Mainz (epd). Schwerbehinderte Beschäftigte genießen einen vergleichsweise hohen Schutz vor Kündigungen. Aber auch ordentlich unkündbare Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit einem Handicap können nach dem Wegfall ihres Arbeitsplatzes entlassen werden. Das hat das Landesarbeitsgericht (LAG) Rheinland-Pfalz in Mainz in einem am 30. Juli veröffentlichten Urteil entschieden. Zwar können schwerbehinderte Menschen „von ihrem Arbeitgeber bis zur Grenze der Zumutbarkeit die Durchführung des Arbeitsverhältnisses entsprechend ihrer gesundheitlichen Situation verlangen“, eine Beschäftigungsgarantie ist damit aber nicht verbunden.
Im konkreten Fall war die schwerbehinderte Klägerin seit November 1991 zuletzt als einzige Revisorin in einem Caritas-Unternehmen beschäftigt. Als kirchlicher Träger unterhält das Gesundheits- und Sozialunternehmen mit rund 4.500 Arbeitnehmern Krankenhäuser, Reha-Fachkliniken sowie Alten- und Pflegeheime in drei Bundesländern.
Für das Arbeitsverhältnis der Klägerin gelten die Arbeitsvertragsrichtlinien (AVR) der Caritas. Danach ist - wie im Fall der Revisorin - nach einer Beschäftigungszeit von 15 Jahren und Vollendung des 40. Lebensjahres eine ordentliche Kündigung ausgeschlossen. Ausnahme: Der Mitarbeiter kann nicht weiterbeschäftigt werden.
Für die Klägerin galt nach einer Rahmenvereinbarung vom 7. Juli 2011 noch ein zusätzlicher besonderer Kündigungsschutz. Der stand Mitarbeitern zu, die zur Verbesserung der wirtschaftlichen Situation ihres Arbeitgebers auf einen Teil ihres Gehalts verzichtet haben. Dann sind betriebsbedingte Kündigungen ausgeschlossen. Wird dennoch eine betriebsbedingte Kündigung ausgesprochen, müssen sämtliche Gehaltskürzungen nachgezahlt werden, so die Vereinbarung.
Als der Stiftungsvorstand des Caritas-Unternehmens im Juli 2022 beschloss, die Stabsstelle Innenrevision aufzugeben und künftig eine externe Wirtschaftsprüfungsgesellschaft für die Prüfaufträge zu verpflichten, wurde der schwerbehinderten Klägerin eine Stelle im Bereich „Allgemeine Verwaltung“ bei unveränderter Vergütung angeboten. Sie könne wegen des Wegfalls des Arbeitsplatzes nicht mehr als Revisorin arbeiten, befand das Unternehmen.
Die Frau lehnte ab und klagte auf "vertragsgemäße Beschäftigung. Zudem verlangte sie eine Entschädigung wegen einer erlittenen Diskriminierung aufgrund ihrer Behinderung. Das vorgeschriebene gesetzliche Präventionsverfahren habe nicht stattgefunden, machte sie geltend.
Nach Zustimmung von Mitarbeiter- und Schwerbehindertenvertretung sowie des Integrationsamtes erhielt die Klägerin die fristlose Änderungskündigung. Ihr wurde ein zudem gleichwertiger Arbeitsplatz in der Verwaltung bei gleichem Lohn angeboten. Die Klägerin nahm das unter Vorbehalt an und machte einen zweiten Entschädigungsanspruch geltend, weil der Arbeitgeber vor Ausspruch der Kündigung wiederum nicht das vorgeschriebene Präventionsverfahren vollzogen hatte. Danach muss der Arbeitgeber zusammen mit Mitarbeiter- und Schwerbehindertenvertretung mögliche Schwierigkeiten beseitigen, die zur Gefährdung des Arbeitsverhältnisses führen.
Das LAG urteilte, dass die Klägerin weder einen Anspruch auf Weiterbeschäftigung als Revisorin noch auf eine zweifache Entschädigung wegen einer erlittenen Diskriminierung aufgrund ihrer Behinderung in Höhe von jeweils 14.762 Euro hat. Die fristlose Änderungskündigung sei wegen eines „wichtigen Grundes“ wirksam. Diese sei zulässig, weil eine ordentliche Kündigung bei der eigentlich unkündbaren Klägerin nicht in Betracht komme.
Es stelle einen „wichtigen Grund“ für eine Kündigung dar, wenn der Arbeitsplatz aufgrund der unternehmerischen Entscheidung weggefallen ist. Der Arbeitgeber dürfe die unternehmerische Entscheidung des Wegfalls des Arbeitsplatzes treffen, so das Gericht. Für die Klägerin gelte zwar ein besonderer Kündigungsschutz. Eine absolute Beschäftigungsgarantie gebe es damit aber nicht. Hier habe der Arbeitgeber der Klägerin zudem eine gleichwertige Tätigkeit mit derselben Entlohnung angeboten.
Die Kündigung sei auch nicht unwirksam, nur weil das Präventionsverfahren nicht stattgefunden habe. Nach dem Gesetz sollen danach mögliche „Schwierigkeiten“, die den Arbeitsplatz gefährden könnten, behoben werden. Hier sei das Arbeitsverhältnis jedoch bereits „kündigungsreif“ gewesen. „Eine Prävention, also eine Vorbeugung, kann es bei dieser Lage nicht mehr geben“, so das LAG.
Zwar könnte das unterbliebene Präventionsverfahren den Verdacht einer Diskriminierung wegen der Behinderung begründen. Der Arbeitgeber habe darlegen können, dass die Änderungskündigung nicht wegen der Schwerbehinderung, sondern aus anderen Gründen erfolgt sei, so das Gericht.
Az.: 5 Sa 138/23