jedes Kind soll regelmäßig Kontakt zu seinen Eltern haben. Das ist UN-Recht. Doch für Kinder von Häftlingen ist das eher selten möglich. Die Folgen für die betroffenen Mädchen und Jungen sind gravierend. Zwei Drittel der Kinder von Strafgefangenen klagen über Schlafprobleme, Bauch- und Kopfschmerzen oder leiden unter Entwicklungsverzögerungen. Hilde Kugler arbeitet daran, regelmäßige Besuche der Kinder in den Haftanstalten zu ermöglichen. Die Leiterin von „Treffpunkt e. V.“ in Nürnberg hat das Netzwerk „Kinder von Inhaftierten“ aufgebaut. Wie das war, als ihr Vater ins Gefängnis kam, erzählen zwei Brüder im Interview mit epd sozial.
Die Zahl der Pflegebedürftigen wird in den kommenden Jahrzehnten massiv steigen. Über das erwartete Ausmaß der Zunahme gibt es unterschiedliche Meinungen. Aber klar ist: Das stellt das Gesundheitssystem vor ungeahnte Probleme - nicht nur wegen des Mangels an Fachkräften. Doch Expertinnen und Experten betonen: Pflegebedürftigkeit ist nicht unbedingt ein Schicksal, sondern lässt sich verhindern oder zumindest verzögern. Stichwort Prävention. Doch in der Öffentlichkeit gibt es kaum Diskussionen, wie man verhindern kann, dass Menschen pflegebedürftig werden.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) will in einer Reform in der Pflege die stambulante Versorgung bundesweit ermöglichen. Er plant eine dritte Säule neben ambulanter und stationärer Versorgung von pflegebedürftigen Menschen. Neu ist die Idee nicht. Das „Mitmach-Pflegeheim“ der BeneVit Gruppe in Wyl in Baden-Württemberg liefert seit acht Jahren praktische Erfahrungen im Modellprojekt. Stefanie Siebelhoff, Vorständin des Caritasverbandes für das Bistum Essen, sieht darin einen sinnvollen Ansatz für erhoffte Reformen in der Pflege. Aber, so betont sie im Gastbeitrag für epd sozial: Es bleiben noch viele Fragen offen.
Aus gutem Grund ist es arbeitsrechtlich nicht ohne weiteres möglich, schwerbehinderte Mitarbeitende zu entlassen. Sie genießen in der bundesdeutschen Rechtsordnung einen hohen Schutz. Aber, so das Landesarbeitsgericht Mainz: Ordentlich unkündbare schwerbehinderte Mitarbeiter haben keine absolute Beschäftigungsgarantie. Fällt ihr Arbeitsplatz nach der unternehmerischen Entscheidung des Arbeitgebers weg, ist das ein „wichtiger Grund“ für eine mögliche Kündigung, so das Gericht.
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Ihr Dirk Baas
Nürnberg (epd). Sie werden komplett übersehen. Kinder dürfen kaum Kontakt zu ihren Müttern und Vätern haben, wenn die Eltern im Gefängnis sind. Kein Wunder, dass rund 75 Prozent der betroffenen Mädchen und Jungen unter erheblichen psychischen und physischen Problemen leiden. Das zeigte bereits das EU-Forschungsprojekt „COPING“ im Jahr 2012 - neuere Studien gibt es nicht. Zwei Drittel der Kinder von Häftlingen reagieren auf die belastende Situation mit mangelndem Selbstvertrauen und Rückzug, klagen unter Schlafproblemen, Bauch- und Kopfschmerzen oder leiden unter Entwicklungsverzögerungen.
Auch mit dem Geheimnis, dass ein Elternteil in Haft sitzt, kommen die Kleinen oft nur sehr schwer zurecht und quälen sich mit der Stigmatisierung durch die Freunde, Mitschüler, Bekannte oder Lehrer. Doch das traurige Schicksal der Kinder von Inhaftierten wird von der Gesellschaft und vor allem in vielen Justizvollzugsanstalten häufig noch ignoriert. Beispielsweise werden Besuchszeiten am Vormittag angeboten, wenn die Kinder und Jugendlichen in der Schule sind. Oder es gibt nur die Option, die inhaftierten Eltern während der Regelbesuche hinter einer Glastrennwand zu sehen ohne die Möglichkeit, sie zu umarmen oder zu küssen.
Hilde Kugler arbeitet daran, das zu ändern. Die Leiterin von „Treffpunkt e. V.“ in Nürnberg hat das Netzwerk „Kinder von Inhaftierten“ aufgebaut. Denn in ihren mehr als 30 Jahren Angehörigenarbeit hat sie immer wieder miterlebt, wie für Kinder eine Welt zusammenbrach, wenn der Vater oder die Mutter ins Gefängnis musste. Mädchen und Jungen, deren Alltag von heute auf morgen komplett auf den Kopf gestellt wird - sei es, weil ihre mit Haushalt, Kindern und Finanzen alleingelassene Mutter verzweifelt, im Kindergarten niemand vom Papi oder der Mami im Gefängnis erfahren darf oder weil die Kids das Gefühl haben, mit niemandem über ihre Ängste, Trauer und Sorgen sprechen zu können.
Seit zwei Jahren ist Kugler auch Kopf eines länderübergreifenden Projekts in Bayern, Berlin, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern und Nordrhein-Westfalen, um zum Wohle der Kids eine bessere Zusammenarbeit zwischen Jugendhilfe, Justiz, Schulen und allen weiteren beteiligten Akteuren anzuschieben. „Wir haben die JVAs bei der Einführung und Fortführung eines familienorientierten Vollzuges unterstützt, indem sie zum Beispiel Vater-Kind-Gruppen installiert und kindgerechte Familien-Besuchs-Räume mit Spielzeug eingerichtet haben“, berichtet sie. Außerdem gab es Fortbildungen für die JVA-Fachkräfte sowie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Kinder- und Jugendhilfe.
Judith Feige, wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Monitoring-Stelle UN-Kinderrechtskonvention des Deutschen Instituts für Menschenrechte, sagt: „Während zum Beispiel einige Haftanstalten Kontakte über Telefon und Internet großzügig handhaben, rechnen andere Videokommunikation auf die Besuchszeiten an. Zusammenfassend kann man sagen, dass es noch ein weiter Weg ist, bis in Deutschland jedes betroffene Kind die Möglichkeit hat, den Kontakt zum inhaftierten Elternteil auf eine Weise aufrechtzuerhalten, die den Kinder- und Menschenrechten entspricht.“
Es brauche dringend ein Umdenken, fordert Kugler. Denn die UN-Kinderrechtskonvention hält unter Artikel 9 fest, dass jedem Kind eine regelmäßige, persönliche Beziehung und der unmittelbare Kontakt zu beiden Elternteilen zugesichert wird - sofern dies nicht dem Wohl des Kindes widerspricht. Deshalb fordert der UN-Ausschuss Kinderrechte häufigere Besuchszeiten und einheitliche Standards, die ausreichend Angebote und Unterstützung für Kinder und Eltern sicherstellen.
„Ein weiteres Manko ist, dass es keine ordentliche Datenerhebung der betroffenen Familien gibt“, kritisiert Kugler. Die Zahl von jährlich 100.000 Kindern von Inhaftierten ist daher nur sehr grob geschätzt und unterstreicht ein großes Problem ihrer Arbeit. Bei der Inhaftierung wird nämlich nicht automatisch gefragt, ob der oder die Gefangene leibliche Kinder hat, in einer Patchwork-Beziehung lebt oder eine soziale Elternschaft besteht. So wissen Sozialarbeiter, Jugendamt-Mitarbeiterinnen, Lehrerinnen oder Gemeinde-Netzwerker oft überhaupt nicht, ob sie eventuell aktiv werden sollten, um Kinder oder betroffene Familienangehörige zu unterstützen.
Der erste Besuchstermin im Gefängnis heißt für viele Kinder: Angst. Hinein in die mit Maschendraht gesicherten hohen Mauern, Kontrollen, der gruselige Gang durch schwere Türen und Schleusen. Und wenn die Kinder dann endlich den Vater oder die Mutter wiedersehen, ist es eventuell nicht das größte Glück, sondern ein weiteres Trauma. Denn der geliebte Mensch sitzt da vielleicht in Handschellen und unerreichbar hinter einer Glaswand.
Stephanie Schmidt von Treffpunkt e. V., die die Vater-Kind-Gruppen in der JVA Nürnberg betreut, holt alle zwei Wochen acht Kinder vor dem Gefängnis ab, wohin sie meist von ihren Müttern gebracht werden. Anschließend begleitet sie die Kinder in den Familienraum der JVA - ein in warmes Sonnengelb getauchtes Zimmer, das mit seiner Spielecke und dem Plakat von Juki fast gemütlich wirkt. Juki ist das Zebra-Maskottchen von Treffpunkt e. V. und soll mit seinen Streifen eine liebevolle Anspielung auf die frühere Gefängniskleidung sein.
Aber die meisten Kinder wissen davon nichts. Ihnen ist in diesem Augenblick viel wichtiger, ihren Vater in die Arme zu schließen und mit ihm zu reden. Wenn auch nur für zwei sehr kurze Stunden. Danach heißt es für alle Kinder und Jugendlichen wieder, tränenreich Abschied zu nehmen.
So wie Besuche in der Nürnberger JVA ablaufen, sind sie immer noch eine Seltenheit. Denn der Strafvollzug in Deutschland ist nach wie vor Sache der Bundesländer, und so haben die Vollzugsanstalten ihre jeweils eigenen Regeln. Für Hilde Kugler ist das ein Unding. Problematischer findet sie aber die Tatsache, dass die 559 Jugendämter in Deutschland in komplett unterschiedlicher Weise Unterstützungsangebote gewähren und finanzieren: „Dabei wäre doch eine Chancengleichheit für alle Kinder von Inhaftierten wichtig - egal, wo sie in Deutschland wohnen.“
Nürnberg (epd). Vor einem Dreivierteljahr kam der Vater von Michael (15) und Julian (10, beide Namen geändert) wegen Betrugs ins Gefängnis in Nürnberg. Beide Jungen wussten zwar von der baldigen Haftstrafe, waren aber überrascht, als sie von der Schule kamen und ihr Vater schon abgeführt worden war. Sie hätten sich nicht einmal richtig von ihm verabschieden können, berichten sie dem Evangelischen Pressedienst (epd). Mit den beiden Jungen sprach Gitta Schröder
epd sozial: Wie war das damals, als euer Vater in U-Haft kam? Wart ihr dabei und konntet euch verabschieden?
Michael: Nein, wir konnten uns nicht verabschieden. Ich war zu dem Zeitpunkt in der Schule und als ich nach Hause kam, hat mir meine Mutter das erzählt. Wir hatten zwar alle damit gerechnet, aber wir hatten gehofft, dass es sich noch ein bisschen verzögert.
Julian: Im ersten Moment war es erschreckend, dass ein Elternteil von mir einfach weg ist - für lange Zeit. Und dann über die paar Tage, Wochen wurde es komisch. Ich konnte mich lange nicht daran gewöhnen.
epd: Wie fühlte sich euer erster Besuch im Gefängnis an?
Julian: Das erste Mal, als wir bei Papa zu Besuch waren, lief das noch nicht über die Vater-Kind-Gruppe von Frau Schmidt. (Stephanie Schmidt vom Verein Treffpunkt e.V.) Da waren wir zwei Brüder mit unserer Mutter dort zu so einem Regelbesuch, der nur 45 Minuten dauert - mit maximal acht oder zehn Leuten, die in dem Raum Besuch von ihren Familien bekommen. Trotzdem, ich dachte, das wird schon nicht so schlimm. Aber als mein Vater dann reinkam, hat mich das echt schockiert. Weil ich ihn nur hinter einer Scheibe sehen konnte und nicht direkt vor mir hatte.
epd: Wie sind denn die Sicherheitsmaßnahmen in der JVA? Was passiert, bevor ihr euren Vater sehen könnt?
Michael: Wenn man ins Gefängnis reingeht, gibt man seinen Ausweis ab, der nochmal gecheckt wird. Dann muss man durch einen Metalldetektor laufen, ob man irgendwelche Sachen bei sich hat. Und dann wird man durchgelassen und durchläuft zwei Schleusen bis zum Besuchzimmer.
epd: Heute ermöglicht euch Treffpunkt e.V., unter der Begleitung von Frau Schmidt, alle zwei Wochen für zwei Stunden euren Vater zu besuchen. Und zwar in einem Extra-Raum ohne Trennscheibe. Wie kam der Kontakt mit Treffpunkt zusammen?
Michael: Unsere Mutter hatte sich über Treffpunkt und die Vater-Kind-Gruppen informiert. Sie konnte das mit der Vater-Kind-Gruppe regeln, die natürlich ziemlich beliebt ist.
Julian: Mittlerweile sind wir seit sechs Monaten in der Gruppe. Und unseren Vater ohne Trennwand zu sehen, ist viel besser und persönlicher.
epd: Ein Kind von einem Inhaftierten zu sein, ist sicher keine leichte Situation. Wie kommt ihr damit zurecht?
Michael: An dem Tag, als Papa ins Gefängnis gekommen ist, war mir bewusst: Er kommt wieder. Also kühlen Kopf bewahren, habe ich mir gedacht. Und für die Familie da sein auf jeden Fall. Dass man sich gegenseitig unterstützt. Wir haben viel geredet - ich mit meiner Mutter und mit meinem Bruder. Und dann auch mit meinen engsten Freunden. Ich würde sagen, dass kein Druck auf mir liegt. Aber ich und meine Familie, wir haben uns vorgenommen, dass wir uns gegenseitig unterstützen.
epd: Könnt ihr auch gut mit eurem Vater darüber sprechen, weil die Zeit - alle zwei Wochen zwei Stunden sehen - ja begrenzt ist? Oder sprecht ihr vor allem mit eurer Mutter?
Michael: Wir können mit beiden Seiten gut darüber reden - das ist auch wichtig.
epd: Wie ist das mit dir, Julian? Kannst du auch gut darüber sprechen oder bist du ein anderer Typ als dein großer Bruder?
Julian: Ich habe es lange niemand anderem erzählt. Mittlerweile wissen es jetzt aber zwei aus meiner Klasse. Dann kann ich auch mit denen ein bisschen darüber reden, wenn ich mal traurig bin, dass ich ihn jetzt grad nicht sehen kann. Wenn ich zum Beispiel Schulaufgaben mache, die wir sonst immer zusammen gemacht haben, aber er ist jetzt nicht da für mich.
epd: Wo hat er euch am meisten gefehlt?
Julian: Es gibt kein am meisten. Er hat überall gleich gefehlt. Er fehlt einfach.
epd: Wie ist das eigentlich an eurer Schule: Wissen eure Lehrerinnen und Lehrer Bescheid?
Julian: Die einzigen zwei Lehrerinnen, die das wissen, sind meine Direktorin und meine Klassenlehrerin. Für mich wäre es aber besser, wenn sie das nicht wissen würden, aber meine Mutter hat es jetzt schon gesagt. Ich finde das aber ein bisschen unangenehm, dass sie wissen, dass mein Vater in Haft ist. Mir wäre es lieber, wenn das nicht so rumgesprochen wird.
Michael: Für mich ist das eigentlich ganz okay, dass meine Klassenlehrerin und ein paar Lehrer in den Nebenfächern informiert sind. Und die verhalten sich deshalb auch nicht anders.
epd: Wie haltet ihr Kontakt zu eurem Vater? Schreibt ihr Briefe? Whatsappen ist ja verboten.
Michael: Mit persönlich fällt das Briefeschreiben schwer. Ich werde da immer sentimental. Deshalb hebe ich mir alles für den Besuch auf, um über alles mit meinem Vater zu reden, was sich so angestaut hat in den zwei Wochen.
Julian: Bei mir ist es genauso wie bei meinem Bruder: Ich halte Kontakt nur über die Besuche. Und wenn ich meinem Vater mal schreibe, dann nur einmal alle vier Wochen oder so.
epd: Wie geht es eurer Mutter? Kann sie euch trösten?
Michael: Unsere Mutter hat das natürlich mitgenommen - wie uns alle. Aber sie ist stark und tröstet uns und wir trösten sie. Es ist eine gute Harmonie zwischen uns Dreien.
epd: Seid ihr manchmal auch traurig, wütend oder verzweifelt wegen der ganzen Situation?
Michael: Wut jetzt nicht. Trauer ist mit im Spiel. Aber mit der Zeit wird es jetzt allmählich besser, weil man sich dran gewöhnt.
epd: Könnt ihr bei Treffpunkt oder mit Frau Schmidt eigentlich auch noch einmal über eure Situation reden?
Michael: Ja, wir können das. Aber meistens im Anschluss an den Haftbesuch und zusammen mit unserer Mutter.
epd: Bekommt ihr psychologische oder therapeutische Betreuung, weil die Situation ja schon ganz schön belastend ist?
Michael: Nein - wir sind bei keinem Therapeuten. Wir versuchen, in unserer Familie viel zu reden.
epd: Wenn es eine liebe Elfe gäbe, was würdet ihr euch wünschen?
Michael: Ich würde mir wünschen, dass zusätzlich zu den Vater-Kind-Tagen noch mehr Telefonate erlaubt wären. So dürfen wir nur alle 14 Tage für zehn Minuten telefonieren. Dann sind natürlich alle dabei - Mama, Julian und ich. Aber die Zeit reicht nie aus, um Papa alles zu erzählen. Außerdem vermisse ich ihn extrem, wenn die neuesten Kinofilme rauskommen. Früher haben wir die immer alle zusammen gesehen und darüber gequatscht. Heute macht das niemand mit mir.
Frankfurt a.M. (epd). Als Statistiken der Pflegekassen von Ende Mai zufolge die Zahl der Pflegebedürftigen im vergangenen Jahr um 360.000 Personen gestiegen ist anstatt der erwarteten 50.000, war auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) überrascht: „Woran das liegt, verstehen wir noch nicht genau“, sagte er.
Aber selbst der jüngste starke Anstieg dürfte nur ein Vorgeschmack sein. Aktuell gibt es gut fünf Millionen Pflegebedürftige, 2055 werden es 6,8 Millionen sein, sagt das Statistische Bundesamt. Um sie zu versorgen, bräuchte es 2,2 Millionen Pflegekräfte. Aktuell sind es 1,7 Millionen, und die reichen bereits jetzt nicht.
Da ist es eigentlich unverständlich, warum ein offensichtlicher Weg, diesen Notstand zu vermeiden oder abzumildern, in der öffentlichen Diskussion kaum Beachtung findet - nämlich zu verhindern, dass Menschen pflegebedürftig werden.
Denn Pflegebedürftigkeit ist nicht immer Schicksal. Ihre Ursachen sind oft Demenz oder Zivilisationskrankheiten wie Diabetes, Schlaganfall oder Herzerkrankungen. Deren Ursachen wiederum sind oft vermeidbar, es sind Nikotin- und Alkoholkonsum, Fehl- und Überernährung sowie zu wenig Bewegung.
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) erklärt dazu: „Die Quote vermeidbarer Erkrankungen ist in Deutschland höher als in vielen anderen europäischen Ländern. Denn in Deutschland wird besonders ungesund gegessen, besonders viel Zucker konsumiert, besonders häufig das Auto statt der eigenen Füße oder des Fahrrads genutzt und besonders viel geraucht und Alkohol getrunken.“
Das Präventionsgesetz von 2015 erklärt Prävention von häufigen und kostenintensiven Krankheiten wie etwa Diabetes zu Pflichtleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung. Konkrete Angebote betreffen aber meist nur die Verhaltensprävention, etwa Kurse, die zu mehr Bewegung oder weniger Suchtmittelkonsum anhalten sollen. Verhältnisprävention, also die Veränderung von Rahmenbedingungen, gibt es dagegen kaum.
Das bedauert auch die DKG. „Wer den Pflegekräftemangel lösen will, muss die Raucherquote senken, den Zuckergehalt in Softdrinks reduzieren und Fahrradwege bauen“, fordert sie.
Eine weitere häufige Ursache sind Stürze. Im höheren Alter sind sie folgenschwerer als im jüngeren. Wenn ältere Menschen sich bei einem Sturz den Oberschenkelhals brechen, sind sie danach oft auf Dauer bettlägerig. Eine Mobilitätsförderung, die Senioren gangsicherer macht, wirkt Stürzen entgegen. Wichtig ist hier auch eine barrierefreie Lebenswelt.
Aber daran hapert es. Zwar bekommen Pflegebedürftige und ihre Angehörigen Geld von den Pflegekassen, wenn sie ihr Bad altersgerecht umbauen oder einen Handlauf im Flur installieren lassen. Aber eine Auswertung des Sozialverbands VdK vom Februar 2023 zeigt: Nur rund 85 Prozent der Berechtigten riefen diese Fördermittel auch ab.
Es gibt kaum belastbare Zahlen dazu, um wie viel die Zahl der Pflegebedürftigen sinken könnte und wie viele Pflegekräfte man weniger bräuchte, würde man konsequent auf allen Ebenen vorbeugen. „Das Problem an der Prävention ist das Präventionsparadox“, sagt Stefan Werner, Vizepräsident des Deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe. Die Kosten für die Prävention seien stets sichtbar, aber nicht, was sie leiste. „Wenn ich präventiv tätig werde, kann ich ja nie beweisen, wie schlecht es einer Person ohne diese Prävention gehen würde und welche Kosten damit verbunden wären“, erklärt er.
Aber einige Zahlen, die in eine bestimmte Richtung weisen, gibt es doch. Eine Studie aus Österreich kommt zu dem Schluss, dass gut ein Drittel der Ursachen für Demenz prinzipiell vermeidbar sind. Demenz ist der häufigste Grund für Pflegebedürftigkeit.
Ob man mit Prävention Pflegebedürftigkeit komplett verhindern kann, ist nach den Worten Stefan Werners „gar nicht die primäre Frage“. Wenn es gelänge, eine Verschlimmerung zu verhindern oder zu verzögern, würde das schon die Sozialsysteme, die Pflegefachkräfte und Angehörige entlasten.
Aber selbst bis dahin sei der Weg noch weit, sagt er. „In vielen Gesetzen steht, dass die Pflege rehabilitativ sein soll. Aber für Sturzprävention in der Tagespflege, gesunde Ernährung oder Mobilitätsförderung haben wir weder die Zeit noch das Budget.“ Mehr Prävention würde ihm zufolge auch den Pflegeberuf attraktiver machen, weil die Fachkräfte mehr Erfolge ihrer Arbeit sehen könnten.
„Alle Dinge, die an bestehende Strukturen anknüpfen, kann man schnell umsetzen“, empfiehlt der Experte. Bei einem Pflegegrad seien zum Beispiel Beratungsgespräche verpflichtend. Berater müssten entsprechend geschult werden, damit sie in diesen Gesprächen Präventionsbedarfe erkennen könnten, fordert Werner. Früher habe eine Gemeindekrankenschwester bei Hausbesuchen immer ein Auge auf Vorbeugung gehabt. Heute gebe es zwar das Modell der „Community Health Nurse“. „Die wird aber nur von wenigen Krankenkassen finanziert“, sagt Werner.
Frankfurt a.M. (epd). Bei der Vorbeugung von Gesundheitsrisiken wird zwischen Verhaltens- und Verhältnisprävention unterschieden. Verhaltensprävention meint die Beeinflussung individuellen Verhaltens, Verhältnisprävention die Veränderung von Rahmenbedingungen.
Beispiel Vorbeugung von tödlichen Verkehrsunfällen: Großflächige Tafeln am Rand einer Autobahn, die eine trauernde Witwe mit kleinen Kindern zeigen, sind Verhaltens-, Tempolimits sind Verhältnisprävention. Beispiel Rauchen: Aufklärungskampagnen zu den Risiken des Nikotins sind Verhaltens-, Werbeeinschränkungen für Tabakkonzerne sind Verhältnisprävention.
Verhalten gilt unter Gesundheitspsychologen als die am einfachsten zu beeinflussende Variable. Die Forschung betont jedoch, dass beide Formen von Vorbeugung mitbedacht werden müssen. Betriebe man nur Verhaltensprävention, würde man den Einfluss ignorieren, den die bestehenden Rahmenbedingungen auf menschliches Handeln haben.
Kritiker merken zudem an, dass man bei einer Konzentration auf das Verhalten letztlich den Betroffenen allein die Schuld an ihren Krankheiten geben würde. Auf der anderen Seite steht Verhältnisprävention oft als Freiheitseinschränkung in der Kritik.
Fachleute unterscheiden zudem zwischen Primär- bis Tertiärprävention. Als Primärprävention wird die Verhinderung von Krankheiten oder Verletzungen bezeichnet, ehe sie eintreten. Hierzu zählen Aufklärungskampagnen oder Impfungen. Eine möglichst frühe Erkennung von Beeinträchtigungen - etwa durch Vorsorgeuntersuchungen - wird Sekundärprävention genannt, eine Verhinderung des Fortschreitens Tertiärprävention. Einige Fachleute ergänzen noch die Quartärprävention. Mit ihr ist die Verhinderung von Behandlungsfehlern gemeint.
Frankfurt a. M./Berlin (epd). 128 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler fordern, Haftstrafen für Schwarzfahrer abzuschaffen. Dazu solle der Paragraf 265a im Strafgesetzbuch, der das Erschleichen von Leistungen sanktioniert, ersatzlos gestrichen werden, verlangten sie am 6. August in einem Offenen Brief an Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP). Schwarzfahrern im öffentlichen Nahverkehr, die kein Geld für das Bußgeld haben, droht aktuell bis zu einem Jahr Gefängnis. Das Justizministerium will einen Reformentwurf zum Strafgesetzbuch „in Kürze“ vorlegen, wie eine Sprecherin dem Evangelischen Pressedienst (epd) sagte. Schwarzfahrern im öffentlichen Nahverkehr, die kein Geld für das Bußgeld haben, droht aktuell bis zu einem Jahr Gefängnis.
Den Wissenschaftlern nach entfallen aktuell 25 Prozent der verhängten Ersatzfreiheitsstrafen nach Paragraf 265a auf Schwarzfahren. Die Haft treffe überproportional Menschen in Armut und prekären Lebenslagen. Das habe für die Betroffenen oft unverhältnismäßige Konsequenzen, etwa den Verlust der Wohnung. Der Großteil von ihnen sei arbeitslos, jede dritte Person drogenabhängig, viele hätten keinen Wohnsitz.
Die Fachleute, die überwiegend in den Bereichen Kriminologie, Strafrechtswissenschaft sowie Mobilitäts- und Stadtforschung arbeiten, führten außerdem an, dass das Fahren ohne Fahrschein eine der häufigsten Bagatellstraftaten sei. 2023 habe es 148.218 Fälle gegeben, die nach Paragraf 265a verurteilt wurden. Das entspreche rund drei Prozent der Gesamtkriminalität. Dies belaste den Staat personell und finanziell. In den Brief werden die jährliche Kosten für die Strafverfolgung auf 114 Millionen Euro beziffert. Zudem sei die Mehrheit der Bevölkerung ist für die Entkriminalisierung des Schwarzfahrens.
Buschmann will den umstrittenen Paragrafen durchaus angehen. Sein Haus hatte im vergangenen Jahr ein Eckpunktepapier zur Modernisierung des Strafgesetzbuchs vorgelegt. Teil davon war der Vorschlag, den Paragrafen 265a zur Ordnungswidrigkeit herabstufen.
Davor warnen die Fachleute in ihrem Offenen Brief. Menschen, die sich eine Fahrkarte und Bußgeld nicht leisten könnten, drohten dann bis zu drei Monate Erzwingungshaft. Dabei liege die Haftlänge im Ermessen der Richter: Manche berechneten einen Tag Haft mit 20 Euro, andere mit 80 Euro. Zwar könne Erzwingungshaft nur angeordnet werden, wenn die Person nicht zahlungsunfähig ist. Das nachzuweisen sei für psychisch und physisch Belastete aber kaum möglich, so die Fachleute. Zudem warnten die Unterzeichner vor einem hohen Verwaltungsaufwand.
Auch der Freiheitsfonds, der Schwarzfahrende auf Spendenbasis aus der Haft auslöst, plädiert für eine ersatzlose Streichung des umstrittenen Paragrafen. Am 6. August holte die Organisation nach eigenen Angaben die 1.000 Person aus der Haft, eine schwangere Frau aus Gelsenkirchen.
Der Organisation zufolge haben bislang elf Städte und ihre Verkehrsbetriebe beschlossen, das wiederholte Fahren ohne Ticket nicht mehr zur Anzeige zu bringen. Dazu gehören Bremen, Düsseldorf, Köln, Münster, Halle und Dresden.
Die Linksfraktion im Frankfurter Römer hat nach eigenen Angaben zum Thema bereits mehrere Anfragen gestellt und Anträge zum Thema eingebracht. „Allein 2023 sind durch die Verkehrsgesellschaft Frankfurt 3.927 Strafanzeigen gestellt worden, im Busbereich über den von der traffiq beauftragten Dienstleister weitere 469“, heißt es in einer Mitteilung. Auf Antrag der Linksfraktion hin wurde in einem Bericht geprüft, ob es in Frankfurt möglich sei, auf das Stellen der Strafanzeigen zu verzichten. Doch der Magistrat hat Bedenken.
„Statt weiter zu zögern und Menschen wegen fehlender Fahrkarten in den Knast zu schicken, sollten sich der Oberbürgermeister, der Mobilitätsdezernent und insbesondere die Stadtverordnetenversammlung ihrer Gestaltungsspielräume besinnen, sich mit an die Spitze einer progressiven kommunalen Bewegung stellen - und mit Wiesbaden gemeinsam ein Vorgehen im RMV koordinieren. Es ist an der Zeit“, sagte die Abgeordnete Daniela Mehler-Würzbach.
Berlin (epd). Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat eine Untersuchung zu den Folgen einer Abschaffung der Mütterrente vorgelegt. Darin kommen die Autorinnen und Autoren zu dem Ergebnis, dass das Aus der Mütterrente die Altersarmut und den Gender Pension Gap erhöhen würde. „Die Mütterrente rückgängig zu machen ist nicht nur rechtlich fragwürdig, es hätte auch finanziell erhebliche negative Folgen“, sagte Studienautorin Annica Gehlen aus der Abteilung Staat des DIW Berlin.
Untersucht wurden die Verteilungseffekte bei einem Wegfall der Mütterrente, die wegen klammer Kassen wieder in die Diskussion gekommen ist. Demnach würden Einkommen der einkommensschwächsten Rentnerinnen um durchschnittlich acht Prozent sinken. Das Armutsrisiko würde um 14,4 Prozent und Gender Pension Gap um mehr als 20 Prozent steigen. Statt die Mütterrente rückgängig zu machen, sollten Maßnahmen für höhere Frauenerwerbstätigkeit ergriffen werden, heißt es in der Bewertung der Ergebnisse.
Fiele die vor zehn Jahren eingeführte Mütterrente wieder weg, könnte die Bundesregierung jährlich zwar rund 14 Milliarden Euro sparen. Fast neun Millionen Rentnerinnen, die vor 1992 Kinder geboren haben, würden aber durchschnittlich 107 Euro im Monat fehlen. Insbesondere träfe es Frauen aus den unteren Einkommensgruppen, Frauen mit mehr als drei Kindern und geschiedene Frauen. Die ärmsten 20 Prozent würden über gut acht Prozent weniger Einkommen verfügen. Bei den reichsten 20 Prozent wären es hingegen nur gut ein Prozent weniger Einkommen. Rentnerinnen mit mehr als vier Kindern hätten im Schnitt sogar Einkommenseinbußen von rund 15 Prozent, fiele die Mütterrente weg. Besonders betroffen wären auch geschiedene und ledige Mütter, weil ein Wegfall der Mütterrente in der Regel nicht durch die Einkünfte eines Partners abgepuffert wird.
„Die Mütterrente mildert einige Ungleichheiten ab, die vor allem aufgrund von Kindererziehung während der Erwerbsphase entstanden sind. Vor allem in Westdeutschland haben die heutigen Rentnerinnen mit der Geburt ihrer Kinder häufig ihre Erwerbstätigkeit unterbrochen und später weniger am Erwerbsleben teilgenommen als nachfolgende Generationen“, sagte Gehlen. Entsprechend hoch ist auch der geschlechtsspezifische Unterschied bei den Renten (Gender Pension Gap). Mit Abschaffung der Mütterrente würde er von derzeit 32 Prozent auf 39 Prozent erheblich steigen, also um gut 20 Prozent.
„Sicherlich ließe sich kurzfristig mit der Abschaffung der Mütterrente Geld sparen. Langfristig sinnvoller wäre es, Ungleichheit und Altersarmutsrisiken schon während der Erwerbsphase anzugehen“, regt Johannes Geyer, stellvertretender Leiter der Abteilung Staat, an. Dazu müssten gezielt Maßnahmen für eine höhere Frauenerwerbstätigkeit und eine Stärkung der partnerschaftlichen Aufteilung der Sorgearbeit ergriffen werden. Konkret hieße das, die Kinderbetreuung und Pflegeinfrastruktur auszubauen sowie die Anreize im Steuersystem durch eine Reform des Ehegattensplittings und der Minijobs zu verbessern.
VdK-Präsidentin Verena Bentele sagte, um alle Mütter weiter zu stärken, müsse die volle Gleichstellung angegangen werden: Auch Frauen, deren Kinder vor 1992 geboren wurden, müsse zukünftig 120 Euro statt nur 100 Euro mehr Mütterrente im Monat gezahlt werden. Das sei eine zwar späte, aber notwendige Anerkennung von unbezahlter Sorgearbeit. „Eine Debatte um die Abschaffung der Mütterrente muss dringend im Keim erstickt werden. Stattdessen sollten wir uns für die Umwandlung von Minijobs in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungen und für eine Reform des Ehegattensplittings einsetzen“, so die Präsidentin.
Die Wirtschaftsweise Monika Schnitzer, Vorsitzende des Sachverständigenrates, ist dagegen für das Aus der Mütterrente. Sie koste jedes Jahr einen zweistelligen Milliardenbetrag und habe keine Lenkungsfunktion. Ihre Einführung sei „ein reines Wahlgeschenk“ gewesen.
Altdorf (epd). Im Föhrenweg im Altdorfer Ortsteil Röthenbach ist es mit gerade einmal neun Anwesen ruhig. Das mit der Hausnummer 6 ist um 1980 als stattliches Zweifamilienhaus gebaut worden. Das Landratsamt Nürnberger Land plant mit der Immobilie als Flüchtlingsunterkunft.
Auf vier Stockwerken biete es 330 Quadratmeter Wohnfläche, dazu 100 Quadratmeter für Küchen, Bäder, Terrasse, Flure und Heizungskeller, rechnet das Amt aus. Nach einem Umbau gebe es darin Platz für etwa 40 Flüchtlinge. Es sollen aber nur 32 Menschen einziehen, heißt es.
Wenn eine Flüchtlingsunterkunft in ein beschauliches Wohngebiet kommen soll, sind Nachbarn meist skeptisch. So auch im Föhrenweg. An einem Sommerabend sind vor das Haus sechs Männer und Frauen gekommen, alle gehören sie zur „Anwohnerinitiative Flüchtlingsunterkunft Altdorf/Röthenbach“. Sie seien nicht prinzipiell gegen eine Unterkunft. Das Landratsamt binde die Anwohner aber nicht in seine Planungen ein.
Mit 40 Menschen, wie es das Landratsamt zunächst angegeben hatte, wäre das Haus überbelegt, findet etwa die Röthenbacherin Christine Lindsiepe. Ihr Mitstreiter Ulli Schneeweiß sagt: „Wenn man so viele Menschen auf engstem Raum zusammenpfercht, da sind Probleme nicht ganz unwahrscheinlich“.
Die Initiative meint: 20 Leute in dem Haus unterzubringen, wäre angemessen. Rechnet sich nicht, antwortet das Landratsamt. Muss sich auch nicht rechnen, sagt die Initiative. Denn wer habe festgeschrieben, dass immer ein Betreiber mit Gewinninteresse eine solche Unterkunft übernehmen müsse?
Die Firma, die den Föhrenweg 6 gekauft hat und nach jetzigem Stand den Auftrag zum Betrieb bekommt, würde nach seinen Berechnungen so viel Geld verdienen, dass nach zweieinhalb Jahren der Kaufpreis der Immobilie amortisiert sei, sagt Schneeweiß: Da würde Steuergeld privatisiert. Wie viel Geld der Betreiber pro Bewohner und Tag erhält, geben die Behörden indes nicht bekannt.
Eine Alternative ist für die Anwohnerschaft ein „Bürgermodell“ ohne Gewinnabsicht. Bürgerinnen und Bürger vor Ort sollen die Verantwortung für den Betrieb der Unterkunft übernehmen. Das Modell sei noch nicht fertig, erklärt der Sozialwissenschaftler Peter Dienst, der ebenfalls Anwohner ist. Es werde professionelle Hilfe von vielen Seiten benötigt, etwa Wohlfahrtsverbänden. Die Initiative hat nun im Internet eine Petition „Bürgermodell bei Geflüchtetenunterkünften statt Gewinnmaximierung“ gestartet, die bisher 200 Personen unterstützen.
„Prinzipiell gerne“, sagt das Landratsamt zu dem Vorschlag und sichert zu, man werde „eine geeignete Immobilie im Bürgermodell als Unterkunft annehmen“. Eine Sprecherin gibt aber zu bedenken, dass das Betreiben einer Unterkunft „eine anspruchsvolle und intensive Aufgabe“ sei. Das Landratsamt müsse sich, egal, wer eine Unterkunft betreibe, „völlig darauf verlassen können, dass die Anforderungen erfüllt werden können, denn es gibt ja Menschen in dessen Obhut“.
Ver.di-Gewerkschaftssekretär Ulli Schneeweiß, im Umgang mit Behörden erprobt, zeigt Verständnis für die Haltung des Landratsamts. Aber die Mitglieder der Initiative sehen sich vom Landratsamt als Störenfriede behandelt, quasi „abgefertigt“. „Die Idee stört die eingeübten und liebgewonnenen Verwaltungsabläufe“, stellt Schneeweiß fest, „aber man muss sich einfach auch mal auf Wünsche der Bürger einlassen“.
Es gebe seit Ende März Austausch sowohl mit der Bürgerinitiative als auch mit einzelnen Mitgliedern, wehrt sich das Landratsamt. Es habe Dutzende Mails, mehrere Briefe und Gespräche gegeben. Die Abteilung Soziales, das Bauamt, das Büro des Landrats und Landrat Armin Kroder (FW) selbst hätten Fragen beantwortet. Nun planen die Röthenbacher nach den Ferien eine öffentliche Veranstaltung mit einem Experten oder eine Expertin für Bürgerbeteiligungsmodelle.
Gelegentlich sind Handwerker im Föhrenweg 6 gesehen und gehört worden. Wenn der Betreiber die Unterkunft irgendwann einmal startklar hat, „dann sprengt das unsere Gruppe“, befürchtet Schneeweiß. Aber „die Menschen, die dann dort wohnen, brauchen trotzdem Hilfe“.
Altdorf (epd). Eine Asylunterkunft in Eigenregie übernehmen möchte eine Nachbarschaftsgruppe im Altdorfer Ortsteil Röthenbach im Landkreis Nürnberger Land. Sie kritisiert, das Landratsamt setze für den Betrieb der Einrichtung vorschnell auf einen Betreiber, der mit der Unterkunft Geld verdienen will. Dem Sprecher der Gruppe, dem Rummelsberger Diakon und Sozialwissenschaftler Peter Dienst, stellte Jutta Olschewski ihre Fragen.
epd sozial: Sie sind für den Betrieb der Unterkunft in ihrem kleinen Ort auf ein Bürgerbeteiligungsmodell gekommen. Wieso glauben Sie, dass das die Zukunft ist?
Peter Dienst: Weil ich in meiner beruflichen Praxis erlebe, wie stark die soziale Landschaft unter Druck ist und dass es überall Mangel gibt. Bürger-Konzepte sind keine Erfindung von uns. Ich habe mir das zum Beispiel in Vorarlberg angeschaut, wo Bürgerbeteiligungsmodelle Standard sind. Die Erfahrung dort zeigt, dass man in solchen großen gesellschaftlichen Umbrüchen die Bürger nicht einfach vor vollendete Tatsachen stellen kann, sondern sich stärker darum bemühen muss, die Bürger zu beteiligen. Ohne Frage ist das schwierig, aber es wird nur so gehen, weil wir nur so die Akzeptanz und sozialen Netzwerke bekommen, die in Zukunft tragfähig sind. Für das, was wir brauchen, gibt es keine Blaupause, aber wir haben Bausteine.
epd: Wie soll das in Praxis genau aussehen?
Dienst: Man könnte zum Beispiel eine Sozialgenossenschaft bilden, die eine große Menge an Menschen miteinander tragen kann oder etwas wie das Raiffeisen-Modell. Das ist doch ein viel stabileres Netzwerk, als gegen die Widerstände von Menschen arbeiten zu müssen, die Befürchtungen haben.
epd: Sie sagen, das wird ein stabiles Netzwerk. Aber Sie brauchen doch da Pfeiler, etwa die Diakonie, Caritas und die Ämter, oder nicht?
Dienst: Wir brauchen alle Beteiligten, weil alle daran auch ein Interesse haben. Wir brauchen die Ehrenamtskreise, die Erfahrung haben, genauso wie die Infrastruktur - wie übrigens das Landratsamt oder andere die auch benötigen. Auch sie brauchen Fachleute oder die Expertise, um überhaupt Sprachkurse und was alles notwendig ist, anzubieten. Die Infrastruktur muss gewährleistet sein und daher geht es ja nur im Netzwerk miteinander. Miteinander heißt, nicht nur Wahlbürger zu sein, sondern Bürger, die auch Verantwortung übernehmen. Viele Menschen zusammen können tragfähige Strukturen machen. Einfacher ist das nicht, aber es muss für die Zukunft geübt werden.
epd: Geht ihr Modell schief, könnten sich Rechtsextremisten, die gegen Flüchtlinge hetzen, die Hände reiben. Ist es nicht riskant, ein Bürgermodell an dem sehr sensiblen Thema Asyl auszuprobieren?
Dienst: Natürlich ist es riskant, aber es ist nun mal das, was uns hier jetzt eint und wo ein Ansatz da ist, an dem Menschen etwas miteinander bewegen wollen. Riskant ist alles. Wenn Sie heute alt werden, ist es auch riskant.
Berlin (epd). Zwar wird Prognosen zufolge die Zahl der Absolventen in Gesundheits- und Pflegeberufen bis 2035 steigen. Doch das bedeutet aus der Sicht der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) keine Entwarnung beim Problem des Fachkräftemangels, wie es in einer Mitteilung vom 2. August heißt. Auch, weil die Zuwächse unzureichend sind und die Teilzeitbeschäftigung vieler Fachkräfte auch langfristig bestehen bleibe.
Die DKG verwies auf ein Gutachten des Deutschen Krankenhausinstituts (DKI), wonach in den kommenden zehn Jahren die Zahl der Ärztinnen und Ärzte um rund 15.400 (8 Prozent), die der examinierten Pflegekräfte um 32.100 (7 Prozent) und die der examinierten Kinderkrankenpflegekräfte sogar um 20 Prozent oder 9.100. „Entwarnung für den Fachkräftemangel bedeuten diese Zahlen aber nicht“, kommentierte die DKG.
Zum einen fiele dieser Zuwachs geringer aus als der der vergangenen Jahre. Zwischen 2025 und 2030 wird die Zahl der altersbedingten Ausstiege sogar die der Berufseinstiege trotz der genannten Zuwächse und einschließlich der Zuwanderung übertreffen. Für die Zeit nach 2030 sieht die Studie leichte Verbesserungen und erwartet steigende Absolventenzahlen. Des Weiteren bliebe der hohe Anteil an Teilzeitbeschäftigung im Gesundheitswesen ein Problem. Setzte sich der Trend zu reduzierten Arbeitszeiten fort, könnte schon dieser Effekt die kleinen Steigerungen bei der Personalzahl wieder zunichtemachen.
„Selbst in optimistischen Szenarien werden wir den Fachkräftemangel im Gesundheitswesen nicht mit immer mehr Personal ausgleichen können, weil es dieses Personal schlicht nicht geben wird. Einwanderung ist ebenfalls keine alleinige Lösung, da auch hier die Zahl nie ausreichen wird und gleichzeitig die typischen Herkunftsländer durch demografischen Wandel einen höheren Eigenbedarf haben werden“, sagte der Vorstandsvorsitzende der DKG, Gerald Gaß.
Deutschland habe pro Einwohner so viele Pflegekräfte wie wenige andere Länder auf der Welt, pro Krankenhausfall aber nur relativ wenige. „Wer den Fachkräftemangel lösen will, muss neben mehr Digitalisierung und Flexibilisierung beim Personaleinsatz auch mehr ambulante Behandlungen an Krankenhäusern zulassen“, so Gaß. Denn dank der harten Grenzen zwischen ambulant und stationär müssten noch viel zu viele Patientinnen und Patienten stationär mit entsprechend hohem Personalaufwand behandelt werden, die ambulant am Krankenhaus genauso gut versorgt wären.
„Unsere Studie zeigt, dass sich das Fachkräftepotenzial bis 2035 insgesamt nicht schmälern muss. Wegen des steigenden Fachkräftebedarfs infolge der Demografie gibt es aber keinen Grund zur Entwarnung“, so der DKG-Chef. Deswegen müssten Politik und Krankenhäuser die Attraktivität der ärztlichen und pflegerischen Berufe weiter stärken, um im Wettbewerb um Auszubildende und Berufseinsteiger zu bestehen und vorzeitige Berufsausstiege zu vermeiden", sagte Karl Blum, Vorstand des DKI.
Bonn (epd). Das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) mahnt eine modernere berufliche Aus- und Weiterbildung an. Sie müsse „flexibler, inklusiver und exzellenter“ werden, sagte Instituts-Präsident Friedrich Hubert Esser am 6. August in Bonn zur Veröffentlichung des Jahresberichts 2023. Bis 2030 werde sich der Mangel an Fach- und Arbeitskräften in Deutschland weiter verschärfen: „Ökonomen prognostizieren allein den alterungsbedingten Verlust an potenziellem Arbeitsvolumen auf 3,2 Milliarden Arbeitsstunden.“
Die Zahl der unbesetzten Ausbildungsplätze nimmt laut Esser weiterhin zu. Auch die Zahl der Personen unter 34 Jahren ohne Berufsabschluss steige unvermindert: 2,9 Millionen Menschen seien betroffen.
Laut dem Institut werden in Deutschland seit 2010 jährlich im Durchschnitt rund ein Viertel aller neu abgeschlossenen Verträge in der dualen Berufsausbildung vorzeitig gelöst. Eine Analyse des BIBB auf Basis von Daten des Nationalen Bildungspanels von etwa 7.000 Auszubildenden zeigt, dass junge Menschen, deren Berufserwartungen nicht erfüllt werden, ihr Ausbildungsverhältnis mit einer höheren Wahrscheinlichkeit wieder auflösen.
Etwa 13 Prozent der Auszubildenden, die starke Kompromisse bei ihrer Berufswahl eingegangen sind, beendeten demnach ihre Ausbildung innerhalb des ersten Ausbildungsjahres wieder. Unter denjenigen, die ihre Erwartungen durch die Wahl ihres Ausbildungsberufes erfüllen konnten, lag der Anteil bei nur sechs Prozent.
Hannover (epd). Die rot-grüne Landesregierung hat den vierten Aktionsplan Inklusion beschlossen. Damit setze sich Niedersachsen weiter konsequent für die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention ein, teilte die Staatskanzlei am 6. August in Hannover mit. Im Mittelpunkt des Aktionsplans stehen 97 konkrete Maßnahmen aller Ressorts, die bis spätestens 2027 umgesetzt sein sollen.
Dazu zählt unter anderem die Förderung der Barrierefreiheit in hausärztlichen Praxen. Das Land unterstützt dazu nötige Umbauten mit rund 800.000 Euro im laufenden Jahr. Auch die Etablierung von Förderschullehrkräften an inklusiven Schulen ist in dem Aktionsplan festgeschrieben. So sollen bis Ende 2027 insgesamt 1.700 Lehrkräfte mit dem Lehramt für Sonderpädagogik an öffentlichen allgemeinbildenden Schulen eingestellt beziehungsweise dorthin versetzt werden.
Weiterhin sollen die Angebote für Menschen mit Hörbehinderungen in Landestheatern und -museen ausgebaut, eine interdisziplinäre Projektgruppe für inklusives Bauen und Wohnen geschaffen und hauptberufliche Inklusionscoaches im organisierten Sport eingesetzt werden. Im niedersächsischen Justizvollzug soll zudem ein Konzept für die Behandlung mehrfach psychisch erkrankter Gefangener entwickelt und eine spezialisierte Abteilung in der Justizvollzugsanstalt Sehnde eingerichtet werden.
Marburg, (epd). Diakonissen pflegen einen einfachen Lebensstil, tragen Tracht und leben ehelos in einer christlichen Gemeinschaft. Jetzt stehen die sechs Mutterhäuser, in denen die Diakonissen des Deutschen Gemeinschafts-Diakonieverbands (DGD) wohnen und arbeiten, vor einem Umbruch: In den kommenden Jahren wandeln sie sich zu sogenannten „Lebensparks“. Durch Umbauten entstehen derzeit 40 Wohnungen für Menschen, die in die Gemeinschaft einziehen und das neue Konzept aktiv mitgestalten wollen.
Mutterhäuser betreibt der DGD in Lemförde, Elbingerode, Marburg, Velbert, Neustadt-Lachen und Gunzenhausen. Verschiedene Standorte hätten sich bereits auf den Weg gemacht, erklärt der Berater für Kommunikation und Marketing, Michael Stöckmann. In Elberingerode im Harz und in Velbert seien bereits Wohnungen fertig. Im Diakonissen-Mutterhaus Hebron in Marburg werden die oberen Etagen und in Lemförde die Gründungsvilla umgebaut. „Es gibt Bewerbungen und an einigen Stellen sind schon Mieter eingezogen.“ Am 1. Juli gründete sich eine DGD-Lebenspark-Dachgenossenschaft.
Neue Wege sind nötig, weil die Lebensform der Diakonissen in ihrer traditionellen Ausgestaltung wahrscheinlich keine Zukunft hat. Es gebe immer weniger Diakonissen, berichtet Stöckmann: „Der Altersdurchschnitt in den Häusern beträgt 80 Jahre.“ Schwesternzimmer und Gottesdienstsäle standen leer. „Vor zwei Jahren haben wir uns entschieden, die Häuser zu Lebensparks umzubauen.“
Das erste Diakonissenhaus entstand 1836 in Kaiserswerth bei Düsseldorf für Frauen, die als Krankenschwestern arbeiteten und eine Heimat, einen geistlichen Rückhalt brauchten. Einen Beruf ergreifen und ohne Familie leben - das war damals für Frauen undenkbar. Die Lebensform Diakonisse stammt aus einer Zeit, in der Frauen vieles verschlossen war. Jetzt tragen die verbliebenen 500 Schwestern den neuen Weg mit. Beschlüsse in den Mitgliederversammlungen fielen Stöckmann zufolge fast alle einstimmig.
Das Konzept will auch eine Antwort geben auf den demografischen Wandel und zunehmende Einsamkeit im Alter. In den Häusern sollen die neuen Mitbewohner Gemeinschaft und gegenseitige Fürsorge finden. Vor allem in der Aufbauphase sucht der DGD Leute, die sich einbringen. Das kann Rasenmähen sein oder ein soziales Projekt, Musikunterricht oder ein Computerkurs. Auf der Website wird betont: „Lebensparks sind bewusst christlich geführte Häuser.“ Zum Angebot gehören Andachten und Gottesdienste, Seelsorge, Bibelkreise und evangelistische Vorträge.
Neue Bewohnerinnen und Bewohner können als Mieter einziehen oder Genossenschaftsanteile erwerben. Es entstehen Wohngemeinschaften ebenso wie Wohnungen mit hundert Quadratmetern. Die Mieten seien so gerechnet, „dass Durchschnittsbürger sie sich leisten können“, versichert Stöckmann.
In einem Jahr, kalkuliert der DGD, werden voraussichtlich die meisten der 40 Wohnungen belegt sein. Es gibt Planungen für Neubauten, etwa in Velbert, zuerst werden aber bestehende Häuser verändert. Der DGD überlegt außerdem, Verwaltungsgebäude in guter Lage umzubilden.
In jedem Haus existieren laut Stöckmann entweder Altenpflegeeinrichtungen oder mobile Pflegedienste, teilweise gehören Kliniken dazu. Manche Häuser haben Schwimmbäder oder Buch-Cafés, andere liegen in wunderschöner Natur. in Velbert befinden sich drei Schulen auf dem Gelände und schaffen „ein Flair von mitten im Leben“.
Die Babyboomer lassen die Zahl der Pflegebedürftigen in den kommenden Jahren steigen. Gleichzeitig verschärft sich der Personalmangel sowohl in der ambulanten als auch in der stationären Pflege und Betreuung. Hinzu kommt, dass steigende Lohnkosten, Inflation und fehlende Investitionen dafür sorgen, dass Heime und ambulante Dienste chronisch unterfinanziert sind und teils insolvent gehen. Als weitere Folge der steigenden Kosten schießen die Eigenbeiträge der im Heim versorgten Menschen in die Höhe.
Vor diesem Krisenszenario ist zwischen Akteuren aus Politik, Wissenschaft und Praxis eine Grundsatzdebatte über die Zukunft der pflegerischen Versorgung in Deutschland entbrannt. Im Mittelpunkt steht die Sorge um die Versorgungssicherheit für unsere alten und pflegebedürftigen Menschen heute und in Zukunft. Klar ist: Es muss sich etwas ändern.
Diskutiert werden aktuell verschiedene Ansätze. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat dazu einen Gesetzentwurf für die zweite Jahreshälfte 2024 angekündigt, in dem auch das Konzept der stambulanten Versorgung als dritte Säule neben ambulanter und stationärer Versorgung eine wichtige Rolle spielen soll.
Die Versorgungsform „stambulant“ ist nicht neu: Als Mitmach-Pflegeheim" der BeneVit Gruppe in Wyl, Baden-Württemberg, liefert der Ansatz seit inzwischen acht Jahren praktische Erfahrungen im Modellprojekt - mit wissenschaftlicher Begleitung. Der Alltag wird selbst zur therapeutischen Methode, weil alle Bewohner des Pflegeheims aktiv eingebunden sind. Sie übernehmen das Kochen, Waschen, Reinigen, Bügeln, Dekorieren, Gartenarbeit und andere Tätigkeiten selbst, je nach geistiger und körperlicher Fähigkeit, und erleben sich somit als wertvolle Mitglieder der Hausgemeinschaft.
Auch Angehörige können sich an den Tätigkeiten beteiligen, um den Eigenanteil der Heimkosten zu senken. Im Vordergrund steht das miteinander Leben und Bewältigen der täglich anfallenden Aufgaben in der Gemeinschaft. Hierzu wurde das Pflegefachpersonal zugunsten hauswirtschaftlicher und betreuender Mitarbeitenden verringert. Das Wohnambiente im Pflegeheim in Wyl erinnert an eine Großfamilie - mit offenem Kamin im Wohnzimmer und einer großen Küche mit Essplatz. Ein Dienstzimmer der Pflegekräfte sucht man dort vergeblich.
Revolutionär an der Finanzierungssystematik ist, dass sowohl Mittel aus der Krankenversicherung nach SGB V als auch aus der Pflegeversicherung nach SGB XI abgerufen werden, was derzeit in der stationären Pflege nicht möglich ist.
Ein grundsätzlicher Architekturfehler bei Einführung der Pflegeversicherung war, dass die Leistungen der medizinischen Behandlungspflege, wie etwa Kompressionsstrümpfe anziehen oder die Wundversorgung für Pflegebedürftige, in stationären Einrichtungen nicht über die Krankenversicherung finanziert werden. Das könnte sich mit dem stambulanten Versorgungskonzept ändern.
Zustimmung kommt auch aus der Pflegewissenschaft. Professor Heinz Rothgang von der Universität Bremen befürwortet das Konzept grundsätzlich, warnt jedoch vor Abgrenzungsproblemen zwischen der Abrechnung ambulanter und stationärer Pflegeleistungen und vor der Errichtung einer dritten Säule.
Abrechnungsschwierigkeiten sieht Kaspar Pfister, geschäftsführender Gesellschafter der BeneVit Gruppe, in seinem Modell nicht, weil alle erbrachten Leistungen ambulant abgerechnet werden. Ein Fachtag zum Thema beim Caritas-Diözesanverband Essen Anfang Juli hat gezeigt, wie schwierig es ist, diesen Ansatz Personalverantwortlichen und Praktikern aus dem Bereich der Pflege zu vermitteln. Die reflexartige Antwort „Das machen wir doch alles schon!“ wird dem stambulanten Konzept jedoch nicht gerecht.
Es ist eine echte Alternative, was die Versorgungsform in der Langzeitpflege angeht. Leider sind die gesetzlichen Grundlagen für eine flächendeckende Umsetzung noch nicht geschaffen. Meine Hoffnungen ruhen auf der angekündigten Gesetzesinitiative von Bundesgesundheitsminister Lauterbach.
Wir brauchen dringend kreative Lösungen in der Pflege und neue Ansätze von Wohn- und Versorgungskonzepten, um den vielfältigen Bedarfen einer kommenden Generation Pflegebedürftiger gerecht zu werden, die es gewohnt ist, selbstbestimmt zu leben und eigenständig zu entscheiden. So individuell wie die Lebensstile der Babyboomer sind, muss auch die pflegerische Versorgung flexibler werden. So viel Hilfe, wie nötig, so viel Selbstständigkeit, wie möglich.
Aber es bleiben - wie bei allen Veränderungen - auch Fragen offen: So bedeutet eine deutliche Verringerung der Fachkraftquote in der Pflege zusätzliche Verantwortung für die verbleibenden Pflegefachkräfte. Wie wirkt sich das aus? Wie verbindlich können Ehrenamtliche und Angehörige in Versorgungsprozesse eingebunden werden? Muss ich mich als Angehörige zukünftig entscheiden, ob ich lieber Mamas Wohnung putzen will oder mit ihr Eis essen gehe?
Am 1. Januar 2025 wird die Pflegeversicherung 30 Jahre alt. Das ist ein guter Zeitpunkt, zurückzublicken und zugleich den Blick perspektivisch nach vorn zu richten. Wie geht es weiter mit der Pflege? Ein Schritt in die richtige Richtung wäre, die medizinische Behandlungspflege vollumfänglich aus der Krankenversicherung zu finanzieren. Das würde deutlich zur Kostensenkung beitragen.
Das stambulante Konzept bietet zudem die Möglichkeit, die stationäre Versorgung ganz neu zu denken - Bedürfnisse von Angehörigen und Pflegebedürftigen stärker zu berücksichtigen und das Pflegepersonal von Alltagsaufgaben zu entlasten. Gleichzeitig eröffnet sich die Chance, Kosten zu reduzieren. Das ist ein Aufbruch und ein Ansatz für grundlegende Veränderungen. Es ist nicht die alleinige Lösung, aber kann ein Baustein zur künftigen Versorgungssicherheit werden.
Mönchengladbach (epd). Die Ruhrgebietskonferenz-Pflege fordert eine grundlegend neue Finanzierung von Pflege- und Betreuungsleistungen. Zur Begründung verweist der Arbeitgeberzusammenschluss auf explodierende Kosten für die Pflegebedürftigen und deren Angehörige in Heimen. „In stationären Einrichtungen zahlen Menschen aktuell im Bundesdurchschnitt 2.870 Euro aus ihrer eigenen Tasche für die Versorgung. Das sind fast zehn Prozent mehr als noch Mitte 2023“, heißt es in der Miteillung. Die Ruhrgebietskonferenz-Pflege betonte, dass die Situation in der ambulanten Pflege für die Betroffenen mindestens genauso dramatisch sei.
„Bei angenommenen zwei Stunden Pflege pro Tag durch einen ambulanten Pflegedienst belaufen sich die Kosten auf rund 4.000 Euro pro Monat. Die Pflegekasse übernimmt im Pflegegrad 2 aber nur 761 Euro und im Pflegegrad 3 lediglich 1.432 Euro pro Monat. Bleibt ein rechnerischer Eigenanteil je nach Pflegegrad zwischen 3.239 und 2.568 Euro“, so Sprecher Thomas Eisenreich.
Von den rund fünf Millionen pflegebedürftigen Menschen in Deutschland leben den Angaben nach 84 Prozent im eigenen Haushalt. 16 Prozent (rund 794.000 Betroffene) leben in stationären Einrichtungen. Rund 4,2 Mio. Pflegebedürftige werden in der eigenen Wohnung versorgt. 1,1 Millionen Personen erhalten dabei Unterstützung durch einen ambulanten Pflege- oder Betreuungsdienst.
Laut Eisenreich ist ein Ende der Preissteigerungen in der Pflege nicht absehbar. Es sagte: „Der ausschließliche Blick auf die Eigenanteile in der stationären Pflege verschleiert und verharmlost die dramatische Situation, in der sich die Mehrheit der Pflegebedürftigen und deren Angehörige derzeit befindet.“
Die Träger stellten erneut die Systemfrage der Finanzierung. „Mit Obergrenzen und Preisbremsen ist es nicht getan. Um die außerordentlichen Belastungen abzufedern, benötigen wir eine grundlegende Neuaufstellung der Finanzierung von Pflege- und Betreuungsleistungen“, sagte Ulrich Christofczik, Geschäftsführer der Evangelischen Dienste Duisburg und ebenfalls Sprecher der Ruhrgebietskonferenz-Pflege. „Ein ‚weiter so‘ darf es nicht geben. Die Zeche zahlen die Betroffenen und die Kommunen. Damit muss jetzt Schluss sein. Die Bundesregierung spielt auf Zeit, “die wir und die Betroffenen aber nicht haben."
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) habe Entbürokratisierung, Kompetenzstärkung, neue Versorgungssäulen und jetzt die Einführung von Obergrenzen versprochen. Jetzt müsse er liefern, so die Forderung der Fachleute.
Berlin (epd). Der Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge hat ein neues Themenheft präsentiert, das „innovative und zielführende Lösungsansätze zur häuslichen Pflege“ vorstellt. Zehn Beiträge aus Wissenschaft und Praxis erörterten drängende Fragen der Pflege, heißt es in einer Pressemitteilung vom 31. Juli.
Beantwortet würden etwa folgende Fragen: Welche Unterstützung brauchen An- und Zugehörige, um Pflege und Beruf zu vereinbaren? Welche Arrangements zwischen professionellen Pflegekräften, An- und Zugehörigen und Live-in-Betreuungskräften sind möglich? Welche Infrastruktur vor Ort ist nötig, um die Bedarfe pflegebedürftiger Menschen zu decken?
„Die Dringlichkeiten pflegepolitischer Fragen sind weithin bekannt: wachsende Pflegebedarfe angesichts demografischen Wandels bei knappen öffentlichen Mitteln und Fachkräftemangel“, so der Verein. Gleichzeitig erlebten pflegende An und Zugehörige eine starke Überforderung und Mangel an Unterstützung.
Das Themenheft wolle Lösungswege aufzeigen und erörtere Fragen der Digitalisierung und Reformvorschläge zu Familienpflegezeit und -geld. Auch Initiativen zur Nachbarschaftshilfe und gegen Einsamkeit, nicht familiengebundene Arrangements wie haushaltsnahe Dienstleistungen werden den Angaben nach thematisiert. Vorgestellt würden zudem kommunale Sozialdienste für ältere Menschen und Live-in-Care-Modelle.
Göppingen (epd). Auch in der Viehwirtschaft regiert das Gesetz des Markts: Was nicht ausreichend Ertrag bringt, wird irgendwann nicht mehr gezüchtet. So ging es in den vergangenen Jahrzehnten etwa dem Limpurger Rind, dem Ostfriesischen Milchschaf und dem Wollschwein. Sie stehen inzwischen auf der Roten Liste der gefährdeten Nutztierrassen in Deutschland. In einem Sozialprojekt in Göppingen helfen Langzeitarbeitslose, die Rassen vor dem Aussterben zu bewahren.
Für die Initiatoren bei der gemeinnützigen Gesellschaft „Staufen Arbeits- und Beschäftigungsförderung“ (SAB) gehen bei diesem Projekt wirtschaftliche und christliche Motive zusammen. Zum einen tragen die Gesellschafter - die Diakonie im Kirchenbezirk Göppingen sowie das katholische Dekanat Göppingen-Geislingen - damit zur Bewahrung der Schöpfung bei. Zum anderen treten sie mit ihrem speziellen Tierprojekt nicht in Konkurrenz zu anderen Landwirten der Region. Das dürften sie auch nicht, weil die Arbeit bezuschusst wird und deshalb zu Wettbewerbsverzerrungen führen würde.
Für Kai Münzing, seit November Geschäftsführer der SAB, passt dieses Projekt perfekt ins Portfolio des Sozialunternehmens. Seine Gesellschaft betreut im Jahr mehr als 1.000 Menschen, hat 35 Angestellte sowie 45 Beschäftigte, die aus der Langzeitarbeitslosigkeit kommen. Arbeitsbereiche sind unter anderem zwei Fahrradwerkstätten, ein Wäschepflege- und Bügelservice und das „Suppentöpfle“, aus dem täglich bis zu 250 Gäste „Fastfood mit Slowfood“ genießen, erläutert Münzing. Ziel sei es, die Klienten an den regulären Arbeitsmarkt heranzuführen.
Im offenen Stall steht der Bulle Wando. Das junge Männchen soll baldmöglichst die rund 20 Limpurger Kühe bespringen, die auf dem Waldeckhof im Göppinger Teilort Jebenhausen leben. Mit seinem Nasenring klappert er gegen das Metallgatter. Gegenüber liegt der Stall mit den Wollschweinen, von denen ebenfalls etwa 20 in der Anlage leben. Größer ist der Bestand bei den Ostfriesischen Milchschafen, deren Zahl nach der Geburt der Lämmer auf bis zu 300 ansteigt.
Dass es sich hier nicht um einen exzentrischen Streichelzoo, sondern um einen Agrarbetrieb handelt, zeigt sich im kleinen Laden des Waldeckhofs. Würste, Braten und Käse lagern in Gefrierschrank und Kühltheke. Verschiedene Sorten von Schafskäse sowie Speiseeis aus Schafsmilch stellen die Klienten unter fachkundiger Aufsicht selbst her. Mit den gezüchteten Nischentieren bedient die SAB auch kulinarisch eine Nische - denn diese Milch- und Fleischprodukte finden sich sonst fast nirgends.
Besondere Tiere brauchen allerdings auch besondere Schlachtereien. So müssen die Wollschweine in einen 70 Kilometer entfernten Betrieb nach Mössingen bei Tübingen gefahren werden. Denn im Gegensatz zum Hausschwein, dessen Borsten sich abbrühen und wegbürsten lassen, muss das Wollschwein von seinem Fell getrennt werden. Für das Tierwohl sind solche langen Wege ungünstig, räumt Geschäftsführer Münzing ein, doch für einen fachgerechten Schlachtvorgang habe er noch keine bessere Lösung gefunden.
Für die Frauen und Männer im Projekt bietet die Tierzucht die Chance, wieder in einen geregelten Arbeitsrhythmus zu kommen. „Wir brauchen diese Kräfte“, sagt Kai Münzing, der ehrenamtlich auch der Synode der Evangelischen Landeskirche in Württemberg und künftig dem kommunalen Gemeinderat seiner Heimatgemeinde Dettingen an der Erms (Kreis Reutlingen) angehört. Langzeitarbeitslose wieder für den Arbeitsmarkt fitzumachen und weiterzuqualifizieren, sei ein wichtiger Baustein gegen den Mitarbeitermangel in vielen Branchen. Das Engagement für die Nutztiere könne einen Beitrag dazu leisten.
Berlin (epd). Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) und die Bundesagentur für Arbeit (BA) haben am 6. August in Berlin eine Rahmenvereinbarung unterzeichnet, die ihre Zusammenarbeit im Bereich der Integration geflüchteter Menschen in den Arbeitsmarkt intensivieren soll.
Karin Sonnenholzner, Präsidentin der Arbeiterwohlfahrt (AWO), sagte dazu: „Geflüchtete Menschen wollen ihren Beitrag in der Gesellschaft leisten. Damit dies gelingt, brauchen sie Unterstützung beim Ankommen in Deutschland und Zugänge zum Arbeitsmarkt. Die Wohlfahrtsverbände arbeiten künftig noch enger mit der BA zusammen, um praxisnahe Lösungen für Hürden und Herausforderungen bei der nachhaltigen Erwerbsintegration zu suchen und um geflüchtete Menschen auf ihrem Weg in die Erwerbstätigkeit noch besser unterstützen zu können.“
Ziel der Kooperation ist es, die berufliche und soziale Eingliederung von Zuwanderern zu verbessern. Die Partner wollen dazu ihre Expertise und Kompetenzen bei der Arbeitsmarktintegration bündeln. Zudem setzen sich die Organisationen gemeinsam für eine Verbesserung des gesellschaftlichen Aufnahmeklimas ein. Das Bundesarbeitsministerium beabsichtigt, mit dem Job-Turbo die Integrationsverläufe zu beschleunigen und geflüchtete Menschen schneller in Arbeit zu bringen.
Es sei zudem wichtig für die rasche Arbeitsmarktintegration, dass laufende Weiterbildungsprozesse nicht zwecks der Aufnahme einer Tätigkeit unterbrochen werden sowie eine den Bedarfen der zugewanderten Menschen adäquate Berufsberatung erfolgt. Weiter heißt es in der Vereinbarung: „Eine nachhaltige Integration in den Arbeitsmarkt berücksichtigt auch die Bedarfe von besonderen Zielgruppen und reagiert entsprechend, wenn beispielsweise ein psychosozialer Unterstützungsbedarf vorliegt oder es an einem Platz zur Kinderbetreuung fehlt.“
Die Organisationen wollen sich auch dafür einsetzen, dass strukturelle Hürden abgebaut werden, die den Einstieg in den Arbeitsmarkt für zugewanderte Menschen erschweren. So sollte auch eine die schnellere Anerkennung von Berufsabschlüssen ermöglicht werden.
Hannover (epd). Die Diakonie in Niedersachsen fordert zum Schulstart der neuen Erstklässler mehr staatliche Hilfen für Familien mit wenig Geld. „Die Leistungen müssen dringend angepasst werden, vor allem vor dem Hintergrund der Inflation“, sagte die langjährige Sozialberaterin und Bereichsleiterin Birgit Wellhausen dem Evangelischen Pressedienst (epd). Es gehe darum, Familien mit wenig Einkommen zu entlasten und Kindern unabhängig vom Geldbeutel der Eltern einen guten Start ins Schulleben zu ermöglichen.
In Niedersachsen werden am 10. August rund 82.000 Jungen und Mädchen eingeschult. „Der Schulanfang stellt für jede Familie eine finanzielle Belastung dar“, sagte Wellhausen. Eltern müssten dabei mit Kosten zwischen 200 bis 600 Euro rechnen.
Familien, die Bürgergeld beziehen, können zum Schulstart für ihre Kinder jährlich Leistungen für Bildung und Teilhabe beantragen. Zu Beginn eines Schuljahrs erhalten sie pro Kind zunächst 130 Euro und dann im zweiten Halbjahr noch einmal 65 Euro.
„Für Familien, die wenig Geld zur Verfügung haben, ist das eine fast unlösbare Aufgabe.“ Vom Schulranzen über Hefte und Bastelsachen bis hin zu Sportschuhen, Schulbüchern, Trinkflaschen oder Brotdosen müsse alles neu angeschafft werden.
Und in jüngster Zeit sei alles teurer geworden - so hätten sich die Preise für Zeichenblöcke und Hefte 2023 um 13,6 Prozent erhöht. Zusätzlich kämen von den Schulen häufig noch Listen mit weiteren Materialien. Zwar könnten Eltern beim Schulstart sparen und manches weglassen. „Aber das sind dann die schönen Dinge, die die Einschulung zu einem einmaligen Erlebnis machen wie die Schultüte.“
Wenn Kinder an der Schule schlechter ausgerüstet seien als andere, sei dieser Mangel für die Mitschüler sichtbar und auch für sie selbst spürbar, sagte Wellhausen: „Sie merken: Ihnen fehlt etwas, und das versuchen sie oftmals zu kompensieren. “Das bedeutet eine enorme Anstrengung, und diese Energie fehlt diesen Kindern dann häufig für das Lernen. Damit sind die Startbedingungen für die Kinder nicht gleich."
Stark betroffen seien Alleinerziehende, erläuterte Wellhausen. Bei ihnen sei die Armutsgefährdungsquote besonders hoch. In Niedersachsen liege sie bei mehr als 40 Prozent. Wellhausen riet betroffenen Familien, sich von Experten beraten zu lassen, auf welche staatlichen Leistungen sie Anspruch hätten. „Nicht alle Leistungen sind den Familien bekannt.“ Und die Antragstellung sei kompliziert, da manche Verfahren voneinander abhingen und in einer bestimmten Reihenfolge beantragt werden müssten.
Nürnberg (epd). „Vielfalt stärken - Solidarität leben - Wandel gestalten“, so lautet das Motto der diesjährigen Fachmesse ConSozial, die zum 25. Mal stattfindet. „Menschen in der Sozialwirtschaft sind Vorbilder. In Zeiten, in denen politische Fliehkräfte an unserer Mitte von rechts, links, innen und außen zerren und der Fachkräftemangel im sozialen Bereich präsent ist, brauchen wir sie alle mehr, denn je“, sagte Bayerns Sozialministerin Ulrike Scharf am 2. August. Das zweitägige Treffen findet am 16. und 17. Oktober auf der Nürnberger Messe statt.
ConSozial-Interessierte erwartet den Angaben nach ein breit gefächertes Angebot mit thematischen Sonderflächen. „25 Jahre ConSozial, für mich bedeutet das 25 Jahre an der Zukunft und Weiterentwicklung des sozialen Miteinanders festhalten. Der Innovationspark verdeutlicht mit seinen Startups welches Potenzial gerade geweckt wird, was wir durch die Verleihung des Innovationspreises unterstreichen“, so Beate Fischer, Veranstaltungsleiterin der ConSozial.
Die Eröffnungs-Keynote kommt von Alena Buyx, Professorin für Ethik in der Medizin und Gesundheitstechnologien sowie Direktorin des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin an der Technischen Universität München. Sie forscht im Bereich der biomedizinischen und öffentlichen Gesundheitsethik, mit einem Fokus auf Solidarität und Gerechtigkeit. Buyx war von 2020 bis 2024 Vorsitzende des Deutschen Ethikrats. Seit April 2024 ist sie Mitglied des Expertenrats „Gesundheit und Resilienz“ der Bundesregierung.
Mainz (epd). Schwerbehinderte Beschäftigte genießen einen vergleichsweise hohen Schutz vor Kündigungen. Aber auch ordentlich unkündbare Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit einem Handicap können nach dem Wegfall ihres Arbeitsplatzes entlassen werden. Das hat das Landesarbeitsgericht (LAG) Rheinland-Pfalz in Mainz in einem am 30. Juli veröffentlichten Urteil entschieden. Zwar können schwerbehinderte Menschen „von ihrem Arbeitgeber bis zur Grenze der Zumutbarkeit die Durchführung des Arbeitsverhältnisses entsprechend ihrer gesundheitlichen Situation verlangen“, eine Beschäftigungsgarantie ist damit aber nicht verbunden.
Im konkreten Fall war die schwerbehinderte Klägerin seit November 1991 zuletzt als einzige Revisorin in einem Caritas-Unternehmen beschäftigt. Als kirchlicher Träger unterhält das Gesundheits- und Sozialunternehmen mit rund 4.500 Arbeitnehmern Krankenhäuser, Reha-Fachkliniken sowie Alten- und Pflegeheime in drei Bundesländern.
Für das Arbeitsverhältnis der Klägerin gelten die Arbeitsvertragsrichtlinien (AVR) der Caritas. Danach ist - wie im Fall der Revisorin - nach einer Beschäftigungszeit von 15 Jahren und Vollendung des 40. Lebensjahres eine ordentliche Kündigung ausgeschlossen. Ausnahme: Der Mitarbeiter kann nicht weiterbeschäftigt werden.
Für die Klägerin galt nach einer Rahmenvereinbarung vom 7. Juli 2011 noch ein zusätzlicher besonderer Kündigungsschutz. Der stand Mitarbeitern zu, die zur Verbesserung der wirtschaftlichen Situation ihres Arbeitgebers auf einen Teil ihres Gehalts verzichtet haben. Dann sind betriebsbedingte Kündigungen ausgeschlossen. Wird dennoch eine betriebsbedingte Kündigung ausgesprochen, müssen sämtliche Gehaltskürzungen nachgezahlt werden, so die Vereinbarung.
Als der Stiftungsvorstand des Caritas-Unternehmens im Juli 2022 beschloss, die Stabsstelle Innenrevision aufzugeben und künftig eine externe Wirtschaftsprüfungsgesellschaft für die Prüfaufträge zu verpflichten, wurde der schwerbehinderten Klägerin eine Stelle im Bereich „Allgemeine Verwaltung“ bei unveränderter Vergütung angeboten. Sie könne wegen des Wegfalls des Arbeitsplatzes nicht mehr als Revisorin arbeiten, befand das Unternehmen.
Die Frau lehnte ab und klagte auf "vertragsgemäße Beschäftigung. Zudem verlangte sie eine Entschädigung wegen einer erlittenen Diskriminierung aufgrund ihrer Behinderung. Das vorgeschriebene gesetzliche Präventionsverfahren habe nicht stattgefunden, machte sie geltend.
Nach Zustimmung von Mitarbeiter- und Schwerbehindertenvertretung sowie des Integrationsamtes erhielt die Klägerin die fristlose Änderungskündigung. Ihr wurde ein zudem gleichwertiger Arbeitsplatz in der Verwaltung bei gleichem Lohn angeboten. Die Klägerin nahm das unter Vorbehalt an und machte einen zweiten Entschädigungsanspruch geltend, weil der Arbeitgeber vor Ausspruch der Kündigung wiederum nicht das vorgeschriebene Präventionsverfahren vollzogen hatte. Danach muss der Arbeitgeber zusammen mit Mitarbeiter- und Schwerbehindertenvertretung mögliche Schwierigkeiten beseitigen, die zur Gefährdung des Arbeitsverhältnisses führen.
Das LAG urteilte, dass die Klägerin weder einen Anspruch auf Weiterbeschäftigung als Revisorin noch auf eine zweifache Entschädigung wegen einer erlittenen Diskriminierung aufgrund ihrer Behinderung in Höhe von jeweils 14.762 Euro hat. Die fristlose Änderungskündigung sei wegen eines „wichtigen Grundes“ wirksam. Diese sei zulässig, weil eine ordentliche Kündigung bei der eigentlich unkündbaren Klägerin nicht in Betracht komme.
Es stelle einen „wichtigen Grund“ für eine Kündigung dar, wenn der Arbeitsplatz aufgrund der unternehmerischen Entscheidung weggefallen ist. Der Arbeitgeber dürfe die unternehmerische Entscheidung des Wegfalls des Arbeitsplatzes treffen, so das Gericht. Für die Klägerin gelte zwar ein besonderer Kündigungsschutz. Eine absolute Beschäftigungsgarantie gebe es damit aber nicht. Hier habe der Arbeitgeber der Klägerin zudem eine gleichwertige Tätigkeit mit derselben Entlohnung angeboten.
Die Kündigung sei auch nicht unwirksam, nur weil das Präventionsverfahren nicht stattgefunden habe. Nach dem Gesetz sollen danach mögliche „Schwierigkeiten“, die den Arbeitsplatz gefährden könnten, behoben werden. Hier sei das Arbeitsverhältnis jedoch bereits „kündigungsreif“ gewesen. „Eine Prävention, also eine Vorbeugung, kann es bei dieser Lage nicht mehr geben“, so das LAG.
Zwar könnte das unterbliebene Präventionsverfahren den Verdacht einer Diskriminierung wegen der Behinderung begründen. Der Arbeitgeber habe darlegen können, dass die Änderungskündigung nicht wegen der Schwerbehinderung, sondern aus anderen Gründen erfolgt sei, so das Gericht.
Az.: 5 Sa 138/23
Karlsruhe (epd). Der Bundesgerichtshof hat das Recht auf Vaterschaftstests eingeschränkt. Nach der Adoption eines Kinds reicht allein der Wunsch des mutmaßlichen leiblichen Vaters nach einer Abstammungsuntersuchung nicht aus, um das Kind zu einem Test zu verpflichten, wie der Bundesgerichtshof (BGH) in einem am 2. August veröffentlichten Beschluss entschied.
Im konkreten Fall ging es um ein heute neunjähriges Kind. Kurz nach dessen Geburt willigte die Mutter in die Adoption ein. Die Adoptiveltern wurden im Juni 2016 rechtliche Eltern des Kinds. Die Einwilligung des unverheirateten mutmaßlichen Vaters in die Adoption wurde nicht eingeholt, da dessen Aufenthalt unbekannt war. Als dieser Ende 2018 von der Geburt des Kindes erfahren hatte, beantragte er eine Abstammungsuntersuchung, um seine biologische Vaterschaft feststellen zu lassen.
Die Adoptiveltern verweigerten die Untersuchung. Das Oberlandesgericht Celle entschied, dass das Kind sich dem Abstammungstest unterziehen muss. Der BGH hob diesen Beschluss jedoch auf. Der Mann könne die Untersuchung nicht erzwingen. Das Recht auf Feststellung der biologischen Vaterschaft bestehe, wenn der Antragsteller auch die rechtliche Vaterschaft übernehmen wolle. Der Mann wolle nach wirksamer Adoption des Kindes aber nur die Abstammung klären lassen. Zwar könne ein leiblicher Vater eine Aufhebung der Adoption verlangen, wenn er dabei umgangen worden war. Die hierfür geltenden Fristen habe der Antragsteller aber verpasst.
Auch wenn es ein Interesse an der Gewissheit der Vaterschaft gebe, müsse verhindert werden, dass der vermeintliche Vater „allein mit seinem Klärungsinteresse Zweifel in eine funktionierende Familie“ - hier die Adoptiveltern und das Kind - hineintrage, so der BGH. Zudem stelle der Vaterschaftstest einen Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht und das Elternrecht dar. Die hierfür erforderliche gesetzliche Grundlage allein zur Klärung der leiblichen Vaterschaft gebe es nicht.
Az.: XII ZB 358/22
Erfurt (epd). Für den Anspruch auf Feiertagszuschläge im öffentlichen Dienst kommt es einem Urteil zufolge auf den regelmäßigen Arbeitsort an. Liegt der regelmäßige Arbeitsort in Nordrhein-Westfalen, wo Allerheiligen ein gesetzlicher Feiertag ist, kann der Feiertagszuschlag auch bei einer vorübergehenden Arbeit in Hessen beansprucht werden, wo dieser Tag nicht als Feiertag gilt, urteilte am 1. August das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt.
Geklagt hatte eine technische Fachkraft in einem Klinikum im Raum Münster. Sein Vorgesetzter hatte ihn verpflichtet, vom 1. November bis zum 5. Dezember 2021 an einem Gerätelehrgang in Hessen teilzunehmen. Der 1. November ist in Nordrhein-Westfalen, nicht aber in Hessen ein gesetzlicher Feiertag.
Für die Teilnahme am Lehrgang an Allerheiligen verlangte der Kläger den im Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TVöD-L) vorgesehenen Feiertagszuschlag. Dieser betrug für die zehnstündige Arbeit an diesem Feiertag 82,56 Euro.
Der Arbeitgeber lehnte die Zahlung ab. Der Arbeitnehmer habe in Hessen an dem Lehrgang teilgenommen und dort sei Allerheiligen kein gesetzlicher Feiertag.
Das Landesarbeitsgericht (LAG) Hamm entschied in einem Urteil vom 11. Januar 2024 für den Arbeitgeber: Für den Anspruch auf den Feiertagszuschlag komme es darauf an wo die Arbeit tatsächlich geleistet wurde. Da Allerheiligen in Hessen kein Feiertag ist und die Arbeit dort geleistet wurde, war nach diesem Urteil kein Feiertagszuschlag zu zahlen.
Das BAG hob dieses Urteil jedoch auf und entschied, dass es nach der Auslegung des Tarifvertrages allein auf den „regelmäßigen Arbeitsort“ ankomme. Dies sei im konkreten Fall Nordrhein-Westfalen, so dass der Kläger trotz seiner vorübergehenden Arbeit in Hessen den Feiertagszuschlag beanspruchen könne.
Vergleichbare Regelungen wie im TVöD-L gibt es auch in anderen Tarifverträgen. Gesetzlich ist der Anspruch auf Feiertagszuschläge aber nicht geregelt.
Az.: 6 AZR 38/24
Halle (epd). Aufstockende Grundsicherungsempfänger müssen sich die private Nutzung eines Dienstwagens als Einkommen mindernd anrechnen lassen. Das gilt dann, wenn der Dienst-Pkw als Gegenleistung für die erbrachte Arbeit akzeptiert wird, entschied das Landessozialgericht (LSG) Sachsen-Anhalt in Halle in einem am 26. Juli veröffentlichten Urteil.
Die aus dem Raum Halle stammende Klägerin war zusammen mit ihrem Lebensgefährten von Dezember 2016 bis November 2017 auf aufstockende Grundsicherung, dem heutigen Bürgergeld, angewiesen. Die Frau arbeitete zehn Stunden wöchentlich als Kurierfahrerin. Hierfür erhielt sie zuletzt ein monatliches Gehalt von 300 Euro brutto. Zusätzlich überließ ihr Arbeitgeber ihr einen Dienstwagen zur privaten Nutzung. Betriebs- und Unterhaltskosten übernahm der Arbeitgeber. Die Gehaltsabrechnung führte wegen der privaten Nutzung des Dienstwagens monatlich 152 Euro als „Sachbezug Pkw“ auf.
Das Jobcenter zahlte der Frau und ihrem Lebensgefährten zwar aufstockende Grundsicherungsleistungen, wertete die private Nutzung des Dienstwagens als geldwerten Vorteil und rechnete den ausgewiesenen Betrag als Einkommen mindernd an.
Auch das LSG urteilte, dass die Privatnutzung des Dienstwagens Einkommen darstelle und bedarfsmindernd zu berücksichtigen sei. Seit einer ab August 2016 geltenden Gesetzesänderung zählten auch solche geldwerten Einnahmen zum Einkommen. So sollte „Versuchen entgegengewirkt werden, die Berücksichtigung von Einnahmen zu umgehen“, heißt es weiter in dem Urteil.
Das gelte zumindest dann, wenn der Arbeitnehmer für die Erbringung seiner Arbeit anstelle höherer Geldbezüge die private Nutzung des Dienstwagens als Sachbezug akzeptiert habe. Hier habe der gezahlte Lohn im Streitzeitraum unter dem gesetzlichen Mindestlohn gelegen. Erst mit der Berücksichtigung der Dienstwagennutzung sei der Mindestlohn letztlich eingehalten worden. Die Anrechnung als Einkommen sei daher nicht zu beanstanden, befand das Gericht.
Az.: L 2 AS 596/20
Darmstadt (epd). Ein sechsjähriger Grundschüler mit einem schwer einstellbaren Diabetes Typ 1 kann von der Krankenkasse die Kostenübernahme für eine Schulbegleitung verlangen. Die Beobachtung des Kindes und ein gegebenenfalls schnelles Eingreifen der Schulbegleitung stellt eine von der Krankenkasse zu übernehmende Form der Behandlungspflege dar, entschied das Sozialgericht Darmstadt in einem am 25. Juli veröffentlichten Beschluss. Das Gericht gab damit dem Antrag des Schülers auf einstweilige Anordnung statt.
Im konkreten Fall ging es um einen sechsjährigen Grundschüler mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 40 und dem Merkzeichen „H“ für hilflos. Der Junge ist an einem Diabetes Typ 1 erkrankt und mit einer Insulinpumpe und einem Blutzuckermesssystem versorgt. Weil die Blutzuckerwerte jedoch sehr stark schwanken und der Glukosewert schwer einstellbar ist, wurde ihm im behandelnden Uniklinikum eine Schulbegleitung zur Sicherung der Insulintherapie verordnet. Aktuell wird das Kind von seiner Mutter begleitet.
Die Krankenkasse des Schülers holte zunächst eine Stellungnahme des Medizinischen Dienstes ein und lehnte dann die Kostenübernahme für eine Schulbegleitung ab. Bei Unwohlsein könne sich der Schüler ja melden, so die Argumentation. Dann könne das Lehrerpersonal auf Notsituationen adäquat reagieren.
Das Sozialgericht entschied jedoch, dass die Kasse bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens die Kosten für eine Schulbegleitung übernehmen muss. Es handele sich hier um eine Behandlungspflege, die für den Erfolg der ärztlichen Behandlung erforderlich ist. Bei dem Schüler könne es jederzeit zu schwankenden Blutzuckerwerten und der Gefahr einer Unterzuckerung kommen, die durch die schnelle Verabreichung von Kohlenhydrateinheiten behoben werden könne.
Weder könne der Mutter aufgegeben werden, ihr Kind stets in die Schule zu begleiten, noch könne von den Lehrern verlangt werden, dass sie ohne Vernachlässigung der übrigen Kinder die Blutzuckerkontrolle des Sechsjährigen übernehmen. Zwar sei der Junge mit einem Messsystem und einer Insulinpumpe ausgestattet. Da er aber noch nicht richtig die Blutzuckerwerte ablesen könne und auch unvorhergesehene Situationen auftreten könnten, benötige er bei der Blutzuckerüberwachung Hilfe.
Az.: S 10 KR 423/23 ER
München (epd). Täter können für die Tötung eines Menschen und die Belastungen im anschließenden Strafverfahren keine staatliche Opferentschädigung erhalten. Das gilt auch dann, wenn sie die Tat in vermeintlicher Notwehr begangen und in der Folge einen psychischen Schaden erlitten haben, entschied das Sozialgericht München in einem am 23. Juli bekanntgegebenen Urteil.
Im konkreten Fall wurde der Kläger, ein Taekwando-Trainer, im Schlaf von seiner Lebensgefährtin mit einer vollen Glasflasche mehrfach auf den Kopf geschlagen. Die Frau hatte die Tat im Zustand von Wahnvorstellungen begangen.
Der Kläger erlitt ein Schädel-Hirn-Trauma und eine Platzwunde. Im Abwehrkampf nahm er seine Partnerin minutenlang in den „Schwitzkasten“, obwohl die Frau bereits nach acht bis 14 Sekunden bewusstlos wurde. Sie erstickte schließlich, Reanimationsversuche blieben erfolglos.
Der Mann wurde schließlich am 30. Juni 2021 wegen fahrlässiger Tötung verurteilt. Er verlor zudem seinen Arbeitsplatz. Wegen des Vorfalls, den Verlust seiner Lebensgefährtin und die Belastungen, denen er im Strafverfahren ausgesetzt war, wurde er schwer traumatisiert. Für die erlittenen psychischen Schäden beantragte er daher eine staatliche Opferentschädigung.
Die zuständige Behörde lehnte die Opferentschädigung ab. Allein der Angriff mit der Glasflasche könnte diese begründen. Die dabei erlittenen körperlichen Schäden reichten aber nicht aus. Die Traumatisierung infolge der Tötung der Lebensgefährtin und der Belastungen im Strafverfahren könnten aber nicht berücksichtigt werden, hieß es zur Begründung.
Das bestätigte das Sozialgericht. Zwar sei der Kläger mit den Schlägen auf seinem Kopf Opfer eines tätlichen Angriffs geworden. Dieser Angriff sei aber mit der Bewusstlosigkeit der Lebensgefährtin beendet gewesen. Als nur gesundheitliche Schädigungen könnten nur Folgen berücksichtigt werden, die auf den eigentlichen tätlichen Angriff zurückzuführen sind. Ab der Bewusstlosigkeit der Frau sei der Kläger auch zum Täter geworden. Täter könnten aber keine Opferentschädigung beanspruchen, so das Gericht.
Az.: S 31 VG 26/23
Vechta (epd). Uwe Kathmann, seit 2017 Geschäftsführer der Schulstiftung St. Benedikt in Vechta, übernimmt im Herbst die Geschäftsführung des Trägers KiTa Bremen. Weihbischof Wilfried Theising, der dem Stiftungsrat der Schulstiftung St. Benedikt vorsitzt, bescheinigte Kathmann Loyalität, wirtschaftliche Expertise und großes Engagement. Innovativ und zielstrebig habe er die Schulen und die Stiftung gemeinsam mit den Schulleitungen und dem Stiftungsrat weiterentwickelt, sagte Theising am 5. August in Vechta.
Der gelernte Diplomkaufmann begann seine Laufbahn als Controller im Verkehrsverbund Gießen. 1997 übernahm er die Leitung des Controllings, im Jahr 2000 wechselte Kathmann in gleicher Funktion zum Deutschen Jugendherbergsverband/Landesverband Hessen nach Frankfurt am Main, einer der größten Jugendhilfeeinrichtungen in Hessen. Ab 2004 gehörte er für sechs Jahre dem Vorstand des Landesverbands an.
2010 kehrte er als stellvertretender Finanzdirektor des Bischöflich Münsterschen Offizialates in seine südoldenburgische Heimat zurück. 2015 wurde er Geschäftsführer der Schulstiftung St. Benedikt, der Liebfrauenschule Vechta gGmbH und der BBS Marienhain Vechta gGmbH. 2017 wurde er zum Vorstand der Schulstiftung berufen.
In den Folgejahren war Kathmann für die wirtschaftliche Leitung von vier Oberschulen, vier Gymnasien und einer Berufsbildenden Schule in Cloppenburg, Vechta, Oldenburg und Wilhelmshaven mit rund 540 Lehrkräfte und knapp 5.500 Schülerinnen und Schüler zuständig. 2019 übernahm der Kaufmann auch die Geschäftsführung der Bischöflichen Förderstiftung „Zukunft durch Bildung“ in Vechta. Diese Stiftung unterstützt sozial benachteiligte Kinder und Familien.
Hajo Hoffmann, SPD-Politiker und ehemaliger Präsident des Deutschen Städtetages, ist tot. Der frühere Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Saarbrücken starb am 31. Juli im Alter von 79 Jahren. Der Präsident des Deutschen Städtetages, Oberbürgermeister Markus Lewe aus Münster, sagte: „Hajo Hoffmann hat sich mit Tatkraft und großem Engagement für die Interessen der kommunalen Sache verdient gemacht.“ Er habe gut vernetzt die Interessen der Städte auf allen politischen Ebenen vertreten. Hoffmann war von 1999 bis 2002 Präsident des Deutschen Städtetages. Im Mai 2002 legte er sein Amt nieder. Dem Präsidium des Deutschen Städtetages gehörte er von 1991 bis 2002 an. Von 1991 bis zum Jahr 2004 war der SPD-Politiker Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Saarbrücken. Zuvor war er Wirtschaftsminister des Saarlandes und Mitglied des Bundestages.
Elfriede Kautnik hat am 1. August als Präsidentin die Leitung des Arbeitsgerichtes München übernommen. Sie trat die Nachfolge des im Mai zum Präsidenten des Landesarbeitsgerichts Nürnberg ernannten Hans Dick an. Kautnik begann ihre Laufbahn 1990 beim Gewerbeaufsichtsamt Nürnberg, anschließend war sie am Bayerischen Arbeitsministerium tätig. 1995 wechselte sie in das Richteramt. 2011 wurde die Juristin Richterin am Arbeitsgericht München, dort 2017 zur Vizepräsidentin ernannt. Im Oktober 2023 erfolgte ihre Ernennung zur Vorsitzenden Richterin am Landesarbeitsgericht München.
Ralph Ehring (44) wird zum 1. Oktober neuer Geschäftsführer des Christlichen Krankenhauses Quakenbrück, der St. Anna Klinik Löningen und der zugehörigen Einrichtungen. Er folgt auf Matthias Bitter, der eine neue Position bei der Katholischen Hospital Vereinigung Ostwestfalen antreten wird. Ehring stammt aus Mülheim an der Ruhr. Aktuell ist er Geschäftsführer des Klinikverbundes Diepholz gGmbH in einer Doppelspitze. Nach einer Ausbildung zum Krankenpfleger in Duisburg absolvierte Ehring den Diplom-Studiengang „Gesundheitswesen - Technische Medizinwirtschaft“ an der Hochschule Niederrhein in Krefeld. Es folgten Tätigkeiten als Controller für die Klinik-Standorte Bad Ems und Karlsruhe. Von 2016 bis 2020 war Ehring Krankenhausdirektor des AMEOS Klinikums Osnabrück und anschließend des AMEOS Klinikums Seepark Geestland.
Judith Köster (39) ist neue Vorständin im Johanniter-Regionalverband Südwestfalen, der neben dem Märkischen Kreis auch die Kreise Siegen-Wittgenstein, Olpe und den Hochsauerlandkreis umfasst. Die Betriebswirtin aus Altena hat die die Nachfolge von Stefanie Ueßeler angetreten, die mit Jahresbeginn 2024 als NRW-Leitung Personal in die Landesgeschäftsstelle der Johanniter in Köln gewechselt ist. Köster, die 2022 aus der Industrie zu den Johannitern gekommen ist, war zuletzt für das Qualitätsmanagement im Verband Südwestfalen zuständig.
George Neagu, ärztlicher Leiter der Tagesklinik für Suchtkranke der Diakonie Düsseldorf, ist in den Ruhestand verabschiedet worden. Wegen personeller Engpässe gehe der Mediziner erst jetzt mit 72 Jahren in Rente, teilte die Diakonie mit. „Ich konnte das Team doch nicht alleine lassen“, sagte Neagu zum Abschied. Er arbeitete mehr als 20 Jahre in der Tagesklinik, über 1.000 Menschen hat er dort unterstützt, ein neues Leben ohne Alkohol und weitere Suchtmittel zu beginnen. Die Tagesklinik setzt auf eine wohnortnahe Therapie.
August
22.-29.8.:
Online-Kurs: „Methodenkoffer für gute Teamzusammenarbeit“
der Paritätischen Akademie Süd
Tel.: 0711/286976-23
27.8. Berlin:
Seminar-Auftakt „Agile Führung - Teams und Organisationen in die Selbstorganisation führen“
der Paritätischen Akademie Berlin
Tel.: 030/275828211
28.8. Münster:
Grundlagenseminar: „Pflegesatzverhandlungen in der stationären Altenhilfe - Vorbereitung, Strategie und Verhandlungsführung“
der Unternehmensberatung Solidaris
Tel.: 02203/8997-375
29.8. Münster:
Seminar „Leiten und Führen in der Sozialwirtschaft“
der Unternehmensberatung Solidaris
Tel.: 02203/8997-519
30.8.:
Online-Seminar „Psychische Erkrankungen: Das Drama mit dem Trauma - Einführung in die Grundlagen von Traumatisierung und Traumafolgestörungen“
der Paritätischen Akademie Süd
Tel.: 01577/7692794
September
2.9.:
Online-Seminar „Kooperations- und Netzwerkarbeit in der Adoptionsvermittlung“
des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge
Tel.: 030/62980424
4.9. Stuttgart:
Seminar „Vergütungssatzverhandlungen in der Eingliederungshilfe - Vorbereitung, Strategie und Verhandlungsführung“
der Unternehmensberatung Solidaris
Tel.: 02203/8997-375
5.9.
Online-Sommerakademie: „Resilienz-Training für Führungskräfte“
der Paritätischen Akademie Süd
Tel.: 0711/286976-16
5.-6.9. Berlin:
Fachtagung: „Gemeinsam wachsen: Auf dem Weg zu einer inklusiven und demokratischen Kindertagesbetreuung“
der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe
Tel.: 030/40040-200
11.9.:
Online-Workshop „Mit Wertschätzung und Klarheit - Kommunikation für Führungskräfte“
der Paritätischen Akademie Süd
Tel.: 0711/286976-23
11.-12.9.:
Online-Grundkurs „Social-Media-Strategie zur Gewinnung der passenden Fachkräfte“
der Paritätischen Akademie Süd
Tel.: 01577/7692794
12.9. Erkner
Aktuelle Herausforderungen im Jobcenter - Kooperationsplan und Gesundheitsförderung - Eine Tagung für Leitungskräfte
des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge
Tel.: 030/62980-424
16.-18.9.:
Online-Seminar „Digitalisierung in Organisationen aus Kirche, Diakonie und Sozialwirtschaft - Den digitalen Wandel durch eigene Kompetenz als Chance begreifen und aktiv gestalten“
der Akademie für Kirche und Diakonie
Tel.: 0172/3012819
17.-19.9. Eisenach:
39. Bundesweite Streetworktagung: „Zeig Dich und sag was!“
der Akademie für Kirche und Diakonie
Tel.: 0174/315 49 35
18.9.:
Online-Seminar „Aktuelles zum Datenschutz in Einrichtungen des Gesundheitswesens“
der Unternehmensberatung Solidaris
Tel.: 0251/48261-194
19.-20.9. Erkner:
Seminar „Neue Entwicklungen in der Pflege“
des Deutschen Vereins für öffentliche und private Vorsorge
Tel.: Tel.: 030/62980-424
24.-25.9.:
Online-Seminar: „Sicher im Umgang mit dem Zuwendungs- und Vergaberecht Öffentliche Fördermittel korrekt verwalten und verausgaben“
der Fortbildungsakademie des Deutschen Caritasverbandes
Tel.: 0761/2001700
27.9.:
Digitaler Fachaustausch „Umsetzung von Housing First in deutschen Kommunen“
des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge
Tel.: 030/62980-424