Washington (epd). Der Streit zwischen US-Präsident Donald Trump und dem Kurznachrichtendienst Twitter geht in eine neue Runde. Das Unternehmen versah am 29. Mai einen Tweet von Trump zu den Ausschreitungen gegen Polizeigewalt in Minneapolis mit einem warnenden Hinweis: "Dieser Tweet verletzt unsere Richtlinien zur Gewaltverherrlichung", teilte das Unternehmen in einem Thread auf Twitter mit. Man reagiere mit diesem Hinweis, weil man verhindern wolle, dass andere Menschen dazu verleitet werden, Gewalt auszuüben. Der Tweet sei aber nicht gelöscht worden, weil er von öffentlichem Interesse sei.
Trump hatte auf Twitter angekündigt, die Nationalgarde zu schicken, um Ausschreitungen in Minneapolis zu beenden - notfalls mit Gewalt: "Ich werde die Nationalgarde schicken und die Arbeit richtig erledigen" und weiter: "Wenn die Plünderungen beginnen, beginnt das Schießen." In der Stadt im US-Bundesstaat Minnesota war am Montag der Afroamerikaner George Floyd nach einem brutalen Polizeieinsatz durch weiße Polizisten gestorben. Seither kommt es zu teils gewalttätigen Demonstrationen.
"Schnellschuss"
Am 28. Mai hatte Trump angekündigt, Twitter und andere soziale Medien stärker reglementieren zu wollen. Ein Erlass des Präsidenten soll eine als Sektion 230 bekannte Regel reformieren, der zufolge die Plattformen nicht haftbar gemacht werden können für Texte von Nutzern. Zugleich soll sozialen Netzwerken erlaubt werden, gegen Inhalte oder Nutzer vorzugehen.
Der Politikwissenschaft Julian Jaursch von der Stiftung Neue Verantwortung in Berlin warnte vor einem "Überschwappen" der amerikanischen Diskussion nach Europa. "Ein ähnlicher Schnellschuss zu Haftungsfragen großer Plattformen wäre ein schlechtes Zeichen für die Meinungsfreiheit im Netz", sagte er dem Evangelischen Pressedienst (epd) am Freitag in Berlin. Bisher hafteten Plattformen in der EU nicht für die Inhalte Dritter. "Es ist aber denkbar, dass die Auseinandersetzungen um Meinungsfreiheit in den USA auch hier in Europa dazu führt, Haftungsfragen erneut zu diskutieren, sagte Jaursch. Gelegenheit dazu könnte die Reform der E-Commerce-Richtlinie sein, die die EU mit dem "Digital Services Act" plane, dessen Beratungen nächste Woche starteten.
Die genauen Auswirkungen des Präsidentenerlasses waren zunächst unklar. Rechtsexperten führen an, dass weitreichende Änderungen und Gesetze vom Kongress beschlossen werden müssen. Das Dekret Trumps sei bisher lediglich als "politische Botschaft" zu verstehen, ergänzte Jaursch. Ob es juristischen Bestand habe, sei fraglich, denn mit dem Dekret würden die Meinungsäußerungen von privaten Unternehmen beschnitten, was unter Umständen nicht verfassungskonform sei.
"Reaktionär"
Die großen sozialen Netzwerke reagierten geschlossen auf den Erlass: Google betonte, klare inhaltliche Richtlinien zu haben, die man "ohne Rücksicht auf individuelle politische Standpunkte" durchsetze. "Sektion 230 auf diese Weise zu untergraben, würde Amerikas Wirtschaft und seiner globalen Führungsrolle bei der Internetfreiheit schaden", teilte ein Google-Sprecher auf epd-Anfrage in Hamburg mit.
Twitter erklärte am Freitag, Trumps Vorstoß sei "reaktionär" und untergrabe die freie Meinungsäußerung in Amerika. Auch Facebook wandte sich gegen das Vorhaben des Präsidenten: Sektion 230 aufzuheben oder zu begrenzen, werde einen gegenteiligen Effekt haben, erklärte ein Facebook-Sprecher auf epd-Anfrage am Freitag in Hamburg. "Es wird mehr Online-Rede beschränken, statt weniger." Facebooks Regularien schützten die freie Meinungsäußerung: "Diese Regeln gelten für jeden."
Dem Dekret des Präsidenten war bereits eine Auseinandersetzung mit Twitter vorausgegangen. Der Mikrobloggingdienst hatte am Dienstag erstmals zwei Tweets von Trump als irreführend gekennzeichnet. Dabei wurde eine neue Regel angewendet, wonach es Hinweise bei Fehlinformationen geben soll. So hatte Trump behauptet, mögliche Briefwahlen in den USA seien nur eine Einladung zum Wahlbetrug. Twitter schrieb in blauer Schrift unter Trumps Tweet: "Holen Sie sich hier die Fakten über Briefwahlzettel." ("Get the facts about mail-in ballots.").