der überraschende Bahnstreik führte zum früheren Ende der EKD-Synode in Ulm. Das hat zur Folge, dass einige aufgeschobene Beschlüsse nun zeitnah in digitaler Beratung getroffen werden müssen - etwa zur angekündigten Reform des kirchlichen Arbeitsrechtes. Zudem befassten sich die Synodalen mit den Themen Entschädigung von Missbrauchsopfern und der Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs. Klare Worte fand die Synode auch zu den verschärften Konflikten in der deutschen Asylpolitik.
Man könnte es als Sturm im Wasserglas abtun, doch die mediale Erregung war deutlich zu spüren: CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann hat sich dafür ausgesprochen, das gerade erst eingeführte Bürgergeld für Langzeitarbeitslose wieder abzuschaffen. Zudem plädierte er dafür, Empfänger staatlicher Hilfe, die arbeitsfähig sind und nach sechs Monaten keine Beschäftigung haben, zur Arbeit zu verpflichten. Sozialverbände und Gewerkschaften widersprachen vehement.
Der Jurist Daniel Thym sieht die Auslagerung von Asylverfahren in Migrationszentren jenseits der EU-Grenzen kritisch. „Das Grundrecht auf Asyl und die Genfer Flüchtlingskonvention geben einen Schutzanspruch bei Verfolgung, sagen jedoch nicht, wo dieser Schutz gewährleistet sein muss.“ Daraus folge, dass externe Asylverfahren rechtlich möglich seien, so der Professer für Öffentliches Recht, Europa- und Völkerrecht an der Universität Konstanz im Interview mit epd sozial. Aber sie seien „notorisch schwierig umzusetzen“.
Laut einer Diakonie-Umfrage unter 525 Trägern spitzt sich die Lage der Pflegedienste zu. Mehr als die Hälfte von ihnen sind im vergangenen Jahr in die roten Zahlen gerutscht. Acht Prozent gehen gar davon aus, in den nächsten beiden Jahren aufgeben zu müssen. Diakonievorstand Maria Loheide: „Wenn die wirtschaftliche Sicherung misslingt, bekommt Deutschland ein massives Problem bei der Versorgung der pflegebedürftigen Menschen.“
Behinderte Menschen können nicht zu Hause die Prüfung ihrer Erwerbsfähigkeit verlangen. Das hat das Landessozialgericht Stuttgart jetzt entschieden. Ihnen drohen massive Folgen, wenn sie die auswärtige Begutachtung ihres Gesundheitszustandes ohne ausreichenden Grund ablehnen. Dann kann ihnen die Rente wegen fehlender Mitwirkung versagt werden, befand das Gericht.
Lesen Sie täglich auf dem epd-sozial-Account des Internetdienstes X, vormals Twitter, Nachrichten aus der Sozialpolitik und der Sozialbranche. Auf dem Kanal können Sie mitreden, Ihren Kommentar abgeben und auf neue Entwicklungen hinweisen. Gern antworte ich auch auf Ihre E-Mail.
Ihr Dirk Baas
Ulm (epd). Das Plädoyer des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) für eine teilweise Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs hat bei der Jahrestagung der EKD-Synode für eine kontroverse Debatte gesorgt. Mehrere Redner kritisierten in der Aussprache am 12. November in Ulm die Stellungnahme des Rates für die von der Bundesregierung eingesetzte Kommission, die über Möglichkeiten einer Abtreibungsregelung außerhalb des Strafrechts beraten soll. Sie verwiesen auf die Bedeutung des Lebensschutzes. Er halte den Einsatz für das ungeborene Leben für eine Kernaufgabe der Kirche, sagte etwa der württembergische Delegierte Friedemann Kuttler. Der Rat verteidigte jedoch die Stellungnahme.
Er hatte sich darin dafür ausgesprochen, Abtreibungen in frühen Stadien nach verpflichtender Beratung nicht mehr strafrechtlich zu sanktionieren. An der Stellungnahme regte sich bereits vor der Synodentagung Kritik. Der württembergische Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl hatte sich in einer gemeinsamen Erklärung mit seinem katholischen Amtskollegen Bischof Gebhard Fürst für eine Beibehaltung der derzeitigen rechtlichen Regelung ausgesprochen und darauf auch nochmals in seiner Predigt im Eröffnungsgottesdienst der Synode hingewiesen.
Zu den Kritikern der Stellungnahme gehört auch der CDU-Politiker Thomas Rachel, der dem Rat angehört. Bei der Synode erinnerte er daran, wie schwierig es war, den Kompromiss für die geltende Regelung zu finden, die Schwangerschaftsabbrüche grundsätzlich verbietet, in bestimmten Fristen nach einer Beratung aber straflos stellt. Dieser Kompromiss sollte nicht ohne Not aufgekündigt werden, sagte Rachel.
Der Synodale Steffen Kern aus Württemberg forderte, über die Position der evangelischen Kirche nochmals zu diskutieren. Die Synodale Christine Axt-Piscalar, Theologieprofessorin in Göttingen, sprach sich sogar dafür aus, dass der Rat der Kommission gegenüber noch einmal deutlich macht, dass die Meinungsbildung zu diesem Thema in der EKD noch nicht abgeschlossen sei. Einzelne Redebeiträge lobten die Stellungnahme auch. Insgesamt überwogen aber die Wortmeldungen der Kritiker.
Für den Rat antworteten auf diese Kritik die stellvertretende EKD-Ratsvorsitzende Kirsten Fehrs und der sächsische Landesbischof Tobias Bilz. Fehrs sagte, die innerkirchliche Debatte um das Thema Schwangerschaftsabbruch sei damit nicht abgeschlossen. In der Stellungnahme gehe es nur um den Aspekt der strafrechtlichen Regelung. Sie räumte aber ein, die Stellungnahme bedeute einen Perspektivwechsel, „von dem wir überzeugt sind, dass er diskutiert werden muss“. Bilz hielt den Kritikern entgegen, es schmerze, wenn der Eindruck vermittelt werde, der Rat der EKD gebe den Schutz des ungeborenen Lebens auf. Das sei nicht so.
Die EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschus hatte in ihrem Bericht vor der Synode angekündigt, dass eine innerkirchliche Kommission das Thema weiter diskutieren soll. Wie ein Sprecher sagte, soll sie zum Jahresende ihre Arbeit beginnen.
Ulm (epd). Die Entschädigungsverfahren für Betroffenen sexualisierter Gewalt in Kirche und Diakonie sollen vereinheitlicht werden. Bei der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) legte die entsprechende Arbeitsgruppe des Beteiligungsforums Sexualisierte Gewalt am 14. November in Ulm einen Vorschlag für die sogenannten Anerkennungsverfahren vor.
Die Anerkennung erlittenen Unrechts sei keine Frage, in der die oft zitierte evangelische Vielfalt gelebt werden könne, sagte dessen Sprecher auf Betroffenenseite, Detlev Zander.
Für die Betroffenen sei es wichtig, dass nun tatsächlich Einheitlichkeit zwischen den Landeskirchen und ebenso ein verbindlicher Einbezug der Landesverbände der Diakonie gelinge. Die bisherigen Fallzahlen sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche zeigen, dass ein großer Teil der Betroffenen in Einrichtungen der Diakonie zum Opfer geworden ist. Laut dem Bericht der Arbeitsgruppe gibt es trotz einer Musterordnung immer noch Unterschiede zwischen den einzelnen Verfahren der Landeskirchen.
Die Gruppe plädiert nun für eine EKD-weite Norm und fordert Anerkennungskommissionen, die mehrheitlich mit kirchenexternem Personal besetzt sind. Zur Höhe möglicher Entschädigungszahlungen äußerte sich die Arbeitsgruppe nicht. Dazu stünden noch weitere Diskussionen an, heißt es dazu im Bericht.
Die pfälzische Kirchenpräsidentin Dorothee Wüst erläuterte, nach den finalen Diskussionen im Beteiligungsforum müsse der Vorschlag in den Landeskirchen beraten und beschlossen werden. Wie schnell es zu einheitlichen Verfahren kommen kann, ist also noch offen.
Ulm (epd). Die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Annette Kurschus, hat die demokratischen Parteien zu einem gemäßigteren Ton in der Debatte über die Flüchtlingspolitik aufgefordert. Neuerdings werde über die Menschen, um die es geht, in einer Weise geredet, „die mich zutiefst erschüttert“, sagte Kurschus am 12. November vor der EKD-Synode in Ulm. Das geschehe nicht nur vom rechten Rand, „sondern aus der Mitte unserer Parteienlandschaft heraus“, beklagte die Theologin. Es finde sich zudem auch unter Kirchenmitgliedern.
„In perfider sprachlicher Verdrehung wird aus den Ertrinkenden die Flut gemacht und aus den Schiffbrüchigen die Welle, die angeblich uns überschwemme“, sagte sie. Teils werde erschreckend offen dazu aufgerufen, „wir müssten uns gegen die Not der Geflüchteten immunisieren“, weil der Einsatz für andere auf die Kosten der „eigenen“ Leute gehe. Es werde von „Zahlen“ gesprochen, die „runter müssen“, als ginge es „um eine mittelschwere Matheaufgabe“. „Wer von Migration redet, redet von Menschen“, sagte sie.
Kurschus kritisierte, dass das Wort Migranten „beinahe unisono“ mit den Adjektiven „illegal“ oder „irregulär“ verbunden werde, obwohl die Mehrheit von ihnen einen Schutzstatus erhalte. „Unbedacht oder auch bewusst grob“ sei zudem suggeriert worden, Geflüchtete machten Einheimischen die Gesundheitsvorsorge streitig, sagte die westfälische Präses Kurschus, ohne CDU-Parteichef Friedrich Merz konkret zu nennen, dessen Äußerung zu mutmaßlichen Problemen bei Zahnarztterminen wegen Flüchtlingen für Kritik gesorgt hatte.
Die Ratsvorsitzende betonte erneut, sie lasse sich „Barmherzigkeit nicht ausreden“ und wehrte sich gegen den Vorwurf, die Kirche vertrete in der Flüchtlingspolitik einen naiven Idealismus. Man müsse ernst nehmen, wenn auch Hochengagierten bei der Aufnahme der Menschen Kraft und Mittel ausgingen. „Um ein Missverständnis auszuräumen: Ich bin keineswegs für eine unbegrenzte Zuwanderung, wohl aber gegen die Festlegung einer 'Obergrenze'“, sagte Kurschus. Eine solche wäre weder mit der deutschen Verfassung noch mit EU-Recht vereinbar.
Ulm, Kassel (epd). Wie aus dem schriftlichen Bericht des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) für die seit dem 12. November in Ulm tagende EKD-Synode hervorgeht, will das Leitungsgremium noch in diesem Jahr eine Änderung der sogenannten Mitarbeitsrichtlinie beschließen. „Die evangelische Kirche und ihre Diakonie wollen sich stärker zugunsten der Mitarbeit von Menschen öffnen, die andersgläubig oder nichtgläubig sind“, heißt es in dem Bericht. Zugleich sollen aber Bereiche definiert werden, in denen die Zugehörigkeit zur evangelischen Kirche Voraussetzung für eine Anstellung bleibt.
Dem Bericht zufolge soll das für Tätigkeiten in der Verkündigung, der Seelsorge, der evangelischen Bildung und „der besonderen Verantwortlichkeit für das evangelische Profil“ gelten. Für andere Tätigkeiten könnten auch Christen anderer Bekenntnisse sowie Nichtchristen eingestellt werden. An anderer Stelle heißt es zudem, die kirchliche Prägung diakonischer Einrichtungen zu sichern und zu vermitteln, liege insbesondere in der Verantwortung unter anderem von Führungskräften.
Auch bei Kündigungen als Reaktion auf einen Kirchenaustritt will die EKD dem Bericht zufolge künftig zurückhaltender sein. Es handele sich bei jeder Kündigung um eine Abwägungsentscheidung, heißt es darin. Künftig solle berücksichtigt werden, ob die Kirchenmitgliedschaft bei der konkreten Stelle eine gerechtfertigte Voraussetzung ist.
Die Regelungen zur Kirchenmitgliedschaft im eigenen Arbeitsrecht der Kirchen sorgen zunehmend für Diskussionen. 2018 hatte die Berlinerin Vera Egenberger erfolgreich vor dem Bundesarbeitsgericht eine Entschädigung erstritten, nachdem sie sich erfolglos beim Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung um eine Referentenstelle beworben hatte. Sie unterstellte eine Diskriminierung aus religiösen Gründen.
Gegen die Entscheidung hat die Diakonie eine Verfassungsklage beim Bundesverfassungsgericht eingelegt, über die bislang nicht entschieden ist. Es sei zunächst beabsichtigt gewesen, die Entscheidung des Karlsruher Gerichts abzuwarten, heißt es im Bericht des Rates.
Mit den Plänen zur Reform der Mitarbeitsrichtlinie will die EKD nun aber offenbar doch schneller selbst tätig werden. Die derzeitigen Regelungen zur Kirchenzugehörigkeit wurden in diesem Jahr auch von der Antidiskriminierungsbeauftragten Ferda Ataman infrage gestellt. Sie hat in ihrem Vorschlag zur von der Ampel-Koalition geplanten Reform des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes angeregt, das Privileg der Kirchen beim Arbeitsrecht einzuschränken.
Unterdessen forderten Mitarbeitervertreter kirchlicher diakonischer Einrichtungen sowie Gewerkschafter auf einer Fachtagung zum kirchlichen Arbeitsrecht in Kassel weniger Diskriminierung und mehr Mitbestimmung. Es müsse Schluss damit sein, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einer diakonischen Einrichtung wegen eines Kirchenaustritts mit fristloser Kündigung rechnen müssen, forderte am 14. November Mario Gembus von der Bundesverwaltung der Gewerkschaft Verdi.
Zu dem Gesetzesentwurf zur Novellierung des Mitarbeitervertretungsgesetzes sagte Tobias Warjes, Mitglied der Sprechergruppe der Bundeskonferenz (buko), die sich für die diakonischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf Bundesebene einsetzt, er vermisse einen Passus, der großen diakonischen Unternehmen eine Parität von Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretern vorschreibt. Dies sei in weltlichen Großbetrieben selbstverständlich.
Kritisch sah Warjes, dass künftig kirchliche Arbeitgeber selbst prüfen sollen, ob für ein Beschäftigungsverhältnis eine Kirchenmitgliedschaft erforderlich ist oder nicht. Werde die Erforderlichkeit festgestellt, könne die fristlose Kündigung drohen, sagte Warjes.
Berlin (epd). CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann fordert, das Bürgergeld wieder abzuschaffen. Er sagte der „Bild“-Zeitung vom 13. November, dieses Vorhaben solle im neuen Grundsatzprogramm der Union verankert werden. Der Generalsekretär leitet auch die Programmkommission seiner Partei. Und Linnemann ging noch weiter: „Jeder, der arbeiten kann und Sozialleistungen bezieht, muss nach spätestens sechs Monaten einen Job annehmen, ansonsten gemeinnützig arbeiten“, sagte der Politiker. SPD, Grüne und Sozialverbände wiesen die Forderung als Populismus zurück.
Linnemann sagte der „Süddeutschen Zeitung“, der Sozialstaat müsse für die wirklich Bedürftigen da sein, die nicht arbeiten könnten. Er warf der Ampel-Koalition vor, mit dem Bürgergeld als Nachfolger von Hartz IV das System der Anreize zur Arbeitsaufnahme weitgehend abgeschafft zu haben.
Das Bürgergeld wurde zum 1. Januar 2023 eingeführt. Bereits in diesem Jahr muss der Bund mehr Geld ausgeben als eigentlich geplant. Das Bundesarbeitsministerium bestätigte am 12. November Mehrausgaben von insgesamt 3,25 Milliarden Euro. Mieten, Heizkosten und sonstige Nebenkosten seien stärker gestiegen, als bei der Haushaltsplanung vor einem Jahr angenommen, sagte eine Sprecherin. Ab Januar sollen die Regelsätze für Bürgergeld und Sozialhilfe nochmals um gut zwölf Prozent steigen. Alleinstehende Erwachsene sollen 563 Euro im Monat erhalten - 61 Euro mehr als bisher.
Thorsten Frei, Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, sprach sich ebenfalls für eine Neuausrichtung des Bürgergelds aus. Man solle zielgenauer denen helfen, die tatsächlich auf Unterstützung angewiesen seien, sagte er dem Sender „phoenix“. Das Bürgergeld sei keine Form des bedingungslosen Einkommens. Wer von der Solidargemeinschaft unterstützt werde, müsse dafür sorgen, dass diese Situation wieder beendet werde, so Frei.
Statt immer mehr Geld auszugeben, sei eine aktive Arbeitsmarktpolitik nötig. Frei: „Es ist nicht akzeptabel, dass wir 1,9 Millionen offene Stellen haben und trotzdem arbeiten viele Menschen nicht, obwohl sie gesund und leistungsfähig sind. Das ist ein Missverhältnis, das ganz dringend aufgelöst werden muss.“
Der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), Michael Hüther, sagte der „Bild“-Zeitung zu Linnemanns Vorstoß: „Eine Jobpflicht für Bürgergeld-Bezieher ist in der Theorie richtig. Allerdings wird es bei der Umsetzung zahlreiche Probleme geben, unter anderem eine Verdrängung regulärer Jobs durch gemeinnützige Arbeit.“
Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) widersprach dem Hinweis auf die steigenden Kosten. Dass der Haushaltsposten für das Bürgergeld dieses Jahr höher ist als zuvor, liege nicht an faulen Bürgerinnen und Bürgern, sondern an der schlechten Wirtschaftslage, sagte Vorstandsmitglied Anja Piel. Und sie stellte klar: „Arbeit lohnt sich immer noch.“
Für die Linke sagte die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Susanne Ferschl, die Bürgergeld-Diskussion laufe aus dem Ruder. Die CDU kopiere Forderungen der AfD, und die FDP fordere Einsparungen. „Ich erwarte von Minister Heil, dass er diesem Tollhaus widerspricht.“ Ein menschenwürdiges Existenzminimum sei in unserem Sozialstaat unverhandelbar. Wichtig sei es, dass die Bundesregierung Maßnahmen gegen Niedriglöhne ergreife.
Die Grünen verteidigten die Bürgergeldreform als wichtigen Fortschritt. „Die Einführung war richtig und längst überfällig. Denn das Bürgergeld setzt auf Qualifizierung und Weiterbildung der Menschen“, sagten Beate Müller-Gemmeke, Mitglied im Ausschuss für Arbeit und Soziales, und Stephanie Aeffner, Mitglied im Ausschuss für Arbeit und Soziales. „Es hat sich nichts daran geändert, dass nur bedürftige Menschen Leistungen erhalten und sie auch weiterhin mitwirken müssen, um einen Job aufzunehmen. Die populistische Forderung der Union geht also an der Realität vorbei und verkennt, wer überhaupt Bürgergeld bezieht.“ Ein großer Teil seien Kinder, Jugendliche oder Menschen, die ihren Lohn aufstocken müssten.
Für die Diakonie Württemberg sagte die Vorstandsvorsitzende Annette Noller: „Wir müssen Menschen für ihre Rückkehr auf den Arbeitsmarkt fit machen. Nur dann kann es langfristige Erfolge geben, Zwangsmaßnahmen stehen dem entgegen.“
Die Organisation „Sanktionsfrei“ betonte: „Es gibt außerdem alleinerziehende Mütter, die nur begrenzt arbeitsfähig sind, und 1,6 Millionen Menschen, die gar nicht arbeitsfähig sind und dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen.“ Hinzu komme, dass nicht jeder Job zu jeder Lebenssituation passe. „Die allermeisten bemühen sich aktiv um Arbeit. Wenn man Leute zwingt, jeden noch so schlechten Job anzunehmen, nimmt man ihnen die Chance, sich richtig um ihre Zukunft zu kümmern.“
Berlin (epd). Der Zeitplan für die Einführung der Kindergrundsicherung wackelt. Die Bundesagentur für Arbeit (BA) hält ihn nicht mehr für realistisch. In der ersten Sachverständigen-Anhörung des Bundestags am 13. November in Berlin wurde zudem von Kommunalvertretern gewarnt, dass die Hilfen für bedürftige Kinder komplizierter statt einfacher werden könnten. Sozialverbände kritisierten, die Leistungen fielen in der Regel künftig nicht höher aus als heute. Das richtige Ziel, die Kinderarmut zu senken, drohe verfehlt zu werden.
BA-Vorständin Vanessa Ahuja betonte ausdrücklich, ihre Behörde wolle zum Gelingen der Kindergrundsicherung beitragen: „Wir können die Aufgabe stemmen, brauchen aber Zeit“, sagte sie. Zum geplanten Einführungstermin am 1. Januar 2025 sei aber „die Umsetzung nicht realisierbar“, sagte Ahuja. Die BA-Spitze plädiert für eine stufenweise Einführung ab Juli 2025. Bei der Bundesagentur sind die Familienkassen angesiedelt, die das Kindergeld und den Kinderzuschlag auszahlen. Sie sollen zu Familienservice-Stellen für die Verwaltung der Kindergrundsicherung ausgebaut werden.
Ahuja zufolge sind für die Umsetzung 5.355 zusätzliche Vollzeitstellen nötig. Außerdem seien umfassende IT-Anpassungen erforderlich, für die „die Zeitschiene zur Umsetzung nur grob bestimmt werden“ könne. Erst wenn das Gesetz von Bundestag und Bundesrat verabschiedet sei, könne ihre Behörde in die konkrete Umsetzung einsteigen.
Der Bundestag hatte in der vergangenen Woche mit den Beratungen über den Gesetzentwurf von Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) begonnen. Der Entwurf sieht vor, dass das heutige Kindergeld, der Kinderzuschlag für Familien mit wenig Einkommen und die Leistungen für Kinder im Bürgergeld oder in der Sozialhilfe zusammengefasst werden. Die Beantragung soll vereinfacht und digitalisiert werden.
Die Einführung der Kindergrundsicherung ist zum 1. Januar 2025 geplant. Im Einführungsjahr stehen 2,4 Milliarden Euro an Bundesmitteln zur Verfügung. Davon sind den Angaben zufolge rund 400 Millionen Euro für den Umbau der Verwaltung vorgesehen; die BA geht davon aus, dass dieses Geld nicht reichen wird. Jedes fünfte Kind in Deutschland lebt an oder unter der Armutsgrenze, da seine Eltern weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens haben.
Alle drei kommunalen Spitzenverbände, der Städtetag, der Landkreistag und der Städte- und Gemeindebund, kritisierten, für die Verwaltung der Kindergrundsicherung würden neue Behörden und damit Parallelstrukturen geschaffen, statt die vorhandenen Anlaufstellen zu stärken. Viele Familien müssten künftig mindestens zu zwei, möglicherweise zu vier verschiedenen Stellen. Dies würde rund 1,9 Millionen Kinder betreffen, deren Familien auf Bürgergeld angewiesen sind. Heute würden sie umfassend in den lokalen Jobcentern betreut, sagte Irene Vorholz vom Deutschen Landkreistag.
Aus Sicht der Sozialverbände verfehlt die Kindergrundsicherung der Ampel-Koalition ihr zentrales Ziel, die Kinderarmut zu senken. Der Sozialverband VdK, der Paritätische Gesamtverband und die AWO forderten eine Erhöhung des Existenzminimums für Kinder. VdK-Chefin Verena Bentele begrüßte die Reform dennoch als richtigen Schritt zur Armutsbekämpfung und Entstigmatisierung von bedürftigen Familien. Sie forderte den Bundestag auf, sicherzustellen, dass sie sich künftig wirklich nur an eine Stelle wenden müssten. Der AWO-Vertreter Alexander Nöhring nannte es „fatal“, dass Kinder von Asylbewerberinnen und -bewerbern keine Kindergrundsicherung bekommen sollen.
Bernd Siggelkow, Vorstand der Kinderstiftung „Arche“, verwies darauf, dass es armen Kindern nicht nur an Geld mangele, sondern auch an Ressourcen, auf die sie zurückgreifen können, unter anderem auf ein ganz anders aufgestelltes Bildungssystem. Auch müsse sichergestellt werden, dass die Leistungen bei den Kindern direkt ankommen, lautete sein Appell an die Abgeordneten.
Die evangelische arbeitsgemeinschaft familie (eaf) kritisierte den von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwurf zur Kindergrundsicherung als vertane Chance auf eine auskömmliche finanzielle Absicherung für soziale Teilhabe und ein gutes Aufwachsen aller Kinder. „Ein vorurteilsfreier Blick auf die Ursachen von Armut fehlt dieser Reform aus unserer Sicht ebenso wie der politische Wille, ausreichend Geld in die Hand zu nehmen, um Kinder und Jugendliche deutlich besser als bisher zu unterstützen“, so Martin Bujard, Präsident der eaf. „Wir haben uns eine weit umfassendere Reform gewünscht. Nun geht es darum, mit dem vorgelegten Entwurf konstruktiv umzugehen.“
Die Evangelische Arbeitsgemeinschaft Familie (eaf) mahnte erhebliche Nachbesserungen am Gesetzentwurf im parlamentarischen Verfahren an. „Ein vorurteilsfreier Blick auf die Ursachen von Armut fehlt dieser Reform aus unserer Sicht ebenso wie der politische Wille, ausreichend Geld in die Hand zu nehmen, um Kinder und Jugendliche deutlich besser als bisher zu unterstützen“, so Martin Bujard, Präsident der eaf. „Wir haben uns eine weit umfassendere Reform gewünscht. Nun geht es darum, mit dem vorgelegten Entwurf konstruktiv umzugehen.“ Er forderte unter anderem, den Zusatzbetrag pauschal um 15 Euro Teilhabebetrag und 20 Euro Sofortzuschlag zu erhöhen. Mit Blick auf die Lage von Allerinerziehenden sagte Bujard, die Ermittlung der Höhe von Unterhaltsvorschüssen müsse geändert werden. Dieser sollte künftig errechnet werden, indem vom Mindestunterhalt nur die Hälfte des Kindergeldes beziehungsweise des Kinder¬garantiebetrages abgezogen wird.
Professorin Bettina Kohlrausch, Wissenschaftliche Direktorin des WSI der Hans-Böckler-Stiftung, sprach von einem Schritt in die richtige Richtung. Aber: „Die aktuell genannten Vorhaben entsprechen eher einer Verwaltungsreform als einer echten Kindergrundsicherung.“ Entgegen der Ankündigung im Koalitionsvertrag sei eine angemessene und wissenschaftsbasierte Neuberechnung des sozio-kulturellen Existenzminimums von Kindern nicht vorgenommen worden, beklagte die Expertin. „Damit sind die gewährten Leistungen auch im neuen Instrument nicht armutsfest.“
Auch wurde nach ihren Worten die Privilegierung Kinder besserverdienender Eltern durch den Kinderfreibetrag und die Schlechterstellung von Kindern im Asylbewerberleistungsbezug nicht aufgehoben. Es handele sich also nicht um eine Leistung für alle Kinder. „Skandalös und für mich völlig unverständlich ist die Kürzung der Leistung von Kindern um 20 Euro, die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz enthalten. Diese Gruppe gehört ohnehin schon zu den ärmsten der armen Kinder“, sagte Kohlrausch.
Der Verband alleinerziehender Mütter und Väter erklärte, Alleinerziehende und ihre Kinder hätten mit 42 Prozent das höchste Armutsrisiko aller Familienformen. Deshalb dürfe es für sie keinerlei Verschlechterungen geben. Wo sie drohten, müsse der Entwurf noch geändert werden. So dürfe Alleinerziehenden für die Tage, die das Kind beim Partner ist, die Kindergrundsicherung nicht gekürzt werden.
München (epd). Die Kritik an dem Gesetzentwurf zur Kindergrundsicherung reißt nicht ab. Nach der Anhörung von Verbänden und Fachleuten im Familienausschuss des Bundestages am 13. November bezeichnete SOS-Kinderdorf die Reformpläne des Bundes als unzureichend. Vorgesehen sei „lediglich eine Umbenennung alter Leistungen und keine echte Kindergrundsicherung. Hier wird Armut verwaltet statt Zukunft gestaltet“, sagte Professorin Sabina Schutter, Vorstandsvorsitzende von SOS-Kinderdorf, dem Evangelischen Pressedienst (epd).
„Dass eine Koalition, die mit dem Versprechen angetreten ist, Kinderrechte zu fördern und Kinderarmut nachhaltig zu bekämpfen, einen solchen Gesetzentwurf vorlegt, ist enttäuschend“, urteilte die Vorstandschefin.
Zwar seien die Digitalisierung des Antragsprozesses und die Bündelung von Leistungen für bedürftige Kinder Schritte in die richtige Richtung. „Doch vom lange angekündigten Paradigmenwechsel in der Bekämpfung von Kinderarmut, auf den 2,8 Millionen armutsbedrohte Kinder seit Jahren warten, kann keine Rede sein“, sagte Schutter: „Eine reine Verwaltungsreform wird für die vielen Betroffenen keine gerechteren Chancen schaffen.“
Der Gesetzentwurf nehme die Situation von Kindern in Armut nicht in den Blick, sondern diskriminiere geflüchtete Kinder. Im Gesetzentwurf würden von vornherein Kinder ausgeschlossen, die Leistungen des Asylbewerberleistungsgesetzes erhalten. Das stelle eine grobe Verletzung der UN-Kinderrechtskonvention dar. Schutter: „Denn Kinder, die nach Deutschland geflohen sind, haben dieselben Rechte wie Kinder, die in Deutschland geboren wurden.“ Sie rief die Bundesregierung auf, den Vorgaben aus der UN-Kinderrechtskonvention gerecht zu werden und alle in Deutschland lebenden Kinder in die Kindergrundsicherung aufzunehmen.
Frankfurt a.M. (epd). Professor Daniel Thym betont: „Das Grundrecht auf Asyl und die Genfer Flüchtlingskonvention geben einen Schutzanspruch bei Verfolgung, sagen jedoch nicht, wo dieser Schutz gewährleistet sein muss.“ Daraus folge, dass die umstrittenen externen Asylverfahren rechtlich möglich seien, so der Experte. Es komme jedoch auf die Ausgestaltung an und darauf, „mit welchen Ländern man ins Geschäft kommt und was man ihnen als Gegenleistung anbietet“. Die Fragen stellte Dirk Baas.
epd sozial: Das Grundrecht auf Asyl gelte weiterhin in Deutschland, „allen öffentlich geführten, sehr hitzigen und manchmal auch unsachlichen Debatten zum Trotz“, sagt die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Luise Amtsberg (Grüne), über Asylverfahren außerhalb Europas. Was ist zu halten von der Ankündigung der Bundesregierung, solche Verfahren prüfen zu lassen?
Daniel Thym: Politisch und ethisch kann man über externe Asylverfahren trefflich streiten. Juristisch überzeugt die Kritik von Frau Amtsberg jedoch nicht. Das Grundrecht auf Asyl und die Genfer Flüchtlingskonvention geben einen Schutzanspruch bei Verfolgung, sagen jedoch nicht, wo dieser Schutz gewährleistet sein muss. Im Grundgesetz und den EU-Asylrichtlinien steht das Konzept sicherer Drittstaaten schwarz auf weiß drin. Wenn man externe Verfahren nur juristisch betrachtet, geht es darum, dass diese die Sicherheitsstandards erfüllen, nicht darum, ob es sie geben darf.
epd: Wie bewerten Sie grundsätzlich die Auslagerung von Asylverfahren?
Thym: Ich bin kein großer Fan des Vorschlages, weil er notorisch schwierig umzusetzen ist. Politik und Gesellschaft machen sich etwas vor, falls sie glauben, ein Zaubermittel gefunden zu haben. Wenn man die Idee umsetzt, müssten drei Voraussetzungen erfüllt sein: Erstens braucht es zuverlässigen Schutz vor Verfolgung und schwersten Menschenrechtsverletzungen. Zweitens müssen die Verfahren internationalen Standards entsprechen, die niedriger sind als das deutsche und europäische Asylrecht. Und drittens müssen die Unterbringungsstandards adäquat sein. Vereinfacht gesagt: Brot, Bett, Seife und Bildung. Nach der Anerkennung vielleicht noch der Zugang zum Arbeitsmarkt.
epd: Laut Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP aus dem Jahr 2021 soll geprüft werden, ob die Feststellung des Schutzstatus in Ausnahmefällen unter Achtung der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention in Drittstaaten möglich ist. Haben Sie ein Erklärung dafür, warum das jetzt passieren soll, wo doch so vieles, was im Vertrag steht, noch nicht angegangen wurde?
Thym: Es war wohl die FDP, die eine „Abschiebungsoffensive“ und den Prüfauftrag für ausgelagerte Verfahren in den Koalitionsvertrag hineinverhandelte. In den ersten 18 Monaten wurde das weitgehend ignoriert. Offenbar war die FDP nicht stark genug. Speziell bei den externen Verfahren lag es aber sicher daran, wie schwierig das ist. Es reicht ja nicht, die rechtlichen Vorgaben einhalten. Die Politik muss erst einmal ein Land finden, das die Prüfzentren aufnimmt.
epd: Und wenn die gefunden sind?
Thym: Die Zentren müssen dann erst mal aufgebaut und betrieben werden. Das ist logistisch schwierig und kann gehörig schief gehen, weil diese Einrichtungen von den Medien genau beobachtet würden. Da würde sich schnell zeigen, dass die Standards, die üblicherweise in internationalen Flüchtlingslagern herrschen, deutlich hinter dem zurückbleiben, was in Mitteleuropa üblich ist. Außerdem tritt der erhoffte Zweck eventuell nicht ein, nämlich dann, wenn Menschen ohne Schutzbedarf das Zentrum einfach wieder verlassen, um trotzdem irregulär in die EU einzureisen. Umgekehrt könnten wohl Menschen mit Schutzbedarf ohne Risiko direkt im Zentrum einen Asylantrag stellen. Das kann für sie billiger sein, als Geld für Schlepper auszugeben und dabei noch das Leben zu riskieren.
epd: Kritiker und Menschenrechtsorganisationen warnen von „dreckigen Deals“, die eine solche Migrationskooperation darstellen würden. Aber muss das zwingend so sein?
Thym: Natürlich nicht, denn es kommt darauf an, mit welchen Ländern man ins Geschäft kommt und was man ihnen als Gegenleistung anbietet. Wenn die Kritik mit „schmutziger Deal“ die europäischen Werte meinen, finde ich das auch zu einfach. Speziell in Italien landen sehr viele Menschen ohne Schutzbedarf. Es ist legitim, wenn Europa diese irreguläre Zuwanderung unterbinden will. Das muss auch kein versteckter Rassismus oder ähnliches sein.
epd: Man gewinnt den Eindruck, dass so die Abschreckung erhöht werden soll. Aber eignen sich diese Pläne überhaupt, um kurzfristig die Zahlen ankommender Geflüchteter zu senken?
Thym: Wenn Sie mit „die Pläne“ die aktuellen Vorhaben der Bundesregierung meinen, ist die Antwort klar: das sind kleine Schrauben. Das gilt erst Recht für die ausgelagerten Asylverfahren, die ja nicht schnell umgesetzt werden können. Es gibt keine realistische Alternative zur Politik der Trippelschritte: eine Kombination von sehr vielen kleinen und manchen größeren Maßnahmen.
epd: Ist es ratsam, sich mit dieser heiklen Materie zu befassen? Großbritannien hat trotz eines Millionen Euro kostenden Abkommens noch keinen einzigen Flüchtling nach Ruanda ausgeflogen.
Thym: Ich kann gut verstehen, dass die Politik nach neuen Lösungen sucht. Sie sollte sich nur nicht der Illusion hingeben, eine einfache Lösung finden zu können. Ohne neue Wege bricht die politische Akzeptanz des Asylrechts völlig weg. In anderen europäischen Ländern ist das schon passiert. Es geht einfach nur darum, dass die Bevölkerung nicht den Eindruck hat, der Staat habe die Kontrolle verloren.
epd: Wo liegen aus Ihrer Sicht die speziellen Hürden in Deutschland? Ließe sich überhaupt ein rechtssicheres Verfahren samt menschenwürdiger Unterbringung in ein dann auch kontrollierbares Abkommen mit Drittstaaten verhandeln?
Thym: Für Deutschland ist das nicht schwieriger als für jedes andere Land in Europa. Nur die Australier haben es einfacher, denn dort werden die Menschenrechte weniger streng gehandhabt. Aus dem Prüfauftrag folgt ja in keiner Weise, wer die Zentren betreibt und welche Verfahrensregeln dort gelten werden: das deutsche Asylrecht wohl kaum. Es gibt verschiedene Modelle. Die Zentren können von deutschen oder europäischen Beamte betrieben werden, vom UN-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) oder vom Drittstaat, wo das ganze stattfindet, also zum Beispiel Albanien. Private Firmen können als Subunternehmer auch helfen. Das ist bei der humanitären Hilfe, auch im Fluchtbereich, durchaus üblich.
epd: Gibt es funktionierende Beispiele aus anderen EU-Staaten, oder vielleicht bessere Modelle, denen man folgen könnte? Italien will sich mit Albanien verbünden und zwei Lager finanzieren. Wächst dadurch der Druck innerhalb der EU und damit auch auf Deutschland?
Thym: Das italienische Modell ist rechtlich schlau gemacht. Es gilt nämlich nach den verfügbaren Informationen nur für Personen, die von italienischen Startschiffen auf hoher See aufgenommen werden. Das ist deshalb ein Trick, weil auf dem Meer noch kein Asylantrag gestellt werden kann. Das erlaubt die Überstellung nach Albanien, ohne dass davor in Italien ein kurzes Asylverfahren mit Rechtsschutz stattfinden muss. Die Idee einer solchen Ausschiffungsplattform nach einer Seenotrettung ist übrigens nicht neu. Angela Merkel (CDU) und der Europäische Rat forderten das schon vor fünf Jahren.
epd: Die Ampel hat bereits die Hälfte ihrer Regierungszeit hinter sich. Lässt sich in der verbliebenen Dauer der Legislatur überhaupt noch Vollzug bei diesen Abkommen erreichen?
Thym: Meine klare Prognose ist: Nein.
Frankfurt a.M., Gießen (epd). Grau ist die vorherrschende Farbe der riesigen Halle. Auf den Betonplatten am Boden sind Abteile mit weißen Stellwänden abgetrennt. Vier, sechs oder acht einfache Feldbetten stehen darin. Auf einem freien Raum der Halle sind rote Biertischgarnituren aufgestellt. Vereinzelt und in kleinen Gruppen sitzen Frauen, Kinder und vor allem Männer daran und unterhalten sich oder schauen auf ihre Handys. Drei Mal am Tag liefert ein Caterer Essen. Die Halle acht der Messe Frankfurt am Main dient derzeit als Erstunterkunft für Asylbewerber.
Die Massenunterkunft habe sich seit dem Start am 6. Oktober sehr bewährt, sagt Manfred Becker, Abteilungsleiter für Flüchtlingsangelegenheiten des Regierungspräsidiums Gießen, wo die Zentrale der Erstaufnahmeeinrichtung in Hessen sitzt. Die Halle könne bis zu 2.000 Menschen aufnehmen und sei derzeit mit 720 Bewohnern belegt. Der Höchststand habe bisher bei 900 Personen gelegen. Täglich kämen in Hessen derzeit 100 bis 350 Flüchtlinge an, die Unterbringung sei für die Behörden eine Herausforderung. Daher sei die bis 15. Dezember zur Verfügung stehende Messehalle in nur eineinhalb Wochen umfunktioniert worden.
Die Einrichtung sei in fünf Tagen gestemmt worden, erläutert der Geschäftsführer des Dienstleisters Gratus GmbH, Jonas Schittig. Das Unternehmen besorge auch die Mitarbeiterschaft, aufgrund der Betriebszeit von nur zwei Monaten meist Studierende. Am Informationstisch etwa sitzen zwei junge Frauen bereit für Auskünfte. Auf Deutsch, Englisch, Türkisch oder Persisch informieren sie über das Essen oder Transfers oder vereinbaren Arzttermine in der Halle. In einem abgetrennten Spielbereich stellen Kinder große Klötze wie Möbel zusammen, malen Bilder oder sehen sich Bilderbücher an.
Zwei Sozialarbeiterinnen beaufsichtigen das Dutzend Mädchen und Jungen. Die Kinder seien sehr aufgeschlossen und wollten anhand der Bilderbücher unbedingt Deutsch lernen, sagt Svea Fuß. Für die Spielgelegenheiten seien sie dankbar.
In einem Raum am Rand der Halle wartet ein Dutzend Bewohner auf den Arzt. Lucas Engel behandelt im Nachbarraum. Die Klienten hätten Brüche von Stürzen und auch andere Wunden, berichtet er. Außerdem seien Bluthochdruck und Diabetes auf dem Weg nach Deutschland nicht behandelt worden, es gebe Blutzuckerentgleisungen. Der Arzt macht eine Acht-Stunden-Schicht, teilweise mit einem Kollegen. Ein Sanitätsdienst sei rund um die Uhr vor Ort.
In der Halle dringt fortwährend ein gedämpfter Geräuschpegel ans Ohr. Einige Jugendliche spielen sich einen Volleyball zu. Die Bewohner dürfen die Unterkunft jederzeit verlassen, ein Sicherheitsdienst passt auf. Von 22 bis 8 Uhr soll Nachtruhe herrschen, die Scheinwerfer an der Decke werden abgeblendet. Über etwaige Konflikte gibt der Sicherheitsdienst keine Auskunft. Es habe bisher keine größeren Auseinandersetzungen gegeben, sagt Manfred Becker. Der Dienstleister mache auch Freizeit- und Sportangebote und biete einen Deutsch- und Werteunterricht an.
Drei Viertel der Bewohner stammen nach Beckers Angaben aus der Türkei, Afghanistan und Syrien. 70 Prozent seien Männer, ein Viertel Kinder und Jugendliche. Eine Bewohnerin mittleren Alters mit lila Kopftuch, grünem Pulli und dunkelblauem Rock berichtet, sie komme aus der türkischen Stadt Mardin in der Nähe der Grenze zu Syrien und dem Irak. Sie habe neun Kinder und sei mit ihrem Mann und acht Kindern nach Ankara gefahren, von dort nach Serbien geflogen, dann drei Tage und Nächte durch Wälder marschiert und schließlich in Autos nach Deutschland gebracht worden. Ein fünfjähriges Kind habe sein Hörgerät verloren, aber die Schlepper hätten sie zum Weitergehen gezwungen. Warum sie nach Deutschland komme, dürfe sie nicht sagen.
Die neun Erstaufnahmeeinrichtungen in Hessen beherbergen nach Beckers Worten knapp 8.000 Flüchtlinge und Migranten, Platz bestehe für 13.000. Die Bewohner blieben im Durchschnitt drei bis vier Monate dort, bis sie in die Landkreise und Kommunen weitergeleitet werden.
Von Januar bis Oktober sind nach Angaben des hessischen Innenministeriums bisher 19.492 Asylbewerber nach Hessen gekommen. Unter den Herkunftsländern liege die Türkei mit 1.602 Personen an der Spitze, gefolgt von Afghanistan (666) und Syrien (545). Einreisende aus der Ukraine werden nicht als Asylbewerber geführt.
Berlin (epd). Zur Herstellung von Barrierefreiheit auf allen gesellschaftlichen Ebenen braucht es aus der Sicht von Sachverständigen gesetzliche Regelungen. Selbstverpflichtungen und weitere Aktionspläne reichten nicht aus, hieß es während einer Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der CDU/CSU-Fraktion mit dem Titel „Mehr Tempo für Barrierefreiheit und einen inklusiven Sozialraum“ am 13. November in Berlin.
Christiane Möller vom Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverband sagte, das Prinzip der Freiwilligkeit habe „jahrzehntelang“ nicht funktioniert. Es müsse folglich zwingend über gesetzliche Regelungen „mit angemessenen Übergangsfristen“ gesprochen werden, forderte sie. Die Expertin betonte, das Vorhandensein einer barrierefreien Infrastruktur oder barrierefreier Produkte und Dienstleistungen sei entscheidend für die Frage: „Bin ich drin oder bin ich draußen in dieser Gesellschaft?“
Auf den vom Bundesgesundheitsministerium angestoßenen „Aktionsplan für ein diverses, inklusives und barrierefreies Gesundheitswesen“ ging Janina Bessenich, Geschäftsführerin der Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie, ein. Sie kritisierte, dass die Beteiligung von Menschen mit Behinderungen an diesem Prozess sehr beschränkt se. Zudem beschränkt sich das Vorhaben des Ministeriums laut Bessenich nur auf bestimmte Bereiche. Sie rügte, es habe in der Vergangenheit schon viele Aktionspläne gegeben, obwohl es darum gehen müsse, „dass alle Gesetze im Bereich des Ministeriums dafür sorgen müssen, dass Barrierefreiheit sichergestellt ist“.
Er sei ein Freund des Ordnungsrechtes, sagte Jonas Fischer vom Sozialverband Deutschland (VdK). Auch er ebtonte, dass Selbstverpflichtungen, egal ob in Sachen Mobilität, beim Bauen und Wohnen oder bei privaten Anbietern von Produkten und Dienstleistungen, nicht ausreichten. „Wir brauchen gesetzliche Regelungen“, betonte Fischer.
Volker Sieger von der Bundesfachstelle Barrierefreiheit bei der Deutschen Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See erwartet noch in dieser Legislaturperiode „eine große Barrierefreiheitsreform“, ähnlich wie es im Koalitionsvertrag festgelegt sei. Zentrales Element müssten Verpflichtungen der Privatwirtschaft sein.
Dass die Handlungsfelder bei dem Aktionsplan des Gesundheitsministeriums ohne Beteiligung der Menschen mit Behinderungen vorgegeben worden seien, stieß aucxh bei Anieke Fimmen vom Sozialverband Deutschland auf Kritik. „Wir hätten uns sehr gewünscht, an der Erarbeitung der Kriterien beteiligt zu werden“, sagte sie. Helmut Vogel vom Deutschen Gehörlosenbund schloss sich der Kritik an. Bei dem Prozess im Ministerium brauche es eine Steuerungsgruppe, an der der Behindertenrat beteiligt sei und die die Partizipation sicherstelle, sagte Vogel.
Eine inklusive Gesellschaft entstehe nicht von selbst, heißt es in der Stellungnahme des Einzelsachverständigen Eberhard Eichenhofer, Jurist aus Jena. Sie entstehe vor allem dann nicht, „wenn die bestehende Gesellschaft einzelne wie Gruppen wegen ihres Geschlechts, Alters, einer Behinderung, ethnischer Herkunft oder sexueller Orientierung die rechtlich gebotene Gleichbehandlung vorenthält“. Die Stellung von Menschen mit einer Behinderung müsse, so der Experte, im Zuge von Inklusion verbessert werden. Die Aufnahme des Begriffs „angemessene Vorkehrungen“ in das deutsche Recht würde aus seiner Sicht dazu entscheidend beitragen.
Neuss, Düsseldorf (epd). Die anhaltende Inflation und die hohen Zinsen werden nach Einschätzung von Experten in den kommenden Monaten zu deutlich mehr Fällen von überschuldeten Privatpersonen führen. Von 2022 auf 2023 habe sich die Überschuldungsquote zwar von 8,48 auf 8,15 Prozent der Gesamtbevölkerung verringert, teilte die Wirtschaftsauskunftei Creditreform in ihrem am 15. November in Neuss vorgestellten neuen Schuldneratlas 2023 mit. Die Zahl überschuldeter Privatpersonen über 18 Jahre, die ihre Verbindlichkeiten nicht mehr bedienen können, sank um 233.000 Fälle auf 5,65 Millionen.
„Die vermeintlich guten Werte trügen leider“, warnte jedoch der Leiter der Creditreform-Wirtschaftsabteilung, Patrik-Ludwig Hantzsch, und verwies auf eine „verdeckte Trendumkehr“. Denn die Zahlen enthielten statistische Effekte aus einer jüngst erfolgten Verkürzung der Speicherfrist für die sogenannten Restschuldbefreiung. Sie gibt Schuldnern die Möglichkeit, sich nach einigen Jahren von ihren Schulden befreien zu lassen, wenn sie diese nicht bezahlen können. Diese Speicherfrist liegt nun bei sechs Monaten statt bisher drei Jahren. Das habe zur Folge, dass 250.000 überschuldete Personen früher aus der Statistik verschwunden sind.
Ohne Berücksichtigung dieses Effekts ist die Überschuldung laut Creditreform bereits in diesem Jahr erstmals seit 2019 wieder gestiegen - gegenüber 2022 um 17.000 Fälle. Das entspricht einer Überschuldungsquote von 8,51 Prozent. Die höchsten Überschuldungsquoten von Privatpersonen wiesen laut Schuldneratlas die Städte Bremerhaven (19,02 Prozent), Pirmasens (16,72 Prozent), Gelsenkirchen (16,62 Prozent), Neumünster (16,02 Prozent) und Duisburg (15,89 Prozent) auf.
Zudem gebe es auch erstmals seit 2020 wieder eine Zunahme der sogenannten „weichen“ Überschuldung, die in mehr als der Hälfte der 394 Kreise und kreisfreien Städte in Deutschland anstieg, hieß es. Hier sind bei den Schuldnern zwar schon mehrere Mahn- und Inkassoverfahren eingeleitet, aber der Gerichtsvollzieher ist im Gegensatz zur „harten“ Überschuldung noch nicht aktiv geworden. Von dieser Entwicklung betroffen seien vor allem einkommensschwache Haushalte, die unter den zuletzt deutlichen Preisanstiegen bei Energie und Lebenshaltungskosten zu leiden hätten.
Die Verbraucherzentrale NRW bestätigte diese Einschätzung. Die Nachfrage in den Schuldner- und Insolvenzberatungsstellen steige derzeit „deutlich“ an, erklärte Überschuldungsexperte Christoph Zerhusen in Düsseldorf. Betroffene benötigten vor allem schnelle Hilfe in existenzbedrohenden Lagen wie etwa bei Kontopfändungen oder drohenden Energiesperren. „Auch wenn der Arbeitsmarkt recht stabil ist, geraten viele Menschen durch die hohe Inflation und steigende Wohnkosten in finanzielle Schwierigkeiten“, erklärte Zerhusen weiter. Vor allem bei Familien, Senioren, Alleinerziehenden und Geringverdienern könne die Lage dann schnell kritisch werden.
Creditreform sieht noch weitere Ursachen für Überschuldung. „Die Konsumlust der Bürger wächst wieder, obwohl fast alles deutlich teurer ist“, erklärte Hantzsch. Da zeige unter anderem eine steigende Nachfrage nach Ratenkrediten und „Buy now, pay later“-Angeboten. Das werde langfristig jedoch viele Konsumenten finanziell überfordern. Zudem sei die Überschuldung von Verbrauchern aber auch eng an die konjunkturelle Entwicklung geknüpft, derzeit verschärfe sich die Lage auf dem Arbeitsmarkt, und Deutschland rangiere beim Wachstum in Europa auf den letzten Plätzen.
Berlin (epd). Rund 43.000 Menschen haben innerhalb des ersten Jahres das neue Chancen-Aufenthaltsrecht in Anspruch genommen. Das sagte Staatsministerin Reem Alabali-Radovan, Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration und Beauftragte für Antirassismus, am 10. November bei einem Treffen im Bundeskanzleramt mit Vertreterinnen und Vertretern des Netzwerks Unternehmen integrieren Flüchtlinge sowie der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK).
„Wir alle wissen: mit Arbeit gelingen Ankommen und Integration besser. Asylsuchende und langjährig geduldete Menschen brauchen deshalb schneller Zugang zum Arbeitsmarkt“, so die Ministerin. Dafür habe die Bundesregierung den Weg frei gemacht und das Chancen-Aufenthlatsrecht realisiert. Zudem sei das Beschäftigungsverbot für Asylsuchende in Aufnahmeeinrichtungen auf grundsätzlich sechs Monate verkürzt worden. „Wenn Geflüchtete ihre Talente und Potenziale schnell am Arbeitsmarkt einbringen können, profitiert nicht zuletzt auch unser Wirtschaftsstandort“, betonte Alabali-Radovan.
Der stellvertretende Hauptgeschäftsführer der DIHK, Achim Dercks, verwies darauf, dass der Druck auf die Migrations- und Integrationsinfrastruktur steige. Die hohe Zahl Asylsuchender bringe Kommunen, Städte und Behörden an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit. „Umso wichtiger sind jetzt zielgerichtete Maßnahmen für die Menschen mit Bleibeperspektive, die einen Beitrag in Wirtschaft und Gesellschaft leisten können und wollen. Schnelle Arbeitsmarktintegration durch digitale Verwaltungsverfahren, besserer Spracherwerb durch berufsspezifische Förderungen und zeitnahe Entscheidungen über schnellere Asylverfahren. “Dafür ist es wichtig, die jetzt zwischen Bund und Ländern vereinbarten Maßnahmen ohne Umwege umzusetzen. Das ist auch für die Planungen der Unternehmen und damit für eine gelingende Integration wichtig."
Die Zahlen von Personen, die das Chancen-Aufenthaltsrecht nutzen, steigen langsam an. Ende September berichtete die Bundesregierung von rund 37.000 Fällen. Die Zahl der ausreisepflichtigen Ausländer, also der Personen ohne Aufenthaltserlaubnis, in Deutschland sank derweil den Angaben zufolge auf knapp 262.000 Menschen, wobei der Großteil von ihnen über eine Duldung verfügte.
Das von der Ampel-Koalition eingeführte Chancen-Bleiberecht soll dafür sorgen, dass Menschen, die seit Jahren in Deutschland leben, keinen legalen Aufenthaltstitel haben und dennoch aus humanitären, gesundheitlichen oder anderen Grünen nicht abgeschoben werden können, eine Perspektive erhalten. Menschen, die zum Stichtag 31. Oktober 2022 bereits seit fünf Jahren ohne sicheren Aufenthaltstitel in Deutschland lebten, können für 18 Monate den neuen Status erhalten, um innerhalb dieser Zeit die Voraussetzungen für ein dauerhaftes Bleiberecht nachzuweisen.
Dazu zählen unter anderem Sprachkenntnisse, der Identitätsnachweis und die Sicherung des Lebensunterhalts. Wer das nicht schafft, fällt in die Duldung zurück. Straftäter und deren Familien sind vom Chancen-Bleiberecht ausgeschlossen. Die Bundesregierung gab die Zahl derer, die von dem neuen Bleiberecht profitieren könnten, mit rund 137.000 an.
München (epd). Das bayerische Gesundheitsministerium sucht innovative Modellprojekte für Menschen mit Demenz und Pflegebedarf. Bewerbungen von Trägern und Initiativen um eine Projektförderung seien noch bis 31. Dezember möglich, teilte das Ministerium am 15. November mit. Bewerber müssten ein schlüssiges Gesamtkonzept vorlegen, das unter anderem neue Versorgungsstrukturen und -konzepte aufzeigt sowie Maßnahmen und Kosten.
Gefördert würden vor allem Projekte im ambulanten Bereich. Die Förderung sei zunächst für drei Jahre vorgesehen, könne aber auf maximal fünf Jahre verlängert werden. In Bayern leben laut Ministerium rund 450.000 Menschen mit Pflegebedarf in den eigenen vier Wänden. Von Demenz betroffen sind insgesamt rund 270.000 Menschen.
Gesundheitsministerin Judith Gerlach (CSU) sagte, dass sich Unterstützungsangebote für pflegebedürftige Menschen in den eigenen vier Wänden bereits erheblich verbessert hätten. Sie sei aber überzeugt, dass es noch weitere Entwicklungsmöglichkeiten gebe.
Stuttgart (epd). Einen verständlicheren Zugang zur Verfassung des Landes Baden-Württemberg verschafft ein neues Online-Angebot in Leichter Sprache. Das übersichtlich gestaltete Online Projekt, das Landesverfassung und damit die politische Grundordnung des Landes Baden-Württemberg erklärt, wendet sich laut Mitteilung an Menschen mit kognitiven Einschränkungen oder Lernschwierigkeiten. Denn alle Menschen hätten ein „Recht auf umfassende Teilhabe am politischen und gesellschaftlichen Leben“, betonte Landtagspräsidentin Muhterem Aras (Grüne) am 10. November in einer Pressemitteilung.
Das Projekt ist den Angaben zufolge zum 70. Jahrestag der baden-württembergischen Verfassung entstanden als eine Gemeinschaftsproduktion der Landeszentrale für politische Bildung (LpB), des Landtags und der Beauftragten der Landesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen, Simone Fischer.
Berlin, Bochum (epd). Es war ihre Mutter, die Valerie und ihrer Schwester die Diagnose übermittelte: Der Vater ist an Demenz erkrankt. Valerie reagierte psychosomatisch: Sie übergab sich. Ihre Geschichte erzählt sie nur unter der Bedingung, dass sie ihre wahre Identität nicht preisgeben muss. „Es hieß lange, erzählt es bloß niemandem! Aber ich hätte meine Freunde früher und mehr einbinden sollen.“ Sie waren für Valerie die wichtigste emotionale Stütze, als ihre Verzweiflung wuchs. „Ich habe mir oft gewünscht, dass mein Vater Krebs hätte und schnell gestorben wäre.“
Valerie war damals 26 Jahre alt. Ute Brüne-Cohrs erlebt in ihrer Gedächtnissprechstunde regelmäßig, wie noch wesentlich jüngere Menschen der traumatischen Demenz-Diagnose ihrer Eltern hilflos ausgeliefert sind. „Kinder finden oft keine anderen Betroffenen, die wie sie in dieser Situation sind. So ernten sie wenig Verständnis für ihre Situation“, erklärt die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Bochum in Trägerschaft des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL).
Es handelt sich nicht um Einzelfälle: Bundesweit gibt es nach Angaben der Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen schätzungsweise 30.000 bis 40.000 Menschen unter 65 Jahren, die an Demenz leiden. Rund ein Drittel von ihnen hat ein Kind unter 18 Jahren.
Der Nachwuchs ist einem hohen Leidensdruck ausgesetzt: Die Kinder müssen die Diagnose ihres Vaters oder ihrer Mutter nicht nur verarbeiten, sondern auch die Konsequenzen häufig komplett mit sich selbst ausmachen. Viele von ihnen sind noch nicht im Erwachsenenleben angekommen und haben plötzlich selber Sorgearbeit zu leisten. Anstatt sich vom Elternhaus loslösen zu können, wächst in ihnen das Pflichtgefühl, zu helfen, wann immer nötig. Sich selbst stellen sie hintan.
Valerie fasst die Schicksalsjahre ihrer Familie so zusammen: „Sich langsam von den Eltern, die man sein Leben lang kannte, zu verabschieden, machen die meisten erst mit 40, 50 durch. Ich war erst Anfang 20 und meine Eltern standen noch mitten im Leben.“
Auf die Kinder der Betroffenen konzentrierten sich Alzheimer-Gesellschaften tendenziell wenig, stattdessen widmeten sie sich eher dem gesunden Partner, kritisiert Brüne-Cohrs. Beim Nachwuchs handele sich um eine Zielgruppe, „die bislang ziemlich vernachlässigt ist und die kaum Anlaufstellen hat“. Sabine Metzing, Professorin für Pflegewissenschaften an der Uni Witten/Herdecke, bestätigt: „Kinder und Jugendliche als Angehörige von Menschen mit Demenz rücken erst langsam in den wissenschaftlichen und noch langsamer in den gesellschaftlichen Fokus.“
Dem schleichenden Rollenwechsel in der Eltern-Kind-Beziehung folgen Unsicherheit und Verlusterfahrung. Aus anhaltendem Stress können Depressionen entstehen und Angstzustände, die zu Selbstverletzungen, Alkohol- und Drogenabhängigkeit führen können. Für die Fachärztin Brüne-Cohrs war das Grund genug, etwas zu tun.
2021 rief sie das Projekt „KidsDem: Unvergessen - Kinder von jungen demenzerkrankten Eltern“ ins Leben. Bis 2024 finanzieren das Sozialministerium des Landes Nordrhein-Westfalen, die Landesverbände der Pflegekassen und der Verband der Privaten Krankenkassen das Pilotprojekt.
Besonders im Projektfokus stehen wöchentliche Gruppentreffen: Begleitet von drei Sozialarbeitern der Bochumer Jugendhilfeeinrichtung St. Vinzenz lernt eine Handvoll Jugendlicher und junger Erwachsener im Alter von 15 bis 20 Jahren, über eigene Gefühle und Bedürfnisse zu sprechen. „Wir wollen den altersuntypischen Aufgaben, die die Jugendlichen übernehmen, während der Treffen etwas Positives entgegensetzen“, erklärt Sozialarbeiterin Anna-Magdalena Schorling.
Hinzu kommen Freizeitangebote wie Minigolf oder eine Wanderung als entspannter Ausgleich zum kräftezehrenden Alltag daheim. In diesem Sommer war sogar ein gemeinsamer Holland-Urlaub drin.
„Es hat einige Bindungsarbeit gebraucht, um Jugendliche für das Projekt zu gewinnen. Nur die Anlaufstelle an sich anzubieten, reicht nicht. Viele wollen ihre Probleme nicht vor Fremden ausbreiten. Nachher steht das Jugendamt vor der Tür, fürchten sie. Zuerst musste Vertrauen zu den Betreuern aufgebaut werden“, erklärt Brüne-Cohrs.
Valerie beschäftigt noch etwas anderes: „Es besteht das Risiko, dass ich selber erkranke. Deswegen möchte ich nichts erzählen, was zurückverfolgt werden kann. Wer weiß, welcher Arbeitgeber das sonst vielleicht mal gegen mich verwenden könnte.“
Mit seinem Online-Projekt „Demenz-Buddies“ will auch der Münchner Verein Desideria Care seit 2022 jungen Pflegenden ermöglichen, sich zu festen Terminen mit anderen Betroffenen zumindest per Livestream auszutauschen. Wer lieber chattet oder einfach nur telefonieren will, bekommt Informationen auf dem Portal „Pausentaste“ des Bundesfamilienministeriums.
Für Ute Brüne-Cohrs ist klar: Nötig seien ausreichend Mittel für altersmäßig geeignete Selbsthilfegruppen, ein zeitnahes Angebot einer therapeutischen Begleitung sowie eine familiär abgestimmte Einbindung externer Pflegekräfte. Sonst drohe durch Demenz nicht allein dem Erkrankten Schaden, sondern auch seiner Familie.
Berlin (epd). Fast drei Viertel der ambulanten Pflegedienste unter dem Dach der Diakonie beurteilen ihre finanzielle Lage skeptisch. In einer am 11. November in Berlin veröffentlichten Umfrage schätzten knapp 73 Prozent der Dienste ihre wirtschaftliche Situation als „angespannt“ ein. Mehr als die Hälfte (54 Prozent) haben bereits im vorigen Jahr mit einem Defizit abgeschlossen. Etwa ein Drittel der Träger hat nur eine Rücklage für drei Monate, um Einnahmeausfälle zu überbrücken. Acht Prozent gehen davon aus, in den nächsten beiden Jahren aufgeben zu müssen. Die Deutsche Stiftung Patientenschutz verwies auf gravierende Folgen für die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen.
Die finanzielle Bedrängnis wird nach Angaben der ambulanten Dienste vorrangig durch Zahlungsverzug der Kranken- und Pflegekassen verursacht sowie eine schleppende Refinanzierung der Tariferhöhungen für Altenpflegekräfte. Zufrieden mit ihren Einnahmen sind 17 Prozent der Dienste, als „gut und besser“ schätzen fünf Prozent ihre wirtschaftliche Lage ein.
Diakonie-Sozialvorständin Maria Loheide kritisierte, nicht nur die Kranken- und Pflegekassen, auch Kommunen und Sozialhilfeträger ließen sich beim Bezahlen der Dienste viel Zeit. Hinzu kämen die steigenden Preise für Materialien und die Autos der Dienste. Aber nur wenn die Pflegedienste ausreichend finanziert würden, könnten sie genug Fachkräfte gewinnen, sagte Loheide: „Wenn die wirtschaftliche Sicherung misslingt, bekommt Deutschland ein massives Problem bei der Versorgung der pflegebedürftigen Menschen.“ Der Fachkräftemangel wird inzwischen als das größte Problem in der Pflege angesehen.
Fatal sei, dass pflegebedürftige Menschen die Leistungen der ambulanten Pflegedienste reduzierten oder abbestellten, weil die Leistungen der Pflegeversicherung nicht ausreichten, um die Pflege weiter im bisherigen Umfang zu finanzieren, hieß es.
Die Diakonie forderte Sofort-Maßnahmen zur Stabilisierung der wirtschaftlichen Situation der ambulanten Pflegedienste: „Die Pflegedienste können nicht dauerhaft in Vorleistung gehen. Wir brauchen eine bessere Zahlungsmoral. Tarifsteigerungen müssen in den Vergütungen umgehend berücksichtigt werden, Vergütungsverhandlungen dürfen nicht verschleppt werden“, so Diakonie-Sozialvorständin Loheide. Die Bundespolitik müsse umgehend die Situation der Pflegedienste in einem flächendeckenden Monitoring erfassen, die bürokratischen Anforderungen an die Dienste verringern - und nicht zuletzt die Sachleistungen der Pflegeversicherung an den heutigen Bedarf und die deutlich gestiegenen Kosten anpassen.
In der Altenpflege versorgen die Angehörigen vier Fünftel der rund fünf Millionen Pflegebedürftigen in Deutschland, davon 70 Prozent mithilfe von Pflegediensten und der häuslichen Krankenpflege. Die Online-Umfrage in der Diakonie erfolgte im Juni und Juli 2023. Von 1.460 Trägern mit einem oder mehreren Pflegediensten beteiligten sich 526, das sind 45 Prozent. Die Diakoniestationen beantworteten sieben Standardfragen sowie eine offene Frage zu ihrer wirtschaftlichen Situation.
Nach Angaben der Deutschen Stiftung Patientenschutz schlägt die prekäre Situation der Dienste voll auf Pflegebedürftige und ihre Angehörigen durch. Da gesetzliche Kündigungsregeln fehlten, komme es immer häufiger vor, dass Dienste binnen eines Tages fern blieben, erklärte Vorstand Eugen Brysch. Auch werde es für Pflegebedürftige immer schwerer, professionelle Hilfe in den eigenen vier Wänden überhaupt zu bekommen.
Brysch forderte einen Rechtsanspruch der Betroffenen gegenüber den Pflegekassen auf Grund- und Behandlungspflege. Ebenso müsse der Kündigungsschutz für die hilfsbedürftigen Menschen gesetzlich geregelt werden, die ambulante Altenpflege benötigen.
Neuendettelsau (epd). Die Insolvenz des Diakonischen Werks Passau wird nach Einschätzung der Diakoneo-Vorstandsvorsitzende Mathias Hartmann nicht die einzige im sozialen Bereich bleiben. „Ich glaube, es wird in den kommenden Monaten weitere Träger im sozialen Bereich treffen - vor allem kleinere lokale bis regionale Anbieter“, sagte Hartmann dem Evangelischen Pressedienst (epd). Die Diakonie Passau hatte am 8. November wegen ungenügender Refinanzierung ihrer Dienste eine Insolvenz in Eigenverwaltung eingeleitet.
„Die Defizite in vielen Bereichen galoppieren derzeit geradewegs davon“, sagte Hartmann. Die Kostenträger und der Staat reagierten auf steigende Energie-, Personal- und Sachkosten bei der Refinanzierung oftmals viel zu langsam - oder ungenügend. „Im Bereich der Beratungsstellen etwa decken die staatlichen Zuschüsse nie die vollen Kosten ab, weil man den Trägern ein 'Eigeninteresse' beim Betrieb der Beratungsstellen unterstellt und sie somit zur Mitfinanzierung verpflichtet“, sagte Hartmann: „Die Kirchen sind hier lange eingesprungen.“
Nicht nur bei Diakoneo ist aber das größte Sorgenkind nach wie vor der Krankenhausbereich. „Dieser Bereich rauscht bundesweit nach unten ab“, sagte Hartmann. Wenn die Lohn- und Sachkosten um zehn bis zwölf Prozent pro Jahr steigen, die Refinanzierung aber nur um vier Prozent, „kann sich jeder ausrechnen, dass das für die Träger der Kliniken nicht lange gut geht“. Diakoneo habe als großes Sozialunternehmen mit unterschiedlichen Angeboten mehr Möglichkeiten, schwierige Phasen zu überbrücken. Kliniken bräuchten aber dringend Hilfe, denn selbst in größeren Verbünden werde es immer schwerer, die Defizite in Grenzen zu halten: „Von Kostendeckung kann längst keine Rede mehr sein.“
Hartmann forderte von der neuen bayerischen Gesundheitsministerin Judith Gerlach (CSU) ein Landes-Not-Programm zur Rettung der Kliniken. Baden-Württembergs Gesundheitsminister Manne Lucha (Grüne) habe für sein Land den dringenden Handlungsbedarf erkannt, „damit bedarfsnotwendige Krankenhäuser bis zur Umsetzung der Krankenhausreform durchhalten können“, sagte Hartmann. Eine solche Hilfe müsse auch Bayern in die Wege leiten, sonst drohe ein Massen-Kliniksterben: „Die Patienten müssen aber doch versorgt werden.“
Diakoneo ist mit rund 11.000 Mitarbeitenden und einem Jahresumsatz von rund 800 Millionen Euro einer der größten diakonischen Träger in Deutschland und der größte Süddeutschlands. Heute gehören Seniorenheime, Behinderteneinrichtungen, Schulen und Kliniken zum Sozialunternehmen, das aus dem Zusammenschluss der Diakonie Neuendettelsau und dem Diak Schwäbisch Hall entstanden ist. Geleitet wird die Diakoneo seit 2015 von Mathias Hartmann.
Stuttgart/Freiburg (epd). Es ist längst kein Geheimnis mehr: „Wohnungslosigkeit ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen“, sagte Simone Hahn vom Diakonischen Werk in Freiburg gegenüber dem Evangelischen Pressedienst (epd). Wohnungslos sind laut der Beraterin mittlerweile oft auch Menschen, die einmal gut verdient hätten.
Betroffen seien zunehmend auch Familien, weiß Miriam Schiefelbein-Beck von der Wohnungsnotfallhilfe der Caritas in Stuttgart. „Trotz vieler Angebote sind die Zahlen hoch“, sagte sie. 12.413 Menschen wurden bei der Stichtagserhebung 2022 der Liga der freien Wohlfahrtspflege (Stuttgart) in Einrichtungen der Wohnungslosen- und Straffälligenhilfe unterstützt.
„Wohnungslosigkeit ist ein riesiges Problem in Baden-Württemberg“, betonte Simon Näckel, Sprecher des Liga-Unterausschusses Wohnungslosen- und Straffälligenhilfe. Er spricht von den „höchsten Bedarfszahlen seit Beginn der Erhebung“. Jährlich im Herbst erhebt die Liga Daten zur Zahl der Wohnungslosen im Land. Rund ein Drittel von ihnen seien Kinder und Jugendliche, sagte Näckel. Erschreckend hoch sei mit einem weiteren Drittel die Zahl derer, die seit über zwei Jahren in Unterbringung lebe. „Die Wohnungslosigkeit hat sich bei diesen Menschen verfestigt“, stellte er fest.
Die Zahl der wohnungslosen Menschen ist 2022 bundesweit deutlich gestiegen. Nach den jüngsten Hochrechnungen der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAG W) lag sie im vorigen Jahr bei 607.000 gegenüber 383.000 im Jahr 2021. Rund 50.000 Menschen lebten danach ganz ohne Unterkunft als Obdachlose auf der Straße.
Weniger dürften es auch in naher Zukunft kaum werden, vermuten die Berater. Günstige und vor allem kleine Wohnungen sind Mangelware. Für etwas Erleichterung sorgt seit knapp zwei Jahren das Projekt „Housing first“. Bei dem Modell, das in den USA entwickelt wurde und das 2018 in Deutschland in Berlin als Modellprojekt startete, arbeiten Wohnungsnotfallhilfen mit Vermietern zusammen. Die Einrichtungen mieten langfristig Wohnungen an und stellen sie Wohnungssuchenden zur Verfügung.
„Das Projekt läuft bei uns in Stuttgart mit Wohnungsbaugesellschaften gut, mit privaten Vermietern nicht“, sagte Schiefelbein-Beck. Der Bedarf nach Unterstützung bei der Anmietung einer Wohnung ist hoch. „Housing first“ in Stuttgart hat schon einen Aufnahmestopp für seine Warteliste verhängt. „Es gibt in Deutschland zu wenig Sozialwohnungen und Bauen ist zu teuer“, bestätigte Hahn für Freiburg.
Den Weg in ein normales Mietverhältnis schaffen viele Wohnungslose nicht ohne professionelle Hilfe. „Die Komplexität der Fälle nimmt zu“, sagte Näckel. Neben Arbeitslosigkeit oder Schulden belasten Wohnungslose oftmals auch gesundheitliche oder psychische Probleme, Sucht oder die familiäre Situation. „Auslöser für Wohnungslosigkeit ist zu 95 Prozent ein Bruch in der Biografie“, weiß Schiefelbein-Beck. Das könne der Tod des Partners sein, die Trennung in der Partnerschaft oder der Verlust des Arbeitsplatzes, führt die Beraterin aus.
„Auch Menschen in höherem Alter leben manchmal noch bei ihren Eltern. Allein können sie sich nach deren Tod die Wohnung nicht mehr leisten“, ergänzt sie. Die Problemlagen sehe man den Leuten an. Nicht selten gerieten sie in einen „Teufelskreis“, so die Beraterin, „weil Wohnungslosigkeit psychische Probleme verstärkt.“ Viele Betroffene hätten kein soziales Netz, weiß sie. Corona habe die Einsamkeit verstärkt. Ängste und Resignation seien die Folge.
Angesichts so vieler Probleme sind selbst die Beraterinnen und Berater oft ratlos. „Die sozialpädagogische Beratung stößt an Grenzen, weil es keine Perspektive gibt“, sagte Hahn. Obdachlosenheime würden immer wichtiger. Gerade jetzt, wenn es kalt wird: „Mit dem Winter drücken die Leute rein“, so die Erwartung von Schiefelbein-Beck.
Die soziale Ungleichheit in Deutschland ist bereits inakzeptabel hoch. Diese angespannte Lage wird durch die geplanten Kürzungen weiter verschärft, was den wankenden sozialen Frieden in unserem Land in Gefahr bringt. Hinter diesen Maßnahmen stehen echte Menschen mit realen Sorgen und Ängsten. Es darf nicht sein, dass die, die sowieso schon benachteiligt sind, in unserer Gesellschaft noch mehr im Stich gelassen werden. Diese Kürzungen bedrohen Existenzen und rauben Vielen die Perspektive auf ein menschenwürdiges Leben.
Während Finanzmarkt, hohe Vermögen und Militärausgaben in den letzten Jahren stets geschützt, stabilisiert und unterstützt wurden, soll es nun weitere Kürzungen in der sozialen Infrastruktur geben, die seit der Agenda 2010 bereits als kaputtgespart gilt.
Lobbyisten der Fiskalpolitik schreiben an den sie betreffenden Gesetzen stets mit. Aber die Positionen und Bedarfe der Zielgruppe dieser Kürzungen, also Armutsbetroffene sowie Sozial- und Wohlfahrtsverbände, wurden bei diesen Haushaltsberatungen ignoriert. Die offensichtlich verheerenden Folgen dieser drastischen Kürzungen werden offenen Auges in Kauf genommen. Armut wird nicht mehr verhindert, wie es im letzten Jahrhundert angestrebt wurde, sondern nur verwaltet und sogar verstärkt.
In Krisen wird die Rettung von Industrie und Finanzsektor auf die Gesamtgesellschaft verteilt - die Gewinne aber nicht an sie zurückgegeben. Die Vermögen der 500 reichsten Deutschen sind so auch in diesem Jahr exorbitant gestiegen. Gleichzeitig werden ganze Bevölkerungsgruppen in ihren ökonomisch schlecht gestellten Lebensrealitäten nicht mehr wahrgenommen, Instrumente unseres Sozialstaats werden geschwächt. Unsere Demokratie verliert so weiter an Glaubwürdigkeit. Menschen müssen sich als Akteure in einer funktionalen Demokratie erleben können, das ist aktuell nicht mehr der Fall, wenn der soziale Vertrag von den Regierenden einseitig aufgekündigt wird.
Die Nationale Armutskonferenz appelliert eindringlich an die Politik, von diesen Kürzungen Abstand zu nehmen und stattdessen die soziale Absicherung zu stärken. Konkrete Schritte sind erforderlich, um Armut in Deutschland zu bekämpfen und Investitionen in die soziale Absicherung zu stärken:
1. Problematik ernst nehmen - Verständnis für die diversen Lebenssituationen von finanziell schlecht gestellten Menschen: Ihre Perspektive muss in Haushaltsberatungen und Gesetzgebung einfließen. Sozialleistungen und freie Wohlfahrtspflege müssen als Basis der sozialen Infrastruktur und als Stabilisator in Krisenzeiten gesehen werden.
2. Betroffene einbeziehen - Sensibilisierung der sozialpsychologischen Perspektive in der Legislative: Wenn staatliche Institutionen das Leben von Menschen fremdbestimmen und wie Objekte behandeln, erleben diese sich als Spielball für Willkür. Die Zieladressat:innen von Gesetzesentwürfen, auch im sozialen Bereich, müssen immer in die Beratungen eingebunden werden.
3. Statt Kürzungen: Soziale Hilfsprogramme ausbauen: Beratungsangebote sowie Investitionen in Hilfsprogramme, Bildung und Gesundheitsversorgung sind essenziell. Dazu müssen die Angebote sicher finanziert und ausgebaut werden.
4. Sozialleistungen sowie den Mindestlohn erhöhen: Es darf nicht sein, dass Leistungsbeziehende unter das Existenzminimum rutschen. Angesichts der hohen Inflation und steigenden Lebenshaltungskosten ist eine Erhöhung der Sozialleistungen und des Mindestlohns unerlässlich, um Bürgerinnen und Bürger vor Armut zu schützen.
5. Soziale Wohnungsbaupolitik: Wohnen ist ein Menschenrecht, doch die Mieten sind inzwischen so drastisch gestiegen, dass Wohnraum für viele Menschen unerschwinglich ist. Es ist dringend notwendig, sozial geförderten und günstigen Wohnraum zu schaffen beziehungsweise die Mietpreise so zu deckeln, dass Wohnmöglichkeiten für alle garantiert sind.
6. Weiterbildungs- und Arbeitsmöglichkeiten schaffen: Dem Fachkräftemangel kann entgegengewirkt werden, indem die Weiterbildungsmöglichkeiten und Arbeitserlaubnis für geflüchtete und zugezogene Menschen erleichtert werden. Den betroffenen Menschen ermöglicht es einen Weg aus der Armut heraus. Gleichzeitig kann damit das Sozialsystem stabilisiert werden.
7. Schuldenbremse überwinden, Umverteilung ermöglichen: Der 2011 in das Grundgesetz eingeschriebene Artikel 115 zur Schuldenbremse darf nicht bedingungslos zur Maxime - eine Spielart der Schwarzen Null nicht über das Wohl der Menschen gestellt werden. Investitionen in das Sozialwesen, in Klimaschutz und zur Stärkung der Demokratie sind unverhandelbar. Zur finanziellen Sicherung des Sozialsystems ist es unerlässlich, angemessene Steuern auf sehr hohe Vermögen und Gewinne zu erheben. Solche Veränderungen der politischen Leitkoordinaten können über das Recht gestaltet werden (Transformationsrecht).
Die Nationale Armutskonferenz appelliert an die Bundesregierung, unverzüglich oben genannte Maßnahmen zu ergreifen, um den sozialen Zusammenhalt wiederherzustellen und die Existenzen von Millionen von Menschen zu schützen. Armut darf in einem wohlhabenden Land wie Deutschland nicht länger geduldet oder gar verschärft werden.
Hamburg (epd). Das Modellprojekt „Housing First Hamburg“ für wohnungslose Menschen funktioniert. Diese positive Zwischenbilanz zog der Trägerverbund aus Diakonie Hamburg, Benno und Inge Behrens-Stiftung und evangelischem Kirchenkreis Hamburg-Ost am 16. November und damit ein gutes Jahr nach Projektstart. 19 Menschen seien bereits in eine eigene Wohnung gezogen, erklärte Projektleiterin Nina Behlau. Im Dezember werde eine weitere Wohnung bezogen.
Auch die Zusammenarbeit mit der Stadt Hamburg, die das Modellprojekt finanziert, dem Hilfesystem und anderen Beteiligten laufe gut. „Es ist beeindruckend, was alles möglich ist, wenn viele an einem Strang ziehen“, sagte Behlau.
Sie sei überrascht, wie schnell sich bei den Nutzerinnen und Nutzern Veränderungen einstellen. Positiv sei zudem, dass die Menschen auch die begleitenden und freiwilligen Unterstützungsangebote schnell und selbstständig einfordern. „Sei es bei Gesundheitsfragen, Begleitung zum Jobcenter oder dem Einrichten der Wohnung.“
Wenn eine neue Wohnung zur Verfügung steht, werde das niedrigschwellige Hilfesystem (Tagesaufenthaltsstätten oder Straßensozialarbeitende) informiert. „Dann gibt es ein telefonisches Vorgespräch mit den Menschen, bei dem die Zugangsvoraussetzungen geklärt werden und dann wird ein persönliches Treffen vereinbart.“
Zugangsvoraussetzungen für „Housing First Hamburg“ seien beispielsweise Langzeitobdachlosigkeit und es werde sichergestellt, dass keine Eigen- oder Fremdgefährdung besteht, erklärte die Projektleiterin. Bewusst gebe es für die Vergabe der Wohnungen keine Warteliste, erklärte Behlau.
Ein wesentlicher Bestandteil für das Gelingen von „Housing First“ sei die Kooperation mit der Wohnungswirtschaft. Das Hamburger Wohnungsunternehmen Theo Urbach habe bereits kurz nach Projektstart die erste Wohnung bereitgestellt, die im Dezember 2022 bezogen werden konnte. Das Projekt habe ihn sofort überzeugt, erklärt Geschäftsführer Matthias Urbach: „Zufällig haben wir schnell eine passende Wohnung frei gehabt.“
Mit einer Kooperationsvereinbarung beteiligt sich auch das Unternehmen Vonovia am Modellprojekt. Insgesamt seien verbindlich 20 Wohnungen in Hamburg zugesagt. Acht Wohnungen im Umland konnten schon bereitgestellt werden, sagte Regionalbereichsleiterin Anne Werner. Vonovia habe bereits gute Erfahrungen mit dem Ansatz „Housing First“ in Städten wie Bremen oder Stuttgart gemacht. „Wenn Housing First bei uns anfragt, können wir in der Regel nach nur wenigen Tagen eine geeignete Wohnung anbieten.“
Auch Uwe Lunk, Geschäftsführer der Behrens & Kaufmann KG, die zur beteiligten Benno und Inge Behrens-Stiftung gehört, sagte, dass sich die Mietverhältnisse innerhalb des Projekts nicht von anderen Mietverhältnissen unterscheiden. Die dezentrale Unterbringung habe große Vorteile, sodass es auch nicht mehr Auffälligkeiten gebe als anderswo. Lunk wies zudem auf die große Konkurrenz im Bereich der Singlewohnungen hin, die auch bei Auszubildenden oder Studierenden sehr gefragt seien.
Trotz der positiven Zwischenbilanz sei deutlich, dass „Housing First Hamburg“ nur ein Baustein in der Bekämpfung der Obdachlosigkeit in der Stadt ist, betonte Nina Behlau. „Doch die geplanten 30 Wohnungen lösen das Problem Obdachlosigkeit nicht nachhaltig.“ Dennoch freue sich die Projektleiterin, einen Beitrag leisten zu können, denn die Bedeutung dieser Wohnungen „für jeden einzelnen Menschen in unserem Projekt“ könne nicht hoch genug bewertet werden.
Das Modellprojekt „Housing First Hamburg“ ist zunächst auf drei Jahre angelegt. Damit sollen gezielt Menschen erreicht werden, die seit langer Zeit ohne Wohnung sind und denen aufgrund ihrer unterschiedlichen Probleme bislang kein Wohnraum vermittelt werden konnte. Dazu zählen unter anderem psychische Erkrankungen, eine angegriffene Gesundheit, hoher Alkoholkonsum oder Drogensucht. In ihrer neuen Wohnung sollen sie sich zunächst erholen und dann in die Lage versetzt werden, Unterstützungsleistungen anzunehmen. Begleitende Angebote sollen helfen, dass sie ihren Alltag mittelfristig selbst strukturieren und möglicherweise auch eine Arbeit aufnehmen.
Burg (epd). Mit einer Landesarmutskonferenz wollen mehrere Sozialverbände und Initiativen den Druck auf die Landespolitik erhöhen. Rund 130 Vertreterinnen und Vertreter aus knapp 30 Verbänden kamen am 15. November in Burg zusammen, um einen Sprecherrat zu wählen sowie eine Gründungserklärung und eine Geschäftsordnung zu beschließen. „Die Armutszahlen steigen, die soziale Ungleichheit wächst“, sagte die Vorsitzende des Präsidiums der Arbeiterwohlfahrt (Awo) Sachsen-Anhalt, Barbara Höckmann.
Rund 430.000 Menschen seien in Sachsen-Anhalt von Armut betroffen - das sei jeder Fünfte. Besonders gefährdet seien Kinder und Jugendliche. Jedes vierte Kind und jeder dritte junge Erwachsene sei von Armut betroffen, hieß es.
Inflation und Energiekrise hätten das Auseinanderdriften der Gesellschaft verstärkt, sagte Höckmann: „Wir wollen den gesellschaftlichen Skandal der Armut öffentlich machen.“ Dazu habe sich die Landesarmutskonferenz mehrere Ziele gesetzt, sagte die Awo-Präsidentin. Zum einen fordern die Mitglieder von der Landesregierung die Wiederauflage eines Armutsberichts. Der letzte sei 2013 erstellt worden.
Zum anderen würden 40 bis 60 Prozent der Betroffenen nicht die Sozialleistungen erhalten, die ihnen zustehen würden. Daher wolle man in einem Pilotprojekt eine unabhängige Sozialberatung aufbauen, die niederschwellig sei und möglichst viele Menschen erreiche.
Zu den Zielen gehöre auch, einen sogenannten Schattenbericht zu erstellen. Er soll Armut aus der Perspektive der Betroffenen aufgreifen. Angestrebt sei zudem eine wissenschaftliche Begleitung durch die Hochschule Magdeburg-Stendal.
Zu den rund 30 Gründungsmitgliedern gehören neben der Awo der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) in Sachsen-Anhalt, der Landesverband des Paritätischen sowie des Deutschen Roten Kreuzes (DRK). Auch die Tafel sowie der Kinderschutzbund Sachsen-Anhalt zählen zu den Initiatoren. Dem gewählten vierköpfigen Sprecherrat gehören neben Höckmann auch Martin Mandel vom DGB, Mamad Mohamad vom Landesnetzwerk der Migrantenorganisationen (Lamsa) sowie Susan Vogel von der Fachgruppe Soziale Arbeit der Hochschule Magdeburg-Stendal an.
Die kirchlichen Sozialverbände Diakonie und Caritas haben zwar Vertreter zu der Gründungsversammlung entsendet, gehören aber nicht zu den Gründungsmitgliedern. Hier seien noch Abstimmungsprozesse nötig, erklärte Steffi Schünemann, Vorständin Sozialpolitik bei der AWO. Man sei aber für weitere Mitglieder offen.
Potsdam (epd). Menschen mit schwersten Behinderungen benötigen einer Expertenkommission zufolge deutlich bessere Unterstützung. Das Bundesteilhabegesetz werde bislang nur unzureichend umgesetzt, heißt in einem Bericht der Kommission, der am 10. November im Potsdamer Oberlinhaus der Diakonie vorgestellt wurde. Erforderlich seien unter anderem eine stärkere Berücksichtigung der Bedürfnisse Betroffener, ein Bürokratieabbau und eine größere Attraktivität der Arbeit in der Pflege.
Die Expertenkommission war nach dem Gewaltverbrechen vom 28. April 2021 im Oberlinhaus mit vier getöteten Menschen mit schweren Mehrfachbehinderungen eingesetzt worden. Eine Pflegekraft des evangelischen Sozialunternehmens wurde in dem Fall später wegen Mordes verurteilt und in eine psychiatrische Klinik eingewiesen. Das Oberlinhaus hat nach eigenen Angaben inzwischen sein Gewaltschutzkonzept weiterentwickelt.
Der theologische Oberlinhaus-Vorstand Matthias Fichtmüller sagte, der Assistenzbedarf von Menschen mit Behinderungen müsse stärker in den Blick genommen werden. Bei der Umsetzung ihrer Rechte gebe es weiter eine Lücke „zwischen dem Anspruch und der Wirklichkeit“. Die Direktorin des Diakonischen Werkes Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, Ursula Schoen, sagte, die Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes in den Ländern verlaufe „außerordentlich schleppend“ und sei von unzureichenden Ressourcen flankiert. Schoen gehört ebenfalls der sechs-köpfigen Kommission an.
Fichtmüller sagte, zentrale Forderung an die Politik in Brandenburg sei, Ausbildung und Beruf des Heilerziehungspflegers für Behinderte zu stärken und dafür auch das Schulgeld für freie Träger abzuschaffen. Die Geschäftsführerin der Oberlin-Lebenswelten, Tina Mäueler, sagte, in Brandenburg würden im Jahr 2030 voraussichtlich rund 4.800 Heilerziehungspfleger benötigt. Es werde davon ausgegangen, dass dann rund 2.000 dieser Stellen nicht besetzt werden können, sagte sie: „Wir gehen auf dramatische Zahlen zu.“ Fichtmüller betonte, wesentlich sei auch, bezahlbaren Wohnraum für Behinderte und ihre Fachkräfte zu schaffen.
Der aktuelle Bericht mit dem Titel „Anforderungen an eine bedarfsgerechte Eingliederungshilfe für Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf“ ist nach Angaben der Kommission ein erster Zwischenbericht. Er diene als „Grundlage und Orientierung für einen partizipativen Diskursprozess“, hieß es. Der Abschlussbericht soll voraussichtlich im kommenden Sommer veröffentlicht werden.
Dafür solle nun auch die Sicht Betroffener, Angehöriger und Beschäftigter ermittelt und mit einbezogen werden, hieß es. Der Jurist Christian Bernzen sagte, jede Gruppe werde dann für sich und die eigenen Interessen und Bedürfnisse sprechen. „Alle können kommunizieren“, betonte er mit Blick auf mögliche Verständigungsschwierigkeiten bei schweren Mehrfachbehinderungen. Die Frage sei vielmehr, ob Experten und Gesellschaft gut genug zuhören können. Ziel seien Strukturen, die mehr Vielfalt zulassen. Bernzen ist Professor an der Katholischen Hochschule für Sozialwesen in Berlin und Mitglied der Kommission.
Stuttgart (epd). Für die Prüfung eines Erwerbsminderungsrentenanspruchs müssen sich nicht bettlägerige, schwerbehinderte Menschen schon selbst zur Begutachtung aufmachen. Verlangen sie die Prüfung ihrer Erwerbsfähigkeit in den eigenen vier Wänden und lehnen eine Fahrt zum Gutachter ab, kann ihnen der Rentenanspruch wegen der Verletzung ihrer Mitwirkungspflicht versagt werden, stellte das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg in Stuttgart in einem am 9. November veröffentlichten Urteil klar.
Damit wurde einer heute 55-jährigen schwerbehinderten Frau aus dem Raum Heilbronn mit dem Merkzeichen „G“ (erhebliche Gehbehinderung) zu Recht die Erwerbsminderungsrente wegen mangelnder Mitwirkung verweigert. Sie leidet unter anderem an einem chronischen Schmerzsyndrom, Schwindel und einer Gangstörung. Im Februar 2022 beantragte sie eine Erwerbsminderungsrente und legte dazu ärztliche Befundberichte vor.
Der Rentenversicherungsträger lud sie nach Vorlage der Unterlagen an den sozialmedizinischen Dienst zur ärztlichen Begutachtung in die Untersuchungsstelle ein. Zugleich wies er auf ihre Pflicht hin, bei der Prüfung ihrer Erwerbsfähigkeit mitzuwirken.
Wegen Fieber und Husten bat sie darum, die Untersuchung bei ihr zu Hause stattfinden zu lassen. Falls das nicht möglich sei, solle ihr ein neuer Begutachtungstermin genannt werden. Als der Rentenversicherungsträger sie daraufhin zu einem späteren Begutachtungstermin einlud, lehnte die Frau wieder ab. Sie sei seit Wochen bettlägerig, benötige 24 Sunden am Tag Hilfe und leide an einer Vielzahl an chronischen Gesundheitsstörungen. Der Gutachter müsse zu ihr nach Hause kommen, so die Frau.
Doch die Bettlägerigkeit ergebe sich nicht aus den ärztlichen Attesten und Befundberichten, rügte die Rentenversicherung. Auch andere gesundheitliche Gründe sprächen nicht gegen eine Begutachtung in der Untersuchungsstelle. Weil sie der Aufforderung zur Begutachtung nicht nachkam, wurde ihr Antrag auf eine Erwerbsminderungsrente wegen des Verstoßes gegen ihre Mitwirkungspflicht abgelehnt.
Das ist nicht zu beanstanden, urteilte nun das LSG. Allein mit der Vorlage der Akten habe die Erwerbsfähigkeit nicht geprüft werden können. Zwar habe die Klägerin darauf hingewiesen, dass bei der Bestimmung ihres Pflegegrades bereits ein Gutachten erstellt und der Gutachter sie hierzu zu Hause aufgesucht habe. Für die Frage der Erwerbsminderung spiele das aber keine Rolle, so das Gericht. Denn bei der Feststellung des Pflegegrades komme es darauf an, wie sich die Klägerin zu Hause zurechtfindet. Bei der Feststellung der Erwerbsunfähigkeit komme es darauf nicht an.
Auch habe die Klägerin nicht mit ärztlichen Attesten belegt, dass sie bettlägerig sei oder aus anderen gesundheitlichen Gründen nicht zur Untersuchungsstelle gelangen könne. So sei sie noch einen Tag vor dem Begutachtungstermin selbst zu ihrem Arzt gegangen. Das Nichterscheinen zur Begutachtung sei daher als Verstoß gegen die Mitwirkungspflicht zu werten.
Das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel urteilte am 27. Oktober 2022, dass sich behinderte Menschen einem gerichtlich angeordneten medizinischen Gutachten auch verweigern können, wenn der Gutachter die Mitnahme einer Vertrauensperson ablehnt. Eine Verletzung der Mitwirkungspflicht liege dann regelmäßig nicht vor, so die Kasseler Richter im Streit um die Bestimmung eines Grades der Behinderung.
Denn die Mitnahme einer Vertrauensperson gebiete das Recht auf ein faires Verfahren und das allgemeine Persönlichkeitsrecht der zu begutachtenden Person. Nur ausnahmsweise könne die Vertrauensperson von der Begutachtung gerichtlich ausgeschlossen werden, etwa wenn sie „eine geordnete, effektive oder unverfälschte Beweiserhebung erschwert oder verhindert“.
Will ein Jobcenter die Erwerbsfähigkeit eines Langzeitarbeitslosen prüfen lassen, dürfe es die Mitwirkungspflicht der Betroffenen auch nicht überspannen, urteilte das BSG am 26. November 2020. So könne der Arbeitslose die Weitergabe eines vier Jahre alten Gutachtens an die Deutsche Rentenversicherung verweigern, ohne dabei wegen der Verletzung ihrer Mitwirkungspflicht den Anspruch auf Arbeitslosengeld II, dem heutigen Bürgergeld, zu verlieren. Ein vier Jahre altes ärztliches Gutachten sei einfach zu alt, zumal der Betroffene sowieso meist vom Gutachter persönlich untersucht werden müsse.
Ein Verstoß gegen die Mitwirkungspflichten liegt allerdings dann vor, wenn ein Krankenversicherter eine bewilligte Reha-Maßnahme ohne Begründung nicht antritt. In diesem Fall dürfe die Krankenkasse dem Versicherten das Krankengeld streichen, urteilte am 21. Juni 2016 das LSG Stuttgart.
Az.: L 8 R 1138/23 (Landessozialgericht Stuttgart, Erwerbsminderungsrente)
Az.: B 9 SB 1/20 R (Bundessozialgericht, Vertrauensperson)
Az.: B 14 AS 13/19 R (Bundessozialgericht, altes Gutachten)
Az.: L 11 KR 455/16 (Landessozialgericht Stuttgart, Krankengeld)
Leipzig (epd). Die Anerkennung eines Flüchtlings kann für Angehörige den Status des „Familienasyls“ bringen. Stirbt jedoch der anerkannte Flüchtling, erlischt damit auch der Anspruch auf Familienasyl für den Angehörigen, entschied das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig in einem am 9. November bekanntgegebenen Urteil. Können Familienangehörige nicht aus anderen Gründen Schutz erlangen, kann ihnen im Einzelfall sogar eine Abschiebung drohen.
Geklagte hatte eine mittlerweile 73-jährige Frau aus Eritrea, die wegen der Flüchtlingsanerkennung ihres Ehemannes Familienasyl vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zugesprochen bekam. Doch als der Mann verstarb, widerrief das BAMF die der Klägerin zuerkannte Flüchtlingseigenschaft und deren Anerkennung als Asylberechtigte. Mit dem Tod des als Flüchtling anerkannten Ehemanns erlösche auch der daraus abgeleitete Familienflüchtlingsschutz für seine Ehefrau.
Weder stehe der Witwe laut der Behörde eine eigene Flüchtlingsanerkennung zu, noch bestehe ein Grund für einen eingeschränkten subsidiären Flüchtlingsschutz. Ein Abschiebungsverbot bestehe ebenfalls nicht, so die Behörde.
Die Anerkennung als Asylberechtigter und die Zuerkennung des internationalen Schutzes seien nach den gesetzlichen Bestimmungen zu widerrufen, „wenn der Schutzstatus des Stammberechtigten, von dem die Anerkennung des Familienasyls und die Zuerkennung des internationalen Familienschutzes abgeleitet worden sind, erlischt und der Familienangehörige nicht aus anderen Gründen Schutz erlangen könnte“, heißt es in dem Urteil.
Damit werde dem Grundgedanken des Asylrechts Rechnung getragen, „dass Schutz nur demjenigen gewährt wird, der der Schutzgewährung auch bedarf“. Andernfalls würde der Familienangehörige eine Rechtsposition „erben“, die ihm gar nicht zustehe.
Der Widerruf des asylrechtlichen Familienschutzes führe allerdings nicht automatisch zum Widerruf der dem Familienangehörigen erteilten Aufenthaltserlaubnis. So können etwa Menschen eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären oder beruflichen Gründen erhalten. Die Aufenthaltserlaubnis soll zudem erteilt werden, wenn die Abschiebung seit 18 Monaten ausgesetzt ist.
Az.: 1 C 35.22
Stuttgart (epd). Eine unbefristete Ausstellung eines Schwerbehindertenausweises wegen einer psychischen Erkrankung ist in der Regel nicht möglich. Grund ist, dass auf Dauer nicht gänzlich ausgeschlossen werden könne, dass wieder eine Besserung des Gesundheitszustandes eintritt und die Schwerbehinderung damit entfällt, entschied das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg in Stuttgart in einem am 9. November veröffentlichten Urteil.
Eine 59-jährige psychisch kranke Frau war vor Gericht gezogen, die unter anderem an Depressionen und einer Zwangsstörung erkrankt ist. Ihre Krankengeschichte reicht bis in ihre Kindheit zurück. Wegen ihrer psychischen Erkrankung hatte das zuständige Landratsamt bei ihr einen Grad der Behinderung (GdB) von 70 festgestellt und ihr einen Schwerbehindertenausweis ausgestellt. Dieser war bis zum 30. April 2021 befristet. Als die Frau einen Neufeststellungsantrag stellte, wurde ihr schließlich ein GdB von 80 bewilligt. Der Schwerbehindertenausweis war diesmal bis zum 31. Oktober 2025 befristet.
Mit ihrer Klage verlangte sie die Ausstellung eines unbefristeten Schwerbehindertenausweises. Nach Einschätzung sämtlicher behandelnder Ärzte sei eine Gesundheitsbesserung nicht zu erwarten, führte sie zur Begründung an,
Doch das LSG wies die Klage ab. Ein Schwerbehindertenausweis sie in der Regel auf höchstens fünf Jahre zu befristen. Nur in atypischen Fällen sei die Ausstellung eines unbefristeten Ausweises möglich, wenn „eine wesentliche Änderung der gesundheitlichen Verhältnisse ausgeschlossen werden“ könne. Bei psychischen Erkrankungen wie die Zwangsstörung bei der Klägerin sei aber auf Dauer nicht ausgeschlossen, dass sich ihr Gesundheitszustand nach Psychotherapie oder einer medikamentösen Behandlung wieder bessere.
Doch selbst wenn ein Schwerbehindertenausweis unbefristet ausgestellt würde, stelle das noch kein „schützenswertes Vertrauen auf den Fortbestand der zugrundeliegenden Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft“ dar, betonte das LSG. Denn die zuständige Behörde dürfe auch bei der unbefristeten Ausstellung des Schwerbehindertenausweises „jederzeit eine Überprüfung der gesundheitlichen Verhältnisse veranlassen“.
Az.: L 8 SB 1641/23
Potsdam (epd). Eine Pflegeperson steht auf dem Weg zum Holen eines Blutzuckermessgerätes bei einem Angriff von benachbarten Jugendlichen nicht automatisch unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Geht der Angriff allein auf einen privaten Streit zurück, muss der Unfallversicherungsträger nicht für die Folgen der erlittenen Körperverletzung einstehen, entschied das Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg in einem am 15. November bekanntgegebenen Urteil.
Konkret ging es um einen Kläger aus Berlin, der in einer gemeinsamen Wohnung seinen Lebensgefährten gepflegt hatte. Bei dem Pflegebedürftigen bestand ein Pflegegrad 3 und ein insulinpflichtiger Diabetes. Als der Kläger am 28. Mai 2018 nachts die Wohnung verließ, um aus seinem Auto ein Blutzuckermessgerät zu holen, geriet er mit zwei Jugendlichen im Hausflur wegen der Verschmutzung des Fahrstuhls mit weißer Farbe in einen Streit.
Die Jugendlichen attackierten schließlich den damals 28-Jährigen. Er erlitt einen Bruch des Jochbeins und des Oberkiefers sowie ein Schädelhirntrauma. Das Amtsgericht Tiergarten sprach die Jugendlichen wegen gefährlicher Körperverletzung beziehungsweise Körperverletzung schuldig.
Von der Unfallkasse Berlin wollte der Kläger den Angriff als Arbeitsunfall anerkannt haben. Er sei im Rahmen seiner Pflegetätigkeit Opfer eines Angriffs geworden.
Doch sowohl das Sozialgericht als auch das LSG lehnten die Anerkennung als Arbeitsunfall ab. Zwar stünden nicht erwerbstätige Pflegepersonen unter Versicherungsschutz, so das LSG. Auch habe sich der Kläger auf einen grundsätzlich versicherten Betriebsweg befunden. Der Angriff sei aber allein aus privaten Motiven erfolgt.
Az.: L 21 U 85/21
Stuttgart (epd). Beim Einsatz von Feuerwehr und Rettungswagen kommt es oft auf Minuten an. Die nach Landesgesetz geltenden Fristen, wann in der Regel die Notfallrettung beim Hilfebedürftigen eintreffen muss, darf daher nicht durch Verwaltungsvorschriften aufgeweicht werden, entschied das Verwaltungsgericht Stuttgart in einem am 7. November bekanntgegebenen Beschluss. Das Gericht verpflichtete das Land Baden-Württemberg, die Einhaltung der entsprechenden Fristen nach den Vorgaben des Verwaltungsgerichtshofs (VGH) in Mannheim zu überwachen.
Die sogenannten Hilfs- oder Eintrefffristen, also die Zeit, die Feuerwehr, Notarzt und Krankenwagen brauchen, bis sie den Unfallort erreichen sind von Land zu Land unterschiedlich geregelt. So gilt in Berlin etwa für die Feuerwehr eine Frist von 15 Minuten, in Hamburg sollen die Rettungskräfte in acht Minuten vor Ort sein.
Nach dem Rettungsdienstgesetz Baden-Württemberg soll die „Hilfsfrist“ bis zum Eintreffen eines Rettungswagens „möglichst nicht mehr als zehn, höchstens 15 Minuten betragen“. Nach diesen Maßgaben soll das Landesinnenministerium einen Rettungsdienstplan erstellen.
Das Land bestimmte in dem jüngsten Rettungsdienstplan vom August 2022, dass die Frist erreicht wird, wenn 95 Prozent der Rettungseinsätze zwölf Minuten brauchen, bis Hilfe eintrifft. Mit berücksichtigt wird dabei auch das Eintreffen eines Hubschraubers oder des Notarztes. Dia hatte der VGH mit Urteil vom 5. Mai 2023 als unzureichend verworfen, denn das gesetzliche Ziel einer Frist von zehn Minuten für den „bodengebundenen Rettungsdienst“ bleibe hier unberücksichtigt. (Az.: 6 S 2249/22)
Das baden-württembergische Innenministerium meinte daraufhin, dass sich das Urteil nur auf bestimmte Rettungseinsätze beziehe. Die Vorgaben des Rettungsdienstplanes behielt es daher weiter bei. Insgesamt zwölf Personen zogen daraufhin erneut vor Gericht, darunter mehrere Notärzte und Kommunalpolitiker.
Deren Eilantrag hatte vor dem Verwaltungsgericht nun Erfolg. Das Innenministerium müsse die Vorgaben des VGH beachten. Es dürfe die gesetzlichen Hilfsfristen nicht mit Verwaltungsvorschriften aufweichen, befand das Gericht.
Grundlage der Berechnung müssten danach „alle Einsätze der Notfallrettung“ sein. Eine Beschränkung auf bestimmte Fahrzeuge oder auf Fälle, bei denen bestimmte Sonder- und Wegerechte in Anspruch genommen werden, sei unzulässig. Entsprechende Anweisungen des Innenministeriums an die zuständigen Stellen der Regierungspräsidien seien mit dem VGH-Urteil nicht vereinbar.
Az.: 16 K 5276/23
Berlin (epd). Auf der 25. Landeskonferenz der AWO wurde Ülker Radziwill zur neuen Vorsitzenden des Landesverbandes Berlin gewählt. In den kommenden vier Jahren wird sie ihre langjährigen Erfahrungen in den Bereichen Sozialpolitik, Ehrenamt und Integration in den Verband einbringen. Sie folgt auf Ina Czyborra, der mit großem Applaus für ihr Engagement in den vergangenen vier Jahren gedankt wurde.
Die in der Türkei geborene Radziwill ist seit 2023 Mitglied des Abgeordnetenhauses von Berlin, dem sie bereits von 2001 bis 2021 angehörte. Sie ist Vorsitzende des Forums Demokratische Linke 21 in der SPD. Die Touristikfachwirtin war von Dezember 2021 bis März 2023 Staatssekretärin für Mieterschutz und Quartiersentwicklung.
Radziwill sagte nach der Wahl: „Ich möchte mich insbesondere für den gesellschaftlichen Zusammenhalt einsetzen. Ich bin der Überzeugung, dass wir nur gemeinsam die Probleme der Menschen in unserer Stadt lösen können.“ Besonders die Belange der Familien und der Schwächsten in unserer Gesellschaft seien ihr ein Anliegen.
In den AWO Landesvorstand wurden außerdem gewählt: Arvid Krüger, Christian Meyerdierks, Thomas Scheunemann, Manfred Nowak und Andrea Niemann. Als Vertreterin für die korporativen Mitglieder wurde Nora Kizilhan in den Landesvorstand gewählt.
Bei der AWO in Berlin und ihren Mitgliedsorganisationen sind rund 8.500 Mitarbeitende beschäftigt. Sie zählt derzeit nach eigenen Angaben rund 5.000 Mitglieder.
Judith Gerlach (37), bisher Digitalministerin in Bayern (CSU), ist neue Landesministerin für Gesundheit, Pflege und Prävention. Die Juristin folgt auf ihren Parteifreund Klaus Holetschek, der seit einigen Wochen Chef der CSU-Landtagsfraktion ist. Gerlachs vorherigen Posten hat jetzt Fabian Mehring von den Freien Wählern übernommen. Die neue Ministerin stammt aus Würzburg und hat an der dortigen Julius-Maximilians-Universität Rechtswissenschaften studiert. Ihre zweite juristische Staatsprüfung hat sie 2013 abgelegt, die Zulassung als Rechtsanwältin erhielt sie im Juni 2013. Diese Zulassung ruht, seitdem Gerlach im November 2018 Staatsministerin für Digitales wurde. Gerlach gehört seit dem 7. Oktober 2013 gehört dem Bayerischen Landtag an.
Annetraut Grote, Juristin, wird neue Beauftragte für Menschen mit Behinderungen in Niedersachsen. Die rot-grüne Landesregierung stimmte am 13. November in Hannover der Personalie zu. Grote wird das Amt Anfang März 2024 antreten. Die aus der Nähe von Lüneburg stammende Juristin ist seit 1998 in verschiedenen Positionen im Paul-Ehrlich-Institut mit Sitz in Langen bei Frankfurt/Main tätig, seit 2009 in Leitungsfunktionen. Dabei befasste sie sich den Angaben zufolge mit verwaltungsrechtlichen und personalrechtlichen Aufgaben und engagierte sich für Inklusionsthemen, vor allem bei wissenschaftlich begleiteten Projekten. Grote verfüge über ein bundesweites Netzwerk von Akteurinnen und Akteuren aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Selbsthilfeverbänden, hieß es.
Carola Riehm (50) wird zum 1. Juli 2024 Gesamtleiterin des Hospizes Stuttgart. Dann steht sie den stationären wie ambulanten Bereichen des Kinder- und Jugendhospizes sowie des Erwachsenenhospizes vor, teilte der Evangelische Kirchenkreis Stuttgart am 13. November mit. Das gilt auch für die Elisabeth-Kübler-Ross-Akademie und die „Landesstelle Baden-Württemberg - Begleitung von Familien mit einem schwer kranken Kind“ am Hospiz Stuttgart. Riehm stammt aus Besigheim (Kreis Ludwigsburg) und begann ihre berufliche Laufbahn als Krankenpflegefachkraft und spätere Stationsleitung. Es folgten ein Bachelorstudium für angewandte Pflegewissenschaften sowie die Übernahme der Pflegedienstleitung als Mitglied der Klinikleitung. Aktuell schließt Riehm ihren Masterstudiengang für Management und Führungskompetenz ab. Seit über 20 Jahren lehrt sie als Dozentin für Palliative Care in Fort- und Weiterbildungseinrichtungen.
Imke Sonnenberg (52) ist neue Geschäftsführerin und Vorstandsreferentin der Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege in Bremen und Bremerhaven (LAG FW). Die Sozialpädagogin folgt auf Iris von Engeln, die die Geschäftsführung des Bremer Kinderschutzbundes übernommen hat. Zuletzt war Sonnenberg Geschäftsführerin bei der be:at GmbH. Dabei handelt es sich um eine Gesellschaft, die Unternehmen sowie Betriebsräte und Gewerkschaften bei Transformationsprozessen begleitet und Mitarbeitende beim beruflichen Neustart unterstützt. Die LAG-Mitglieder beschäftigen mehr als 30.000 hauptamtliche Mitarbeitende.
Christine Geffers hat zum 1. November die Leitung des Instituts für Hygiene und Umweltmedizin der Charité - Universitätsmedizin Berlin übernommen. Die neue Direktorin hat zugleich einen Ruf auf Lebenszeit als Professorin für Hygiene und Umweltmedizin erhalten. Geffers war bisher stellvertretende Institutsdirektorin und hat die Hygiene-Surveillance und Infektionsprävention an der Charité maßgeblich geprägt. Sie widmet sich seit Beginn ihrer Forschungskarriere der Bekämpfung von Krankenhausinfektionen.
Claudia Holland-Jopp leitet ab Januar die Helios Kliniken in Bad Kissingen, Hammelburg und Meiningen. Sie werden zu einem Verbund zusammengeführt. Holland-Jopp ist seit vier Jahren Klinikgeschäftsführerin im südthüringischen Meiningen. Zum Jahreswechsel übernimmt sie zusätzlich die beiden südfränkischen Standorte. Die neue Chefin folgt auf Peter Hermeling, der das Unternehmen zum Jahresende auf eigenen Wunsch verlässt.
21.11. Essen:
Tagung „2. Katholischer Krankenhaustag“
der Diözesan-Caritasverbände Aachen, Essen, Köln, Münster und Paderborn
Tel.: 0201/81028-0
22.11.:
Online-Kurs „In der Krise den Überblick behalten - Krisenkommunikation (nicht nur) in caritativen Organisationen“
der Fortbildungsakademie des Deutschen Caritasverbandes
Tel.: 0761/200-1700
23.11.:
Online-Veranstaltung „Krisenkonzept für ambulante Dienste“
der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege
Email: tagung@bag-wohlfahrt.de
27.11. Nürnberg:
Fachtag „Demenz und Sterben“
der Rummelsberger Diakonie und mehrerer Partner
Tel.: 0911/891205-30
27.-29.11. Berlin:
Seminar „Gesunde Führung - Fehlzeiten reduzieren und Mitarbeitende motivieren“
Tel.: 030/26309-139
27.-29.11. Loccum:
Tagung „Zuwanderung von Fachkräften in den Gesundheits- und Pflegeberufen“
der Evangelischen Akademie Loccum
Tel.: 05766/81-103
28.11. Mainz:
Seminar „Der Jahresabschluss gemeinnütziger Einrichtungen“
der Solidaris Unternehmensberatung
Tel.: 06131/21136-12
30.11.-1.12:
online-Fortbildung „Hilfreich bleiben auch in Ausnahmesituationen - mit Krisen professionell umgehen“
der Bundesakademie für Kirche und Diakonie
Tel.: 0174/3473485
Dezember
1.12.:
Online-Kurs: „Digitale Öffentlichkeitsarbeit und Social-Media für soziale Einrichtungen“
der Paritätischen Akademie Süd
Tel.: 0711/286976-10
4.12.:
Fachtagung „Stand und Weiterentwicklung von Housing First in den Wohnungsnotfallhilfen“
Tel.: 030/62980-606
6.-7.12. Weimar:
Fortbildung „Pflegeausbildung stärken und weiterentwickeln!“
des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge
Tel.: 030/62980 419
7.2.:
Online Seminar „Gesetzliche Grundlagen zur neuen Personalbemessung in vollstationären Pflegeeinrichtungen“
der Paritätischen Akademie Süd
Tel.: 0711/286976-10
7.12. Köln:
Seminar „Controlling in der stationären Altenhilfe“
der Solidaris Unternehmensberatung
Tel.: 02203/8997-519
11.-12-12. Freiburg:
Seminar „Auf die Bindung kommt es an! Mitarbeitende in Caritasorganisationen halten und entwickeln“
der Fortbildungsakademie des Deutschen Caritasverbandes
Tel.: 0761/200-1700