sozial-Branche

Armut

Dokumentation

Nationale Armutskonferenz: Sozialbereich stärken, statt Gelder zu kürzen



Die Nationale Armutskonferenz (NAK) warnt vor den Folgen der von der Bundesregierung geplanten Kürzungen im Sozialetat. Damit, warnt die NAK, werde der soziale Zusammenhalt bedroht. Sie fordert den Ausbau des Sozialwesens. epd sozial dokumentiert das Positionspapier:

Die soziale Ungleichheit in Deutschland ist bereits inakzeptabel hoch. Diese angespannte Lage wird durch die geplanten Kürzungen weiter verschärft, was den wankenden sozialen Frieden in unserem Land in Gefahr bringt. Hinter diesen Maßnahmen stehen echte Menschen mit realen Sorgen und Ängsten. Es darf nicht sein, dass die, die sowieso schon benachteiligt sind, in unserer Gesellschaft noch mehr im Stich gelassen werden. Diese Kürzungen bedrohen Existenzen und rauben Vielen die Perspektive auf ein menschenwürdiges Leben.

Während Finanzmarkt, hohe Vermögen und Militärausgaben in den letzten Jahren stets geschützt, stabilisiert und unterstützt wurden, soll es nun weitere Kürzungen in der sozialen Infrastruktur geben, die seit der Agenda 2010 bereits als kaputtgespart gilt.

Lobbyisten der Fiskalpolitik schreiben an den sie betreffenden Gesetzen stets mit. Aber die Positionen und Bedarfe der Zielgruppe dieser Kürzungen, also Armutsbetroffene sowie Sozial- und Wohlfahrtsverbände, wurden bei diesen Haushaltsberatungen ignoriert. Die offensichtlich verheerenden Folgen dieser drastischen Kürzungen werden offenen Auges in Kauf genommen. Armut wird nicht mehr verhindert, wie es im letzten Jahrhundert angestrebt wurde, sondern nur verwaltet und sogar verstärkt.

In Krisen wird die Rettung von Industrie und Finanzsektor auf die Gesamtgesellschaft verteilt - die Gewinne aber nicht an sie zurückgegeben. Die Vermögen der 500 reichsten Deutschen sind so auch in diesem Jahr exorbitant gestiegen. Gleichzeitig werden ganze Bevölkerungsgruppen in ihren ökonomisch schlecht gestellten Lebensrealitäten nicht mehr wahrgenommen, Instrumente unseres Sozialstaats werden geschwächt. Unsere Demokratie verliert so weiter an Glaubwürdigkeit. Menschen müssen sich als Akteure in einer funktionalen Demokratie erleben können, das ist aktuell nicht mehr der Fall, wenn der soziale Vertrag von den Regierenden einseitig aufgekündigt wird.

Die Nationale Armutskonferenz appelliert eindringlich an die Politik, von diesen Kürzungen Abstand zu nehmen und stattdessen die soziale Absicherung zu stärken. Konkrete Schritte sind erforderlich, um Armut in Deutschland zu bekämpfen und Investitionen in die soziale Absicherung zu stärken:

1. Problematik ernst nehmen - Verständnis für die diversen Lebenssituationen von finanziell schlecht gestellten Menschen: Ihre Perspektive muss in Haushaltsberatungen und Gesetzgebung einfließen. Sozialleistungen und freie Wohlfahrtspflege müssen als Basis der sozialen Infrastruktur und als Stabilisator in Krisenzeiten gesehen werden.

2. Betroffene einbeziehen - Sensibilisierung der sozialpsychologischen Perspektive in der Legislative: Wenn staatliche Institutionen das Leben von Menschen fremdbestimmen und wie Objekte behandeln, erleben diese sich als Spielball für Willkür. Die Zieladressat:innen von Gesetzesentwürfen, auch im sozialen Bereich, müssen immer in die Beratungen eingebunden werden.

3. Statt Kürzungen: Soziale Hilfsprogramme ausbauen: Beratungsangebote sowie Investitionen in Hilfsprogramme, Bildung und Gesundheitsversorgung sind essenziell. Dazu müssen die Angebote sicher finanziert und ausgebaut werden.

4. Sozialleistungen sowie den Mindestlohn erhöhen: Es darf nicht sein, dass Leistungsbeziehende unter das Existenzminimum rutschen. Angesichts der hohen Inflation und steigenden Lebenshaltungskosten ist eine Erhöhung der Sozialleistungen und des Mindestlohns unerlässlich, um Bürgerinnen und Bürger vor Armut zu schützen.

5. Soziale Wohnungsbaupolitik: Wohnen ist ein Menschenrecht, doch die Mieten sind inzwischen so drastisch gestiegen, dass Wohnraum für viele Menschen unerschwinglich ist. Es ist dringend notwendig, sozial geförderten und günstigen Wohnraum zu schaffen beziehungsweise die Mietpreise so zu deckeln, dass Wohnmöglichkeiten für alle garantiert sind.

6. Weiterbildungs- und Arbeitsmöglichkeiten schaffen: Dem Fachkräftemangel kann entgegengewirkt werden, indem die Weiterbildungsmöglichkeiten und Arbeitserlaubnis für geflüchtete und zugezogene Menschen erleichtert werden. Den betroffenen Menschen ermöglicht es einen Weg aus der Armut heraus. Gleichzeitig kann damit das Sozialsystem stabilisiert werden.

7. Schuldenbremse überwinden, Umverteilung ermöglichen: Der 2011 in das Grundgesetz eingeschriebene Artikel 115 zur Schuldenbremse darf nicht bedingungslos zur Maxime - eine Spielart der Schwarzen Null nicht über das Wohl der Menschen gestellt werden. Investitionen in das Sozialwesen, in Klimaschutz und zur Stärkung der Demokratie sind unverhandelbar. Zur finanziellen Sicherung des Sozialsystems ist es unerlässlich, angemessene Steuern auf sehr hohe Vermögen und Gewinne zu erheben. Solche Veränderungen der politischen Leitkoordinaten können über das Recht gestaltet werden (Transformationsrecht).

Die Nationale Armutskonferenz appelliert an die Bundesregierung, unverzüglich oben genannte Maßnahmen zu ergreifen, um den sozialen Zusammenhalt wiederherzustellen und die Existenzen von Millionen von Menschen zu schützen. Armut darf in einem wohlhabenden Land wie Deutschland nicht länger geduldet oder gar verschärft werden.



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