sozial-Politik

Asyl

Interview

Jurist Thym: Ausgelagerte Asylverfahren sehr schwer umzusetzen




Daniel Thym
epd-bild/privat
Der Jurist Daniel Thym sieht die Auslagerung von Asylverfahren in Migrationszentren jenseits der EU-Grenzen kritisch. Das sei rechtlich möglich, doch "notorisch schwierig umzusetzen". Auch seien es lediglich "kleine Schrauben", an denen gedreht werden könne, sagt der Inhaber der Professur für Öffentliches Recht, Europa- und Völkerrecht an der Universität Konstanz im Interview mit epd sozial.

Frankfurt a.M. (epd). Professor Daniel Thym betont: „Das Grundrecht auf Asyl und die Genfer Flüchtlingskonvention geben einen Schutzanspruch bei Verfolgung, sagen jedoch nicht, wo dieser Schutz gewährleistet sein muss.“ Daraus folge, dass die umstrittenen externen Asylverfahren rechtlich möglich seien, so der Experte. Es komme jedoch auf die Ausgestaltung an und darauf, „mit welchen Ländern man ins Geschäft kommt und was man ihnen als Gegenleistung anbietet“. Die Fragen stellte Dirk Baas.

epd sozial: Das Grundrecht auf Asyl gelte weiterhin in Deutschland, „allen öffentlich geführten, sehr hitzigen und manchmal auch unsachlichen Debatten zum Trotz“, sagt die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Luise Amtsberg (Grüne), über Asylverfahren außerhalb Europas. Was ist zu halten von der Ankündigung der Bundesregierung, solche Verfahren prüfen zu lassen?

Daniel Thym: Politisch und ethisch kann man über externe Asylverfahren trefflich streiten. Juristisch überzeugt die Kritik von Frau Amtsberg jedoch nicht. Das Grundrecht auf Asyl und die Genfer Flüchtlingskonvention geben einen Schutzanspruch bei Verfolgung, sagen jedoch nicht, wo dieser Schutz gewährleistet sein muss. Im Grundgesetz und den EU-Asylrichtlinien steht das Konzept sicherer Drittstaaten schwarz auf weiß drin. Wenn man externe Verfahren nur juristisch betrachtet, geht es darum, dass diese die Sicherheitsstandards erfüllen, nicht darum, ob es sie geben darf.

epd: Wie bewerten Sie grundsätzlich die Auslagerung von Asylverfahren?

Thym: Ich bin kein großer Fan des Vorschlages, weil er notorisch schwierig umzusetzen ist. Politik und Gesellschaft machen sich etwas vor, falls sie glauben, ein Zaubermittel gefunden zu haben. Wenn man die Idee umsetzt, müssten drei Voraussetzungen erfüllt sein: Erstens braucht es zuverlässigen Schutz vor Verfolgung und schwersten Menschenrechtsverletzungen. Zweitens müssen die Verfahren internationalen Standards entsprechen, die niedriger sind als das deutsche und europäische Asylrecht. Und drittens müssen die Unterbringungsstandards adäquat sein. Vereinfacht gesagt: Brot, Bett, Seife und Bildung. Nach der Anerkennung vielleicht noch der Zugang zum Arbeitsmarkt.

epd: Laut Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP aus dem Jahr 2021 soll geprüft werden, ob die Feststellung des Schutzstatus in Ausnahmefällen unter Achtung der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention in Drittstaaten möglich ist. Haben Sie ein Erklärung dafür, warum das jetzt passieren soll, wo doch so vieles, was im Vertrag steht, noch nicht angegangen wurde?

Thym: Es war wohl die FDP, die eine „Abschiebungsoffensive“ und den Prüfauftrag für ausgelagerte Verfahren in den Koalitionsvertrag hineinverhandelte. In den ersten 18 Monaten wurde das weitgehend ignoriert. Offenbar war die FDP nicht stark genug. Speziell bei den externen Verfahren lag es aber sicher daran, wie schwierig das ist. Es reicht ja nicht, die rechtlichen Vorgaben einhalten. Die Politik muss erst einmal ein Land finden, das die Prüfzentren aufnimmt.

epd: Und wenn die gefunden sind?

Thym: Die Zentren müssen dann erst mal aufgebaut und betrieben werden. Das ist logistisch schwierig und kann gehörig schief gehen, weil diese Einrichtungen von den Medien genau beobachtet würden. Da würde sich schnell zeigen, dass die Standards, die üblicherweise in internationalen Flüchtlingslagern herrschen, deutlich hinter dem zurückbleiben, was in Mitteleuropa üblich ist. Außerdem tritt der erhoffte Zweck eventuell nicht ein, nämlich dann, wenn Menschen ohne Schutzbedarf das Zentrum einfach wieder verlassen, um trotzdem irregulär in die EU einzureisen. Umgekehrt könnten wohl Menschen mit Schutzbedarf ohne Risiko direkt im Zentrum einen Asylantrag stellen. Das kann für sie billiger sein, als Geld für Schlepper auszugeben und dabei noch das Leben zu riskieren.

epd: Kritiker und Menschenrechtsorganisationen warnen von „dreckigen Deals“, die eine solche Migrationskooperation darstellen würden. Aber muss das zwingend so sein?

Thym: Natürlich nicht, denn es kommt darauf an, mit welchen Ländern man ins Geschäft kommt und was man ihnen als Gegenleistung anbietet. Wenn die Kritik mit „schmutziger Deal“ die europäischen Werte meinen, finde ich das auch zu einfach. Speziell in Italien landen sehr viele Menschen ohne Schutzbedarf. Es ist legitim, wenn Europa diese irreguläre Zuwanderung unterbinden will. Das muss auch kein versteckter Rassismus oder ähnliches sein.

epd: Man gewinnt den Eindruck, dass so die Abschreckung erhöht werden soll. Aber eignen sich diese Pläne überhaupt, um kurzfristig die Zahlen ankommender Geflüchteter zu senken?

Thym: Wenn Sie mit „die Pläne“ die aktuellen Vorhaben der Bundesregierung meinen, ist die Antwort klar: das sind kleine Schrauben. Das gilt erst Recht für die ausgelagerten Asylverfahren, die ja nicht schnell umgesetzt werden können. Es gibt keine realistische Alternative zur Politik der Trippelschritte: eine Kombination von sehr vielen kleinen und manchen größeren Maßnahmen.

epd: Ist es ratsam, sich mit dieser heiklen Materie zu befassen? Großbritannien hat trotz eines Millionen Euro kostenden Abkommens noch keinen einzigen Flüchtling nach Ruanda ausgeflogen.

Thym: Ich kann gut verstehen, dass die Politik nach neuen Lösungen sucht. Sie sollte sich nur nicht der Illusion hingeben, eine einfache Lösung finden zu können. Ohne neue Wege bricht die politische Akzeptanz des Asylrechts völlig weg. In anderen europäischen Ländern ist das schon passiert. Es geht einfach nur darum, dass die Bevölkerung nicht den Eindruck hat, der Staat habe die Kontrolle verloren.

epd: Wo liegen aus Ihrer Sicht die speziellen Hürden in Deutschland? Ließe sich überhaupt ein rechtssicheres Verfahren samt menschenwürdiger Unterbringung in ein dann auch kontrollierbares Abkommen mit Drittstaaten verhandeln?

Thym: Für Deutschland ist das nicht schwieriger als für jedes andere Land in Europa. Nur die Australier haben es einfacher, denn dort werden die Menschenrechte weniger streng gehandhabt. Aus dem Prüfauftrag folgt ja in keiner Weise, wer die Zentren betreibt und welche Verfahrensregeln dort gelten werden: das deutsche Asylrecht wohl kaum. Es gibt verschiedene Modelle. Die Zentren können von deutschen oder europäischen Beamte betrieben werden, vom UN-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) oder vom Drittstaat, wo das ganze stattfindet, also zum Beispiel Albanien. Private Firmen können als Subunternehmer auch helfen. Das ist bei der humanitären Hilfe, auch im Fluchtbereich, durchaus üblich.

epd: Gibt es funktionierende Beispiele aus anderen EU-Staaten, oder vielleicht bessere Modelle, denen man folgen könnte? Italien will sich mit Albanien verbünden und zwei Lager finanzieren. Wächst dadurch der Druck innerhalb der EU und damit auch auf Deutschland?

Thym: Das italienische Modell ist rechtlich schlau gemacht. Es gilt nämlich nach den verfügbaren Informationen nur für Personen, die von italienischen Startschiffen auf hoher See aufgenommen werden. Das ist deshalb ein Trick, weil auf dem Meer noch kein Asylantrag gestellt werden kann. Das erlaubt die Überstellung nach Albanien, ohne dass davor in Italien ein kurzes Asylverfahren mit Rechtsschutz stattfinden muss. Die Idee einer solchen Ausschiffungsplattform nach einer Seenotrettung ist übrigens nicht neu. Angela Merkel (CDU) und der Europäische Rat forderten das schon vor fünf Jahren.

epd: Die Ampel hat bereits die Hälfte ihrer Regierungszeit hinter sich. Lässt sich in der verbliebenen Dauer der Legislatur überhaupt noch Vollzug bei diesen Abkommen erreichen?

Thym: Meine klare Prognose ist: Nein.



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