölkerung und freiwillige Corona-Archivare, um die diversen Stimmen aus der Krisenzeit langfristig zu dokumentieren.

Für das Corona-Archiv werden Texte, Fotos, Sounds und Videos mit Metadaten wie Entstehungsdatum und Ort versehen. Das Onlineportal ist allen zugänglich. Die freiwilligen Corona-Archivare sollen aktiv in ihrem Umfeld nach Objekten, also etwa Schildern und Zetteln, suchen und sie abfotografieren. Außerdem bearbeiten die Freiwilligen andere Einsendungen redaktionell.

Das Corona-Archiv soll eine spätere Rückschau auf die Ereignisse des Jahres 2020 ermöglichen und für die künftige Forschung zur Verfügung stehen.



Verbraucherinitiative: Urnenbeisetzungen verschieben

Die Verbraucherinitiative für Bestattungskultur Aeternitas appelliert an Friedhofsverwaltungen, sich großzügig beim Verschieben von Urnenbeisetzungen zu zeigen. So lange eine Überbelastung von Bestattern und Friedhofsverwaltungen nicht absehbar sei, sollten die individuellen Wünsche nach einer längeren Frist berücksichtigt werden, teilte der Verein am 23. März mit.

Je nach Bundesland ist laut Aeternitas-Sprecher Alexander Helbach zumindest für die Beisetzung einer Urne im Anschluss an eine Einäscherung ein Aufschub für einen längeren Zeitraum möglich. "Manche Betroffene wünschen sich eine längere Verschiebung der Beisetzung, um später im gewünschten Rahmen und dann hoffentlich ohne strenge hygienische Restriktionen Abschied zu nehmen", sagte Helbach dem Evangelischen Pressedienst (epd). Darauf solle man Rücksicht nehmen.

Die hierzu in den Bestattungsgesetzen der Bundesländer vorgeschriebenen Fristen umfassten bis zu sechs Monate nach der Einäscherung, etwa in Sachsen und Thüringen. Andere Bundesländer sähen aber nur einige Wochen vor. In Hessen sind es den Angaben zufolge neun, in Nordrhein-Westfalen sechs Wochen. Manchmal betrage die Frist auch nur einen Monat. Einige Bundesländer hätten gar keine expliziten Regelungen getroffen oder verlangten, eine Urne in der gleichen Frist beizusetzen wie einen Leichnam im Sarg, also binnen weniger Tage. In den meisten Bundesländern hätten die Behörden die Möglichkeit, die Beisetzungsfrist mit einer Ausnahmegenehmigung zu verlängern.




Gesellschaft

Land NRW: Landwirten fehlen 45.000 Erntehelfer


Die Vorbereitungen für die Spargelsaison 2020 haben begonnen, doch den Bauern fehlen Erntehelfer.
epd-bild / Gustavo Alabiso
Das Land NRW will die heimische Landwirtschaft in der Corona-Krise unterstützen und setzt sich dafür ein, dass Asylbewerber kurzfristig als Saisonarbeiter zum Einsatz kommen. Der DGB fürchtet um verbindliche Arbeitsstandards und Mindestlohn.

Nach dem Einreiseverbot für Saisonarbeiter vor allem aus Osteuropa wirbt das Land Nordrhein-Westfalen um heimische Ernthelfer. Aufgrund der Corona-Reisebeschränkungen fehlten in den kommenden Wochen in der Landwirtschaft Arbeitskräfte, heißt in einem am 29. März in Düsseldorf veröffentlichten Aufruf von NRW-Landwirtschaftsministerin Ursula Heinen-Esser gemeinsam mit Arbeitsminister Karl-Josef Laumann (beide CDU). "Wir haben eine Lücke von etwa 45.000 dringend benötigten Erntehelferinnen und Erntehelfern." Arbeitnehmer, die sich derzeit in Kurzarbeit befinden, oder andere Interessierte könnten sich in Obst- und Gemüsebetrieben Geld dazu verdienen und gleichzeitig zur Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit beitragen.

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hatte in der vergangenen Woche angeordnet, dass Erntehelfer und Saisonarbeiter wegen der Corona-Krise nicht mehr nach Deutschland einreisen dürfen. Der Bund hat ein Maßnahmepaket geschnürt, um bäuerlichen Betrieben zu helfen, Ersatzkräfte zu finden. So dürfen etwa Bezieher von BAföG oder Kurzarbeitergeld auch in der Landwirtschaft ohne Anrechnung Geld dazu verdienen. Ausländische Saisonarbeitskräfte, die bereits in Deutschland sind, können in dieser Saison 115 statt wie bisher 70 Tage sozialversicherungsfrei beschäftigt werden. Auch wurde die bundesweite Online-Plattform "www.daslandhilft.de" geschaltet, wo sich Helfer anmelden können.

Online-Plattform "www.daslandhilft.de"

Bundeslandwirtschaftsministerin Klöckner dringt zudem darauf, arbeitslose Asylbewerber insbesondere aus Osteuropa in der Landwirtschaft einzusetzen. Asylbewerber, die bisher ein Beschäftigungsverbot hätten, solle kurzfristig eine Arbeitsaufnahme in der Landwirtschaft ermöglicht werden, sagte sie den Zeitungen der Essener Funke Mediengruppe (23. März). Viele von ihnen kämen aus sicheren Herkunftsländern wie Albanien, Bosnien und Herzegowina, Serbien oder Montenegro. "Sie wollen mit anpacken, sich einbringen", ist sie überzeugt.

NRW-Flüchtlingsminister Joachim Stamp (FDP) unterstützt Klöckners Vorstoß. "Wir brauchen jede helfende Hand", betonte der FDP-Politiker in dem am 29. März veröffentlichten Minister-Appell. Rechtliche Einschränkungen sollten in diesen Fällen verringert werden und der kurzfristige Arbeitseinsatz in der Landwirtschaft unbürokratisch möglich sein.

Künast: Geflüchtete dürfen nicht billige Lückenbüßer sein

Die Grünen-Politikerin Renate forderte für die Asylbewerber, die sich auf den Höfen meldeten, verbindliche Zusagen über die Corona-Pandemie hinaus. "Geflüchtete dürfen nicht nur billige Lückenbüßer sein", sagte sie. "Wer jetzt für das Gemeinwohl einspringt und hart arbeitet, darf nicht befürchten, anschließend abgeschoben zu werden." Zudem müssen die Arbeitsbedingungen in der Landwirtschaft für alle verbessert werden.

Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund äußerte sich besorgt über mangelhafte Arbeitsschutzstandards. Auf der Plattform www.daslandhilft.de des Bundes werde der Eindruck erweckt, dass Arbeitsschutz und der gesetzliche Mindestlohn in der Corona-Krise nicht gelten, erklärte die NRW-Landesvorsitzende des DGB, Anja Weber, in einem Brief an Landwirtschaftsministerin Heinen-Esser, der dem Evangelischen Pressedienst (epd) vorliegt. So sei dort zu lesen, es gebe "keinen pauschalen Stundenlohn", der Verdienst sei "individuell zu vereinbaren". Gesetzliche Vorgaben seien auch in Krisen nicht obsolet, betonte Weber. "Ganz gleich ob es um osteuropäische Saisonarbeiter oder - wie jetzt in der Diskussion - um Geflüchtete oder andere angeworbene Kräfte geht."



Hessischer Finanzminister ist tot


Volker Bouffier
epd-bild/Tim Wegner
Der hessische Finanzminister Thomas Schäfer (CDU) hat vermutlich aus Sorge über die Corona-Pandemie Suizid begangen. Politische Wegbegleiter und Kirchenverteter zeigen sich tief betroffen.

Der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) sagte am 29. März in Wiesbaden, Schäfers Tod stehe offenbar in Zusammenhang mit der Krise um das Coronavirus und die finanziellen Folgen. "Wir müssen heute davon ausgehen, dass er sich große Sorgen machte", sagte der sichtlich erschütterte Regierungschef. Diese Sorgen hätten Schäfer erdrückt. "Er wusste offenbar keinen Ausweg, er war verzweifelt und ging von uns", fügte Bouffier hinzu.

Bouffier: Schäfer von Sorgen um Corona-Folgen "erdrückt"

Der 54 Jahre alte Schäfer war am 28. März an einer Bahnstrecke tot aufgefunden worden. Polizei und Staatsanwaltschaft erklärten, alles deute darauf hin, dass er sich das Leben genommen habe. Der Minister soll nach Informationen der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" auch einen Abschiedsbrief hinterlassen haben. Der CDU-Politiker war seit zehn Jahren hessischer Finanzminister und galt als wahrscheinlicher Nachfolger Bouffiers, wenn dieser sich als Ministerpräsident zurückziehen sollte. Erst am 25. März hatte Schäfer im Hessischen Landtag einen milliardenschweren Nachtragshaushalt eingebracht, der vor allem Hilfen für Wirtschaft und Selbstständige zur Bewältigung der Folgen der Viruskrise vorsah.

Bouffier sagte, der Minister habe buchstäblich bis zuletzt an dieser großen Herausforderung gearbeitet. Er habe sich große Sorgen gemacht, vor allem, ob es gelingen könnte, die riesigen Erwartungen der Bevölkerung insbesondere zu der finanziellen Hilfe zu erfüllen. Sein Tod "erschüttert uns, erschüttert mich", fügte der Ministerpräsident hinzu. Schäfer habe sich um das Land Hessen höchste Verdienste erworben. Der Minister lebte im mittelhessischen Biedenkopf. Er hinterlässt seine Ehefrau und zwei Kinder.

Fürbitte im Gottesdienst

Der hessen-nassauische Kirchenpräsident Volker Jung zeigte sich tief betroffen über den Tod Schäfers. "Die Nachricht vom Tod Thomas Schäfers hat mich geschockt und sehr erschüttert", sagte Jung in Darmstadt. Schäfer sei ein kompetenter und sachorientierter Politiker gewesen. "Ich habe ihn und die Gespräche mit ihm immer sehr geschätzt. Er wird sehr fehlen", sagte Jung. Im ZDF-Fernsehgottesdienst am 29. März aus Ingelheim, den der Kirchenpräsident hielt, wurde eine Fürbitte für den verstorbenen Minister und seine Familie aufgenommen.

Auch der neue Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, zeigte sich traurig und fassungslos über den Tod des hessischen Finanzministers. "Der Tod von Thomas Schäfer kommt überraschend und unvorhersehbar. Er trifft uns alle", sagte der Limburger Bischof. Für ihn sei Schäfer immer ein besonnener, kompetenter, humorvoller und verlässlicher Gesprächspartner gewesen.

Die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer twitterte: "Die Nachricht vom plötzlichen Tod von Thomas Schäfer hat mich, hat uns alle in der CDU schockiert. Sie trifft uns und macht uns traurig und fassungslos. Jetzt sind alle unsere Gedanken und Gebete bei seiner Familie."

Die Vorsitzende der Finanzministerkonferenz und rheinland-pfälzische Finanzministerin Doris Ahnen (SPD) würdigte Schäfer als leidenschaftlichen und fachkundigen Politiker. Er sei für seine Überzeugungen eingestanden und über die Parteigrenzen hinaus sehr geschätzt worden, sagte Ahnen in Mainz.



NRW bereitet weitreichendes Epidemie-Gesetz vor

Medizinisches Material, Gesundheits-Dienstleistungen und Schulabschlüsse in Corona-Krisenzeiten: Ein Gesetzentwurf in NRW soll weitreichende Eingriffe möglich machen.

Nordrhein-Westfalen bereitet ein Epidemie-Gesetz vor. Der vom Kabinett beschlossene Gesetzentwurf, der dem Evangelischen Pressedienst (epd) seit 30. März vorliegt, sieht eine Reihe weitreichender Schritte vor, die bis Jahresende Gültigkeit haben sollen. Die zuständigen Behörden sollen etwa "medizinisches, pflegerisches oder sanitäres Material einschließlich der dazu gehörigen Rohstoffe sowie Geräte für die medizinische und pflegerische Versorgung" beschlagnahmen können, wenn es "zur Aufrechterhaltung der notwendigen Gesundheitsversorgung der Bevölkerung" dringend notwendig ist. Zudem soll eine Meldepflicht für solche Güter angeordnet werden. Das Gesetz soll zum 31. Dezember 2020 wieder außer Kraft treten. Zuerst hatten die "Rheinische Post" und der WDR darüber berichtet.

Dem Entwurf zufolge sollen Behörden zudem von "Personen, die zur Ausübung der Heilkunde befugt sind oder über eine Ausbildung in der Pflege, im Rettungsdienst oder in einem anderen Gesundheitsberuf verfügen, die Erbringung von Dienst-, Sach- und Werkleistungen" verlangen können, soweit das zur Bewältigung der epidemischen Lage notwendig ist. Allerdings müsse eine solche Verpflichtung mit dem jeweiligen Arbeitgeber besprochen werden. Für solche Einsätze sollen Betroffene einen Erstattungsanspruch haben, der sich an den Tarifen für eine vergleichbare Tätigkeit orientiert.

Not-Regelungen für Gesundheits- und Bildungssektor

Zudem soll das Bildungsministerium per Verordnung eine Art Notversetzung von Schülern bestimmen dürfen. Diese sehe vor, "dass Schülerinnen und Schüler auch ohne Versetzung in die nächsthöhere Klasse oder Jahrgangsstufe übergehen können", heißt es in dem Entwurf. Das Ministerium soll zudem festlegen können, dass auf das Abschlussverfahren an der Hauptschule, der Realschule, der Sekundarschule und der Gesamtschule verzichtet werden kann. Zudem soll auf die landesweiten Klausuren verzichtet und auf Prüfungen an den Schulen vertraut werden können.

Auch die Abschlüsse in den Berufs- und Weiterbildungskollegs sollen laut Entwurf allein aufgrund der Leistungen vergeben werden können, die die Schülerinnen und Schüler im Verlauf des Bildungsgangs erbracht haben. Um die Lehrerausbildung zu sichern, sollen 2020 laut Entwurf "einmalig Abweichungen" bei den Bestimmungen zu Praxiselementen, Staatsprüfungen und in den Einstellungsverfahren für das Referendariat möglich gemacht werden.

Die Einbringung eines Gesetzentwurfs zur konsequenten und solidarischen Bewältigung der Covid-19-Pandemie in Nordrhein-Westfalen diene der Anpassung des Landesrechts an die im Bundesrat beschlossenen und verkündeten Änderungen im Bundesrecht, teilte die nordrhein-westfälische Landesregierung am Samstag auf ihrer Internetseite mit. "So soll zum einen weiter gewährleistet werden, die Ausbreitung des Coronavirus weiter einzudämmen. Zum anderen sollen Erkenntnisse aus der derzeitigen Situation genutzt und für potenzielle weitere Ausnahmesituationen in der Zukunft festgeschrieben werden."



So hilft der Staat Bürgern und Kleinstbetrieben

Der Stopp des öffentlichen Lebens wegen der Corona-Pandemie bringt nicht nur Unternehmen, sondern auch einzelne Bürger, Kultur- und Sozialeinrichtungen in Existenznöte. Betriebe bangen darum, wegen fehlender Einnahmen Personal nicht mehr zahlen zu können. Einzelne haben Sorge, die Miete nicht aufzubringen. Das Paket der Bundesregierung sieht auch für sie Hilfen vor. Die Maßnahmen im Überblick:

KURZARBEIT: Wegen der Corona-Krise wurden die Hürden dafür gesenkt. Ein Betrieb kann Kurzarbeit beantragen, wenn er für zehn Prozent der Beschäftigen keine Arbeit mehr hat. Früher musste ein Drittel betroffen sein. Das Arbeitsministerium geht davon aus, dass zusätzlich 1,15 Millionen Menschen Kurzarbeit beantragen werden und rechnet mit Mehrausgaben von rund zehn Milliarden Euro. Beschäftigte bekommen grundsätzlich 60 Prozent des vorherigen Nettogehalts für die ausgefallene Arbeitszeit, haben sie Kinder, sind es 67 Prozent. Arbeitgebern werden die Sozialbeiträge für Kurzarbeiter erstattet. In einigen Branchen werden die Kurzarbeitsbezüge von den Arbeitgebern aufgestockt.

MIETERSCHUTZ: Bürger, denen das Einkommen wegbricht und die deshalb ihre Miete nicht bezahlen können, werden geschützt. Wohnungen oder auch gepachtete Räume dürfen nicht wegen Mietschulden aus dem Zeitraum zwischen 1. April und 30. Juni dieses Jahres gekündigt werden. Eine Sonderregelung stellt zudem sicher, dass Strom, Wasser oder Telefon nicht abgestellt werden. Nach bisheriger Rechtslage konnten Mietverhältnisse bereits fristlos gekündigt werden, wenn der Mieter zwei Monate nicht zahlt.

FAMILIEN: Familien, denen die Einnahmen wegbrechen, soll auf verschiedenen Wegen geholfen werden. So wird die Zahlung des maximalen Kinderzuschlags von 185 Euro monatlich bei Betroffenen um ein halbes Jahr verlängert. Bei der Prüfung zum Zuschlag ist künftig nur der letzte Monat entscheidend, nicht das vergangene halbe Jahr. Damit können auch Familien, die normalerweise besser verdienen, aber im März Verdienstausfälle hatten, bereits im April die Gelder in Anspruch nehmen. Ferner kommt eine Entschädigungsregelung Eltern zugute, die nicht arbeiten können, weil sie wegen der Schließung von Schulen und Kindertagesstätten keinerlei Betreuung mehr für die Kinder haben. Sie werden über das Infektionsschutzgesetz entschädigt und erhalten bis zu sechs Wochen 67 Prozent ihres Verdienstausfalls, maximal 2.016 Euro.

KLEINSTUNTERNEHMEN UND SOLO-SELBSTSTÄNDIGE: 50 Milliarden Euro stehen für bis zu drei Millionen Personen oder Firmen dieser Gruppe in einem Zeitraum von maximal fünf Monaten bereit. Dazu gehören Einmalzahlungen für drei Monate: bis 9.000 Euro bei bis zu fünf Beschäftigten und bis 15.000 Euro bei bis zu zehn Beschäftigten. Ziel ist, dass laufende Mieten, Kredite oder Leasingraten weiter bezahlt werden können. Dieser Topf soll beispielsweise Künstlern und Kulturschaffenden durch die Krise helfen.

GRUNDSICHERUNG: Auch Lockerungen bei der Grundsicherung sollen allen, die wegen der Krise in Finanznöte geraten, etwas Luft verschaffen. Zeitlich befristet wird für sechs Monate die Vermögensprüfung ausgesetzt. Das bedeutet, dass das vorhandene Vermögen nicht angetastet werden muss, solange es nicht erheblich ist. Die Selbstständigkeit kann dabei weiterlaufen und es ist nicht nötig, sich arbeitslos zu melden. Alleinstehende erhalten monatlich aktuell 432 Euro, hinzu kommen Gelder für Miete und Heizkosten. Mittel für das Arbeitslosengeld II und die Grundsicherung werden um rund 7,7 Milliarden Euro aufgestockt.



Zentralrat: Digitale Kommunikation unter Gläubigen wächst


Aiman Mazyek
epd-bild/Philipp Reiss

Der Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD) beobachtet in Zeiten der Corona-Pandemie eine wachsende Vielfalt der digitalen Kommunikation in den Moscheegemeinden. "Wir erleben derzeit eine sehr starke Rückmeldung über virtuelle Angebote", sagte der Vorstandsvorsitzende Aiman Mazyek dem Evangelischen Pressedienst (epd). Dies betreffe innerhalb einer Gemeinde etwa die Verbreitung von Ansprachen und Predigten der Imame oder Frage- und Antwortangebote. Dies sorge auch für eine neue Zusammenarbeit zwischen den Generationen, wenn Jüngere die Älteren mit der Nutzung des Internets und den dortigen spirituellen Angeboten vertraut machten.

Moscheen seien derzeit komplett wegen der Corona-Pandemie geschlossen, betonte Mazyek für den Verband ZMD, der rund 300 Moscheegemeinden von 35 Dachorganisationen vertritt. Auch Gebete seien in den Moscheen für einzelne Gläubige nicht möglich. Gottesdienste wie das wöchentliche Freitagsgebet oder das fünfmalige tägliche Gebet könnten - im Gegensatz zu christlichen Gottesdiensten - aus theologischen Gründen nicht ersatzweise mit einem Prediger aus dem leeren Gebetsraum gestreamt werden. "Eine Substitution durch eine Livesendung ist grundsätzlich nicht möglich", betonte Mazyek und verwies auf entsprechende Diskussionen innerhalb des Verbands und auf den Austausch mit internationalen islamischen Gelehrten. Das Freitagsgebet könne nur in der Moschee stattfinden.

Kleinen Gemeinden droht die Schließung

Umso mehr griffen Gläubige auf den digitalen Austausch von Bittgebeten oder Koranversen zurück, sagte Mazyek. Auf überregionaler Ebene bemühe sich der Verband, organisatorische Hilfe zu leisten, auch mit Seminaren zu Youtube, Instagram und anderen Social-Media-Kanälen. Aktuell habe sich der ZMD auf die Empfehlung eines Webtools an die Gemeinden verständigt. Viele Gemeinden seien allerdings bereits digital gut aufgestellt, nutzten bereits Online-Plattformen oder beteiligten sich an Live-Schalten. Imame vernetzten sich in Whatsapp-Gruppen und befänden sich im ständigen Austausch. "Alles ist in einer regen Entwicklung, die Landschaft fächert sich gerade auf", schilderte Mazyek.

Sorge bereite vor allem den kleineren Gemeinden ohne finanzielle Rücklagen der Verlust durch ausfallende Kollekten. Mehr als die Hälfte der regelmäßigen Einnahmen laufe über die Kollekte, erklärte Mazyek. In der islamischen Gemeinschaft seien nun vor allem wohlhabende Gläubige zu Spenden aufgerufen. Andernfalls drohe einzelnen Gemeinden die Schließung. Gespräche über mögliche Mietzuschüsse für Gemeinderäume stünden auf der Ebene des ZMD noch ganz am Anfang.

Das Coronavirus sei im weltlichen Sinne und auch im Sinne des Glaubens als Prüfung zu verstehen, erläuterte Mazyek. "Nicht als Strafe, sondern als Prüfung Gottes, trotz der Einschränkungen den Verpflichtungen wie Barmherzigkeit, Nächstenliebe, Geduld und Nachsicht nachzukommen." Im Koran gebe es Aussagen des Propheten zum Schutz von Gebieten und Quarantäne-Maßnahmen. Dies seien nicht nur weltlich richtige Maßnahmen. Auch der islamische Glauben verlange, sich nicht blind "ins Verderben" zu werfen.

epd-Gespräch: Gabriele Fritz


Über 360 deutsche Städte beteiligen sich an "Earth Hour"


Auch der Kölner Dom lag am Abend des 28. März im Dunkeln.
epd-bild / Jörn Neumann
Rund um den Erdball gingen am 28. März wieder für eine Stunde die Lichter aus. An der diesjährigen "Earth Hour" des WWF beteiligten sich mehr als 180 Länder weltweit. In Deutschland zogen mehr als 360 Kommunen für eine Stunde den Stecker.

Rund um den Erdball sind am 28. März jeweils um 20.30 Uhr Ortszeit für eine Stunde die Lichter für den Umwelt- und Klimaschutz ausgeschaltet worden. An der 14. Earth Hour ("Stunde der Erde") beteiligten sich trotz Corona-Krise nach Angaben der Umweltorganisation WWF mehr als 180 Länder auf allen Kontinenten. Berühmte Bauwerke wie der Eiffelturm in Paris, das Kolosseum in Rom oder die Oper in Sydney wurden für eine Stunde in Dunkelheit gehüllt. In Deutschland beteiligten sich laut WWF 367 Städte und Kommunen an der seit 2007 jährlich stattfindenden Aktion. An Sehenswürdigkeiten wie dem Brandenburger Tor, dem Kölner Dom, der Münchner Frauenkirche, der Wartburg in Eisenach oder der Schlosskirche in Lutherstadt Wittenberg wurde von 20.30 bis 21.30 Uhr "der Stecker gezogen".

Die diesjährige "Earth Hour" sei zudem auch von Tausenden Menschen in den eigenen vier Wänden begangen worden, teilte der WWF als Initiator am 29. März mit. In sozialen Medien seien viele Bilder vom symbolischen Lichtausschalten zu Hause geteilt worden. In Nordrhein-Westfalen lagen unter anderem das Rathaus in der Landeshauptstadt Düsseldorf und die Bäume an der bekannten Einkaufsstraße Königsallee, der Dom in Münster, das Bergbaumuseum in Bochum oder Fußballstadien wie der Borussia-Park in Mönchengladbach am Abend für eine Stunde im Dunkeln.

Von Samoa bis Französisch-Polynesien

"Die Corona-Pandemie zeigt, wie verletzlich unser Alltagsleben und unser Wirtschaftssystem sind", erklärte Marco Vollmar von der Geschäftsleitung des WWF Deutschland. Zur "Earth Hour" 2020 hätten Millionen Menschen auf der ganzen Welt für eine Stunde das Licht ausgeschaltet. "Das zeigt, dass die Welt auch in schwierigen Zeiten zusammenstehen kann und dass wir mehr für den Schutz der Erde tun müssen", sagte Vollmar.

Ihren Anfang nahm die "Earth Hour" im Inselstaat Samoa, wo die Menschen um 7.30 Uhr deutscher Zeit ihre Lichter ausschalteten. 25 Stunden später knipsten die Bewohner der Cookinseln und von Französisch-Polynesien ihre Lampen wieder an und beendeten damit die "Earth Hour" für das Jahr 2020.

Ihren Ursprung hat die "Earth Hour" laut WWF in Sydney, wo im Jahr 2007 erstmals mehrere Hunderttausend Australier gemeinsam das Licht ausschalteten. Ab 2008 entwickelte sich die "Stunde der Erde" zu einer globalen Aktion. Inzwischen verdunkeln mehr als 7.000 Städte ihre wichtigsten Bauwerke für 60 Minuten.



Kein Abschiebeverbot für Kinder wegen Malariagefahr

Kinder unter fünf Jahren haben nach einem aktuellen Gerichtsurteil keinen Abschiebeschutz nach Nigeria wegen Malariagefahr. In Europa geborene Kinder können sich nicht deshalb auf eine extreme allgemeine Gefahrenlage berufen, weil sie bei einer Rückkehr der Familie nach Nigeria an Malaria erkranken könnten, erklärte das Oberverwaltungsgericht Münster in einem am 27. März veröffentlichten Urteil (AZ:19 A 4470/19.A). Eine allgemein drohende Gefahr einer Malaria-Erkrankung sei nicht wahrscheinlich, erklärte das Gericht.

Nigeria sei zwar ganzjährig und flächendeckend ein Hochrisikogebiet für Erkrankungen an Malaria, die ohne Behandlung einen tödlichen Verlauf nehmen könne. Für aus Europa zurückkehrende Kinder gebe es jedoch keine Extremgefahr, die Voraussetzung für ein Abschiebungsverbot sei. Außerdem stünden nach Nigeria zurückkehrenden Familien generell Vorsorgemaßnahmen zur Verfügung, wie etwa die Verwendung von imprägnierten Moskitonetzen. Auch sei es der Mutter zuzumuten, ihr Kind noch in Deutschland gegen verbreitete Infektionskrankheiten impfen zu lassen und das Kind durch Vorsorgemaßnahmen vor einer Malariainfektion zu schützen.

In dem konkreten Fall ging es um ein im Jahr 2017 in Italien geborenes Kind, das mit seiner aus Nigeria stammenden Mutter ein Jahr später nach Deutschland einreiste. Den Asylantrag für das Kind lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ab. Das Verwaltungsgericht Münster hatte der Klage gegen diese Entscheidung zum Teil stattgegeben und die Bundesrepublik verpflichtet, ein Abschiebungsverbot wegen der drohenden Malariagefahr festzustellen. Das Oberverwaltungsgericht gab hingegen dem Bundesamt mit seiner Berufung recht.

Eine Revision ließ das Gericht nicht zu. Gegen die Entscheidung kann eine Beschwerde eingelegt werden, über die dann das Bundesverwaltungsgericht entscheiden würde.



1.700 Angriffe gegen Flüchtlinge und Asylunterkünfte

Für Attacken auf Flüchtlinge, Asylunterkünfte und ehrenamtliche Helfer waren 2019 laut Bundesregierung fast immer Rechtsextremisten verantwortlich. Die Linke fordert die dauerhafte Förderung von Projekten für Opfer und gegen Rechtsextremismus.

Für das Jahr 2019 haben die Sicherheitsbehörden 1.620 Übergriffe auf Flüchtlinge außerhalb von Flüchtlingsunterkünften in Deutschland verzeichnet. Dabei kam es zu mehr als 250 Körperverletzungen, wie aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag hervorgeht. Zunächst hatten die Zeitungen der Funke Mediengruppe (27. März) über die Zahlen berichtet.

Zudem wurden den Daten zufolge in 128 Fällen Asylunterkünfte und die dort befindlichen Menschen angegriffen, darunter Hausfriedensbruch, Sachbeschädigung, Körperverletzung, Androhung von Straftaten und Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Diese Attacken gingen fast ausschließlich auf das Konto von Rechtsextremisten. Die Gesamtzahl der Übergriffe auf Flüchtlinge und Asylunterkünfte im Jahr 2019 liegt damit bei mehr als 1.700.

"Tödliche Gefahr"

Hinzu kommen den Daten zufolge 124 Fälle mit Angriffen auf Hilfsorganisationen, Ehrenamtliche und freiwillige Helfer. Laut Innenministerium konnten bis zum 31. Januar 2020 zu 840 Delikten 1.039 Tatverdächtige ermittelt werden. Bei den Angaben der Bundesregierung fehlen noch Nachmeldungen durch die Polizeidienststellen.

Erfahrungsgemäß steige die tatsächliche Zahl der rechtsextremen oder rassistisch motivierten Angriffe mit den Nachmeldungen noch einmal um deutlich über 50 Prozent, sagte die Linken-Politikerin Ulla Jelpke den Funke-Zeitungen. Sie warnte angesichts der jüngsten rechtsterroristischen Anschläge in Halle und Hanau vor einer "tödlichen Gefahr durch Rechtsextremismus und Rassismus".

"Wir haben offenbar ein gesellschaftliches Klima in Deutschland, in dem Flüchtlinge jederzeit damit rechnen müssen, verbal und auch tätlich angegriffen zu werden", sagte Jelpke. "Ein Kabinettsausschuss gegen Rechtsextremismus ist gut, besser wäre es noch, man würde endlich eine dauerhafte Förderung der Beratungs- und Präventionsprojekte für die Opfer von Rassismus und gegen Rechtsextremismus gesetzgeberisch absichern."

Im Jahr 2018 hatten die Sicherheitsbehörden insgesamt 173 Angriffe auf Asylunterkünfte und 1.775 Attacken auf Geflüchtete außerhalb der Einrichtungen registriert. Die meisten dieser Taten wurden von Rechtsextremisten begangen.



"Revolution Chemnitz" als terroristische Vereinigung verurteilt


Beim Auftakt des Prozesses gegen die Gruppe "Revolution Chemnitz" am 30. September 2019 wird ein Angeklagter in den Gerichtssaal geführt.
epd-bild/Matthias Rietschel/Getty Images
Nach sechs Monaten ist der Prozess gegen die Terrorgruppe "Revolution Chemnitz" zu Ende gegangen. Als Gründer einer terroristischen Vereinigung wurde nur der Rädelsführer verurteilt. Die anderen sieben Angeklagten waren laut Richter Mitglieder.

Die acht Mitglieder der rechtsextremen Terrorgruppe "Revolution Chemnitz" sind zu Haftstrafen zwischen zwei Jahren und drei Monaten und fünfeinhalb Jahren verurteilt worden. Das Oberlandesgericht Dresden sah es am 24. März als erwiesen an, dass die Männer zwischen 22 und 32 Jahren einer terroristischen Vereinigung als Mitglied angehört hatten. Der Rädelsführer Christian K. wurde zu fünf Jahren und sechs Monaten Freiheitsentzug wegen Gründung und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung verurteilt - wie von der Bundesanwaltschaft gefordert. (AZ: 4 St 3/19)

Die Gruppe sei ein "organisierter Zusammenschluss zur Erreichung eines gemeinsamen Ziels, bei dem die Tötung von Menschen am Ende stehen kann", sagte der Vorsitzende Richter, Hans Schlüter-Staats, in der fast zweistündigen Begründung des Urteils. Wer die Beschaffung von Waffen plane, der nehme Mord und Totschlag in Kauf.

"Systemwechsel" geplant

Die Chats der Gruppe müssten ernstgenommen werden und seien nicht nur "Hirngespinste". Allerdings habe sich die Gruppe in einem Frühstadion befunden, noch ohne konkrete Pläne. Auch seien noch keine Waffen besorgt worden.

Es sei offensichtlich, dass der Rädelsführer Christian K. es ernst meinte, sagte Schlüter-Staats. Zwar seien seine Vorstellungen noch diffus gewesen, aber es war klar, dass sich die Gruppe in Konspiration bewegt - an den fünf Tagen, in denen der Chat existierte. Geplant war demnach ein "Systemwechsel". Laut Anklage plante die Gruppe am 3. Oktober 2018 einen Umsturz sowie Angriffe auf Andersdenkende.

"Diese Terrorgruppen sind getrieben von Menschenhass und der Verachtung der Demokratie", erklärte Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) in Reaktion auf das Urteil. "Höchste Wachsamkeit sowie frühestmögliches Eingreifen" blieben daher entscheidend.

Mit den Strafmaßen blieb das Dresdner Oberlandesgericht außer beim Rädelsführer hinter den Anträgen der Bundesanwaltschaft zurück. Diese hatte für Freiheitsstrafen zwischen drei Jahren sowie fünfeinhalb Jahren plädiert und alle Mitglieder auch als Gründer eingestuft. Dem folgte das Gericht nicht. Die Angeklagten seien zwar Gründungsmitglieder, aber keine Gründer der Vereinigung - ausgenommen Christian K. Fünf der Angeklagten mussten sich für schweren Landfriedensbruch verantworten, einer wegen gefährlicher Körperverletzung.

Drei Haftbefehle ausgesetzt

Die Bundesanwaltschaft zeigte sich mit dem Urteil zufrieden. Im Wesentlichen sei das Gericht ihren Anträgen gefolgt, sagte der Vertreter der Bundesanwaltschaft, Kai Lohse. Die Verteidigung hat die Möglichkeit, binnen einer Woche Revision gegen das Urteil einzulegen. Laut Gerichtssprecherin Gesine Tews wurden für drei der Angeklagten die Haftbefehle vorübergehend ausgesetzt - und zwar bis das Urteil rechtskräftig ist.

Die Verteidiger hatten für deutlich mildere Strafen plädiert. Kritisch bewerten sie in ihren Plädoyers eine Verurteilung wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung allein auf Basis von Protokollen einer Chatgruppe. Damit würde Neuland betreten.

Die Verhandlung war trotz Corona-Krise fortgesetzt und zum Abschluss gebracht worden, da der Prozess bei einer Unterbrechung von mehr als zehn Tagen hätte neu aufgerollt werden müssen. Das Verfahren hatte am 30. September 2019 begonnen.

Katharina Rögner (epd)


"Sie sahen aus wie von den Toten auferstanden"


Grabsteine russischer Kriegsgefangener in der Ausstellung der Gedenkstätte "Stalag 326" in Stukenbrock
epd-bild/Friedrich Stark
Rund 300.000 sowjetische Kriegsgefangene durchliefen im Zweiten Weltkrieg das "Stammlager 326" in Westfalen. Jetzt soll dort eine Begegnungs- und Bildungsstätte entstehen. Die US-Soldaten, die die Gefangenen vor 75 Jahren befreiten, waren entsetzt.

Als die zweite US-amerikanische Panzerdivision kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges das Gefangenenlager "Stalag 326" nahe der westfälischen Kleinstadt Stukenbrock erreichte, bot sich ihr ein grauenvolles Bild. Die dort inhaftierten Männer waren gekleidet in stinkenden Lumpen, die Körper gezeichnet von Seuchen, nicht verheilten Wunden und Mangel an Nahrung. Zusammengepfercht lagen sie auf dreckigen Strohmatratzen in kargen, kalten Baracken.

"Sie sahen aus wie von den Toten auferstanden", berichtete Oberleutnant Donald P. Chance einem Reporter der "Chicago Sun". "Das meinen die Nazis, wenn sie sagen: 'Bolschewisten sind Tiere und sollen wie Tiere behandelt werden'", heißt es in dem Zeitdokument.

Am 2. April 1945 wurde das wahrscheinlich größte Lager der Wehrmacht für sowjetische Kriegsgefangene und Verschleppte im Gebiet des damaligen Deutschen Reiches befreit. In der Zeit zwischen 1941 und 1945 durchliefen etwa 300.000 Gefangene das "Stalag 326" zur Musterung von Zwangsarbeit im Ruhrbergbau, auf Höfen und in Fabriken. Schätzungen zufolge starben bis zu 65.000 aufgrund der katastrophalen Lagerbedingungen, in einem nah gelegenen Lazarett und den Arbeitskommandos. Die Toten wurden in Massengräbern einen Kilometer entfernt verscharrt, heute ein sowjetischer Ehrenfriedhof.

Gebastelte "Russenkästchen" gegen ein Stück Brot

Seit 1996 informiert auf dem ehemaligen Lagergelände eine Gedenkstätte über die Geschichte des Stalag, anhand von alten Dokumenten, Filmmaterial, Dias und Zeugenaussagen. Gegenstände wie geschnitzte Holzlöffel oder Tortenständer, die die Sowjet-Soldaten als Tauschware gegen ein Stück Brot fertigten, erzählen vom harten Lageralltag. "Auch gebastelte Strohschachteln, sogenannte Russenkästchen, waren in den Familien in der Region noch lange nach dem Krieg zu finden", erzählt der Geschäftsführer der Gedenkstätte, Oliver Nickel.

Sein Team erhält im Jahr 100 Anfragen von Familien aus Russland und der Ukraine, die nach den verschollenen Vätern, Groß- und Urgroßvätern suchen. Etwa 15.000 Verstorbene wurden seit 1996 identifiziert.

Archäologen-Fund

Doch noch immer liegt in dem Ort in der westfälischen Provinz vieles im Verborgenen. Bei jüngsten Ausgrabungen fanden Archäologen des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe mehr als 1.000 ehemalige Besitztümer der Lagerinsassen: rostiges Geschirr, Reste von Gürteln und Schuhe sowie Dosen mit eingeritzten Jahresdaten oder längeren Zeilen in kyrillischer Schrift. Weitere Funde wie belgische Uniformknöpfe zeigten, dass auch Gefangene anderer Länder in dem Lager untergebracht waren, erläutert Nickel. Eine Auswahl soll künftig in der Ausstellung zu sehen sein.

Langfristig soll die vergleichsweise kleine Einrichtung zu einer breit angelegten Gedenkstätte ausgebaut werden. "Das Ziel ist eine Begegnungs- und Bildungsstätte von internationalem Rang", skizziert Nickel die ambitionierten Pläne, die das Land Nordrhein-Westfalen und der Landschaftsverband unterstützen.

Altbundespräsident Gauck würdigt Arbeit vor Ort

Den Anstoß dazu gab der frühere Bundespräsident Joachim Gauck, als er 2015 das Stalag besuchte und eine stärkere Beachtung des Leids sowjetischer Kriegsgefangener unter den Nationalsozialisten anmahnte. Über dieser Opfergruppe liege ein "Erinnerungsschatten", beklagte Gauck seinerzeit.

"Schon im Expo-Jahr 2000 hatten wir versucht, den Bekanntheitsgrad des Stalag überregional aufzuwerten, doch Gauck gab letztlich den Startpunkt", sagt Nickel rückblickend. Der Altbundespräsident habe sich abseits der Presse viel Zeit für Gespräche mit dem damals 93-jährigen Überlebenden Lev Frankfurt und Schülern eines örtlichen Gymnasiums genommen. "Das war wirklich stark von ihm."

Auch Lev Frankfurt zeigte sich damals tief berührt, zum ersten Mal in seinem Leben als ehemaliger Lagerinsasse gewürdigt zu werden. "Es ist ein großes Geschenk hier zu stehen, aber auch große Verpflichtung zum Frieden", sagte er 2015. Gebürtig aus Leningrad, heute Sankt Petersburg, sollte der junge Soldat 1943 im Stalag sofort exekutiert werden. Doch der damalige russische Lagerarzt rettete ihm das Leben, in dem er ihm eine fremde Identität gab und in ein anderes Lager überstellen ließ. "Er bezeichnet sich stets selbst als Glückskind", erzählt Oliver Nickel aus seinen Gesprächen mit Frankfurt.

Neukonzeption geplant

Die Neukonzeption der Gedenkstätte sieht eine erweiterte Nutzung des historischen "Entlausungsgebäudes" auf dem Gelände vor, wo heute das umfassende Archiv untergebracht ist. Die Ausstellung soll zudem thematisch auf die Nachkriegsgeschichte des Stalag ausgedehnt werden: Von 1948 bis in die 70er Jahre war das Areal Auffang- und Durchgangslager für Vertriebene und später DDR-Flüchtlinge. Auch der Zugang soll verbessert werden. Bisher ist der Besuch des "Stalag 326" nur mit Anmeldung erlaubt, weil sich eine Landespolizeischule mit auf dem Gelände befindet.

Ein Lenkungskreis unter dem Vorsitz des NRW-Landtagspräsidenten André Kuper (CDU) hat eine Machbarkeitsstudie in Auftrag geben. Bis zum 31. Juli muss ein Antrag bei der Staatsministerin für Kultur und Medien vorliegen, um eine Anschubfinanzierung von 50 Prozent zu erhalten. Zur langfristigen Absicherung des Projekts ist die Gründung einer Stiftung angedacht, bislang trägt ein Förderverein die Gedenkstätte. Olivel Nickel ist verhalten optimistisch: "Wir rechnen mit einer Umsetzung in fünf bis zehn Jahren."

Katrin Nordwald (epd)


Ostermarsch Rhein/Ruhr 2020 verlagert Proteste ins Netz

Der Ostermarsch Rhein/Ruhr kann in diesem Jahr aufgrund der Corona-Pandemie nicht in der gewohnten Form mit Demonstrationen und Kundgebungen stattfinden. Stattdessen würden neue Formen des Protestes vorbereitet, teilten die Veranstalter am 25. März in Dortmund mit. In Planung sind ein Online-Protest am Karsamstag um 12 Uhr, eine Fotoaktion, Mitmachaktionen für Zuhause und weitere Aktivitäten, die in den kommenden Tagen bekanntgemacht werden. Unter anderem habe der Liedermacher Konstantin Wecker einen Video-Beitrag zugesagt, hieß es. Auf den Websites des Ostermarsches Rhein-Ruhr und der beteiligten Friedensinitiativen würden Fotos der Fenster und Balkone der Teilnehmer mit Plakaten, Transparenten und Fahnen des Ostermarsches eingestellt.

Die Corona-Epidemie mache die falsche Prioritätensetzung der Bundesregierung in der Frage der Sicherheit deutlich, betonten die Organisatoren. Innerhalb von fünf Jahren sei der Militärhaushalt von 33 auf 45,1 Milliarden Euro jährlich erhöht worden. Auf der anderen Seite gerate das Gesundheitssystem angesichts von Corona schnell an seine auch finanziellen Grenzen, erklärte Sprecher Joachim Schramm. "Statt eine nicht vorhandene militärische Bedrohung durch Russland an die Wand zu malen, würden wir besser damit fahren, in Europa eine neue Entspannungspolitik zu praktizieren und zum Wohle aller Menschen über die Grenzen hinweg zusammenzuarbeiten."

"Atomwaffen verbieten - Klima schützen statt aufrüsten - Nein zur EU-Armee!"

Den Aufruf zum diesjährigen Ostermarsch unter dem Motto "Atomwaffen verbieten - Klima schützen statt aufrüsten - Nein zur EU-Armee!" haben über 500 Einzelpersonen und über 50 Initiativen und Organisationen, darunter der ver.di Landesverband NRW, die Deutsche Friedensgesellschaft (DFG-VK) NRW, die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN-BdA) NRW sowie die Naturfreunde NRW, unterzeichnet.

Zentrale Anliegen des Ostermarsches Rhein/Ruhr seien der Protest gegen Aufrüstung und Konfrontationspolitik, wie sie aktuell in dem inzwischen abgesagten Nato-Manöver Defender 2020 zum Ausdruck komme, erklärten die Veranstalter. Auch die Auseinandersetzung mit der Verbindung von Militär und Klimawandel sei ein neues Anliegen der Friedensaktivisten.

Nicht nur im Ruhrgebiet, auch bundesweit wirkt sich die Corona-Krise auf die diesjährigen Ostermärsche aus. 60 Jahre nach dem ersten Ostermarsch in Deutschland müssen in diesem Jahr alle geplanten Kundgebungen und Aktionen in mehr als 90 Orten abgesagt werden. Auch bundesweit werde an einem virtuellen Konzept gearbeitet, hatte das Netzwerk Friedenskooperative in Bonn dem Evangelischen Pressedienst (epd) Anfang der Woche erläutert.

Die Ostermärsche der Friedensbewegung entstanden Ende der 50er Jahre in Großbritannien. Den ersten Ostermarsch in der Bundesrepublik gab es 1960 in der Lüneburger Heide, wo mehr als tausend Menschen gegen die deutsche Wiederbewaffnung und eine Ausrüstung der Bundeswehr mit Atomwaffen protestierten.



Verleihung des Karlspreises wird verschoben

Die Verleihung des Internationalen Karlspreises zu Aachen an den rumänischen Präsidenten Klaus Iohannis wird wegen der Corona-Pandemie verschoben. Ein neuer Termin für die ursprünglich für den 21. Mai vorgesehene Verleihung steht noch nicht fest, wie die Stadt Aachen am 25. März mitteilte. Auch sämtliche Veranstaltungen des Rahmenprogramms, der Jugendkarlspreis sowie das Karlspreis-Europa-Forum werden abgesagt, darauf habe sich das Karlspreisdirektorium in einer Telefonkonferenz verständigt.

Der Karlspreis sei ein europäisches Bürgerfest, "für die breite Bevölkerung offen und eine Einladung zum gemeinsamen Austausch und vor allem zur Begegnung", erklärten Oberbürgermeister Marcel Philipp (CDU), der Direktoriumsvorsitzende Jürgen Linden und der Vorsitzende der Karlspreisstiftung, Thomas Prefi, in einer gemeinsamen Stellungnahme. "Die Einladung zu Begegnungen dieser Art können wir in diesen Tagen leider nicht aufrechterhalten."

Der Aachener Karlspreis wird seit 1950 an Menschen und Institutionen verliehen, die sich um die Einigung Europas verdient gemacht haben. Zu den früheren Preisträgern gehören der französische Präsident Emmanuel Macron, Papst Franziskus, Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und der frühere US-Präsident Bill Clinton.



Nordrhein-Westfalens schönstes Rathaus steht in Recklinghausen

Das Rathaus von Recklinghausen ist bei einer Social-Media-Aktion zum schönsten des Landes Nordrhein-Westfalen gewählt worden. 60.272 Bürgerinnen und Bürger haben sich an der Online-Abstimmung beteiligt, wie NRW-Heimatministerin Ina Scharrenbach (CDU) am 28. März in Düsseldorf mitteilte. Dabei entfielen die meisten der abgegebenen Stimmen auf das 1908 fertiggestellte Rathaus Recklinghausen. Auf Platz zwei und drei kamen die historischen Rathäuser von Paderborn und Brilon im Sauerland.

Recklinghausens Bürgermeister Christoph Tesche (CDU) freut sich über den Titel "Schönstes Rathaus in Nordrhein-Westfalen". "Der Erfolg beweist, wie sehr sich die Bürgerinnen und Bürger mit ihrem Rathaus identifizieren", erklärte der CDU-Politiker und kündigte an, dass der Titel nach dem Ende der Corona-Krise mit einem Bürgerfest gefeiert wird. Die Stadt erhielt als Gewinner vom Ministerium 1.000 Puzzle mit jeweils 1.000 Teilen mit dem Motiv des Recklinghausener Rathauses, wie es hieß.

Das Heimatministerium hatte vor einem Monat unter dem Hashtag #schönstesRathausinNRW in den sozialen Medien dazu aufgerufen, das schönste Rathaus zu bestimmen. Zur Wahl standen 74 Stadtverwaltungsgebäude, die in einminütigen Video-Clips auf den Kanälen des Ministeriums vorgestellt wurden. Mehr als eine halbe Million Mal wurden den Angaben nach die Beiträge auf Facebook, Twitter, Instagram und YouTube insgesamt aufgerufen. In die Top-Ten schafften es das Rathaus in Bottrop, in Remscheid, in Warburg an der Grenze zu Nordhessen, gefolgt vom Rathaus in Bocholt und Lemgo in Lippe sowie in Münster und in Bonn.




Soziales

"Hier bleibt's erstmal offen?"


Spendenzaun an der Zionskirche in Berlin-Mitte
epd-bild/Christian Ditsch
Die Corona-Krise trifft Obdachlose mit voller Wucht. Viele Nachtcafés und Suppenküchen sind geschlossen, die Franziskaner in Berlin-Pankow improvisieren. Bundesweit entstehen Gabenzäune, damit sich die Menschen versorgen können.

"Hier bleibt's erstmal offen?" Simon, 45 Jahre alt, steht in der Warteschlange für die Toilette in der Suppenküche der Franziskaner im Berliner Stadtteil Pankow. Er lebt auf der Straße. Sich dort durchzuschlagen, ist seit der Corona-Pandemie schwieriger geworden. Viele Einrichtungen mussten wegen der Abstandsregeln schließen. Schlafen kann er manchmal bei seiner Schwester, erzählt er. Ein Problem bleibt, tagsüber Anlaufstellen für Essen und die Notdurft zu finden. Bernd Backhaus, Leiter der Suppenküche, gibt Simon eine ehrliche Antwort auf die bange Frage: "Solange wir noch dürfen ..."

"Suppenküche" ist in Zeiten der Corona-Krise eine irreführendes Wort geworden für die 1991 gegründete Einrichtung der Obdachlosenhilfe. Der Essenssaal ist seit vergangener Woche geschlossen. Statt warmer Suppe gibt es jetzt "Ausgabe von Stullen und Tee" - alles vor der Tür, wo auch die Tische und Bänke weggeräumt wurden, um niemanden zum Verweilen einzuladen. Sie müssten auf den Schutz der Mitarbeiter und der Gäste achten, erklärt Backhaus. Grüne Klebebänder markieren den Abstand in der Warteschlage für die Wurst- und Käsebrote.

#Spendenzaun

200 Menschen kommen normalerweise in die Suppenküche. Backhaus sagt, derzeit seien es rund 120 pro Tag. Viele seien enttäuscht, dass es die leckeren Suppen gerade nicht gibt. "Wir hoffen, dass wir die bald wieder anbieten können", sagt er.

Solange versuchen Engagierte, Obdachlosen auch auf anderem Weg zu helfen. An einem grünen Metallzaun in Berlin-Wedding hängen seit wenigen Tagen Plastiktüten mit Lebensmitteln, Hygienieartikeln, Hundefutter und Kleidung. "Willkommen" steht auf einem Schild, und: "Lieber Mensch* ohne Zuhause. Bitte nimm dir was du dringend brauchst vom Gabenzaun". Andere Schilder rufen zum Mitmachen und weiteren Spenden auf und appellieren: "Nur für obdachlose Menschen!"

In ganz Deutschland entstehen derzeit sogenannte Spenden- oder Gabenzäune für Obdachlose. Die Menschen werden dazu aufgerufen, in Plastiktüten verpackte Spenden an die Zäune zu hängen, damit sich auf der Straße lebende oder arme Menschen dort versorgen können. In den sozialen Netzwerken ist unter den Hashtags #Spendenzaun und #Gabenzaun nachzulesen, wo es solche Zäune in der Nachbarschaft gibt oder wo welche eingerichtet werden sollen.

Die Idee stammt aus Hamburg, wo schon 2017 in der Nähe des Hauptbahnhofes der erste Gabenzaun als niedrigschwelliges soziales Angebot für Obdachlose eingerichtet wurde. Heute ist der Zaun am Heidi-Kabel-Platz zu finden und wird von dem Verein Hamburger Gabenzaun betreut. Auch in Berlin-Schöneweide gab es bereits einen Spendenzaun, der wegen Vandalismus 2018 aufgelöst wurde.

Entstanden sind Gaben- oder Spendenzäune in den vergangenen Tagen unter anderem in Bochum, Leipzig, Dresden und Frankfurt am Main. In Berlin zählte der "Tagesspiegel" am Dienstag bereits mehr als 21 Zäune im ganzen Stadtgebiet.

"Den trifft es am härtesten"

Auch der Eisenzaun vor dem Portal der evangelischen Zionskirche in Berlin-Mitte ist zum Spendenzaun geworden. Initiatorin ist Friederike Bauer, eine 32-Jährige aus dem Kiez. Sie sei durch Freunde, die das im Stadtteil Friedrichshain angestoßen haben, und durch eine Bloggerin darauf aufmerksam geworden, berichtet sie. Sie habe dann in ihrem Haus und auf dem Nachbarschaftsportal "nebenan.de" nach Mitstreitern gesucht und sei auf große Bereitschaft zum Mitmachen und Spenden getroffen.

"Die Corona-Krise trifft jeden anders", sagt Bauer. Als Selbstständige mache sie sich natürlich große Sorgen um ihre wirtschaftliche Zukunft: "Aber ich bin privilegiert, habe eine Wohnung und ein Auskommen. Wer auf der Straße leben muss, den trifft es am härtesten. Wir haben doch jetzt alle genug Zeit, uns um diese Menschen zu kümmern."

Die Pankower Stullen-Ausgabe könnte trotz der Corona-Regeln auch weiter ein Anlaufpunkt in der Krise bleiben. Als Simon auf der Toilette ist, bekommt Leiter Backhaus einen Anruf vom Gesundheitsamt. Das ernste Gesicht des hoch gewachsenen Mannes weicht während des Telefonats einem Lächeln. Die Mitarbeiterin habe sich erkundigt, welche Maßnahmen die Einrichtung getroffen hat und an das Verbot des Ausschenkens warmer Speisen erinnert. "Und dann hat sie gesagt, sie findet gut, was wir hier machen", berichtet Backhaus. Damit kann es erst einmal weitergehen.

Corinna Buschow und Markus Geiler (epd)


Mehr Geld, weniger Bürokratie, vereinfachte Regeln

Bundestag und Bundesrat haben zur Bewältigung der Corona-Krise milliardenschwere Unterstützungen für das Gesundheitswesen beschlossen. Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen und niedergelassene Ärztinnen und Ärzte erhalten finanzielle Zusagen. Die Verwaltung wird vereinfacht und Bürokratie zusammengestrichen, um Zeit für die Behandlung von Patienten zu gewinnen. Die Mehrausgaben werden mit neun bis zehn Milliarden Euro beziffert. Zum größeren Teil sollen sie von den Kranken- und Pflegekassen geschultert werden. Rund drei Milliarden Euro trägt der Bund. Die wichtigsten Beschlüsse:

KRANKENHÄUSER: Die Kliniken erhalten auf mehreren Wegen mehr Geld, damit sie weiterarbeiten können. 560 Euro pro Tag gibt es für jedes Bett, das Kliniken für Corona-Patienten frei halten, indem sie planbare Behandlungen verschieben. Die Regelung gilt vom 16. März bis 30. September. Für jedes zusätzlich geschaffene Intensivbett bekommen Kliniken einen Bonus von 50.000 Euro. Für Schutzausrüstungen gibt es pro Patient zunächst vom 1. April bis zum 30. Juni einen Zuschlag von 50 Euro. Die Überprüfung von Abrechnungen durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen wird um mehr als die Hälfte reduziert. Die Kliniken können für dieses Jahr mehr Fixkosten geltend machen. Auch für die Pflege in den Krankenhäusern gibt es mehr Geld. Der Satz pro Belegungstag wird um rund 38 Euro auf 185 Euro erhöht und von den Krankenkassen finanziert. Reha-Kliniken, die nicht oder nur schwach belegt sind, wird ein Teil der entgangenen Einnahmen erstattet.

PFLEGEEINRICHTUNGEN: Mehrausgaben durch die Corona-Krise, etwa für Schutzausrüstungen oder zusätzliches Personal, werden von den Pflegekassen erstattet. Einnahmeverluste, die sich auf die Corona-Pandemie zurückführen lassen, sollen ebenfalls ausgeglichen werden, etwa wenn Tagespflegeeinrichtungen vorübergehend geschlossen werden müssen oder nur noch wenige Menschen betreuen. Pflege- und Betreuungskräfte können dann in anderen Einrichtungen beschäftigt werden. Die Vorschriften zur Personalausstattung in Heimen werden gelockert: Wenn Personalschlüssel oder die Fachkraftquote nicht eingehalten werden können, etwa weil Fachkräfte nicht zur Arbeit kommen können, führt dies nicht zu geringeren Vergütungen für die Träger.

Die Prüfungen der Heime für den Pflege-TÜV werden bis zum 30. September ausgesetzt. Nur bei Meldungen über Missstände erfolgen Kontrollen. Ärztinnen und Ärzte sowie Pflegekräfte, die beim Medizinischen Dienst arbeiten, sollen in den Kliniken und Heimen einspringen können. Die Begutachtungen zur Einstufung von pflegebedürftigen Menschen in einen Pflegegrad werden vereinfacht. Die vorgeschriebenen Beratungsbesuche durch Pflegedienste bei Pflegegeld-Beziehern, die von ihren Angehörigen versorgt werden, werden ausgesetzt.

ARZTPRAXEN: Niedergelassene Ärzte und Ärztinnen sowie Psychotherapeuten erhalten Ausgleichszahlungen, wenn sie weniger Patienten und dadurch deutliche Umsatzminderungen haben. Die Krankenkassen erstatten den Kassenärztlichen Vereinigungen außerordentliche Maßnahmen, die durch die epidemische Notlage erforderlich werden, wie etwa Fieberambulanzen.

ARBEITSKRÄFTE: Junge Leute, etwa Medizinstudentinnen oder Pflegeschüler, die in Kliniken und Heimen einspringen, sollen dadurch keine Nachteile beim Bezug von BAföG-Leistungen haben.

Bettina Markmeyer (epd)


Präses fordert bessere Löhne für Pflegekräfte und Kassiererinnen

Der rheinische Präses Manfred Rekowski befürwortet höhere Löhne für Beschäftigte in sogenannten systemrelevanten Berufen. "Ich wünsche mir wirklich, dass der Dienst am Menschen, der systemrelevant ist, auch entsprechend honoriert wird", erklärte der leitende Theologe der Evangelischen Kirche im Rheinland in einem am 25. März veröffentlichten Videobeitrag. "Ich denke an die Menschen, die derzeit hart arbeiten - in den Pflegeheimen, in den Krankenhäusern, in den Versorgungsbetrieben, in den Supermärkten."

Die angemessene Entlohnung dieser Arbeit sei ein dringendes Thema für die Zeit nach der Corona-Krise, mahnte der 62-jährige Theologe in dem Video aus dem Homeoffice am heimischen Schreibtisch in Wuppertal. Zuvor hatte auch Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) "nicht nur warme Worte, sondern langfristig auch bessere Löhne" für Kassiererinnen, Pflegekräfte und Müllarbeiter gefordert. "Wir sehen gerade unglaublich viele Heldinnen und Helden des Alltags", sagte Heil den Zeitungen der Essener Funke Mediengruppe (25. März).



"Aktion Mensch" startet 20-Millionen-Euro-Soforthilfeprogramm

Die Hilfsorganisation "Aktion Mensch" legt anlässlich der aktuellen Corona-Krise ein Soforthilfeprogramm in Höhe von 20 Millionen Euro auf. Hintergrund ist die akute Notlage von Menschen, die besonders durch die Pandemie bedroht sind und Unterstützung benötigen, wie die Organisation am 25. März in Bonn dem Evangelischen Pressedienst (epd) mitteilte. Dazu gehörten Menschen mit Behinderung, deren Assistenzkräfte ausfallen, und auch sozial schlechter gestellte Menschen, die durch die zunehmende Schließung von Tafeln oder anderen Einrichtungen nicht mehr mit Lebensmitteln versorgt werden können.

Die "Aktion Mensch" wolle schnell und unbürokratisch helfen. "Mit der Soforthilfe in Höhe von 20 Millionen Euro wollen wir in dieser Notlage einen Beitrag zugunsten der Menschen leisten, die besonders betroffen sind. Dringend notwendige Unterstützung durch Assistenz und Lebensmittelhilfen soll auch in der Corona-Krise gesichert bleiben", sagte Armin von Buttlar, Vorstand der nach eigenen Angaben größten privaten Förderorganisation in Deutschland.

Fördergelder beantragen können freie gemeinnützige Vereine und Einrichtungen. Sie erhalten bis zu 50.000 Euro für Personal-, Honorar- und Sachkosten, wie die "Aktion Mensch" mitteilte. Ambulante Assistenzdienste würden bei der Koordination und Organisation und bei der Gewinnung von Betreuungs- und Assistenzkräften unterstützt, Organisationen wie die Tafeln und Archen bei der Lebensmittelbeschaffung, dem Aufbau von Lieferdiensten sowie der Rekrutierung neuer Unterstützer und Helferinnen. Die Gelder können bei der "Aktion Mensch" seit dem 25. März beantragt werden.

Bernd Siggelkow, Gründer und Vorstand des christlichen Kinderhilfswerks Arche, zeigte sich "sehr froh über die Soforthilfe der Aktion Mensch", da die Menschen aufgrund der Corona-Krise nicht mehr vor Ort in den Archen versorgt werden könnten. "Da wir die Familien jetzt einzeln zu Hause besuchen müssen, um sie mit Mahlzeiten und Lebensmitteln zu versorgen, ist der Arbeitsaufwand extrem gestiegen. Und es werden immer mehr Familien, die Hilfe benötigen." Siggelkow rechnet in der nächsten Zeit mit einer Verdoppelung des Bedarfs.



Missbrauchsbeauftragter besorgt um Kinder in Corona-Isolation

Der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, ist besorgt um Opfer sexueller Gewalt, die sich wegen der Corona-Pandemie schwerer Dritten anvertrauen können. "Für Kinder und Jugendliche, die sexuellem Missbrauch in der Familie ausgesetzt sind, können die aktuellen Einschränkungen bedeuten, dass Täter und Täterinnen noch unbemerkter vom sozialen Umfeld sexuelle Gewalt ausüben können", erklärte Rörig am 25. März in Berlin. Er rief die Bevölkerung auf, trotz der Umstände aufmerksam zu sein.

"Es ist wichtiger denn je, nicht wegzuschauen, sondern zu handeln, wenn ein Verdacht oder ein 'komisches Gefühl' besteht", sagte er. Schützende soziale Nähe und Verantwortung dürfe auch in Zeiten der Corona-Krise nicht aufgegeben werden.

In der aktuellen Situation seien Familien vielfach lange und ununterbrochen zusammen, oft beengt und ohne Privatsphäre. Die starken Einschränkungen des öffentlichen Lebens könnten die Gefahr für häusliche und sexualisierte Gewalt erhöhen. Zudem seien Lehrerinnen, Erzieher oder Sozialarbeiterinnen sowie Freunde nicht wie üblich verfügbar oder erreichbar.

Mehr häusliche Gewalt

Nach Angaben des Missbrauchsbeauftragten wurde aus der stark vom Coronavirus betroffenen Stadt Wuhan in China bekannt, dass Gewalt in der Familie während der Quarantäne zugenommen hatte. Auch aus Italien und Spanien gebe erschreckende Zahlen.

Der Betroffenenrat des Unabhängigen Beauftragten betonte, dass Hilfeangebote aufrechterhalten oder jetzt sogar intensiviert werden müssten: "Als von sexualisierter Gewalt Betroffene wissen wir, wie sehr Kinder darauf angewiesen sind, dass ihre Signale wahrgenommen und dass sie gesehen und gehört werden", hieß es.



Starke Zunahme bei Kinderpornografie und Missbrauch

Die Verbreitung von Kinderpornografie hat im vergangenen Jahr stark zugenommen. Es wurden auch mehr Missbrauchsfälle registriert. Der Missbrauchsbeauftragte Rörig zeigt sich besorgt und ruft dazu auf, Anzeichen für sexuelle Gewalt ernst zu nehmen.

Die Polizei hat im vergangenen Jahr deutlich mehr Fälle des sexuellen Missbrauchs und der Verbreitung von Kinderpornografie registriert. Die Verbreitung von Missbrauchsdarstellungen von Kindern stieg 2019 um rund 65 Prozent, wie aus der am 24. März veröffentlichten Polizeilichen Kriminalstatistik hervorgeht. Registriert wurden demnach 12.262 Fälle. Fälle von Kindesmissbrauch summierten sich im vergangenen Jahr auf 13.670. Das bedeutete einen Anstieg um elf Prozent. Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) nannte die Zunahme sexueller Missbrauchstaten "erschreckend". Der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, zeigte sich äußerst besorgt.

Fälle von Verbreitung, Besitz oder Herstellung jugendpornografischer Schriften stiegen der Statistik zufolge um 24 Prozent auf insgesamt 1.991. Die Zunahme im Bereich Kinderpornografie bezeichnete Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) als "dramatisch", betonte aber zugleich, dies sei auch dadurch zu erklären, dass mehr Fälle vom Dunkel- ins Hellfeld gerückt worden seien. Die Zusammenarbeit mit der US-Organisation NCMEC und deutschen Internetbeschwerdestellen habe zu deutlich mehr Hinweisen und Ermittlungsansätzen geführt.

Mehr Ermittlungen

Justizministerin Lambrecht erklärte, durch größere Wachsamkeit, internationalen Austausch und verstärkte Ermittlungen rückten die Taten stärker in den Fokus als in der Vergangenheit. "Wir arbeiten mit allem Nachdruck daran, Kinder wirkungsvoll zu schützen", versicherte sie und verwies auf die jüngsten Gesetzesänderungen, die Ermittlern mehr Möglichkeiten geben und soziale Netzwerke verpflichten, Hinweise auf kinderpornografische Inhalte an das Bundeskriminalamt zu melden.

Der Missbrauchsbeauftragte Rörig erklärte, die großen Herausforderungen durch die Corona-Krise dürften nicht dazu führen, dass die Gefährdung von Kindern übersehen werde. Die Einschränkung des öffentlichen Lebens könne die Gefahr für Gewalt in Familien und für sexuellen Kindesmissbrauch erhöhen, sagte er. Es sei wichtiger denn je, nicht wegzuschauen, sondern zu handeln, wenn man einen Verdacht habe.

Die Kriminalstatistik dokumentiere "auch für das Jahr 2019 unendliches Leid von Kindern und Jugendlichen durch sexuelle Gewalt", erklärte Rörig. Die Zahlen seien ein deutliches Zeichen dafür, dass die bisherigen Anstrengungen im Kampf gegen sexuellen Kindesmissbrauch nur schleppend vorankämen und nicht ausreichten, bilanzierte der Beauftragte.

Rückgang der Gesamtkriminalität

Die Polizeiliche Kriminalstatistik verzeichnet insgesamt trotz Bevölkerungszunahme für das Jahr 2019 einen Rückgang der Kriminalität um 2,3 Prozent. Herausgerechnet sind dabei ausländerrechtliche Verstöße wie der Aufenthalt ohne entsprechende Erlaubnis. Seehofer und der Vorsitzende der Innenministerkonferenz, der Thüringener Ressortchef Georg Maier (SPD), betonten als zweiten Schwerpunkt im Bereich der Kriminalitätsbekämpfung den Kampf gegen Rechtsextremismus.

Die rechtsextrem motivierten Anschläge hätten gezeigt, dass sich die Szene weiter radikalisiere, sagte Maier. Seehofer betonte erneut, der Rechtsextremismus sei derzeit die größte Bedrohung im Land.

Die Kriminalitätsstatistik enthält keine aufgeschlüsselten Daten zu politisch motivierter Kriminalität, sogenannten Staatsschutzdelikten. Diese werden in aller Regel gesondert vorgestellt. Wegen der Corona-Pandemie wurde die Statistik in diesem Jahr nicht wie üblich bei einer Pressekonferenz erläutert, sondern mit Bewertungen im Internet veröffentlicht.



Frauenhäuser kämpfen mit Folgen der Corona-Krise


Frauenhäuser kämpfen in der Corona-Krise mit organisatorischen Problemen. (Archivbild)
epd-bild/Heike Lyding
"Mir graut, wenn ich daran denke, was sich jetzt in manchen Familien abspielt": Infolge der Ausgangsbeschränkungen fürchten Expertinnen einen Anstieg der häuslichen Gewalt. Gleichzeitig kämpfen Frauenhäuser mit organisatorischen Problemen.

Katja Winkler hat derzeit alle Hände voll zu tun, um den Betrieb des Berliner Frauenhauses BORA am Laufen zu halten. "Wir sind in einer extremen Situation", sagt die Leiterin der Einrichtung. Mehrere Mitarbeiterinnen musste sie nach Hause schicken, weil sie aus gesundheitlichen Gründen zur Corona-Risikogruppe gehören oder kleine Kinder zu Hause betreuen müssen. Zugleich sind Winkler und ihre einzige im Dienst verbliebene Kollegin damit beschäftigt, verängstigte Bewohnerinnen zu beruhigen sowie schützende Hygienemaßnahmen zu erklären und zu kontrollieren.

Sie muss außerdem Lebensmittel besorgen, weil der für das Haus tätige Supermarkt-Lieferdienst wegen der vielen Hamster-Käufer plötzlich Mengenbeschränkungen erlassen hat. Und Winkler befürchtet, dass es noch schwieriger wird: "Schon jetzt rufen mehr Frauen an, die Hilfe benötigen."

Dynamik der Gewalt

"Wenn die Leute mehr zu Hause aufeinandersitzen, fördert das automatisch eine Dynamik der Gewalt", sagt auch Sylvia Haller von der Zentralen Informationsstelle Autonomer Frauenhäuser, in der rund 100 Einrichtungen organisiert sind. "Mir graut, wenn ich daran denke, was sich da jetzt in manchen Familien zu Hause abspielt."

Durch die derzeitigen Einschränkungen steige die Gefahr für Frauen und Kinder, Opfer häuslicher und sexualisierter Gewalt zu werden, warnte auch Katja Grieger vom Bundesverband der Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe (bff) schon vor einigen Tagen. Aus China gebe es ähnliche Erfahrungen, erklärten der Bundesverband und weitere Organisationen: Nach Angaben einer Pekinger Frauenorganisation habe sich die Zahl der hilfesuchenden Frauen in der Zeit der Quarantäne verdreifacht.

Auch für Kinder steige das Risiko

Derzeit meldeten sich in den deutschen Beratungsstellen zwar noch nicht mehr Frauen als gewöhnlich, berichtet Grieger. "Wir sind aber sicher, dass es eine erhöhte Nachfrage in den Beratungsstellen geben wird, sobald wieder Normalität eingekehrt ist." Der Grund für die Prognose einer "zeitversetzten" Entwicklung: Es sei für viele Frauen jetzt noch schwieriger als sonst, Hilfe zu suchen, denn die Männer seien ständig zu Hause: "Gewalttätige Männer überwachen nicht selten auch die Telefon- und Handykontakte der Frauen."

Der Präsident des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte, Thomas Fischbach, warnt außerdem davor, dass auch für Kinder das Risiko häuslicher Gewalt steige, weil sie nicht in die Schule oder Kita gehen können. Und Sylvia Haller von der Zentralen Informationsstelle Autonomer Frauenhäuser sagt: "Die Situation wird sich zuspitzen."

Plätze bereits jetzt knapp

Frauenorganisationen befürchten, dass das Hilfenetz für Gewalt-Opfer in dieser Situation zu schwach sein könnte. Das Problem sei, dass Plätze in Frauenhäusern bereits jetzt knapp seien, erklärt Grieger. "Die Krise trifft auf ein System, das ohnehin schon an der Grenze ist." Sylvia Haller rechnet sogar damit, dass die Zahl der freien Frauenhausplätze in den nächsten Monaten noch sinken wird. "Wir gehen davon aus, dass irgendwann auch Corona-Fälle in Frauenhäusern auftreten und die dann unter Quarantäne stehen."

Deshalb sei es dringend notwendig, jetzt zu handeln. "Wir sollten nicht erst in zwei Wochen anfangen zu überlegen, wie wir mit dem Problem umgehen", fordert Haller. Denkbar sei etwa die Anmietung von Hotels, um Frauen und Kinder aufzunehmen, die Opfer von häuslicher Gewalt sind. Jetzt müsse das Bundesfrauenministerium unterstützend eingreifen, fordert sie.

Rund um die Uhr erreichbar

Auch Bundesfrauenministerin Franziska Giffey (SPD) befürchtet, dass die Gewalt gegen Frauen in den kommenden Wochen zunehmen wird. Sie betonte, dass betroffene Frauen aber ungeachtet der Ausgangsbeschränkungen jederzeit das Haus verlassen könnten, um Hilfe zu suchen. Ihr Ministerium werde außerdem dafür sorgen, dass das bundesweite Hilfetelefon weiter rund um die Uhr erreichbar sein werde.

Anlaufstellen für Gewaltopfer finden sich auch auf der Internetseite des bff, und natürlich seien die Frauenhäuser vor Ort immer Anlaufstelle. Trotz knapper Ressourcen verspricht Haller: "Wir finden eine Lösung."

Die Beratungsstellen appellieren auch an Nachbarn, Familie und Bekannte, derzeit besonders wachsam zu sein: "Wenn der Verdacht besteht, dass eine Frau Opfer häuslicher Gewalt ist, sollte man fragen, ob sie Hilfe benötigt", rät Haller. Wenn man unsicher ist: Das bundesweite Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen" berät auch Menschen, die Gewalt-Opfer unterstützen wollten.

Claudia Rometsch (epd)


Aktion Lichtblicke sammelt für Familien in Not in der Corona-Krise

Die Aktion Lichtblicke und die NRW-Lokalradios rufen zu Spenden für Familien mit Kindern auf, die durch die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise in eine existenziell bedrohliche Situation geraten sind. Zielgruppe seien etwa Alleinerziehende oder Familien mit Kindern, die bisher ihren Lebensunterhalt gut selbst bestreiten konnten, aber im Moment Kurzarbeit leisten müssen oder massive Einbußen als Selbstständige erleiden, teilte die Aktion Lichtblicke am 27. März in Oberhausen mit.

Hilfesuchende Familien mit Kindern können sich den Angaben zufolge per Mail an coronahilfe@lichtblicke.de mit Angabe von Name, Wohnort und Telefonnummer an das Lichtblicke-Büro wenden. Das Lichtblicke-Team werde sich dann mit den Betroffenen in Verbindung setzen und die Antragstellung besprechen. Spender können bei der Überweisung das Stichwort "Corona-Hilfe" im Textfeld vermerken, bei der Online-Spende gibt es auf dem Spendenformular eine neue Zeile "Corona-Hilfe", die angeklickt werden kann.

Die Aktion "Lichtblicke" wurde 1998 ins Leben gerufen und ist eine gemeinsame Spendenaktion der Radio NRW GmbH, des Verbandes Lokaler Rundfunk für die 45 Lokalradios in NRW sowie der kirchlichen Hilfswerke Diakonie und Caritas. Schirmherrin ist Susanne Laschet, Ehefrau des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Armin Laschet (CDU).



Corona-Krise: Essener Nonne gibt zehn Tipps gegen Lagerkoller

Eine 81-jährige Nonne des katholischen Frauen-Ordens "Maria in der Not" in Essen gibt Familien online Tipps gegen einen möglichen "Lagerkoller" in der Coronavirus-Zeit. Sinnvoll sei es, den Tagesablauf durchzuplanen, empfiehlt Priorin Schwester Renata in einem Beitrag auf der Internetseite des Ruhrbistums. Aufstehzeit, Mittagspause und Abendessen sollten festgelegt werden. Die Arbeit und Beschäftigung im Haushalt sollte dabei auf alle Familienmitglieder verbindlich aufgeteilt werden. "Sonst werden Sie träge und der Tag gleitet an Ihnen vorbei", erklärt die rüstige Seniorin, die seit über 50 Jahren hinter Klostermauern lebt.

Acht weitere Tipps hat die Nonne parat: Neben Sport in den eigenen vier Wänden wie Gymnastik und Yoga sollte täglich eine Lernstunde vereinbart werden, rät Schwester Renata. Während die Kinder ihre Schulaufgaben machen, sollten die Eltern etwa eine fremde Sprache oder ein Musikinstrument erlernen, schlägt sie vor. Auch eine Stunde, die jedes Familienmitglied bewusst allein erlebt, müsse weiter zum Tagesrhythmus gehören. Spielerunden, regelmäßige Spaziergänge in der Natur und gemeinsame Rückblicke am Abendbrot-Tisch tragen nach Meinung der Leiterin des Karmelitinnen-Klosters weiter zum guten Miteinander bei.

Es habe in ihrem Leben eine Zeit gegeben hat, "in der bin ich zehn Jahre nicht vor die Klostertür gekommen", erzählt sie. Die momentane Einschränkung des privaten und öffentlichen Lebens durch Kontakt-Verbote biete Raum zum Innehalten: "Nutzen Sie die Zeit der Abgeschiedenheit, um Rückschau auf Ihr Leben zu halten", schreibt Schwester Renata.



Saarland setzt Gebärdendolmetscher für Regierungserklärungen ein

Wegen der Corona-Pandemie soll nun ein Gebärdendolmetscher die Regierungsansprachen des saarländischen Ministerpräsidenten Tobias Hans (CDU) und der Minister begleiten. "Gehörlose und hörbehinderte Menschen bewegen sich in allen Lebensbereichen als Minderheiten in einer mehrheitlich hörenden Gesellschaft", sagte Gesundheitsministerin Monika Bachmann (CDU) am 25. März in Saarbrücken. Schriftsprache sei kein ausreichender Ersatz, da sie im Vergleich zum gesprochenen Wort umständlicher sei und nicht von allen mühelos beherrscht werde.




Medien & Kultur

Der Kulturlandschaft drohen irreparable Schäden


Karsten Meissner und Katerina Belkina
epd-bild/Rolf Zöllner
Freiberufler und Solo-Selbstständige kämpfen mit den finanziellen Folgen der Corona-Krise. Für Alleinstehende oder Familien aus der Kulturbranche kann die Pandemie in die Arbeitslosigkeit führen.

Karsten Meissner schaut, an welchen Stellen er noch sparen kann. Wegen der Corona-Pandemie sind Messen und Ausstellungen abgesagt worden. Galerien haben geschlossen. Das kommt für den Solo-Selbstständigen einem totalen Verdienstausfall gleich. In doppelter Hinsicht: Denn Meissner ist mit der bildenden Künstlerin Katerina Belkina verheiratet. Sie haben ein gemeinsames Kind. "Wir leben von der Kunst", sagt Meissner. Das Paar hat nicht nur Einnahmeausfälle, sondern auch bereits viel Geld für Material in Vorleistung ausgegeben, um Kunstwerke zu schaffen. "Als Künstler lebt man in riskantem Fahrwasser, aber die Situation jetzt ist wirklich dramatisch", sagt der Brandenburger Grafikdesigner und Kunstmanager.

Die Bestseller-Autorin Nina George ("Die Schönheit der Nacht") sieht den deutschen und europäischen Buchmarkt vor einer nie gekannten Herausforderung. Als Präsidentin des European Writers Council (EWC) vertritt sie rund 160.000 Kreative, die mit Sprache und Texten arbeiten. "Wenn wir uns den Bereich Kinder- und Jugendliteratur ansehen, machen dort Lesungen einen Großteil des Verdienstes für die Schriftsteller aus." Wenn bis zu drei Monate Veranstaltungen ausfallen, bedeute das Verluste pro Künstler von 6.000 bis 9.000 Euro. Wer jetzt ein neues Buch auf den Markt gebracht habe, sei "quasi unsichtbar".

Rentenvorsorge eingestellt

Mehr als zwei Millionen Menschen in Deutschland sind solo-selbstständig. Zu dieser Gruppe gehören in der Kultur- und Kreativwirtschaft Musiker, Autoren, Filmemacher, Maler, Architekten, Designer, Journalisten. Sie alle trifft die Verbreitung des Coronavirus hart, weil allerorts Veranstaltungen gestrichen werden, mit denen sie üblicherweise ihr Geld verdienen. Während in kleinen, mittleren oder großen Firmen Kurzarbeitergeld entlasten kann, müssen Solo-Selbstständige auf Ersparnisse zurückgreifen, sofern sie überhaupt welche haben.

In seiner Not hat Karsten Meissner bei der Künstlersozialkasse, der Sozialversicherung für freischaffende Künstler und Publizisten, sein Jahreseinkommen auf ein Minimum nach unten angepasst. Dadurch bezahlt er weniger für die Krankenversicherung. Seine Rentenvorsorge hat er erst einmal eingestellt. Er hofft, dass so genug Geld für Wohnen und Essen bleibt. Auch Maschinen müssen weiter abbezahlt, das Atelier gemietet werden. Etwa zwei Monate können sie so durchhalten, sagt Meissner. Er will nicht betteln, Kunst nicht zu Spottpreisen verramschen.

Bank stundet Kreditraten

Auch die Solo-Selbstständige Mareen Rüegg aus Cottbus macht sich Sorgen. Ihr Mann ist zwar angestellt und die Familie damit relativ gut abgesichert. "Aber die Studiomiete muss ich weitertragen, ohne dass ich etwas verdiene", sagt die freiberufliche Fotografin. Sie versucht dennoch, das Gute zu sehen: Ihre Bank hat ihr die Kreditraten gestundet. "Das hilft für den Moment", sagte die 40-jährige Existenzgründerin. Damit ihr Betrieb überleben kann, brauche sie jedoch aufgrund der Corona-Pandemie langfristige Unterstützung: reduzierte Miete, geringe Versicherungsbeiträge, ausgesetzte Einkommensteuer-Vorauszahlungen.

Kunstmanager Meissner hofft auf finanzielle Hilfe von der öffentlichen Hand. Er hat dazu im Internet Petitionen unterschrieben. Ein Kredit, auch zinslos, erscheint ihm für Solo-Selbstständige der Kultur- und Kreativwirtschaft wenig sinnvoll. "Wir wissen ja nicht, ob nach dem Abklingen der Gesundheitsgefahr drei Mal so viel Kunst gekauft wird wie vorher." Das müsste aber passieren, damit Kredite später abbezahlt werden können.

"Wenn wir nicht aufpassen, wird unsere Kulturlandschaft irreparabel amputiert", sagte Nina George dem Evangelischen Pressedienst (epd). Im schlimmsten Fall müssten etliche Kulturschaffende ihre Arbeit aufgeben und sich komplett umorientieren.

Insa van den Berg (epd)


Deutscher Kulturrat: Rettungspaket reicht noch nicht aus


Ingo Schulze
epd-bild/Dirk Löhr

Der Deutsche Kulturrat fordert weitere Maßnahmen, um Künstlern und Kreativwirtschaft das Überleben in der Corona-Krise zu ermöglichen. Zwar sei die erste Hürde genommen, erklärte Geschäftsführer Olaf Zimmermann mit Blick auf das am 25. März vom Bundestag verabschiedete Rettungspaket. Doch die Hilfen reichten nicht aus. Notwendig sei unter anderem ein nationaler Kulturförderfonds, sagte Zimmermann dem Evangelischen Pressedienst (epd). Das Geld dafür sei da.

Zufrieden sei er vor allem dort, wo es um die Nothilfe für Solo-Selbstständige geht. Sie sollen in drei Monaten 9.000 Euro bekommen können, außerdem sind Lockerungen bei der Grundsicherung und mehr Mieterschutz vorgesehen. Da sei ein "vernünftiges Paket" geschnürt worden, sagte Zimmermann: "Künstler werden in den nächsten drei Monaten zurechtkommen. Da bin ich sehr froh."

Zuschuss erhöhen

Das gelte aber mitnichten für Kulturbetriebe, auch nicht für die kleinen. Bei fünf Beschäftigten reiche ein Zuschuss von 9.000 Euro für drei Monate hinten und vorne nicht aus. Auch seien Kreditprogramme oder Kurzarbeit, auf die Unternehmen zurückgreifen könnten, für Kulturbetriebe meist keine Option. Der Bund müsse diese entlasten, indem er den Zuschuss zur Künstlersozialkasse auf 50 Prozent erhöhe, forderte Zimmermann. Bislang beträgt dieser Zuschuss 20 Prozent.

Noch wichtiger sei ein eigenständiger nationaler Kulturförderfonds. Es gehe ja nicht nur ums Überleben, sondern auch darum, nach der Krise weiterzumachen, sagte der Kulturrats-Geschäftsführer: "Kultur wird bedeutender werden." Sie müsse die gesellschaftlichen Fragen nach den Folgen der Corona-Krise aufgreifen. Entsprechende künstlerische Projekte und Ideen könnten durch den Fonds gefördert werden. Besonders die "Schnittstelle zwischen analog und digital" müsse künftig mitbedacht werden, sagte Zimmermann. "Jetzt sehen wir, wie wichtig es ist, das Digitale in der Kunst zu vermitteln. Ein Opernstream reicht da nicht."

"Geld ist da"

"Das Geld ist da", sagte Zimmermann zum Vorschlag eines Kulturförderfonds. Die Bundesregierung habe im Rettungspaket für alle Ressorts 60 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Der Bund könne die Fördermittel den Kultur-Stiftungen des Bundes oder der Länder zur Verfügung stellen, die sich dann praktisch um deren Verteilung kümmern würden. Wie viel Geld jedes Ressort tatsächlich erhält, ist demnach noch nicht entschieden.

Zur Kultur- und Kreativwirtschaft gehören nach Angaben des Kulturrates 256.000 Unternehmen. Daneben sind rund 600.000 selbstständige Künstler und Kreative in der Kulturbranche tätig; unter ihnen rund 340.000 sogenannte Mini-Selbständige mit einem Umsatz unter 17.500 Euro im Jahr.

Das Rettungspaket ging am Mittwoch im Eilverfahren durch den Bundestag. Es sieht rund 156 Milliarden Euro vor, um Maßnahmen zum Schutz von Gesundheitssystem, Betrieben und Bürgern zu finanzieren. Am Freitag will der Bundesrat die Gesetze zur Corona-Krise billigen.

epd-Gespräch: Renate Kortheuer-Schüring


Falk bietet mehr Online-Proben für "Betlehem-Musical"


Dieter Falk am Klavier
epd-bild/Heike Lyding

Aufgrund der großen Nachfrage auf seine Online-Probe für das Chormusical "Bethlehem" will der Musikproduzent Dieter Falk das virtuelle Musizieren jetzt zwei Mal die Woche anbieten. Jeweils dienstags und freitags werde er die Live-Proben vor seinem Computer aus seinem Studio in Düsseldorf leiten und die Zuschauer zum Mitsingen animieren, sagte Falk dem Evangelischen Pressedienst (epd). Bei der Premiere am 24. März hatten rund 25.000 Internetnutzer den Auftritt auf Facebook verfolgt. Etliche Singende hätten ihm zudem in Anschluss selbst gedrehte Videos von der Probe zugesandt.

"Mit einer solchen Resonanz hätten wir nicht gerechnet", betonte Falk, der mit dem Songschreiber Michael Kunze das Musical geschaffen hat. Die Proben beginnen jeweils dienstags und freitags um 19.30 Uhr und können auf dem Facebook-Profil "Singen Zuhause" verfolgt werden. Die Proben dauern etwa 20 Minuten: Im Mittelpunkt stehen die Refrains der Lieder. Falk spielt am Keyboard und singt den Text in verschiedenen Stimmlagen vor, anschließend können die Zuschauer nach- und mitsingen. Pro Probe werden jeweils zwei Songs aus dem 20 Lieder umfassenden Programm gespielt.

Große Resonanz

Das Angebot richtet sich laut Falk an alle Menschen, die Freude am Singen haben und eine Abwechslung in der gegenwärtigen Situation brauchen. Die Noten sind auf der Homepage www.singenzuhause.de zu finden. Zur ersten Probe hätten sie 650 Kommentare auf Facebook erhalten, sagte der Musikproduzent.

Das Chormusical "Bethlehem" soll am 5. Dezember im Düsseldorfer ISS Dome seine Premiere feiern. 2.500 Chorsängerinnen und -sänger haben sich dafür angemeldet. Die Proben sollten seit Anfang März laufen, wurden aber wegen der Corona-Pandemie ausgesetzt. Kooperationspartner des Projekts sind die Evangelische Kirche im Rheinland und die in Duisburg ansässige Kindernothilfe.

Noch weiß Dieter Falk wegen der aktuellen Einschränkungen im öffentlichen Leben nicht, ob die Uraufführung wie geplant stattfinden kann. Zunächst sollten die Chöre die Stücke einzelnen für sich üben, für den 16. August ist dann die erste gemeinsame Probe aller Sängerinnen und Sänger in der Grugahalle Essen vorgesehen. Sollte dieser Termin nicht zu halten sein, müsste die komplette Planung nach hinten geschoben werden, sagt Falk.

epd-Gespräch: Michael Bosse


Ruhrfestspiele fallen aus

Die Ruhrfestspiele 2020 fallen aus. Wegen der Corona-Pandemie müsse das Festival, das vom 1. Mai bis 13. Juni in Recklinghausen stattfinden sollte, abgesagt werden, teilte Intendant Olaf Kröck am 25. März mit und verwies auf infektionsschutzrechtliche Bestimmungen. Der Kreis Recklinghausen und die Stadt Recklinghausen gingen davon aus, dass die aktuellen Verordnungen des Landes Nordrhein-Westfalen auch über den 20. April hinaus weiter gelten dürften.

Zudem gebe es für die weiteren Vorbereitungen des umfangreichen nationalen und internationalen Festivalprogramms der 74. Ruhrfestspiele in der jetzigen Situation nicht die erforderliche Planungssicherheit, erläuterte der Intendant. Die derzeit erlassenen Bestimmungen zum internationalen Reiseverkehr, zu Grenzschließungen, zur Einschränkung der öffentlichen Versammlungsmöglichkeiten, zu Theaterschließungen und der Notwendigkeit der Beendigung des Probenbetriebes machten es unmöglich, die rund 90 Produktionen von 760 Künstlerinnen und Künstlern aus vier Kontinenten und 20 Ländern verlässlich vorzubereiten.

Erste Absage in über 70-jährigen Festivalgeschichte

Momentan werde geprüft, ob Teile des diesjährigen Programms in den Herbst verschoben werden könnten, erläuterte Kröck. "Außergewöhnliche Situationen verlangen nach außergewöhnlichen Maßnahmen." Eine Absage habe es in der langen Geschichte der Ruhrfestspiele bisher nicht gegeben. Die Ruhrfestspiele wurden vor über 70 Jahren unter dem Motto "Kunst gegen Kohle" gegründet. Hamburger Theaterleute waren im Winter 1946/47 ins Ruhrgebiet gereist, um Kohle für ihre Spielstätten zu besorgen. Nachdem die Bergleute halfen, die Kohle an der englischen Besatzung vorbei nach Hamburg zu schleusen, bedankten sich die Künstler mit Gastspielen.

Über den Stand der Entwicklung und einen möglichen Spielplan für den Herbst wollen die Ruhrfestspiele in den kommenden Wochen informieren. Angaben zur Rückgabe oder zum Umtausch bereits erworbener Eintrittskarten werden die Ruhrfestspiele in den kommenden Tagen auf ihrer Homepage veröffentlichen. Karteninhaber können den Veranstaltern zufolge ihre Karten kostenlos zurückgeben und erhalten den Gesamtbetrag erstattet. Eine Spende des Kartenpreises zugunsten der Festspiele ist möglich.



Autor Schulze hofft nach Corona auf solidarischere Gesellschaft


Ingo Schulze
epd-bild/Dirk Löhr

Der Schriftsteller Ingo Schulze hofft darauf, dass sich die Gesellschaft nach Corona solidarischer organisiert. Er habe grundsätzlich die Hoffnung, "dass das kapitalistische Wettbewerbsprinzip, wo es am Platz ist, eingesetzt wird, es aber nicht mehr als für jeden Lebensbereich anzuwendender geheiligter Mechanismus angesehen wird", sagte Schulze dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Erfurt. Im Gesundheitswesen zum Beispiel habe dieses Prinzip nichts zu suchen.

Der Autor nahm in Erfurt an der Aufzeichnung einer Lesung seines neuen Romans "Die rechtschaffenen Mörder" für das Internet teil. Das Buch war für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert. Wie seine Kollegen treffe auch ihn die Absage aller öffentlichen Auftritte, sagte Schulze. Dennoch dürfe er sich nicht beklagen. "Es gab bisher kein Buch von mir, auf das ich so viele und so schnelle Reaktionen erhielt. Es ist in dieser Woche ziemlich weit oben auf der Bestsellerliste, was mir auch noch nie passiert ist", sagte der 57-Jährige.

Verweis auf Verwerfungen im Osten

Schulzes Roman erzählt die fiktive Geschichte des Dresdner Antiquars Norbert Paulini. Paulini durchlebt die DDR, die politische Wende und die Zeit danach mit ihren Höhen und Tiefen - und wandelt sich dabei immer mehr zum Reaktionär. Trotz der Aktualität des Themas und den Parallelen zur Situation in Dresden ist der Roman für Schulze zunächst Literatur. Einige Leser täten sich aber mit der Fiktion schwer und bestünden auf Historizität, räumte er ein.

Den Erfolg der Rechtpopulisten gerade im Osten vermag Schulze nicht völlig erklären. Aber man könne Dinge auflisten, die diesen Erfolg begünstigten, so der Autor. So habe die schnelle Einführung der D-Mark zu ökonomischen, sozialen, aber natürlich auch biografischen Entwertungen geführt. "Das eigene Selbstverständnis findet sich ausgerechnet in dem Moment, da man freie Medien hat, nicht mehr in der Öffentlichkeit wieder", so Schulze. Verwerfungen in dieser Form habe es im Westen nie gegeben.

Zudem sei der Osten sehr bewusst von Rechtsextremisten als neues Gebiet ausgewählt worden. Die maßgebenden Führungskräfte und das Geld komme aus dem Westen. Wichtiger sei aber, dass Nationalisten und Rassisten den Osten positiv besetzen. "Da wird viel mit Halbwahrheiten gearbeitet, Richtiges steht neben äußerst kruden Dingen - etwa, dass hier die Deutschen noch deutscher, unverdorben von der Internationalisierung, sind", sagte Schulze. Unterm Strich komme stets heraus: Der Osten ist besser als der Westen. Da aber sonst der Osten unentwegt problematisiert werde und sich rechtfertigen müsse, horche man da erst mal auf.

epd-Gespräch: Dirk Löhr


Experte kritisiert gleichförmige Corona-Berichterstattung

Der Medienwissenschaftler Otfried Jarren kritisiert die Corona-Berichterstattung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens in Deutschland. "Die Chefredaktionen haben abgedankt", schreibt Jarren in einem Gastbeitrag für den Fachdienst epd medien. "Die für Talksendungen und Unterhaltung zuständigen Personen haben eine einfache Programmplanung: Corona." Die Inszenierung von Bedrohung und exekutiver Macht dominiere. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen lasse seit Wochen die immer gleichen Experten und Politiker auftreten und präsentiere diese als Krisenmanager.

Jarren bemängelt, es fehlten "alle Unterscheidungen, die zu treffen und nach den zu fragen wäre: Wer hat welche Expertise? Wer tritt in welcher Rolle auf? Was soll in welchem Format wem vermittelt werden?" Der TV-Journalismus betreibe fast täglich das gleiche Spiel. Nach den Nachrichtensendungen werde nach dem immer gleichen Schema weitergesendet: "Statements, aber keine Debatte zwischen Expertinnen und Experten. Und politische Statements kommen dazu."

"Eigenexperten unter sich"

Dabei kämen immer die gleichen Rollenträger vor, vielfach aus der gleichen Institution, schreibt der Wissenschaftler. Durch Bezug auf die immer gleichen Experten werde munter "Systemjournalismus" betrieben: "Exekutive, Experten und Journalistenkollegen als Eigenexperten unter sich." Der NDR falle hier durch eine "besondere Form der Hofberichterstattung" auf.

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk sei keine "kritische Infrastruktur", mahnt Jarren. "Wäre er es, würde er von staatlicher Seite eingehegt und bewacht werden müssen." Der öffentliche Rundfunk sei eine unabhängige gesellschaftliche Institution. "Unabhängigkeit und Kompetenz sind entscheidende Faktoren, wenn er nach diesen turbulenten Phasen als relevant erachtet werden möchte", schreibt der Medienwissenschaftler.

Jarren war bis Ende 2018 Professor am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung der Universität Zürich und ist Präsident der Eidgenössischen Medienkommission (EMEK) in der Schweiz.



Podcast beleuchtet Corona-Verschwörungstheorien

Unter dem Titel "Die 'Wahrheit' in Zeiten von Corona" hat die Bundeszentrale für politische Bildung einen neuen Podcast über Verschwörungstheorien und Mythen rund um das Coronavirus gestartet. Darin befasst sich der freie Journalist Axel Schröder mit den Inhalten der gängigsten Verschwörungstheorien, mit denen, die sie verbreiten und auch damit, wie man ihnen begegnen kann, wie die Behörde am 27. März in Bonn ankündigte. Alle Folgen könnten ab sofort auf Spotify und auf bpb.de angehört werden.

In den Sozialen Medien verbreiteten sich Behauptungen rasant, wie etwa, dass das Coronavirus eine Laborzüchtung der Chinesen oder eine Erfindung der Pharmalobby sei, hieß es. Youtube-Videos würden auf Whatsapp weitergeschickt, in Facebook-Kommentaren würden die neuesten angeblich unabhängigen Informationen geteilt.

In der ersten Folge des Podcasts spricht Schröder den Angaben zufolge über die am meisten verbreiteten Theorien und Handlungsstrategien dagegen mit Karolin Schwarz, der Gründerin von hoaxmap.org, und Jan Rathje von der Amadeu Antonio Stiftung. Die zweite Folge befasse sich mit den sozialpsychologischen Aspekten von Verschwörungstheorien. Zu Wort kommen die Sozialpsychologin Pia Lamberty und die Bloggerin Katharina Nocun.



Hass-Postings gegen Renate Künast waren teils Schmähkritik


Renate Künast (beim Stuttgarter Kirchentag 2015)
epd-bild/Thomas Lohnes
Die drastischen Hasspostings gegen Renate Künast waren teilweise strafbare Beleidigungen. Das hat das Berliner Kammergericht jetzt klar gestellt. Ein umstrittener Beschluss des Berliner Landgerichts wurde damit teilweise gekippt.

Die Grünen-Politikerin Renate Künast hat in der juristischen Auseinandersetzung um hasserfüllte und sexistische Beleidigungen einen weiteren Erfolg erzielt. Das Berliner Kammergericht revidierte in einem am 24. März veröffentlichten Beschluss teilweise ein Urteil des Berliner Landgerichts vom September 2019, das Online-Kommentare wie "Drecks Schwein", "Schlampe" und noch drastischere sexistische Ausdrücke zunächst als zulässige Meinungsäußerungen gewertet hatte. (10 W 13/20)

Der Beschluss des Berliner Landgerichts war damals deutschlandweit kritisiert worden. Bereits im Januar hatte das Berliner Landgericht sechs von insgesamt 22 Online-Kommentaren doch moniert und die Herausgabe von Nutzerdaten beschlossen. Das Berliner Kammergericht bewertete nun sechs weitere Kommentare als strafbare Beleidigungen und gestattete die Herausgabe der Nutzerdaten.

"Grenze der Meinungsäußerung überschritten"

In dem jetzt veröffentlichten Beschluss vom 11. März stellte das Kammergericht fest: "Die Äußerungen wiesen einen so massiven diffamierenden Gehalt auf, dass sie sich als Schmähkritik (...) einordnen ließen". Der Antragstellerin werde in den Kommentaren jede Würde abgesprochen. Zudem werde Künast "im Schutze der Anonymität des Internets zum Objekt frauenverachtender und entwürdigender obszöner Anwürfe gemacht".

Damit und "durch zügellose Beschimpfungen mittels besonders drastischer Begriffe aus dem Bereich der Fäkalsprache werde die Antragstellerin in einer so maßlos überzogenen Art und Weise attackiert, dass nur noch die persönliche Schmähung im Vordergrund steht und eine sachbezogene Auseinandersetzung völlig aus dem Blickfeld geraten sei", erklärten die Richter weiter. Bei solchen Diffamierungen werde ungeachtet des Anlasses der Entgleisungen "die weit gezogene Grenze zulässiger Meinungsäußerungen deutlich überschritten". Der Ausnahmetatbestand einer nicht mehr legitimierbaren Schmähkritik oder einer dieser gleichgestellten Formalbeleidigung sei damit erreicht.

Das Berliner Kammergericht erklärte, die Social-Media-Plattform müsse nun in den weiteren sechs Fällen Nutzernamen, E-Mail-Adresse und die IP-Adresse, die von dem Nutzer für das Hochladen der Online-Kommentare verwendet wurde, herausgeben. Früheren Berichten zufolge handelt es sich um Kommentare, die gegen Renate Künast auf Facebook veröffentlicht wurden.

Herabsetzung

"Im Übrigen hat das Kammergericht jedoch die Entscheidung des Landgerichts Berlin bestätigt und deshalb die weitergehende Beschwerde der Politikerin insoweit zurückgewiesen", hieß es mit Blick auf die übrigen zehn Online-Kommentare. Dabei verkenne das Gericht keineswegs, "dass es sich insoweit gleichfalls um erheblich ehrenrührige Bezeichnungen und Herabsetzungen der Antragstellerin handele". Der Straftatbestand der Beleidigung werde hier jedoch nicht überschritten.

Der Beschluss des Berliner Kammergerichts ist rechtskräftig. Eine Rechtsbeschwerde gegen die Entscheidung wurde nicht zugelassen, "da die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung habe, noch zur Rechtsfortbildung oder Sicherung einer einheitlichen Rechtssprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordere", erklärte das Kammergericht weiter.



Über vier Millionen Zuschauer sahen letzte "Lindenstraße"


Das "Lindenstraße"- Schild auf dem WDR-Gelände in Köln-Bocklemünd
epd-bild/ WDR/Steven Mahner
Das TV-Publikum hat der Kultserie "Lindenstraße" am 29. März die letzte Ehre erwiesen. 4,09 Millionen Zuschauer und ein Marktanteil von 13,3 Prozent lagen deutlich über dem zuletzt erreichten Schnitt. Die Kulissen der Serie wandern nun ins Museum.

Großes Interesse zum Serienfinale: 4,09 Millionen Zuschauer haben die letzte Folge der "Lindenstraße" im Ersten gesehen. Der Marktanteil lag bei 13,3 Prozent, wie die ARD am 30. März in München mitteilte. Zuletzt hatte die vom WDR produzierte Serie im Schnitt etwa zwei Millionen Zuschauer gehabt. Die Folge 1.758 mit dem Titel "Auf Wiedersehen" setzte nach einer Laufzeit von fast 35 Jahren den Schlusspunkt unter ein Stück Fernsehgeschichte. Team und Ensemble der "Lindenstraße" bedankten sich bei ihrem Publikum mit einer Text-Einblendung und eingespieltem Applaus vor dem Abspann.

Die Serie, die das Leben normalbürgerlicher Familien in einer Münchner Straße beobachtete, war am 8. Dezember 1985 gestartet und lief immer am frühen Sonntagabend. Den Absetzungsbeschluss hatte die ARD bereits Ende 2018 gefällt, zur Begründung wurden Sparzwänge und gesunkene Einschaltquoten genannt. In den späten 80er Jahren hatten regelmäßig mehr als zehn Millionen Zuschauer eingeschaltet.

"Mutter Beimer" blickt zum letzten Mal zurück

Die letzten Bilder der "Lindenstraße" zeigten die inzwischen 80-jährige Helga "Mutter" Beimer, wie sie auf das Häuserensemble der Straße blickt. Die von Marie-Luise Marjan gespielte Figur stand von Beginn an neben anderen im Zentrum der Serie. Das Finale bot nun die Versöhnung von Helga mit ihrer langjährigen Rivalin Anna Ziegler, die ihr vor 30 Jahren Hans "Hansemann" Beimer ausgespannt hatte. Zudem hatte Produzentin Hana Geißendörfer, Tochter des Serienschöpfers Hans W. Geißendörfer, erstmals einen Gastauftritt als neue Nachbarin der "Lindenstraßen"-Bewohner.

Das Thema Coronavirus kam in Form einer nachträglich hineingeschnittenen Radionachricht kurz vor. Die "Lindenstraße" hatte in ihrer langen Laufzeit immer wieder aktuelle Themen kurzfristig in bereits gedrehten Folgen untergebracht. Da die Kulissen in den WDR-Studios in Köln-Bocklemünd schon vor einiger Zeit abgebaut wurden, waren jetzt aber keine Nachdrehs mehr möglich.

Serien-Aus auch "Tagesschau"-Thema

Das Serien-Aus schaffte es am 29. März sogar in die 20-Uhr-Ausgabe der "Tagesschau". In dem Bericht hieß es: "Ein leises Ende mit Möglichkeiten für eine Wiederbelebung". Fans hoffen daher wieder auf eine Fortsetzung bei anderen Sendern oder Streamingdiensten. Hans W. Geißendörfer hatte dies im Dezember allerdings ausgeschlossen: "Die 'Lindenstraße' gehört zur ARD, und wenn es vorbei ist, ist es eben vorbei", sagte er.

"Weltspiegel"-Moderatorin Natalie Amiri twitterte nach der letzten Folge: "Nächste Woche werde ich dann zum ersten Mal anmoderieren, ohne diese Melodie am Ende der Serie, die wir seit Jahrzehnten kennen, gehört zu haben." In Zukunft hat das Erste am frühen Sonntagabend ein anderes Programmschema. Von den 30 Minuten, die durch das Ende der "Lindenstraße" frei werden, erhält die "Sportschau" 20 obendrauf und läuft dann von 18.30 Uhr bis 19.20 Uhr. Je fünf Minuten gehen an eine kurze "Tagesschau"-Ausgabe um 18 Uhr und an den "Bericht aus Berlin", der ab 18.05 Uhr leicht verlängert laufen wird. Der "Weltspiegel" behält seinen Platz um 19.20 Uhr.

Die Kulissen und Requisiten der "Lindenstraße" werden jetzt in verschiedenen Ausstellungshäusern gezeigt. Die berühmte Küche von Helga Beimer und die Bushaltestelle Lindenstraße/Kastanienstraße sind künftig im Haus der Geschichte in Bonn zu sehen. Im Technik Museum Speyer, das bereits ein kleines "Lindenstraßen"-Zimmer hat, werden unter anderem das Restaurant "Akropolis" und das "Café Bayer" aufgestellt.

Michael Ridder (epd)


Kino im Netz


Kino Colosseum im Prenzlauer Berg in Berlin.
epd-bild/Rolf Zöllner
Abgesagte Filmstarts und Festivals, verschlossene Kinosäle: Die Corona-Pandemie hat auch die Filmbranche hart erwischt. Doch Not macht erfinderisch, und so entstehen neue Angebote im Netz.

Mit den Filmen, die in nächster Zeit in den Kinos starten sollten, fing es an. Daniel Craigs letzter geplanter Leinwandauftritt im April als Agent 007 in "Keine Zeit zu sterben" war einer der ersten von vielen weiteren verschobenen Kinostarts - er soll jetzt im Herbst an den Start gehen. Später mussten sich auch Disney-Fans, die mit Spannung auf die Neuverfilmung des Zeichentrickklassikers "Mulan" warteten, gedulden. Und dann ging es Schlag auf Schlag: Die beiden bei der Berlinale aufgeführten Filme "Undine" und "Berlin Alexanderplatz" wurden ebenfalls verschoben. Als dann die ersten Kinos vor zwei Wochen schließen mussten, war klar: Das Corona-Virus hat auch die Filmszene im Würgegriff.

Davon sind natürlich auch die Filmfestivals betroffen, denn das Frühjahr ist Festivalzeit. Sie müssen ihre Veranstaltungen neu aufstellen oder im schlimmsten Fall absagen. Beispielsweise fallen beliebte Festivals wie Crossing Europe in Linz oder auch das Filmkunstfest in Mecklenburg-Vorpommern dieses Jahr aus. Viele Veranstalter versuchen weiterhin Ausweichtermine zu finden. Das betrifft selbst Cannes, das wichtigste Filmfestival der Welt, das jährlich Mitte Mai stattfindet: Es ist abgesagt, aber das Festival-Team denkt darüber nach, es auf den Frühsommer zu verlegen.

Onlinefestivals

Eine Alternative zur Verschiebung oder Absage sehen einige Festivals in der Form einer digitalen Ausgabe. Die Festivalteilnehmerinnen und -teilnehmer streamen von zu Hause. So sollen Teile des Programms des Internationalen Trickfilm Festivals Stuttgart oder des DOK.fests in München nun online aufgeführt werden. "Wir wollen mit dem Onlinefestival ein Zeichen setzen, dass die Kultur ein wichtiger Aspekt unseres gesellschaftlichen Austauschs und Zusammenhalts ist und unbedingt weiter stattfinden muss, wenn aktuell auch in anderer Form", sagt der Leiter des Münchner DOK.fests, Daniel Sponsel.

Natürlich profitieren in diesen Tagen Streamingdienste wie Netflix und Amazon Prime von der Kinokrise. Sie verzeichnen einen besonderen großen Andrang. Um eine Überbelastung zu vermeiden, drosseln die meisten Streamingdienste inzwischen die Datenübertragungsrate, um ein stabiles Netz zu gewährleisten. Am 24. März ging unterdessen, wie bereits lange geplant, Disney mit seinem hauseigenen Video-on-Demand-Dienst Disney+ in Deutschland und vielen weiteren europäischen Ländern an den Start. Das Produktionsstudio Universal will zudem seine Neuerscheinungen im digitalen Verleih anbieten.

Hilfe für unabhängige Kinos

Schwer zu kämpfen haben in der Corona-Krise besonders die kleinen, unabhängigen Kinos, für die eine mehrwöchige Schließung das Aus bedeuten könnte. Für sie hat sich der Verleih Grandfilm eine Alternative ausgedacht: Er bietet seine Filme, etwa "Zama", im Netz an - und die Hälfte des Erlöses geht an die gebeutelten Independent-Kinos. Zu denen gehören etwa das FSK in Berlin, das Karlstor Kino in Heidelberg oder das Cinema Quadrat in Mannheim. Auch der Verleih Eksystent Distribution will auf den für April geplanten Start seines Films "Isadoras Kinder", der immerhin das Festival von Locarno gewann, nicht verzichten und bietet ihn auf der Seite "www.kino-on-demand.com" an, zum Preis eines Kino-Tickets.

Die neueste Initiative im Kinobereich ist ein Zusammenschluss von Programmkinos in Berlin zu einer Crowdfunding-Kampagne auf dem Portal Startnext. Die über die Kampagne erzielten Einnahmen sollen an die teilnehmenden Programmkinos verteilt werden, die ja trotz des Kino-Shutdowns weiterhin ihre Fixkosten wie Miete bezahlen müssen.

Die Spitzenorganisation der deutschen Filmwirtschaft (SPIO) drängte in einem Schreiben an die Filmförderungsanstalt (FFA) auf Sofortmaßnahmen, um wirtschaftliche Schäden so weit wie möglich einzudämmen. Denn die globale Verbreitung des Coronavirus sorgt auch für Stopps von Dreharbeiten und Produktionen. Die FFA legte inzwischen gemeinsam mit Förderern auf Bundes- und Länderebene ein Maßnahmepaket für die deutsche Film- und Kinowirtschaft auf. Die Bundesregierung stellte einen Hilfsfonds zusammen, speziell für Solo- und Kleinstunternehmen. Ob das alle Betroffenen der Krise retten kann, wird sich zeigen. Die gute Nachricht aus China lautet: Einige Kinos spielen wieder.

Lisa Le Anh (epd)


Operation Hinkelstein: Asterix-Zeichner Uderzo ist tot


Uderzos Asterix 2017 vor der Frankfurter Buchmesse
epd-bild/Heike Lyding
Albert Uderzo erfand zusammen mit René Goscinny die legendären Comic-Helden Asterix und Obelix. Nun starb der französische Zeichner im Alter von 92 Jahren.

Alles musste ganz schnell gehen: Als Albert Uderzo und sein Kollege René Goscinny 1959 eine Comic-Serie für die französische Jugendzeitschrift "Pilote" entwerfen sollten, standen sie enorm unter Zeitdruck. Der Auftrag: einen französischen Helden erfinden, der sich von den US-Comics abgrenzt. "In einer Viertelstunde entwickelten wir fast alle Charaktere", erzählte Uderzo später. Die legendären Comic-Helden Asterix und Obelix waren geboren und mit ihnen das unbeugsame gallische Dorf, das den Römern Widerstand leistet. Uderzo starb am 24. März im Alter von 92 Jahren in seinem Haus in Neuilly an einem Herzinfarkt.

Während Goscinny für die Asterix-Comics die Geschichten und Texte entwarf, zeichnete Uderzo die Figuren mit den charakteristischen Knollennasen: den kleinen Helden Asterix mit dem geflügelten Helm und dessen dicken Freund Obelix, der meist einen Hinkelstein mit sich herumschleppt, Wildschweine verspeist und von seinem Hündchen Idefix begleitet wird.

Klare Gestik und Mimik

Charakteristisch für Uderzos Werk seien die runden Formen sowie die klare Gestik und Mimik seiner Figuren, sagte Comic-Experte Markus Engelns von der Universität Duisburg-Essen. Typisch sei auch sein karikaturistischer Stil, mit dem er Prominente in die Geschichten eingearbeitet habe. So etwa den James-Bond-Darsteller Sean Connery, der im Band "Die Odyssee" als Spion "Nullnullsix" auftaucht.

Uderzo kam 1927 in Fismes bei Reims zur Welt. Großes Vorbild waren für ihn in jungen Jahren Disney-Figuren wie Micky Maus und Donald Duck. Sein Metier lernte er weitgehend autodidaktisch. Anleitung holte Uderzo sich von älteren Zeichnern wie zum Beispiel Edmond-François Calvo, dem er beim Zeichnen zuschauen durfte.

In den 50er Jahren machte er sich dann selbst als Zeichner einen Namen: Da waren der unverwundbare Ritter "Belloy", die Piraten-Serie "Pistolet", der reisende Reporter "Luc Junior" und das junge, lustige Paar "Benjamin et Benjamine". Daneben arbeitete Uderzo mit Jean-Michel Charlier an der Serie "Die Abenteuer von Tanguy und Laverdure" um zwei Kampfpiloten. Zusammen mit Goscinny erfand Uderzo 1958 zunächst den Comic-Helden "Oumpah-Pah", einen Indianer.

370 Millionen Exemplare

Der große Durchbruch kam aber erst mit "Asterix". Ermutigt von dem Erfolg der 1959 gestarteten Serie legten Uderzo und Goscinny 1961 ein erstes Album mit 6.000 Exemplaren auf. Der zweite Band, "Die goldene Sichel", erschien dann schon mit 20.000 Heften. Mittlerweile wurden von 36 Bänden rund 370 Millionen Exemplare in mehr als 100 Sprachen und Dialekten verkauft.

1977 jedoch starb Goscinny mit 51 Jahren unerwartet an einem Herzinfarkt. "Das war sehr hart für mich. Sein Verlust hat mich tief getroffen", erinnerte sich Uderzo. Eigentlich habe er danach mit Asterix aufhören wollen. Zwei Jahre lang stellte er die Arbeit ein. "Aber meine Leser waren damit nicht einverstanden", sagte er.

Er versuchte, Goscinny zu ersetzen und schrieb auch die Texte. Die neuen Bände erschienen nun in seinem eigenen Verlag Éditions Albert René, an dem auch die Familie Goscinny beteiligt war. Uderzo erntete Kritik, weil er nicht die Qualität von Goscinnys Erzählkunst erreicht habe. Dem Erfolg der Serie tat das jedoch keinen Abbruch.

"Uderzos Verdienst ist es, dass er das Cartoonhafte und Komische für breite Bevölkerungsschichten salonfähig gemacht hat", urteilte Comic-Experte Engelns. Zu den Asterix-Heften griffen auch Leser mit höherer Bildung, die Comics zuvor eher gemieden hatten.

An Nachfolger übergeben

Vor rund zehn Jahren begann Uderzo, sich nach und nach aus dem Geschäft zurückzuziehen. 2007 entzog er seiner Tochter Sylvie die Geschäftsführung der Éditions Albert René und verkaufte ein Jahr später seine Anteile am Verlag gemeinsam mit Goscinnys Tochter an Hachette. Das führte zum Zerwürfnis und jahrelangen Rechtsstreitigkeiten mit seiner Tochter, die ebenfalls Anteile an dem Verlag hielt. Erst 2014 versöhnten sich Vater und Tochter wieder.

Mit Mitte 80 fiel Uderzo das Zeichnen wegen Problemen mit seiner rechten Hand zunehmend schwerer. Deshalb übergab er die Arbeit an der Serie vor rund sechs Jahren an ein Nachfolger-Duo: den Texter Jean-Yves Ferri und den Zeichner Didier Conrad. Die jüngsten vier Asterix-Bände gehen auf ihr Konto und wurden von der Kritik positiv aufgenommen.

Nach dem Anschlag auf die französische Satire-Zeitschrift "Charlie Hebdo" allerdings griff Uderzo Anfang 2015 noch einmal zum Zeichenstift: Asterix geht vor Wut auf die Attentäter in die Luft und erklärt "Ich bin auch ein Charlie."

Auf die Arbeit seiner Nachfolger bei "Asterix und Obelix" hatte Uderzo auch später nach wie vor ein Auge: "Ich werde weitermachen und kontrollieren, was mit Asterix geschieht, solange ich lebe und gesund bin", sagte er.

Claudia Rometsch (epd)


Landschaftsverband bietet digitale Kultur gegen "Corona-Koller"

Die Museen und Kultureinrichtungen des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) bauen in Zeiten der Corona-Krise ihr Online-Angebot aus. Auf der neuen Homepage www.kultur-digital.lwl.org ist ein breites Spektrum an digitalen Formaten zusammengestellt worden, wie der Landschaftsverband am 26. März in Münster mitteilte. Die Angebote reichen von virtuellen Rundgängen durch Ausstellungen der 18 LWL-Museen und Kurzvideos zu einzelnen Exponaten über eine Podcast-Reihe mit historischen Themen bis hin zu Unterrichtsmaterialien für Schülerinnen und Schüler. Auch der Gratis-Download sonst kostenpflichtiger Filme ist demnach möglich. Die inklusiv gestaltete Interseite wird täglich erweitert.

Die Kultureinrichtungen des LWL sind zudem in den sozialen Medien aktiv. Das LWL-Industriemuseum mit seinen acht Standorten in Westfalen und Lippe stellt etwa auf Facebook regelmäßig Objekte aus der Sammlung vor. Rätsel und Basteltipps sollen folgen. Auf der Instagram-Seite des Industriemuseum Textilwerk in Bocholt ist regelmäßig "Quiztime". Virtuelle Besucher des Archäologiemuseums in Herne und des Museums in der Kaiserpfalz in Paderborn können sich mit Feedback und eigenen Ideen an der künftigen Programmgestaltung einbringen.

Mit Legionär M. Crassus Fenestela auf Zeitreise

Das LWL-Römersmuseum in Haltern am See gewährt auf seinem Youtube-Kanal einen Blick hinter die Kulissen. In der Video-Serie "Römer allein zu Haus" reist der römische Legionär M. Crassus Fenestela per Zeitreise in die heutige Zeit und erkundet das verwaiste Museum, das wie so viele öffentliche Einrichtungen in Deutschland wegen der Corona-Pandemie vorerst bis zum 20. April geschlossen bleiben muss.

Das LWL-Freilichtmuseum Detmold, das am 1. April eigentlich in die neue Saison starten würde, präsentiert die Jahresausstellung 2020 "Erzähl mir was vom Pferd!" vorerst online auf seiner Homepage. Für Menschen mit Sehbehinderung wurden Hörstücke entwickelt, die die einzelnen Fotografien szenisch beschreiben.

Auch das LWL-Museum für Kunst und Kultur in Münster zeigt erstmals eine Ausstellung zuerst im Internet, wie es weiter hieß. Eine Sonderschau zum Werk des belgischen Künstlers Karel Dierickx (1940-2014) startet am Freitag mit einem Kuratorengespräch live auf Instagram. Museumsleiter Hermann Arnhold und Kuratorin Luisa Walter stellen sich dann ab 18 Uhr den Fragen der Nutzer.



Grimme-Preis soll im August in Marl verliehen werden

Der Grimme-Preis soll voraussichtlich am 21. August in Marl verliehen werden. Die Direktorin des Grimme-Instituts, Frauke Gerlach, sagte am 25. März dem epd, Anfang Juli werde das Institut noch einmal gemeinsam mit der Stadt Marl prüfen, ob die Preisverleihung in gewohnter Weise stattfinden kann. Der Preis hätte ursprünglich am 27. März überreicht werden sollen, wegen der Corona-Epidemie hatte das Grimme-Institut am 11. März die Gala abgesagt.

Der undotierte Grimme-Preis, der in diesem Jahr zum 56. Mal vergeben wird, gilt als wichtigster deutscher Fernsehpreis. Die Auszeichnung wurde 1961 auf Initiative des Bildungsexperten Bert Donnepp vom Deutschen Volkshochschul-Verband gestiftet und 1964 erstmals verliehen. Die Ehrung ist nach Adolf Grimme benannt, der von 1948 bis 1956 Generaldirektor des damaligen Nordwestdeutschen Rundfunks (NWDR) war. Die diesjährigen Preisträger wurden am 3. März bekanntgegeben.



Stiftung Saarländischer Kulturbesitz bietet Angebote im Internet

Die Stiftung Saarländischer Kulturbesitz bietet wegen der Corona-Pandemie kurze Text- und Videobeiträge zu ihren Museen und Kunstwerken bei Facebook und Instagram. Unter Hashtags wie #museumathome oder #kunstinquarantäne präsentierten die Moderne Galerie und die Alte Sammlung des Saarlandmuseums, das Museum für Vor- und Frühgeschichte sowie das Deutsche Zeitungsmuseum ihre Angebote, teilte die Stiftung am 25. März in Saarbrücken mit. Die Beiträge ständen unter den Titeln "Grüße aus dem Depot", "Museum in Zahlen", "Kunstwerk des Tages", "Lieblingsstücke", "Hinter den Kulissen", "Kunst kurz erklärt" oder "Atelier to Go".




Entwicklung

Zwischen Verschwörungstheorien und tödlicher Ignoranz


Jair Bolsonaro (bei seiner Vereidigung im Januar 2019)
epd-bild/Alberto Veiga
Obwohl es in Brasilien schon Dutzende Todesopfer gibt, verharmlost Präsident Bolsonaro konsequent die Corona-Krise. Die Leidtragenden sind vor allem die Bewohner in den Armenvierteln.

Jeden Abend um acht reißen die Brasilianer ihre Fenster auf und schlagen auf Pfannen und Töpfe. Mit Rufen wie "Lügner" und "Bolsonaro weg" machen sie ihrer Wut gegen ihren Präsidenten Luft. Denn der rechtsextreme Politiker leugnet noch immer die Gefahr durch die Corona-Pandemie. Stattdessen wettert Jair Bolsonaro im Fernsehen gegen die Hysterie der Medien, die die "kleine Grippe" zu einer Bedrohung aufbauschten. "Warum also die Schulen schließen", sagte er. "Wir müssen zur Normalität zurückkehren."

Bis zum 25. März hatten sich in Brasilien offiziell etwa 2.500 Menschen mit Covid-19 infiziert, 57 Patienten sind gestorben. Die Zahlen könnten jedoch bald rapide steigen. Das staatliche Gesundheitswesen steht auch ohne Corona-Patienten vor den Kollaps. Es fehlt an Desinfektionsmitteln und Schutzkleidung. Auf 100.000 Einwohner kommen drei Beatmungsgeräte.

Zwei-Klassen-Epidemie

Schon jetzt befürchten Experten eine Zwei-Klassen-Epidemie. Die ersten Fälle von Covid-19-Infektionen tauchten bei Rückkehrern aus Italien auf oder bei Menschen, die mit ihnen Kontakt hatten. Das erste Todesopfer des Landes war jedoch die Hausangestellte einer Italien-Urlauberin aus der Oberschicht in Rio de Janeiro.

Wenn sich das Virus in den Armenvierteln und in der dicht besiedelten Peripherie der Großstädte ausbreitet, ist es nicht mehr zu stoppen. In den Armenvierteln von Rio und São Paulo ist die Angst groß. Oft wohnen vier oder mehr Menschen in einem Raum eng beieinander. Erkrankungen wie Tuberkulose oder unbehandelter Bluthochdruck und Diabetes seien dort weit verbreitet, sagt der Mediziner Mário Roberto Dal Pol von der Staatlichen Universität in Rio de Janeiro (UERJ). "Damit sind die Auswirkungen für diese Menschen sehr viel schlimmer, die Tragödie kann sehr groß sein."

Ureinwohner besonders bedroht

Ebenfalls besonders bedroht sind Ureinwohner in den Schutzgebieten. Sie sind für Infektionskrankheiten besonders anfällig. Der Indianermissionsrat Cimi meldet bereits erste Corona-Fälle im Amazonasgebiet. Nordamerikanische evangelikale Prediger versuchten in die Schutzgebiete vorzudringen, was eine zusätzliche Gefahr für die Menschen bedeute.

Aus Angst vor einer massiven Ausbreitung des Virus haben die Drogengangs in Rios Favelas noch vor der Regierung die Initiative ergriffen und eine Ausgangssperre verhängt, verbunden mit einer unverhohlenen Botschaft für alle, die sich dagegen auflehnen. "Wenn die Regierung nicht in der Lage ist, das Problem anzugehen, wird es das organisierte Verbrechen lösen", hieß es in der Nachricht an die Bewohner. Mehr als die Hälfte der Bewohner der 6,3-Millionen-Metropole leben in Armenvierteln.

"Krimineller Opportunismus"

Während Präsident Bolsonaro Verschwörungstheorien verbreitet, haben die Gouverneure von Bundesstaaten wie São Paulo und Rio de Janeiro drastische Maßnahmen beschlossen und eine 14-tägige Quarantäne verhängt. 22 der 27 Gouverneure koordinieren sich inzwischen unabhängig von der Zentralregierung. In São Paulo werden Messezentren und Fußballstadien zu provisorischen Hospitälern umgewandelt. In Rio sind die Strände gesperrt und leer. Überall patrouillieren Polizei und Militär.

Der Machtkampf zwischen den Gouverneuren und Bolsonaro wird offen ausgefochten. Bolsonaro verlangt von den Gouverneuren, Geschäfte und Kirchen zu öffnen. Er macht seine Gegner für den Verlust von Arbeitsplätzen und eine Verschärfung der ökonomischen Krise im Land verantwortlich. Sein Kalkül ist dabei eindeutig, wie der Politikwissenschaftler Luiz Eduardo Soares sagt. "Er hat die Verantwortung in dieser extremen Krise an die Gouverneure abgegeben. Wenn das Volk leidet und hungert, hat er keine Verantwortung", sagt Soares. "Er spielt sich als Beschützer des Volkes auf und zeigt einen geradezu kriminellen Opportunismus."

Bolsonaro verliert auch in der eigenen Regierung und vor allem bei einem seiner bislang engsten Verbündeten den Rückhalt - dem Militär. Der Kampf gegen das Coronavirus sei die "größte Mission unserer Generation", erklärte der Oberbefehlshaber des brasilianischen Militärs, General Edson Pujol. Das Militär hilft bereits jetzt den Bundesstaaten im Kampf gegen die Pandemie. Auch Gesundheitsminister Luiz Henrique Mandetta, der als kompetent gilt, wurde von Bolsonaro mehrfach aufgefordert, sich an seine politische Linie zu halten. Medien spekulieren inzwischen, wie lange es dauert, bis Mandetta seinen Rücktritt einreicht.

Susann Kreutzmann (epd)


Corona: UN wollen zwei Milliarden Dollar für die Ärmsten

Die Corona-Pandemie dringt in alle Ecken der Welt vor. Besonders in den Krisen- und Konfliktländern sind viele Menschen der Infektionsgefahr schutzlos ausgeliefert.

Die Vereinten Nationen wollen mit einem globalen Nothilfeplan Millionen bedürftige Menschen in Krisenländern vor der eskalierenden Corona-Pandemie schützen. Die hochansteckende Infektionskrankheit COVID-19 sei eine Bedrohung für die gesamte Menschheit, warnte UN-Generalsekretär António Guterres am 25. März in New York. Die gesamte Menschheit müsse dagegen ankämpfen.

Guterres stellte einen weltweiten Nothilfeaufruf vor. Die UN bräuchten mehr als zwei Milliarden US-Dollar (1,85 Milliarden Euro) zur Eindämmung der Infektion in 51 Ländern in Südamerika, Afrika, dem Nahen Osten und Asien: Von Haiti über Südsudan bis Afghanistan.

Mit dem Geld wollten die UN die Ausstattung für Labore zur Diagnose des Virus sowie medizinische Hilfsgüter bereitstellen und Anlagen zum Händewaschen in Flüchtlingscamps und Siedlungen installieren. Informationskampagnen sollen starten und Luftbrücken und Logistikzentren in Afrika, Asien und Lateinamerika eingerichtet werden, um humanitäre Helfer und Güter dorthin zu bringen, wo sie am dringendsten benötigt werden.

"Grausam und unklug"

Guterres forderte die Mitgliedsländer der Vereinten Nationen auf, den neuen Corona-Fonds schnell und großzügig zu finanzieren. Gleichzeitig sollten sie die Finanzierung laufender humanitärer Hilfsprogramme fortsetzen. Bis zum Vormittag des 30. März belief sich die Zahl der weltweit bestätigten Corona-Fälle laut der US-amerikanischen Johns Hopkins Universität auf gut 720.000. 34.000 Infizierte sind demnach gestorben.

UN-Nothilfekoordinator Mark Lowcock betonte: "Die ärmsten und besonders gefährdeten Menschen ihrem Schicksal zu überlassen, wäre nicht nur grausam, sondern auch unklug." Ganze Regionen würden ins Chaos gestürzt und das Virus könnte sich erneut rund um den Globus ausbreiten.

Die Exekutivdirektorin des UN-Kinderhilfswerkes Unicef, Henrietta Fore, bezeichnete die Mädchen und Jungen als die "versteckten Opfer" der Pandemie. Sie schaue mit Sorge auf die Folgen für deren Gesundheit, Entwicklung, Bildung und Perspektiven. Die Lehreinrichtungen von mehr als der Hälfte aller Schüler und Studierenden seien im Zuge der Pandemie geschlossen worden.

Füllkrug-Weitzel: Fonds ausreichend ausstatten

Cornelia Füllkrug-Weitzel, Präsidentin von "Brot für die Welt", rief dazu auf, den Fonds ausreichend auszustatten. Die Infektionsgefahr sei für schutzlose Menschen, etwa in Flüchtlingslagern in Myanmar, in Kenia, in Syrien und auf Lesbos besonders groß, sagte sie. Auch Indigene von Brasilien bis Papua-Neuguinea sowie Slumbewohner in Asien, Afrika und Südamerika seien bedroht.

"Die Corona-Krise trifft ärmere Länder besonders hart, denn schon ohne eine Epidemie sind sie kaum in der Lage, Menschen mit Infektionen oder chronischen Erkrankungen zu versorgen", betonte Füllkrug-Weitzel.

Die UN wollen die Programme gegen die Corona-Pandemie mit Hilfsorganisationen und Partnern umsetzen. Sie sollen zunächst bis Dezember dauern. Die finanzielle Ausstattung von rund zwei Milliarden Dollar müsse möglicherweise aufgestockt werden.



Bundesregierung soll armen Ländern rasch Schulden erlassen

Das entwicklungspolitische Bündnis Erlassjahr.de hat die Bundesregierung aufgerufen, das von Internationalem Währungsfonds (IWF) und Weltbank geforderte Schuldenmoratorium für arme Länder "unverzüglich und unbürokratisch" umzusetzen. Ein Verzicht auf den jetzt anstehenden Schuldendienst mache in den Ländern vor Ort vorhandene Mittel für die Bekämpfung des Coronavirus und seiner Folgen frei, sagte die politische Referentin der Organisation, Kristina Rehbein, am 26. März in Düsseldorf.

"Wir haben in Europa lernen müssen, dass jeder Tag Verzögerung nicht nur Leben kostet, sondern die letztlich unvermeidlichen Maßnahmen viel teurer macht als nötig", erklärte sie. Zugleich forderte die Referentin, dass sich auch IWF und Weltbank selbst zu einem Verzicht auf Schuldenrückzahlungen bereiterklären müssten. "Ihr Appell an bilaterale Gläubiger würde dadurch glaubwürdiger", betonte Rehbein. Zum anderen solle das Moratorium für den Schuldendienst nicht nur für die etwa 70 armen Länder gelten, die von der Weltbank besonders günstige IDA-Kredite erhalten haben.

4,1 Milliarden Euro

Wegen der Corona-Pandemie hatten Weltbank und IWF zu Schuldenerleichterungen für die ärmsten Länder der Welt aufgerufen. Zinszahlungen und Tilgungsraten sollten mit sofortiger Wirkung ausgesetzt werden, wenn ein Land darum bitte, appellierten die beiden Institutionen an alle Gläubigerländer. Laut Erlassjahr.de hält Deutschland derzeit im Rahmen der IDA-Kredite Forderungen an 21 Länder in Höhe von insgesamt 4,1 Milliarden Euro. Die größten Schuldner der Bundesrepublik sind Pakistan, Simbabwe, Myanmar, Kenia und Ghana.



Fünf Jahre Jemen-Krieg: Hilfswerke fordern Ende der Gewalt

Am 26. März 2015 begann der Krieg im Jemen. Gewalt, Hunger und eine Cholera-Epidemie lösten eine humanitäre Katastrophe aus. Die Menschen sind geschwächt und daher besonders anfällig, durch das Coronavirus schwer zu erkranken.

Fünf Jahre nach Beginn des Jemen-Kriegs beklagen Hilfswerke verheerende Auswirkungen der Gewalt. Die humanitäre Not mache die Bevölkerung besonders anfällig für schwer oder tödlich verlaufende COVID-19-Erkrankungen, warnte die Entwicklungsorganisation Oxfam am 24. März in Berlin. Im Jemen treffe die Corona-Pandemie auf eine von Krieg und Krankheit geschwächte Bevölkerung. Die Grenzschließungen verhinderten zudem, dass genug Hilfe komme.

Am 26. März jährte sich der Beginn des Jemen-Krieges zum fünften Mal. Oxfam und weitere Hilfswerke fordern von den Kriegsparteien einen sofortigen Waffenstillstand und die Rückkehr zu Friedensverhandlungen. Im Durchschnitt der vergangenen fünf Jahre seien pro Stunde mehr als 50 Cholera-Verdachtsfälle gemeldet worden, insgesamt 2,3 Millionen, erklärte Oxfam. Da die Regenzeit im April beginnt, wird eine Zunahme befürchtet. Zehn Millionen Menschen, rund ein Drittel der Bevölkerung, müssten hungern. Die Hälfte der Gesundheitszentren seien zerstört oder beschädigt.

"Angst, Trauer und Verlust"

Die Kinder im Jemen haben laut Helfern durch den Krieg schwere psychische Schäden erlitten. "Angst, Trauer und Verlust - diese Gefühle bestimmen nach einem halben Jahrzehnt Krieg eine Kindheit im Jemen", erklärte die Vorstandsvorsitzende von "Save the Children" Deutschland, Susanna Krüger. Mehr als die Hälfte der Mädchen und Jungen zeigten einer Studie zufolge Anzeichen einer Depression, fast jedes fünfte Kind habe ständig Angst.

Seit Dezember 2017 wurden dem Kinderhilfswerk zufolge mindestens 2.047 Mädchen und Jungen getötet oder verstümmelt. Die Ernährungslage von 10,3 Millionen Kindern sei unsicher, 2,1 Millionen von ihnen seien akut unterernährt. Wegen der schlechten Lebensbedingungen und Gesundheitsversorgung seien in den vergangenen drei Jahren 1,2 Millionen Kinder an Cholera, Diphtherie oder Dengue-Fieber erkrankt.

Im Jemen kämpfen die Regierung und eine Militärkoalition unter Führung von Saudi-Arabien gegen die Huthi-Rebellen, die vom Iran unterstützt werden. 80 Prozent der rund 30 Millionen Jemeniten brauchen humanitäre Hilfe und Schutz. Die UN bezeichnen den Konflikt derzeit als die größte humanitäre Krise weltweit, mehr als 10.000 Menschen wurden getötet.

Luftangriffe töteten Tausende

Menschenrechtler machen alle Konfliktparteien für schwere Verletzungen des Völkerrechts verantwortlich. Doch besonders die Luftangriffe der Militärkoalition von Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten hätten Tausende Zivilisten verletzt und getötet sowie wichtige Infrastruktur zerstört, kritisierte das Europäische Zentrum für Verfassungs- und Menschenrechte (ECCHR) in Berlin. Immer wieder greife die Koalition zivile Ziele wie Häuser, Schulen und Krankenhäuser an. Einige Länder und Unternehmen in Europa profitieren davon, indem sie Waffen herstellten und lieferten, die im Jemen zum Einsatz kommen.

Die Organisation fordert in Italien Ermittlungen zu RWM Italia S.p.A., einer Tochterfirma des deutschen Rüstungskonzerns Rheinmetall AG, weil nach Bombenangriffen Waffenteile von ihr im Jemen gefunden worden seien. Es müsse untersucht werden, ob Waffenexporte unrechtmäßige Luftangriffe im Jemen ermöglichten, die als Kriegsverbrechen gewertet werden könnten. Eine Anzeige in Rom sei zunächst abgewiesen worden, doch das ECCHR und zwei andere Organisationen hätten Berufung eingelegt. Auch der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag wurde aufgefordert, gegen mehrere Rüstungskonzerne in Europa zu ermitteln.



Heuschreckenbekämpfung in Zeiten von Corona


Afrikanische Wüstenheuschrecke
epd-bild / Steffen Schellhorn
Ostafrika kämpft mit der schlimmsten Heuschreckenplage seit 25 Jahren. Sollte sie nicht schnell eingedämmt werden, droht eine Hungersnot. Doch die Einschränkungen im Kampf gegen Corona gefährden den Zeitplan.

In Schwärmen von 40 Millionen Tieren fallen die Wüstenheuschrecken über alles her, was grün ist. In Ostafrika fressen sie derzeit pro Tag so viel Nahrung, wie für 35.000 Menschen ausreichend wäre. Es ist laut der UN-Landwirtschaftsorganisation FAO die schlimmste Heuschreckenplage seit 25 Jahren. Doch die Corona-Pandemie erschwert eine zeitgenaue Bekämpfung. Diese wäre aber nötig, damit nicht eine weitere Generation von Insekten heranwächst.

Bei Bauer Francis Mugwika haben die Heuschrecken vor einigen Wochen bereits den gesamten Anbau vertilgt. Sie fraßen sich durch Mais und Bohnen, verschonten auch Büsche und Gras nicht. Obwohl der Mann in einer fruchtbaren Gegend im Zentrum von Kenia lebt, stehen er und seine Nachbarn vor dem Nichts. "Wir wissen nicht, was wir essen sollen", sagte Mugwika der kenianischen Tageszeitung "Daily Nation".

In Kenia haben die Heuschrecken seit 70 Jahren nicht mehr eine solche Verwüstung angerichtet. Auch weitere neun Länder sind betroffen. Die Tiere können am Tag 150 Kilometer fliegen. Für die Bekämpfung der Plage sind laut FAO derzeit gut 150 Millionen US-Dollar (rund 136 Millionen Euro) nötig, zugesagt oder verfügbar sind bislang 110 Millionen.

Wettlauf gegen die Zeit

In diesen Wochen schlüpfen die Eier der ersten Heuschreckengeneration. Kurz danach, wenn die Insekten noch nicht fliegen können, ist der beste Zeitpunkt sie zu töten. Misslingt das, droht nach Einschätzung der Vereinten Nationen eine Hungersnot, weil die Schlupfzeit mit der nächsten Pflanzzeit zusammenfallen würde. Schon jetzt haben laut FAO-Schätzungen in Ostafrika fast zwölf Millionen Menschen nicht genug zu essen. Die Bekämpfung ist also ein Wettlauf gegen die Zeit, der wegen der Corona-Pandemie noch schwieriger zu gewinnen ist.

Zwar wurde vor den internationalen Grenzschließungen viel Material und Pestizid in die Region gebracht. Zusätzliche Sprühflugzeuge einschließlich der Crews sind noch rechtzeitig eingetroffen. Doch bei der Besatzung von Überwachungshubschraubern ist die Lage schwieriger. Die Piloten kommen aus Südafrika, sie müssen nun nach der Einreise in Kenia oder Äthiopien in eine 14-tägige Quarantäne. "Das verzögert unsere Möglichkeiten, die Schwärme zu überwachen", bedauert der FAO-Experte für Nahrungssicherheit, Cyril Ferrand. Auch einige Materiallieferungen haben sich wegen der Corona-Krise verzögert. Es gibt Engpässe beim Nachschub an Insektenvernichtungsmitteln.

Während die FAO vor allem auf Pestizide setzt, zeigt die Deutsche Welthungerhilfe den Bauern in einigen Dörfern in der nordsomalischen Region Somaliland Methoden der mechanischen Bekämpfung. Schlüpfen die Heuschrecken in der Nähe von Feldern, können die Menschen beispielsweise Gräben ausheben, in die die noch flugunfähigen Insekten hineinfallen. Dort können sie mit Erde bedeckt und vernichtet werden. Programmleiter Thomas Hoerz hält diese Methode schon aus ökologischen Gründen für richtig: "Die Pestizide wirken ja nicht nur gegen Heuschrecken." Sie töteten auch Raubinsekten, die normalerweise die Heuschrecken etwas eindämmen.

Sorge vor Spendeneinbruch

Ferrand von der FAO räumt ein, dass die Pestizide nicht gezielt nur die Heuschrecken bekämpfen. "Aber alle sind von der Weltgesundheitsorganisation zugelassen und als wenig bis mäßig schädlich eingestuft." Auch er hält die mechanische Methode für erfolgreich, allerdings nur in begrenztem Ausmaß: "So riesige Flächen, wie jetzt bedroht sind, können sie auf diese Weise nicht schützen."

Hoerz sieht in der pestizid-freien Bekämpfung noch einen zweiten Vorteil: "Wenn es in den nächsten Monaten gelingt, wirklich sehr, sehr viele Menschen in den mechanischen Methoden zu trainieren, dann ist das eine Handlungsoption für die Dörfer, und sie müssen nicht immer auf internationale Hilfe warten." In Zeiten der Corona-Krise mit ihren Grenzschließungen und Reiserestriktionen könnte das besonders wichtig sein.

Jenseits der Bekämpfungsmethode teilen alle Helfer in der Region eine weitere Sorge: Sie befürchten einen Spendeneinbruch wegen der aktuellen Pandemie. Denn trotz aller Bemühungen ist klar, dass Tausende Bauern und Viehzüchter in der Region um ihre Existenz kämpfen, schlimmstenfalls hungern werden.

Bauer Francis Mugikwa ist jetzt schon auf Hilfe angewiesen. Er hofft, dass ihn die kenianische Regierung für seine Ernteausfälle entschädigt. Aber auf die Behörden kommen noch unkalkulierbare Kosten wegen der Corona-Krise zu.

Bettina Rühl (epd)


Corona-Pandemie: Entwicklungsministerium arbeitet an Hilfsprogramm

Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) hat ein Programm zum Schutz von Flüchtlingsregionen vor der Corona-Pandemie angekündigt. "Es darf in der Krise nicht zu einer Benachteiligung der Armen gegenüber den Reichen kommen", sagte Müller den Zeitungen der Essener Funke Mediengruppe (30. März). Seinen Worten zufolge ist ein umfassendes Programm für notwendige Sofortmaßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie in Arbeit, das auch die wirtschaftlichen Folgen in Entwicklungsländern berücksichtigen soll. Das Entwicklungsministerium werde dazu seinen Etat "deutlich" umschichten, sagte Müller. Ein Sonderstab bündele und koordiniere die Sofortmaßnahmen.

Gesundheitssystem in Syrien größtenteils zerstört

"Die Corona-Krise trifft jetzt mit aller Härte die ärmsten Menschen in den Flüchtlings- und Krisenregionen", betonte der Minister. Als Beispiel nannte er Syrien und dessen Nachbarländer. In der Krisenregion seien sieben Millionen Flüchtlinge ohne Schutz. Nach der gezielten Bombardierung von Krankenhäusern sei das Gesundheitssystem in dem Bürgerkriegsland kaum handlungsfähig. Hunderttausende strömten in Richtung Türkei.

"Und dem Libanon, wo etwa jeder fünfte Einwohner ein syrischer Flüchtling ist, droht der Staatsbankrott", sagte Müller. Ohne Zugang zu Wasser und medizinischer Versorgung werde der Corona-Virus dort katastrophale Konsequenzen haben, warnte er. Die Unterstützung der Flüchtlinge und Aufnahmestaaten in der Region müsse ausgebaut werden.

Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit in Syrien ist nach Angaben des Ministeriums bereits auf den Gesundheitsschutz ausgerichtet. So würden in Syrien etwa die Gehälter für das Gesundheitspersonal finanziert, was die medizinische Betreuung von mehr als 350.000 Personen sichere, hieß es. Für 700.000 Menschen sei Zugang zu sauberem Trinkwasser ermöglicht worden, für 645.000 Menschen zur Abwasserversorgung.



Hilfswerke fordern Kinderschutz bei Neuausrichtung von EU-Asylpolitik

Bei der Neuausrichtung der europäischen Asylpolitik könnten die Rechte von Kindern nach Befürchtungen von Menschenrechtsorganisationen zu kurz kommen. In einem am 30. März veröffentlichten gemeinsamen Brief an die Bundesregierung äußern 42 Organisationen ihre "extreme Sorge", dass grundlegende Kinder- und Menschenrechte nicht ausreichend berücksichtigt werden. Sie fordern die deutsche Regierung auf, während ihrer EU-Ratspräsidentschaft ab Juli und mit Blick auf die Reformpläne des Asylsystems GEAS den Kinderschutz auf europäischer Ebene voranzutreiben.

Die Bundesregierung erkenne selbst an, dass die besonderen Belange und Rechte von Familien mit Kindern und verletzlichen Personen wie unbegleiteten Kindern zu berücksichtigen seien, heißt es in dem Schreiben an Innenminister Horst Seehofer (CSU), Außenminister Heiko Maas (SPD), Familienministerin Franziska Giffey (SPD) und Justizministerin Christine Lambrecht (SPD). Konkret bedeute das, das Kindeswohl vorrangig zu berücksichtigen und von Haft und freiheitsbeschränkenden Maßnahmen abzusehen. Auch eine beschleunigte Familienzusammenführung innerhalb der EU, die unverzügliche Verteilung von unbegleiteten Kindern, Schulungen für Grenzer im Kinderschutz und die Einführung eines unabhängigen Monitoringmechanismus und Maßnahmen zur Rechenschaftspflicht werden gefordert.

"Recht auf Gesundheit, der Kindeswohlvorrang müssen weiter gelten"

Derzeit sei zu beobachten, dass Kinder und ihre Familien an den europäischen Grenzen in besonderem Maße menschenunwürdigen Bedingungen ausgesetzt seien, erklären die Unterzeichner, darunter das Deutsche Kinderhilfswerk, der Kinderschutzbund, der Diakonie Deutschland, der Deutsche Caritasverband und der AWO-Bundesverband. Die Kinder- und Menschenrechtsorganisationen verweisen auf die von Gewalt begleiteten Grenzschutzmaßnahmen an der griechisch-türkischen Grenze, die katastrophale Lage für Flüchtlinge auf den griechischen Inseln oder auch auf die Lager in Libyen, in die immer wieder Schutzsuchende zurückgeschoben würden.

"Auch in Zeiten der Corona-Pandemie müssen die Kinderrechte und damit beispielsweise das Recht auf Gesundheit, der Kindeswohlvorrang oder das Recht auf Schutz für alle Kinder weiter gelten", betonte die Vizepräsidentin des Deutschen Kinderhilfswerks, Anne Lütkes. Die gegenwärtige Situation zeige die Schieflage im europäischen Asylsystem mehr als deutlich auf.