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Armut

Wissenschaftler fordern Aus für Haft nach Schwarzfahren




Bushaltestelle in Würzburg
epd-bild/Pat Christ
Wer kein Geld für einen Fahrschein im Nahverkehr und auch keines für eine Strafe wegen Schwarzfahrens hat, dem drohen bis zu einem Jahr Gefängnis. Fachleute und das Bundesjustizministerium wollen das ändern - allerdings auf unterschiedlichen Wegen.

Frankfurt a. M./Berlin (epd). 128 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler fordern, Haftstrafen für Schwarzfahrer abzuschaffen. Dazu solle der Paragraf 265a im Strafgesetzbuch, der das Erschleichen von Leistungen sanktioniert, ersatzlos gestrichen werden, verlangten sie am 6. August in einem Offenen Brief an Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP). Schwarzfahrern im öffentlichen Nahverkehr, die kein Geld für das Bußgeld haben, droht aktuell bis zu einem Jahr Gefängnis. Das Justizministerium will einen Reformentwurf zum Strafgesetzbuch „in Kürze“ vorlegen, wie eine Sprecherin dem Evangelischen Pressedienst (epd) sagte. Schwarzfahrern im öffentlichen Nahverkehr, die kein Geld für das Bußgeld haben, droht aktuell bis zu einem Jahr Gefängnis.

Den Wissenschaftlern nach entfallen aktuell 25 Prozent der verhängten Ersatzfreiheitsstrafen nach Paragraf 265a auf Schwarzfahren. Die Haft treffe überproportional Menschen in Armut und prekären Lebenslagen. Das habe für die Betroffenen oft unverhältnismäßige Konsequenzen, etwa den Verlust der Wohnung. Der Großteil von ihnen sei arbeitslos, jede dritte Person drogenabhängig, viele hätten keinen Wohnsitz.

Häufigste Bagatellstraftat

Die Fachleute, die überwiegend in den Bereichen Kriminologie, Strafrechtswissenschaft sowie Mobilitäts- und Stadtforschung arbeiten, führten außerdem an, dass das Fahren ohne Fahrschein eine der häufigsten Bagatellstraftaten sei. 2023 habe es 148.218 Fälle gegeben, die nach Paragraf 265a verurteilt wurden. Das entspreche rund drei Prozent der Gesamtkriminalität. Dies belaste den Staat personell und finanziell. In den Brief werden die jährliche Kosten für die Strafverfolgung auf 114 Millionen Euro beziffert. Zudem sei die Mehrheit der Bevölkerung ist für die Entkriminalisierung des Schwarzfahrens.

Buschmann will den umstrittenen Paragrafen durchaus angehen. Sein Haus hatte im vergangenen Jahr ein Eckpunktepapier zur Modernisierung des Strafgesetzbuchs vorgelegt. Teil davon war der Vorschlag, den Paragrafen 265a zur Ordnungswidrigkeit herabstufen.

Davor warnen die Fachleute in ihrem Offenen Brief. Menschen, die sich eine Fahrkarte und Bußgeld nicht leisten könnten, drohten dann bis zu drei Monate Erzwingungshaft. Dabei liege die Haftlänge im Ermessen der Richter: Manche berechneten einen Tag Haft mit 20 Euro, andere mit 80 Euro. Zwar könne Erzwingungshaft nur angeordnet werden, wenn die Person nicht zahlungsunfähig ist. Das nachzuweisen sei für psychisch und physisch Belastete aber kaum möglich, so die Fachleute. Zudem warnten die Unterzeichner vor einem hohen Verwaltungsaufwand.

Freiheitsfonds hat 1.000. Person aus der Haft geholt

Auch der Freiheitsfonds, der Schwarzfahrende auf Spendenbasis aus der Haft auslöst, plädiert für eine ersatzlose Streichung des umstrittenen Paragrafen. Am 6. August holte die Organisation nach eigenen Angaben die 1.000 Person aus der Haft, eine schwangere Frau aus Gelsenkirchen.

Der Organisation zufolge haben bislang elf Städte und ihre Verkehrsbetriebe beschlossen, das wiederholte Fahren ohne Ticket nicht mehr zur Anzeige zu bringen. Dazu gehören Bremen, Düsseldorf, Köln, Münster, Halle und Dresden.

Linksfraktion rügt zögerliche Haltung

Die Linksfraktion im Frankfurter Römer hat nach eigenen Angaben zum Thema bereits mehrere Anfragen gestellt und Anträge zum Thema eingebracht. „Allein 2023 sind durch die Verkehrsgesellschaft Frankfurt 3.927 Strafanzeigen gestellt worden, im Busbereich über den von der traffiq beauftragten Dienstleister weitere 469“, heißt es in einer Mitteilung. Auf Antrag der Linksfraktion hin wurde in einem Bericht geprüft, ob es in Frankfurt möglich sei, auf das Stellen der Strafanzeigen zu verzichten. Doch der Magistrat hat Bedenken.

„Statt weiter zu zögern und Menschen wegen fehlender Fahrkarten in den Knast zu schicken, sollten sich der Oberbürgermeister, der Mobilitätsdezernent und insbesondere die Stadtverordnetenversammlung ihrer Gestaltungsspielräume besinnen, sich mit an die Spitze einer progressiven kommunalen Bewegung stellen - und mit Wiesbaden gemeinsam ein Vorgehen im RMV koordinieren. Es ist an der Zeit“, sagte die Abgeordnete Daniela Mehler-Würzbach.

Christina Denz