Berlin (epd). CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann fordert, das Bürgergeld wieder abzuschaffen. Er sagte der „Bild“-Zeitung vom 13. November, dieses Vorhaben solle im neuen Grundsatzprogramm der Union verankert werden. Der Generalsekretär leitet auch die Programmkommission seiner Partei. Und Linnemann ging noch weiter: „Jeder, der arbeiten kann und Sozialleistungen bezieht, muss nach spätestens sechs Monaten einen Job annehmen, ansonsten gemeinnützig arbeiten“, sagte der Politiker. SPD, Grüne und Sozialverbände wiesen die Forderung als Populismus zurück.
Linnemann sagte der „Süddeutschen Zeitung“, der Sozialstaat müsse für die wirklich Bedürftigen da sein, die nicht arbeiten könnten. Er warf der Ampel-Koalition vor, mit dem Bürgergeld als Nachfolger von Hartz IV das System der Anreize zur Arbeitsaufnahme weitgehend abgeschafft zu haben.
Das Bürgergeld wurde zum 1. Januar 2023 eingeführt. Bereits in diesem Jahr muss der Bund mehr Geld ausgeben als eigentlich geplant. Das Bundesarbeitsministerium bestätigte am 12. November Mehrausgaben von insgesamt 3,25 Milliarden Euro. Mieten, Heizkosten und sonstige Nebenkosten seien stärker gestiegen, als bei der Haushaltsplanung vor einem Jahr angenommen, sagte eine Sprecherin. Ab Januar sollen die Regelsätze für Bürgergeld und Sozialhilfe nochmals um gut zwölf Prozent steigen. Alleinstehende Erwachsene sollen 563 Euro im Monat erhalten - 61 Euro mehr als bisher.
Thorsten Frei, Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, sprach sich ebenfalls für eine Neuausrichtung des Bürgergelds aus. Man solle zielgenauer denen helfen, die tatsächlich auf Unterstützung angewiesen seien, sagte er dem Sender „phoenix“. Das Bürgergeld sei keine Form des bedingungslosen Einkommens. Wer von der Solidargemeinschaft unterstützt werde, müsse dafür sorgen, dass diese Situation wieder beendet werde, so Frei.
Statt immer mehr Geld auszugeben, sei eine aktive Arbeitsmarktpolitik nötig. Frei: „Es ist nicht akzeptabel, dass wir 1,9 Millionen offene Stellen haben und trotzdem arbeiten viele Menschen nicht, obwohl sie gesund und leistungsfähig sind. Das ist ein Missverhältnis, das ganz dringend aufgelöst werden muss.“
Der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), Michael Hüther, sagte der „Bild“-Zeitung zu Linnemanns Vorstoß: „Eine Jobpflicht für Bürgergeld-Bezieher ist in der Theorie richtig. Allerdings wird es bei der Umsetzung zahlreiche Probleme geben, unter anderem eine Verdrängung regulärer Jobs durch gemeinnützige Arbeit.“
Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) widersprach dem Hinweis auf die steigenden Kosten. Dass der Haushaltsposten für das Bürgergeld dieses Jahr höher ist als zuvor, liege nicht an faulen Bürgerinnen und Bürgern, sondern an der schlechten Wirtschaftslage, sagte Vorstandsmitglied Anja Piel. Und sie stellte klar: „Arbeit lohnt sich immer noch.“
Für die Linke sagte die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Susanne Ferschl, die Bürgergeld-Diskussion laufe aus dem Ruder. Die CDU kopiere Forderungen der AfD, und die FDP fordere Einsparungen. „Ich erwarte von Minister Heil, dass er diesem Tollhaus widerspricht.“ Ein menschenwürdiges Existenzminimum sei in unserem Sozialstaat unverhandelbar. Wichtig sei es, dass die Bundesregierung Maßnahmen gegen Niedriglöhne ergreife.
Die Grünen verteidigten die Bürgergeldreform als wichtigen Fortschritt. „Die Einführung war richtig und längst überfällig. Denn das Bürgergeld setzt auf Qualifizierung und Weiterbildung der Menschen“, sagten Beate Müller-Gemmeke, Mitglied im Ausschuss für Arbeit und Soziales, und Stephanie Aeffner, Mitglied im Ausschuss für Arbeit und Soziales. „Es hat sich nichts daran geändert, dass nur bedürftige Menschen Leistungen erhalten und sie auch weiterhin mitwirken müssen, um einen Job aufzunehmen. Die populistische Forderung der Union geht also an der Realität vorbei und verkennt, wer überhaupt Bürgergeld bezieht.“ Ein großer Teil seien Kinder, Jugendliche oder Menschen, die ihren Lohn aufstocken müssten.
Für die Diakonie Württemberg sagte die Vorstandsvorsitzende Annette Noller: „Wir müssen Menschen für ihre Rückkehr auf den Arbeitsmarkt fit machen. Nur dann kann es langfristige Erfolge geben, Zwangsmaßnahmen stehen dem entgegen.“
Die Organisation „Sanktionsfrei“ betonte: „Es gibt außerdem alleinerziehende Mütter, die nur begrenzt arbeitsfähig sind, und 1,6 Millionen Menschen, die gar nicht arbeitsfähig sind und dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen.“ Hinzu komme, dass nicht jeder Job zu jeder Lebenssituation passe. „Die allermeisten bemühen sich aktiv um Arbeit. Wenn man Leute zwingt, jeden noch so schlechten Job anzunehmen, nimmt man ihnen die Chance, sich richtig um ihre Zukunft zu kümmern.“