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Asyl

Eine Messehalle als Zuflucht




Eine Halle auf der Messe Frankfurt dient vorübergehend als Notunterkunft.
epd-bild/Peter Jülich
Die fortwährende Ankunft von Geflüchteten und Migranten setzt die Behörden immer stärker unter Druck. Hessen hat als vorübergehende Unterkunft eine Halle der Frankfurter Messe eingerichtet - ein Besuch vor Ort.

Frankfurt a.M., Gießen (epd). Grau ist die vorherrschende Farbe der riesigen Halle. Auf den Betonplatten am Boden sind Abteile mit weißen Stellwänden abgetrennt. Vier, sechs oder acht einfache Feldbetten stehen darin. Auf einem freien Raum der Halle sind rote Biertischgarnituren aufgestellt. Vereinzelt und in kleinen Gruppen sitzen Frauen, Kinder und vor allem Männer daran und unterhalten sich oder schauen auf ihre Handys. Drei Mal am Tag liefert ein Caterer Essen. Die Halle acht der Messe Frankfurt am Main dient derzeit als Erstunterkunft für Asylbewerber.

Die Massenunterkunft habe sich seit dem Start am 6. Oktober sehr bewährt, sagt Manfred Becker, Abteilungsleiter für Flüchtlingsangelegenheiten des Regierungspräsidiums Gießen, wo die Zentrale der Erstaufnahmeeinrichtung in Hessen sitzt. Die Halle könne bis zu 2.000 Menschen aufnehmen und sei derzeit mit 720 Bewohnern belegt. Der Höchststand habe bisher bei 900 Personen gelegen. Täglich kämen in Hessen derzeit 100 bis 350 Flüchtlinge an, die Unterbringung sei für die Behörden eine Herausforderung. Daher sei die bis 15. Dezember zur Verfügung stehende Messehalle in nur eineinhalb Wochen umfunktioniert worden.

Viele Mitarbeitende sind Studierende

Die Einrichtung sei in fünf Tagen gestemmt worden, erläutert der Geschäftsführer des Dienstleisters Gratus GmbH, Jonas Schittig. Das Unternehmen besorge auch die Mitarbeiterschaft, aufgrund der Betriebszeit von nur zwei Monaten meist Studierende. Am Informationstisch etwa sitzen zwei junge Frauen bereit für Auskünfte. Auf Deutsch, Englisch, Türkisch oder Persisch informieren sie über das Essen oder Transfers oder vereinbaren Arzttermine in der Halle. In einem abgetrennten Spielbereich stellen Kinder große Klötze wie Möbel zusammen, malen Bilder oder sehen sich Bilderbücher an.

Zwei Sozialarbeiterinnen beaufsichtigen das Dutzend Mädchen und Jungen. Die Kinder seien sehr aufgeschlossen und wollten anhand der Bilderbücher unbedingt Deutsch lernen, sagt Svea Fuß. Für die Spielgelegenheiten seien sie dankbar.

Ein Dutzend Personen warten auf den Arzt

In einem Raum am Rand der Halle wartet ein Dutzend Bewohner auf den Arzt. Lucas Engel behandelt im Nachbarraum. Die Klienten hätten Brüche von Stürzen und auch andere Wunden, berichtet er. Außerdem seien Bluthochdruck und Diabetes auf dem Weg nach Deutschland nicht behandelt worden, es gebe Blutzuckerentgleisungen. Der Arzt macht eine Acht-Stunden-Schicht, teilweise mit einem Kollegen. Ein Sanitätsdienst sei rund um die Uhr vor Ort.

In der Halle dringt fortwährend ein gedämpfter Geräuschpegel ans Ohr. Einige Jugendliche spielen sich einen Volleyball zu. Die Bewohner dürfen die Unterkunft jederzeit verlassen, ein Sicherheitsdienst passt auf. Von 22 bis 8 Uhr soll Nachtruhe herrschen, die Scheinwerfer an der Decke werden abgeblendet. Über etwaige Konflikte gibt der Sicherheitsdienst keine Auskunft. Es habe bisher keine größeren Auseinandersetzungen gegeben, sagt Manfred Becker. Der Dienstleister mache auch Freizeit- und Sportangebote und biete einen Deutsch- und Werteunterricht an.

70 Prozent der Untergebrachten sind Männer

Drei Viertel der Bewohner stammen nach Beckers Angaben aus der Türkei, Afghanistan und Syrien. 70 Prozent seien Männer, ein Viertel Kinder und Jugendliche. Eine Bewohnerin mittleren Alters mit lila Kopftuch, grünem Pulli und dunkelblauem Rock berichtet, sie komme aus der türkischen Stadt Mardin in der Nähe der Grenze zu Syrien und dem Irak. Sie habe neun Kinder und sei mit ihrem Mann und acht Kindern nach Ankara gefahren, von dort nach Serbien geflogen, dann drei Tage und Nächte durch Wälder marschiert und schließlich in Autos nach Deutschland gebracht worden. Ein fünfjähriges Kind habe sein Hörgerät verloren, aber die Schlepper hätten sie zum Weitergehen gezwungen. Warum sie nach Deutschland komme, dürfe sie nicht sagen.

Die neun Erstaufnahmeeinrichtungen in Hessen beherbergen nach Beckers Worten knapp 8.000 Flüchtlinge und Migranten, Platz bestehe für 13.000. Die Bewohner blieben im Durchschnitt drei bis vier Monate dort, bis sie in die Landkreise und Kommunen weitergeleitet werden.

Von Januar bis Oktober sind nach Angaben des hessischen Innenministeriums bisher 19.492 Asylbewerber nach Hessen gekommen. Unter den Herkunftsländern liege die Türkei mit 1.602 Personen an der Spitze, gefolgt von Afghanistan (666) und Syrien (545). Einreisende aus der Ukraine werden nicht als Asylbewerber geführt.

Jens Bayer-Gimm


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