sozial-Thema

Strafvollzug

"Mein Vater fehlt einfach immer"



Wenn ein Elternteil ins Gefängnis kommt, müssen dessen Kinder irgendwie damit klarkommen. Zwei Söhne eines Inhaftierten erzählen im Interview mit epd sozial, wie das bei ihnen war.

Nürnberg (epd). Vor einem Dreivierteljahr kam der Vater von Michael (15) und Julian (10, beide Namen geändert) wegen Betrugs ins Gefängnis in Nürnberg. Beide Jungen wussten zwar von der baldigen Haftstrafe, waren aber überrascht, als sie von der Schule kamen und ihr Vater schon abgeführt worden war. Sie hätten sich nicht einmal richtig von ihm verabschieden können, berichten sie dem Evangelischen Pressedienst (epd). Mit den beiden Jungen sprach Gitta Schröder

epd sozial: Wie war das damals, als euer Vater in U-Haft kam? Wart ihr dabei und konntet euch verabschieden?

Michael: Nein, wir konnten uns nicht verabschieden. Ich war zu dem Zeitpunkt in der Schule und als ich nach Hause kam, hat mir meine Mutter das erzählt. Wir hatten zwar alle damit gerechnet, aber wir hatten gehofft, dass es sich noch ein bisschen verzögert.

Julian: Im ersten Moment war es erschreckend, dass ein Elternteil von mir einfach weg ist - für lange Zeit. Und dann über die paar Tage, Wochen wurde es komisch. Ich konnte mich lange nicht daran gewöhnen.

epd: Wie fühlte sich euer erster Besuch im Gefängnis an?

Julian: Das erste Mal, als wir bei Papa zu Besuch waren, lief das noch nicht über die Vater-Kind-Gruppe von Frau Schmidt. (Stephanie Schmidt vom Verein Treffpunkt e.V.) Da waren wir zwei Brüder mit unserer Mutter dort zu so einem Regelbesuch, der nur 45 Minuten dauert - mit maximal acht oder zehn Leuten, die in dem Raum Besuch von ihren Familien bekommen. Trotzdem, ich dachte, das wird schon nicht so schlimm. Aber als mein Vater dann reinkam, hat mich das echt schockiert. Weil ich ihn nur hinter einer Scheibe sehen konnte und nicht direkt vor mir hatte.

epd: Wie sind denn die Sicherheitsmaßnahmen in der JVA? Was passiert, bevor ihr euren Vater sehen könnt?

Michael: Wenn man ins Gefängnis reingeht, gibt man seinen Ausweis ab, der nochmal gecheckt wird. Dann muss man durch einen Metalldetektor laufen, ob man irgendwelche Sachen bei sich hat. Und dann wird man durchgelassen und durchläuft zwei Schleusen bis zum Besuchzimmer.

epd: Heute ermöglicht euch Treffpunkt e.V., unter der Begleitung von Frau Schmidt, alle zwei Wochen für zwei Stunden euren Vater zu besuchen. Und zwar in einem Extra-Raum ohne Trennscheibe. Wie kam der Kontakt mit Treffpunkt zusammen?

Michael: Unsere Mutter hatte sich über Treffpunkt und die Vater-Kind-Gruppen informiert. Sie konnte das mit der Vater-Kind-Gruppe regeln, die natürlich ziemlich beliebt ist.

Julian: Mittlerweile sind wir seit sechs Monaten in der Gruppe. Und unseren Vater ohne Trennwand zu sehen, ist viel besser und persönlicher.

epd: Ein Kind von einem Inhaftierten zu sein, ist sicher keine leichte Situation. Wie kommt ihr damit zurecht?

Michael: An dem Tag, als Papa ins Gefängnis gekommen ist, war mir bewusst: Er kommt wieder. Also kühlen Kopf bewahren, habe ich mir gedacht. Und für die Familie da sein auf jeden Fall. Dass man sich gegenseitig unterstützt. Wir haben viel geredet - ich mit meiner Mutter und mit meinem Bruder. Und dann auch mit meinen engsten Freunden. Ich würde sagen, dass kein Druck auf mir liegt. Aber ich und meine Familie, wir haben uns vorgenommen, dass wir uns gegenseitig unterstützen.

epd: Könnt ihr auch gut mit eurem Vater darüber sprechen, weil die Zeit - alle zwei Wochen zwei Stunden sehen - ja begrenzt ist? Oder sprecht ihr vor allem mit eurer Mutter?

Michael: Wir können mit beiden Seiten gut darüber reden - das ist auch wichtig.

epd: Wie ist das mit dir, Julian? Kannst du auch gut darüber sprechen oder bist du ein anderer Typ als dein großer Bruder?

Julian: Ich habe es lange niemand anderem erzählt. Mittlerweile wissen es jetzt aber zwei aus meiner Klasse. Dann kann ich auch mit denen ein bisschen darüber reden, wenn ich mal traurig bin, dass ich ihn jetzt grad nicht sehen kann. Wenn ich zum Beispiel Schulaufgaben mache, die wir sonst immer zusammen gemacht haben, aber er ist jetzt nicht da für mich.

epd: Wo hat er euch am meisten gefehlt?

Julian: Es gibt kein am meisten. Er hat überall gleich gefehlt. Er fehlt einfach.

epd: Wie ist das eigentlich an eurer Schule: Wissen eure Lehrerinnen und Lehrer Bescheid?

Julian: Die einzigen zwei Lehrerinnen, die das wissen, sind meine Direktorin und meine Klassenlehrerin. Für mich wäre es aber besser, wenn sie das nicht wissen würden, aber meine Mutter hat es jetzt schon gesagt. Ich finde das aber ein bisschen unangenehm, dass sie wissen, dass mein Vater in Haft ist. Mir wäre es lieber, wenn das nicht so rumgesprochen wird.

Michael: Für mich ist das eigentlich ganz okay, dass meine Klassenlehrerin und ein paar Lehrer in den Nebenfächern informiert sind. Und die verhalten sich deshalb auch nicht anders.

epd: Wie haltet ihr Kontakt zu eurem Vater? Schreibt ihr Briefe? Whatsappen ist ja verboten.

Michael: Mit persönlich fällt das Briefeschreiben schwer. Ich werde da immer sentimental. Deshalb hebe ich mir alles für den Besuch auf, um über alles mit meinem Vater zu reden, was sich so angestaut hat in den zwei Wochen.

Julian: Bei mir ist es genauso wie bei meinem Bruder: Ich halte Kontakt nur über die Besuche. Und wenn ich meinem Vater mal schreibe, dann nur einmal alle vier Wochen oder so.

epd: Wie geht es eurer Mutter? Kann sie euch trösten?

Michael: Unsere Mutter hat das natürlich mitgenommen - wie uns alle. Aber sie ist stark und tröstet uns und wir trösten sie. Es ist eine gute Harmonie zwischen uns Dreien.

epd: Seid ihr manchmal auch traurig, wütend oder verzweifelt wegen der ganzen Situation?

Michael: Wut jetzt nicht. Trauer ist mit im Spiel. Aber mit der Zeit wird es jetzt allmählich besser, weil man sich dran gewöhnt.

epd: Könnt ihr bei Treffpunkt oder mit Frau Schmidt eigentlich auch noch einmal über eure Situation reden?

Michael: Ja, wir können das. Aber meistens im Anschluss an den Haftbesuch und zusammen mit unserer Mutter.

epd: Bekommt ihr psychologische oder therapeutische Betreuung, weil die Situation ja schon ganz schön belastend ist?

Michael: Nein - wir sind bei keinem Therapeuten. Wir versuchen, in unserer Familie viel zu reden.

epd: Wenn es eine liebe Elfe gäbe, was würdet ihr euch wünschen?

Michael: Ich würde mir wünschen, dass zusätzlich zu den Vater-Kind-Tagen noch mehr Telefonate erlaubt wären. So dürfen wir nur alle 14 Tage für zehn Minuten telefonieren. Dann sind natürlich alle dabei - Mama, Julian und ich. Aber die Zeit reicht nie aus, um Papa alles zu erzählen. Außerdem vermisse ich ihn extrem, wenn die neuesten Kinofilme rauskommen. Früher haben wir die immer alle zusammen gesehen und darüber gequatscht. Heute macht das niemand mit mir.



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