Shivang Kaushik sitzt allein in seinem Tempel in der nordindischen Stadt Haridwar - neben ihm nur die Statue von Durga, der Kriegsgöttin, die in jedem ihrer acht Arme eine Waffe hält. "Ich hatte ein würdevolles Leben vor dem Lockdown", klagt der Hindu-Priester in der "Times of India". "Jetzt gibt es weder Gläubige noch Spenden." Mit dem Lockdown in Indien Ende März kamen die religiösen Aktivitäten in Haridwar zum Erliegen. Und wie viele andere Menschen sind nun auch Priester auf Lebensmittelhilfen der Regierung angewiesen.

Auch der berühmte Sri-Venkateshwara-Tempel hat seit zwei Monaten kein Geld mehr eingenommen. An normalen Tagen kommen rund 100.000 Besucher zu dem riesigen Komplex, an hohen religiösen Feiertagen bis zu einer halben Million. Wegen der Coronavirus-Pandemie ist die ganze Anlage, die auf sieben Hügeln nahe der Stadt Tirupati im Bundesstaat Andhra Pradesh liegt, seit dem 20. März geschlossen. Nun hat die Tempel-Leitung die 1.300 Angestellten informiert, dass sie ihnen keine Gehälter mehr zahlen kann.

Sagenhafte Reichtümer

Eigentlich sollte die finanzielle Flaute gut durchzustehen sein: Der Tempel verfügt über sagenhafte Reichtümer, die er über die Jahrhunderte angesammelt hat - acht Tonnen Gold, Edelsteine und Schmuck von unschätzbarem Wert und Geldanlagen in der Höhe von 1,7 Milliarden Euro. Doch die Tempel-Leitung will ihre Reserven nicht angreifen. Und die riesigen Spendenboxen, in die Gläubige sonst Geld werfen, bleiben vorerst leer.

Als Reaktion auf die Krise geht zumindest die Regierung im Unionsstaat Karnataka nun neue Wege. Gebete und andere religiöse Dienste werden auf den Websites der Tempel oder auf Facebook gestreamt. Gläubige können ihre Spenden online einzahlen. Den Anfang machen jetzt 52 Tempel, darunter der Banashankari-Tempel in Bengaluru (Bangalore), der Saundatti-Yellamma-Tempel in Saundatti und der Chamundeshwari-Tempel in Mysuru.

15 bis 20 verschiedene "Puja"-Arten, religiöse Zeremonien, werden online angeboten - darunter die Archane, ein Bittgebet für Glück bei einem wichtigen Ereignis, einer Prüfung oder einem Geschäftsabschluss, bei dem der Priester normalerweise den Namen, die Kastenzugehörigkeit und das Sternzeichen erfragt. Oder die Mangala Aarathi, eine Zeremonie, in der eine Flamme auf einem silbernen Teller angezündet und in kreisförmigen Bewegungen geschwenkt wird, um das Böse zu vertreiben.

Info per SMS

Gläubige können den Service buchen und bekommen per SMS den Tag und die Uhrzeit der Zeremonie mitgeteilt, die sie dann online miterleben können. Die nötigen Utensilien für das Heimgebet - von Räucherstäbchen über heiliges Ganges-Wasser - werden per Kurier geschickt.

Online-Buchungen für Tempel-Zeremonien gibt es auch jetzt bereits. Sie werden vor allem von Indern geschätzt, die im Ausland leben. Je nach Beliebtheit des Tempels kostet ein Fürbitte auf der Webseite "Saranam" zwischen 500 und 1.000 Rupien (umgerechnet zwischen sechs und zwölf Euro). Es gibt auch attraktive Paket-Lösungen: etwa ein Gebet in allen acht Ashtavinayak-Tempeln in Maharashtra oder ein Heilungs-Gebet in drei verschiedenen Tempeln, um gegen den bösen Fluch des Schlangengottes anzugehen.

Mit Blick auf die Zukunft ist Karnatakas zuständiger Minister, Kota Srinivas Poojary, wenig optimistisch. "Selbst wenn der Lockdown endet, werden die Einkünfte der Tempel vermutlich niedrig sein, weil viele Menschen lieber von Besuchen Abstand nehmen werden, wegen der neuen Abstandsregeln und der Angst vor einer Infektion", meint er. Die Regierung des Bundesstaates will die Gehälter für die Priester der 29.700 Tempel nun erst einmal für drei Monate bezahlen. Was dann kommt, ist unklar.

Die Tempel werden ab dem 1. Juni nur für tägliche Rituale öffnen dürfen. Religiöse Großversammlungen, Prozessionen und Festivals bleiben hingegen weiter untersagt.