Frankfurt a.M. (epd). Margot Käßmann erntet scharfen Widerspruch für Äußerungen zu einem Zurückstecken der Älteren in der Corona-Krise. Der Bremer Altbürgermeister Henning Scherf (SPD), die Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Irmgard Schwaetzer, und der Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert lehnten am 28. Mai einen "Deal" der Generationen entschieden ab, wie ihn die Theologin Käßmann ins Gespräch gebracht hatte. Die frühere hannoversche Landesbischöfin und EKD-Ratsvorsitzende verteidigte ihre Position: Ihr sei es vor allem um die Interessen von Kindern gegangen. Auch zu der Bezeichnung der 60- bis 70-Jährigen als "Luxusgeneration" stehe sie.
Der 81 Jahre alte Scherf nannte einen "Deal" der Generationen "völlig verdreht" und warnte davor, Menschen verschiedenen Alters gegeneinander auszuspielen. Das sei "auf eine schreckliche Weise befremdlich". "Wir sind alle Kinder Gottes, alle schutzbedürftig und müssen in dieser Krise alle solidarisch aufeinander aufpassen", sagte er dem Evangelischen Pressedienst (epd). Er schätze Käßmann als kluge Frau: "Aber in diesem Punkt hat sie sich verrannt."
Die 78-Jährige frühere Bundesministerin und FDP-Politikerin Schwaetzer sagte dem epd, wenn Käßmann fordere, "die Alten sollen freiwillig auf Kontakte, also in der Konsequenz auch Besuche der eigenen Kinder verzichten, muss ich widersprechen: Das geht gegen die seelische Gesundheit."
Die 61 Jahre alte Käßmann hatte dem Straßenmagazin "Asphalt" gesagt: "Wenn ich wüsste, dass die Kleinen und Jüngeren wieder rauskönnen, wenn wir, die über Sechzigjährigen, die Risikogruppen, zu Hause blieben, wenn das der Deal wäre, dann würde ich mich darauf einlassen." Die Älteren hätten ein gutes Leben gelebt und seien "mehrheitlich die Luxusgeneration, die es so gut hatte wie keine Generation vorher und keine danach". Deshalb sei es angesichts der Bedrohung durch Covid-19 jetzt an ihnen, zugunsten der Kinder zu verzichten.
Der Präsident des Deutschen Kinderschutzbundes, Heinz Hilgers, sagte dem epd: "Mich befremdet, wie Frau Käßmann auch, dass bei allen Lockerungsdebatten die Rechte von Kindern kaum eine Rolle spielen." Es werde viel zu wenig darüber diskutiert, wie Kinder zu ihrem verbrieften Recht auf Bildung kämen und wie Chancengleichheit unter Homeschooling-Bedingungen hergestellt werden könne. "Eine zwangsweise Isolierung älterer Menschen und Menschen mit Vorerkrankungen ist aber der falsche Weg", sagte Hilgers.
Der Juso-Vorsitzende Kühnert sagte, der Vorschlag Käßmanns diskriminiere Ältere. Jüngere Menschen sollten nicht gegen ihre Eltern und Großeltern ausgespielt werden. Zudem vermittle der Vorstoß ein falsches Krankheitsbild, sagte der 30-Jährige dem epd, da auch junge Menschen an Covid-19 mit schweren Verläufen erkranken könnten.
Käßmann sagte am 28. Mai zu der von ihr losgetretenen Debatte: "Mein Gefühl ist, dass sich jetzt Menschen empören, die meinen, ich wollte ihre Freiheit einschränken. Menschen, die vor allem in meinem Alter sind." Ihr sei es viel mehr darum gegangen, die Situation der Kinder in den Mittelpunkt zu stellen. "Denn sie sind es, die in der Corona-Krise die massivsten Einschränkungen aushalten müssen, die am meisten leiden", sagte sie dem epd.
Die Theologin betonte: "Als siebenfache Großmutter würde ich sofort für das Wohl meiner Enkelkinder einen Schritt zurücktreten, ohne mich in unzumutbarer Weise in meinen Rechten eingeschränkt zu fühlen, wenn das für sie hilfreich wäre." Auch zu der Bezeichnung "Luxusgeneration" stehe sie: "Und damit meine ich ausdrücklich die Menschen meines Alters. Die Generation der 60- bis 70-Jährigen."
Es gehe nicht um geldwerten Luxus. "Sondern darum, dass sie weder den Krieg noch die harten Entbehrungen danach erleben mussten, sondern ein Leben lang in Frieden und Freiheit gelebt haben - und viele Menschen dieser Generation auch in materieller Sicherheit", erläuterte sie.
Frankfurt a.M. (epd). Vertreter der evangelischen und der katholischen Kirche haben an Pfingsten zu Dialog, Gemeinsinn und Zusammenhalt in der Corona-Krise aufgerufen. Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, wies in seiner Predigt am 31. Mai in München auf die Notwendigkeit der Zusammenarbeit auf nationaler, europäischer und globaler Ebene hin. Der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, rief die Kirche auf, sich mehr zu öffnen und sich den Menschen zuzuwenden.
In Rom hielt Papst Franziskus sein Mittagsgebet erstmals seit Beginn der Corona-Pandemie wieder mit Pilgern auf dem Petersplatz ab. Den Pfingstgottesdienst im Petersdom feierte er mit 50 weit auseinander platzierten Gläubigen. In seiner Predigt erinnerte er an die einheitsstiftende Botschaft des Pfingstfests. Beim anschließenden Gebet, das er vom Fenster des Apostolischen Palastes aus sprach, erinnerte er an Indigene im Amazonas-Gebiet, die dem Coronavirus besonders schutzlos ausgeliefert seien. Der Petersplatz ist seit dem 18. Mai wieder für Besucher geöffnet.
Auch die Pfingstgottesdienste von Protestanten und Katholiken in Deutschland fanden unter strengen Hygieneauflagen statt. In den Kirchen mussten Besucher den Mindestabstand einhalten, einen Mund-Nasen-Schutz tragen und sich namentlich registrieren. In der Münchner Matthäuskirche, in der der bayerische Landesbischof Bedford-Strohm predigte, fanden nicht wie sonst rund 1.000 Menschen, sondern nur 120 Platz. Bischof Bätzing feierte den Gottesdienst im Limburger Dom mit 70 Gläubigen.
Bedford-Strohm forderte mit Blick auf ein zunehmend gereiztes gesellschaftliches Klima dazu auf, anderen Menschen wirklich zuzuhören. Es sei zwar richtig gewesen, scharf zu reagieren auf Demonstranten, die bewusst und provokativ Abstandsregeln missachteten. Aber es sei genauso richtig hinzuhören, was sie zu sagen haben - "in der ganzen Unterschiedlichkeit zwischen gut begründetem kritischen Einspruch und verschwörungstheoretischer Verwirrtheit", sagte der Theologe.
Bätzing verwies darauf, dass die Mehrheit der Bürger mit der zeitweisen Einschränkung der bürgerlichen Freiheiten im Zuge der Pandemie einverstanden gewesen sei. Die Wirkung der Maßnahmen zeige Erfolg. Allerdings gebe es auch "seltsame Koalitionen von völlig berechtigten Anliegen mit solchen von Esoterikern und Verschwörungstheoretikern, von rechten und linken Demonstranten", sagte der Limburger Bischof.
Kardinal Reinhard Marx rief zu einer respektvollen Kommunikation in der Corona-Krise auf. Man bekomme den Eindruck, "dass viele gar nicht mehr zuhören und verstehen wollen, sondern nur noch ihre Behauptungen und Positionen laut in die gesellschaftliche Debatte werfen", sagte der frühere Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz am 31. Mai im Münchner Liebfrauendom.
Der hannoversche Landesbischof Ralf Meister wies auf die einigende Kraft des Pfingstfestes hin. Die in der biblischen Pfingstgeschichte geschilderte gemeinschaftliche Erfahrung erlebe zurzeit aber eine Bewährungsprobe, sagte der Theologe am 31. Mai in der hannoverschen Marktkirche. "Wir versuchen in unseren Gemeinden, aber auch in der ganzen Gesellschaft, unter den Begriffen Solidarität oder Nachbarschaftshilfe eine Gemeinschaft zusammenzuhalten, die bedroht ist", sagte der Theologe.
Der Bischof der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, Frank Otfried July, rief zu mehr Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft gegenüber Fremden auf. Unter Christen könne es keinen Rassismus geben, egal welcher Herkunft und welchen Glaubens ein anderer Mensch sei, sagte July am 1. Juni in der Stuttgarter Stiftskirche.
Der pfälzische Kirchenpräsident Christian Schad sagte am 31. Mai in der Speyerer Gedächtniskirche, gerade in der Corona-Krise könnten Menschen erfahren, dass sie trotz körperlichen Abstands miteinander verbunden seien. Der Essener katholische Bischof Franz-Josef Overbeck rief zur Solidarität in der Corona-Krise auf. "Wir Menschen können nur zusammen leben und auch nur zusammen überleben", sagte er am Sonntag im ZDF-Fernsehgottesdienst in Bensheim.
Für Christen gilt das Pfingstfest als "Geburtstag der Kirche", es ist das Fest des Heiligen Geistes. In der biblischen Geschichte sorgt Gottes heilige Geistkraft dafür, dass sich plötzlich Menschen unterschiedlicher Sprachen und Nationen ohne Hemmnisse verstehen.
Frankfurt a.M. (epd). Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, prophezeit gesellschaftliche Veränderungen durch die Folgen der Corona-Pandemie. In einem Gastbeitrag in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (25. Mai) schreibt er, die Corona-Krise werde "fundamentale Folgen für die sozialpsychologischen, sozialkulturellen und sozialspirituellen Tiefenstrukturen unserer Gesellschaft haben". Bedford-Strohm äußert sich in dem Beitrag auch zu Vorwürfen gegen die Kirchen, sie hätten in der Krise versagt. Vergangene Woche hatte die ehemalige Thüringer Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU) den Kirchen vorgeworfen, Schwache und Kranke allein gelassen zu haben. Das hatte Widerspruch hervorgerufen.
Bedford-Strohm, der auch bayerischer Landesbischof ist, wandte sich gegen theologische Deutungen, die Corona-Pandemie sei eine Strafe Gottes. Versuche, Gott zu erklären, führten nicht weiter. Das Staunen über Gottes Unbegreiflichkeit gehöre zum Glauben dazu. Aber durch Jesus Christus, in dem sich Gott offenbar thabe, sei deutlich zu sehen, dass Gott kein "Rachedämon" sei. Er schicke kein Virus, um Menschen zu bestrafen und dazu noch so, dass damit zuallererst die Schwachen und Verletzlichen getroffen würden.
Wer den Glauben ernst nehme, der übe Verantwortung. Die Kirchen und ihre Mitarbeitenden hätten versucht, unter schwierigen Bedingungen ihren Dienst zu tun. "Gerade bei der Seelsorge in Altenheimen und Krankenhäusern war das mit unauflöslichen Zielkonflikten verbunden - zwischen dem dringlichen Wunsch nach größtmöglicher, auch körperlicher Nähe einerseits und der Begrenzung des gerade hier potenziell tödlichen Ansteckungsrisikos andererseits", schreibt Bedford-Strohm. "In diesen Zielkonflikten Menschen auch etwas schuldig geblieben zu sein, ist eine Last, die wir zu tragen haben und nur in Gottes Hand legen können."
Die erste Erkenntnis aus der Krise sei, dass der Mensch trotz materieller und technologischer Möglichkeiten verletzlich sei. Krankheit und Tod seien vor der Krise oft gedanklich in die Krankenhäuser und Altenheime "abgeschoben" worden. Plötzlich dächten aber alle über Krankenhauskapazitäten, Sterberaten, Ansteckungsrisiken und Trauergottesdienste nach. Aufgabe der Kirche nach der Krise könne es sein, die Grenzen menschlicher Möglichkeiten zu sehen und die Frage nach Gott und damit nach dem Sinn menschlichen Seins neu zu stellen.
Die Krise könne außerdem ein Anlass sein zum Nachdenken, wie die Menschen ihren Lebensstil den Grenzen des Planeten anpassen könnten.
Bremerhaven (epd). Nach dem Ausbruch des Coronavirus im Zusammenhang mit einem Gottesdienst einer freikirchlichen Pfingstgemeinde in Bremerhaven steigt die Zahl der positiv getesteten Personen. Bis zum 29. Mai seien 44 Infektionen im Umfeld der Gemeinde nachgewiesen worden, sagte der Leiter des Corona-Krisenstabes in Bremerhaven, Ronny Möckel. "Wir rechnen grundsätzlich mit weiter steigenden Zahlen", sagte der Chef des Bremerhavener Gesundheitsamtes am Freitag vor Pfingsten. Am Gottesdienst hätten etwa 150 Besucher teilgenommen, darunter auch Gäste, die später positiv getestet worden seien.
Zur Gemeinde gehören 800 bis 1.000 Mitglieder aus Bremerhaven und aus dem Umland im Landkreis Cuxhaven. "Mit der Leitung der Religionsgemeinschaft besteht Kontakt hinsichtlich der Aufklärung", sagte Möckel. Ob die Infektionen direkt auf den Gottesdienst zurückzuführen sind und ob im Gottesdienst Fehler hinsichtlich des Infektionsschutzes gemacht wurden, muss seinen Worten zufolge noch geklärt werden. Alle Zusammenkünfte in der Gemeinde seien nun für zwei Wochen untersagt.
"Wir arbeiten zunächst mit Hochdruck an den Ermittlungen, was weitere Kontaktpersonen angeht", sagte Möckel. Es gebe eine umfangreiche Liste. Ein erster Infektionsfall wurde am 23. Mai festgestellt. Die Betroffenen sind zwischen zwölf und 80 Jahre alt.
"Was mich positiv stimmt: Der Altersdurchschnitt ist relativ niedrig", sagte Möckel. Zwei Infizierte seien im Krankenhaus, darunter eine Schwangere. Sowohl positiv Getestete wie Kontaktpersonen kämen aus Bremerhaven und dem Umland. Insgesamt befänden sich derzeit allein in Bremerhaven im Zusammenhang mit dem Sars-Cov2-Ausbruch in der Gemeinde mehr als 100 Menschen in Quarantäne. Um weitere Ansteckungen zu identifizieren, werde großzügig getestet, "über die Symptom- und Stadtgrenze hinaus", ergänzte Möckel.
Im Zusammenhang mit einem Gottesdienst verzeichnet Bremerhaven nach Frankfurt den zweiten Coronavirus-Ausbruch in Deutschland. In einer Frankfurter Baptistengemeinde sind inzwischen 200 Personen im Umfeld der Gemeinde positiv getestet worden. Am vergangenen Wochenende war bekanntgeworden, dass es dort aufgrund eines Gottesdienstes am 10. Mai zur massenhaften Verbreitung des Virus in der selbstständigen Evangeliums-Christen-Gemeinde kam. Die Teilnehmer trugen keinen Mund-Nasen-Schutz und sangen während der Feier.
München (epd). Die bayerische Landeskirche reagiert auf die Corona-Krise mit einem eigenen Rettungsschirm. Knapp 30 Millionen Euro umfasse dieses Unterstützungspaket für die Diakonie und kirchliche Einrichtungen, wie die Landeskirche am 27. Mai mitteilte. Mit diesen Mitteln solle der Betrieb von diakonischen Einrichtungen gesichert werden. Außerdem gebe es zusätzlichen Finanzbedarf bei der Existenzsicherung für alleinerziehende oder wohnungslose Menschen, Rentner, Schutzeinrichtungen für Kinder und Frauen, bei der Hilfe für Strafgefangene, Tafeln oder Besuchsdienste. Ebenfalls unterstützt werden kirchliche Bildungs- und Tagungshäuser, die durch das Kontaktverbot erhebliche Einnahmeverluste zu verzeichnen hätten. Bundesweit stellen sich Bistümer und Landeskirchen auf schwere finanzielle Einbußen infolge der Corona-Krise ein.
Die Auswirkungen der Corona-Pandemie treffe die bayerische Landeskirche hart, sagte der kirchliche Finanzchef Erich Theodor Barzen. Für das laufende Jahr 2020 sei deshalb ein Defizit von 131 Millionen Euro zu erwarten. Denn die Kirchensteuer-Einnahmen werden, so die Prognose, um 95 Millionen auf 696,6 Millionen Euro zurückgehen. Auch die Finanzerträge aus Wertpapieren würden um 22,5 Millionen Euro geringer ausfallen als geplant. Dazu komme noch das unvorhergesehene Corona-Hilfspaket in Höhe von 29,5 Millionen Euro. Ursprünglich hatte die Landeskirche für 2020 mit einem ausgeglichenen Haushalt von 961 Millionen Euro geplant.
Schweringen (epd). Anderthalb Jahre nach ihrer Entwidmung ist am Pfingsonntag im niedersächsischen Schweringen eine frühere "Hakenkreuzglocke" als Mahnmal wieder eingeweiht worden. Die Bronzeglocke in der dortigen Kreuzkirche war im November 2018 nach einem heftigen Streit in dem 800-Einwohner-Dorf stillgelegt und von zwei Künstlern aus Nürnberg umgestaltet worden. Die evangelische Regionalbischöfin Petra Bahr übergab sie bei einer kleinen Feier neu ihrer Bestimmung. Wegen der Corona-Pandemie fand die Feier in nichtöffentlichem Rahmen statt.
Die rund 1.800 Kilogramm schwere "Vaterlandsglocke" aus dem Jahr 1934 war im Herbst 2017 in die Schlagzeilen geraten, nachdem die hannoversche Landeskirche dort bei Nachforschungen ein eingegossenes Hakenkreuz entdeckt hatte. Danach kam es im Dorf zu einer heftigen Kontroverse darüber, ob die Glocke weiter läuten oder ausgetauscht werden sollte. Die Landeskirche bot einen Austausch an. Kurz vor Ostern 2018 stiegen Unbekannte unbemerkt auf den Kirchturm und frästen das 35 mal 35 Zentimeter große Hakenkreuz und Teile einer NS-Inschrift mit einem Winkelschleifer weg.
Die Nürnberger Künstler Hannes Arnold und Klaus-Dieter Eichler haben auf dem heute beschädigten Glockenkörper inzwischen einen warnenden Bibelvers angebracht, der sich wie eine Schärpe quer über das Metall zieht. Zudem enthüllten sie am Sonntag am Fuße des Kirchturms ein Kunstwerk, das Besucher an die Geschichte der Glocke erinnern soll. Für die künstlerische Umgestaltung investierte die hannoversche Landeskirche rund 30.000 Euro.
Regionalbischöfin Bahr betonte, die kritische Beschäftigung mit der Glocke sei langwierig, aber notwendig gewesen. "Die alte Glocke ist verwandelt. Sie ist eine Beziehung mit dem Mahnmal vor der Tür eingegangen. Nun kann jeder sehen, dass diese Glocke eine Geschichte hat", sagte die Theologin am 31. Mai . Die Glocke läute wieder. Sie trage schwer am Gewicht ihrer Geschichte, aber das Wort Jesu lasse sie leicht werden.
Eine weitere niedersächsische "Hakenkreuzglocke" war 2017 in Faßberg bei Celle entdeckt worden. Sie wurde inzwischen ausgetauscht. Schlagzeilen machte auch eine mit Nazi-Symbolen ausgestattete Glocke im pfälzischen Herxheim am Berg. Zudem tauchten vier weitere "Nazi-Glocken" in evangelischen Kirchen in der Pfalz auf, dazu zwei in Berlin und eine in Saarland.
Berlin (epd). Der Berliner Landesbischof Christian Stäblein sieht das umstrittene neue Kuppelkreuz auf dem Berliner Humboldt-Forum vor allem als Verpflichtung. Das Kreuz sei das zentrale christliche Symbol, das viel Missbrauch in seiner Geschichte überstanden habe, sagte der Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Bradenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO) am 30. Mai in einer Rundfunkansprache. Seine Botschaft laute Hingabe, Vergebung und Versöhnung, "nicht Dominanz und Herrschaft", betonte Stäblein: "Sein Gold strahlt für alle, die ausgegrenzt und erniedrigt werden."
Dagegen hinterlasse das ebenfalls umstrittene Spruchband bei ihm Skepsis, sagte Stäblein. "Intolerante Exklusivitätsansprüche sind - auch als historische Zitate - gefährlich und brauchen Gegenbilder", so der Bischof. Das Humboldt-Forum werde für diese Gegenbilder sorgen. Auch das geplante "House of One", ein gemeinsames Haus für die Religionen, das nur wenige Meter vom Stadtschloss entfernt zeitgleich entstehe, werde ein solches Gegenbild sein. "Wir brauchen diese Zeichen der Gemeinschaft und der Augenhöhe mehr denn je", sagte Stäblein.
Am späten Abend des 29. Mai war auf das rund 644 Millionen Euro teure Humboldt Forum im wiederaufgebauten Berliner Stadtschloss die 17 Tonnen schwere Kuppellaterne samt Kreuz aufgesetzt worden. Um die Wiedererrichtung des Kuppelkreuzes und die Rekonstruktion eines Spruches aus zwei Bibelzitaten am Fuße der Kuppel gibt es heftige Diskussionen. Der Spruch lautet unter anderem, "dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind".
Bremen (epd). Selten hat eine evangelische Gemeinde in Deutschland über Jahre so viele Diskussionen und Schlagzeilen ausgelöst wie St. Martini in der Bremer Innenstadt. Ihr amtierender Pastor Olaf Latzel ließ Frauen nicht auf die Kanzel, beschimpfte andere Religionen und jüngst homosexuelle Menschen, immer mit Rückendeckung seines Kirchenvorstandes und dem Verweis auf eine "bibelzentrierte" Theologie. Ein Blick in die Geschichte zeigt: St. Martini ist seit langer Zeit eine Gemeinde, die Kirche und Gesellschaft polarisiert, geführt von Theologen, die oft als Enfant terrible im Talar auftraten.
Die Kirche entstand im 13. Jahrhundert direkt am Ufer der Weser, inmitten der dicht besiedelten Stadt und gleich neben dem damaligen Hafen. Dort lebten vor allem Kaufleute. "Vermutlich war St. Martini eine begüterte, sicher eine selbstbewusste Gemeinde", heißt es im Bremer kirchengeschichtlichen Standardwerk "Von Abraham bis Zion". Und weiter: "Es scheint, als habe die Nähe zum Fluß die Gemeinde besonders empfänglich gemacht für die mit dem Strom der Zeit herantreibenden neuen Ideen."
So wurde die Gemeinde schnell und radikal von der Reformation erfasst, Altarbilder, Kreuze, Grabmäler und Apostelfiguren gingen zu Bruch. Bald folgte ein Prediger, der jede Anwesenheit Christi im Abendmahl leugnete. Mit Theodor Undereyck (1670-1693) wurde Martini zum Zentrum des reformierten Pietismus. Undereycks Kritik an der erstarrten Kirchenlehre erregte Anstoß, die Gemeinde liebte ihn dafür. Zum Volksfest im Herbst bekam er "jedes Mal einen fetten Ochsen ins Haus geliefert", wie es in der Kirchenchronik heißt.
Geschichte schrieb auch Joachim Neander, der an St. Martini das berühmte Kirchenlied "Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren" dichtete, heute noch auf dem Glockenspiel der Kirche zu hören. Den Weg des strengen Biblizismus und der erwecklichen Theologie setzten nach ihm Gottfried Menken und Georg Gottfried Treviranus fort. Gänzlich anders predigte im Anschluss Moritz Schwalb, ein getaufter Jude, der auf der Kanzel die Gottessohnschaft Jesu leugnete und sozialistisch dachte.
So auch der linksliberale Albert Kalthoff, Mitbegründer und erster Vorsitzender des pazifistischen Deutschen Monistenbundes. Er lud 1904 die amerikanische Predigerin Reverend Anna Howard Shaw ein, in St. Martini zu predigen. Damit war der spätgotische Backsteinbau am Weserufer die erste Kirche in Deutschland, in der eine Frau auf der Kanzel stand - etwas, was Pastor Latzel 2008 einer Kollegin rigoros verwehrte. 1906 strengten sieben Bremer Pastoren ein Verfahren gegen Kalthoff zwecks "Amtsenthebung wegen Atheismus" an.
Konfliktbeladen ging es mit Emil Felden weiter, der die Kinder im Unterricht über die Existenz Gottes abstimmen ließ und aus dem Ergebnis folgerte, der Glaube sei ein Resultat religiöser Dressur. Unter dem Sozialisten und Pazifisten entwickelte sich Martini zur Arbeitergemeinde. Felden setzte sich für die Rechte der Frauen und für die Trennung von Kirche und Staat ein. Nach ihm kamen der NS-treue Karl Refer und Johannes Oberhof, ein religiöser Sozialist, der wegen seiner Teilnahme am II. Weltfriedenskongress in Warschau suspendiert wurde. Nach einem Disziplinarverfahren verlor er sein Amt.
Die gegenwärtige evangelikale Orientierung der Martini-Gemeinde prägte maßgeblich der wortgewaltige Georg Huntemann (1929-2014), zu seiner Zeit einer der führenden Köpfe der deutschen Bekenntnisbewegung. Legendär ist der Auftritt des Pastors Anfang der 1990er Jahre in der RTL-Talkshow "Der heiße Stuhl", bei dem er gegen Pornografie wetterte. Auch für ihn waren Frauen auf der Kanzel ein Gräuel, Maria Jepsen als erster Bischöfin an der Spitze einer lutherischen Kirche solle man das Abendmahl verweigern, forderte er.
Huntemanns Weg setzte Pastor Jens Motschmann fort und stellte sich unermüdlich Tendenzen entgegen, Evangelium und Politik zu vermischen - auch mit bundesweiter Resonanz. Auf ihn folgte schließlich im Dezember 2007 Latzel. So sehr ihn Vertreter einer offenen und liberalen Stadtgesellschaft und -kirche kritisieren: In seiner Gemeinde und vor allem im Netz genießt Latzel großen Rückhalt.
Der Pastor, gegen den die Staatsanwaltschaft Vorwürfe der Volksverhetzung prüft und gegen den die Kirche ein Disziplinarverfahren eröffnet hat, lehnt die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare und die Frauenordination strikt ab. Auf Youtube hat er mehr als 18.000 Abonnenten, seine Predigten verfolgen im Netz Zehntausende. Auch national tritt er bei Zeltmissionen und erwecklichen Treffen auf - und beschimpft dabei regelmäßig seine eigene Kirchenleitung und führende Köpfe der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).
Altenberg, Köln (epd). Evangelische und katholische Theologen haben an Papst Franziskus appelliert, die Bannbulle von Papst Leo X. gegen Martin Luther von 1521 außer Kraft zu setzen. Zugleich solle der Lutherische Weltbund Luthers Verdikt gegen den Papst als "Antichrist" zurücknehmen, heißt es in der am 31. Mai veröffentlichten Altenberger Erklärung "Versöhnung nach 500 Jahren" des Altenberger Ökumenischen Gesprächskreises.
Beide Verurteilungen stünden nach wie vor "wie Prellböcke" einer offiziellen gegenseitigen Anerkennung der evangelischen und katholischen Kirche im Wege, sagte der frühere Kölner Ökumenepfarrer Hans-Georg Link dem Evangelischen Pressedienst (epd). Der 500. Jahrestag der Exkommunikation Martin Luthers am 3. Januar 2021 sei ein angemessener Zeitpunkt, diesen Anstoß endgültig aus dem Weg zu räumen.
Papst Leo X. (1475-1521) hatte Martin Luther (1483-1546) mit einer Bannandrohungsbulle vom 15. Juni 1520 zunächst zum Widerruf seiner Lehren aufgefordert, weil diese ketzerisch seien. Der Reformator sollte seine Lehren spätestens 60 Tage nach Veröffentlichung der Urkunde widerrufen. Luther ließ die Frist verstreichen und verbrannte in einem symbolischen Akt am 10. Dezember 1520 in Wittenberg einen Abdruck der Bulle. Damit vollzog er demonstrativ den Bruch mit der römischen Kirche. Mit der Bannbulle vom 3. Januar 1521 exkommunizierte der Papst daraufhin Luther und seine Anhänger.
Die ökumenischen Bemühungen und Gespräche zwischen Katholiken und Lutheranern seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil hätten dazu beigetragen, die damaligen Ereignisse in einem neuen Licht zu sehen, heißt es in der "Altenberger Erklärung". Angesichts dieser hoffnungsvollen Entwicklungen ersuche der Altenberger Ökumenische Gesprächskreis Papst Franziskus, zu erklären, dass die Verurteilungen der Bannbulle von 1521 die heutigen Angehörigen evangelisch-lutherischer Kirchen nicht treffen.
An die katholische Deutsche Bischofskonferenz und die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) richtet der Ökumene-Kreis die Bitte um ein gemeinsames öffentliches Wort des Bedauerns über die damaligen Vorgänge und der Hoffnung auf Überwindung der gegenseitigen Verurteilungen, die zur Kirchenspaltung geführt haben.
Dem 1999 in Altenberg bei Köln gegründeten Altenberger Ökumenischen Gesprächskreis gehören nach eigenen Angaben rund 30 Theologinnen und Theologen an, darunter die Tübinger Professorin Johanna Rahner, die Direktorin des Ökumenischen Instituts an der Universität Münster, Dorothea Sattler, und einige emeritierte Theologieprofessoren. Er setzt sich mit aktuellen ökumenischen Themen auseinander und veröffentlicht Stellungnahmen.
Frankfurt a.M. (epd). Der katholische Reformdialog wird bis Februar 2022 dauern. Die zweite Vollversammlung des sogenannten Synodalen Wegs wird wegen der Kontaktbeschränkungen durch die Corona-Pandemie nicht wie geplant stattfinden, teilten die katholische Deutsche Bischofskonferenz und das Zentralkomitee der deutschen Katholiken am 29. Mai in Bonn mit. Statt eines Treffens mit allen 230 Delegierten in Frankfurt am Main wird es fünf Regionalkonferenzen geben. Diese finden in Berlin, Dortmund, Frankfurt, Ludwigshafen und München zeitgleich am 4. September statt. Damit wurde das ursprünglich vom 3. bis 5. September geplante Treffen auf einen Tag verkürzt.
"Bei den Regionalversammlungen im September werden wir die Hygieneregeln einhalten können", sagte der Präsident des Zentralkomitees, Thomas Sternberg, der "Süddeutschen Zeitung". "Wir werden unseren Weg weitergehen, nun etwas länger als geplant." Auch für die Synodaltagung im Februar 2021 in Frankfurt werden größere Tagungsräume gesucht. Die erste Synodalversammlung hatte im vergangenen Februar im Dominikanerkloster stattgefunden.
Der Synodale Weg ist ein innerkatholischer Reformdialog, den die Bischofskonferenz und die wichtigste Laienorganisation der Katholiken, das Zentralkomitee, vereinbart haben, um über die Lehren aus dem Missbrauchsskandal sprechen. Die vier Themenforen beschäftigen sich mit klerikalem Machtmissbrauch, priesterlichen Lebensformen und dem Zölibat, der Rolle der Frauen in der Kirche und der katholischen Sexuallehre.
Die Corona-Krise habe auch inhaltliche Auswirkungen auf den Synodalen Weg, sagte der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Georg Bätzing, in dem SZ-Interview. Die Krise sei so einschneidend, dass man nicht einfach zur Tagesordnung übergehen könne. "Unsere Fragen schärfen sich durch Corona sogar", sagte Bätzing, der erst im März zum Nachfolger von Kardinal Reinhard Marx in die Spitze der Bischofskonferenz gewählt worden war. Wenn in der Krise die Frauen die Verliererinnen seien, weil sie die Hauptlast in den Familien schulterten und beruflich zurücksteckten, dann stelle sich auch die Frage nach der Rolle der Frauen in der Kirche noch deutlicher.
München/Frankfurt a.M. (epd). Die Juristin Beatrice von Weizsäcker (61), Tochter des verstorbenen ehemaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker, ist zum katholischen Glauben übergetreten. Das bestätigte von Weizsäcker dem Evangelischen Pressedienst (epd) auf Anfrage am 25. Mai. Von Weizsäcker ist seit 2009 Mitglied im Präsidium des Deutschen Evangelischen Kirchentags. Das bleibe sie auch bis zum regulären Ende ihrer Amtszeit im Oktober 2021, teilte der Kirchentag auf Anfrage mit.
Die Entscheidung sei, gerade auch unter ökumenischen Gesichtspunkten, vom Präsidium einstimmig getroffen worden, sagte Pressesprecher Mario Zeißig. "Sie würdigt außerdem Beatrice von Weizsäckers großes Engagement für den Deutschen Evangelischen Kirchentag, genau wie ihre Bereitschaft, die Amtszeit zu beenden, ihre anhaltend große Verbundenheit zum Kirchentag zum Ausdruck bringt." Weizsäcker ist außerdem Mitglied des gemeinsamen Präsidiums des 3. Ökumenischen Kirchentags, der im Mai 2021 in Frankfurt am Main stattfinden soll.
Die Gründe für den Konfessionswechsel blieben privat, sagte von Weizsäcker. Zunächst hatte sie ein Foto ihrer Firmung in der Münchner Christkönig Pfarrei auf Instagram gepostet. Die katholische und evangelische Kirche teilen ein gemeinsames Taufverständnis. Daher wird man bei einem Konfessionswechsel in der Regel nicht neu getauft. Die Firmung, oder in der evangelischen Kirche die Konfirmation, beinhalten eine Bestätigung der Taufe.
Von Weizsäcker hatte sich in der Vergangenheit als profilierte Protestantin gezeigt. Sie verfasste mehrere Bücher, unter anderem auch über Glaubenszweifel nach dem Tod ihres älteren Bruders Andreas von Weizsäcker. Im Juni 2019 brachte sie eine Resolution beim Kirchentag in Dortmund mit ein, in der ein kirchliches Rettungsschiff für die Seenotrettung im Mittelmeer gefordert wurde. Die Initiative führte zur Gründung des Bündnisses "United4Rescue", das im Januar ein Schiff erwarb. Auch ihr Vater bekannte sich zum Protestantismus.
Hildesheim (epd). Das Bonifatiuswerk der deutschen Katholiken hat im vergangenen Jahr mit 14 Millionen Euro katholische Gemeinden in der Diaspora gefördert. Die Gelder flossen in insgesamt 1.203 Projekte in Deutschland, Nordeuropa und dem Baltikum, wie das Bonifatiuswerk am 29. Mai in Hildesheim mitteilte. Gefördert wurden unter anderem Bau- und Verkehrsprojekte sowie Angebote der Kinder- und Jugendhilfe. Die Förderungen lagen auf dem Niveau von 2017, im vergangenen Jahr waren es 15,4 Millionen Euro.
Die Spenden und Kollekten seien erfreulicherweise stabil geblieben, aufgrund der Corona-Pandemie zeigten sich jedoch bereits in diesem Jahr erste Rückgänge bei den Einnahmen, hieß es. Zukünftig müsse sogar von einem erheblichen Rückgang ausgegangen werden.
Das Werk förderte 2019 in den Diasporagebieten Deutschlands, Nordeuropas und in den baltischen Staaten Estland und Lettland 72 Bauprojekte mit 2,9 Millionen Euro, 1.017 Projekte der Kinder- und Jugendhilfe mit 1,8 Millionen Euro und 74 Projekte der Glaubenshilfe mit 569.000 Euro. In missionarische Initiativen sowie in die religiöse Bildungsarbeit flossen 1,9 Millionen Euro, in die Projektbegleitung 430.000 Euro, in die Unterstützung der Seelsorge 150.000 Euro und in die zweckgebundene Förderung 1,1 Millionen Euro.
Genf (epd). Die Kirchen in den USA haben angesichts der steigenden Zahl der Corona-Toten einen Online-Gedenktag für die Opfer der weltweiten Pandemie begangen. Christen überall auf der Welt wüssten nicht, wann und wie die Corona-Pandemie zu Ende gehen werde, betonte der Präsident des Nationalen Kirchenrates der USA, Jim Winkler, laut einer am 26. Mai in Genf veröffentlichen Mitteilung. In den USA, eines der am schlimmsten von der Corona-Pandemie betroffenen Länder, droht laut der Johns Hopkins Universität die Zahl der Toten schon bald die Marke von 100.000 zu überschreiten.
Gemäß Johns Hopkins stieg global die Zahl der Corona-Toten auf mehr als 345.000. Der Präsident des Nationalen Kirchenrates der USA erinnerte daran, dass normale Beerdigungen angesichts des Infektionsrisikos nicht möglich seien. Das Fehlen der Zeremonie sei besonders schmerzhaft. Der Ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK) mit Sitz in Genf hatte als globaler Dachverband den Text im Auftrag des Nationalen Kirchenrates der USA veröffentlicht. Der Gedenktag wurde den Angaben nach bereits am vergangenen Sonntag abgehalten.
Washington (epd). Das Oberste US-Gericht hat am 29. Mai die Klage einer Kirche in Kalifornien gegen Gottesdienstbeschränkungen wegen der Corona-Pandemie zurückgewiesen. Die US-Verfassung gewähre der Regierung weitreichende Befugnisse bei Vorschriften mit dem Ziel, Sicherheit und Gesundheit zu schützen, heißt es in der Urteilsbegründung. Fünf der neun Richter schlossen sich dem Urteil an. Vier Richter stimmten dagegen.
In dem Rechtsstreit hatte die pfingstkirchlich geprägte "South Bay United Pentecostal"-Kirche im kalifornischen Chula Vista eine Verfügung gegen Gottesdienstauflagen im Bundesstaat Kalifornien beantragt. Dort darf die Kapazität der Gotteshäuser nur bis zu 25 Prozent ausgelastet werden, maximal 100 Personen sind zugelassen.
Nach Ansicht der Kirche verstößt die Vorschrift gegen die in der Verfassung garantierte Religionsfreiheit. Die Pandemie sei eine nationale Tragödie, räumten die Anwälte der Kirche ein. Tragisch wäre jedoch auch, sollte bei ihrer Bekämpfung "grundlegende Verfassungsrechte verletzt werden", argumentierten sie.
Frankfurt a.M., Mainz (epd). Die Deko liegt verpackt im Arbeitszimmer, der Gottesdienst war bis ins kleinste Detail geplant, die Liedblätter waren gedruckt. Alles war vorbereitet für ihren großen Tag. Nun ist klar: Das wird nichts. Robin Wagner und seine Frau Rebecca müssen ihre lang herbei gesehnte Hochzeit verschieben. Wegen Corona.
Theoretisch sind Hochzeiten auch während der Pandemie möglich. Sowohl im Standesamt als inzwischen auch wieder in der Kirche. Seit Mai sind öffentliche Gottesdienste in der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau und anderen Landeskirchen wieder erlaubt - mit entsprechenden Hygieneregeln. Die gelten gleichermaßen für Taufen, Konfirmationen und Trauungen.
Ohne Mund-Nasen-Schutz zum Beispiel geht aktuell auch in Gotteshäusern nichts. Ebenso müssen Besucher einen Abstand von mindestens 1,50 Meter einhalten. Gemeinsames Singen ist verboten. Die hessen-nassauische Kirchenleitung rät Heiratswilligen derzeit, mit der kirchlichen Trauung abzuwarten, bis wieder festliche Gottesdienste möglich sind.
Robin und seine Frau hoffen nun auf einen neuen Termin im September. "Wir wollen keine Abstriche machen", erzählt der 26-jährige Bräutigam. Bis zuletzt hatte das Paar noch gehofft. Aber unter den gegebenen Zuständen kommt eine Feier für beide nicht infrage. "Unsere Eltern getrennt voneinander in verschiedenen Reihen, das wollten wir nicht", sagt Robin. Die Gäste hätten alle mit Verständnis auf die kurzfristige Absage reagiert. Das junge Paar hatte sich mit der Entscheidung nicht leichtgetan. "Enttäuscht waren wir schon, aber die Vorfreude verschiebt sich jetzt einfach", sagt der Frankfurter.
Daphne Flieger und ihr Mann waren nicht ganz so optimistisch. Die beiden 29-Jährigen aus Mainz haben ihre kirchliche Trauung auf kommendes Jahr verschoben. "Wir haben ja auch eine Verantwortung gegenüber den Gästen", sagt Daphne. Standesamtlich haben sich sowohl Robin und Rebecca Wagner als auch Daphne und Tobias Flieger das Ja-Wort gegeben - wenn auch auf ungewohnte Art und Weise.
Wegen der Kontaktbeschränkungen gilt etwa im Standesamt Frankfurt eine Beschränkung der Hochzeitsgesellschaft auf zehn Personen inklusive Brautpaar. Auch in Darmstadt und Kassel sind maximal sechs bis acht Gäste plus Braut und Bräutigam erlaubt. In Wiesbaden und Gießen dürfen Fotografen, Trauzeugen und Gäste bis auf weiteres nicht dabei sein.
Der überwiegende Teil der Paare entschied sich trotz der Beschränkungen für eine Trauung, wie die Leiterin des Frankfurter Standesamtes, Andrea Hart, sagt. Andere hätten einen späteren Termin vereinbart oder die Trauung zunächst ganz abgesagt. Oftmals, weil die aktuellen Bedingungen den Wunschvorstellungen des Paares nicht entsprachen, manchmal auch, weil sich einer der Partner noch im Ausland aufhält und aufgrund der Reisebeschränkungen keine Einreiseerlaubnis erhalten hat.
Mit diesem Problem kämpft auch der freie Fotograf Florian Heurich. Der Frankfurter macht sein Geschäft in erster Linie mit Hochzeiten, an denen auch internationale Gäste teilnehmen. Die meisten seiner Kunden hätten für diesen Sommer abgesagt, sagt er. Viele der Gäste sollten aus dem Ausland einfliegen - wegen der aktuellen Einreise- und Quarantänevorschriften so gut wie unmöglich.
Normalerweise sei er während der Sommermonate jedes Wochenende ausgebucht, sagt Heurich. Nun rechne er damit, dass bis zu 90 Prozent der Einnahmen wegbrechen. Wenn er Glück habe, könne er vielleicht noch ein bis zwei Hochzeiten fotografieren. Inzwischen bietet der Fotograf "Corona-Spezial-Preise" an, damit ihn überhaupt noch jemand bucht. Bis zu seinen nächsten Hochzeits-Aufträgen hält er sich etwa mit Business-Shootings über Wasser. Die vom Staat versprochene finanzielle Hilfe für Solo-Selbstständige habe er bereits beantragt, doch das Geld reiche vorne und hinten nicht, sagt Heurich.
Um die Zeit bis zur kirchlichen Trauung nächstes Jahr zu überbrücken, hat Daphne Flieger kurzerhand eine Art WhatsApp-Selbsthilfe-Gruppe mit anderen Bräuten gegründet. Hier muntern sich die Frauen gegenseitig auf. "Jetzt kann die Vorfreude nochmal beginnen", sagt die Journalistin. Schlimmer sei die Ungewissheit gewesen. Ein bisschen Angst habe sie jetzt nur noch, ob ihr das Hochzeitskleid bis Juni 2021 noch gefällt.
Berlin (epd). Der Theologe und frühere Ethikratsvorsitzende Peter Dabrock hat Bedenken gegen einen Ausweis zum Nachweis der Immunität beim Coronavirus. Man müsse damit rechnen, dass sich insbesondere Jüngere bewusst anstecken wollten, um in den Genuss von Freiheiten zu kommen, sagte Dabrock in einem Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Dann drohe nicht nur für das Individuum, sondern bei einem größeren Ausmaß von Infektionen für die ganze Gesellschaft "ein Riesenproblem".
"Sehr schnell könnten die Kapazitäten im Gesundheitswesen knapp werden", sagte der Sozialethiker: "Die Folge wären fürchterliche Triageszenarien." Dabrock räumte ein, er sei bei Thema Immunitätsausweis selbst "moralisch hin- und hergerissen" gewesen. "Auf den ersten Blick fand ich es gut, dass all diejenigen, die das Virus durchgemacht haben, sich mit einem solchen Dokument normal und frei bewegen dürfen", sagte er.
Auf den zweiten Blick sei es aber komplizierter, sagte er mit Verweis auf die Gefahr beabsichtigter Ansteckungen. Zunächst wisse man zudem auch nicht, ob und wie lange die Immunität beim Coronavirus trägt. "Deshalb spricht derzeit ethisch mehr gegen die Einführung dieses Ausweises, obwohl ich nicht weiß, wie es ein Verfassungsgericht beurteilen würde", sagte Dabrock. Anders sieht er es für den Gesundheitsbereich: "Ein Immunitätsausweis für Krankenhauspersonal könnte helfen, Testkapazitäten, die immer noch knapp sind, nicht unnötig zu verbrauchen."
Der evangelische Theologieprofessor war vier Jahre Vorsitzender des Ethikrats und schied nach den maximal möglichen zwei Amtsperioden in diesem Jahr aus dem Gremium aus. Am 28. Mai kam der neu zusammengesetzte Ethikrat erstmals zu einer Sitzung in Berlin zusammen. In seinen ersten Beratungen dürfte es auch um den Immunitätsausweis gehen. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat das Gremium um eine Stellungnahme dazu gebeten. Er selbst wollte solch einen Ausweis einführen, hatte entsprechende Gesetzespläne nach Kritik aber wieder zurückgestellt, um das Thema ausführlicher zu debattieren.
Berlin (epd). Die wegen der Corona-Pandemie geltenden Kontaktbeschränkungen sollen im Wesentlichen bis zum 29. Juni verlängert werden. Nach den Diskussionen über den Thüringer Vorstoß, die Regelungen weitgehend zu lockern, haben sich Bund und Länder darauf am 26. Mai verständigt. Wie die Bundesregierung mitteilte, können die Länder an den geltenden Beschränkungen festhalten oder im öffentlichen Raum nun Zusammenkünfte von bis zu zehn Personen oder Mitgliedern zweier Hausstände erlauben.
Getroffen wurde die Absprache den Angaben zufolge zwischen Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) und den Chefs der Senats- und Staatskanzleien der Länder. Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) hatte am Wochenende zunächst angekündigt, die Verordnungen in seinem Land ganz aufzuheben und stattdessen auf Empfehlungen und lokale Maßnahmen bei Infektionsausbrüchen zu setzen. Die Landesregierung vertagte die Entscheidung darüber aber am Dienstag.
Wie aus der Mitteilung der Bundesregierung weiter hervorgeht, wird den Bürgern künftig weiter empfohlen, die Zahl der Menschen, zu denen man Kontakt hat, möglichst gering zu halten. Auch zu Hause sollten Hygiene- und Abstandsregeln umgesetzt werden. Empfohlen werden außerdem Treffen im Freien, bei Treffen in Innenräumen ausreichende Belüftung.
Dem Beschluss liege die Einschätzung zugrunde, dass die Zahl der Neuinfektionen mit dem Coronavirus in Deutschland auch einen Monat nach Beginn der Lockerungsmaßnahmen auf niedrigem Niveau ist, heißt es in der Mitteilung. Dieser Erfolg beruhe wesentlich darauf, dass in allen relevanten Bereichen Abstands- und Hygieneregeln umgesetzt und eingehalten worden seien.
Auf die derzeit geltenden Beschränkungen, die bereits Treffen zweier Haushalte in der Regel zulassen, hatten sich Bund und Länder Anfang Mai verständigt. Sie gelten bis einschließlich 5. Juni.
Die Regelungen sahen bereits neben Lockerungen für Gastronomie, Sport sowie Schule und Kita eine Art Notbremse vor, die Einschränkungen bei regionalen Virusausbrüchen nach sich ziehen soll. Daran wollen Bund und Länder festhalten: "Dort, wo die regionale Dynamik im Infektionsgeschehen dies erfordert, sollen im Rahmen der vorzusehenden Maßnahmen weitergehende Kontaktbeschränkungen erlassen werden, um den Ausbruch einzudämmen und ein überregionales Infektionsgeschehen zu verhindern", heißt es in der aktuellen Mitteilung.
Frankfurt a.M. (epd). Forscher warnen vor einem hohen Corona-Risiko in Sammelunterkünften für Asylbewerber. Wegen der hohen Personendichte könnten die Unterkünfte zu Hotspots für Corona-Infektionen werden, warnen Gesundheitswissenschaftler der Universität Bielefeld in einer am 29. Mai veröffentlichten Studie. Nach der Feststellung eines Falles ergebe sich ein Ansteckungsrisiko für alle übrigen Bewohner von 17 Prozent. Dies sei mit dem Ausbreitungsrisiko auf Kreuzfahrtschiffen vergleichbar, erläuterte Kayvan Bozorgmehr, Professor für Public Health. Caritas und Diakonie forderten, zumindest Familien mit Kindern und Risikogruppen aus den Großeinrichtungen herauszuholen.
In den vergangenen Wochen war es Corona-Ausbrüchen in Heimen in mehreren Bundesländern gekommen. Der Co-Autor der Bielefelder Studie, Oliver Razum, betonte: "Die beengten Verhältnisse begünstigen eine rasche Ausbreitung." Viele Menschen müssten sich wenige Küchen, Toiletten und Duschen teilen. Zur Prävention empfehlen die Wissenschaftler eine dezentrale Unterbringung. In zentralen Aufnahmeeinrichtungen sollte die Unterbringung zumindest in Einzelzimmern oder in kleinen Wohneinheiten organisiert werden, hieß es. Die Gesundheitswissenschaftler plädierten für bundesweite Empfehlungen, um die Eindämmung von Covid-19 in Aufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften zu verbessern.
Diakonie-Präsident Ulrich Lilie warnte: "Große Flüchtlingsunterkünfte dürfen nicht zu neuen Corona-Hotspots werden. Corona belegt, dass das Konzept, viele Menschen auf engem Raum zusammenzupferchen, der falsche Weg ist." Eine Unterbringung in Großunterkünften sei außerdem gar nicht notwendig, weil viele Kommunen und kirchliche Träger bereits ihre Unterstützung angeboten hätten, um die Menschen dezentral unterzubringen. Caritas-Präsident Peter Neher forderte: "Zumindest für die Menschen, die zu den Risikogruppen gehören, und für Familien mit Kindern sollten schnellstens andere Formen der Unterbringung organisiert werden."
Die Wissenschaftler schränken ein, dass die Studienergebnisse sich nicht auf alle Flüchtlinge übertragen ließen. Denn es seien nur Sammelunterkünfte untersucht worden, in denen mindestens ein Fall auftrat. Deutlich sei jedoch, dass bei einer bestätigten Corona-Infektion das Risiko einer Ansteckung für alle anderen Menschen in dem Heim ebenfalls hoch sei, erklärte der Leiter der Studie.
Für die Erhebung wertete ein Team unter Leitung von Bozorgmehr Daten aus elf Bundesländern und 42 Aufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften aus. In den betroffenen Sammelunterkünften wurden von 9.785 Flüchtlingen insgesamt fast 1.770 Menschen positiv auf das Coronavirus getestet.
Berlin (epd). Die Bundesländer planen derzeit keine erweiterten Sonntagsöffnungen von Geschäften zum Ankurbeln der Konjunktur nach der Corona-Krise. Wie eine Umfrage des Evangelischen Pressedienst (epd) in den zuständigen Ministerien ergab, gibt es nirgendwo konkrete Pläne dazu. Einzig Niedersachsen zeigte sich offen. Grundsätzlich seien Sonntagsöffnungen ein geeignetes Instrument, den stationären Einzelhandel zu stärken, sagte eine Sprecherin des Wirtschaftsministeriums in Hannover. Dazu werde aber eine breite gesellschaftliche Diskussion gebraucht, ergänzte sie.
Zunächst wurden aber in Niedersachsen wie in vielen anderen Bundesländern auch die am Anfang der Corona-Pandemie geltenden Ausnahmen für Sonntagsöffnungen wieder zurückgenommen, teilweise schon um Ostern. In Bayern habe es keinen einzigen Antrag von Händlern für flexiblere Öffnungszeiten gegeben, sagte eine Sprecherin des Wirtschaftsministeriums in München. Auch in Berlin wurde von der Möglichkeit, Geschäfte sonntags von 12 bis 18 Uhr zu öffnen, kaum Gebrauch gemacht, wie die dortige Senatsverwaltung mitteilte. Ausnahmeregelungen gelten derzeit nur noch in Hessen bis zum 5. Juni und in Sachsen-Anhalt bis zum 14. Juni.
Die Bundesländer haben unterschiedliche Regelungen für verkaufsoffene Sonntage. Wegen des Sonntagsschutzes sind solche verkaufsoffenen Tage begrenzt. Eine Ausweitung wird unter anderem von Baden-Württemberg, Bayern und Thüringen strikt abgelehnt. Sonn- und Feiertage seien durch das Grundgesetz als Tage der Arbeitsruhe besonders geschützt. Eine generelle Verkaufsöffnung erfülle verfassungsrechtliche Vorgaben nicht, hieß es aus Stuttgart. "In Bayern ist in der Bevölkerung Konsens, die Geschäfte an Sonntagen geschlossen zu halten", sagte eine Sprecherin des Wirtschaftsministeriums.
Eine Mehrheit der Deutschen lehnt es laut einer Forsa-Umfrage ab, dem Einzelhandel mit zusätzlichen Sonntagsöffnungen aus der Corona-Krise zu helfen, während ein gutes Drittel zusätzliche verkaufsoffene Sonntage befürwortet. Wie das "RedaktionsNetzwerk Deutschland" (Samstag) unter Berufung auf die Erhebung im Auftrag der Beratungsagentur Christ & Company berichtete, fänden 37 Prozent der repräsentativ Befragten zusätzliche verkaufsoffene Sonntag gut, 60 Prozent halten sie für unnötig.
Laut der Umfrage greifen die Deutschen durch die Corona-Krise zudem verstärkt auf Online-Shopping zurück. So gab etwa jeder Vierte Befragte (27 Prozent) an, mehr im Netz zu kaufen als vor der Krise.
Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) hatte zur Ankurbelung der Konjunktur nach der Corona-Krise erweiterte Ladenöffnungszeiten vorgeschlagen. In der ZDF-Sendung "Berlin direkt" sagte er, er könne sich "etwas mehr verkaufsoffene Sonntage, etwas mehr Flexibilität bei den Ladenöffnungszeiten" vorstellen.
Der Einzelhandelsexperte Boris Hedde sieht dagegen in Sonntagsöffnungen keine Hilfe. Das Problem der Händler sei eher die Kaufzurückhaltung der Menschen, sagte der Geschäftsführer des Kölner Instituts für Handelsforschung dem epd. Sonntagsöffnungen erschienen vor diesem Hintergrund nicht sinnvoll, da die Kosten für die Einzelhändler dann weiter steigen würden, etwa durch zusätzliches Personal.
Skepsis kam auch von den Kirchen, die auf den grundgesetzlichen Schutz des Sonntags verwiesen. Weil der Sonntag Zeit für das Wesentliche und zur Erholung schenke, "ist er ein Kulturgut, das geschützt werden muss", sagte ein Sprecher der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Auch und gerade in der aktuellen Situation erfüllten die Sonntage den Zweck einer Unterbrechung des Alltags. "Wir sollten zudem bedenken, dass Sonntagsöffnungen insbesondere zu Lasten systemrelevanter Personen wie Verkäuferinnen, Busfahrerinnen oder Lieferdienstfahrern gehen, die in der jetzigen Zeit eher einen Freizeitausgleich oder andere Formen der Entlastung verdient hätten", sagte der Sprecher der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Matthias Kopp.
Berlin (epd). Drohungen gegen Politiker und Wissenschaftler im Zusammenhang mit den Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie alarmieren das Bundeskriminalamt (BKA) und die Bundesregierung. "Wir nehmen das äußerst ernst", sagte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) am 27. Mai bei der Vorstellung der Statistik der politisch motivierten Kriminalität 2019. BKA-Präsident Holger Münch sagte, es gebe mehrere Drohbriefserien, die sich die Behörden sorgsam anschauen würden. Von einer unmittelbaren Gefahr für die Adressaten gehen sie nach seinen Worten nicht aus. Die Situation bereite aber Sorge.
Der SPD-Politiker Karl Lauterbach hatte auf Twitter ein Drohschreiben öffentlich gemacht, dem laut einem dazu veröffentlichten Foto ein Röhrchen mit einer Flüssigkeit beigefügt war. Der Berliner Virologe Christian Drosten, der bereits von Morddrohungen gegen sich berichtete, erklärte auf Twitter, er habe das gleiche Paket bekommen. "Diese Drohungen sind unerträgliche Attacken auf die Wissenschaft, deren Forschung Leben rettet", erklärte Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD). Die Taten müssten strafrechtliche Konsequenzen haben.
Der Vorsitzende der Innenministerkonferenz, der Thüringer Ressortchef Georg Maier (SPD), sagte, bei den Corona-Protesten finde eine Entgrenzung von Extremismus und der Mitte der Gesellschaft statt. Das sei problematisch. Rechtsextremismus wird nach seinen Worten ein Schwerpunktthema bei der nächsten Innenministerkonferenz sein.
Seehofer stellte gemeinsam mit Münch und Maier die Statistiken zur allgemeinen Kriminalität und die über politisch motivierte Straftaten vor. Die politisch motivierte Kriminalität hat Seehofer zufolge 2019 den zweithöchsten Stand seit Beginn der Erfassung im Jahr 2001 erreicht. Nur 2016, dem Jahr nach der großen Fluchtbewegung, hatte es demnach noch mehr politisch motivierte Taten gegeben. Im vergangenen Jahr zählten die Behörden insgesamt 41.177 Straftaten (2018: 36.062, 2016: 41.549).
Die Fälle politisch motivierter Gewalt gingen parallel um fast 16 Prozent auf 2.832 Fälle zurück. Dies bezeichnete Seehofer zwar als gute Nachricht, mahnte zugleich aber vor allem weitere Wachsamkeit gegen Rechtsextremismus an. Dieser sei nach wie vor die "größte Bedrohung", sagte Seehofer.
Sogenannte Hasskriminalität, also Taten, die sich gegen bestimmte Minderheitengruppen richten, nahm 2019 zu. 8.585 Straftaten wurden in diesem Bereich gemeldet, davon 7.909 aus fremdenfeindlichen Motiven. Einen starken Anstieg um 13 Prozent gab es auch bei der Zahl antisemitischer Straftaten, die sich auf mehr als 2.000 summierten. Islamfeindliche Straftaten nahmen um gut vier Prozent zu - auf 950 Fälle. In beiden Kategorien sind die Täter den Angaben zufolge in der überwiegenden Mehrheit der Fälle Rechtsextremisten. In der 2019 neu eingeführten Kategorie der Straftaten gegen Amts- und Mandatsträger wurden 1.674 Fälle erfasst.
"Auf dem wachsenden Rechtsextremismus muss das besondere Augenmerk liegen", erklärte der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster. Die Amadeu Antonio Stiftung forderte, die Maßnahmen zur Strafverfolgung zu verbessern, etwa durch Schwerpunktstaatsanwaltschaften und die Schulung von Polizisten und Juristinnen.
Berlin (epd). Die Geschäftsführerin der Hilfsorganisation "HateAid", Anna-Lena von Hodenberg, beobachtet einen Zusammenhang zwischen Hassnachrichten online und offline. "Die Stimmung wird online gemacht", sagte sie dem Evangelischen Pressedienst (epd). "Und dann gibt es wiederum Hater, die offline Päckchen schicken." Oftmals gingen Bedrohungen online los und würden dann von denselben oder anderen Tätern fortgesetzt in Form von Drohpaketen oder -briefen. "HateAid" mit Sitz in Berlin unterstützt Menschen, die Opfer von Gewalt im Internet geworden sind mit Beratungen und finanziellen Hilfen.
Hintergrund ist ein Tweet des SPD-Bundestagsabgeordneten Karl Lauterbach, in dem er am Dienstag über ein an ihn adressiertes Drohpaket berichtete. Auf einem Bild sind ein Plastikröhrchen mit der Aufschrift: "2019-nCoV: positiv" und ein Zettel "trink das, dann wirst du immun" zu sehen. Darunter twitterte der Gesundheitsexperte: "Morddrohungen bis zu Beleidigungen aller Art, einige von uns müssen viel hinnehmen. Daher sollte jeder mit Restbestand von Charakter die Hetze im Netz gegen Virologen, Epidemiologen oder Politiker einstellen. Es animiert Leute, die unberechenbar sind."
Kurz danach retweetete der Chef-Virologe der Charité, Christian Drosten, das Foto und kommentierte: "Das selbe Paket habe ich heute auch bekommen." Beide, Lauterbach und Drosten, setzen sich während der Corona-Pandemie für vergleichsweise strenge Infektionsschutzmaßnahmen ein, um das Virus einzudämmen. Drosten hatte Anfang April nach eigenen Angaben bereits darüber nachgedacht, sich aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen aufgrund von Hassmails.
Hodenberg sagte, es sei kein Zufall, dass Hass online wie offline Personen wie Lauterbach und Drosten treffe: "Der Hass richtet sich gegen die, die vermeintlich Verantwortung tragen für die Beschränkungen." Am Anfang der Corona-Pandemie sei die Hetze im Netz erst einmal zurückgegangen, es sei vergleichsweise ruhig geworden. Seit Mitte März nehme die Online-Bedrohung kontinuierlich zu, erklärte sie.
Die massive Hetze richte sich vor allem gegen Behörden, Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sowie asiatisch aussehende Menschen und Migranten, die sich vermeintlich nicht an die Corona-Regeln hielten, erklärte Hodenberg: "Wir beobachten eine starke Aggressivität, gerade von rechtsextremen oder verschwörungstheoretischen Kreisen." Auch das Bundeskriminalamt berichtete am 27. Mai bei der Vorstellung der Statistik der politisch motivierten Kriminalität 2019 von Drohungen gegen Politiker und Wissenschaftler im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie.
Hodenberg sagte, besonders in Krisenzeiten nehme die digitale Gewalt zu. "Wenn die Leute aufgeladen sind, weil es eine große Unsicherheit gibt, wie es weiter geht", erklärte sie.
Berlin, Wiesbaden (epd). Bundespolitiker haben an die Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke vor einem Jahr erinnert. Der politische Mord sei "ein Anschlag auf unsere Demokratie" gewesen, erklärte Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) am 1. Juni in Berlin in Gedenken an den in der Nacht zum 2. Juni 2019 ermordeten CDU-Politiker. "Dieses unfassbare Verbrechen bleibt ein tiefer Einschnitt." Lübcke sei ermordet worden, weil er sich für Menschen eingesetzt habe, die vor Krieg und Terror nach Deutschland geflüchtet sind, sagte Lambrecht. "Der Hass hinter der Tat bleibt unbegreiflich."
Der neue Kabinettausschuss zur Bekämpfung von Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus zeige, dass das Thema höchste politische Priorität habe, betonte Lambrecht. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) sagte dem "RedaktionsNetzwerk Deutschland" (2. Juni), er sei entschlossen, gemeinsam mit seinen Kabinettskollegen dem Rechtsextremismus "mit aller Kraft die Stirn zu bieten". Der Rechtsextremismus sei "die derzeit größte Bedrohung für den demokratischen Rechtsstaat".
Lambrecht unterstrich zudem die Dringlichkeit des Gesetzespakets gegen Hass und Hetze, das in Kürze im Bundestag beschlossen werden soll und unter anderem eine Verschärfung des Strafrechts sowie eine Meldepflicht für strafbare Inhalte in sozialen Netzwerken vorsieht. "Das Gesetz ist dringend notwendig", sagte sie. "Menschenverachtende Drohungen und Diffamierungen schaffen ein Klima der Gewalt. Aus Worten werden Taten."
Der Vorsitzender des Bundeszuwanderungs- und Integrationsrats, Memet Kilic, appellierte an die politisch Verantwortlichen, das "Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität" zügig zu verabschieden. Der Mord an Lübcke habe vor Augen geführt, "dass hemmungslose Hetze in der Öffentlichkeit und in sozialen Netzwerken brandgefährlich sein kann", erklärte Kilic und warnte: "Extremistische Strukturen werden in unsicheren Zeiten und in der Krise besonders agil."
Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Annette Widmann-Mauz (CDU), sagte dem "RedaktionsNetzwerk Deutschland", Lübcke stehe für unzählige Kommunalpolitiker und Engagierte, die sich vor Ort für andere einsetzen und Verantwortung übernehmen für Deutschland, Solidarität und Weltoffenheit. "Wir müssen Kommunalpolitikern und Ehrenamtlichen den Rücken stärken, denn ihr Einsatz ist das Fundament, auf dem unsere Demokratie ruht", unterstrich sie.
Der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) sagte am 1. Juni in Wolfhagen-Istha bei Kassel, Lübcke habe für ein freies Land und einen demokratischen Rechtsstaat gestanden, in dem jeder seine Meinung äußern darf. Bouffier legte am Grab von Lübcke einen Kranz nieder und sprach mit der Familie des Verstorbenen. Um das Gedenken an den Verstorbenen zu bewahren, verleiht das Land Hessen künftig den Walter-Lübcke-Demokratie-Preis. Damit sollen Menschen geehrt werden, die sich in besonderer Weise für die Werte der Demokratie einsetzen.
Grünen-Chef Robert Habeck erneuerte die Forderung seiner Partei nach einer "Task Force Rechtsextremismus" als Anlaufstelle für Menschen, die von rechter Gewalt bedroht sind. Auch das Waffenrecht müsse verschärft werden. Der stellvertretende FDP-Bundestagsfraktionschef Stephan Thomae forderte ein entschlosseneres Vorgehen des Staates Rechtsextremismus. "Dafür sollten unter anderem die Justiz besser ausgestattet, Rechtsextreme konsequenter entwaffnet und rechtsextreme Vereinigungen schneller verboten werden", erklärte er.
Auch das Bundeskriminalamt (BKA) betonte die Gefahr durch den Rechtsextremismus in Deutschland. Die Jahresfallzahlen 2019 zeigten, wie groß die Bedrohung durch die rechte Szene ist, sagte BKA-Vizepräsident Jürgen Peter dem RND. Deutlich über 50 Prozent der Gesamtstraftaten im Bereich politisch motivierte Kriminalität und insgesamt rund 87 Prozent der Straftaten im Bereich der Hasskriminalität seien dem Rechtsextremismus zuzuordnen.
Walter Lübcke war am 1. Juni 2019 auf der Terrasse seines Wohnhauses in Wolfhagen angeschossen worden, später starb er an den Folgen des Kopfschusses. Der Generalbundesanwalt erhob Ende April dieses Jahres Anklage gegen zwei Rechtsextremisten, den mutmaßlichen Täter Stephan Ernst sowie seinen mutmaßlichen Komplizen Markus H., vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main.
Hamburg (epd). Ihre Krebstherapie hat Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) nach eigener Aussage demütiger gemacht. Die Zeit der Therapie habe sich wie ein Marathon angefühlt, sagte sie der Wochenzeitung "Die Zeit". "Man wird demütig vor dem Leben", sagte Schwesig, die im Herbst 2019 ihre Brustkrebserkrankung öffentlich gemacht hatte. Nach ihrer überstandenen Krankheit wolle sie künftig stärker darauf achten, dass Politiker einander Wertschätzung entgegenbringen.
Die vergangenen Monate hätten ihre ganze Kraft gefordert, sagte Schwesig. "Wie soll es auch anders sein, wenn man gleich zwei Bedrohungen hat, die sich gegen einen wenden: die Bedrohung durch Corona für das Land, für die Bevölkerung. Und die Bedrohung durch die eigene Krankheit für mich." Als die Pandemie begann, habe gerade das letzte Drittel ihrer Krebstherapie angefangen. Deshalb habe sie auch beschlossen, als Ministerpräsidentin weiterzumachen. Ihr sei dabei klar gewesen, dass sie gesundheitlich ein besonderes Risiko eingehe. Sie habe aber entschieden: "Die Kapitänin geht als Letzte von Bord. Irgendwie habe ich gedacht, das schaffst du jetzt auch noch."
Schwesig hatte die Veröffentlichung ihrer Erkrankung im Herbst und die Veröffentlichung ihrer Genesung vor gut zwei Wochen mit einem Zitat des Theologen und NS-Gegners Dietrich Bonhoeffer (1906-1945) "Von guten Mächten wunderbar geborgen" kommentiert. Das unter diesem Titel vertonte Gedicht über Mut und Trost ist ein beliebtes Lied in evangelischen Gottesdiensten.
Als sie aufgrund ihrer Krebstherapie ein Treffen der Ministerpräsidenten verpasst hatte, habe sie im Anschluss eine Karte erhalten, auf der alle unterschrieben hatten. "So was kommt im politischen Alltag sonst nicht vor", sagt die SPD-Politikerin. Überhaupt habe der öffentliche Zuspruch sie in den vergangenen Monaten sehr berührt. Sonst hätten Politiker häufig mit Wut und Anfeindungen zu tun. "Ich habe gelernt, dass die Gesellschaft oft viel menschlicher ist, als wir meinen."
Berlin (epd). Der Vorsitzende des Zentralrates der Muslime in Deutschland, Aiman Mazyek, fordert einen "Beauftragten gegen Muslimfeindlichkeit". Die Einrichtung eines solchen Amtes und die Gründung einer Enquete-Kommission, die im Bundestag das Phänomen des antimuslimischen Rassismus beschreibt und die Abgeordneten dazu unterrichtet, seien nötig, um Muslimfeindlichkeit und alle Formen des Rassismus sowie der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit nachhaltig zu bekämpfen, sagte Mazyek am 29. Mai anlässlich des Jahrestages des Brandanschlags von Solingen vor 27 Jahren.
Zudem müssten die Mitarbeiter der Strafverfolgungsbehörden, der Justiz sowie Pädagogen besser fortgebildet und für das Phänomen sensibilisiert werden, forderte Mazyek. Der Zentralratsvorsitzende verlangte, den Kampf gegen Rechtsextremismus und Muslimfeindlichkeit zu verstärken. "Der Staat ist ebenso angehalten, Solidarität mit religiösen Minderheiten vorzuleben, indem er das Zusammengehörigkeitsgefühl aller Gruppen und Minderheiten in den Gemeinden und Städten stärkt", erklärte Mazyek. Der Anstieg des Rechtsextremismus in der deutschen Gesellschaft sei "besorgniserregend". Überdies werde der Rechtsextremismus trotz einer Reihe von Anschlägen in Deutschland etwa in Kassel, Halle und Hanau sowie der Mordserie des NSU "immer noch unterschätzt".
Bei dem Brandanschlag von Solingen waren vor 27 Jahren zwei Frauen und drei Mädchen getötet worden, als vier junge Neonazis in der Nacht zum Pfingstsamstag 1993 das Wohnhaus der türkischen Familie Genç angezündet hatten. Die Tat rief weltweit Entsetzen hervor. Wegen der Corona-Schutzregeln fand zum Jahrestag des Brandanschlags in diesem Jahr in Solingen nur ein stilles Gedenken am Mahnmal gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit statt.
Berlin (epd). Bundesweit nehmen einer Umfrage zufolge knapp 60.000 Schülerinnen und Schüler am islamischen Religionsunterricht teil. Das seien rund 5.000 mehr als vor zwei Jahren, teilte die Plattform "Mediendienst Integration" am 27. Mai in Berlin unter Berufung auf die Kultusministerien der Länder mit. Der Unterricht werde an mehr als 900 Schulen angeboten, 35 mehr als im Schuljahr 2017/18. Danach bieten neun Bundesländer eine Form von islamischem Religionsunterricht an. In Hamburg und Bremen gebe es einen konfessionsübergreifenden Religionsunterricht. Die fünf ostdeutschen Bundesländer hätten kein Angebot für Muslime.
In Nordrhein-Westfalen nehmen laut Mediendienst bundesweit mit über 20.000 Schülern die meisten Kinder und Jugendlichen am islamischen Religionsunterricht teil. Rheinland-Pfalz und das Saarland erteilten islamischen Religionsunterricht in Modellprojekten. In Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg gebe es befristete Übergangsmodelle. Muslimische Partner würden dabei auf unterschiedliche Weise einbezogen.
In Bayern und Schleswig-Holstein gebe es einen "islamkundlichen" Unterricht in staatlicher Verantwortung, hieß es weiter. Die Religionsgemeinschaften seien daran nicht beteiligt. In Bayern werde er als Modellprojekt erprobt. Hamburg und Bremen bieten einen konfessionsübergreifenden Religionsunterricht an. Als erstes Bundesland wolle Hamburg diesen künftig interreligiös - mit Beteiligung verschiedener Religionsgemeinschaften - ausrichten.
In Hessen und Niedersachsen werde islamischer Religionsunterricht in Verantwortung von islamischen Verbänden erteilt. Die Lehrpläne werden dabei von den Religionsgemeinschaften und staatlichen Stellen gemeinsam entwickelt. In Berlin verantworte der islamische Landesverband "Islamische Föderation Berlin" (IFB) den Religionsunterricht für Musliminnen und Muslime. Der "Mediendienst Integration" ist eine Informationsplattform für Journalistinnen und Journalisten und bietet aktuelle Informationen rund um die Themen Migration, Integration und Asyl in Deutschland.
Berlin (epd). Der Bau des Berliner Freiheits- und Einheitsdenkmals hat begonnen. Am 28. Mai vollzog Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) den ersten Spatenstich. Geplant ist die Fertigstellung des lang erwarteten Denkmals bis Ende 2021.
Das Denkmal entsteht in Form einer riesigen begehbaren und bewegbaren Schale neben dem Humboldt Forum. Es soll an die friedliche Revolution und die Wiedervereinigung Deutschlands erinnern und wird die Aufschrift "Wir sind das Volk. Wir sind ein Volk." tragen. Der Entwurf unter dem Motto "Bürger in Bewegung" stammt vom Stuttgarter Architekturbüro Milla & Partner. Bereits vor rund zwei Wochen hatten erste Bauvorarbeiten begonnen.
"Mit dem Freiheits- und Einheitsdenkmal erinnern wir an die Zivilcourage derjenigen Menschen, die ihre Stimme erhoben für demokratische Freiheitsrechte", sagte Grütters. Die Einheit Deutschlands und ein geeintes Europa wären ohne "Bürger in Bewegung" eine utopisch anmutende Hoffnung für eine ferne Zukunft geblieben. Die Erinnerung an die friedliche Revolution verdiene einen "prominenten Platz im Herzen der deutschen Hauptstadt", sagte die Kulturstaatministerin.
Architekt Sebastian Letz sagte, das Freiheits- und Einheitsdenkmal werde von Menschen begehbar und bewegbar sein. Das Denkmal sei somit eine soziale Skulptur. "Sie gewinnt Leben, wenn die Besucher sich zusammenfinden, verständigen und gemeinsam bewegen. Es aktiviert und lädt zur Partizipation ein", betonte der Architekt. Als Bild für gelebte Demokratie erinnere das Denkmal daran, "dass Freiheit und Einheit keine Selbstverständlichkeit sind".
Um das Freiheits- und Einheitsdenkmal in Berlin war jahrelang gerungen worden. Einen ersten Bundestagsbeschluss für den Bau gab es 2007. Mehrfach war es bei der Realisierung unter anderem aus Naturschutzgründen oder wegen offener Finanzfragen zu Verzögerungen gekommen. Die Kosten liegen den Angaben zufolge bei 17,12 Millionen Euro. Ursprünglich sollte das Einheitsdenkmal zum 30. Jahrestag des Mauerfalls im vergangenen Herbst eingeweiht werden.
Mit Blick auf die langjährige Debatte um das "nationale Bauvorhaben" dankte Grütters insbesondere den ehemaligen Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse (SPD) und Norbert Lammert sowie dem amtierenden Parlamentspräsidenten Wolfgang Schäuble (beide CDU) für ihr unermüdliches Engagement, mit dem sie und viele weitere Bundestagsabgeordnete für die Errichtung des Denkmals eingetreten seien. Sie würdigte auch weitere Mitstreiter wie Lothar de Maizière, Günter Nooke (beide CDU), Florian Mausbach und Jürgen Engert, die mit ihrer Initiative 1998 den gedanklichen Grundstein für das Denkmal zur Erinnerung an die friedliche Revolution gelegt hätten.
Unterdessen liegen die Pläne für ein in Leipzig geplantes Freiheits- und Einheitsdenkmal, das ebenfalls an die Ereignisse vom Herbst 1989 erinnern soll, die zum Ende der Teilung Deutschlands führten, seit 2014 auf Eis. Vorausgegangen waren dort unter anderem ein missglückter Architekturwettbewerb sowie juristische Auseinandersetzungen.
Köln (epd). Am Eingang der Kita "Bilderstöckchen" in Köln gibt es derzeit öfter Tränen. "Die Kinder sind sehr irritiert", stellt Einrichtungs-Leiterin Anke Werner bedauernd fest. Denn wegen der Corona-Hygiene-Auflagen dürfen Eltern die integrative Einrichtung nicht mehr betreten und müssen ihre Kinder an der Tür übergeben. Und auch im Inneren der Kita ist vieles nicht mehr so, wie es die Kinder gewohnt waren: "Wir haben alles weggepackt, was zu körperlichem Kontakt auffordert", sagt Werner. So wurden etwa die Frisör- und die Arzt-Spielecke sowie die Verkleidungen eingepackt. Und im Außengelände hat jetzt jede Gruppe ihren Bereich, in dem sie bleiben muss. Spielen mit dem Freund oder der Freundin aus der Nachbargruppe ist nun streng verboten.
Viele Kinder seien damit überfordert, die Veränderungen zu verstehen, beobachtet Werner, in deren Kita bislang 15 der insgesamt 90 Kinder zurückgekehrt sind. In den kommenden Wochen sollen in ganz Deutschland stufenweise immer mehr Kinder wieder in die Kitas gehen dürfen. Werner hält es für illusorisch, dass die Kinder auf Dauer Abstand untereinander und zu den Erzieherinnen halten: "Ein Kind kann beim Spielen nicht daran denken, Abstand zu halten." Auch ein Kind, das hinfällt und sich wehtut, könne nicht aus anderthalb Metern Entfernung getröstet werden. "Wir werden auch kein Kind abweisen, das auf uns zukommt und uns umarmt", sagt Werner.
"Wir können die Erzieherinnen in den Kitas nicht so schützen, wie es wünschenswert wäre," sagt Judith Adamczyk vom AWO Bundesverband in Berlin. "Was im Supermarkt durch Trennwände und Abstandshalter geht, das funktioniert in einer Kita so nicht." Auch das Tragen von Masken sei in Kitas nicht sinnvoll. Jede der bundesweit rund 2.500 AWO-Kitas, in denen mehr als 180.000 Kinder betreut werden, sei derzeit damit beschäftigt, ihr Hygiene-Konzept laufend anzupassen: "Die Kitas leisten im Moment eine wahnsinnige Aufgabe." Oft müssten sie in kürzester Zeit auf neue Anweisungen und Konzepte der Landesministerien reagieren. "Die Kritik, dass die Vorgaben nicht umgesetzt werden können, wird immer lauter", sagt Adamczyk.
"Hauptproblem der Einrichtungen ist momentan der Engpass an Personal", erklärt Paula Döge, die bei der Diakonie Deutschland für den Bereich Tageseinrichtungen für Kinder zuständig ist. Nach Schätzungen gebe es in den Kitas durchschnittlich einen Personalausfall von 20 bis 25 Prozent durch Mitarbeiterinnen mit erhöhtem Infektionsrisiko, aber auch durch normale Krankschreibungen oder Urlaub. Zugleich haben die Kitas vielerorts die Zielvorgabe, immer mehr zurückkehrende Kinder in möglichst kleinen und getrennten Gruppen zu betreuen.
Derzeit steige der Betreuungsbedarf, weil durch das Hochfahren der Wirtschaft viele Eltern wieder zu ihrem Arbeitsplatz fahren müssten, beobachtet Döge. Dem könnten viele Kitas aber gar nicht gerecht werden. "In der Öffentlichkeit wird bislang wenig thematisiert, dass Kitas nicht einfach so zu einem Normalbetrieb zurückkehren können," kritisiert Döge.
Auch Adamczyk sagt: "Viele Kitas werden nicht die gewohnten Betreuungsumfänge bieten können." Das bedeutet, dass Kinder eventuell weniger Stunden in der Kita verbringen können, weil durch die neuen Auflagen Räume und Personal fehlen. In den Kitas litten sowohl Kinder als auch Erzieherinnen darunter, dass der pädagogische Alltag derzeit ausgehebelt sei, stellt Adamczyk fest: "Viele pädagogische Angebote mussten sehr stark reduziert werden."
Erzieherinnen befürchten, dass das vor allem bei sehr zurückhaltenden, ängstlichen oder behinderten Kindern zu Rückschritten in der Entwicklung führen könnte. Denn künftig würden vor allem Tätigkeiten nicht mehr möglich sein, die die Kinder bislang selbstbestimmt in die Hand nehmen konnten, sagt Kita-Leiterin Werner: "Zum Beispiel dürfen sich die Kinder nicht mehr selbst beim Essen bedienen." Das müsse aus Hygiene-Gründen künftig von einer Mitarbeiterin ausgeteilt werden. "Vieles, worauf die Kinder stolz waren, müssen wir dann verbieten", bedauert die Pädagogin.
Frankfurt a.M. (epd). Als mit der Corona-Pandemie die Maskenpflicht kam, stand Schulleiter Manfred Drach vor einem Problem. Er sagt: vor einer Herausforderung. Drach ist Rektor der Johannes-Vatter-Schule, einer Schule mit dem Förderschwerpunkt Hören im hessischen Friedberg. Wie sollten seine rund 200 gehörlosen Schüler in der Schule kommunizieren? "Gehörlose brauchen das Mundbild und die Gesichtsmimik für das Sprachverstehen", sagt Drach. Doch die Schutzmasken decken einen Großteil des Gesichts ab.
Da entdeckte er sogenannte Face Shields, durchsichtige Visiere aus Plastik, die das ganze Gesicht abdecken. Der Rektor nahm Kontakt zu einer offenen Werkstatt in Gießen auf. Das gemeinnützige Bildungsprojekt "Makerspace" reagierte in der Hochphase der Pandemie, als in Krankenhäusern und Arztpraxen Schutzmasken fehlten. "Wir haben eine Open-Source-Vorlage aus Tschechien genutzt und schnell ein System aufgebaut. Wir wollten die Lücke überbrücken", erzählt "Makerspace"-Mitgründer Johannes Schmid.
Auf den elf eigenen 3-D-Druckern und mit Unterstützung der Community aus 80 Freiwilligen druckte das "Makerspace"-Team etwa 3.000 Face Shields und gaben sie an die Uniklinik oder Pflegedienste ab. Auch die Gehörlosenschule in Friedberg erhielt Masken, kostenlos.
Rektor Drach ist mit den Face Shields sehr zufrieden. Er probierte sie zunächst mit älteren Schülern aus. "Auch Brillenträger sind nicht beeinträchtigt. Es gibt kein Blenden, und sie beschlagen nicht. Die Face Shields sind ästhetisch und gut für die Kommunikation." Schüler und Lehrer trügen sie nur in bestimmten Unterrichtsituationen, wenn ein engerer Kontakt nötig sei. Ansonsten gehe die Schule den Weg: "Abstand und Hygienestruktur."
Für Gehörlose gibt es mittlerweile auch Stoff-Gesichtsmasken mit einem Sichtfeld, wie sie etwa eine Firma aus dem Schwarzwald gemeinsam mit einer Schneidermeisterin produziert. Im Internet erklärt auf Youtube die niedersächsische Familie von Deetzen in Gebärdensprache, welche Maskenformen es gibt und wie sie getragen werden.
Dennoch ist die derzeitige Situation für Gehörlose nicht leicht. Viele seien jetzt isolierter als ohnehin schon, sagt Pfarrer Gerhard Wegner von der Evangelischen Gehörlosengemeinde Frankfurt. Es gebe zwar einige "technisch Fitte", die Internet und Videotelefonie nutzten. "Aber die Generation, die zur Gemeinde gehört, ist nur zum Teil technikaffin."
Wegner betreut rund 300 Gehörlose in Frankfurt und Umgebung. Hausbesuche macht er zurzeit keine, Treffen finden höchstens von der Haustür oder dem Balkon aus statt. Er mache aber Sterbebegleitung von Gehörlosen, betont er. Auch einen ersten Gottesdienst mit den entsprechenden Abstandsregeln bot er bereits an. "Wir haben Räume, in denen wir das machen können." Von 15 möglichen Teilnehmern seien zwölf erschienen. "Das ist für mich ein Zeichen, dass noch Hemmungen und Ängste bestehen."
Die Masken zeigen auch, dass es Menschen gibt, die barrierefreie Kommunikation brauchen. Wenn das Robert Koch-Institut in seinen Presse-Briefings im Fernsehen oder in Live-Streams über die Corona-Pandemie informierte, war im Bild auch eine Gebärdendolmetscherin zu sehen, die für Gehörlose übersetzte.
Was Zuschauer möglicherweise überraschte, ging auf eine Forderung der Gehörlosen-Verbände zurück. Gerade in der unsicheren Pandemie-Situation müssten die lebenswichtigen Informationen mit Videos in Deutscher Gebärdensprache veröffentlicht werden. "Anfangs waren alle wesentlichen Gesundheitsinformationen nur in Schriftsprache oder in Lautsprache verfügbar", sagt Sascha Nuhn vom Hessischen Verband für Gehörlose und hörbehinderte Menschen. Beides stelle allerdings eine Fremdsprache für Gehörlose dar. "Keine Fernsehsendung ohne Gebärdendolmetscher oder Untertitel - Das ist der Traum von Inklusion", sagt Gehörlosenpfarrer Wegner.
Auch im Alltag haben Gehörlose Probleme, wenn alle Masken tragen. Im Supermarkt klappe das Einkaufen ganz gut, erklärt Wegner, der selbst schwerhörig ist. "Aber wo Kommunikation nötig ist, beim Bäcker oder Metzger, da wird es schwierig. Viele Gehörlose können sich nur mit Zettel und Stift behelfen."
An die Johannes-Vatter-Schule in Friedberg kehren nun nach und nach die Klassen zurück. "Alle sind froh, dass es ein Stück weit Richtung Normalität geht", berichtet Rektor Drach. Es gebe einzelne Schüler, die es in der Corona-Pandemie schwer haben. "Es gibt aber ganz viele, die kommen wunderbar klar."
Berlin (epd). In Deutschland sind branchenübergreifend rund 40 Prozent aller Neueinstellungen befristet. Im dritten Quartal 2019 waren es sogar 42,6 Prozent, wie aus der Antwort des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales auf eine Anfrage der Linksfraktion hervorgeht, die dem Evangelischen Pressedienst (epd) vorliegt. Von den 2,74 Millionen in diesem Zeitraum geschlossenen Beschäftigungsverhältnissen waren 1,17 Millionen befristet.
Von befristeten Verträgen sehr stark betroffene Branchen sind demnach unter anderem der Kraftfahrzeugbau (62,5 Prozent), der Kunst- und Unterhaltungsbereich (63,9 Prozent) sowie der Bereich Erziehung und Unterricht (66,1 Prozent). Überdurchschnittlich viele Befristungen gibt es auch im Maschinenbau und in der Textilienherstellung. Im Baugewerbe waren hingegen nur gut 15 Prozent der Verträge befristet. Die Angaben des Ministeriums beziehen sich auf die Gesamtbeschäftigung in den Betrieben. Auszubildende, Praktikanten oder Teilnehmer an freiwilligen sozialen Diensten wurden nicht berücksichtigt, wie es hieß.
Angaben zur Befristungsdauer und Vertragslaufzeiten machte das Ministerium in seiner Antwort nicht. Wie die Linksfraktion unter Berufung auf das Statistische Bundesamt mitteilte, hatten allerdings 2018 mehr als die Hälfte (55,5 Prozent) der befristeten Verträge eine Laufzeit von maximal einem Jahr. Weitere 21,2 Prozent der Verträge liefen ein bis zwei Jahre.
Die arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Linken im Bundestag, Sabine Zimmermann, sagte der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (27. Mai), sachgrundlose Befristungen von Arbeitsverträgen gehörten "endlich verboten". Befristet Beschäftigte müssten in der pandemiebedingten Wirtschaftskrise in besonderem Maße um ihren Arbeitsplatz fürchten. Die Mehrheit der befristeten Verträge habe eine kurze Dauer und laufe in absehbarer Zeit aus, bevor die Folgen der Krise überwunden seien. Dadurch werde die Arbeitslosigkeit noch weiter ansteigen.
Längst nicht jede befristete Stelle sei eine Krankheits- oder Elternzeitvertretung, fügte Zimmermann hinzu. Arbeitgeber missbrauchten Befristungen nicht selten als verlängerte Probezeit. In bestimmten Branchen dienten befristet Beschäftigte als Reserve für Schwankungen beim Arbeitskräftebedarf. "Dem muss ein Riegel vorgeschoben werden", sagte Zimmermann. Befristungen seien auch in einigen Branchen verbreitet, die von den Auswirkungen der Pandemie besonders stark betroffen seien oder auch vorher schon in Schwierigkeiten steckten. Dazu gehöre die Autoindustrie, die es versäumt habe, sich rechtzeitig auf emissionsarme Antriebe einzustellen.
"Wir haben es hier mit einer arbeitsmarktpolitischen Zeitbombe zu tun", sagte die Linken-Politikerin weiter. Es brauche deshalb ein weiteres Sozialschutzpaket, unter anderem mit einem Kurzarbeitergeld von 90 Prozent und einem erhöhten Arbeitslosengeld. Vor allem aber müsse das Arbeitslosengeld auch leichter und länger bezogen werden können, denn sonst seien befristet Beschäftigte unzureichend abgesichert.
Düsseldorf (epd). Die Regeln für Geschlechtergerechtigkeit in Unternehmensspitzen sind in Deutschland vergleichsweise schwach. Unter den zehn europäischen Ländern, die eine Quote für Frauen in Führungspositionen besitzen, schneidet Deutschland laut einer am 27. Mai veröffentlichten Analyse des Instituts für Mitbestimmung und Unternehmensführung der Hans-Böckler-Stiftung am schwächsten ab.
Bei einem Index von 0,5 bis 5 erreichte Deutschland der Analyse zufolge lediglich einen Wert von 1,84. Die wirksamsten Regelungen hatte Norwegen mit einem Wert von 4,1. Es folgten Italien (3,8), Portugal (3,1), Spanien (3,1), Belgien (2,9), Frankreich (2,6), Island (2,4), Österreich (2,1) und die Niederlande (2,1). Der Index bemisst sich an der Höhe der Quote, ihrem Geltungsbereich und den Konsequenzen bei einer Missachtung der Regeln, dem Einführungsdatum und der Übergangsfrist.
Für Deutschland gibt es den Angaben zufolge Abstriche, weil die deutsche Quote mit 30 Prozent niedriger ist als in anderen Ländern (33 bis 40 Prozent). Sie gilt nicht für Vorstandsposten und betrifft lediglich 107 Unternehmen, die sowohl börsennotiert als auch paritätisch mitbestimmt sind.
Die deutsche Position im Ranking könnte sich den Studienautorinnen und -autoren zufolge verbessern, wenn der Geltungsbereich der Geschlechterquote ausgeweitet würde. Sie schlagen vor, die Quotenpflicht auf alle börsennotierten und staatlich kontrollierten Unternehmen auszudehnen. Damit könne die Reichweite von derzeit 107 Unternehmen auf etwa tausend erhöht werden. Zudem könnten die Quote auf die Besetzung von Vorständen ausgeweitet und Sanktionen für ein Missachten der Regeln verschärft werden.
Laut einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) liegt der Anteil von Frauen an der Spitze privatwirtschaftlicher Betriebe in Deutschland seit 2016 unverändert bei 26 Prozent, auf der zweiten Führungsebene bei 40 Prozent. Bundesweit sind 44 Prozent aller Beschäftigten Frauen. In Ostdeutschland sind die Werte etwas höher als im Westen der Bundesrepublik. Die aktuelle Frauenquote gilt in Deutschland seit 2016.
Zehn Staaten in Europa verfolgen das Ziel der Geschlechterdiversität der Böckler-Analyse zufolge nicht mit politischen Mitteln, darunter acht osteuropäische EU-Mitglieder sowie Zypern und Malta. Elf weitere beließen es bei rechtlich unverbindlichen Empfehlungen, etwa die Türkei, Rumänien, Polen, Großbritannien, Griechenland, Schweden, Irland und Dänemark.
Der Ländervergleich basiert der gewerkschaftsnahen Böckler-Stiftung zufolge auf einer Auswertung verschiedener Reports über Geschlechterquoten, etwa von der Arbeiterkammer Wien, dem Deloitte Global Center for Corporate Governance, der ehemaligen EU-Kommissarin für Justiz, Verbraucherschutz und Gleichstellung und dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung.
Berlin, Washington (epd). Mit scharfer Kritik hat die Bundesregierung auf die Entscheidung der USA reagiert, inmitten der Corona-Pandemie die Beziehungen zur Weltgesundheitsorganisation (WHO) zu beenden. Das sei "das falsche Signal zur falschen Zeit", sagte Außenminister Heiko Maas (SPD) am 30. Mai den Zeitungen der Funke Mediengruppe (online). "Die Corona-Pandemie ist die erste wirklich weltumspannende Krise unseres Jahrhunderts. Um diese Herausforderung zu bewältigen, brauchen wir weltweite Kooperation statt nationaler Alleingänge", sagte Maas.
Der SPD-Politiker kündigte intensive Gespräche in Washington an, um die US-Regierung von diesem Ansatz überzeugen. Auch Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) bezeichnete die von US-Präsident Donald Trump verkündete Entscheidung als "das falsche Signal im weltweiten Kampf gegen Corona". Nach dem Rückzug der USA müsse sich Europa stärker im globalen Gesundheitsbereich engagieren und auch die finanziellen Mittel dafür bereitstellen. Leider sei der Corona-Schutzschirm der EU aber bislang nur nach innen gerichtet.
US-Präsident Trump hatte am 29. Mai laut dem Sender CNN in Washington erklärt, die WHO habe die von ihm angemahnten Reformen nicht eingeleitet. Er warf der WHO mit Sitz in Genf vor, zusammen mit China die Welt über den Corona-Ausbruch getäuscht zu haben. China habe die WHO unter Druck gesetzt.
Die USA wollten nun die Gelder anderen Institutionen zur Verfügung stellen, betonte Trump. Die USA waren bislang der größte Beitragszahler unter den 194 WHO-Mitgliedsländern. Die USA sind das am stärksten von der Corona-Pandemie betroffene Land. Kritiker werfen Trump vor, mit dem Konfrontationskurs gegen die WHO und China von eigenen Fehlern während des Corona-Ausbruchs ablenken zu wollen.
Von der WHO gab es zunächst keine Stellungnahme zu der US-Ankündigung. WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus hatte in den vergangenen Wochen mehrfach betont, er habe die Welt rechtzeitig und eindringlich vor dem Corona-Erreger gewarnt.
Im April hatte Trump bereits einen Stopp der US-Zahlungen an die 1948 gegründete Weltgesundheitsorganisation angeordnet. Die USA bestreiten laut WHO 553 Millionen Dollar für den Haushalt 2020/2021 in Höhe von 4,8 Milliarden Dollar.
Rund 80 Prozent der Beiträge an die WHO sind freiwillig und in der Regel an Projekte gebunden. WHO-Generaldirektor Tedros betont, dass deshalb die Hände der Organisation oft gebunden seien.
Als Reaktion auf die angespannte Finanzlage will die WHO mit einer neu gegründeten Stiftung zusätzliche Geldquellen erschließen. Die WHO müsse in ihrem Kampf gegen die Corona-Pandemie und andere gesundheitliche Krisen besser finanziell ausgerüstet werden, erklärte der WHO-Generaldirektor.
Der frühere Direktor des Schweizer Bundesamts für Gesundheit, Thomas Zeltner, gründete die "Weltgesundheitsorganisation Stiftung" und übernahm den Posten des Vorstandsvorsitzenden. Die juristisch von der WHO unabhängige Stiftung soll Gelder bei Privatpersonen, Unternehmen, Institutionen und anderen "nicht traditionellen" Gebern einsammeln, wie es hieß.
Die Idee für eine Stiftung stamme von einem seiner Mitarbeiter und sei mehr als zwei Jahre alt, erklärte Tedros. Die WHO spielt eine führende Rolle im internationalen Kampf gegen Infektionskrankheiten wie Malaria und nicht übertragbare Leiden wie Krebs.
Den Haag (epd). Im Oktober 2012, knapp drei Wochen nach einer Alzheimer-Diagnose, überreichte eine damals 71-jährige Frau aus dem Süden der Niederlande ihrem Hausarzt ein handgeschriebenes Dokument. "Ich möchte von meinem Recht auf Sterbehilfe Gebrauch machen, solange ich noch einigermaßen zurechnungsfähig bin, aber nicht mehr bei meinem Mann wohnen kann." Unter keinen Umständen wolle sie in einem Altenheim mit Demenzpatienten landen, schrieb die Frau.
Drei Jahre später war die Frau fortgeschritten dement und wurde in ein Heim gebracht. Die Heimärztin erfuhr von der Patientenverfügung, führte mehrere Gespräche mit der Frau und den Angehörigen und erfüllte schließlich den Sterbewunsch. Die zuständige "Regionale Prüfungskommission Euthanasie" die - wie bei jedem Sterbehilfefall üblich - den Ablauf hinterher kontrollierte, kam jedoch zu dem Schluss, dass die Ärztin gegen ihre Sorgfaltspflicht verstoßen habe. Der Fall wurde an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet, die Anklage wegen Mordes erhob.
Zum ersten Mal wurde damit in den Niederlanden ein Arzt, der Sterbehilfe leistete, strafrechtlich verfolgt. Der Fall landete vor dem Hohen Rat, dem obersten Gericht, das Ende April entschied: Ein Arzt darf auf Grundlage einer Patientenverfügung aktive Sterbehilfe leisten, auch wenn ein Patient den Sterbewunsch nicht mehr selbst bestätigen kann. Damit bahnt sich eine Erweiterung des Rechts auf Sterbehilfe an. Das Urteil spaltet das Land.
Das liberale niederländische Sterbehilfegesetz schreibt vor, dass ein Sterbewunsch freiwillig und wohlüberlegt geäußert werden muss. Bei fortgeschrittener Demenz wird diese Voraussetzung jedoch nicht erfüllt, so dass aktive Sterbehilfe bei Demenzpatienten bisher ausgeschlossen wurde. Im konkreten Fall war die Frau so verwirrt, dass sie nicht einmal mehr wusste, was Sterbehilfe bedeutete, und bis zuletzt wirre und widersprüchliche Aussagen machte.
Die Niederlande gehen nun jedoch wieder einen Schritt weiter. Die Richter des Hohen Rats in Den Haag fanden, dass Sterbehilfe erlaubt ist, wenn in der Patientenverfügung bereits auf eine mögliche Unfähigkeit, den Sterbewunsch später zu bestätigen, eingegangen wird. Das Gericht hob damit eine deutliche schriftliche Erklärung eines Patienten als entscheidenden Faktor hervor. Die Einschätzung liege aber letztlich beim Arzt. Für solche Fälle müssten für die Prüfung zwei Ärzte eingeschaltet werden.
Der Medizinethiker Theo Boer kritisiert, dass das Urteil viele neue Fragen aufwerfe: Wie viel Wert werde beispielsweise noch direkten Äußerungen eines Patienten beigemessen? Bei verwirrten Menschen müssten sich Ärzte bei ihrer Beurteilung eines Sterbewunsches zudem vor allem auf die Aussagen von Familienangehörigen stützen, die möglicherweise eigene Interessen hätten, schrieb Boer in der Tageszeitung "Trouw". Die Niederländische Vereinigung für ein freiwilliges Lebensende (NVVE) dagegen begrüßte, dass das Urteil mehr Rechtssicherheit schaffe.
Die Richterin Miriam de Bontridder und der frühere Vizepräsident des Hohen Rats, Hein Mijnssen, erklärten, dass der Wille des Patienten der Ausgangspunkt sein müsse. "Für einen Arzt muss entscheidend sein, was ein Patient in seiner Verfügung als untragbares Leiden bezeichnet", schrieben sie in der Zeitung "NRC Handelsblad". Wenn ein Patient die Abhängigkeit von anderen als untragbares Leiden definiert und deshalb sterben will, müsse dies respektiert werden.
In Deutschland ist aktive Sterbehilfe verboten. Der Bundesgerichtshof (BGH) entschied jedoch im Februar, dass begleitetes Sterben unter bestimmten Bedingungen möglich ist. Ärzte können demnach in Einzelfällen Menschen beim Suizid beistehen, ohne dafür strafrechtlich belangt zu werden. Die Richter in Karlsruhe argumentierten, dass der Sterbewunsch eines Patienten zu respektieren sei.
Berlin (epd). Wer vor 25 Jahren vor dem verhüllten Reichstagsgebäude in Berlin stand, wird den Anblick vermutlich sein Lebtag nicht vergessen. Nach langer und leidenschaftlicher Debatte und jahrzehntelanger Vorarbeit durften Christo und Jeanne-Claude das historische Bauwerk mit riesigen, silbergrauen Stoffbahnen einpacken. Für viele Besucher und Berliner fühlte es sich an, als sei am 24. Juni 1995 ein Raumschiff in der neuen Hauptstadt des wiedervereinigten Deutschlands gelandet. Am 13. Juni wäre der Initiator, der aus Bulgarien stammende Künstler Christo Vladimirov Javacheff, 85 Jahre alt geworden. Wenige Tage zuvor ist er nun im Alter von 84 Jahren gestorben.
Er sei noch immer berührt, wenn er zum Reichstagsgebäude nach Berlin komme, sagte Christo noch Jahre nach dem Projekt in einem Interview: Es sei, als würde man "zu seinem Kind zurückkehren".
Die Wiese vor dem Reichstagsgebäude war zwei Wochen lang übersät mit fröhlichen und verzauberten Menschen. Diese Stelle im Zentrum der so lange geteilten Stadt war plötzlich der neue Mittelpunkt einer selbstbewussten Metropole, in der erst wenige Jahre zuvor eine todbringende Mauer zu Fall gebracht worden war. Dort, am Rande des weitläufigen Tiergartens, fand mit Christos Projekt ein wahres Sommermärchen statt, lange vor der Fußballweltmeisterschaft 2006. Berlin machte sich auf, eine neue Stadt zu werden - weltoffen, unprätentiös und irgendwie doch voller verrückter Dinge.
Der Bundestag hatte im fernen Bonn leidenschaftlich über das Projekt gestritten. Die Sitzung vom 25. Februar 1994 war eine Debatte mit heftigen Emotionen. Die einen sahen das Vorhaben als "Symbol für die Wiedergeburt der Demokratie", andere wie Unions-Fraktionschef Wolfgang Schäuble als "Gefahr für die Würde der demokratischen Geschichte und Kultur". Argumente für das Projekt waren nicht nur die neue Kunstform und die andere ästhetische Gestalt des Gebäudes, sondern auch, dass es den Steuerzahler nichts koste.
Schließlich bekam die Drucksache 12/6767 "Verhüllter Reichstag - Projekt für Berlin" in namentlicher Abstimmung eine Mehrheit: 292 Abgeordnete waren für Christos Projekt, 223 dagegen, neun Parlamentarier enthielten sich. Nach einer Woche Aufbau wurde der "Wrapped Reichstag" schließlich im Juni 1995 für 14 Tage zum Volksfest und zum Weltkulturereignis mit fünf Millionen Besuchern.
Gekostet hat es den Steuerzahler in der Tat - nichts. Das war bei Christos und Jeanne-Claudes Kunst immer so. Finanziert wurden die kostspieligen Vorhaben ausschließlich aus dem Verkauf von Bildern, Zeichnungen und Skizzen.
Der Sohn eines bulgarischen Chemiefabrikanten war Ende der 50er nach Paris gekommen. Dort entstanden seine ersten Projekte und Ideen, bald zusammen mit seiner Frau Jeanne-Claude Denat de Guillebon, die 2009 in New York starb. Mit der ebenfalls am 13. Juni 1935 geborenen Französin bildete Christo eines der wohl bekanntesten Künstlerpaare der jüngeren Gegenwart. 1962 heirateten sie, 1964 zogen sie nach New York.
Ein abgedeckter Küstenstreifen in Australien, die verhüllte Seine-Brücke Pont-Neuf 1984 in Paris, mehr als 3.000 blaue und gelbe Schirme beim Projekt "The Umbrellas" 1991 in Japan und den USA, meterhohe gelbe Stoffbahnen im New Yorker Central Park - immer existierte Christos und Jeanne-Claudes Kunst nur für einen begrenzten Zeitraum.
Die Beobachter wurden zum Teil des Kunstwerkes. Danach blieb die Erinnerung an die inzwischen weltweit mehr als 30 Projekte in Zeichnungen und Fotos. Seit 1972 wurden sie vom deutschen Fotografen Wolfgang Volz dokumentiert. Die Vergänglichkeit gehörte zum Reiz der Projekte.
Das war auch so bei Christos vorerst letztem spektakulärem Vorhaben, den "Floating Piers": Auf den bis dahin wenig bekannten Iseosee in Oberitalien platzierte er im Sommer 2016 Plastik-Stege, die mit orangefarbenem Stoff überzogen waren. Mehr als 1,3 Millionen Menschen wanderten in gut zwei Wochen über die kilometerlangen Pontons und den See - ein Projekt wie aus einer anderen Welt und Christos erstes ohne Jeanne-Claude an seiner Seite.
In Deutschland war er - neben der Reichstagsverhüllung 1995 - auch in Kassel ("Air Package") und Oberhausen ("The Wall" und "Big Air Package") mit spektakulären Vorhaben zu Gast.
Berlin erinnert dieser Tage unter anderem mit einer Ausstellung von Originalzeichnungen und -Skizzen an das Gesamtwerk des Künstlerpaars. Die Ausstellungsstücke der Schau "Christo and Jeanne-Claude. Projects 1963-2020" im Palais Populaire, Unter den Linden, stammen aus der Ingrid & Thomas Jochheim Collection. Das Sammlerpaar aus Recklinghausen ist seit Jahrzehnten mit dem Künstler befreundet.
Sein letztes großes Projekt, die Verhüllung des Triumphbogens in Paris, soll trotz seines Todes zwischen dem 18. September und 3. Oktober 2021 umgesetzt werden, wie Christos Büro ankündigte.
Mainz (epd). Wenn Kirchen im Rhein-Main-Gebiet Gospel- oder Jazz-Projekte planten, war Mark Schwarzmayr in der Vergangenheit oft mit von der Partie. Doch seit diesem Frühjahr ist alles anders für den Jazz-Pianisten und Saxofonisten: "Ich bekomme Absagen für Konzerte bis weit in den November hinein." Dass der freiberufliche Musiker mit manchen Gemeinden schon seit mehr als 15 Jahren zusammenarbeitet, erweist sich nun als besonders ungünstig. Für einige der ausgefallenen Auftritte erhält er nun keinen einzigen Euro: "Das Kernproblem ist, dass vieles per Handschlag geregelt wurde."
Für die Betroffenen hat das teils gravierende finanzielle Auswirkungen, denn die großen Kirchen zählen zu den wichtigsten Auftraggebern für freiberufliche Musiker. Während die Honorare für regelmäßig vor Ort tätige Organisten vielfach weitergezahlt werden, gehen Sänger, Solisten und Orchester-Musiker, die lediglich für einzelne Veranstaltungen gebucht wurden, oft leer aus. Dabei haben viele evangelische Landeskirchen und katholische Bistümer eigentlich Empfehlungen ausgesprochen, die auf den ersten Blick für die Betroffenen vorteilhaft klingen.
So bat Johann Weusmann, Vizepräsident der rheinischen Kirche, seine Gemeinden bereits im April darum, "die Verträge mit den Musikerinnen und Musikern in der Passions- und Osterzeit großzügig zu behandeln und sie, wo es möglich ist, auch ohne Auftritt finanziell zu unterstützen". Als Richtwert für Ausfallhonorare bei abgesagten Veranstaltungen brachte die Landeskirche eine Größenordnung von 75 Prozent ins Gespräch.
Die Kurhessische Kirche (EKKW) verabschiedete Leitlinien mit einem Stufenplan je nach verbleibender Frist zwischen Absage und Auftrittstermin - dabei geht es um Summen zwischen 50 Euro und immerhin 50 Prozent des vereinbarten Honorars.
In der hessen-nassauischen Landeskirche werden im Haushalt "eingepreiste" Honorare für Organisten und freie Kirchenmusiker beglichen, im Fall von "externen Künstlern" gibt es Überlegungen für einen Hilfsfonds. Dessen Zustandekommen hänge aber davon ab, wie schwer die Kirchenfinanzen in der Pandemie unter Druck geraten, hieß es. Ansonsten verweist die Landeskirche in Darmstadt "auf die jeweiligen Hilfsregelungen etwa vom Staat".
Doch gerade von dort haben freiberufliche Musiker kaum etwas zu erwarten. "Das betrifft die meisten Musiker nicht", sagt der Pianist Schwarzmayr. Die staatlichen Soforthilfen für Selbstständige seien nur für die Deckung von Betriebskosten gedacht, die bei Musikern kaum anfielen. Er selbst könnte wohl bestenfalls seine Telefonrechnung über das Hilfspaket in Rechnung stellen.
In der Praxis zeige sich zudem, dass die Empfehlungen der Kirchenleitungen an der Basis gar nicht immer ankämen, berichtet Carina Vogel aus Schweighofen an der deutsch-französischen Grenze. Die rheinland-pfälzische Landesvorsitzende des Deutschen Tonkünstler-Verbandes (DTKV) ist selbst im Bereich des katholischen Bistums Speyer als nebenamtliche Organistin und Chorleiterin tätig. Und auch andere Mitglieder des Berufsverbandes seien nicht sehr glücklich über das Vorgehen ihrer kirchlichen Auftraggeber. Für kurzfristig ausgefallene Gottesdienste erhielten sie oft gar keine Entschädigung.
Das Ziel der meisten Musiker sei keineswegs, Honorare ohne Gegenleistung zu erhalten, betont die Kontrabassistin und Kirchenorganistin Ina Burger: "Ich hätte mir gewünscht, dass man nach Wegen sucht, wie man Musiker sinnvoll beschäftigen kann." Eine Alternative zu den geplatzten Auftritten in Kirchen wäre beispielsweise die Mitwirkung an virtuellen Gottesdienstangeboten.
Die Deutsche Orchestervereinigung appellierte inzwischen an die großen Kirchen, nach der Lockerung der Gottesdienstverbote verstärkt freiberufliche Solisten zu engagieren insbesondere, solange Chorgesang noch nicht möglich sei. Einen ähnlichen Wunsch hat auch Carina Vogel vom Musiker-Berufsverband: Kirchengemeinden sollten ihre oft großen Räumlichkeiten stärker für Kulturveranstaltungen und Konzerte öffnen, solange viele kleine Bühnen nicht zu nutzen seien: "Das könnte Freischaffenden die Möglichkeit geben, wieder aktiv zu werden."
Hannover (epd). Welche Gefahr vom Chorgesang für eine Ansteckung mit dem Coronavirus ausgeht, darüber gehen auch Expertenmeinungen auseinander. Angesichts der unklaren Erkenntnislage warnt der Musik-Mediziner Eckart Altenmüller aus Hannover Chöre und Gesangvereine davor, zu schnell wieder mit dem gemeinsamen Singen zu beginnen. Altbundespräsident Christian Wulff (CDU) hofft hingegen, dass Sängerinnen und Sänger bald wie gewohnt proben und auftreten können. Der Präsident des Deutschen Chorverbandes betont allerdings auch, niemand dürfe durch Gesang einem besonderen Corona-Risiko ausgesetzt werden.
Hochschul-Professor Altenmüller unterstrich: "Im Chor zu singen, ist sehr gefährlich." Weil Chorgesang unmittelbar mit dem Atmen zu tun habe, bestehe ein hohes Risiko, sich mit dem Coronavirus zu infizieren, sagte der Altenmüller Leiter des Instituts für Musikphysiologie und Musiker-Medizin an der Hochschule für Musik, Theater und Medien in Hannover. In diesem Fall könne sich das Virus tief in der Lunge einnisten. "Wenn wir vermeiden wollen, dass sich diese Pandemie wieder ausbreitet, dann sollten wir im Moment keinen Chorgesang erlauben."
Wulff hingegen erläuterte, neueste Studien legten nahe, dass es beim Chorsingen kein spezifisch erhöhtes Ansteckungsrisiko für Corona gebe. Über aller Hoffnung auf Normalität stehe auch für ihn der Wunsch nach Sicherheit, betonte Wulff: "Ich sehe auch bei den Chören, dass sie in großartiger Weise Verantwortung für alle übernehmen und nicht überstürzt handeln." Der Deutsche Chorverband arbeite zudem intensiv an einem grundlegenden Hygienekonzept, das in modifizierter Form als Basis für die einzelnen Chöre und die Gesundheitsämter dienen könne.
Als Alternativen zum normalen Singen seien zurzeit etwa Singen in Hallen und auf Stadiontribünen, "überhaupt jetzt im Sommer im Freien, oder mit Abständen in belüfteten Räumen" möglich. Viele Chöre träfen sich seit Wochen auch schon online in verschiedensten Formaten. Allerdings litten sämtliche Online-Angebote unter zeitlichen Verzögerungen bei der Signalübermittlung. Gleichwohl ermöglichten sie zumindest teilweise, Gemeinschaft zu erleben. "Das kann analoge Zusammenkünfte nicht ersetzen, kann aber vielleicht einiges auffangen."
Altenmüller geht davon aus, dass - optimistisch geschätzt - das Singen in großen Chören in geschlossenen Räumen vielleicht Mitte September wieder beginnen kann. Das wichtigste Ziel müsse jetzt sein, die Gesundheit der Sängerinnen und Sänger zu schützen. Neben der klassischen Tröpfcheninfektion gehe vor allem von den sogenannten Aerosolen eine Ansteckungsgefahr aus, erläuterte er. Das sind kleinste Tröpfchen, die so leicht sind, dass sie in der Luft schweben. Unter bestimmten Bedingungen halten sie sich nach Auskunft des Mediziners bis zu drei Stunden in der Luft. Aerosole können laut Altenmüller etwa drei bis fünf Meter weit fliegen.
Auch er bedauere, dass Chöre wegen der Pandemie zurzeit auf das gemeinsame Singen verzichten müssten: "Wir wissen, wie wichtig der Chorgesang für die Menschen ist", sagte der Mediziner. "Er fördert die Gemeinschaft, trägt zum emotionalen Wohlbefinden bei und stärkt so die Abwehrkräfte. Dass wir das, was wir gerade in dieser Zeit so nötig hätten, nicht tun dürfen, ist besonders bitter."
Berlin (epd). Unter dem Titel "Bei Anruf Kunst" haben Theaterschaffende eine bundesweite Corona-Hilfsaktion der besonderen Art gestartet: Bekannte Künstler rufen kulturinteressierte Privatpersonen an und lesen exklusiv Texte vor, wie eine Sprecherin des Ensemble-Netzwerks am 27. Mai dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Berlin bestätigte. Im Gegenzug kann der Angerufene nach eigenem Ermessen spenden. Mit dem Geld sollen wegen der Corona-Krise in Not geratene freiberufliche Schauspielerinnen und Schauspieler finanziell unterstützt werden.
Kulturinteressierte können dazu über das Online-Portal des Ensemble-Netzwerks einen exklusiven Telefontermin mit einem Künstler vereinbaren. Es lesen unter anderem Harald Schmidt, Sophie Rois, Ulrich Matthes, Nicole Heesters, Imogen Kogge, Peter Jordan, Peter Lohmeier und viele andere. Initiiert wurde die Aktion von Schauspielerin Victoria Trauttmansdorff.
Im Lese-Angebot seien Balladen, Theaterstücke, Werke der Welt-Literatur, große und kleine Texte, die von den Künstlern selbst ausgesucht werden. Die exklusive Lesung dauere bis zu 20 Minuten, im Anschluss könne gerne ein kleiner Dialog entstehen, sagte die Sprecherin.
Die Corona-Krise treffe freiberufliche Theatermacher wirtschaftlich besonders hart, hieß es zur Begründung der Aktion. Ihnen seien in den vergangenen Wochen ihre Einkommensquellen weggebrochen. Mit den Exlusivlesungen von bekannten Künstlern sollen andere in Not geratene, freiberufliche Kolleginnen und Kollegen unterstützt werden.
Washington (epd). Der Streit zwischen US-Präsident Donald Trump und dem Kurznachrichtendienst Twitter geht in eine neue Runde. Das Unternehmen versah am 29. Mai einen Tweet von Trump zu den Ausschreitungen gegen Polizeigewalt in Minneapolis mit einem warnenden Hinweis: "Dieser Tweet verletzt unsere Richtlinien zur Gewaltverherrlichung", teilte das Unternehmen in einem Thread auf Twitter mit. Man reagiere mit diesem Hinweis, weil man verhindern wolle, dass andere Menschen dazu verleitet werden, Gewalt auszuüben. Der Tweet sei aber nicht gelöscht worden, weil er von öffentlichem Interesse sei.
Trump hatte auf Twitter angekündigt, die Nationalgarde zu schicken, um Ausschreitungen in Minneapolis zu beenden - notfalls mit Gewalt: "Ich werde die Nationalgarde schicken und die Arbeit richtig erledigen" und weiter: "Wenn die Plünderungen beginnen, beginnt das Schießen." In der Stadt im US-Bundesstaat Minnesota war am Montag der Afroamerikaner George Floyd nach einem brutalen Polizeieinsatz durch weiße Polizisten gestorben. Seither kommt es zu teils gewalttätigen Demonstrationen.
Am 28. Mai hatte Trump angekündigt, Twitter und andere soziale Medien stärker reglementieren zu wollen. Ein Erlass des Präsidenten soll eine als Sektion 230 bekannte Regel reformieren, der zufolge die Plattformen nicht haftbar gemacht werden können für Texte von Nutzern. Zugleich soll sozialen Netzwerken erlaubt werden, gegen Inhalte oder Nutzer vorzugehen.
Der Politikwissenschaft Julian Jaursch von der Stiftung Neue Verantwortung in Berlin warnte vor einem "Überschwappen" der amerikanischen Diskussion nach Europa. "Ein ähnlicher Schnellschuss zu Haftungsfragen großer Plattformen wäre ein schlechtes Zeichen für die Meinungsfreiheit im Netz", sagte er dem Evangelischen Pressedienst (epd) am Freitag in Berlin. Bisher hafteten Plattformen in der EU nicht für die Inhalte Dritter. "Es ist aber denkbar, dass die Auseinandersetzungen um Meinungsfreiheit in den USA auch hier in Europa dazu führt, Haftungsfragen erneut zu diskutieren, sagte Jaursch. Gelegenheit dazu könnte die Reform der E-Commerce-Richtlinie sein, die die EU mit dem "Digital Services Act" plane, dessen Beratungen nächste Woche starteten.
Die genauen Auswirkungen des Präsidentenerlasses waren zunächst unklar. Rechtsexperten führen an, dass weitreichende Änderungen und Gesetze vom Kongress beschlossen werden müssen. Das Dekret Trumps sei bisher lediglich als "politische Botschaft" zu verstehen, ergänzte Jaursch. Ob es juristischen Bestand habe, sei fraglich, denn mit dem Dekret würden die Meinungsäußerungen von privaten Unternehmen beschnitten, was unter Umständen nicht verfassungskonform sei.
Die großen sozialen Netzwerke reagierten geschlossen auf den Erlass: Google betonte, klare inhaltliche Richtlinien zu haben, die man "ohne Rücksicht auf individuelle politische Standpunkte" durchsetze. "Sektion 230 auf diese Weise zu untergraben, würde Amerikas Wirtschaft und seiner globalen Führungsrolle bei der Internetfreiheit schaden", teilte ein Google-Sprecher auf epd-Anfrage in Hamburg mit.
Twitter erklärte am Freitag, Trumps Vorstoß sei "reaktionär" und untergrabe die freie Meinungsäußerung in Amerika. Auch Facebook wandte sich gegen das Vorhaben des Präsidenten: Sektion 230 aufzuheben oder zu begrenzen, werde einen gegenteiligen Effekt haben, erklärte ein Facebook-Sprecher auf epd-Anfrage am Freitag in Hamburg. "Es wird mehr Online-Rede beschränken, statt weniger." Facebooks Regularien schützten die freie Meinungsäußerung: "Diese Regeln gelten für jeden."
Dem Dekret des Präsidenten war bereits eine Auseinandersetzung mit Twitter vorausgegangen. Der Mikrobloggingdienst hatte am Dienstag erstmals zwei Tweets von Trump als irreführend gekennzeichnet. Dabei wurde eine neue Regel angewendet, wonach es Hinweise bei Fehlinformationen geben soll. So hatte Trump behauptet, mögliche Briefwahlen in den USA seien nur eine Einladung zum Wahlbetrug. Twitter schrieb in blauer Schrift unter Trumps Tweet: "Holen Sie sich hier die Fakten über Briefwahlzettel." ("Get the facts about mail-in ballots.").
Berlin (epd). Nach der umstrittenen "Bild"-Berichterstattung über eine wissenschaftliche Studie des Virologen Christian Drosten hat die Krankenkasse AOK angekündigt, vorerst nicht mehr in dem Boulevardblatt zu werben. Die "Bild" stelle derzeit kein geeignetes Umfeld für die eigene Imagekampagne "Für ein gesünderes Deutschland" dar, erklärte der AOK-Bundesverband am 27. Mai. Wie ein Sprecher dem epd bestätigte, betrifft der Werbe-Rückzieher nur die "Bild", nicht aber den Springer-Verlag insgesamt.
Der AOK-Geschäftsführer Markt & Produkte, Steve Plesker, hatte die "Bild"-Berichterstattung zunächst in dem sozialen Netzwerk LinkedIn scharf kritisiert und von einer "Schande" gesprochen. Das habe mit Journalismus nichts zu tun. Später löschte er jedoch den Post, weil es dabei um seine "persönliche Meinung" und nicht um eine "abgestimmte Unternehmensposition" gehandelt habe, wie er selbst mitteilte.
"Die Berichterstattung in den Medien zur Corona-Krise und neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen reicht von sehr differenzierten bis hin zu sehr einseitigen, ja polemischen Beiträgen. Beides mag seine Berechtigung haben, und es liegt mir fern, Einfluss auf Berichterstattung nehmen zu wollen", erklärte Plesker. Doch müssten sich werbetreibende Unternehmen mit der Frage beschäftigen, in welchen Umfeldern sie werblich in Erscheinung treten wollten. Eine "Brand Safety" - also das Ausspielen von Werbekampagnen auf einem markenkonformen und vertrauenswürdigem Umfeld - sei nicht mehr gegeben. Die größte deutsche Krankenkasse betonte zugleich, die Entscheidung sei nicht als Aufruf zum Boykott der "Bild"-Zeitung zu verstehen.
In dem Bericht über die noch nicht veröffentlichte Studie des Leiters der Berliner Charité hatte das Springer-Blatt andere Wissenschaftler mit Kritik an Drostens Arbeit zitiert. Die Forscher distanzierten sich später von den Zitaten, die aus ihrem wissenschaftlichen Zusammenhang gerissen worden seien. Drosten, der per E-Mail um eine Stellungnahme innerhalb einer Stunde gebeten worden war, veröffentlichte die Anfrage des "Bild"-Reporters auf Twitter - mit dem Hinweis, dass er sie als tendenziös empfinde und nicht beantworten werde.
Frankfurt a.M. (epd). Die diesjährige Frankfurter Buchmesse soll nach den Worten von Direktor Juergen Boos als "Sonderedition mit eigenem Format" stattfinden. Sie werde vom 14. bis 18. Oktober auf dem Messegelände, dezentral in der Stadt und zeitgleich virtuell stattfinden und ein "europäisches Gepräge" haben, sagte Boos am 28. Mai in Frankfurt am Main. Bundeskulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) begrüßte die Entscheidung wie bereits am Vorabend auch der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier und politische Repräsentanten der Stadt Frankfurt.
Boos sagte, alle europäischen Verlagsgruppen bereiteten ihre Messeauftritte vor, auch die aus Spanien, Italien und Frankreich. Dagegen werde es wegen der Corona-Pandemie keine Teilnehmer aus Lateinamerika, Asien und den USA geben.
Mit dem Gastland Kanada würden derzeit intensive Gespräche über seinen Auftritt geführt, sagte Boos. Er gehe derzeit stark von einem virtuellen Konzept des Landes aus. Falls eine zweite Corona-Welle komme, würden alle Präsenzveranstaltungen abgesagt.
Der Aufsichtsrat der Buchmesse hatte entschieden, dass die Messe coronabedingt mit einem besonderen Gesundheits- und Hygienekonzept stattfinden soll. So sollen etwa die Stände größer und die Gänge breiter werden. Außerdem soll auf große Bühnen verzichtet werden. Genutzt werden nur die Hallen 3, 4 und 6. Bei Bedarf kann die Buchmesse auch weitere Flächen kostenlos nutzen.
Im vergangenen Jahr waren 7.450 Aussteller aus 104 Ländern nach Frankfurt gereist. Insgesamt lockte die weltweit größte Bücherschau rund 300.000 Besucher an. "In diesem Jahr rechnen wir nur mit einem Drittel der Aussteller", sagte Boos. Auch aus Deutschland hätten bereits große Verlagsgruppen wie Holtzbrinck, Bonnier und Random House ihre Teilnahme abgesagt. Zu den weiteren wichtigen Verlagen, die nicht kommen werden, gehören unter anderen Rowohlt, S. Fischer, Droemer Knaur, Kiepenheuer & Witsch, Carlsen, Piper, Ullstein sowie Goldmann, Heyne, Luchterhand und Penguin.
Am 17. und 18. Oktober wird es laut Boos zwei Publikumstage geben. Der Einlass erfolge kontaktlos nach Vorabregistrierung und Selbstauskunft über den Gesundheitszustand. Zeitgleich dürften sich etwa 20.000 Besucher auf der Messe bewegen.
Das digitale Rahmenprogramm der Frankfurter Buchmesse wolle mit vielen Angeboten die Anforderungen sowohl der Teilnehmer vor Ort als auch der virtuell zugeschalteten Gäste aus der ganzen Welt abbilden, sagte der Buchmessedirektor. Es werde ein virtuelles Konferenzprogramm mit Interaktionsmöglichkeiten geben, und die großen Publikumsveranstaltungen würden ins Fernsehen verlagert. Dazu gebe es schon Gespräche mit den deutschen Fernsehanstalten und Arte.
Der Hauptgeschäftsführer der Buchmesse, Alexander Skipis, sagte, die abgespeckte Frankfurter Buchmesse wolle nach den ausgefallenen Messen von Leipzig und London der Buchbranche eine Perspektive bieten und wie in den Jahren zuvor gesellschaftliche Impulse setzen. Dort solle zum Beispiel über die gesellschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie diskutiert werden. Weitere Themen seien das Auseinanderdriften der Gesellschaft und der zunehmende Nationalismus.
Allerdings sei jetzt schon klar, dass die Buchmesse ein "enormes Defizit" einfahren werde, sagte Skipis. Da sei es schon eine große Hilfe, dass etwa die Stadt Frankfurt Räume und Sicherheitskräfte kostenlos zur Verfügung stellen wolle.
Die Vorsteherin des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, Karin Schmidt-Friderichs, zeigte sich erleichtert, dass die Messe stattfinden kann. Die Veranstaltung trotz Corona auszurichten, sei eine "mutige und wegweisende Entscheidung". Sie wünsche sich, dass im Herbst die "Buchbegeisterung" in die ganze Welt getragen werde, sagte Schmidt-Friderichs.
Grütters erklärte, die Buchbranche sei durch die Absage der Leipziger Messe und anderer europäischer Treffs und durch den wochenlangen Lockdown schwer getroffen: "Sie braucht deshalb Perspektiven und einen starken Anker wie ihre Buchmesse in Frankfurt." Die Aussicht auf den größten Branchentreff sei daher "ein echter Lichtblick in dieser Zeit", sagte Grütters.
Frankfurt a.M. (epd). "Ein belangloser, ein schlechter, ein miserabler Roman" - für Urteile dieser Art wurde Marcel Reich-Ranicki von Schriftstellern gefürchtet und vom Publikum geliebt. Neben Witz, Kompetenz und Showtalent war es die Klarheit der Bewertungen, die seinen Erfolg begründete. "Eine Kritiker-Persönlichkeit, die so omnipräsent im literarischen Leben ist, gibt es heute nicht mehr", sagt Thomas Anz, literarischer Nachlassverwalter des Kritikers, dem Evangelischen Pressedienst (epd). Vor 100 Jahren, am 2. Juni 1920, wurde der Erfinder des "Literarischen Quartetts" im polnischen Wloclawek geboren.
Der Sohn einer Deutschen und eines Polen ist von Jugend an ein Literaturbesessener. Als Marcel Reich mit seiner jüdischen Familie 1929 nach Berlin zieht und mit dem aufkommenden Nationalsozialismus konfrontiert ist, flüchtet er sich in die Literatur. Sie wird zu seiner "Gegenwelt", wie er in seiner Autobiografie "Mein Leben" schreibt. Kurz nach seinem Abitur wird er 1938 nach Polen ausgewiesen, wie rund 17.000 weitere polnische Juden. Er überlebt mit seiner Frau Tosia das Warschauer Ghetto.
Nach dem Krieg - er nimmt den polnisch klingenden Namen Ranicki an - arbeitet er mehrere Jahre für das polnische Sicherheitsministerium, bis er wegen "ideologischer Fremdheit" aus der Kommunistischen Partei ausgeschlossen wird. Noch in Warschau beginnt er seine Karriere als Literaturexperte und Kritiker. 1958 siedelt er in die Bundesrepublik über, wo er rasch zum namhaften Rezensenten aufsteigt und bei den Autorentreffen der Gruppe 47 seine rhetorische Virtuosität zur Geltung bringt.
Man nennt ihn bald Großkritiker, Literaturpapst oder gar literarischen Scharfrichter. Sich selbst sieht Reich-Ranicki, ab 1973 Literaturchef der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", vor allem als Anwalt der Leser. Die literarischen Werte, die er vertritt, erscheinen dem Publikum plausibel, nachvollziehbar. Reich-Ranicki lobt in seinen Kritiken häufig Anschaulichkeit und Lebendigkeit, geißelt allzu konstruiert wirkende Handlungen und "schemenhaft" gezeichnete Figuren.
"Er mochte keine Literatur, die spannungslos, zu wenig anschaulich, zu theoretisch war", sagt der emeritierte Germanistikprofessor Anz. "Der Text sollte eine geschlossene Form haben und nicht auseinanderdriften."
Auch eine manieristische oder avantgardistische Sprache lehnt er ab. Reich-Ranicki selbst schreibt: "Wer was erzählen will, spielt nicht mit Klängen, jongliert nicht mit Worten. Erzählen ist vor allem: sehen und sichtbar machen, glauben und beglaubigen. Erzählen heißt: der Wirklichkeit zur Wirksamkeit verhelfen." Er offenbart also eine Nähe zum literarischen Realismus, wie er in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die europäische Literatur bestimmte.
Sein literarischer Wertekanon trägt ihm immer wieder Kritik ein, vor allem von Schriftstellern. "Reich-Ranicki misstraut allen Formen der Literatur, die gegen den üblichen Sprachgebrauch um mehr als ein bestimmtes Maß verstoßen", schreibt etwa der Autor Franz Josef Czernin in seinem 1995 erschienen Band "Marcel Reich-Ranicki - Eine Kritik".
Anz räumt ein, dass Reich-Ranickis Literaturverständnis "eher konventionell" gewesen sei. Dennoch habe er auch moderne Autoren wie Thomas Bernhard oder Wolfgang Koeppen geschätzt.
Reich-Ranicki erringt eine außerordentliche Machtstellung im literarischen Betrieb. Sein großer Einfluss, seine unerbittlichen Urteile, aber eben auch seine literarischen Normen machen ihn zur Reizfigur. Legendär sind die erbitterten, auch verletzenden Fehden mit Großautoren, zu denen er ein wechselhaftes Verhältnis hat, etwa Günter Grass und Martin Walser. "Marcel Reich-Ranicki hat Autoren verrissen, die er gleichzeitig sehr schätzte", sagt Anz, der Anfang der 80er Jahre mit Reich-Ranicki bei der FAZ arbeitete.
Der endgültige Durchbruch zur Medienikone gelingt Reich-Ranicki ab 1988 mit der ZDF-Sendung "Das Literarische Quartett". Sie macht ihn zum "Popstar", wie sein Biograf Uwe Wittstock schreibt, ebenfalls ein früherer FAZ-Kollege. Es gelingt ihm, die Literatur einem Millionenpublikum näherzubringen, die Auswahl der besprochenen Bücher wirkt sich erheblich auf deren Verkaufszahlen aus.
"Er verband die Fähigkeit und Bereitschaft zur radikalen Vereinfachung komplexer literaturkritischer Fragen mit seinem beneidenswerten rhetorischen Talent, verknüpfte die Lust am Streitgespräch mit dem Mut zu provokativen, politisch wenig korrekten Ansichten", schreibt Wittstock, "vereinte Leidenschaft in der Sache mit einem ausgeprägten Gespür für die dramaturgischen Notwendigkeiten einer Fernsehsendung."
Trotz seines Erfolges in der Bundesrepublik: Der von den Nazis verfolgte Reich-Ranicki, dessen Eltern in den Gaskammern von Treblinka ermordet wurden, wird auch später oft mit Antisemitismus konfrontiert. Zeit seines Lebens bewahrt er eine innere Distanz zu Deutschland. Seine Erlebnisse unter der Nazi-Herrschaft schildert er 2012 - im Jahr vor seinem Tod - in einer bewegenden Rede im Bundestag. "Ich war nie ein Deutscher, ich bin es nicht und werde es nie sein", sagt Reich-Ranicki 1999 in einem Interview: "Dass ich heimatlos bin, stimmt nicht, aber meine Heimat ist die deutsche Literatur. Punkt. Schluss."
Genf, Gitega (epd). Als der Vorsitzende von Burundis Wahlkommission, Pierre Claver Kazihise, am 25. Mai den Sieg von Regierungskandidat Évariste Ndayishimiye verkündete, waren in den Straßen von Bujumbura längst schwer bewaffnete Sicherheitskräfte postiert. Denn dass der Vertraute des bisherigen Präsidenten Pierre Nkurunziza 68,7 Prozent der Stimmen erhalten haben soll, droht in der Oppositionshochburg zu Unruhen zu führen. Die Lage ist angespannt. Der mit offiziell 24,2 Prozent zweitplatzierte Oppositionsführer Agathon Rwasa legte Einspruch gegen das Ergebnis ein und reklamierte den Sieg für sich.
Doch dass er sich damit durchsetzen kann, scheint derzeit unmöglich. Das liegt vor allem an Burundis starkem Mann Pierre Nkurunziza, der das ostafrikanische Land seit dem Ende eines blutigen Bürgerkriegs 2005 mit harter Hand regiert hat. Sein nun proklamierter Nachfolger Ndayishimiye ist wenige Jahre jünger und soll Wandel verkörpern. Tatsächlich ist der Neue an der Spitze Burundis ein alter Bekannter und ein Repräsentant des alten Regimes Nkurunziza.
Auf dessen Seite schlug sich der General im Ruhestand bereits, als die größte Hutu-Miliz sich Anfang des Jahrtausends mitten im Bürgerkrieg aufspaltete. Nach Kriegsende und der Wahl Nkurunzizas 2005 übernahm Ndayishimiye die kritische Aufgabe, die neue Armee zu führen. Bis heute ist der neue Präsident ein Mann des Militärs: Bis zur Kür zum Präsidentschaftskandidaten im Januar war er Militärberater des Präsidenten, davor als Minister für Inneres und Sicherheit zuständig. Die autoritäre Gangart gegen Oppositionelle, Journalisten und Kritiker hat er maßgeblich mitgeprägt.
Tiefpunkt waren die Unruhen im Umfeld eines Putsches und der Wahlen vor fünf Jahren, die Nkurunziza offiziell gewann. Dabei hätte er nach Ansicht der Opposition gar nicht erst für eine dritte Amtszeit kandidieren dürfen. Während der blutigen Auseinandersetzungen, die eine Massenflucht von mehr als 400.000 Menschen zur Folge hatte, machte sich die Regierung Verbrechen gegen die Menschlichkeit schuldig, stellte 2018 eine Untersuchungskommission der UN fest. Dazu gehörten willkürliche Hinrichtungen und Festnahmen, Misshandlungen, Folter und die Verletzung von Grundrechten.
Ndayishimiyes Aufstieg schadete das nicht. Und es gibt nicht wenige, die befürchten, dass er mögliche Proteste der Opposition ebenso brutal niederschlagen lassen könnte wie damals. Oppositionsführer Agathon Rwasa, der im Bürgerkrieg die FNL-Rebellen führte, schließt eine Einigung mit dem offiziellen Wahlsieger aus. Nach Zählungen seiner Partei sollen knapp 59 Prozent der Stimmen auf ihn entfallen sein, während Ndayishimiye bei unter 35 Prozent landete.
Dass es bei der Wahl Fälschungen in großem Stil gab, ist nahezu sicher. Unabhängige Beobachter waren in letzter Minute ausgeschlossen worden. Die Wählerlisten, die laut Gesetz vorab veröffentlicht werden mussten, blieben geheim. An den Urnen stimmten Regierungsanhänger offenbar mehrfach ab, andere füllten Stimmzettel im Namen von Verstorbenen aus. Wahllokale wurden zudem von der Imbonerakure belagert, der Miliz der Regierung, für die den Bürgern im Wahlkampf Zwangssteuern abgepresst wurden. Kein Wunder, dass Rwasa die Wahl am Freitag ein "wahres Fiasko" nannte.
Noch schlimmer könnte das Fiasko werden, wenn sich die verfeindeten Parteien nicht verständigen und sich Szenen wie 2015 wiederholen. In Burundi grassiert das Coronavirus, auch wenn der Wahlkampf praktisch unbeeinflusst davon verlief. Käme jetzt noch neue Gewalt hinzu und flöhen wieder Tausende, könnte das Folgen für die Stabilität der ganzen Region haben. Die einzige denkbare Alternative wäre wohl eine Teilung der Macht. Doch bisher hat keine der beiden Seiten eine Bereitschaft dazu erkennen lassen.
Frankfurt a.M. (epd). Die Opposition in Burundi geht juristisch gegen das Ergebnis der umstrittenen Präsidentenwahl Mitte Mai vor. Oppositionsführer Agathon Rwasa reichte wegen Unregelmäßigkeiten Klage vor dem Verfassungsgericht ein, wie die burundische Zeitung "Iwacu" am 30. Mai berichtete. Die Wahlkommission hatte am 25. Mai Évariste Ndayishimiye zum Sieger der Präsidentenwahl erklärt. Der Kandidat der Regierungspartei CNDD-FDD bekam dem vorläufigen Endergebnis zufolge 68 Prozent der Stimmen, Oppositionsführer Rwasa 24 Prozent.
Die Opposition beanspruchte nach der Verkündung des Wahlergebnisses den Sieg für sich. Rwasa sagte bei der Einreichung der Klage, es habe viele Unregelmäßigkeiten gegeben. So seien beispielsweise die Stimmen von bereits verstorbenen Personen mitgezählt worden. Die katholische Kirche äußerte ebenfalls Kritik am Verlauf der Wahl vom 19. Mai. Der Vorsitzende der katholischen Bischofskonferenz, Joachim Ntahondereye, sagte der Zeitung "The East African", Wähler seien eingeschüchtert worden, und es gebe Zweifel an der Transparenz des Ergebnisses, weil manche Personen mehrmals oder im Namen von Flüchtlingen gewählt hätten.
Wahlsieger Ndayishimiye, der als Mann des Militärs gilt, wird Nachfolger von Pierre Nkurunziza, der das ostafrikanische Land seit Ende des Bürgerkriegs 2005 regiert hat. Die Wahl war von Spannungen, Gewalt und der Corona-Pandemie überschattet worden. Kritiker warfen der Regierung vor, die Gefahren durch das Virus bewusst zu ignorieren. Im Vorfeld waren bei Ausschreitungen und durch Folter Menschenrechtlern zufolge mindestens 22 Menschen getötet worden. Insgesamt bewarben sich sieben Kandidaten um das Amt des Präsidenten. Zeitgleich wurden auch das Parlament und kommunale Abgeordnete gewählt.
Brüssel, Madrid (epd). Eine Geberkonferenz für Flüchtlinge und Migranten aus Venezuela und ihre Gastländer hat nach spanischen Angaben Zusagen in Milliardenhöhe eingebracht. Insgesamt gebe es Zusagen über 2,79 Milliarden US-Dollar (umgerechnet rund 2,56 Milliarden Euro), sagte die spanische Außenministerin Arancha González Laya am 26. Mai nach der online abgehaltenen Veranstaltung, die Spanien zusammen mit der EU organisiert hatte. Zugleich nannte sie die Summe von 653 Millionen Dollar (rund 600 Millionen Euro) an Zuschüssen.
Deutschland sagte 20,2 Millionen Euro zu. 18,2 Millionen Euro seien für humanitäre Hilfe und vier Millionen für Entwicklungshilfe bestimmt, erklärte Außenminister Heiko Maas (SPD). Damit steige Deutschlands Unterstützung im Zusammenhang mit der Krise für 2020 auf 56,8 Millionen Euro. Finnland sagte 200.000 Euro zu, Slowenien 10.000 Euro, Korea umgerechnet rund 2,75 Millionen Euro.
Zum Auftakt der Geberkonferenz hatte UN-Flüchtlingshochkommissar Filippo Grandi die Weltgemeinschaft zu verstärkter Hilfe aufgefordert. Die Gastländer hätten die Verantwortung zu lange mit nur wenig Unterstützung von außen geschultert. Grandi unterstrich die Verschärfung der Lage durch die Corona-Krise. Maßnahmen zum Gesundheitsschutz in den Gastländern hätten viele Venezolaner "in eine Spirale von Armut und Verzweiflung" gedrängt. Gerade solche, die im informellen Sektor arbeiteten, hätten ihre Jobs verloren und nun kein Geld für Miete, Essen oder Medizin.
In Venezuela tobt seit mehr als einem Jahr ein erbitterter Machtkampf zwischen Präsident Nicolás Maduro und der Opposition. Parlamentspräsident Juan Guaidó hat sich zum Interimsstaatschef ausgerufen und wird von mehr als 50 Staaten anerkannt. Wegen der schweren Wirtschaftskrise sind inzwischen mehr als fünf Millionen Menschen aus Venezuela geflüchtet, die meisten nach Kolumbien.
Die Geberkonferenz sollte Zusagen für die in die Nachbarländer gezogenen Venezolaner und ihre Gastgeber erbringen. Welche der Zusagen sich auch auf die Lage innerhalb Venezuelas bezogen, war zunächst nicht klar.
Dubai, Neu-Delhi (epd). Shivang Kaushik sitzt allein in seinem Tempel in der nordindischen Stadt Haridwar - neben ihm nur die Statue von Durga, der Kriegsgöttin, die in jedem ihrer acht Arme eine Waffe hält. "Ich hatte ein würdevolles Leben vor dem Lockdown", klagt der Hindu-Priester in der "Times of India". "Jetzt gibt es weder Gläubige noch Spenden." Mit dem Lockdown in Indien Ende März kamen die religiösen Aktivitäten in Haridwar zum Erliegen. Und wie viele andere Menschen sind nun auch Priester auf Lebensmittelhilfen der Regierung angewiesen.
Auch der berühmte Sri-Venkateshwara-Tempel hat seit zwei Monaten kein Geld mehr eingenommen. An normalen Tagen kommen rund 100.000 Besucher zu dem riesigen Komplex, an hohen religiösen Feiertagen bis zu einer halben Million. Wegen der Coronavirus-Pandemie ist die ganze Anlage, die auf sieben Hügeln nahe der Stadt Tirupati im Bundesstaat Andhra Pradesh liegt, seit dem 20. März geschlossen. Nun hat die Tempel-Leitung die 1.300 Angestellten informiert, dass sie ihnen keine Gehälter mehr zahlen kann.
Eigentlich sollte die finanzielle Flaute gut durchzustehen sein: Der Tempel verfügt über sagenhafte Reichtümer, die er über die Jahrhunderte angesammelt hat - acht Tonnen Gold, Edelsteine und Schmuck von unschätzbarem Wert und Geldanlagen in der Höhe von 1,7 Milliarden Euro. Doch die Tempel-Leitung will ihre Reserven nicht angreifen. Und die riesigen Spendenboxen, in die Gläubige sonst Geld werfen, bleiben vorerst leer.
Als Reaktion auf die Krise geht zumindest die Regierung im Unionsstaat Karnataka nun neue Wege. Gebete und andere religiöse Dienste werden auf den Websites der Tempel oder auf Facebook gestreamt. Gläubige können ihre Spenden online einzahlen. Den Anfang machen jetzt 52 Tempel, darunter der Banashankari-Tempel in Bengaluru (Bangalore), der Saundatti-Yellamma-Tempel in Saundatti und der Chamundeshwari-Tempel in Mysuru.
15 bis 20 verschiedene "Puja"-Arten, religiöse Zeremonien, werden online angeboten - darunter die Archane, ein Bittgebet für Glück bei einem wichtigen Ereignis, einer Prüfung oder einem Geschäftsabschluss, bei dem der Priester normalerweise den Namen, die Kastenzugehörigkeit und das Sternzeichen erfragt. Oder die Mangala Aarathi, eine Zeremonie, in der eine Flamme auf einem silbernen Teller angezündet und in kreisförmigen Bewegungen geschwenkt wird, um das Böse zu vertreiben.
Gläubige können den Service buchen und bekommen per SMS den Tag und die Uhrzeit der Zeremonie mitgeteilt, die sie dann online miterleben können. Die nötigen Utensilien für das Heimgebet - von Räucherstäbchen über heiliges Ganges-Wasser - werden per Kurier geschickt.
Online-Buchungen für Tempel-Zeremonien gibt es auch jetzt bereits. Sie werden vor allem von Indern geschätzt, die im Ausland leben. Je nach Beliebtheit des Tempels kostet ein Fürbitte auf der Webseite "Saranam" zwischen 500 und 1.000 Rupien (umgerechnet zwischen sechs und zwölf Euro). Es gibt auch attraktive Paket-Lösungen: etwa ein Gebet in allen acht Ashtavinayak-Tempeln in Maharashtra oder ein Heilungs-Gebet in drei verschiedenen Tempeln, um gegen den bösen Fluch des Schlangengottes anzugehen.
Mit Blick auf die Zukunft ist Karnatakas zuständiger Minister, Kota Srinivas Poojary, wenig optimistisch. "Selbst wenn der Lockdown endet, werden die Einkünfte der Tempel vermutlich niedrig sein, weil viele Menschen lieber von Besuchen Abstand nehmen werden, wegen der neuen Abstandsregeln und der Angst vor einer Infektion", meint er. Die Regierung des Bundesstaates will die Gehälter für die Priester der 29.700 Tempel nun erst einmal für drei Monate bezahlen. Was dann kommt, ist unklar.
Die Tempel werden ab dem 1. Juni nur für tägliche Rituale öffnen dürfen. Religiöse Großversammlungen, Prozessionen und Festivals bleiben hingegen weiter untersagt.
Frankfurt a.M., Manila (epd). Tausende Kinder sind auf den Philippinen laut Menschenrechtlern schutzlos im "Anti-Drogen-Krieg" ausgeliefert. Dabei seien die psychischen und sozialen Auswirkungen besonders schwerwiegend, warnte Human Rights Watch am Mittwoch. Sie seien entweder selbst Zielscheibe oder hätten miterleben müssen, wie ein Elternteil oder eine Bezugsperson ermordet worden sei. Viele Kinder seien traumatisiert. Dazu komme oftmals wirtschaftliche Not, wenn das Einkommen des getöteten Familienmitglieds fehle.
Präsident Rodrigo Duterte hatte nach seinem Amtsantritt 2016 einen Feldzug gegen die Drogen verkündet und zur Ermordung von Rauschgifthändlern und -konsumenten aufgerufen. Nach Behördenangaben wurden bis Ende Januar mehr als 5.600 Verdächtige von der Polizei erschossen. Weil außerdem kriminelle Banden oder Todesschwadronen mit Verbindungen zu Polizeikreisen darin verwickelt sind, schätzen philippinische Organisationen die Zahl der Toten allerdings auf mehr als 27.000. Demnach wurden dabei bis Ende 2018 mindestens 100 Kinder getötet, die bei Razzien zwischen die Fronten gerieten. Im Juni 2019 wurde ein dreijähriges Mädchen erschossen.
Für den Bericht hat die Organisation Kinder, Eltern, Regierungsbeamte und Mitarbeiter nichtstaatlicher Organisationen befragt. "Die Regierung muss die endlose Gewalt beenden und den leidtragenden Kindern direkte Hilfe zukommen lassen", forderte Philippinen-Experte Carlos Conde. Demnach beteiligte sich die Regierung höchstens an den Beerdigungskosten. Staatliche Unterstützung für die Hinterbliebenen gebe es nicht.
Auch würden die Täter in der Regel nicht zur Rechenschaft gezogen. Wenn im Juni der UN-Menschenrechtsrat in Genf zusammenkomme, müsse die Weltgemeinschaft auf unabhängige Untersuchungen der Verbrechen dringen. Ansonsten werde eine ganze Generation philippinischer Kinder der Gewalt von Dutertes "Anti-Drogen-Krieg" zum Opfer fallen, sagte Conde.
Frankfurt a.M., Mexiko-Stadt (epd). Die Zahl der Frauenmorde in Mexiko ist während der Corona-Pandemie auf einen neuen Höchststand gestiegen. 337 Frauen starben im April eines gewaltsamen Todes, wie das staatliche Amt für öffentliche Sicherheit am 26. Mai mitteilte. Das sei die höchste Zahl in einem Monat seit Beginn der spezifischen Zählungen 2015. Im April wurden 70 der Fälle als Femizid eingestuft, also als Mord aufgrund des Geschlechts.
Von März bis April gab es dem Bericht zufolge eine Steigerung um 5,1 Prozent. Mit 1.301 Tötungsdelikten an Frauen in den ersten vier Monaten ist 2020 das schlimmste Jahr mit Blick auf geschlechtsspezifische Gewalt in der neueren Geschichte des Landes. 2015 wurden zwischen Januar und April 670 Frauen ermordet, im vergangenen Jahr waren es 1.224.
Sicherheits- und Gesundheitspolitiker haben immer wieder davor gewarnt, dass im Zuge der Kontaktsperren während der Corona-Krise die Angriffe auf Frauen und Mädchen weiter zunehmen könnten. Gegen die Femizide und andere Frauenmorde sind aber auch schon vorher immer wieder Feministinnen und weitere Aktivistinnen auf die Straße gegangen. Am 9. März beteiligten sich Millionen an einem Frauenstreiktag, um gegen die Gewalt zu protestieren.
Frankfurt a.M. (epd). Die internationale Militärmission in der sudanesischen Bürgerkriegsregion Darfur wird vorläufig nicht abgezogen. Der UN-Sicherheitsrat entschied in der Nacht zum 30. Mai, die Truppenstärke von Unamid zunächst bis zum 3. Juni beizubehalten und bis dahin einen Plan für den Abzug zu entwickeln. Eigentlich hätte der Rückzug der gemeinsamen Truppen von Vereinten Nationen und der Afrikanischen Union am 31. Mai beginnen sollen.
Seit rund einem Jahr herrscht Unklarheit über die Zukunft von Unamid. Friedensaktivisten im Sudan hatten gewarnt, der Abzug der Mission aus Darfur könne zu neuer Gewalt führen. Derzeit sind noch mehr als 6.500 Soldaten und mehr als 2.100 Polizisten unter Unamid-Mandat in Darfur stationiert. Die Bundeswehr ist mit bis zu 20 Soldaten beteiligt.
Der Sicherheitsrat beschloss zudem, das Mandat der Friedensmission in Somalia und Sanktionen gegen Südsudan zu verlängern. Die 15 Mitglieder des Rats stimmten zu, die derzeitige Truppenstärke von rund 19.000 Soldaten der Mission in Somalia (AMISOM) bis Ende Februar 2021 beizubehalten. Im Südsudan bleiben ein Waffenembargo sowie Reisesperren und das Einfrieren von Vermögen von mehreren mutmaßlichen Verantwortlichen des Bürgerkriegs in Kraft.
Vor der Sitzung des Sicherheitsrats hatte UN-Generalsekretär António Guterres mitgeteilt, dass zwei Soldaten der UN-Stabilisierungsmission im westafrikanischen Mali (Minusma) an Covid-19 gestorben sind. Die Vereinten Nationen sind in derzeit mit rund 110.000 Blauhelmen in 13 Missionen weltweit aktiv.