sozial-Recht

Oberlandesgericht

Pflegeheim muss nicht für Sturz bei Spaziergang haften




Pflegekraft begleitet einen Heimbewohner
epd-bild/Werner Krüper
Pflegeheime können bei ihren Bewohnern nicht jegliche Sturzrisiken ausschließen. Stürzt eine alte Frau bei einem begleiteten Spaziergang aus ungeklärter Ursache, kann dafür nicht der Heimträger haftbar gemacht werden, entschied das Oberlandesgericht Bamberg.

Bamberg (epd). Ein Pflegeheim muss für den Sturz einer Seniorin bei einem begleiteten Spazierengehen nicht geradestehen. Zwar muss eine Pflegeeinrichtung für das von ihr „voll beherrschbare Behandlungsrisiko“ haften, entschied das Oberlandesgericht (OLG) Bamberg in einem kürzlich veröffentlichten Beschluss vom 21. Februar. Erfolge ein Sturz aus ungeklärter Ursache bei einem begleiteten Spaziergang, gehöre dies zum allgemeinen Lebensrisiko des betreuten Menschen. Die Pflegemitarbeiterin müsse für die Begleitung bei Spaziergängen auch nicht besonders qualifiziert sein.

Im Streitfall war die mittlerweile verstorbene Mutter der Klägerin in einer Tagespflegeeinrichtung untergebracht. Am 21. Januar 2019 ging sie mit einer weiteren Frau und einer Praktikantin der Einrichtung spazieren. Als die alte Frau plötzlich stürzte, erlitt sie einen Oberschenkelhalsbruch. Es folgte eine Operation und ein stationärer Krankenhausaufenthalt.

„Pflege- und Organisationsverschulden“

Die Tochter des Sturzopfers verlangte als Erbin mindestens 25.000 Euro Schmerzensgeld sowie weitere 8.766 Euro für nicht von der Versicherung ihrer Mutter übernommene Krankenhaus- und Pflegekosten. Der Spaziergang hätte wegen der herrschenden Glätte an diesem Tag und angesichts des körperlichen Zustands ihrer Mutter nicht durchgeführt werden dürfen. Außerdem sei die Praktikantin nicht als Begleitung für den Spaziergang ausreichend qualifiziert gewesen. Der Pflegeeinrichtung treffe ein ihr zuzurechnendes „Pflege- und Organisationsverschulden“.

Sie verwies zudem auf das Bürgerliche Gesetzbuch. Danach werde ein Fehler des Behandelnden vermutet, „wenn sich ein allgemeines Behandlungsrisiko verwirklicht hat, das für den Behandelnden voll beherrschbar war und das zur Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit des Patienten geführt hat“.

Die Pflegeeinrichtung bestritt eine Verantwortung für die Sturzfolgen. Die Praktikantin sei zuvor „angeleitet und eingewiesen“ worden. Der Sturz sei weder vorherzusehen noch auf Glätte zurückzuführen gewesen. Die Praktikantin hatte angegeben, dass die Frau gestolpert sei. Das Landgericht Bamberg holte ein meteorologisches Gutachten ein, wonach ein glättebedingter Sturz nicht nachweisbar war.

Sturzgefahr nicht auszuschließen

Das OLG entschied, dass die daraufhin eingelegte Berufung „offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg“ habe. Dass pflichtwidrig ein Spaziergang bei eisglatten Verhältnissen gemacht wurde, könne nicht festgestellt werden.

Zwar vermute das Gesetz einen Fehler des Behandelnden, hier die Pflegeeinrichtung, wenn sich „ein allgemeines und für den Behandelnden voll beherrschbares Behandlungsrisiko verwirklicht hat“. Ein Sturz bei einem begleiteten Spaziergang sei aber „kein voll beherrschbares Behandlungsrisiko“. Die begleitende Person könne die Sturzgefahr allenfalls minimieren, nicht aber vollständig ausschließen.

Für das begleitete Spazierengehen bedürfe es auch keiner „spezifischen Ausbildung“. Dies könne „von jeder gesunden erwachsenen Person mit einem durchschnittlichen Maß von Verantwortungsgefühl ausgeübt werden“. Es sei daher nicht zu beanstanden, dass die Praktikantin als Begleiterin eingesetzt wurde.

Lückenlose Beaufsichtigung

Das OLG Karlsruhe hatte mit Urteil vom 18. September 2019 auch die Haftung eines Heimträgers für den Sturz einer demenzkranken Bewohnerin auf der Toilette verneint. Denn Demenzkranke müssten im Heim nicht lückenlos beaufsichtigt werden. Ihnen stehe auf der Toilette auch Anspruch auf Einhaltung der Intimsphäre zu.

Konkret ging es um den Sturz einer 83-jährigen demenzkranken Heimbewohnerin, die vom Pflegepersonal zur Toilette gebracht und dann unbeaufsichtigt gelassen wurde. Als die Frau alleine versuchte, von der Toilette aufzustehen, stürzte sie und brach sich den Oberschenkelhals.

Ihre Krankenkasse bezahlte die Behandlung und verlangte das Geld vom Heimträger zurück. Die Frau hätte durchgehend beaufsichtigt werden müssen.

Das OLG urteilte, dass eine lückenlose Beaufsichtigung, hier auch während des Toilettengangs, die Intimsphäre der Frau in nicht hinzunehmender Weise beeinträchtigt hätte. Anzeichen dafür, dass die Frau auf der Toilette sturzgefährdet sei, habe es vorher nicht gegeben. Der Heimträger müsse daher die Behandlungskosten nicht bezahlen.

Nach einer weiteren Entscheidung des OLG Hamm vom 2. Dezember 2014 muss auch ein Krankenhaus nicht für den Sturz einer Patientin bei ihrem eigenständigen Toilettengang haften. Nehme die Patientin keine vorher angebotene Hilfe vom Pflegepersonal in Anspruch, sei sie für das eigenständige Aufsuchen der Toilette selbst verantwortlich, urteilte das Gericht.

Az.: 4 U 222/22 (OLG Bamberg)

Az.: 7 U 21/18 (OLG Karlsruhe)

Az.: 26 U 13/14 (OLG Hamm)

Frank Leth