sozial-Editorial

Liebe Leserin, lieber Leser,




Dirk Baas
epd-bild/Heike Lyding

mit dem Bürgergeld soll alles besser werden. Gemeint ist die Abkehr vom restriktiven Hartz-IV-System. Doch ob diese Rechnung aufgeht, ist offen. Seit drei Monaten gibt es jetzt das Bürgergeld. Aber Betroffene wie Benjamin Bertram spüren im Alltag noch keine Verbesserungen. Auch Anni W. sieht das so. Die hohen Strom- und Lebensmittelpreise „brechen uns das Genick“, denn auch beim Bürgergeld werden diese Mehrkosten nicht vom Amt getragen.

Bei der Brustkrebsfrüherkennung kann eine ergänzende Untersuchung genutzt werden: die Taktilografie. Sie bietet zudem sehbehinderten oder blinden Frauen eine berufliche Perspektive an - als Medizinisch-Taktile Untersucherin, kurz: MTU. Denn sie können mit ihren Fingern selbst kleinste Tumore in der weiblichen Brust ertasten.

Torsten Rebbe ist der Chef von rund 50 hauptamtlichen Mitarbeitenden und zahlreichen Ehrenamtlern bei SOS-Kinderdorf Hamburg. Die Jugendhilfeeinrichtung will weiter wachsen. Doch es hakt, denn die Suche nach Fachkräften wird immer schwieriger. „Das hat Folgen. Auch für uns. Das ist eine große Herausforderung“, sagt Rebbe. Was diese Nöte für die Kinder und ihre Rechte bedeuten, erläutert Rebbe im Interview mit epd sozial.

Auch bei begleiteten Spaziergängen im Pflegeheim kann es zu Stürzen kommen. Doch für die Folgen kann nicht der Heimträger verantwortlich gemacht werden. Das hat das Oberlandesgericht Bamberg entschieden. Denn erfolge ein Sturz aus ungeklärter Ursache in Begleitung, dann gehöre das zum allgemeinen Lebensrisiko des betreuten Menschen.

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Die Redaktion wünscht Ihnen und Ihrer Familie ein frohes Osterfest.

Ihr Dirk Baas




sozial-Politik

Armut

Drei Monate Bürgergeld - das bessere Hartz IV?




Benjamin Betram
epd-bild/Guido Schiefer
Zum Jahreswechsel sind die umstrittenen Hartz-IV-Leistungen in das Bürgergeld umgewandelt worden. War das mehr als nur ein neuer Anstrich, den die Bundesregierung vorgenommen hat? Sozialhilfeempfänger berichten aus ihrem Alltag.

Frankfurt a.M. (epd). Genau 14 Jahre ist es her, dass Benjamin Bertram zum letzten Mal in einem Restaurant essen war. Seit 2009 ist der Kölner arbeitslos. „Ich kann mir soziale und politische Teilhabe schon lange nicht mehr leisten“, sagt der 39-Jährige. Seit Anfang des Jahres heißt Hartz IV nun zwar Bürgergeld. Eine Änderung im Alltag bemerke er jedoch nicht, sagte Bertram: „Für mich als Langzeitarbeitslosen gibt es keine nennenswerte Verbesserung.“

Bertram hat eine duale Berufsausbildung als Bäcker und Konditor gemacht. Viele Jahre hat er in der Logistik bei der Farbabfüllung gearbeitet. Im Jahr 2009 hatte die Firma, für die er damals gearbeitet hat, Auftragsverluste. Sie entließ alle Zeitarbeiter, darunter auch ihn. Hinzu kamen massive Rückenprobleme. Seit 2015 ist er auf einen Rollator angewiesen.

Kritik an unveränderten Berechnungsmethoden

Am 1. Januar 2023 wurde Hartz IV umgewandelt in das Bürgergeld. Der neue Regelsatz für eine alleinstehende Person beträgt 502 Euro. "Ob Hartz IV oder Bürgergeld, an der eigentlichen Berechnungsmethode hat sich nichts geändert, die Leistungen bleiben trickreich klein gerechnet, reichen vorne und hinten nicht und gehen an der Lebensrealität der Menschen vorbei”, kritisiert Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands. Er fordert eine Höhe der Hilfe von 725 Euro.

Bertram müsste seit seiner Ernährungsumstellung eigentlich viel Gemüse, Fisch und Milchprodukte essen, das sei jedoch nicht immer umsetzbar. „Der Preis für den Magerquark ist in den letzten Monaten von 39 Cent auf 1,49 Euro gestiegen. Ich kann mich nicht so gesund ernähren, wie ich es eigentlich aufgrund meines Übergewichts müsste.“

AWO-Projekt hilft Betroffenen

Erst das Projekt Campus: Gesundheit & Perspektiven der Arbeiterwohlfahrt (AWO) Köln habe ihm weitergeholfen. „Sie unterstützen einen bei Arztbesuchen und der Wohnungssuche.“ Durch das Projekt fand er auch die passende Klinik für seine Magenverkleinerung. Er hoffe darauf, wieder in Arbeit zu kommen, sobald sich seine gesundheitlichen Probleme gebessert haben.

Christian Merkl, Wirtschaftsprofessor an der Universität Erlangen-Nürnberg, sagt: „Es wäre wünschenswert, dass die Aufnahme von Vollzeitbeschäftigung attraktiver würde, um Brücken aus dem Bürgergeld zu bauen.“ Von der Politik wünsche er sich mehr Mut, neue Instrumente zu erproben. Aktuell würden sich vor allem Tätigkeiten mit geringem Hinzuverdienst lohnen.

Er hält die Erhöhung des Regelsatzes von 449 auf 502 Euro zum Jahreswechsel für richtig, weil auch die Preise durch die Inflation gestiegen sind. Der Proefssor gibt zu bedenken, dass Erhöhungen die Motivation zur Arbeitssuche und -aufnahme mindern könnten. Bisher gebe es jedoch keine Hinweise darauf, dass durch das Bürgergeld die Anreize zur Arbeit stark gesunken wären.

Merkl weist darauf hin, dass Bürgergeldbezieher häufig Vermittlungshemmnissen wie fehlender Kinderbetreuung und gesundheitlicher Schwierigkeiten unterliegen. „Hier gilt es, kreative Ansätze zu finden, diese Hemmnisse zu reduzieren und damit in Zeiten der Arbeitskräfteknappheit mehr Beschäftigungspotenzial zu schaffen.“ Er betont jedoch auch, dass für eine seriöse Evaluation der Wirkungen des Bürgergelds bisher noch nicht ausreichend Daten vorlägen.

Sorgen über hohe Kosten machen mürbe

Auch Anni W. ist Bürgergeldempfängerin. Die alleinerziehende Mutter lebt mit ihren zwei Kindern im Alter von elf und zwölf Jahren am Niederrhein. Sie ist chronisch krank. „Ich leide seit 20 Jahren an Depressionen und bin körperlich eingeschränkt durch stark fortgeschrittene Arthrose“, sagt die 40-Jährige. Sie möchte ihren richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen, weil Arbeitslosigkeit immer noch schambehaftet sei. Anni W. hat auf Twitter den Hashtag #IchBinArmutsbetroffen ins Rollen gebracht, unter dem sie und viele weitere Betroffene aus ihrem Alltag in Armut berichten.

Vor allem durch ihre Kinder merke sie oft, wie wenig Geld sie zur Verfügung hat. „Selbst der Gedanke an den nächsten Kindergeburtstag, einen kaputten Füller oder einen Grillabend im Sommer macht mir Angst, weil alles mit Kosten verbunden ist. Das macht mürbe“, sagt sie.

„Obst kann ich mir kaum noch leisten“

Die Probleme fingen bereits beim Lebensmitteleinkauf an. „Meine Kinder lieben Obst, aber das kann ich mir kaum noch leisten“, betont sie. Durch das Bürgergeld sehe sie keine Verbesserung ihrer Situation, weil die Strom- und Lebensmittelpreise immer weiter stiegen und diese nicht vom Amt übernommen würden. „Die Lebensmittel- und Stromkosten brechen uns das Genick“, klagt Anni W.

Ihr Ziel sei es, das Abitur nachzuholen und anschließend im sozialen Bereich zu arbeiten. „Ich möchte dem Arbeitsmarkt wieder zur Verfügung stehen“, sagt sie - bisher nur ein frommer Wunsch.

Stefanie Unbehauen


Armut

Das Stichwort: Bürgergeld



Frankfurt a.M. (epd). Beim Bürgergeld handelt es sich um eine Grundsicherung für bedürftige Menschen. Bedingung, um es zu erhalten, ist, dass man dem Arbeitsmarkt zur Verfügung steht. Aktuell beziehen über 3.880.000 erwerbsfähige Personen in Deutschland Bürgergeld. Der Regelsatz für Alleinstehende liegt bei 502 Euro.

Partner in einer Ehe oder Lebensgemeinschaft erhalten 451 Euro. Die Höhe der Sätze für Kinder richtet sich nach deren Alter. Für Kleinkinder bis zu fünf Jahre gibt es 318 Euro, für 6- bis 13-Jährige 348 Euro und für Jugendliche von 14 bis 17 Jahren sind es 420 Euro.

Würde achten und zur Teilhabe befähigen

Das Bürgergeld soll zur sozialen Teilhabe befähigen und die Würde des Einzelnen achten. Den größten Posten machen „Nahrung, Getränke und Tabakwaren“ mit 174,19 Euro aus. Im ersten Jahr dürfen Bürgergeld-Bezieher ihre aktuelle Wohnung behalten. Die Kaltmiete wird in den ersten zwölf Monaten übernommen, unabhängig davon, ob die Unterkunft „angemessen“ ist. Heizkosten jedoch werden nur in einem „angemessenen Rahmen“ vom Staat übernommen.

Auch wird im ersten Jahr Vermögen von bis zu 40.000 Euro nicht angegriffen. Das soll verhindern, dass Sparer, die unverschuldet arbeitslos werden, bestraft werden. Dieser Betrag hatte nach den Plänen der Bundesregierung ursprünglich bei 60.000 Euro liegen sollen, wurde jedoch auf Druck der Union im Vermittlungsausschuss gesenkt.

Auch gegen den Wegfall der Sanktionen haben sich CSU und CDU gestellt. Sollte sich ein Bürgergeld-Empfänger weigern, einen Arbeitsplatz zu finden, muss er weiterhin mit Sanktionen rechnen. Das Prinzip „Fördern und Fordern“ soll auch zukünftig gelten.



Gesetzentwurf

Bundeskabinett bringt Pflegereform auf den Weg




Pflegekraft mit einer Heimbewohnerin im Rollstuhl
epd-bild/Werner Krüper
Kinderlose sollen künftig mehr für die Pflegeversicherung zahlen, Eltern mit mehreren Kindern hingegen entlastet werden. Auch einige Leistungsverbesserungen sind vorgesehen. Sozialverbänden gehen die Pläne des Bundesgesundheitsministers indes nicht weit genug.

Berlin (epd). Die Beiträge zur Pflegeversicherung sollen zum Juli dieses Jahres steigen. Das Bundeskabinett hat am 5. April in Berlin einen Gesetzentwurf von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) beschlossen, der Beitragserhöhungen und Leistungsverbesserungen vorsieht. Die zusätzlichen Einnahmen sollen die Finanzen der Pflegeversicherung stabilisieren. Mit dem Gesetz wird auch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts umgesetzt, wonach Eltern mit mehreren Kindern weniger zahlen müssen als Eltern mit einem Kind oder kinderlose Versicherte.

Dem Entwurf zufolge soll der allgemeine Beitragssatz von 3,05 Prozent des Bruttoeinkommens auf 3,4 Prozent steigen, Kinderlose zahlen 4 Prozent statt bisher 3,4 Prozent. Eltern mit zwei und mehr Kindern zahlen zwischen 3,15 und 2,4 Prozent. Die Einnahmen der Pflegeversicherung erhöhen sich um 6,6 Milliarden Euro pro Jahr.

Geld- und Sachleistungen werden angehoben

Zu den Verbesserungen, die 2024 wirksam werden sollen, zählen eine fünfprozentige Erhöhung der Geld- und Sachleistungen für pflegende Angehörige und eine Erhöhung der Zuschüsse für Heimbewohnerinnen und Heimbewohner. Sie müssen einen immer größeren Teil der Kosten ihres Heimplatzes aus eigener Tasche bezahlen. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) betonte: „Dass immer mehr Menschen nach einem arbeitsreichen Leben in die Sozialhilfe abrutschen, werden wir nicht akzeptieren.“

Die Grünen-Abgeordneten Maria Klein-Schmeink und Kordula Schulz-Asche kündigten an, im parlamentarischen Verfahren auf Nachbesserungen im Regelwerk dringen zu wollen. Sie erklärten, Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) habe verhindert, „dass die pflegebedürftigen Menschen und ihre Angehörigen in der Höhe entlastet werden, wie es notwendig wäre“. So fehle nun etwa die vereinbarte Vereinfachung bei der Beantragung von Entlastungsleistungen in der häuslichen Pflege.

Diakonie: Tropfen auf den heißen Stein

Die Diakonie bewertet die Maßnahmen als „Tropfen auf den heißen Stein“. Diakonie-Präsident Ulrich Lilie erklärte, in der Langzeitpflege würden die Kostensteigerungen weiterhin auf die Heimbewohnerinnen und Heimbewohner sowie die Einrichtungen abgewälzt, die bereits völlig überlastet seien. Besonders schmerze der Rückschritt bei der Verhinderungs- und Kurzzeitpflege. Auch die Caritas bemängelte, dass das Entlastungsbudget für pflegende Angehörige, entgegen der Ankündigung aus dem Koalitionsvertrag, aus dem Gesetzentwurf herausgenommen worden sei.

Das Konzept bleibe deutlich hinter den im Koalitionsvertrag vereinbarten Plänen zurück und sei ungeeignet, die Krise der Pflege abzumildern, rügte AWO-Präsidentin Kathrin Sonnenholzner. „Der heutige Entwurf begegnet dem bevorstehenden Kollaps der Pflege in Deutschland mit bestenfalls homöopathischen Konzepten.“ Die beschlossenen Maßnahmen würden die Zahlungsfähigkeit der Pflegeversicherung zwar für ein paar Monate sichern, aber dann stelle sich das Problem erneut und unverändert.

Zahlungsfähigkeit nur kurzfristig gesichert

„Weder ist vorgesehen, den durch die Belastungen der Corona-Pandemie entstandenen zusätzlichen Finanzbedarf der Pflegekassen durch Steuermittel auszugleichen, noch werden die Pflegekassen von versicherungsfremden Leistungen wie der Übernahme der Rentenbeiträge pflegender Angehöriger entlastet“, so die Präsidentin. Die vorgesehenen Maßnahmen, wie zum Beispiel die Aufschiebung der Überweisung an den Pflegevorsorgefonds, sicherten die Zahlungsfähigkeit der Pflegeversicherung zwar für ein paar Monate, aber eine langfristige, nachhaltige Lösung sehe der Entwurf nicht vor.

Die neue Ankündigung, zum 31. Mai 2024 Empfehlungen für eine stabile und dauerhafte Finanzierung der Pflegeversicherung vorzulegen, kommt laut der AWO deutlich zu spät. Dass dabei besonders die Ausgabenseite unter Einbeziehung unter anderem des Finanzministeriums betrachtet werden solle, lasse für pflegebedürftige Menschen nichts gut erahnen.

Verband: Keine zukunftsfeste Ausgestaltung der Pflege

Der Präsident des Bundesverbandes privater Anbieter sozialer Dienste (bpa), Bernd Meurer, zeigte sich ebenfalls enttäuscht. „Die vorgelegte Pflegereform beweist einmal mehr: Die Sicherung der Pflege hat für die Ampelregierung keine Priorität.“ Im Wesentlichen würden lediglich die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes zur differenzierten Beitragsgestaltung umgesetzt. „Eine demografie- und zukunftsfeste Ausgestaltung der pflegerischen Versorgung? Fehlanzeige.“, so Meurer.

Der Vorstand der Stiftung Patientenschutz Eugen Brysch äußerte sich ähnlich. „Klammheimlich wurde nun die eigentlich geplante Zusammenlegung des Entlastungsbudgets für Kurzzeit- und Verhinderungspflege doch wieder gestrichen“, kritisierte er. Auch müssten sich die Betroffenen im nächsten Jahr mit einer Erhöhung von nur fünf Prozent abfinden. „Das steht nicht ansatzweise im Verhältnis zur Kostenexplosion von 40 Prozent in den letzten fünf Jahren in der Altenpflege.“

Problem der steigenden Eigenanteile nicht gelöst

Auch der Paritätische Wohlfahrtsverband kritisierte den Entwurf als „völlig unzureichend“. Hauptgeschäftsführer Ulrich Schneider erklärte, eines der Hauptprobleme, das durch den Gesetzentwurf nicht gelöst werde, seien die explodierenden Eigenanteile. „Wir sind an einem Punkt angekommen, wo gilt: Wer pflegebedürftig wird, muss Armut fürchten.“

Rund 4,9 Millionen Menschen beziehen Leistungen aus der Pflegeversicherung. Rund vier Millionen werden von ihren Angehörigen zu Hause versorgt. In den Corona-Jahren stiegen die Ausgaben der Pflegeversicherung stark an. Sie lagen 2021 bei rund 53,8 Milliarden Euro und damit 1,35 Milliarden Euro über den Einnahmen. Dem Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV-Spitzenverband) zufolge stieg das Defizit zum Jahresende 2022 auf rund 2,2 Milliarden Euro.

Mey Dudin


Gesetzentwurf

Was soll die Reform bringen?



Berlin (epd). Das Bundeskabinett hat am 5. April das Pflegereformgesetz von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) gebilligt. Es wird nun im Bundestag beraten. Der Gesetzentwurf soll dafür sorgen, dass die Finanzen der Pflegeversicherung stabilisiert werden. Er sieht auch Leistungsverbesserungen vor. Im Folgenden die wichtigsten Punkte:

Beiträge: Zum Juli dieses Jahres werden die Beiträge angehoben. Damit werden die Einnahmen der Pflegeversicherung um 6,6 Milliarden Euro pro Jahr steigen, also in diesem Jahr noch um 3,3 Milliarden Euro. Zum anderen muss die Regierung ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom April 2022 umsetzen, wonach Eltern mit mehreren Kindern bei den Beiträgen entlastet werden müssen.

Der allgemeine Beitragssatz soll von 3,05 Prozent des Bruttoeinkommens auf 3,4 Prozent steigen. Kinderlose zahlen vier Prozent Pflegebeitrag, bisher sind es 3,4 Prozent. Eltern mit einem Kind zahlen den normalen Beitrag, vom zweiten Kind an wird er um jeweils 0,25 Beitragssatzpunkte verringert. Er beträgt also mit zwei Kindern 3,15 Prozent, mit drei Kindern 2,90 Prozent, mit vier Kindern 2,65 Prozent und mit fünf Kindern 2,4 Prozent. Weitere Kinder verringern den Beitrag nicht.

Für die Zukunft soll die Bundesregierung ermächtigt werden, die Beiträge durch Rechtsverordnung zu erhöhen, um kurzfristig auf Finanznöte der Pflegeversicherung reagieren zu können.

Pflege zu Hause: Die Leistungen aus der Pflegeversicherung für Angehörige, die die Versorgung allein oder mithilfe von Pflegediensten zu Hause übernehmen, werden Anfang 2024 um fünf Prozent erhöht. Das Pflegegeld beträgt heute zwischen 316 und 901 Euro im Monat, die Sachleistungen für Pflegedienst-Einsätze liegen zwischen 724 und 2.095 Euro. Anfang 2025 und 2028 sollen die ambulanten Leistungen an die Preisentwicklung angepasst werden. Knapp vier Fünftel der Pflegebedürftigen werden zu Hause versorgt.

Pflege im Heim: Heimbewohnerinnen und -bewohner erhalten Zuschüsse zu den Zahlungen, die sie selbst leisten müssen (Eigenanteil). Sie richten sich danach, wie lange sie schon im Heim leben. Anfang 2024 soll dieser Zuschuss erhöht werden, für das erste Jahr des Heimaufenthalts um zehn Prozent auf 15 Prozent, für die folgenden beiden Jahre jeweils um fünf Prozent auf 30 bzw. 50 Prozent - und für das vierte und alle weiteren Jahre auf 75 Prozent. Der Eigenanteil liegt inzwischen im Durchschnitt bei mehr als 2.400 Euro pro Heimplatz und Monat.

Bezahlte Tagespflege: Bisher können berufstätige Angehörige für jeden Pflegefall in der Familie einmalig zehn Tage bezahlt freinehmen. Von 2024 soll es zehn bezahlte Pflegetage im Jahr geben.

Zahlen der Pflegeversicherung: Rund 4,9 Millionen Menschen beziehen Leistungen aus der gesetzlichen oder privaten Pflegeversicherung, rund vier Millionen werden zu Hause versorgt. In den Coronajahren stiegen die Ausgaben der Pflegeversicherung stark an und lagen 2021 bei rund 53,8 Milliarden Euro und damit 1,35 Milliarden Euro über den Einnahmen. Dem Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV-Spitzenverband) zufolge stieg das Defizit zum Jahresende 2022 auf rund 2,2 Milliarden Euro. Die Pflegeversicherung muss außerdem ein Darlehen aus dem vorigen Jahr in Höhe von einer Milliarde Euro an den Bund zurückzahlen. Dem Gesetzentwurf zufolge soll dies in zwei Schritten - bis Ende 2023 und bis Ende 2028 - erfolgen.



Gesundheit

"Zum Bier gehört für unsere Gäste die Zigarette"




Im "Schmalen Handtuch" in Osnabrück: Raucher Kay Niepert und Nichtraucher Philipp Pues
epd-bild/Detlef Heese
Rund 15 Jahre ist es her, dass in Deutschland der Nichtraucherschutz Gesetz wurde. In 13 Bundesländern wird in Raucherkneipen aber immer noch gequalmt. Das sorgt bei Gesundheitsschützern für Unmut.

Oldenburg (epd). An den Wänden hängen Bilder und Sprüche. In den Regalen hinter der Theke türmen sich Gläser und Flaschen mit Whiskey und Schnaps, auf zwei großen Leinwänden läuft ein Fußballspiel. Die Gäste sitzen an der Bar oder an den Tischen, trinken - und rauchen.

Ein Anblick, der für die Bewohner der Bundesländer Nordrhein-Westfalen, Bayern und Saarland ungewöhnlich ist. Denn dort sind Raucherkneipen seit etlichen Jahren verboten. In den 13 übrigen Bundesländern sind sie erlaubt, wenn sie kleiner als 75 Quadratmeter sind und kein warmes Essen anbieten. Und so zieht ein Großteil der Gäste in der Kneipe „Strohhalm“ im niedersächsischen Oldenburg an der Zigarette.

Initiative: Brauchen generelles Rauchverbot

Ernst-Günther Krause von der Nichtraucher-Initiative Deutschland plädiert nachdrücklich für ein generelles, bundesweites Rauchverbot in Kneipen. Die Regelung zu rauchfreien Gaststätten in Bayern und Nordrhein-Westfalen hätten sich bewährt. Der „Flickenteppich“ in Deutschland müsse zum Schutz der Gesundheit vor Tabakrauch beseitigt werden, verlangt die Initiative.

Die Gefahren des Rauchens sind seit langem bekannt: Jährlich sterben nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums in Deutschland rund 127.000 Menschen an den Folgen des Rauchens. Rauchen erhöht unter anderem das Risiko für Krebs und Infektionskrankheiten und schädigt das Herz-Kreislauf-System, Herzinfarkt und Schlaganfall können die Folge sein. Rauchen in der Schwangerschaft stört die Entwicklung des ungeborenen Kindes.

Passivrauchen ist ebenfalls schädlich

Dabei ist nicht nur das aktive Rauchen schädlich, sondern auch das passive Einatmen, das sogenannte Passivrauchen. Die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin geht davon aus, dass Menschen, die sich in einem verrauchten Raum wie einer Kneipe aufhalten, pro Stunde genauso viele Schadstoffe einatmen, als hätten sie selber eine Zigarette geraucht.

Im „Strohhalm“ hat das Rauchen Tradition. „Zum Bier gehört für unsere Gäste nun mal die Zigarette“, sagt Jan Honke, seit 17 Jahren Betreiber der kleinen Kneipe, während er sich selber eine Pfeife stopft. „Früher haben wir auch kleine Speisen wie Baguette oder Suppe angeboten“, erzählt er. Aber als dann die gesetzlichen Vorgaben kamen, hat er sich für die Raucherkneipe entschieden.

Darüber, wie viele Raucherkneipen es in Deutschland gibt, hat der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband keine gesamtdeutschen Zahlen. Sie verbergen sich irgendwo unter den rund 20.000 Kneipen und Schankwirtschaften und unter den fast 200.000 Betrieben im Gastgewerbe - wobei die genaue Zahl aufgrund der unterschiedlichen gesetzlichen Regelungen in den Ländern schwer festzustellen ist. Zumal das Rauchen in den meisten Bundesländern auch in Nebenzimmern erlaubt ist, wenn der Rauch nicht in die anderen Räume dringen kann.

Verband sieht guten Kompromiss

Für den Verband sind die Regeln zum Nichtraucherschutz in den 13 Bundesländern mit klar definierten Ausnahmen für Nebenräume und Eckkneipen „ein guter Kompromiss, der allgemein akzeptiert wird“, sagt Sprecherin Stefanie Heckel. In NRW und Bayern, zwei Ländern mit striktem Rauchverbot, sehe das allerdings anders aus. Viele Eckkneipen seien dort auf der Strecke geblieben. Ob das wirklich daran lag, dass nicht mehr geraucht werden durfte, oder doch an Corona oder der schlechten wirtschaftlichen Lage, lässt sich schwer nachprüfen.

Dabei ist der Anteil der Raucherinnen und Raucher in Deutschland, der seit 1990 fast kontinuierlich gefallen war, jetzt wieder gestiegen: laut der „Deutschen Befragung zum Rauchverhalten“ von rund 27 Prozent vor Corona auf jetzt 35,5 Prozent. Bei Männern liegt er höher als bei Frauen.

Die Zahl der Menschen, die Zigaretten oder E-Zigaretten rauchen, ist insbesondere unter Jugendlichen größer geworden: Der Anteil erhöhte sich innerhalb von drei Jahren von 8,7 Prozent auf 15,9 Prozent, was für Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) ein „sehr großer Grund zur Sorge“ ist.

Jugendliche haben keinen Zutritt

In Raucherkneipen haben Jugendliche unter 18 Jahren allerdings keinen Zutritt. Der Oldenburger Radiomoderator Ulrich Bernstorf ist Stammgast. Er raucht seit der Schulzeit, dreht selber und findet es „total super“, dass es in Niedersachsen Raucherkneipen gibt. „Ich liebe diese Atmosphäre“, sagt er. Zur Zigarette trinkt er ein Bier oder Cognac, plaudert mit seinem rauchenden Kumpel gegenüber.

Beide wissen, dass Rauchen schädlich ist, aber die Warnungen auf den Packungen schrecken sie nicht. Nur müsse die Kleidung nach dem Kneipenbesuch wie seit der Jugend weiterhin in die Wäsche, „denn die Klamotten stinken einfach“.

Michael Ruffert


Gesundheit

Ost-Länderchefs fordern Beteiligung an Krankenhausreform




Intensivstation des BG Klinikums Bergmannstrost Halle
epd-bild/Steffen Schellhorn
Noch steht der Gesetzentwurf für die geplante Gesundheitsreform nicht. Doch es gibt bereits Ängste vor Klinikschließungen unter anderem in Sachsen. Gesundheitsminister Lauterbach und Ministerpräsident Kretschmer sind dennoch optimistisch, dass am Ende einvernehmliche Lösungen stehen.

Berlin (epd). Die Regierungschefinnen und -chefs der ostdeutschen Bundesländer haben bei einem Treffen in Berlin mit Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) die Notwendigkeit einer Gesundheitsreform betont. Der Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz-Ost, Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU), äußerte sich am 31. März nach der Zusammenkunft optimistisch, dass die geplante Reform am Ende im Einklang mit den ostdeutschen Bundesländern beschlossen wird.

Lauterbach sagte angesichts der Kritik an den Reformplänen, diese führten nicht dazu, dass „Kliniken, die gebraucht werden, wegfallen“. Was gebraucht werde, solle stattdessen „solider finanziert werden“. Es gebe keine Pläne zur Schließung einzelner Krankenhäuser.

„Ungeordnetes Kliniksterben“ verhindern

Ohne Reform werde es zu einem „ungeordneten Kliniksterben“ kommen, sagte der Gesundheitsminister. Gemeinsames Ziel sei, die Daseinsvorsorge zu stärken und die Qualität im Sinne von Spezialisierung zu verbessern. Lauterbach betonte, die Krankenhausplanung bleibe bei den Ländern.

Kretschmer rief dazu auf, besonders die Situation in ländlichen Regionen einzubeziehen. Wenn Menschen dort für medizinische Leistungen bis zu 60 Kilometer zurücklegen müssten, werde die Akzeptanz der Reform schwinden.

Die Regierungschefinnen und -chefs der ostdeutschen Länder forderten die Bundesregierung auf, Rahmenbedingungen für eine dauerhafte Verzahnung von ambulanter und stationärer Versorgung zu schaffen. Überdies müsse die Mobilität älterer Menschen im ländlichen Raum gefördert werden, damit die medizinische Versorgung erreichbar bleibe. Im Umgang mit dem Fachkräftemangel im Gesundheitsbereich forderten die Länderchefs, Anerkennungsverfahren für Menschen aus Drittstaaten mit entsprechenden Qualifikationen zu beschleunigen.

Pauschalen sollen kleine Kliniken am Leben halten

Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) forderte bei dem Treffen den Erhalt kleiner Kliniken im ländlichen Raum über Pauschalen für das Vorhalten von Gesundheitsleistungen zu gewährleisten: „Die permanente Ökonomisierung macht unser Krankenhaussystem kaputt.“

In den ostdeutschen Ländern zeige sich besonders deutlich, wie sich der demografische Wandel auf eine flächendeckende medizinische Versorgung auswirkt. „Vor allem im ländlichen Raum ist diese Entwicklung spürbar“, sagte Schwesig.

Vorbilder für sektorenübergreifende Versorgung

Auch Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) drang auf die Berücksichtigung ostdeutscher Belange bei der Reform des Gesundheitswesens. Er wies auf die Erfahrung der ostdeutschen Bundesländer im Zusammenspiel mit regionalen Akteuren bei der Verzahnung von ambulanter und stationärer Versorgung hin. Dabei seien „Vorbilder für zukunftsweisende sektorübergreifende Versorgungsmodelle“ entwickelt worden.

Lauterbach kann sich nach eigenem Bekunden vorstellen, die Vergütung der Krankenhäuser für die Daseinsvorsorge zu 60 Prozent über Vorhaltepauschalen zu garantieren. Die übrigen Kosten könnten dann abhängig von der Fallmenge finanziert werden, sagte Lauterbach: „In diese Richtung geht es.“

Bettina Gabbe


Vereinte Nationen

Mission Gesundheit für alle




Schwangere Frauen warten vor einer Geburtsklinik im ostafrikanischen Malawi auf ihre Untersuchung.
epd-bild/Marieke van der Vel
Vor 75 Jahren, am 7. April 1948, trat die Verfassung der Weltgesundheitsorganisation in Kraft. Zwar kann die Jubilarin WHO durchaus Erfolge aufweisen, doch Krisen wie die Corona-Pandemie trüben zugleich die Bilanz.

Genf (epd). Kurz vor ihrem 75. Geburtstag konnte die Weltgesundheitsorganisation einen neuen Erfolg melden: Aserbaidschan und Tadschikistan sind frei von Malaria. Nach einer „jahrhundertelangen Anstrengung“ hätten die beiden Länder es geschafft. „Die Ausrottung der Malaria ist möglich“, lobte Ende März WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus mit Blick auf die zwei Staaten. „Ich hoffe, dass andere Länder von ihrer Erfahrung lernen können.“

Die Meldung über das Ende der Malaria in den zwei zentralasiatischen Ländern kam dem WHO-Chef als kleines Geschenk zum großen Jubiläum gerade recht: Vor genau 75 Jahren startete die Weltgesundheitsorganisation ihre Mission. Die WHO-Verfassung trat am 7. April 1948 in Kraft. Die internationale Koordinierungsbehörde für öffentliche Gesundheit mit Sitz in Genf sollte nach dem Zweiten Weltkrieg eine Ära zum Wohle der Menschen mitgestalten. Der Zweck der WHO besteht laut der Verfassung darin, allen „Völkern zur Erreichung des bestmöglichen Gesundheitszustandes zu verhelfen“.

Kein Grund zum ausgelassenen Feiern

Anlässlich des Gründungsjubiläums nennt Tedros weitere Meilensteine. So konnte die WHO-Anti-Tabak-Konvention von 2005 das Rauchen eindämmen. WHO-Impfkampagnen bewahrten Millionen Erdenbewohner vor dem frühen Tod. Eine dieser Kampagnen führte 1979 zur Ausrottung der Pocken. Allein im 20. Jahrhundert waren zuvor 300 Millionen Menschen an Pocken gestorben. „Der Sieg der Menschheit über die Pocken zeigt, was möglich ist, wenn die Nationen gemeinsam eine gesundheitliche Bedrohung bekämpfen“, sagt Tedros.

Doch eigentlich bietet der 75. Geburtstag keinen Grund zum ausgelassenen Feiern. Die Corona-Zeit ist noch lange nicht überstanden: Die Pandemie mit Millionen Toten stürzte die WHO in ihre größte Krise, unter der sie immer noch leidet. „Die WHO verfolgt keine klare übergeordnete Strategie im Kampf gegen die Pandemie“, urteilte Jeremy Youde, Sozialwissenschaftler von der University of Minnesota Duluth, USA, auf dem Höhepunkt des Ausbruchs 2020.

Auch sind Malaria, HIV/Aids und andere Plagen global noch lange nicht besiegt. Und der WHO steckt auch dier Ebola-Ausbruch in Westafrika 2014/15 noch in den Knochen. Peter Piot, der Mitentdecker des Ebola-Erregers, warf der WHO vor, angesichts der Ebola-Gefahr viel zu spät „aufgewacht“ zu sein.

Skandale sind noch unvergessen

Zudem schlagen in der WHO-Bilanz diverse Skandale zu Buche. So sah sich die Organisation in diesem März gezwungen, neue Richtlinien gegen sexuelle Übergriffe zu veröffentlichen: WHO-Mitarbeiter hatten während eines Ebola-Ausbruchs in der Demokratischen Republik Kongo Frauen missbraucht. Die WHO musste „abscheuliche“ Fälle zugeben. Ebenso musste sie im März den langjährigen Regionaldirektor für den Westpazifik, Takeshi Kasai, feuern. Mitarbeitende warfen ihm Mobbing und rassistische Sprüche vor.

Bei seinem Amtsantritt 2017 in Genf hatte Tedros einen Aufbruch versprochen. Tedros, früherer Außen- und Gesundheitsminister Äthiopiens, gelobte damals, aus der schwerfälligen, überbürokratisierten WHO eine „effektive, transparente und verantwortliche Agentur“ zu formen. Er wollte die WHO „fit für das 21. Jahrhundert“ machen. Inzwischen schickt die Organisation mit 194 Mitgliedsländern und 8.000 Mitarbeitern mehr und mehr Hilfsteams in Krisen- und Konfliktgebiete wie die Ukraine.

Auf seine Prioritätenliste setzte Tedros ein ehrgeiziges Ziel: „Gesundheit für alle“. Jeder Mensch sollte bis 2030 Zugang zu gesundheitlicher Grundversorgung haben. Noch immer aber sind große Teile der Erdbevölkerung von der Versorgung ausgeschlossen. Zumal in den armen Ländern bedeuten prinzipiell heilbare Leiden wie Tuberkulose oft das Todesurteil. An der bakteriellen Infektionskrankheit starben 2021 rund 1,6 Millionen Menschen.

Initiativen wie „Gesundheit für alle“ müssen auf die Kooperationswilligkeit der Mitgliedsländer stoßen. Wenn die Mitglieder nicht mitmachen, verpuffen die Vorgaben aus der WHO-Zentrale. Die WHO kann den Staaten keine Anweisungen geben. Sie verschreibt nur die Medizin. Andere müssen sie schlucken.

Jan Dirk Herbermann


Jugend

Therapeutin: "Wir müssen offener über Sexualität reden"



Hannover (epd). Die Psychologin Verena Schneider appelliert an Erwachsene, mit Kindern und Jugendlichen häufiger und unbefangener über Sexualität zu sprechen. Studien zeigten, dass Eltern, Lehrer und Betreuer zentrale Ansprechpartner für junge Menschen sind, um ein positives Verhältnis zu ihrer Sexualität zu bekommen. „Leider ist es so, dass Erwachsene Sexualität im Leben von Jugendlichen häufig eher problematisieren, als dass sie sie als eine positive Ressource wahrnehmen“, sagte Schneider dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Schneider arbeitet als Projekttherapeutin in der Ambulanz „180 Grad“ der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH). Das Präventionsprojekt wurde im September 2022 vom Arbeitsbereich Klinische Psychologie und Sexualmedizin der MHH gegründet. Es wendet sich an Jugendliche, die sexuelle Gewaltfantasien haben, die fürchten, ihre sexuellen Impulse nicht kontrollieren zu können, die durch sexualisierte Gewalt und Grenzverletzungen auffällig geworden sind oder sich zu Kindern hingezogen fühlen. Ziel ist es, sexuelle Übergriffe zu verhindern.

Jugendliche mit pädophiler Neigung

Zurzeit befinden sich mehr als zehn Jugendliche in Behandlung, überwiegend Jungen. Während Jugendliche „mit einer Präferenz für das kindliche Körperschema“ sich bei der Ambulanz meist von allein meldeten, laufe der Kontakt zum Projekt bei Kindern, die bereits übergriffig geworden sind, in der Regel über Eltern, Lehrer oder das Jugendamt, sagte Schneider. „Jugendliche mit pädophiler Neigung spüren oft früh, dass sie andere sexuelle Fantasien haben als ihre Peergroup, aufgrund dieses Leidensdrucks suchen sie sich eher von sich aus Hilfe.“

Zwar sei es richtig, dass exzessiver Konsum von Pornografie bei manchen Jugendlichen ein Problem ist, Pornos seien aber in der Regel nicht ursächlich für sexualisierte Gewalt und sie zu verbieten nicht die Lösung, sagte Schneider. „Jugendliche werden immer einen Weg finden, Pornos zu schauen - und das ist erst mal auch nicht schlimm.“ Wichtig sei es, mit Jugendlichen darüber zu sprechen.

Erotik und Selbstbefriedigung

„Es muss klar sein, dass pornografische Inhalte nicht der Realität entsprechen, dass dort falsche Körperbilder und Geschlechterstereotype gezeigt werden, die nichts mit der eigenen Sexualität zu tun haben müssen - etwa extrem muskulöse Männer mit sehr großem Penis, die immer die Kontrolle haben“, sagte die Therapeutin.

Kritische Selbstreflexion im Umgang mit Sexualität sei auch an Schulen nötig, sagte Schneider. Der Sexualkundeunterricht vermittle fast ausschließlich anatomisches und biologisches Wissen. Dabei sei es wichtig, auch über Erotik und Selbstbefriedigung zu sprechen, darüber, was Menschen erregt, sie zum Orgasmus bringt. Das Team von „180 Grad“ gehe deshalb auch in die Schulen und biete Lehrerinnen und Lehrern Fortbildungen an. „Wir müssen wirklich mehr und offener über Sexualität reden“, sagte Schneider.

Julia Pennigsdorf


Bayern

Härtefallfonds "Energiesperren-Schutzschirm" startet



München (epd). Am 1. April ist der Bayerische Energiesperren-Schutzschirm gestartet. Damit unterstützt der Freistaat Bürgerinnen und Bürger, die wegen der hohen Energiepreise in wirtschaftliche Not geraten. Der Schutzschirm komme jenen zugute, die trotz Bundeshilfen und anderen staatlichen Leistungen akut entweder vor einer Energiesperre stehen oder deren Energiezufuhr bereits gesperrt wurde, heißt es in einer Mitteilung vom 31. März,

Sozialministerin Ulrike Scharf betonte: „Wir garantieren schnelle und unbürokratische Hilfe, damit niemand von der Energieversorgung abgeschnitten wird. Denn eine gesicherte Energieversorgung zählt zu den elementaren Grundbedürfnissen eines jeden Menschen.“

Für die Antragstellung ist Voraussetzung, dass das Brutto-Haushaltseinkommen 30.000 Euro zuzüglich 10.000 Euro für jedes weitere Haushaltsmitglied nicht übersteigt. Außerdem gilt eine Haushalts-Vermögensgrenze von 11.000 Euro zuzüglich weiteren 500 Euro für jedes weitere Haushaltsmitglied. Ausgeschlossen von der Hilfeleistung sind Personen, die laufende Leistungen wie Sozialhilfe, Bürgergeld, Wohngeld oder nach dem Asylbewerbungsleistungsgesetz beziehen. Anträge können seit dem 1. April digital oder schriftlich beim Zentrum Familie Bayern und Soziales (ZBFS) gestellt werden.




sozial-Branche

Behinderung

Fühlen, was andere nicht fühlen




Simone Hahn während einer Untersuchung
epd-bild/Esther Stosch
Jedes Jahr erkranken in Deutschland 70.000 Frauen an Brustkrebs. Ein spezielles Tastverfahren macht Hoffnung - und bietet sehbehinderten Menschen berufliche Perspektiven.

Frankfurt a.M., Lohra (epd). Zentimeter für Zentimeter tastet sich Simone Hahn an der Brust ihrer Patientin voran. Behutsam. Lieber noch einmal nachfühlen, bevor sie eine noch so kleine Stelle vergisst. Die Marburgerin ist seit ihrem 16. Lebensjahr vollständig blind. Dafür kann sie umso besser tasten und ist damit prädestiniert für den Job als Medizinisch-Taktile Untersucherin, kurz: MTU.

Das heißt: Die 54-Jährige kann mit ihren Händen kleinste Tumore in der weiblichen Brust ertasten. Die Taktilografie ist neben dem jährlichen Abtasten beim Gynäkologen sowie dem Mammografie-Screening eine ergänzende Diagnoseform in der Brustkrebsfrüherkennung.

Lernen des Tastverfahrens dauert neun Monate

Die Ausbildung dafür läuft über die Organisation „discovering hands“. Über neun Monate hinweg lernen die Teilnehmerinnen ein spezielles Tastverfahren. Nach eigenen Angaben können die MTU etwa 30 Prozent mehr Gewebeveränderungen ertasten als Ärztinnen und Ärzte. Diese entdecken Tumore demnach meist ab einer Größe von ein bis zwei Zentimetern. Simone Hahn und ihre Kolleginnen können Knötchen mit einem Durchmesser von sechs und acht Millimetern erkennen - also etwa so groß wie eine Erbse.

Tatsächlich ist wissenschaftlich erwiesen, dass infolge des Erblindens andere Sinne empfindlicher werden. Der Tastsinn, das Gehör und der Riechsinn werden etwa laut einer Studie der Ruhr-Universität Bochum präziser. Damit könnten blinde Menschen sich genau orientieren, trotz fehlender visueller Informationen.

Untersuchung dauert bis zu 50 Minuten

Simone Hahn greift entschlossen in das Papierschälchen mit Klebestreifen und zieht sich einige heraus. Die rot-weiß gestreiften Bänder dienen der gelernten Sozialpädagogin als eine Art Koordinatensystem, um die Brust und die umgebenden Lymphdrüsen abzutasten. Je nach Brustgröße braucht Hahn 30 bis 50 Minuten pro Patientin - deutlich länger, als viele Frauenärztinnen- und ärzte dafür aufbringen.

Falls die Expertin etwas Auffälliges entdeckt, gibt sie den Befund an den Arzt oder die Ärztin in der Praxis weiter, in der sie als Selbstständige arbeitet. Heute ist sie in einer gynäkologischen Praxis im mittelhessischen Lohra im Einsatz. Immer dabei: ihr Blindenhund, der tiefenentspannt unterm Schreibtisch liegt - ganz nah an den Füßen seines Frauchens.

Besonderer Tastsinn dank des Lesens

„Wenn ich einen möglichen Tumor fühle, bleibe ich erstmal ruhig“, erzählt die Mutter von zwei erwachsenen Kindern. Empathie sei wichtig für ihren Job. Früher hat Hahn im Dialogmuseum Frankfurt gearbeitet. Über den Blindenverband sei sie auf die Stelle als MTU aufmerksam geworden.

Ihren besonderen Tastsinn hat Hahn dem Lesen zu verdanken, vermutet sie: „Bei der Blindenschrift sind die Buchstaben ja erhaben und ich glaube, dadurch sind meine Fingerkuppen sensibilisiert“. Das nötige medizinische Wissen habe sie sich in der Ausbildung angeeignet. „Das war ganz schön schwer“, erinnert sie sich.

Auf der Homepage ihres Arbeitgebers „discovering hands“ können sich interessierte Patientinnen über eine Praxisfinder-Funktion informieren, welcher Gynäkologe in der Nähe die Untersuchungsmethode anbietet. Außerdem sei es möglich, dass die Untersucherinnen Unternehmen besuchen, um den Mitarbeiterinnen vor Ort die Selbstabtastung zu erläutern.

Noch müssen Patientinnen die Kosten oft selbst tragen

Noch übernehmen nicht alle Krankenkassen die Leistung. Patientin Tamara Henke trägt die Kosten für ihre heutige Behandlung selbst. 65 Euro sind das, wie sie erzählt. Jeden Cent sei die Behandlung wert gewesen, sagt die 64-Jährige, die - wie sie selbst sagt - eine „Problembrust“ habe. Erleichtert ergänzt sie: „Der Befund war negativ.“ Einmal im Jahr will die Frau ihre Brust nun von Simone Hahn checken lassen.

32 gesetzliche Krankenkassen sowie alle Privatversicherungen zahlen aktuell die Kosten für die taktile Brustuntersuchung, wie „discovering hands“ angibt. Mehr als 100 Arztpraxen in Deutschland sind nach Angaben der Organisation dabei. Simone Hahn wünscht sich, dass noch mehr Frauen den Beruf ergreifen: „Wir können damit Leben retten.“

Carina Dobra


Statistik

Weniger neue Ausbildungsverträge in der Pflege




Ausbildungscampus für internationale Pflegekräfte in Neu-Isenburg
epd-bild/Heike Lyding
Der Personalmangel in der Pflege wird durch eine sinkende Zahl von Ausbildenden verschärft. Im vergangenen Jahr wurden weniger Ausbildungsverträge abgeschlossen als 2021. Der diakonische Pflegeverband reagierte "schockiert, aber nicht überrascht". Der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste fordert radikale Konsequenzen.

Wiesbaden (epd). Die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge zur Pflegefachkraft ist im vergangenen Jahr zurückgegangen. Wie das Statistische Bundesamt am 4. April in Wiesbaden mitteilte, unterschrieben 52.300 Auszubildende 2022 einen Vertrag zur Pflegefachfrau oder zum Pflegefachmann. Das waren sieben Prozent weniger als 2021.

Der Deutsche Evangelische Verband für Altenarbeit und Pflege (devap) nannte die aktuellen Zahlen „schockierend, aber leider nicht überraschend“. Die katholische Caritas beobachtet entgegen dem Bundestrend in ihren Einrichtungen keinen Rückgang bei der Zahl der Azubis.

76 Prozent des Nachwuchses ist weiblich

Die Pflege bleibt weiblich geprägt: Ende vergangenen Jahres betrug der Frauenanteil in der Ausbildung insgesamt 76 Prozent, bei den neu abgeschlossenen Verträgen waren es 74 Prozent. Ende 2022 befanden sich den vorläufigen Zahlen des Bundesamts zufolge insgesamt 110.800 Pflegefachfrauen und 35.800 Pflegefachmänner in Ausbildung.

Nach Angaben des Branchenverbandes devap zeichnet sich der rückläufige Trend bei den diakonischen Trägern seit 2020 ab. „Wir haben deutlich weniger Bewerber, weil wir massiv in Konkurrenz zu anderen Ausbildungsberufen stehen, die mittlerweile ebenfalls um jeden Auszubildenden kämpfen müssen“, sagte devap-Geschäftsführerin Anna Leonhardi.

Forderung: Mehr Menschen aus dem Ausland interessieren

Perspektivisch könne der Personalmangel nicht nur mit Bewerberinnen und Bewerbern aus dem Inland gefüllt werden. „Die Bemühungen zur Gewinnung von Menschen aus dem Ausland für eine Pflegausbildung in Deutschland - immer unter Beachtung der ethischen Perspektive - müssen weiter ausgebaut und refinanziert werden“, forderte Leonhardi. Außerdem müsse der negative Trend bei den Umschülerinnen und Umschülern gestoppt werden.

Nach Angaben der Caritas tun sich die Pflegeschulen schwer damit, genügend Lehrkräfte für die Pflegeausbildung zu gewinnen. Der Personalmangel in vielen Pflegeeinrichtungen sei ein weiterer Aspekt, der die Ausbildung erschwere, denn es fehle erfahrenes Personal, das sich um den beruflichen Nachwuchs kümmere.

Kritik an Generalistik

„Die generalistische Pflegeausbildung war ein schwerer politischer Fehler“, kommentierte bpa-Präsident Meurer. Er forderte ein Spitzengespräch zur Rettung der Pflegeausbildung. Vor der Zusammenlegung der Ausbildungen kannten die Zahlen nur eine Richtung: nach oben. Vom Schuljahr 2009/2010 bis zum Schuljahr 2019/2020 gab es in der eigenständigen Ausbildung zur Altenpflegefachkraft einen Anstieg um 62 Prozent. „Diesen stabilen Jobmotor hat die Bundesregierung abgewürgt“, rügte Meurer.

Es sei höchste Zeit, mit den Trägerverbänden über Lösungen zur Absicherung und Weiterentwicklung der Ausbildungsstrukturen zu sprechen, „die die Bedarfe der Langzeitpflege endlich angemessen in den Blick nehmen“, so der Präsident.

Mit dem Pflegeberufereformgesetz von 2017 wurden die bis dahin getrennten Ausbildungen in den Berufen Gesundheits- und Krankenpfleger, Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerin sowie Altenpflegerin zum Berufsbild Pflegefachfrau/-mann zusammengeführt. Der Ausbildungsberuf wird seit 2020 angeboten, die Ausbildung dauert drei Jahre.

Markus Jantzer


Jugendhilfe

Interview

Kinderrechte: "Die roten Linien sind schon überschritten"




Torsten Rebbe
epd-bild/Catrin-Anja Eichinger
Torsten Rebbe ist Einrichtungsleiter bei SOS-Kinderdorf Hamburg. Seit zwölf Jahren hat der Diplom-Pädogoge den Führungsposten inne. Er sieht mit Sorge, dass es in der Jugendhilfe immer schwerer wird, Fachkräfte zu finden. Im Interview mit epd sozial spricht er über die Gefahren für die betroffenen Kinder, Notlagen in den Jugendämtern und die überraschenden Vorzüge der Personalkrise.

Hamburg (epd). Er ist der Chef von rund 50 hauptamtlichen Mitarbeitenden und zahlreichen engagierten Ehrenamtlern. Torsten Rebbe leitet SOS-Kinderdorf Hamburg. Die Einrichtung ist konstant auf Wachstumskurs. Doch die Suche nach Fachkräften wird immer schwieriger. „Das hat Folgen. Auch für uns. Das ist eine große Herausforderung“, sagt Rebbe. Die Fragen stellte Dirk Baas.

epd sozial: Herr Rebbe, bevor wir zum Problem des Fachkräftemangels in der Jugendhilfe kommen, erläutern Sie doch bitte, wie SOS-Kinderdorf hier in Hamburg aufgestellt ist und wie Sie arbeiten.

Torsten Rebbe: Ich verwende zur Beschreibung unseres Ansatzes gerne das Bild der Hilfekette. Wir bieten Unterstützung und Beratung an allen Gliedern der Kette: von niedrigschwelligen Angeboten, wo wir versuchen, die Kinder und Eltern so früh wie möglich zu erreichen, bis hin zur Unterbringung junger Menschen in stationären Angeboten, also Wohngruppen.

epd: Wie sehen die Angebote aus?

Rebbe: Es geht los im Offenen Bereich, wo wir mit einem Familiencafé und anderen Angeboten präventiv arbeiten und versuchen, die Kinder über die Eltern zu erreichen. Mit so wenig Aufwand wie möglich wollen wir bestimmte Zustände positiv verändern. Dann gibt es Beratungsangebote und ambulante Hilfen, wenn schon ein bisschen etwas passiert ist oder das Jugendamt auf uns zukommt und Unterstützung für eine Familie erbittet. Wenn wir es nicht schaffen, die Situation in einer Familie durch diese Hilfen zu stabilisieren und zu verbessern, dann haben wir die stationären Hilfen in drei Kinderdorffamilien für je vier Kinder. Diese familienanalogen Angebote sind ein sehr spezielles Angebot in der Jugendhilfelandschaft, das sich tatsächlich anfühlt wie Familie.

epd: Das klingt, als hätten Sie das Ende der Entwicklung erreicht.

Rebbe: Nein. Definitiv nicht, man muss immer in Bewegung bleiben, Dinge nachsteuern, Angebote verbessern und ausbauen. Das tun wir auch, weil wir vor anderthalb Jahren einen Neubau errichten konnten, der viel bessere Möglichkeiten bietet. Vor dem Neubau haben wir 500 bis 1.000 Personen im Monat erreicht, in dem neuen Familienzentrum erreichen wir heute knapp 3.000 Menschen im Monat. Unser Ziel ist es, dies auf 5.000 Kontakte zu steigern.

epd sozial: Kaum eine Branche in Deutschland klagt nicht über fehlende Fachkräfte. Aus Kitas und in der Pflege kennt man die Probleme schon länger. Wie ist die Lage derzeit bei Ihnen in der Jugendhilfe?

Rebbe: Uns als SOS-Kinderdorf in Hamburg geht es noch vergleichsweise gut. Wir spüren zwar auch den Personalmangel, wir brauchen deutlich länger als früher, um Fachstellen wieder zu besetzen. Wir kriegen auch längst nicht mehr so viele Bewerbungen auf den Tisch. Aber bislang haben wir noch immer das benötigte Personal gefunden. Und zwar nicht einfach irgendwen, sondern die qualifizierten Personen, nach denen wir gesucht haben.

epd: Anderen Trägern gelingt das schon nicht mehr ...

Rebbe: Das stimmt. Wir sind im Austausch miteinander, und ich weiß, dass schon Wohngruppen um uns herum geschlossen wurden. Das ist tragisch, wenn man sich vor Augen führt, was das für die betreuten Kinder und Eltern, aber auch für das verbliebene Personal bedeutet.

epd: Warum sind Sie bei SOS-Kinderdorf nicht so unter Druck?

Rebbe: Vielleicht ist die Lage bei uns etwas entspannter, weil wir einen guten Ruf haben. Und wir bemühen uns auch aktiv, die Arbeitsbedingungen so zu gestalten, dass die Mitarbeitenden möglichst zufrieden bei uns arbeiten. Und sicher ist es in einer Großstadt wie Hamburg auch leichter, Fachkräfte zu finden als auf dem flachen Land. Aber klar ist auch: Das Problem des Fachkräftemangels wird größer, sehr viel größer. Und das hat Folgen. Auch für uns. Das ist eine große Herausforderung.

epd: Was heißt das ganz konkret für ihre bestehende Arbeit?

Rebbe: Ich habe ja gesagt, dass wir unsere Angebote noch deutlich ausweiten wollen, doch wie soll das gehen ohne Personal? Und wir brauchen immer Personen, die bereit sind, im Schichtdienst zu arbeiten. Das ist auch nicht jedermanns Sache. Schon heute ist es in manchen Bereichen so, dass wir mindestens drei, vier Monate warten müssen, um Stellen wieder zu besetzen. Das belastet wiederum die Mitarbeitenden, die schon da sind. Im offenen Bereich ist das vielleicht weniger problematisch, da kann dann eben ein Angebot nicht stattfinden. Das ist nicht so tragisch. Aber wenn ich verantwortlich dafür bin, dass zwölf Kinder bei uns leben und auch kontinuierlich rund um die Uhr betreut werden, dann wird es heikel. Die Kinder kann ich nicht nach Hause schicken. Wenn ich kein Personal finde, was mache ich dann mit den Mädchen und Jungen?

epd: Klingt nach schlaflosen Nächten ...

Rebbe: Ja. Es kommt einfach zu wenig Personal nach. Das hat auch massive Folgen für unsere Gesellschaft. Denn Kinder werden ja nicht mal eben ohne Grund aus einer Familie rausgenommen. Da besteht mitunter Gefahr für Leib und Leben. Die Kinder müssen gesund aufwachsen können. Wir reden hier von gewalttätigen Eltern, von psychisch kranken Eltern. Da muss die Jugendhilfe schnell reagieren, doch das kann sie dann vielleicht nicht mehr im nötigen Umfang. Doch was bedeutet es, wenn ich die Kinder nicht mehr irgendwo anders hingeben kann?

epd: Was wären die Folgen?

Rebbe: Die wären hochdramatisch. Wenn das eskaliert, dann muss man auswählen, welchen Kindern und Jugendlichen man schnell hilft und welchen nicht, wer untergebracht wird und wer nicht. Wen lassen wir im Elend sitzen und wen nicht. Wir haben das Problem jetzt schon, dass wir in den Kinderschutzhäusern viel zu wenig Plätze für jüngere Kinder haben. Und es deshalb auch oft dauert, bis eine ordentliche Unterbringung auf Dauer organisiert werden kann. Die Not ist also schon da.

epd: Auch die Jugendämter klagen über fehlendes Personal.

Rebbe: Die Lage in den Jugendämtern, mit denen wir ja eng kooperieren, ist längst ebenfalls problematisch. Dort fehlen auch Fachkräfte, werden Stellen nicht besetzt. Jugendämter haben jedoch das Wächteramt. Wenn das nicht mehr funktioniert, wer guckt da genau hin in die Familien und wer organisiert Hilfe? Da wird der Fachkräftemangel zu einer Gefahr für den Kinderschutz.

epd: Wo sollen die Erzieherinnen und Sozialpädagogen herkommen? Die Ausbildungskapazitäten sind ja begrenzt?

Rebbe: Stimmt. Aber vielleicht hat der Fachkräftemangel da auch was Gutes. Ich bin ein optimistischer Mensch und sehe in den Krisen auch Chancen. Denn es tut sich bereits was zum Positiven. Ich beobachte gerade, dass sich die Arbeitsbedingungen verbessern. Zum Beispiel gibt es quasi keine Jahresverträge mehr, die werden nicht mehr akzeptiert. Dann sagen die Leute, dann gehe ich eben woanders hin. Die Wertschätzung für den Job steigt, das ist meine Beobachtung. Und auch die Bezahlung wird besser, was die Arbeit natürlich auch attraktiver macht. Die Bezahlung muss so sein, dass man ein vernünftiges Leben führen kann. Da ist sicher auch noch Luft nach oben. Doch es geht nicht nur ums Geld. Die Arbeitsbedingungen müssen stimmen, die Teams funktionieren, Dienstpläne verlässlich eingehalten werden. Es muss Fort- und Weiterbildung geben. Das alles muss im Paket stimmen, dann ist viel gewonnen.

epd: Rächen sich jetzt die Versäumnisse der Vergangenheit?

Rebbe: Ja. In der Vergangenheit ist da viel versäumt worden. Vor zehn, fünfzehn Jahren hatte man einen kommenden Personalmangel nicht auf dem Schirm. Man hielt die Jugendhilfe auch nicht für systemrelevant, wie sie erst seit der Corona-Krise so gesehen wird. Zugangsbeschränkungen zur Ausbildung waren früher überall üblich. Das kann man sich heute nicht mehr leisten, wo wir überall händeringend Leute suchen. Wir haben auch selbst reagiert und ein eigenes Ausbildungsprogramm gestartet. Wir haben zwar immer Mitarbeitende gefunden, aber die sind oft nicht lange bei uns geblieben. Die waren zwar ausgebildet, aber eben noch nicht so gefestigt in ihren Erfahrungen, dass sie den Belastungen auf Dauer standhalten konnten. Da setzen wir an mit gezielten Nachschulungen. So werden die Kolleginnen und Kollegen noch mal an verschiedene Themen herangeführt, und es bewährt sich inzwischen seit rund fünf Jahren, ihnen noch weiteres Handwerkszeug zu geben.

epd: Reden wir noch über die Gefährdung der Kinderrechte durch den Personalmangel. Gesundes Aufwachsen, Bildung und Kinderschutz - ist das künftig noch einzulösen oder werden die Gebote nur noch auf dem Papier stehen?

Rebbe: Ich glaube, in vielen Bereichen in Deutschland sind da schon heute rote Linien überschritten. Nehmen wir nur den Lehrermangel in den Schulen. Da kommt das Recht auf Bildung rasch unter die Räder. Oder erinnern wir uns an Corona, wo durch geschlossene Schulen und Home-Schooling Zehntausende Mädchen und Jungen quasi von der Bildung abgehängt wurden. Nehmen wir die Jugendhilfe, wo auch eine düstere Zukunft drohen kann. Wenn Kinder nicht mehr aus belasteten Familien in die Schutzräume etwa von Wohngruppen gebracht werden können, ist das eine Katastrophe. Da sind deren Rechte nach der Kinderrechte-Konvention massiv verletzt. Und eine große Zahl von Kindern wird nicht mehr adäquat versorgt. Wir steuern auf eine schwierige Zukunft zu - so ehrlich muss man sein.



Kirchen

Gastbeitrag

Zeitarbeit: Viele Heime bleiben auf hohen Kosten sitzen




Kirsten Schwenke
epd-bild/Diakonie RWL
Mehr Zeitarbeit durch Personalmangel, verbunden mit hohen Kosten für Fremdfirmen - die die Träger wiederum nicht erstattet bekommen. Das sind zentrale Ergebnisse einer Onlinebefragung zur Zeitarbeit bei den Mitgliedern der Diakonie RWL. Vorständin Kirsten Schwenke stellt in ihrem Gastbeitrag für epd sozial fünf Lösungsvorschläge zur Debatte.

Im Zuge der Umfrage kamen 510 Fragebögen zurück, ausgefüllt von den Trägern aus NRW, Rheinland-Pfalz und dem Saarland. Zeitarbeit wird demnach in jeder vierten Einrichtung genutzt, Tendenz steigend. Zu lesen sind da Aussagen wie diese: „Wenn ich eine Zeitarbeiterin beschäftige, dann kostet diese Person fast das Doppelte - denn die Verleihfirma verdient kräftig mit.“ Oder: „Zum Teil werben Zeitarbeitsfirmen aggressiv um meine Mitarbeitenden: mit 3.000 Euro Handgeld, wenn sie wechseln, festen Arbeitszeiten ohne Schicht- und Wochenenddienste.“ Und: „Oft bezahlen Zeitarbeitsfirmen über Tarif, sie sind damit interessant für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Sie binden Fachkräfte, die für uns nicht mehr zur Verfügung stehen.“

Unsere fünf wichtigsten Erkenntnisse aus den Rückmeldungen sind:

1. Die Herausforderung: Zu wenige Arbeitskräfte für zu viel Arbeit: Ursprünglich war Zeitarbeit dafür gedacht, den Betrieb in Belastungsspitzen aufrechtzuerhalten. Kam das Personal etwa wegen Krankheitsfällen an seine Grenzen, konnte für einen kurzen Zeitraum Fachpersonal aus einer Verleihfirma hinzugebucht werden. Das hat sich geändert. Diakonische Träger melden seit Längerem hohen Bedarf an Arbeitskräften an. Offene Stellen bleiben länger vakant, teilweise können Pflegeeinrichtungen wegen des Personalmangels nicht alle Betten belegen. Pflegedienste müssen Routen absagen, KiTas verkürzen Öffnungszeiten oder schließen tageweise Gruppen. Da Zeitarbeitsfirmen flexibel unterstützen, folgt aus dem Arbeitskraftmangel: Zeitarbeit nimmt zu. Wie stark, zeigt unsere Umfrage: Von einer Verdopplung in den vergangenen drei Jahren berichten Krankenhäuser, Träger der stationären Altenhilfe und der KiTa-Bereich. Von Steigerungen um 150 Prozent berichten Träger der ambulanten Pflege sowie Wohnheime und Werkstätten für Menschen mit Behinderungen.

2. Der Kompromiss: Zeitarbeit als Zwischenlösung: Was als Überbrückung in Arbeitsspitzen gedacht war, wird mehr und mehr zum Regelfall. Ziel muss es sein, die Daseinsvorsorge im pädagogischen, pflegerischen und Gesundheitsbereich so zu finanzieren, dass die reguläre Beschäftigung wieder attraktiver wird. Dabei geht es oft nicht nur um mehr Geld - sondern um sichere Dienstpläne mit geregeltem Frei und mehr Zeit für pädagogische oder pflegerische Handlungen.

Aktuell tritt Zeitarbeit laut der Umfrage bei zwei Dritteln der beantworteten Fragebögen von Krankenhäusern und in der stationären Altenpflege auf. Zwei von fünf Einrichtungen für Menschen mit Behinderung nutzen Zeitarbeit. Auffällig ist, dass auch Bereiche betroffen sind, bei denen dies früher undenkbar war. So greift fast jede fünfte KiTa auf Zeitarbeiterinnen zurück sowie jede zehnte Einrichtung der stationären Jugendhilfe. Bei der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, bei denen eine vertrauensvolle Bindung an das pädagogische Personal wichtig ist, sehen wir Zeitarbeit sehr kritisch.

3. Das Problem: Träger bleiben auf den hohen Kosten für Zeitarbeit sitzen: Ein großes Problem sind die hohen Kosten, die mit jeder hinzu gebuchten Arbeitskraft einhergehen. Diese kosten zwischen 20 bis 50 Prozent mehr als das Arbeitgeberbrutto bei einer Festanstellung. Eine Pflegefachkraft mit fünf Jahren Berufserfahrung verdient bei der Diakonie ohne Schicht- und Wochenendzuschläge etwa 48.000 Euro im Jahr. Für eine Zeitarbeitskraft müssten die Betriebe zwischen 60.000 und 85.000 Euro bezahlen. Diese Mehrkosten bekommen sie von den Pflegekassen nicht refinanziert. Je nach Größe des Trägers können sich die offenen Beträge von mehreren Hunderttausend Euro auf bis zu einstelligen Millionenbeträgen summieren.

4. Die gesellschaftliche Frage: Geld wird dem Sozialsystem entzogen: Die Politik muss die Frage beantworten, ob Steuergeld sowie Geld der Kranken- und Pflegekassen, das für die Daseinsvorsorge und den gesellschaftlichen Zusammenhalt gedacht ist, in diesen Dimensionen an Privatfirmen überwiesen werden soll. Denn wenn jährlich Millionen Euro dem Sozialsystem entzogen werden, verlassen diese nicht nur den regionalen Wirtschaftskreislauf, sondern verbleiben als Gewinne bei Investoren. Dieses Geld fehlt, um die soziale Arbeit zukunftssicher aufzustellen - etwa bei der Digitalisierung oder Investitionen zur Bekämpfung des Klimawandels. Das schadet langfristig der Allgemeinheit.

5. Die Lösungen: Zeitarbeit regulieren und Regelsysteme stärken: Solange Einrichtungen auf Zeitarbeit angewiesen sind, muss diese refinanziert werden. Hilfreich wäre, die Kosten zu deckeln, damit Forderungen der Zeitarbeitsfirmen nicht in Wucher ausarten. Auch trägereigene Personalpools sollten ermöglicht und refinanziert werden. Seit vielen Jahren machen die Unikliniken damit gute Erfahrungen. Wünschen sich Zeitarbeiter und Zeitarbeiterinnen wieder einen regelhaften Job in einem festen Team, dann sollte das leichter möglich sein: Verträge, die Ablösesummen oder Karenzzeiten vorschreiben, sollten verboten werden.

Auf einen wichtigen Aspekt, den die Landesregierungen selbst regeln könnten, weisen Träger aus der stationären Pflege hin: „Wir müssen uns mit einer Umlage an der Ausbildung der Pflegekräfte beteiligen. Das finden wir richtig und machen es gern. Zeitarbeitsfirmen beteiligen sich daran nicht, werben dann aber die ausgebildeten Pflegekräfte ab.“

In Richtung Bundesregierung schicken viele Träger eine klare Bitte: „Wir können den Arbeitskräftemangel nur mit Zuwanderung begegnen. Die Zugänge zum deutschen Ausbildungs- und Arbeitsmarkt müssen dringend erleichtert werden.“

Für uns als Diakonie RWL ist klar: Viele Träger werden auf Zeitarbeit angewiesen sein, um Klienten und Bewohnerinnen helfen zu können. Gemeinsam mit der Politik müssen wir uns aber darüber verständigen, wie unsere Sozialsysteme so gestärkt werden, dass Zeitarbeit unattraktiver wird. Sie muss so gesteuert werden, dass sie weiterhin hilft, Belastungsspitzen abzudecken. Und sie muss so bezahlt werden, dass den Einrichtungen Luft zum Atmen bleibt.

Kirsten Schwenke ist juristische Vorständin des Diakonischen Werkes Rheinland-Westfalen-Lippe.


Selbsthilfe

Tabuthema: "Angst passt nicht zum schicken Selbstbild"



In den Schlagzeilen der vergangenen drei Jahre steht viel über Angst: Corona-Angst, Kriegsangst, Zukunftsangst. Die großen, irrationalen Ängste aber finden wenig Niederschlag in den Medien. Dabei sind Angsterkrankungen bundesweit auf dem Vormarsch.

Bruchsal, München (epd). Über Angst spricht man nicht. „Es sind viel mehr Menschen unterwegs, die an Ängsten leiden, als man weiß“, sagt Tina gegenüber dem Evangelischen Pressedienst (epd). Wie alle Mitglieder der Selbsthilfegruppe „Angst“ in Bruchsal möchte Tina ihren vollen Namen nicht in der Presse lesen - zu groß ist die Angst vor Stigmatisierung.

In den Räumen der Caritas Bruchsal tauschen sich Betroffene von Angststörungen einmal im Monat aus. „Die Gruppe erinnert mich alle vier Wochen daran, etwas für mich zu tun“, schildert die 58-Jährige Tina. Frauen und Männer im Alter zwischen 20 und „50plus“ gehören zur Selbsthilfegruppe. Zuhörer zu haben, ist hilfreich bei der Krankheit. „Es tut gut zu erfahren, dass es Menschen gibt, die wissen, wie es ist, morgens nicht aus dem Bett zu kommen“, sagt Tina.

Oft haben die Ängste keinen erkennbaren Auslöser

Angststörungen gehören laut der „Stiftung Gesundheitswissen“ zu den häufigsten psychischen Erkrankungen in Deutschland. Danach leiden 15 von 100 Deutschen unter Panikattacken oder einer generalisierten Angststörung - das heißt, einer Angst ohne erkennbaren Auslöser.

Dem „DAK-Psychoreport“ von 2022 zufolge gab es 2021 den höchsten Zuwachs bei Krankschreibungen wegen Angststörungen. Im Vergleich zu 2011 nahm die Zahl der Ausfalltage wegen Ängsten um 77 Prozent zu, so die Analyse der DAK. Vom Symptom zur Diagnose „Angststörung“ ist es mitunter ein weiter Weg. Denn Angst zeigt sich gerne körperlich, etwa als Herzrasen, Atemnot, Brustenge.

Panikattacken können jeden treffen. Darüber zu sprechen, falle schwer, berichtet Irene Bruns vom Bundesverband der „Deutschen Angst-Hilfe“ (DASH) in München. Angst sei schambesetzt und passe nicht zu einem schicken Selbstbild, so die stellvertretende Geschäftsführerin: „Viele Betroffene halten sich für verrückt.“

Einsatz gegen Stigmatisierungen

Der Verein unterstützt und vermittelt den Kontakt zu Selbsthilfegruppen. Er wendet sich gegen die Stigmatisierung von Menschen mit Angsterkrankungen und klärt über Vorurteile auf, etwa dem, dass Ängste eine Folge falscher Ernährung seien. Gemeinsam mit der AOK hat die DASH die anonyme Telefon- und Onlineberatung „Peer“ ins Leben gerufen, an die sich Betroffene in ihrer Hilflosigkeit wenden können.

Über die Angst zu sprechen, kann ein erster Schritt sein. Ohne Behandlung verschlimmert sich die Angsterkrankung. Viele Betroffene trauen sich nicht mehr aus dem Haus, werden depressiv oder tragen sich mit Suizidgedanken.

Medikamente können helfen, Ängste kurzfristig besser auszuhalten. Um den Alltag wieder selbstbestimmt zu gestalten, kommen Betroffene aber meist um eine Psychotherapie nicht herum. „Um ohne Medikamente rauszukommen, ist es wichtig, den Verstehensweg zu gehen“, sagt Dunja Voos aus Verden. In ihrem im Februar im Humboldt-Verlag erschienenen Buch „Tritt aus dem Schatten deiner Angst“ erklärt die Psychotherapeutin, warum tief sitzende Ängste so schwer zu fassen sind. „Einer Angst, die aus frühester Kindheit stammt, fehlt die Sprache. Da sagen die Menschen, ich habe Angst, aber ich kann es nicht beschreiben“, berichtet die Autorin. Die meisten meinten, es selbst in den Griff zu bekommen, weiß Irene Bruns. Doch das sei ein Trugschluss. Solange man sich nicht äußere, stehe man sich selbst im Weg.

Susanne Lohse


Forschung

Mögliche Missstände bei Kinderkuren sollen aufgearbeitet werden



Berlin (epd). Die Geschichte der Kinderkuren und Missstände bei den Kindererholungsmaßnahmen in der alten Bundesrepublik sollen wissenschaftlich aufgearbeitet werden. Wie die Deutsche Rentenversicherung sowie die Verbände Diakonie, Caritas und Deutsches Rotes Kreuz am 31. März mitteilten, haben sie sich auf ein entsprechendes Forschungsvorhaben verständigt. Dabei sollen auch „Ausmaß und Formen von Fehlverhalten und Missständen in den Heimeinrichtungen“ unter die Lupe genommen werden. Ergebnisse sollen bis Ende 2024 vorliegen und 2025 veröffentlicht werden, hieß es.

Das Forschungsteam wird den Angaben zufolge geleitet vom Berliner Sozial- und Wirtschaftshistoriker Alexander Nützenadel. Im Mittelpunkt stehe die geschichtswissenschaftliche Aufarbeitung des bundesdeutschen Kinderkurenwesens zwischen 1945 und 1989. Nicht betrachtet wird bei dem Projekt das System in der DDR, wo Kinder in der Nachkriegszeit ebenfalls zu Kuren geschickt wurden. Das System war aber anders organisiert.

Verfehlungen sollen aufgeklärt werden

Kinderkuren waren weit verbreitet. Sie sollten den gesundheitlichen Zustand von Kindern durch bessere Luftqualität und eine ausreichende Ernährung verbessern. In den vergangenen Jahren habe es vermehrt Berichte gegeben, dass Kinder während der Kuraufenthalte aber auch belastende Erfahrungen machten und Opfer von Missständen wurden, hieß es.

Dies soll den Angaben zufolge untersucht werden, indem beim Forschungsprojekt Heimpersonal, Aufsichtsbehörden und die Träger der Einrichtungen sowie Krankenkassen und Rentenversicherung in den Blick genommen werden. Erfahrungen betroffener Kinder und Jugendlicher sollen durch Zeitzeugenberichte und qualitative Interviews eingebunden werden.



Kirchen

Caritas sieht Reha-Träger in akuter wirtschaftlicher Not



Berlin (epd). Der Deutsche Caritasverband weist auf die gefährdete Refinanzierung von Reha-Maßnahmen hin. „Der Bedarf an stationären Vorsorge- und Rehabilitationsleistungen ist pandemiebedingt hoch, die Situation der Reha-Einrichtungen hingegen energiepreisbedingt besorgniserregend“, sagte Caritas-Präsidentin Eva Maria Welskop-Deffaa am 31. März in Berlin. „Vielen geht wirtschaftlich die Luft aus, denn aus dem Energie-Hilfefonds gibt es für sie seit Januar kein Geld mehr.“

Zugleich stellte sie kritisch fest: „Die Bereitschaft der Kostenträger der GKV, die gestiegenen Energiekosten in den Vergütungsverhandlungen angemessen zu berücksichtigen, ist leider äußerst begrenzt.“ Anpassungen an die realen Kostensteigerungen würden regelmäßig verweigert. „Die Krankenkassen müssen gesetzlich in die Pflicht genommen werden, die Vergütungsvereinbarungen an die inflationsbedingten Kostensteigerungen und die erbrachten Leistungen anzupassen. Nur so ließen sich Angebotseinschränkungen für kranke Menschen bei Vorsorge und Rehabilitation vermeiden.“

Der Vorsorge- und Reha-Bereich habe keine Möglichkeiten, die aktuelle Inflationsrate und die damit einhergehenden Defizite ausreichend über die Pflege-Vergütungssätze zu kompensieren. Der Energie-Hilfefonds wurde - entgegen den Empfehlungen der Gas-Wärme-Kommission - auf das Jahr 2022 begrenzt. „Für die Steigerungen des Jahres 2023 bleiben die Häuser auf den zusätzlichen Kosten sitzen, die trotz Energiepreisbremsen erheblich sind“, kritisiert Welskop-Deffaa. Die Therapie- und Versorgungsqualität sei in Gefahr. In einzelnen Fällen sei sogar eine Insolvenz nicht ausgeschlossen.



Kirchen

Caritas: Pflegende Angehörige von Bürokratie entlasten



Münster (epd). Eine Entlastung von pflegenden Angehörigen fordert der Münstersche Diözesancaritasdirektor Dominique Hopfenzitz in der Zeitschrift „caritas in NRW“. Dazu könnte ein pflegegrad-unabhängiges Entlastungsbudget eingeführt werden, so sein Vorschlag. Damit ließe sich Bürokratie abbauen und Information und Beratung sowie Unterstützung für die häuslichen Pflege gewährleisten.

Die von der Bundesregierung angekündigte Pflegereform muss laut Hopfenzitz die Infrastruktur durch Kurzzeit-, Tages- und Nachtpflege verbessern. Pflegende Angehörige dürften „nicht länger von Armut sowie körperlichen und psychischen Erkrankungen bedroht sein“.

Zwei Drittel der Pflegenden sind Frauen

Nach seinen Angaben werden 80 Prozent der etwa fünf Millionen Pflegebedürftigen in Deutschland von Angehörigen oder Freunden betreut - teils mithilfe eines ambulanten Pflegedienstes, teils ohne professionelle Unterstützung. Fast zwei Drittel der pflegenden Angehörigen sind Frauen. Ein Großteil bewege sich körperlich, psychisch und finanziell am Limit. „Ein Pflegekollaps hätte desaströse Folgen für einzelne Menschen, aber auch für unsere Gesellschaft als Ganzes“, warnte der Caritasdirektor.

Weil die steigende Nachfrage nach professioneller Pflege aufgrund des Fachkräftemangels in vielen Fällen bereits jetzt nicht mehr befriedigt werden könne, würden die Unterstützungsleistungen für die pflegenden Angehörigen laut Hopfenzitz immer wichtiger. Zudem müsse auch in den Ausbau der Digitalisierung von Assistenzsystemen investiert werden. Systeme wie die Aufstehhilfe oder die Sturzerkennung im Bad ermöglichten, länger in den eigenen vier Wänden zu leben.

Für die Caritas im Bistum Münster sind 80.000 hauptamtliche Mitarbeitende und 30.000 Ehrenamtliche im Einsatz. Betrieben werden unter anderem 68 Kliniken, rund 150 Einrichtungen der Behindertenhilfe sowie 205 Altenheime.



Behinderung

26. "Bethel athletics" im Juni in Bielefeld



Bielefeld (epd). Zum diesjährigen integrativen Turnier „Bethel athletics“ am 3. Juni in Bielefeld werden wieder mehrere hundert Sportlerinnen und Sportler mit Behinderungen aus ganz Deutschland erwartet. Wettbewerbe gibt es in diesem Jahr in zehn Sportarten, wie die v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel am 31. März in Bielefeld mitteilten. Neben klassischen Disziplinen wie Leichtathletik, Fußball, Judo, Schwimmen und Reiten treten die Teilnehmer auch in Tischtennis, Tanz, Boule sowie Tandem- und Volkslauf gegen einander an. Außerdem steht ein wettbewerbfreies Angebot auf dem Programm, wie es hieß. Eine Anmeldung zu den „Bethel athletics 2023“ ist bis zum 24. Mai online möglich.

Das Sportfest wird bereits zum 26. Mal ausgetragen. Das inklusive Turnier findet im Betheler Sportpark im Bielefelder Stadtteil Gadderbaum statt. Ausrichter ist der Bewegungs- und Sporttherapeutische Dienst Bethel in Kooperation mit der Universität Bielefeld, dem DLRG sowie dem Behinderten- und Rehabilitationssportverband Nordrhein-Westfalen und der Deutschen Reiterlichen Vereinigung.




sozial-Recht

Oberlandesgericht

Pflegeheim muss nicht für Sturz bei Spaziergang haften




Pflegekraft begleitet einen Heimbewohner
epd-bild/Werner Krüper
Pflegeheime können bei ihren Bewohnern nicht jegliche Sturzrisiken ausschließen. Stürzt eine alte Frau bei einem begleiteten Spaziergang aus ungeklärter Ursache, kann dafür nicht der Heimträger haftbar gemacht werden, entschied das Oberlandesgericht Bamberg.

Bamberg (epd). Ein Pflegeheim muss für den Sturz einer Seniorin bei einem begleiteten Spazierengehen nicht geradestehen. Zwar muss eine Pflegeeinrichtung für das von ihr „voll beherrschbare Behandlungsrisiko“ haften, entschied das Oberlandesgericht (OLG) Bamberg in einem kürzlich veröffentlichten Beschluss vom 21. Februar. Erfolge ein Sturz aus ungeklärter Ursache bei einem begleiteten Spaziergang, gehöre dies zum allgemeinen Lebensrisiko des betreuten Menschen. Die Pflegemitarbeiterin müsse für die Begleitung bei Spaziergängen auch nicht besonders qualifiziert sein.

Im Streitfall war die mittlerweile verstorbene Mutter der Klägerin in einer Tagespflegeeinrichtung untergebracht. Am 21. Januar 2019 ging sie mit einer weiteren Frau und einer Praktikantin der Einrichtung spazieren. Als die alte Frau plötzlich stürzte, erlitt sie einen Oberschenkelhalsbruch. Es folgte eine Operation und ein stationärer Krankenhausaufenthalt.

„Pflege- und Organisationsverschulden“

Die Tochter des Sturzopfers verlangte als Erbin mindestens 25.000 Euro Schmerzensgeld sowie weitere 8.766 Euro für nicht von der Versicherung ihrer Mutter übernommene Krankenhaus- und Pflegekosten. Der Spaziergang hätte wegen der herrschenden Glätte an diesem Tag und angesichts des körperlichen Zustands ihrer Mutter nicht durchgeführt werden dürfen. Außerdem sei die Praktikantin nicht als Begleitung für den Spaziergang ausreichend qualifiziert gewesen. Der Pflegeeinrichtung treffe ein ihr zuzurechnendes „Pflege- und Organisationsverschulden“.

Sie verwies zudem auf das Bürgerliche Gesetzbuch. Danach werde ein Fehler des Behandelnden vermutet, „wenn sich ein allgemeines Behandlungsrisiko verwirklicht hat, das für den Behandelnden voll beherrschbar war und das zur Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit des Patienten geführt hat“.

Die Pflegeeinrichtung bestritt eine Verantwortung für die Sturzfolgen. Die Praktikantin sei zuvor „angeleitet und eingewiesen“ worden. Der Sturz sei weder vorherzusehen noch auf Glätte zurückzuführen gewesen. Die Praktikantin hatte angegeben, dass die Frau gestolpert sei. Das Landgericht Bamberg holte ein meteorologisches Gutachten ein, wonach ein glättebedingter Sturz nicht nachweisbar war.

Sturzgefahr nicht auszuschließen

Das OLG entschied, dass die daraufhin eingelegte Berufung „offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg“ habe. Dass pflichtwidrig ein Spaziergang bei eisglatten Verhältnissen gemacht wurde, könne nicht festgestellt werden.

Zwar vermute das Gesetz einen Fehler des Behandelnden, hier die Pflegeeinrichtung, wenn sich „ein allgemeines und für den Behandelnden voll beherrschbares Behandlungsrisiko verwirklicht hat“. Ein Sturz bei einem begleiteten Spaziergang sei aber „kein voll beherrschbares Behandlungsrisiko“. Die begleitende Person könne die Sturzgefahr allenfalls minimieren, nicht aber vollständig ausschließen.

Für das begleitete Spazierengehen bedürfe es auch keiner „spezifischen Ausbildung“. Dies könne „von jeder gesunden erwachsenen Person mit einem durchschnittlichen Maß von Verantwortungsgefühl ausgeübt werden“. Es sei daher nicht zu beanstanden, dass die Praktikantin als Begleiterin eingesetzt wurde.

Lückenlose Beaufsichtigung

Das OLG Karlsruhe hatte mit Urteil vom 18. September 2019 auch die Haftung eines Heimträgers für den Sturz einer demenzkranken Bewohnerin auf der Toilette verneint. Denn Demenzkranke müssten im Heim nicht lückenlos beaufsichtigt werden. Ihnen stehe auf der Toilette auch Anspruch auf Einhaltung der Intimsphäre zu.

Konkret ging es um den Sturz einer 83-jährigen demenzkranken Heimbewohnerin, die vom Pflegepersonal zur Toilette gebracht und dann unbeaufsichtigt gelassen wurde. Als die Frau alleine versuchte, von der Toilette aufzustehen, stürzte sie und brach sich den Oberschenkelhals.

Ihre Krankenkasse bezahlte die Behandlung und verlangte das Geld vom Heimträger zurück. Die Frau hätte durchgehend beaufsichtigt werden müssen.

Das OLG urteilte, dass eine lückenlose Beaufsichtigung, hier auch während des Toilettengangs, die Intimsphäre der Frau in nicht hinzunehmender Weise beeinträchtigt hätte. Anzeichen dafür, dass die Frau auf der Toilette sturzgefährdet sei, habe es vorher nicht gegeben. Der Heimträger müsse daher die Behandlungskosten nicht bezahlen.

Nach einer weiteren Entscheidung des OLG Hamm vom 2. Dezember 2014 muss auch ein Krankenhaus nicht für den Sturz einer Patientin bei ihrem eigenständigen Toilettengang haften. Nehme die Patientin keine vorher angebotene Hilfe vom Pflegepersonal in Anspruch, sei sie für das eigenständige Aufsuchen der Toilette selbst verantwortlich, urteilte das Gericht.

Az.: 4 U 222/22 (OLG Bamberg)

Az.: 7 U 21/18 (OLG Karlsruhe)

Az.: 26 U 13/14 (OLG Hamm)

Frank Leth


Bundesarbeitsgericht

Ohne Corona-Impfung droht Pflegekraft Kündigung



Erfurt (epd). Eine medizinische Fachangestellte eines Krankenhauses darf wegen einer fehlenden Corona-Impfung in der Probezeit gekündigt werden. Diene die verlangte Impfung dem Schutz der Patientinnen und Patienten sowie der Klinikbelegschaft, liege mit der Kündigung keine unzulässige Bestrafung wegen der fehlenden Impfung vor, urteilte das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt am 30. März.

Die Klägerin hatte seit dem 1. Februar 2021 als medizinische Fachangestellte auf verschiedenen Stationen eines Krankenhauses in Rheinland-Pfalz gearbeitet. Der Arbeitgeber verlangte vom medizinischen Personal den Nachweis einer Impfung gegen das Sars-CoV-2-Virus. Er bot auch entsprechende Impfungen an.

„Unzulässige Maßregel“

Doch die noch in der sechsmonatigen Probezeit befindliche Klägerin lehnte die Impfung gegen das Corona-Virus ab. Als der Arbeitgeber ihr wegen des fehlenden Impfnachweises kündigte, hielt sie dies für eine unzulässige „Maßregel“. Sie sei zum damaligen Zeitpunkt auch noch nicht zur Impfung verpflichtet gewesen.

Das BAG urteilte hingegen, dass die Kündigung in der Probezeit wegen der fehlenden Impfung nicht gegen das gesetzliche Maßregelungsverbot verstoßen habe. Das wesentliche Motiv der Kündigung sei nicht die Bestrafung der Klägerin gewesen, sondern vielmehr der Schutz von Patienten und Belegschaft vor einer Infektion durch nicht geimpftes Personal. Ob eine Kündigung auch nach Ablauf der Probezeit wirksam gewesen wäre, hatte das Gericht nicht zu entscheiden.

Az.: 2 AZR 309/22



Bundessozialgericht

Unfallschutz für bahnsurfenden Schüler



Kassel (epd). Schüler stehen auf dem Heimweg von der Schule auch bei einem leichtsinnigen und verbotenen Bahnsurfen unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Dies gilt zumindest dann, wenn der Schüler seine Mitschüler mit der selbstgeschaffenen Gefahr beeindrucken wollte, urteilte am 30. März das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel.

Geklagt hatte ein ehemaliger Gymnasiast aus Brandenburg, der am 21. Januar 2015 nach Schulende seinen Mitschüler mit einem verbotenen Bahnsurfen imponieren und vor ihnen „cool“ erscheinen wollte. Der damals knapp 16-Jährige hatte auf dem Heimweg von der Schule mit einem mitgeführten Vierkantschlüssel die verschlossene Durchgangstür des letzten Waggons eines Regionalzuges geöffnet und war auf das Dach der dahinterliegenden Lok geklettert.

Hochgradige Verbrennungen erlitten

Bei der gefährlichen Aktion erlitt er einen Stromschlag aus der Starkstrom führenden Oberleitung. Der Schüler überlebte schwer verletzt und erlitt hochgradige Verbrennungen von mehr als einem Drittel (35 Prozent) seiner Körperoberfläche.

Die Unfallkasse Brandenburg sah in dem Unfall keinen versicherten Wegeunfall. Dem folgte auch das Landessozialgericht Potsdam. Der Schüler sei reif genug gewesen, um seine Tat einschätzen zu können.

Doch das BSG urteilte, dass ein versicherter Wegeunfall vorgelegen habe. Der Unfallversicherungsschutz gelte auch „bei spielerischen Betätigungen im Rahmen schülergruppendynamischer Prozesse“. Dies sei hier der Fall gewesen. Es könne auch nicht damit gerechnet werden, dass pubertierende Schüler immer rational handelten. Der Kläger sei zudem wegen früherer erfolgreicher Surfaktionen sorglos geworden und habe „cool“ erscheinen wollen. Dies habe zu einer „massiven alterstypischen Selbstüberschätzung“ geführt.

Az.: B 2 U 3/21 R



Bundessozialgericht

Anerkennung von Borreliose als Berufskrankheit erleichtert



Kassel (epd). Eine von Zecken übertragene Borreliose-Erkrankung kann bei im Wald oder in der Landwirtschaft tätigen Beschäftigten nach einem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) leichter als Berufskrankheit anerkannt werden. Für die Anerkennung genügt eine bei der Arbeit bestehende besondere Infektionsgefahr, urteilten am 30. März die Kasseler Richter. Es sei nicht erforderlich, dass der konkrete Zeckenstich bei der Arbeit mit „hinreichender Wahrscheinlichkeit“ bewiesen wird.

Geklagt hatte eine frühere Erzieherin, die von Januar 1999 bis Juni 2000 in einem Waldkindergarten im Raum Stuttgart tätig war. Da es in dem Wald viele Zecken gab, wurden die Eltern angehalten, ihre Kinder regelmäßig daraufhin zu untersuchen. Auch die Klägerin suchte regelmäßig ihren Körper nach den blutsaugenden, nur wenige Millimeter kleinen Parasiten ab.

Nachweis der Infektion erst 2008

Als die Frau im April 1999 grippeähnliche Symptome aufwies, hielt sie dies noch für harmlos. Es folgten jedoch rheumatische Beschwerden, Hautveränderungen und ein chronisches Müdigkeitssyndrom. Erst 2008 wurde eine von Zecken verursachte Infektion mit Borreliose-Bakterien festgestellt. Die mittlerweile erwerbsunfähige frühere Erzieherin beantragte bei der Berufsgenossenschaft (BG) für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege erfolglos die Anerkennung ihrer Borreliose-Erkrankung als Berufskrankheit.

Die BG meinte, dass nicht mit „hinreichender Wahrscheinlichkeit“ nachgewiesen sei, dass die frühere Erzieherin tatsächlich während ihrer Arbeit im Waldkindergarten infiziert worden sei.

Erhöhtes Risiko bestätigt

Das Regierungspräsidium Stuttgart hatte nach Anfrage des Sozialgerichts Aurich mitgeteilt, dass in der Region etwa jede fünfte Zecke mit Borrelien infiziert sei. Für die Klägerin habe im Verhältnis zur Allgemeinbevölkerung ein zwei- bis dreifach erhöhtes Risiko für eine Borreliose bestanden.

Das BSG wies das Verfahren zwar wegen fehlender Tatsachenfeststellungen an das Landessozialgericht (LSG) Celle zurück. Allerdings müsse für die Anerkennung als Berufskrankheit nicht belegt werden, dass ein Zeckenstich während der Arbeit mit hinreichender Wahrscheinlichkeit erfolgte. Es genüge eine „besondere Infektionsgefahr“ während der beruflichen Tätigkeit. Dies müsse das LSG nun noch einmal prüfen.

Az.: B 2 U 2/21 R



Bundesverwaltungsgericht

Kommune muss Mobbing-Vorwürfen nachgehen



Leipzig (epd). Kommunen und andere öffentliche Dienststellen dürfen bei systematischem Anfeinden, Schikanieren oder Diskriminieren einer Beamtin nicht untätig bleiben. Schreitet die Kommune nicht gegen Mobbing ein, kann der Beamtin Schadensersatz zustehen, urteilte am 28. März das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig. Maßgeblich sei danach eine Gesamtschau der Geschehnisse.

Geklagt hatte eine Beamtin, die seit 2007 als Stadtverwaltungsoberrätin im höheren Dienst der Stadt Naumburg (Saale) in Sachsen-Anhalt arbeitete. Dort leitete sie den Fachbereich „Bürgerdienste, Recht und Ordnung“. Als der im Mai 2014 wiedergewählte Oberbürgermeister eine Neuorganisation der Verwaltung verfügte, musste die Klägerin ihren Posten als Fachbereichsleiterin räumen.

Personalrat gab zweifelhafte Pressemitteilung heraus

Die Beamtin wurde nun auf die weniger verantwortungsvolle neu gebildete „Stabsstelle Recht“ umgesetzt. Ihr neues Büro war zunächst nur über eine steile Treppe erreichbar. Als sie länger krank war, gab der Personalrat der Stadtverwaltung in einer Presseerklärung bekannt, dass die Frau sich bei voller Besoldung monatelang in „Krankheit“ geflüchtet habe.

Diese Verhaltensweisen wertete die Klägerin als „gezieltes Mobbing“ des Oberbürgermeisters, zumal dieser ihr im Frühjahr 2014 erklärt habe, das Vertrauen in ihre Person verloren zu haben. Wegen des Mobbings forderte die Beamtin vor Gericht Schadensersatz. Das Oberverwaltungsgericht Magdeburg lehnte den Anspruch indes ab.

Das Bundesverwaltungsgericht hob diese Entscheidung auf und verwies das Verfahren an das OVG zurück. Es habe die Mobbingvorwürfe nicht ausreichend geprüft und zu sehr auf Einzelvorfälle abgestellt. Die Besonderheit des Mobbings liege aber gerade darin, „dass die Zusammenschau mehrerer Einzelakte zur Annahme einer Fürsorgepflichtverletzung führen kann, auch wenn die jeweiligen Einzelmaßnahmen für sich betrachtet nicht zu beanstanden oder jedenfalls nicht von ausreichender Intensität sind“. Maßgeblich sei eine Gesamtschau der Geschehnisse.

Bei Fehlverhalten droht Schadenersatz

Es gehöre zur Fürsorgepflicht öffentlicher Dienstherren, Beamte gegen systematisches Anfeinden, Schikanieren oder Diskriminieren zu schützen. Das gelte insbesondere bei solchem Verhalten durch Vorgesetzte. Andernfalls könne Schadensersatz verlangt werden.

Schließlich müsse das OVG aufklären, ob der Oberbürgermeister von der Pressemitteilung des Personalrats wusste und ob die Gesundheitsbeschwerden der Klägerin mit Mobbing zusammenhänge, entschied das Bundesverwaltungsgericht.

Az.: 2 C 6.21



Landessozialgericht

Berliner Jobcenter muss volle Mietkosten anerkennen



Potsdam (epd). Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg hat ein Berliner Jobcenter dazu verpflichtet, die vollen Mietkosten einer Hartz-IV-Empfängerin zu übernehmen. Die alleinstehende Frau lebte in den Jahren 2015/2016 für rund 640 Euro Warmmiete in einer 90 Quadratmeter großen Dreizimmerwohnung, wie das Gericht am 4. April mitteilte.

Das Jobcenter wollte aber nur rund 480 Euro Mietkosten übernehmen und verwies auf die Ausführungsvorschriften der Senatssozialverwaltung. Danach wird die Grenze der Angemessenheit aus den durchschnittlichen Mietkosten abgeleitet, wie sie der Berliner Mietspiegel für einfache Wohnlagen ausweist.

Suche nach billigerer Wohnung angeblich aussichtslos

Die Klägerin argumentierte, die Suche nach einer günstigeren Wohnung sei im angespannten Berliner Wohnungsmarkt aussichtslos gewesen. Das sieht auch das Landessozialgericht so und erklärte das Vorgehen des Jobcenters für unzulässig.

Laut einem Bericht des Berliner Senats von 2019 weise der Berliner Wohnungsmarkt eine Angebotslücke von 345.000 Wohnungen allein für Einpersonenhaushalte aus. In einer solchen Situation könne das Gericht keinen Grenzwert bestimmen, die Wohnung der Frau sei noch angemessen.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung hat das Landessozialgericht die Revision zum Bundessozialgericht zugelassen.

Az.: L 32 AS 1888/17



Landessozialgericht

Keine Sozialhilfezahlung zum Aufbau einer "Kriegsnotvorsorge"



Stuttgart (epd). Sozialhilfebezieher können wegen des Kriegs in der Ukraine kein Extra-Geld zum Aufbau einer „Kriegsnotvorsorge“ beanspruchen. Weder müsse der Sozialhilfeträger für die Anschaffung eines Lebensmittelvorrats einen „einmaligen Bedarf“ anerkennen, noch stehe dem Sozialhilfebezieher für die Lebensmittellagerung eine Tiefkühltruhe zu, entschied das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg in Stuttgart in einem am 25. März veröffentlichten Urteil.

Damit kann der klagende Rentner für seine gewünschte „Kriegsnotfürsorge“ kein Extra-Geld von der Sozialhilfe verlangen. Wegen des Krieges in der Ukraine hielt er die Anschaffung des Lebensmittelvorrats für gerechtfertigt, weil die Bundesregierung sich in einem „unerklärten Angriffskrieg gegen die Russische Föderation“ befände. Lebensmittel würden immer teurer, die Lieferketten würden zusammenbrechen.

Auch eine zusätzliche Kühltruhe verlangt

Er verlangte daher für die Anschaffung von 80 Litern Getränken und 60 Kilogramm Lebensmittel 500 Euro extra. Damit er die „Kriegsnotvorsorge“ lagern könne, müsse ihm noch für 280 Euro eine Tiefkühltruhe bezahlt werden. Seinen Anspruch begründete er auch damit, dass das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe zum Anlegen eines Notvorrats aufgerufen hatte.

Doch vor dem LSG scheiterte der Rentner. Die Anlage eines Notvorrates führe weder zu einem von der Sozialhilfe zu gewährenden einmaligen Bedarf noch zu einem Anspruch auf „Hilfe in sonstigen Lebenslagen“. Anhaltspunkte für einen Kollaps der Lieferketten infolge des Russland-Ukraine-Krieges gebe es nicht, ließ das Gericht wissen.

Die behördliche Empfehlung zum Anlegen eines Notvorrats sei „völlig unverbindlich“. Der Notvorrat solle nur für zehn Tage inklusiv zwei Liter an Getränken pro Person und Tag angelegt werden. Der Rentner verlange aber weit mehr. Der Notvorrat solle auch nicht auf einmal aufgebaut werden, sondern könne schrittweise aus dem Sozialhilfesatz finanziert werden. Es würden auch nur haltbare Lebensmittel empfohlen, so dass gar keine Kühltruhe erforderlich sei.

Az.: L 7 SO 3464/22



Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte

Trans-Mann zu Recht als Mutter bezeichnet



Brüssel, Straßburg (epd). Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat die Beschwerde eines Trans-Mannes zurückgewiesen, der als Vater seines Kindes in die Geburtsurkunde eingetragen werden wollte. In seinem am 4. April in Straßburg veröffentlichten Urteil kommt das Gericht zu dem Schluss, dass eine schwerwiegende Diskriminierung nicht gegeben sei. Der Kläger war als Frau geboren worden und hatte ein Kind zur Welt gebracht, nachdem seine Identität als Mann bereits anerkannt worden war.

Nachdem das Berliner Bezirksgericht Schöneberg den Kläger 2011 als Mann anerkannt hatte, hatte dieser nach eigenen Angaben die Hormonbehandlung abgesetzt und war wieder fruchtbar geworden. 2013 gebar er ein Kind. Der Kläger beantragte nach der Geburt, als Vater des Kindes eingetragen zu werden, da er ein Mann sei. Weiter forderte er, keine Mutter einzutragen, weil das Kind durch eine Samenspende gezeugt worden war.

Amtsgericht trug ihn als Mutter ein

Das Amtsgericht Schöneberg entschied gegen seinen Willen, er sei als Mutter des Kindes mit seinem zu diesem Zeitpunkt bereits abgelegten weiblichen Namen einzutragen. Eine Beschwerde des Klägers beim Bundesgerichtshof war abgelehnt worden, weil die Mutter eines Kindes nach Auffassung des Gerichts die Person sei, die das Kind geboren hat. Eine Änderung des Geschlechtes einer Person habe keinen Einfluss auf die Rechtsbeziehung zwischen dieser Person und ihren Kindern.

Der Bundesgerichtshof entschied zu dem Fall nach einer Klage, dass das Grundgesetz nicht dazu verpflichte, ein geschlechtsneutrales Abstammungsrecht zu schaffen, nach dem Vaterschaft und Mutterschaft als rein soziale Rollen gesehen und als rechtliche Kategorien abgeschafft würden. Die Verbindung zwischen der Fortpflanzungsfunktion und dem Geschlecht beruhe letztlich unbestreitbar auf biologischen Tatsachen, hieß es: „Die Mutter ist die Person, die das Kind geboren hat.“

Gerichtshof sah kein Fehlverhalten deutscher Behörden

Nachdem das Bundesverfassungsgericht eine Klage 2018 abgelehnt hatte, war der Trans-Mann vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gezogen. Dieser konnte nun kein Fehlverhalten der deutschen Behörden und Gerichte feststellen. Unter den europäischen Staaten gebe es keinen Konsens darüber, wie in den Personenstandsregistern eines Kindes angegeben werden soll, dass ein Elternteil transgender ist. Europäisches Recht sei damit nicht verletzt worden. Der Gerichtshof berief sich unter anderem auf das deutsche Bürgerliche Gesetzbuch, laut dem die Person, die ein Kind geboren hat, dessen Mutter ist.

Az.: 53568/18 und 54741/18




sozial-Köpfe

Verbände

Uta-Micaela Dürig ist Vorständin des Paritätischen Baden-Württemberg




Uta-Micaela Dürig
Paritätischer Württemberg/Jaimee Moses
Uta-Micaela Dürig hat am 1. April die Funktion der Vorständin Sozialpolitik beim Paritätischen Baden-Württemberg übernommen und ist damit Teil einer neuen Doppelspitze mit Ulf Hartmann.

Stuttgart (epd). Der Paritätische Wohlfahrtsverband Baden-Württemberg wird von einer neuen Doppelspitze geführt: Uta-Micaela Dürig (58) hat am 1. April die Vorstandsfunktion Sozialpolitik übernommen, nachdem die langjährige Vorständin Ursel Wolfgramm im Herbst 2022 in den Ruhestand verabschiedet wurde. Die gebürtige Nordrhein-Westfälin ist in Baden-Württemberg seit Januar 2004 in Führungspositionen tätig. Ulf Hartmann setzt seine Tätigkeit als Vorstand für Finanzen und Mitgliederberatung, die er seit dem 1. Februar 2022 inne hat, fort.

Der Verband vertritt nach eigenen Angaben 50.000 Ehrenamtliche und 80.000 Hauptamtliche in über 900 selbstständigen Mitgliedsorganisationen mit insgesamt rund 2.000 sozialen Einrichtungen und Diensten.

„Wir haben mit Uta-Micaela Dürig eine sehr kompetente und sehr gut vernetzte Persönlichkeit für den Vorstandsposten Sozialpolitik gewonnen“, erklärte Holger Wilms, Aufsichtsratsvorsitzender des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Baden-Württemberg: Sie bringe durch ihre langjährige Berufserfahrung und ihre ehrenamtlichen Tätigkeiten viele unterschiedliche Perspektiven und Einblicke ein und verfüge über ein großes Netzwerk in Politik, Sozialwirtschaft, Unternehmen, Wissenschaft und Zivilgesellschaft, sowohl auf Landes- als auch Bundesebene.

„Durch die neue Doppelspitze wird der Paritätische personell und fachlich noch besser in die Lage versetzt, seine Wirkung hin zu einer vielfältigen, solidarischen und gerechteren Gesellschaft zu entfalten“, so Wilms.

Dürig absolvierte nach dem Abitur eine Ausbildung zur Tageszeitungsredakteurin. Berufsbegleitend schloss sie ein Studium am Institut für Kommunikationswissenschaften der Freien Universität Berlin ab und absolvierte später noch eine Ausbildung zur Wirtschaftsmediatorin. Bei der Robert Bosch Stiftung war sie als Geschäftsführerin unter anderem für die Bereiche Gesellschaft, Bildung, Wissenschaft und Gesundheit verantwortlich. Von 2014 bis Ende März 2023 war sie Mitglied im Caritasrat des Stadtverbandes Stuttgart und der Caritas Stiftung.



Weitere Personalien



Miriam Meßling ist zur Richterin des Bundesverfassungsgerichts gewählt worden. Sie ist Vizepräsidentin des Bundessozialgerichts und stammt aus Wuppertal. Nach Stationen an den Sozialgerichten Karlsruhe und Freiburg und einer Abordnung von März 2009 bis Februar 2011 an das Bundessozialgericht als wissenschaftliche Mitarbeiterin, wurde die promovierte Juristin im Herbst 2012 zur Richterin am Landessozialgericht ernannt. Von Juli 2012 bis März 2013 war sie als Berichterstatterin an den Dienstrechtssenat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg abgeordnet. Ab April 2013 leitete sie im baden-württembergischen Ministerium der Justiz und für Europa ein Referat mit Zuständigkeiten unter anderem für Personalangelegenheiten des höheren Dienstes der Fachgerichtsbarkeiten sowie für das Recht des öffentlichen Dienstes. Seit Herbst 2016 ist Meßling Richterin am Bundessozialgericht.

Dieter Eichler ist neuer Landesgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes in Mecklenburg-Vorpommern. Eichler hat die Aufgabe zum 1. April übernommen. Bis zum Sommer werde er die Geschäfte gemeinsam mit Christina Hömke führen, die nach 33 Jahren als Geschäftsführerin in den Ruhestand geht. Der Verwaltungswissenschaftler Eichler sei seit 30 Jahren in unterschiedlichen Bereichen und Funktionen in der Sozialwirtschaft tätig. Zuletzt war er den Angaben zufolge sieben Jahre als Prokurist in Schwerin für den Bereich Verwaltung bei den Dreescher Werkstätten und Anker Sozialarbeit tätig.

Peter Grundler (65), studierter Sozialarbeiter, ist nach knapp 37 Jahren im Dienst der Caritas der Region Biberach-Saulgau in den Ruhestand getreten. 27 Jahre lang war er in leitender Funktion tätig. Als „Regionalleiter mit unermüdlicher Tatkraft und Geschick im Aufbau von Netzwerken hat sich Peter Grundler in den Dekanaten Biberach und Saulgau und darüber hinaus für seine Überzeugung eingesetzt“, würdigte Caritasdirektor Oliver Merkelbach das langjährige Engagement. Grundlers Nachfolge tritt am 1. April Sara Sigg (39) an. Die ehemalige Erzieherin und studierte Sozialarbeiterin arbeitet seit zwei Jahren bei der Caritas Biberach-Saulgau als Fachleitung Soziale Hilfen. In Heidenheim/Brenz geboren, arbeitete Grundler als Verwaltungsfachangestellter und Persönlicher Referent des Sozialbürgermeisters in Heidenheim, bevor er 1986 als Sozialarbeiter für den Bereich „Offene Altenhilfe“ bei der Caritas antrat. Ab 1992 leitete er die Caritaskreisstelle Biberach und übernahm dann 1996 nach der Umstrukturierung der Caritas Rottenburg-Stuttgart die neugeschaffene Stelle der Regionalleitung der Caritas-Region Biberach. Von 1998 bis 1999 leitete er zudem die Fachklinik Hohenrodt in Oggelsberuen.

Birgit Westers (57) bleibt für weitere acht Jahre Jugend- und Schuldezernentin beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL). Die Landschaftsversammlung des Verbandes wählte sie am 30. März in Münster ohne Gegenstimme. Die Juristin übt das Amt seit August 2015 aus. Es ist ihre erste Wiederwahl. Seit Herbst 1996 steht Westers im Dienst des LWL.

Rainer Schmidt, Theologe, ist neuer theologischer Vorstand der Diakonie Michaelshoven in Köln. Er hat die Nachfolge von Birgit Heide angetreten, die in den Ruhestand verabschiedet wurde. Zusammen mit dem kaufmännischen Vorstand, Uwe Ufer, wird Schmidt die Diakonie Michaelshoven leiten. Er bringe als Dozent für Seelsorge und Ethik Erfahrung in der theologischen Arbeit mit, hieß es. Schmidt ist vierfacher Paralympics-Goldmedaillengewinner im Profi-Tischtennis.

Thomas Schwendele, langjähriges ehemaliges Mitglied der Arbeitsrechtlichen Kommission des Deutschen Caritasverbandes, hat das Bundesverdienstkreuz bekommen. Er habe sich über viele Jahre als Vertreter und Verteidiger des kirchlichen Arbeitsrechts verdient gemacht, hieß es zur Begründung. Thomas Rühl, Sprecher der Caritas Mitarbeiterseite: „Thomas Schwendele hat mit seinem Wirken großen Einfluss darauf genommen, dass es bei der Caritas bis heute eine flächentarifliche Regelung gibt. Dass er der erste aus der Reihe der Mitarbeiterseite der Caritas ist, der das Bundesverdienstkreuz erhält, spricht für die Bedeutung seiner Leistungen.“ Schwendele war viele Jahre im Vorstand der Mitarbeiterseite der Arbeitsrechtlichen Kommission, davon lange Zeit als Pressesprecher des Vorstands der ak.mas und auch als Sprecher der Mitarbeiterseite der Zentral-KODA aktiv. Seit Januar 2021 ist Schwendele im Ruhestand. Mit Beginn der neuen Amtszeit wurde er als mitarbeiterseitiger Vorsitzender in den Vermittlungsausschuss der Bundeskommission berufen.

Jan Röhl hat zum Monatsbeginn die Leitung der Klinik für Unfallchirurgie und Orthopädische Chirurgie im Alexianer Krankenhaus Hedwigshöhe Berlin übernommen. Der Facharzt für Chirurgie, Orthopädie und Unfallchirurgie mit Zusatzbezeichnung Spezielle Unfallchirurgie, Notfallmedizin, Sportmedizin und physikalische Therapie ist spezialisiert auf Schulter-​ und Ellenbogenchirurgie, Wirbelsäulenchirurgie sowie geriatrische Beckenchirurgie. Röhl wechselt aus dem nahe gelegenen Krankenhaus in Königs Wusterhausen, in dem er bisher als Leitender Oberarzt in der Abteilung Orthopädie/Unfallchirurgie tätig war.

Marc Dobberstein, seit 2019 als Berater bei der Unternehmens- und Personalberatung contec GmbH in Bochum, hat am 1. April die Leitung des Beratungsfelds Personalmanagement und -entwicklung übernommen. Silvia Breyer, die den Bereich aufgebaut und geleitet hat, wird sich fortan auf die Leitung des Strategischen Nachfolgemanagements bei conQuaesso® JOBS, der Personalberatung von contec, konzentrieren.




sozial-Termine

Veranstaltungen bis Mai



April

18.4. Köln:

Seminar „Die Mitbestimmung des Betriebsrates im Tendenzbetrieb“

der BFS Service GmbH

Tel.: Tel.: 0221/98817-159

19.4. Köln:

Seminar „Konfliktmanagement im Arbeitsverhältnis - vom Personalgespräch über die Abmahnung bis zur Kündigung“

der BFS Service GmbH

Tel.: 0221/98817-159

19.4. Berlin:

Diskussionsveranstaltung „Alles okay? Behindertenhilfe im Zeichen des Fachkräftemangels“

der Fürst-Donnersmarck-Stiftung

Tel.: 030/769700-27

19.-20.4.:

Online-Seminar „Grundlagen 'Positive Führung' - wertschätzend und zukunftsorientiert führen“

der Paritätischen Akademie Berlin

Tel.: 030/2758282-15

19.- 22.4. Nürnberg:

„Werkstätten:Messe“

der Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen

Tel.: 030/944133026

20.4. Köln:

Seminar „Kirchlicher Datenschutz - Datenschutzrecht der evangelischen und katholischen Kirche“

der Unternehmensberatung Solidaris

Tel.: 0251/48261-201

20.-21.4.:

Online-Seminar „Datenschutz und Social Media“

der Fortbildungsakademie des Deutschen Caritasverbandes

Tel.: 0761/200-1700

24.-25.4.:

Online-Seminar „Die Anwendung der ICF in der Hilfeplanung“

der Bundesakademie für Kirche und Diakonie

Tel.: 030/48837-476

24.-26.4.:

Online-Seminar „Die Schnittstelle Eingliederungshilfe - Pflege gestalten“

der Bundesakademie für Kirche und Diakonie

Tel.: 0172/3012819

24.-26.4. Freiburg:

Seminar „Die Kunst, erfolgreich Gespräche mit Mitarbeiter:innen zu führen“

der Fortbildungsakademie des Deutschen Caritasverbandes

Tel.: 0761/2001700

25.4.:

Online-Seminar „Gewinnung von Stiftenden und Hochvermögenden für Vorhaben in der Sozialwirtschaft“

der BFS Service GmbH

Tel.: 0221/98817-159

25.4.-4.5.:

Online-Kurs „Gestaltung und Optimierung von Dienst- und Schichtplänen in sozialen Einrichtungen“

der Paritätischen Akademie Süd

Tel.: 0711 286976-06

27.4.:

Webinar „Wie lebendige Netzwerkarbeit Ihren Spendenerfolg erhöht“

der BFS Service GmbH

Tel.: 0221/98817-159

27.4.-2.5.:

Online-Fortbildung: „Einstieg ins Gemeinwesen: Grundlagen, Handlungsfelder, Methodenkoffer“

der Bundesakademie für Kirche und Diakonie

Tel.: 0173/5105498