Die Bewältigung der verhängten Kontaktsperre wegen der Corona-Pandemie bedeutet nach den Worten des Düsseldorfer Telefonseelsorgers Ulf Steidel für viele Menschen eine psychische Belastung. "Vor allem gesellige und aktive Menschen haben eine sehr große Anpassungsleistung zu erbringen", sagte Steidel dem Evangelischen Pressedienst (epd). Die Anpassung an die soziale Isolation, oft verbunden mit Einsamkeit und Ängsten, bezeichnete der Leiter der Telefonseelsorge Düsseldorf als "psychischen Jetlag".

Menschen, die zuvor schon isoliert lebten, hätten dagegen bereits die notwendigen Ressourcen und Kompetenzen, sagte Steidel. "Ohne das schönreden zu wollen: Ein Teil unserer Klientel kennt sich mit so einer Situation bereits aus, für die ist das jetzt gar nicht so besorgniserregend."

Pandemie ist in jedem zweiten Fall Gesprächsthema

Das Gesprächsaufkommen der Telefonseelsorge nahm durch die Corona-Krise zu, allerdings unterschiedlich stark. Die etwa 300 Telefonseelsorger Region Rhein-Wupper führten in jüngster Zeit ein Viertel mehr Gespräche per Telefon, Mail oder Chat, in Düsseldorf sind es derzeit knapp 50 statt der üblichen 40 Gespräche täglich. Auf Bundesebene wurde die Besetzung in den 104 Seelsorgeeinrichtungen verstärkt, sodass jetzt 26.500 Anrufe wöchentlich geführt werden können - 3.000 Gespräche oder 13 Prozent mehr als zuvor.

Ob tatsächlich mehr Anrufe als üblich eingehen, kann nach Angaben einer Sprecherin derzeit schwer eingeschätzt werden, in jedem Fall gebe es aber einen leichten Zuwachs an Erstanrufern. In knapp der Hälfte aller Gespräche geht es um Corona, dabei werden vor allem Einsamkeit und Ängste thematisiert: Menschen unter 40 und über 80 beschäftigt insbesondere die Einsamkeit, Menschen zwischen 50 und 70 haben vor allem Ängste. 71 Prozent der Anrufer, die sich wegen Corona melden, sind Frauen.

"Alles, worüber wir sonst miteinander reden, finden wir eins zu eins auch in der Telefonseelsorge wieder," erläuterte Steidel. Der 55-jährige evangelische Pfarrer und Supervisor beobachtet einen sehr unterschiedlichen Umgang der Generationen mit der gegenwärtigen Situation. Die Nachkriegsgeneration und vor allem die "Vollkasko-Generation" der Jüngeren seien gewohnt, immer alles verfügbar und sofort zu haben. "Für die entsteht plötzlich Stress beim Blick in leere Regale, das ist eine enorme Umstellungsleistung: Wie gehe ich damit um?"

Ostdeutschen beweisen "Einlagerungskompetenzen"

Dagegen könnte die Älteren sowie Menschen aus Ostdeutschland mit Mangelsituationen besser umgehen, sie hätten "Einlagerungskompetenzen" entwickelt. Hamsterkäufe seien so gesehen nicht nur negativ zu bewerten.

Nach Beobachtung des Düsseldorfer Telefonseelsorgers löst die Krise zwei unterschiedliche Phänomene aus: Während bei den einen Sorgen, Ängste und psychische Probleme "getriggert" würden, zeigten viele andere deutliche Resilienzfaktoren wie Nachbarschaftshilfe und Gemeinsinn. "Corona hilft uns, den Horizont zu erweitern und aus der Individualisierung heraus in den sozialen Raum zu gehen," erklärte Steidel.

Da die Telefonseelsorge und andere Beratungsangebote den Gesprächsbedarf längst nicht decken könnten, hofft der Theologe darauf, dass der gewachsene Gemeinsinn nachhaltig wirkt: "Wir brauchen auch in Zukunft viele seelsorgerliche Orte, an denen wir uns gegenseitig zuhören und fragen: Wie geht's denn den Menschen rechts und links neben mir?" Diese Fähigkeiten sollten weiter kultiviert werden.