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Schuldneratlas: Experten erwarten mehr private Überschuldung



Die statistische Überschuldungsquote bei Privatpersonen ist gesunken. Doch Fachleute erwarten angesichts von Inflation, gestiegenen Lebenshaltungs- und Energiekosten, dass die Zahl überschuldeter Verbraucher wieder steigen wird.

Neuss, Düsseldorf (epd). Die anhaltende Inflation und die hohen Zinsen werden nach Einschätzung von Experten in den kommenden Monaten zu deutlich mehr Fällen von überschuldeten Privatpersonen führen. Von 2022 auf 2023 habe sich die Überschuldungsquote zwar von 8,48 auf 8,15 Prozent der Gesamtbevölkerung verringert, teilte die Wirtschaftsauskunftei Creditreform in ihrem am 15. November in Neuss vorgestellten neuen Schuldneratlas 2023 mit. Die Zahl überschuldeter Privatpersonen über 18 Jahre, die ihre Verbindlichkeiten nicht mehr bedienen können, sank um 233.000 Fälle auf 5,65 Millionen.

„Die vermeintlich guten Werte trügen leider“, warnte jedoch der Leiter der Creditreform-Wirtschaftsabteilung, Patrik-Ludwig Hantzsch, und verwies auf eine „verdeckte Trendumkehr“. Denn die Zahlen enthielten statistische Effekte aus einer jüngst erfolgten Verkürzung der Speicherfrist für die sogenannten Restschuldbefreiung. Sie gibt Schuldnern die Möglichkeit, sich nach einigen Jahren von ihren Schulden befreien zu lassen, wenn sie diese nicht bezahlen können. Diese Speicherfrist liegt nun bei sechs Monaten statt bisher drei Jahren. Das habe zur Folge, dass 250.000 überschuldete Personen früher aus der Statistik verschwunden sind.

Bremerhaven hat die höchste Verschuldungsquote

Ohne Berücksichtigung dieses Effekts ist die Überschuldung laut Creditreform bereits in diesem Jahr erstmals seit 2019 wieder gestiegen - gegenüber 2022 um 17.000 Fälle. Das entspricht einer Überschuldungsquote von 8,51 Prozent. Die höchsten Überschuldungsquoten von Privatpersonen wiesen laut Schuldneratlas die Städte Bremerhaven (19,02 Prozent), Pirmasens (16,72 Prozent), Gelsenkirchen (16,62 Prozent), Neumünster (16,02 Prozent) und Duisburg (15,89 Prozent) auf.

Zudem gebe es auch erstmals seit 2020 wieder eine Zunahme der sogenannten „weichen“ Überschuldung, die in mehr als der Hälfte der 394 Kreise und kreisfreien Städte in Deutschland anstieg, hieß es. Hier sind bei den Schuldnern zwar schon mehrere Mahn- und Inkassoverfahren eingeleitet, aber der Gerichtsvollzieher ist im Gegensatz zur „harten“ Überschuldung noch nicht aktiv geworden. Von dieser Entwicklung betroffen seien vor allem einkommensschwache Haushalte, die unter den zuletzt deutlichen Preisanstiegen bei Energie und Lebenshaltungskosten zu leiden hätten.

Nachfrage nach Schuldnerberatung steigt deutlich

Die Verbraucherzentrale NRW bestätigte diese Einschätzung. Die Nachfrage in den Schuldner- und Insolvenzberatungsstellen steige derzeit „deutlich“ an, erklärte Überschuldungsexperte Christoph Zerhusen in Düsseldorf. Betroffene benötigten vor allem schnelle Hilfe in existenzbedrohenden Lagen wie etwa bei Kontopfändungen oder drohenden Energiesperren. „Auch wenn der Arbeitsmarkt recht stabil ist, geraten viele Menschen durch die hohe Inflation und steigende Wohnkosten in finanzielle Schwierigkeiten“, erklärte Zerhusen weiter. Vor allem bei Familien, Senioren, Alleinerziehenden und Geringverdienern könne die Lage dann schnell kritisch werden.

Creditreform sieht noch weitere Ursachen für Überschuldung. „Die Konsumlust der Bürger wächst wieder, obwohl fast alles deutlich teurer ist“, erklärte Hantzsch. Da zeige unter anderem eine steigende Nachfrage nach Ratenkrediten und „Buy now, pay later“-Angeboten. Das werde langfristig jedoch viele Konsumenten finanziell überfordern. Zudem sei die Überschuldung von Verbrauchern aber auch eng an die konjunkturelle Entwicklung geknüpft, derzeit verschärfe sich die Lage auf dem Arbeitsmarkt, und Deutschland rangiere beim Wachstum in Europa auf den letzten Plätzen.

Esther Soth