Bruchsal, München (epd). Über Angst spricht man nicht. „Es sind viel mehr Menschen unterwegs, die an Ängsten leiden, als man weiß“, sagt Tina gegenüber dem Evangelischen Pressedienst (epd). Wie alle Mitglieder der Selbsthilfegruppe „Angst“ in Bruchsal möchte Tina ihren vollen Namen nicht in der Presse lesen - zu groß ist die Angst vor Stigmatisierung.
In den Räumen der Caritas Bruchsal tauschen sich Betroffene von Angststörungen einmal im Monat aus. „Die Gruppe erinnert mich alle vier Wochen daran, etwas für mich zu tun“, schildert die 58-Jährige Tina. Frauen und Männer im Alter zwischen 20 und „50plus“ gehören zur Selbsthilfegruppe. Zuhörer zu haben, ist hilfreich bei der Krankheit. „Es tut gut zu erfahren, dass es Menschen gibt, die wissen, wie es ist, morgens nicht aus dem Bett zu kommen“, sagt Tina.
Angststörungen gehören laut der „Stiftung Gesundheitswissen“ zu den häufigsten psychischen Erkrankungen in Deutschland. Danach leiden 15 von 100 Deutschen unter Panikattacken oder einer generalisierten Angststörung - das heißt, einer Angst ohne erkennbaren Auslöser.
Dem „DAK-Psychoreport“ von 2022 zufolge gab es 2021 den höchsten Zuwachs bei Krankschreibungen wegen Angststörungen. Im Vergleich zu 2011 nahm die Zahl der Ausfalltage wegen Ängsten um 77 Prozent zu, so die Analyse der DAK. Vom Symptom zur Diagnose „Angststörung“ ist es mitunter ein weiter Weg. Denn Angst zeigt sich gerne körperlich, etwa als Herzrasen, Atemnot, Brustenge.
Panikattacken können jeden treffen. Darüber zu sprechen, falle schwer, berichtet Irene Bruns vom Bundesverband der „Deutschen Angst-Hilfe“ (DASH) in München. Angst sei schambesetzt und passe nicht zu einem schicken Selbstbild, so die stellvertretende Geschäftsführerin: „Viele Betroffene halten sich für verrückt.“
Der Verein unterstützt und vermittelt den Kontakt zu Selbsthilfegruppen. Er wendet sich gegen die Stigmatisierung von Menschen mit Angsterkrankungen und klärt über Vorurteile auf, etwa dem, dass Ängste eine Folge falscher Ernährung seien. Gemeinsam mit der AOK hat die DASH die anonyme Telefon- und Onlineberatung „Peer“ ins Leben gerufen, an die sich Betroffene in ihrer Hilflosigkeit wenden können.
Über die Angst zu sprechen, kann ein erster Schritt sein. Ohne Behandlung verschlimmert sich die Angsterkrankung. Viele Betroffene trauen sich nicht mehr aus dem Haus, werden depressiv oder tragen sich mit Suizidgedanken.
Medikamente können helfen, Ängste kurzfristig besser auszuhalten. Um den Alltag wieder selbstbestimmt zu gestalten, kommen Betroffene aber meist um eine Psychotherapie nicht herum. „Um ohne Medikamente rauszukommen, ist es wichtig, den Verstehensweg zu gehen“, sagt Dunja Voos aus Verden. In ihrem im Februar im Humboldt-Verlag erschienenen Buch „Tritt aus dem Schatten deiner Angst“ erklärt die Psychotherapeutin, warum tief sitzende Ängste so schwer zu fassen sind. „Einer Angst, die aus frühester Kindheit stammt, fehlt die Sprache. Da sagen die Menschen, ich habe Angst, aber ich kann es nicht beschreiben“, berichtet die Autorin. Die meisten meinten, es selbst in den Griff zu bekommen, weiß Irene Bruns. Doch das sei ein Trugschluss. Solange man sich nicht äußere, stehe man sich selbst im Weg.