sozial-Recht

Landessozialgericht

Ohne Mitwirkung keine Erwerbsminderungsrente




Antrag auf Erwerbsminderungsrente
epd-bild/Heike Lyding
Behinderte Menschen können nicht zu Hause die Prüfung ihrer Erwerbsfähigkeit verlangen. Lehnen sie eine auswärtige Begutachtung ohne ausreichenden Grund ab, kann ihnen die Rente wegen fehlender Mitwirkung versagt werden, urteilte das Landessozialgericht Stuttgart.

Stuttgart (epd). Für die Prüfung eines Erwerbsminderungsrentenanspruchs müssen sich nicht bettlägerige, schwerbehinderte Menschen schon selbst zur Begutachtung aufmachen. Verlangen sie die Prüfung ihrer Erwerbsfähigkeit in den eigenen vier Wänden und lehnen eine Fahrt zum Gutachter ab, kann ihnen der Rentenanspruch wegen der Verletzung ihrer Mitwirkungspflicht versagt werden, stellte das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg in Stuttgart in einem am 9. November veröffentlichten Urteil klar.

Damit wurde einer heute 55-jährigen schwerbehinderten Frau aus dem Raum Heilbronn mit dem Merkzeichen „G“ (erhebliche Gehbehinderung) zu Recht die Erwerbsminderungsrente wegen mangelnder Mitwirkung verweigert. Sie leidet unter anderem an einem chronischen Schmerzsyndrom, Schwindel und einer Gangstörung. Im Februar 2022 beantragte sie eine Erwerbsminderungsrente und legte dazu ärztliche Befundberichte vor.

Hinweis auf mögliche Pflichtverletzung

Der Rentenversicherungsträger lud sie nach Vorlage der Unterlagen an den sozialmedizinischen Dienst zur ärztlichen Begutachtung in die Untersuchungsstelle ein. Zugleich wies er auf ihre Pflicht hin, bei der Prüfung ihrer Erwerbsfähigkeit mitzuwirken.

Wegen Fieber und Husten bat sie darum, die Untersuchung bei ihr zu Hause stattfinden zu lassen. Falls das nicht möglich sei, solle ihr ein neuer Begutachtungstermin genannt werden. Als der Rentenversicherungsträger sie daraufhin zu einem späteren Begutachtungstermin einlud, lehnte die Frau wieder ab. Sie sei seit Wochen bettlägerig, benötige 24 Sunden am Tag Hilfe und leide an einer Vielzahl an chronischen Gesundheitsstörungen. Der Gutachter müsse zu ihr nach Hause kommen, so die Frau.

Kein Attest bescheinigte Bettlägerigkeit

Doch die Bettlägerigkeit ergebe sich nicht aus den ärztlichen Attesten und Befundberichten, rügte die Rentenversicherung. Auch andere gesundheitliche Gründe sprächen nicht gegen eine Begutachtung in der Untersuchungsstelle. Weil sie der Aufforderung zur Begutachtung nicht nachkam, wurde ihr Antrag auf eine Erwerbsminderungsrente wegen des Verstoßes gegen ihre Mitwirkungspflicht abgelehnt.

Das ist nicht zu beanstanden, urteilte nun das LSG. Allein mit der Vorlage der Akten habe die Erwerbsfähigkeit nicht geprüft werden können. Zwar habe die Klägerin darauf hingewiesen, dass bei der Bestimmung ihres Pflegegrades bereits ein Gutachten erstellt und der Gutachter sie hierzu zu Hause aufgesucht habe. Für die Frage der Erwerbsminderung spiele das aber keine Rolle, so das Gericht. Denn bei der Feststellung des Pflegegrades komme es darauf an, wie sich die Klägerin zu Hause zurechtfindet. Bei der Feststellung der Erwerbsunfähigkeit komme es darauf nicht an.

Nichterscheinen als Pflichtverstoß gewertet

Auch habe die Klägerin nicht mit ärztlichen Attesten belegt, dass sie bettlägerig sei oder aus anderen gesundheitlichen Gründen nicht zur Untersuchungsstelle gelangen könne. So sei sie noch einen Tag vor dem Begutachtungstermin selbst zu ihrem Arzt gegangen. Das Nichterscheinen zur Begutachtung sei daher als Verstoß gegen die Mitwirkungspflicht zu werten.

Das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel urteilte am 27. Oktober 2022, dass sich behinderte Menschen einem gerichtlich angeordneten medizinischen Gutachten auch verweigern können, wenn der Gutachter die Mitnahme einer Vertrauensperson ablehnt. Eine Verletzung der Mitwirkungspflicht liege dann regelmäßig nicht vor, so die Kasseler Richter im Streit um die Bestimmung eines Grades der Behinderung.

Mitnahme von Vertrauensperson in der Regel möglich

Denn die Mitnahme einer Vertrauensperson gebiete das Recht auf ein faires Verfahren und das allgemeine Persönlichkeitsrecht der zu begutachtenden Person. Nur ausnahmsweise könne die Vertrauensperson von der Begutachtung gerichtlich ausgeschlossen werden, etwa wenn sie „eine geordnete, effektive oder unverfälschte Beweiserhebung erschwert oder verhindert“.

Will ein Jobcenter die Erwerbsfähigkeit eines Langzeitarbeitslosen prüfen lassen, dürfe es die Mitwirkungspflicht der Betroffenen auch nicht überspannen, urteilte das BSG am 26. November 2020. So könne der Arbeitslose die Weitergabe eines vier Jahre alten Gutachtens an die Deutsche Rentenversicherung verweigern, ohne dabei wegen der Verletzung ihrer Mitwirkungspflicht den Anspruch auf Arbeitslosengeld II, dem heutigen Bürgergeld, zu verlieren. Ein vier Jahre altes ärztliches Gutachten sei einfach zu alt, zumal der Betroffene sowieso meist vom Gutachter persönlich untersucht werden müsse.

Ein Verstoß gegen die Mitwirkungspflichten liegt allerdings dann vor, wenn ein Krankenversicherter eine bewilligte Reha-Maßnahme ohne Begründung nicht antritt. In diesem Fall dürfe die Krankenkasse dem Versicherten das Krankengeld streichen, urteilte am 21. Juni 2016 das LSG Stuttgart.

Az.: L 8 R 1138/23 (Landessozialgericht Stuttgart, Erwerbsminderungsrente)

Az.: B 9 SB 1/20 R (Bundessozialgericht, Vertrauensperson)

Az.: B 14 AS 13/19 R (Bundessozialgericht, altes Gutachten)

Az.: L 11 KR 455/16 (Landessozialgericht Stuttgart, Krankengeld)

Frank Leth