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Gastbeitrag

Zeitarbeit: Viele Heime bleiben auf hohen Kosten sitzen




Kirsten Schwenke
epd-bild/Diakonie RWL
Mehr Zeitarbeit durch Personalmangel, verbunden mit hohen Kosten für Fremdfirmen - die die Träger wiederum nicht erstattet bekommen. Das sind zentrale Ergebnisse einer Onlinebefragung zur Zeitarbeit bei den Mitgliedern der Diakonie RWL. Vorständin Kirsten Schwenke stellt in ihrem Gastbeitrag für epd sozial fünf Lösungsvorschläge zur Debatte.

Im Zuge der Umfrage kamen 510 Fragebögen zurück, ausgefüllt von den Trägern aus NRW, Rheinland-Pfalz und dem Saarland. Zeitarbeit wird demnach in jeder vierten Einrichtung genutzt, Tendenz steigend. Zu lesen sind da Aussagen wie diese: „Wenn ich eine Zeitarbeiterin beschäftige, dann kostet diese Person fast das Doppelte - denn die Verleihfirma verdient kräftig mit.“ Oder: „Zum Teil werben Zeitarbeitsfirmen aggressiv um meine Mitarbeitenden: mit 3.000 Euro Handgeld, wenn sie wechseln, festen Arbeitszeiten ohne Schicht- und Wochenenddienste.“ Und: „Oft bezahlen Zeitarbeitsfirmen über Tarif, sie sind damit interessant für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Sie binden Fachkräfte, die für uns nicht mehr zur Verfügung stehen.“

Unsere fünf wichtigsten Erkenntnisse aus den Rückmeldungen sind:

1. Die Herausforderung: Zu wenige Arbeitskräfte für zu viel Arbeit: Ursprünglich war Zeitarbeit dafür gedacht, den Betrieb in Belastungsspitzen aufrechtzuerhalten. Kam das Personal etwa wegen Krankheitsfällen an seine Grenzen, konnte für einen kurzen Zeitraum Fachpersonal aus einer Verleihfirma hinzugebucht werden. Das hat sich geändert. Diakonische Träger melden seit Längerem hohen Bedarf an Arbeitskräften an. Offene Stellen bleiben länger vakant, teilweise können Pflegeeinrichtungen wegen des Personalmangels nicht alle Betten belegen. Pflegedienste müssen Routen absagen, KiTas verkürzen Öffnungszeiten oder schließen tageweise Gruppen. Da Zeitarbeitsfirmen flexibel unterstützen, folgt aus dem Arbeitskraftmangel: Zeitarbeit nimmt zu. Wie stark, zeigt unsere Umfrage: Von einer Verdopplung in den vergangenen drei Jahren berichten Krankenhäuser, Träger der stationären Altenhilfe und der KiTa-Bereich. Von Steigerungen um 150 Prozent berichten Träger der ambulanten Pflege sowie Wohnheime und Werkstätten für Menschen mit Behinderungen.

2. Der Kompromiss: Zeitarbeit als Zwischenlösung: Was als Überbrückung in Arbeitsspitzen gedacht war, wird mehr und mehr zum Regelfall. Ziel muss es sein, die Daseinsvorsorge im pädagogischen, pflegerischen und Gesundheitsbereich so zu finanzieren, dass die reguläre Beschäftigung wieder attraktiver wird. Dabei geht es oft nicht nur um mehr Geld - sondern um sichere Dienstpläne mit geregeltem Frei und mehr Zeit für pädagogische oder pflegerische Handlungen.

Aktuell tritt Zeitarbeit laut der Umfrage bei zwei Dritteln der beantworteten Fragebögen von Krankenhäusern und in der stationären Altenpflege auf. Zwei von fünf Einrichtungen für Menschen mit Behinderung nutzen Zeitarbeit. Auffällig ist, dass auch Bereiche betroffen sind, bei denen dies früher undenkbar war. So greift fast jede fünfte KiTa auf Zeitarbeiterinnen zurück sowie jede zehnte Einrichtung der stationären Jugendhilfe. Bei der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, bei denen eine vertrauensvolle Bindung an das pädagogische Personal wichtig ist, sehen wir Zeitarbeit sehr kritisch.

3. Das Problem: Träger bleiben auf den hohen Kosten für Zeitarbeit sitzen: Ein großes Problem sind die hohen Kosten, die mit jeder hinzu gebuchten Arbeitskraft einhergehen. Diese kosten zwischen 20 bis 50 Prozent mehr als das Arbeitgeberbrutto bei einer Festanstellung. Eine Pflegefachkraft mit fünf Jahren Berufserfahrung verdient bei der Diakonie ohne Schicht- und Wochenendzuschläge etwa 48.000 Euro im Jahr. Für eine Zeitarbeitskraft müssten die Betriebe zwischen 60.000 und 85.000 Euro bezahlen. Diese Mehrkosten bekommen sie von den Pflegekassen nicht refinanziert. Je nach Größe des Trägers können sich die offenen Beträge von mehreren Hunderttausend Euro auf bis zu einstelligen Millionenbeträgen summieren.

4. Die gesellschaftliche Frage: Geld wird dem Sozialsystem entzogen: Die Politik muss die Frage beantworten, ob Steuergeld sowie Geld der Kranken- und Pflegekassen, das für die Daseinsvorsorge und den gesellschaftlichen Zusammenhalt gedacht ist, in diesen Dimensionen an Privatfirmen überwiesen werden soll. Denn wenn jährlich Millionen Euro dem Sozialsystem entzogen werden, verlassen diese nicht nur den regionalen Wirtschaftskreislauf, sondern verbleiben als Gewinne bei Investoren. Dieses Geld fehlt, um die soziale Arbeit zukunftssicher aufzustellen - etwa bei der Digitalisierung oder Investitionen zur Bekämpfung des Klimawandels. Das schadet langfristig der Allgemeinheit.

5. Die Lösungen: Zeitarbeit regulieren und Regelsysteme stärken: Solange Einrichtungen auf Zeitarbeit angewiesen sind, muss diese refinanziert werden. Hilfreich wäre, die Kosten zu deckeln, damit Forderungen der Zeitarbeitsfirmen nicht in Wucher ausarten. Auch trägereigene Personalpools sollten ermöglicht und refinanziert werden. Seit vielen Jahren machen die Unikliniken damit gute Erfahrungen. Wünschen sich Zeitarbeiter und Zeitarbeiterinnen wieder einen regelhaften Job in einem festen Team, dann sollte das leichter möglich sein: Verträge, die Ablösesummen oder Karenzzeiten vorschreiben, sollten verboten werden.

Auf einen wichtigen Aspekt, den die Landesregierungen selbst regeln könnten, weisen Träger aus der stationären Pflege hin: „Wir müssen uns mit einer Umlage an der Ausbildung der Pflegekräfte beteiligen. Das finden wir richtig und machen es gern. Zeitarbeitsfirmen beteiligen sich daran nicht, werben dann aber die ausgebildeten Pflegekräfte ab.“

In Richtung Bundesregierung schicken viele Träger eine klare Bitte: „Wir können den Arbeitskräftemangel nur mit Zuwanderung begegnen. Die Zugänge zum deutschen Ausbildungs- und Arbeitsmarkt müssen dringend erleichtert werden.“

Für uns als Diakonie RWL ist klar: Viele Träger werden auf Zeitarbeit angewiesen sein, um Klienten und Bewohnerinnen helfen zu können. Gemeinsam mit der Politik müssen wir uns aber darüber verständigen, wie unsere Sozialsysteme so gestärkt werden, dass Zeitarbeit unattraktiver wird. Sie muss so gesteuert werden, dass sie weiterhin hilft, Belastungsspitzen abzudecken. Und sie muss so bezahlt werden, dass den Einrichtungen Luft zum Atmen bleibt.

Kirsten Schwenke ist juristische Vorständin des Diakonischen Werkes Rheinland-Westfalen-Lippe.