auch im zweiten Jahr der Pandemie ist das gewohnte Alltagsleben in weiter Ferne. Kontaktbeschränkungen wird es wohl noch länger geben. Können "normale" Bürgerinnen und Bürger damit noch gut umgehen, so sieht die Lage in Gefängnissen ganz anders aus. Die Zahl der Selbsttötungen hat sich wegen Corona stark erhöht, die Vereinsamung der Häftlinge wird zum Problem. Experten fordern, die Präventionsarbeit zu verbessern.
Eine Studie der OECD schont die Bundesregierung nicht: Trotz der angelaufenen "Nationalen Weiterbildungsstrategie" gibt es auf diesem Feld erhebliche Missstände im Vergleich zu anderen Staaten. Vor allem die Bedürfnisse Geringqualifizierter kämen zu kurz, hieß es bei der Vorstellung der Untersuchung. Gewerkschaften und Sozialverbände mahnen Reformen an, auch mit Blick auf die Folgen von Corona. Sie werben für ein "Bundesweiterbildungsgesetz".
Nach etlichem Ringen nimmt die Bundesregierung nun auch die Unternehmen in die Pflicht, ihren Beschäftigten Schnelltests anzubieten - mindestens zwei Mal pro Woche. Das gilt für alle Arbeitgeber, auch in der Sozialbranche. Dort sieht man sich gut gerüstet, auch weil große Teile der Belegschaften eh schon regelmäßig getestet werden. Klagen gibt es nur über die zusätzlichen Kosten, die die Firmen selbst stemmen müssen.
Die Geburt eines Kindes ist für Eltern etwas Einzigartiges - sollte man meinen. Und auch, dass werdende Väter selbstverständlich dabei sein können. Das sah aber ein Jobcenter anders und wollte den Arbeitssuchenden nicht zur Geburt seines Kindes reisen lassen. Nun hat das Landessozialgericht Stuttgart geurteilt, dass die Arbeitssuche in diesem Fall aussetzen und die "Ortsabwesenheit" genehmigt werden muss.
Lesen Sie täglich auf dem Twitteraccount von epd sozial Nachrichten aus der Sozialpolitik und der Sozialbranche. Auf diesem Kanal können Sie mitreden, Ihren Kommentar abgeben und über Neuigkeiten Ihrer Einrichtung berichten. Gern lese ich auch Ihre E-Mail.
Hier geht es zur Gesamtausgabe von epd sozial 17/2021.
Dirk Baas
Berlin (epd). Eine Verordnung mit dem Ende zumindest einiger Einschränkungen für Geimpfte in der Pandemie könnte schneller kommen als bislang erwartet. Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) kündigte am 29. April an, sie werde "unverzüglich, schnellstmöglich" eine Verordnung vorlegen. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sagte, wenn Bundestag und Bundesrat einverstanden seien, könne es schnell gehen. Er mahnte aber auch an, zu differenzieren, worum es dabei genau geht.
Der Präsident des Robert Koch-Instituts (RKI), Lothar Wieler, warnte bereits vor einer zu umfassenden Regelung und mahnte für die nächste Zeit die Solidarität Geimpfter mit noch nicht Geimpften an.
Lambrecht sagte, am müsse "sehr schnell" dazu kommen, das Signal an Geimpfte zu geben, dass sie ihre Grundrechte wiederbekommen. Grundrechtseinschränkungen könne es nur mit einem guten Grund geben. Wenn dieser entfalle, müssten auch die Einschränkungen entfallen. Nach Erkenntnissen des Robert Koch-Instituts sind gegen Covid-19 Geimpfte kaum noch ansteckend. Dies sorgt für eine Diskussion darüber, inwieweit für sie noch Einschränkungen gelten können.
Gesundheitsminister Spahn betonte, es sei vergleichweise einfach und werde teilweise bereits schon umgesetzt, Geimpfte mit denjenigen gleichzustellen, die nach einem Schnelltest ein negatives Ergebnis vorlegen können. Das ist in einigen Bundesländern bereits so beschlossen. Schwieriger sei der Ausgleich der Interessen bei der Frage, ob für Geimpfte Einschränkungen wie Ausgangssperren und Kontaktbeschränkungen weiter gelten.
Mit Blick auf einen zunächst weiter hohen Anteil Nicht-Geimpfter hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) schon am 26. April nach dem Impfgipfel gesagt: "Wir werden in eine Übergangsphase kommen, die nicht einfach wird." Eine weitere Frage ist auch, ob für Geimpfte weiter die Pflicht zum Tragen einer Maske und zum Abstandhalten gelten.
RKI-Präsident Wieler warnte vor einem kompletten Ende der Pandemieregeln für Geimpfte. "Auch bei Geimpften besteht ein Restrisiko, dass sie andere anstecken können", sagte er. Zwar führen geimpfte Ältere "sozusagen gut und sicher angeschnallt durch diese Pandemie". Gleichzeitig fehle aber den Jüngeren dieser Sicherheitsgurt. "Daher sind sie weiterhin auf Verkehrsregeln und umsichtige Verkehrsteilnehmer angewiesen, die dem Infektionsgeschehen angepasst durch die Gegend fahren", sagte Wieler. Die Menschen müssten sich selbst und ihr Umfeld weiterhin schützen, um Ungeimpfte davor zu bewahren, "dass sie sich auf den letzten Metern vor der Impfung infizieren", sagte er.
Das Bundeskabinett will in der kommenden Woche über eine entsprechende Verordnung beraten, über die dann Bundestag und Bundesrat noch entscheiden müssen. Bislang war angepeilt, dass die Verordnung erst die Bundesratssitzung am 28. Mai erreicht. Bundesratspräsident Reiner Haseloff (CDU) hatte am 28. April erklärt, die Länderkammer könne auch schon in der nächsten regulären Sitzung am 7. Mai entscheiden.
Spahn zeigte sich offen für ein beschleunigtes Verfahren. Dies setze aber voraus, dass es schon frühzeitig eine Verständigung über die Verordnung zwischen Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat gebe, weil sie nicht wie Gesetze durch Änderungsanträge geändert werden könne. Ein "Pingpong" zwischen Regierung und den Kammern müsse vermieden werden, auch weil es länger dauere. "Wenn wir uns einig sind, geht es schnell", sagte er.
Berlin (epd). Die FDP hat Verfassungsbeschwerde gegen die Änderung des Infektionsschutzgesetzes eingelegt. Wie der Parlamentarische Geschäftsführer der Liberalen im Bundestag, Marco Buschmann, in Berlin mitteilte, wurde sie am 27. April beim Bundesverfassungsgericht eingereicht. Sie richtet sich nach seinen Worten gegen drei Punkte des Gesetzes, das mehr Befugnisse für den Bund bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie vorsieht. Einer davon sind die nächtlichen Ausgangssperren. Die FDP-Bundestagsfraktion ist nicht die einzige Klägerin gegen die "Corona-Notbremse". Insgesamt 111 Verfahren sind bis dato in Karlsruhe eingegangen, wie ein Sprecher auf Anfrage mitteilte.
Ein Entscheidungstermin sei noch nicht absehbar, hieß es vonseiten des Bundesverfassungsgerichts. Die Beschwerde der Abgeordneten der FDP-Fraktion ist Buschmann zufolge ergänzend in Form eines sogenannten Eilrechtsschutzes eingereicht, um eine möglichst schnelle Entscheidung zu bekommen. Bei einer Entscheidung in der Sache in zwei Jahren sei die Pandemie hoffentlich vorbei, sagte Buschmann.
Die Ausgangssperre kritisiert die FDP als unverhältnismäßig. Verhältnismäßig sei sie nur dann, wenn sie einen sinnvollen Beitrag zur Reduzierung der Infektionen leisten könne, sagte Buschmann. Dem widerspricht die FDP. Dem Schriftsatz der Beschwerde seien entsprechende Studien beigefügt.
Die Beschwerde richtet sich zudem gegen die Weitergeltung von Beschränkungen für vollständig Geimpfte, von denen laut Robert Koch-Institut kaum noch Ansteckungsgefahr ausgeht. Buschmann verwies dabei als Beispiel auf Kontaktbeschränkungen in Pflegeheimen. Bund und Länder hatten bei ihrem Treffen am Montag keinen Beschluss über Freiheiten für Geimpfte gefällt. In der nächsten Woche will das Bundeskabinett über eine entsprechende Verordnung beraten. Es wird aber voraussichtlich bis Ende Mai dauern, bis Bundestag und Bundesrat sie verabschieden können. Das dauert der FDP zu lang.
Der Prozessbevollmächtigte für die Beschwerde der FDP, Thorsten Kingreen, ist zudem überzeugt, dass der Bundesrat dem Gesetz hätte zustimmen müssen. Die Länder würden wegen der im Gesetz festgehaltenen "Notbremse" nicht mehr über Schulschließungen entscheiden, müssten aber den Erwerbsausfall entschädigen. Damit sei das Gesetz formell zustimmungspflichtig. Das Gesetz passierte den Bundesrat als Einspruchsgesetz. Statt einer Mehrheit von Ja-Stimmen für das Inkrafttreten wäre also eine Mehrheit ablehnender Stimmen für das Aufhalten des Gesetzes erforderlich gewesen.
Die bis Ende Juni befristete Änderung des Infektionsschutzgesetzes definiert als "Corona-Notbremse", dass mehr bei als 100 Neuansteckungen pro 100.000 Einwohner binnen sieben Tagen in einem Landkreis automatisch Beschränkungen gelten, darunter auch die nächtliche Ausgangssperre von 22 bis 5 Uhr. Ab einer Inzidenz von 165 müssen Schulen schließen. Das Gesetz wurde am vergangenen Mittwoch vom Bundestag beschlossen. Gleich nach der Beratung im Bundesrat am Donnerstag hatten die Freien Wähler eine Verfassungsbeschwerde gegen die Regelung angekündigt. Sie richtet sich zentral gegen die Ausgangssperre.
Frankfurt a.M. (epd). Jo macht sich "wahnsinnige Sorgen" um ihren Vater: Weil sie über 14 ist, kann sie ihn nur allein im Gefängnis besuchen - so will es die Coronaschutzverordnung. So will es aber ihre Mutter nicht. "Er hört sich gar nicht gut an", schreibt die 15-Jährige im Chat. In der Online-Community "Knastforum" machen sich gerade viele Angehörige Sorgen um die psychische Gesundheit ihrer Lieben im Knast - von denen sie in der Pandemie noch weniger mitbekommen.
Das Corona-Jahr 2020 hat auffällig viele Gefangene in Krisen gestürzt. Insgesamt 77 Suizide verzeichnete die Bundesarbeitsgruppe "Suizidprävention im Justizvollzug", die seit 20 Jahren bundesweite Daten zu Suiziden in Gefängnissen erhebt. Das sind fast doppelt so viele wie im Vorjahr. "Dieser extreme Anstieg ist mehr als die Schwankungen, die wir immer mal wieder in den Erhebungen haben", sagt Leiterin Maja Meischner-Al-Mousawi.
Die Ursachen könne man aktuell nur vermuten, sagt die Psychologin, die hauptberuflich im Kriminologischen Dienst Sachsen zur Suizidprävention fortbildet. Dass die "gesellschaftliche Gesamtsituation mit Sorgen und Ängsten rund um Corona" auch in Gefängnissen ankommt, steht für sie aber fest. Ereignisse wirkten auch nach "drinnen". Die Isolation bei der Aufnahme, Kontakteinschränkungen bei Besuchen und untereinander belasteten Gefangene.
Und zwar stark, sagt Manuel Matzke von der Gefangenen-Gewerkschaft GGBO. Für ihn hängen die Suizidzahlen klar mit den unter Corona verschärften Haftbedingungen zusammen. Diese seien zwar regional verschieden, "es ist aber überall weniger Kontakt möglich", sagt Matzke, der im Januar aus einer sechsjährigen Haftstrafe entlassen wurde.
Verstärkt werde dies durch eine "ohnehin skandalöse Telefonsituation". Hohe Minutenpreise ins Handynetz, keine Rückrufmöglichkeit, beschreibt sie der GGBO-Sprecher. Tatsächlich zeigen durch parlamentarische Anfrage bekanntgewordene Verträge mit dem Marktführer Telio Preise von 23 Cent pro Minute. "Gefangene, die arbeiten, haben etwa 120 Euro im Monat", sagt Matzke. "Wenn man raucht, Kaffee trinkt oder einen Fernseher mietet, bleibt kaum Telefonzeit." Und noch mehr Zeit für düstere Gedanken.
Dabei sind Gefangene als gefährdete Gruppe bekannt. Ein besonderes Risiko tragen psychisch Erkrankte, aber auch einige Tatprofile bergen Risiken, wie Maja Meischner-Al-Mousawis Daten zeigen. Wer zum Beispiel getötet oder ein anderes Gewaltverbrechen begangen hat, ist anfälliger.
Die "ultimative Präventionsmethode" gebe es nicht, aber ein Screening bei Haftbeginn helfe: Vorgeschichte, Delikte, aber auch Schlüsselpunkte sollten bekannt sein: Wann ist die Verhandlung? Droht Abschiebung? "Solche Ereignisse stürzen Menschen in Krisen." Sind Risiken erkannt, könnten gezielte Angebote gemacht werden - von Sport bis zur Einbeziehung der Angehörigen.
Auch baulich kann Suiziden vorgebeugt werden: Gegen die häufig versuchte Strangulation wirken Plexiglas vor Gittern, Türklinken, an die nichts befestigt werden kann oder Handtuchhaken, die sich bei einem bestimmten Gewicht umdrehen. Nordrhein-Westfalen erprobt zur Prävention gerade ein Verfahren der künstlichen Intelligenz, das Überwachungsvideos analysiert. "Dauerüberwacht wird aber nur, wer als gefährdet eingestuft ist", betont Meischner-Al-Mousawi. "Sonst ist das - zurecht - gar nicht zulässig." Entscheidend ist: Gefährdung erkennen. In Sachsen sind Fortbildungen dazu verpflichtend, "leider ist das nicht überall so".
Besonders für Vollzugsbeamte, die täglich mit Gefangenen zu tun haben, sollten sie das aber sein, findet Jana Sophie Lanio vom interdisziplinären Verein "Tatort Zukunft", der sich für einen humanen Umgang mit Kriminellen einsetzt. "Es fehlen bundesweite Standards zur Suizidprävention." Das größte Problem sei aber der Mangel an Personal, vor allem an Fachpersonal wie Psychologen. Trotz guter Präventionsansätze gebe es daher "viel Luft nach oben".
Frankfurt a.M. (epd). In einigen Haftanstalten werden besondere Wege zur Vorbeugung von Suiziden unter Gefangenen gegangen. In der Justizvollzugsanstalt München werden im "Listener-Projekt" Gefangenen, die als latent suizidgefährdet eingeschätzt werden, in der ersten Nacht geschulte Häftlinge zugeteilt: als "Listener", das heißt als Zuhörer und Ansprechpartner auch im weiteren Haftverlauf.
Die "Listener" bekommen Schulungen in Grundprinzipien der Krisenintervention und werden "in regelmäßigen Gesprächen, Einzel- und Gruppenbetreuung bei ihrer Aufgabe unterstützt", wie Andrea Leonhardt sagt, Sprecherin im zuständigen bayerischen Justizministerium. Auch in anderen bayerischen Haftanstalten werde das Projekt derzeit vorbereitet. Es erhielt bereits 2013 den Suizidpräventionspreis der Bundesarbeitsgruppe "Suizidprävention im Justizvollzug".
Das Bundesland Nordrhein-Westfalen probiert derzeit einen anderen Weg bei der Suizidprävention. Seit 2019 wird in einer Haftanstalt künstliche Intelligenz zur Prävention eingesetzt. Konkret werden Verhaltensweisen auf Überwachungsvideos mit einem Computerprogramm ausgewertet, das bestimmte Verhaltensweisen wie Strangulationsversuche oder den Einsatz von zum Beispiel Messern erkennt. Das System soll dann die Justizvollzugsbeamten rechtzeitig alarmieren.
Berlin (epd). Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) sprach vom "Herzstück unserer Heimatstrategie", Familienministerin Franziska Giffey (SPD) von "mehr Miteinander" und Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) von "Gießkanne war gestern". Gemeinsam stellten die drei Minister am 28. April in Berlin die Zwischenbilanz der Politik für gleichwertige Lebensverhältnisse vor. Es gebe erste Erfolge, sagten sie, aber weiterhin auch enorme Unterschiede und eine Spaltung in der Gesellschaft, die sich durch die Corona-Pandemie, noch verstärkt habe, schilderte Giffey.
Während sie die soziale Spaltung in den Vordergrund rückte, blickte Seehofer auf die regionalen Unterschiede. Strukturschwache Regionen gebe es nicht nur im Osten Deutschlands, sondern überall, sagte er. Damit die Menschen dort leben könnten, wo sie leben wollen, müsse aber die Daseinsvorsorge funktionieren und die Infrastruktur stimmen. Die Koalition hatte bei ihrem Regierungsantritt 2018 eine Strategie vereinbart, um abgehängte Regionen zu fördern, die Abwanderung junger Menschen zu verhindern und den Druck auf die großen Städte zu verringern.
Zu den Maßnahmen des Bundes zählt die Ansiedlung von Behörden und Einrichtungen in strukturschwachen Regionen, wie etwa der Deutschen Stiftung für Engagement und Ehrenamt im brandenburgischen Neustrelitz. Dadurch sollen Seehofer zufolge 15.000 Arbeitsplätze entstehen.
Giffey betonte, dass der Bund über das Jahr 2022 hinaus, wenn die bisherige Kita-Förderung auslaufe, weiter Verantwortung übernehmen werde und auch den Umbau der Grundschulen zu Ganztagseinrichtungen fördern werde.
Landwirtschaftsministerin Klöckner zählte zu den ersten Erfolgen der Strategie für gleichwertige Lebensverhältnisse, dass Förderprogramme sehr viel gezielter als bisher auf den Bedarf einzelner Dörfer, Gemeinden und Regionen zugeschnitten würden. "Wir wollen uns nicht damit abfinden, dass Regionen sich abgehängt fühlen", sagte sie. Über das Bundesprogramm für ländliche Entwicklung würden regionale Wirtschaftskreisläufe gefördert, etwa die Vor-Ort-Vermarktung. Wenn der Ausbau von schnellem Internet weiter vorankomme, werde das Land auch als Arbeitsort wieder attraktiver, sagte Klöckner. Das zeige sich bereits in der Pandemie.
Seehofer bilanzierte, seit zwei Jahren werde in allen Ressorts geprüft, ob Gesetze und Vorhaben dem Ziel gleichwertiger Lebensverhältnisse dienten. Ein Anfang sei gemacht, aber in der Pandemie seien die Herausforderungen noch einmal sichtbarer geworden. Auch die nächste Regierung müsse intensiv daran arbeiten, die Ungleichheit zwischen den Regionen zu verringern, sagte Seehofer: "Sonst wachsen uns die Probleme über den Kopf".
Die Bundesregierung hatte nach der vorigen Bundestagswahl zunächst eine Regierungskommission eingesetzt und im Juli 2019 auf Basis von deren Ergebnissen Maßnahmen in zwölf Aufgabenfeldern beschlossen, um strukturschwache Regionen zu fördern. Dazu zählen die Neuausrichtung von Förderprogrammen, die Ansiedlung von Behörden, Forschungseinrichtungen und Start Ups, Investitionshilfen des Bundes für den Nahverkehr, die Wiederbelebung von Ortskernen, der Mobilfunk- und Breitbandausbau sowie die Förderung ehrenamtlicher Arbeit.
Berlin, Paris (epd). Einer Studie der OECD zufolge hat Deutschland erhebliche Rückstände bei der Weiterbildung - trotz angelaufener "Nationaler Weiterbildungsstrategie". Vor allem die Bedürfnisse Geringqualifizierter kämen zu kurz, hieß es bei der Vorstellung der Untersuchung am 23. April. "Ansprüche auf Bildungszeiten sollten einheitlich geregelt, finanzielle Anreize gebündelt und die Möglichkeiten zur Anerkennung nicht-formal und informell erworbener Fähigkeiten verbessert werden", so die Autorinnen und Autoren. Gewerkschaften und Sozialverbände begrüßten die Empfehlungen. Sie sprachen sich auch für das geforderte Bundesweiterbildungsgesetz aus.
Für die Studie untersuchten Forscher, wie gut das hiesige Weiterbildungssystem Menschen und Unternehmen dabei unterstützt, mit dem raschen Wandel der Arbeitswelt Schritt zu halten. Im OECD-Vergleich hat Deutschland den Angaben nach mit 18 Prozent einen recht großen Anteil von Arbeitsplätzen mit hohem Automatisierungsrisiko. Das sind Arbeitsplätze, die zukünftig wegfallen könnten, weil eine Maschine die Tätigkeiten übernimmt.
Weitere 36 Prozent der Arbeitsplätze in Deutschland werden sich in den kommenden 15 Jahren wahrscheinlich stark verändern, betonen die Arbeitsmarktforscher. Gleichzeitig würden viele neue Jobs entstehen. "Weiterbildung von Aufbaustudiengängen über Lehrgänge bis hin zum Lernen von Kolleginnen ist essenziell, um Menschen auf diese Veränderungen vorzubereiten", so die Autorinnen und Autoren.
Wie die Studie weiter aufzeigt, werden hierzulande im insgesamt leistungsstarkem Bildungssystem ausgerechnet diejenigen oft nur schwer von Schulungen erreicht, die besonders davon profitieren würden - etwa Erwachsene mit geringen Grundkompetenzen, Geringverdienende und Beschäftigte in kleinen und mittleren Unternehmen. Sie nähmen seltener Weiterbildungsangebote wahr als Menschen mit höheren Qualifikationen, was die Kluft zwischen den Bildungsgruppen weiter vergrößere.
Zwar gebe es diese Tendenz in allen OECD-Ländern. Im Vergleich zu anderen leistungsstarken Mitgliedsländern ist die Weiterbildungsteilnahme in Deutschland jedoch besonders ungleich verteilt, so die Erhebung.
"Deutschland hat in jüngster Zeit viel dafür getan, seine Weiterbildungslandschaft zu modernisieren und die Koordination der vielen Weiterbildungsakteure zu verbessern, nicht zuletzt im Rahmen seiner Nationalen Weiterbildungsstrategie", sagte OECD-Generalsekretär Angel Gurría bei der Vorstellung der Studie: "Dieser Weg muss fortgeführt und erweitert werden, insbesondere durch einen stärkeren Fokus auf jene Gruppen, deren berufliche Zukunft am meisten von Weiterbildung abhängt."
Die Wissenschaftler empfehlen, die komplexen Strukturen zu vereinfachen. Es sei schwer für Einzelne, die Angebot zu überblicken. Auch sei die Vergleichbarkeit in Bezug auf die Qualitätsstandards der Anbieter schwierig und schaffe ungleiche Zugangsvoraussetzungen. "Es wäre sinnvoll, über ein nationales Weiterbildungsgesetz einen Rahmen zu etablieren, der Zuständigkeiten, Organisation, Anerkennung und Finanzierung regelt. Für Anbieter sollten Mindestqualitätsstandards eingeführt werden", raten die Experten.
Zudem wird empfohlen, den Anspruch auf Bildungszeiten und Bildungsurlaub regionen- und branchenübergreifend zu vereinheitlichen und die finanziellen Fördermöglichkeiten für Weiterbildung nutzerfreundlicher zu gestalten.
Beispiele aus Dänemark, Finnland und anderen Ländern zeigten, dass modularisierte Teilqualifikationen für mehr Inklusivität sorgen können, weil sie flexibler auf die Bedürfnisse der Menschen eingehen.
Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) begrüßte die Empfehlung, ein Bundesweiterbildungsgesetz zu schaffen. "Ein solches Gesetz fordern wir schon seit Jahren", sagte Vorstand Sylvia Bühler in Berlin. Mit einer geregelten Finanzierung von Weiterbildung, einer transparenten Beratungsstruktur und geregelten Freistellungsmöglichkeiten würden die Weiterbildungsmöglichkeiten für Beschäftigte verbessert. Bühler betonte, die Teilnahme an Schulungen und Kursen sei zu selektiv. Personen mit geringer Grundbildung und angelernte Kräfte hätten eine besonders niedrige Teilnahme.
Die Arbeitgeber lehnten den Vorschlag, ein Gesetz zu erlassen, ab. Eine stärkere Zentralisierung, Regulierung und Standardisierung von Weiterbildung wie sie die OECD empfiehlt, würde Betriebe und Weiterbildungsträger würden in ihrem Handlungsspielraum einengen. Passgenaue individuelle Lösungen würden durch mehr Bürokratie erschwert, heißt es bei der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände.
Es gebe bereits ein hohes Engagement von Arbeitgebern und ihren Beschäftigten. "Das zeigt sich auch in einer seit Jahren steigenden Weiterbildungsbeteiligung und den ebenso steigenden Investitionen in Weiterbildung der Unternehmen, zuletzt 41,3 Milliarden Euro im Jahr 2019."
Maria Loheide, Vorständin Sozialpolitik der Diakonie Deutschland, sagte, der Bericht zeige, "dass vor allem eine passgenaue Weiterbildung und Angebote zur beruflichen Neuorientierung für prekär Beschäftigte und Erwerblose dringend nötig sind". Die Veränderungen in der Wirtschaft durch Digitalisierung und Klimawandel erfordern sehr viele neue Fähigkeiten auf dem Arbeitsmarkt. "Dafür ist das deutsche Weiterbildungssystem bisher nicht ausreichend gewappnet" - auch mit Blick auf die Folgen von Corona.
Menschen ohne Berufsausbildung kämen in der deutschen Weiterbildungslandschaft kaum vor. Wir brauchen für sie endlich eine Weiterbildungsoffensive." Auch müssten die digitalen Kompetenzen deutlich erweitert werden, so Loheide. "Auch die öffentlich geförderte Beschäftigung muss stärker ausgebaut werden, um allen Teilhabe zu ermöglichen."
Sie begrüßte die von der OECD empfohlene Bund-Länder-Initiative für kostenlose oder kostengünstigen Zugänge zu Lernangeboten im gesamten Bundesgebiet. Vor diesem Hintergrund sei es aus Sicht der Diakonie auch sinnvoll, eine zentrale Anlaufstelle für Weiterbildungsangebote zu schaffen.
Beate Walter-Rosenheimer, Sprecherin für Aus- und Weiterbildung der Grünen, beklagte, in Deutschland scheitere Weiterbildung viel zu oft am Geld, fehlender Zeit oder bürokratischen Hürden. "Wir Grüne fordern schon seit langem, Weiterbildung finanziell attraktiv zu machen mit einem Weiterbildungsgeld für Menschen ohne aktuelle Berufstätigkeit beziehungsweise mit einem Weiterbildungs-Bafög für diejenigen, die dafür eine Auszeit aus dem Beruf nehmen." Beides müsse hoch genug sein, um den Lebensstandard sichern. Und: "Wir wollen ein Recht auf Weiterbildung für alle, flankiert durch einen Freistellungsanspruch im Betrieb für die Zeit der Weiterbildung. Wer in Teilzeit weiterarbeiten will, soll dafür den korrespondierenden Teilzeitfreistellungsanspruch erhalten."
Walter-Rosenheimer zufolge sei mit Bildungsurlaub allein eine mehrjährige Fortbildung nicht zu stemmen. Um die Übersicht über die Angebote zu erleichtern, werben die Grünen für Bildungsagenturen vor Ort, die auch die Finanzierungsmöglichkeiten beraten. "Eine zentrale digitale Plattform muss das flankieren für diejenigen, die ihre Informationsangebote lieber online abrufen."
Hannover (epd). Der niedersächsische Landtag hat am 28. April mit großer Mehrheit ein Gesetz zur Auflösung der Landespflegekammer beschlossen. Lediglich die Grünen stimmten gegen das Gesetz, mit dem das Aus der von Anfang an umstrittenen berufständischen Vertretung für die Pflegekräfte im Land besiegelt ist. "Die Pflegekammer wird nach schwierigen Debatten zwischen den vielen Akteuren in den vergangenen Jahren heute beerdigt", sagte Sozialministerin Daniela Behrens (SPD). Die Pflegekammer habe es nicht geschafft, die Akzeptanz der Pflegenden zu gewinnen.
Das Gesetz sieht vor, dass der Kammer nach dem Inkrafttreten noch sechs Monate Zeit bleiben, um ihre Abwicklung wie etwa das Kündigen von Verträgen zu erledigen. Sprecher der Fraktionen von CDU, SPD, Grünen und FDP begrüßten, dass die Arbeit der Ethikkommission der Kammer fortgesetzt werden soll. Die noch verbliebenen Aufgaben soll das Land als Rechtsnachfolgerin übernehmen. So wird das Sozialministerium die Aus- und Weiterbildungsverordnung für die Pflegeberufe übernehmen und weiterentwickeln.
Susanne Victoria Schütz von der FDP-Fraktion begrüßte das Aus für die Einrichtung: "Die FDP war nie ein Fan der Pflegekammer." Volker Meyer (CDU) sagte, nun müsse es darum gehen, eine neue Interessensvertretung zu organisieren, die das Vertrauen der Pflegekräfte genieße. Meta Janssen-Kucz von den Grünen machte die Landesregierung für das Scheitern mitverantwortlich. Als Gründe nannte sie die fehlende Anschubfinanzierung und mangelnde Unterstützung durch das Sozialministerium.
Der sozialpolitischen Sprecher der SPD-Fraktion, Uwe Schwarz, sprach von einer "beispiellosen ideologischen Treibjagd" gegen die Kammer. "Ich habe so etwas noch nicht erlebt." Mitarbeitende der Kammer seien mit schlimmsten Hassbotschaften überzogen worden. "Die Gegner der Kammer haben gewonnen. Ob die Pflege auch gewonnen hat, wage ich zu bezweifeln."
Die Präsidentin der Pflegekammer, Nadya Klarmann, sprach in einem Statement von einer "großen Enttäuschung" für "alle, die sich in den vergangenen Jahren ehrenamtlich und hauptamtlich für den Aufbau einer Selbstverwaltung der Pflegefachberufe eingesetzt haben". Die Kammer konzentriere sich nun auf die Abwicklungsaufgaben. Dazu zählten auch die Rückzahlung der geleisteten Beiträge für die Jahre 2018 und 2019 an die Mitglieder und die Sicherstellung der Weiterbildungen in den Pflegefachberufen.
Markus Mai vom Präsidium der Bundespflegekammer in Berlin wertete die Landtagsentscheidung als "Schlag ins Gesicht" all jener, die sich für die niedersächsische Pflegekammer engagiert hätten. "Wir lehnen diesen Schritt nach wie vor ab und finden ihn in höchstem Maße unverantwortlich, müssen aber erkennen, dass der Zug mit der derzeitigen Landesregierung abgefahren ist." Mai appellierte an die Landesregierung, das pflegerische Angebot und die Qualität der Versorgung zu sichern. "Denn die Probleme verschwinden ganz sicher nicht mit der Auflösung der Pflegekammer."
Die Pflegekammer Niedersachsen mit rund 78.000 Pflichtmitgliedern war Anfang 2017 als Interessensvertretung der Pflegebeschäftigten errichtet worden. Von Beginn an entzündete sich jedoch Kritik an der Einrichtung. Bemängelt wurde unter anderem die Höhe der Kammerbeiträge. Nach einem Mitgliederentscheid im vergangenen Jahr hatte die Landesregierung beschlossen, die Kammer aufzulösen.
Berlin (epd). Die Zahl der Stiftungen bürgerlichen Rechts in Deutschland ist trotz Corona 2020 um knapp drei Prozent (712) gegenüber dem Jahr 2019 gestiegen. Das teilte der Bundesverband Deutscher Stiftungen am 28. April in Berlin mit. Das sei das stärkste Wachstum des Stiftungssektors seit beinahe einem Jahrzehnt gewesen, hieß es.
Auf 100.000 Bundesbürgerinnen und Bundesbürger kommen damit aktuell 28,7 Stiftungen. Neben den jetzt 23.876 rechtsfähigen Stiftungen bürgerlichen Rechts gibt es eine Vielzahl an Stiftungen anderer Rechtsformen.
"Die anhaltende Niedrigzinsphase stellt Stiftungen vor enorme Herausforderungen. Trotzdem zeigen die aktuellen Zahlen, dass das Stiften weiterhin attraktiv bleibt – auch während der Corona-Krise", sagte Friederike v. Bünau, Vorstandsvorsitzende des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen und Geschäftsführerin der Stiftung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau: "Die Zukunft wird durch Stiftungen positiv beeinflusst."
"Stiftungen sind ein wichtiger Teil einer starken Zivilgesellschaft", ergänzte Kirsten Hommelhoff, Generalsekretärin des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen. "Umso dringender ist die Verabschiedung des Gesetzesentwurfs zur Vereinheitlichung des Stiftungsrechts noch in dieser Legislaturperiode." Die Reform würde zu mehr Rechtssicherheit für alle Stiftungen führen, so Hommelhoff.
Der Bundestag berät seit Mitte April über die geplante Stiftungsrechtsreform. Sie würde das bisher geltende Landesstiftungsrecht durch ein einheitliches Bundesrecht ablösen und es weiterentwickeln.
Mit Blick auf das Stiftungswachstum ist Hessen mit einer Zunahme um acht Prozent gegenüber 2019 der Spitzenreiter unter den Bundesländern, gefolgt von Rheinland-Pfalz mit 5,9 Prozent und Brandenburg mit 4,9 Prozent. Die meisten Stiftungen - 4.685 - gibt es in Nordrhein-Westfalen. Allerdings bleibt Hamburg weiterhin das Bundesland mit den meisten Stiftungen im Verhältnis zur Zahl der dort lebenden Menschen: 78 Stiftungen sind es dort pro 100.000 Einwohnern. Die geringste Stiftungsdichte hat weiterhin Brandenburg mit zehn Stiftungen pro 100.000 Einwohnern.
Dortmund (epd). Alleinerziehende sind nach einer Erhebung der Bundesanstalt für Arbeitsschutz im Beruf deutlich stärker belastet als zusammenlebende Mütter und Väter. Alleinerziehende sind beispielsweise häufiger als andere Eltern in Teilzeit beschäftigt oder lediglich befristet angestellt, erklärte die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (Baua) am 27. April in Dortmund. Alleinerziehende - meistens sind es Frauen - seien somit häufiger von einer unsicheren finanziellen Situation betroffen, auch wenn sie einer Arbeit nachgehen, heißt es in dem jüngsten Baua-Faktenblatt, das sich auf eine Erwerbstätigenbefragung aus dem Jahr 2018 zur beruflichen und gesundheitlichen Situation alleinerziehender Erwerbstätiger stützt.
In Deutschland seien in fast einem Fünftel der Familien mit minderjährigen Kindern die Eltern alleinerziehend, knapp ein Drittel dieser Ein-Eltern-Familien sei armutsgefährdet, teilte die Baua mit. Alleinerziehende arbeiteten häufiger als andere Beschäftigte mit verminderter Stundenzahl. 41 Prozent seien in Teilzeit mit bis zu 34 Stunden in der Woche beschäftigt. Eine geringere Stundenzahl bedeute in der Regel auch ein niedrigeres Einkommen. Rund 30 Prozent der alleinerziehenden Erwerbstätigen müssten mit einem monatlichen Bruttoverdienst von weniger als 1.500 Euro auskommen. Bei Zwei-Eltern-Familien liege der Anteil mit geringem Verdienst bei lediglich 17 Prozent.
Der Anteil der Alleinerziehenden, die sich in einem befristeten Vertragsverhältnis befinden, lag im Jahr 2018 bei 17,5 Prozent. Damit komme diese Beschäftigungsform bei Alleinerziehenden im Vergleich zu Berufstätigen in Zwei-Eltern-Familien mit einem Anteil von 7,8 Prozent mehr als doppelt so häufig vor, hieß es.
Zu der finanziell oftmals schlechteren Verdienstlage kommen für Alleinerziehende die teilweise schwierige Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie Einschnitte in der beruflichen Karriere hinzu, wie die Baua erklärte. Zudem seien Alleinerziehende häufig gesundheitlich beeinträchtigt und zeigten häufiger bestimmte psychosomatische Beschwerden. Über die Hälfte der Alleinerziehenden im Beruf leidet den Angaben nach unter allgemeiner Müdigkeit und Mattigkeit. 43,3 beziehungsweise 35,2 Prozent berichten von Kopfschmerzen beziehungsweise emotionaler Erschöpfung.
Repräsentativ befragt wurden nach den Angaben insgesamt 20.000 Beschäftigte, darunter 15.000 abhängig Beschäftigte und 5.000 Selbstständige. Rund 800 der Befragten waren Alleinerziehende, die mehr als zehn Stunden pro Woche arbeiten und in deren Haushalt mindestens ein Kind lebt.
Brüssel (epd). Die Europäische Kommission will Menschen ohne Aufenthaltsrecht in der EU verstärkt zur freiwilligen Rückkehr in deren Herkunftsländer bewegen. Dazu legte die Behörde am 27. April in Brüssel eine Strategie vor, die sich auch mit der Reintegration der Rückkehrer in ihrer Heimat befasst. Nach Angaben der Kommission verlassen nur rund 30 Prozent der Ausreisepflichtigen tatsächlich die EU, und nur etwa ein Drittel davon, also zehn Prozent der Ausreisepflichtigen insgesamt, gehe freiwillig.
Ein Schwerpunkt der Strategie ist die Beratung der Ausreisepflichtigen. Diese kann je nach Land und Beratungsorganisation zum Beispiel die Verpflichtung zur Rückkehr, die Vorbereitung der Reise und die Reintegration im Herkunftsland zum Thema haben. Die Kommission will hierzu gemeinsam mit der Grenzschutzagentur Frontex ein gemeinsames Curriculum für die Beratenden entwickeln. Frontex soll zudem selbst Beratungsexperten in die Mitgliedsländer entsenden.
Die EU-Kommission kündigt mit der Strategie auch erneut einen EU-Rückkehr-Koordinator an, der den Mitgliedstaaten technische Unterstützung bei ihren Rückkehrprogrammen leisten soll. Ein weiterer Teil der Strategie besteht darin, die Voraussetzungen für freiwillige Rückkehr zu schaffen. Dazu sollen etwa Lücken zwischen Asyl- und Ausreiseverfahren geschlossen und das Untertauchen von Menschen angegangen werden. Für diese Maßnahmen verweist die Kommission auf bereits vorgelegte Gesetzespläne.
In den Herkunftsländern will die Kommission weiterhin Geld einsetzen, damit diese zum Beispiel Standards für Wiederaufnahme und Wiedereingliederung der Rückkehrer entwickeln. Frontex könne auch dort aktiv sein, um die Länder beim Kapazitätsaufbau zu unterstützen. Generell will die Kommission Reintegrationsprogramme besser mit der Entwicklungspolitik abstimmen.
Freiwillige Rückkehr ist der Behörde zufolge aus mehreren Gründen der erzwungenen Abschiebung vorzuziehen. Sie stelle das Individuum in den Mittelpunkt, sei wirksamer und billiger. Laut dem wissenschaftlichen Dienst des EU-Parlaments kostet eine Abschiebung 3.414 Euro im Schnitt und eine freiwillige Rückkehr 560 Euro, wobei auch finanzielle Hilfe für die Rückkehrer eingerechnet ist.
Potsdam (epd). Rote und weiße Rosen, Kerzen, Blumengestecke und Blumensträuße liegen neben dem Haus. "Gott, warum?", haben Menschen aus dem Potsdamer Oberlinhaus der evangelischen Diakonie auf ein großes Blatt Papier geschrieben: "Warum dürft ihr nicht mehr bei uns sein?" Eine Frau mit Corona-Maske kommt vorbei und legt einen weiteren Blumenstrauß vor dem Thusnelda-von-Saldern-Haus des Sozialträgers ab, in dem in der Nacht zum 29. April vier Menschen mit schwersten Behinderungen gewaltsam zu Tode kamen.
Die Polizei ist noch immer vor Ort im Einsatz. Ein Mann im weißen Schutzanzug ist in einem Fahrzeug der Kriminalpolizei zugange. Polizeiwagen fahren vor, Beamte gehen zum Eingang der Behinderteneinrichtung und verlassen kurz danach mit einigen Papieren wieder das Gelände. Der Wachschutz sorgt dafür, dass keine Unbefugten oder Medienvertreter das Gelände betreten.
Über das Gewaltverbrechen ist zunächst nicht viel bekannt. In der Nacht seien im Bereich des Oberlinhauses vier Tote und eine schwer verletzte Person aufgefunden worden, hieß es bei der Polizei: "Die Verletzungen aller Opfer sind nach bisherigen Erkenntnissen auf schwere, äußere Gewaltanwendung zurückzuführen." Eine 51-jährige Mitarbeiterin des Sozialträgers sei unter dringendem Tatverdacht festgenommen worden. Die Staatsanwaltschaft Potsdam und eine Mordkommission der Polizei ermitteln wegen des Verdachts auf Totschlag.
Noch am 29. April wurde vom Amtsgericht Potsdam die Unterbringung der Tatverdächtigen in einer psychiatrischen Klinik angeordnet. Das sagte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Potsdam dem Evangelischen Pressedienst (epd). Weitere Angaben würden mit Rücksicht auf die laufenden Ermittlungen und aus Gründen des Schutzes des Persönlichkeitsrechts nicht gemacht, sagte der Sprecher.
Der theologische Vorstand des Oberlinhauses, Pfarrer Matthias Fichtmüller, tritt später sichtlich mitgenommen vor die Presse. Beschäftigte und Bewohnerinnen und Bewohner seien in Schockstarre und "erschüttert in ihrem Innersten", sagt der evangelische Pfarrer: "Alle menschlichen Emotionen bewegen uns in diesen Stunden." 65 Wohnplätze für Menschen mit schwersten Mehrfachbehinderungen hat das Thusnelda-von-Saldern-Haus, 80 Menschen arbeiten dort und kümmern sich um die Menschen, die dort leben.
Der gewaltsame Tod der vier Menschen mit schwersten Behinderungen sei für alle auch eine "große Erschütterung im Selbstverständnis", sagt Fichtmüller. Dennoch müsse weiter gearbeitet werden. Die anderen Bewohnerinnen und Bewohner brauchen weiter Hilfe, müssen versorgt werden. Die Situation sei so, "dass wir noch gar nicht zum Trauern kommen", sagt Fichtmüller: "Gleichzeitig müssen wir weiter funktionieren."
Für den Abend kündigte Fichtmüller eine Gedenkandacht in der Oberlinkirche auf dem Gelände des Sozialträgers an. Auch Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) wollte daran teilnehmen und davor Blumen am Thusnelda-von-Saldern-Haus niederlegen. "Meine Gedanken gelten den Opfern und meine Anteilnahme den Angehörigen", erklärt Woidke: "Es ist eine grauenhafte Tat, die die Stadt Potsdam und ganz Brandenburg zutiefst erschüttert."
Er wünsche dem schwer verletzten fünften Opfer Genesung, den Pflegekräften und den anderen Bewohnerinnen und Bewohnern viel Kraft, betont der Ministerpräsident: "Im Oberlinhaus, dessen Arbeit ich sehr schätze, leben insbesondere Menschen, die unseres besonderen Schutzes bedürfen. Umso erschreckender ist die Tat."
Auch in Kirche und Diakonie, in der Stadt- und Landespolitik ist die Bestürzung groß. "Die schreckliche Bluttat in der vergangenen Nacht" erfülle den Landtag "mit Entsetzen und mit viel Traurigkeit", sagt Parlamentspräsidentin Ulrike Liedtke (SPD) am 29. April kurz vor Beginn der Plenarsitzung in Potsdam.
"Wir sind entsetzt und erschüttert über dieses Verbrechen an den Schwächsten und Schutzbedürftigsten in unserem diakonischen Haus", erklären der Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, Christian Stäblein, und die Vorständinnen Barbara Eschen und Andrea Asch vom Diakonischen Werk Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz: "Es ist ein trauriger Tag, ein schwarzer Tag." Auch der Bischof wollte am Abend an der Gedenkandacht teilnehmen.
In zwei Wochen sollen Angehörige in einem Gedenkgottesdienst Abschied nehmen können. Das Oberlinhaus, das in diesem Jahr auch die Gründung des Oberlinhaus-Vereins vor 150 Jahren begehen will, werde nun "mit dieser Wunde leben müssen", sagt Vorstand Fichtmüller noch. Auch das Jubiläum werde unter dem Eindruck der Ereignisse stehen.
Am Thusnelda-von-Saldern-Haus bleibt der kleine Ort des Gedenkens zurück. "Wir können das nicht begreifen", steht dort auf einer Trauerbekundung von fünf Einrichtungen des Oberlinhauses: "Die Welt ist über uns zusammengebrochen."
Berlin (epd). Sozial- und Pflegeverbänden geht es nicht schnell genug, die bestehenden Kontaktbeschränkungen in Seniorenheimen zu beenden. "Die fortwährende Schlechterstellung der Pflegeheimbewohnerinnen und -bewohner muss aufhören", sagt der Vorsitzende des BIVA-Pflegeschutzbundes, Manfred Stegger, mit Blick auf die schon hohen Impfquoten. "Deshalb fordern wir, dass Bewohnerzimmer in Pflegeheimen im Hinblick auf Besuche mit Privathaushalten gleichgestellt werden." Ähnlich äußern sich auch die Stiftung Patientenschutz und der Verband katholischer Altenhilfe in Deutschland (VKAD). Die Caritas sieht das anders.
Stegger kritisiert, dass Lockerungen für Geimpfte nicht mal Thema bei der jüngsten Corona-Runde von Bund und Ländern am Montag gewesen seien. Doch das soll sich nun ändern. Die Bundesregierung berät in der nächsten Woche im Kabinett über eine Verordnung zur Aufhebung der Grundrechtseinschränkungen für Corona-Geimpfte. Regierungssprecher Steffen Seibert sagte am Dienstag in Berlin, dass das Innenministerium und das Justizministerium dazu einen Entwurf vorlegen würden.
Doch auch dann wird noch einige Zeit vergehen, bis die Lockerungen greifen. Denn nach dem Kabinettsbeschluss müssen Bundestag und Bundesrat noch über die Verordnung entscheiden. So sieht es das Infektionsschutzgesetz vor. Der Bundestag kommt das nächste Mal Mitte Mai zu einer Sitzungswoche zusammen, der Bundesrat könnte frühestens am 7. Mai entscheiden.
VKAD-Geschäftsführer Andreas Wedeking sagt auf Anfrage, die Seniorenheime würden auf dem Weg aus der Pandemie "zu wenig mitgedacht". Dabei seien die Bewohnerinnen und Bewohner inzwischen mehrheitlich vollständig geimpft. Es müsse rasch eine bundeseinheitliche Lösung für Lockerungskonzepte in den Einrichtungen geben. "Dass Bundesländer jeweils eigene Wege festlegen, hilft in der Sache nicht weiter", sagt Wedeking.
Auch Eggert betont, dass die Bewohner von Heimen zwar inzwischen weitgehend durchgeimpft seien. Sie litten aber immer noch unter deutlich strengeren Besuchsbeschränkungen als sie für Menschen in Privathaushalten gelten. "Während diese auch noch bei einem Inzidenzwert von über 100 jederzeit Besuch von einer Person empfangen dürfen, ist ein Besuch im Pflegeheim mancherorts auch bei niedriger Inzidenz auf eine Stunde begrenzt." Es müsse deshalb bald einen Fahrplan für Lockerungen geben, "damit alle Menschen - geimpfte und nicht geimpfte - eine Perspektive bekommen".
Wedeking spricht sich dafür aus, wenigstens Lockerungen innerhalb der Senioreneinrichtungen zu genehmigen. "Es geht dabei noch nicht um große Änderungen der eingeschränkten Besuchsregelungen", sagt er. Man müsse besonders die Tagespflegen in den Blick zu nehmen. Sie seien oft die einzige Möglichkeit für soziale Kontaktpflege und überaus wichtig zur Entlastung pflegender Angehöriger. "Es wäre gut, wenn Politik hier gemeinsam mit den Vertretern der Praxis nach Lösungen suchen würde."
Maria Loheide, Vorständin Sozialpolitik der Diakonie Deutschland, zeigt Verständnis für die lauter werdenden Forderungen, Kontaktbeschränkungen in Heimen zurückzufahren. Die pflegebedürftigen Menschen dort hätten über Monate viel mehr soziale Einschränkungen erleben müssen als andere. "Wir finden es wichtig, Besuche zu ermöglichen und soziale Aktivitäten in und außerhalb der Einrichtungen zu unterstützen", sagt Loheide. Dabei dürfe der Schutz von nicht geimpften und anderen vulnerablen Personengruppen jedoch nicht zu kurz kommen. Grundsätzlich sollten aber wie bei anderen geimpften Personen Schutzmaßnahmen nur so lange gelten, bis ein sicherer Schutz für alle Menschen gewährleistet ist: "Ist dies der Fall, müssen weitere Öffnungen möglich sein."
Derzeit aber gilt für Eugen Brysch, Vorstand der Stiftung Patientenschutz: "Für Pflegeheimbewohner bringen höchste Impfquoten nichts." Der jüngste Bund-Länder-Gipfel sei für 900.000 Pflegebedürftigte ein Fiasko gewesen, sagt er dem epd. "Nun bleiben nur noch Gerichte, um die Menschen aus der Trostlosigkeit zu holen."
Die Caritas in der Diözese Münster verweist dagegen darauf, dass Besuche in Heimen im Rahmen der jeweils geltenden Schutzkonzepte immer möglich gewesen seien. Nach der Impfung aller Bewohner gebe es seit vier Wochen im Rahmen der NRW-Landesverordnungen weitere Lockerungen. "Die haben wir ohne Zögern umgesetzt", bestätigt Rainer Schmidt-Dierkes, der die Heilig-Geist-Stiftung in Dülmen leitet. Orientieren müssten sich die 205 Altenheime der Caritas in der Diözese Münster an den Verordnungen des Landes. Die lassen derzeit bis zu fünf Besucher gleichzeitig zu.
Frankfurt a.M. (epd). Die großen Sozialverbände und ihre Mitglieder halten die neue Corona-Testpflicht in allen Unternehmen für den richtigen Weg im Wettlauf mit der Pandemie. Bedenken gibt es lediglich bei der Frage der Finanzierung der massenhaften Schnelltests für über fünf Millionen Beschäftigte im Gesundheits- und Sozialwesen. Denn wie zu hören ist, fehlt den Sozialunternehmen fast immer das Geld für solche Sonderkosten. Doch unabhängig davon sind viele der Sozialträger beim Testen ihrer Mitarbeitenden meist schon weiter als der Rest der Wirtschaft - auch, weil sie aus der stationären Altenpflege schon einen Wissens- und Praxisvorsprung haben.
"Wir halten die Testung aller Mitarbeitenden für einen wesentlichen Baustein der Pandemiebekämpfung", sagt Roelf Bleeker, Referatsleiter der Graf Recke Stiftung in Düsseldorf. Das Unternehmen zählt 2.700 Mitarbeitende und ist in der Kinder- und Jugendhilfe, der Behindertenarbeit und in der Pflege aktiv. "Weil wir bei der Beschaffung und Organisation der Tests bereits gut aufgestellt sind, ist die neu eingeführte Testpflicht für uns gut zu organisieren."
Man habe ohnehin schnell reagiert und nicht erst gewartet, bis der Gesetzgeber tätig wurde. Allen Mitarbeitenden würden bereits Schnelltests angeboten - unterschiedlich oft entsprechend der Kontakthäufigkeit. "Die Mitarbeitenden unserer Dienstleistungstochter DiFS GmbH, die in unseren Häusern arbeiten, etwa als Reinigungskräfte, werden schon täglich vor Dienstbeginn getestet, allen anderen werden mindestens wöchentliche Testungen angeboten."
Der Träger macht für seine Arbeitsgebiete unterschiedliche Vorgaben, doch getestet wird überall: In der Sozialpsychiatrie und Heilpädagogik werden alle Mitarbeitenden und Klientinnen und Klienten zwei Mal in der Woche getestet, ebenso die Bewohner sowie Mitarbeitenden in der Jugendhilfe und auch Kinder und Beschäftigte in den Kindertageseinrichtungen.
Ähnlich verhält es sich beim diakonischen Träger diakoneo im bayerischen Neuendettelsau, der mit über 10.000 Beschäftigten zu den größten Trägern in Deutschland zählt. "Wir haben frühzeitig damit begonnen, Mitarbeitenden freiwillige Tests in regelmäßigem Rhythmus möglich zu machen", etwa auch durch Laientests, berichtet Pressesprecher Markus Wagner: "Und wir bemerken bereits jetzt, wie angespannt der Markt für die Laientests ist und rechnen mit steigenden Preisen und längeren Lieferzeiten." Bei Beschaffungskosten von fünf bis sechs Euro je Kit kommen rasch stattliche Beträge zusammen. Die Kosten belaufen sich derzeit allein für die Zentralen Dienste von Diakoneo auf fünfstellige Summen pro Monat, für die Diakoneo meist "in Vorleistung gehen muss".
Im Bildungsbereich habe man frühzeitig eine übergreifende Teststrategie für Schulen und Kindereinrichtungen entwickelt und umgesetzt. "Dafür sind Mitarbeitende in der Anwendung geschult, Tests beschafft und angeboten worden", so Wagner. Inzwischen griffen staatliche Vorgaben für die freiwilligen Tests, die auch von den Behörden zur Verfügung gestellt würden.
"Uns ist sehr bewusst, dass wir eine nicht zuletzt ethisch-moralische Verantwortung für die Gesundheit unserer Mitarbeiter haben. Daher haben wir schon vor Wochen Testmöglichkeit geschaffen - und zwar nicht nur in der Zentralen, sondern dezentral", heißt es bei der Evangelischen Gesellschaft (eva) in Stuttgart. "Wir testen seit mehreren Wochen dort, wo es gewünscht wird, und über die Bereiche hinaus, in denen Testpflicht besteht, so auch die Klienten und Klientinnen sowie Gäste", berichtet Vorstandsvorsitzender Klaus Käppling: "Uns geht es auch dabei um den Schutz aller."
Deshalb testet das Unternehmen mit rund 150 Diensten, Beratungsstellen, Wohngruppen und Heimen und 1.300 hauptamtlichen Mitarbeitenden auch und gerade in den Arbeitsfeldern, in denen es bisher noch keine Testpflicht gibt. "Wir haben uns dafür ganz bewusst entschieden, auch wenn es zum Beispiel für Tests von Mitarbeiterin aus der Kinder- und Jugendhilfe zumindest aktuell keine Erstattung der Kosten gibt", sagte Käppling dem Evangelischen Pressedienst (epd).
Lange hat es gedauert, bis die Testpflicht in den Firmen kam. Sie ist geregelt in der Sars-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung und gilt zunächst bis zum 30. Juni gilt. Demnach sind zwei Tests je Mitarbeiter Vorschrift, sofern nicht ausnahmslos im Homeoffice gearbeitet wird. Eine Pflicht für die Belegschaft, sich testen zu lassen, gibt es jedoch nicht.
Für den Paritätischen Wohlfahrtsverband ist das ein klares Manko: "Die Beschäftigten müssen dieses Angebot nicht annehmen und müssen sich bei der Durchführung des Tests auch nicht beaufsichtigten lassen im Hinblick auf korrekte Durchführung. Das ist im Grunde die Achillesferse der neuen Regelung", sagte auf Anfrage Werner Hesse, der Geschäftsführer des Verbandes. Die arbeitsrechtlichen Konsequenzen einer "Testverweigerung" seien unklar, es fehle ein "stringentes Konzept", so Hesse.
"Die meisten Geschäftsstellen, Einrichtungen und Dienste haben praktikable Lösungen beim Testen gefunden und auch da, wie bei allen anderen Corona-Anforderungen bisher, zeigen sie maximales Engagement, Flexibilität und Erfindungsgeist", heißt es beim Deutschen Caritasverband: "Vieles spricht für den Betrieb als operativen Ort für die Organisation der Tests." Aber: "Es gibt noch einige Unsicherheit, sowohl was die Durchführung als auch die Finanzierung angeht."
Vor Ort gebe es viele pragmatischen Lösungen: So werde mit externen Dienstleistern zusammengearbeitet, etwa Apotheken in der Nachbarschaft oder Testzentren in der Nähe. Teilweise werden den Mitarbeitenden aber auch Selbsttests angeboten. Die Arbeiterwohlfahrt berichtet von gespendeten Testkits.
"Fast alle Arbeitsfelder und Einrichtungen beschäftigen sich im Moment mit der Umsetzung", sagte Vorstand Maria Loheide dem epd. Die Regelungen und Finanzierungen seien jedoch nach Arbeitsfeldern und Regelungen in den Ländern unterschiedlich. "Dabei geht es nicht mehr um die Altenhilfe, sondern um die Kitas, Schulen, Wohnungslosenhilfe, Erziehungshilfe, Flüchtlingsarbeit, Beratungsstellen, Bahnhofsmission." Auch wenn in bestimmten Arbeitsfeldern, etwa in Kitas oder Schulen, die Kosten vom Staat getragen würden, verbleibe bei den Trägern auf jeden Fall einiges an Aufwand.
Die finanzielle Belastung sieht auch die Caritas kritisch. Im gemeinnützigen Bereich das Geld für die regelmäßige Tests aufzubringen, sei schwierig, "weil wir keine Gewinne machen dürfen und für die Refinanzierung auf die Kostenträger angewiesen sind". Und Rolf Bleeker sekundiert: "Hier muss es bald zu einer Regelung kommen, damit die Einrichtungen nicht auf den Mehrkosten sitzen bleiben."
Die Arbeiterwohlfahrt beklagt bei der Testpflicht unterschiedliche beziehungsweise fehlende Regelungen für die Bereich der Jugendhilfe. "Aus Sicht der Träger und der Jugendämter wären landesweit einheitliche Regelungen und Finanzierungen sinnvoll, weil ansonsten die jeweiligen kommunalen Jugendämter mit jedem einzelnen Leistungserbringer zusätzliche Vereinbarungen abschließen müsste", heißt es auf Anfrage. Bislang gebe es nur vereinzelt die Möglichkeit, dass erhöhte Kosten, die pandemiebedingt bei Personal- und Sachkosten anfallen, durch die örtlichen Jugendämter übernommen werden.
Michael Kreutzfelder, Vorstandssprecher der Caritas Oberhausen, hält das verpflichtende Testangebot für überflüssig: "Das ist für die Sozialbranche aus meiner Sicht nicht notwendig, denn viele Bereiche sind bereits durchgeimpft. Bei uns beträgt die Impfquote bereits über 60 Prozent." Dennoch werde auch in Oberhausen schon regelmäßig getestet. Aber, so kritisiert er: "Die zusätzlichen Kostenbelastungen verpflichtend auf eh schon belastete Betriebe abzuwälzen halte ich für falsch." Viele Sozialunternehmen hätten durch Corona wirtschaftlich deutlich eingebüßt, auch durch staatliche Regulierungsmaßnahmen, die nicht in ausreichender Höhe refinanziert worden seien. Da kämen nun noch die Pflicht-Tests obendrauf.
Zudem hält Kreuzfelder das Vorgehen der Politik für nicht schlüssig: So seien die Bürgertest durchweg kostenlos und die in den Einrichtungen würden vom Staat bezahlt. "Die Kosten für die Beschäftigtentests gehen jedoch voll zulasten des Arbeitgebers."
Dennoch betont auch der Chef der Caritas in Oberhausen, dass die Schnelltests gut angenommen werden: "Unsere Erfahrungen zeigen, dass sowohl Nutzer unserer Angebote als auch die Mitarbeiter sich dadurch mindest etwas sicherer fühlen."
Berlin (epd). Kinder und Jugendliche sind von der Pandemie sehr stark betroffen. Die Lebensphase Kindheit und Jugend ist eine besonders wichtige, weil in ihr die Weichen für die Zukunft gestellt werden.
Seit Monaten müssen Kinder und Jugendliche weitgehend ohne die so wichtigen sozialen Kontakte zu Gleichaltrigen auskommen, müssen sich permanent wechselnden Öffnungs- und Schließungs-vorgaben der Kitas und Schulen anpassen. Auch sind die Orte ihres geselligen Zusammenseins, der gemeinsam gestalteten und erlebten Freizeit, des aufgefangen Werdens jenseits ihrer Familie geschlossen. So wächst ihre Zukunftsangst und sie fühlen sich mit ihren Bedürfnissen und Interessen nur unzulänglich wahrgenommen.
Auch wird ihr solidarisches Handeln gegenüber Schutzbedürftigen und den älteren Generationen kaum anerkannt, ist ihre öffentliche Wahrnehmung darauf reduziert, sie durch die Prognose von Lerndefiziten zu stigmatisieren. Junge Menschen und ihre Familien sind erschöpft. Und dennoch: Junge Menschen sind und wollen keine Corona-Generation sein! Sie leisten einen wichtigen Beitrag zur Bekämpfung der Pandemie!
Der Bund plant ein Maßnahmenpaket, mit dem pandemiebedingte Nachteile für junge Menschen ausgeglichen werden sollen. Eine Milliarde Euro für Nachhilfe der Schülerinnen und Schüler ist schön und gut. Da Kinder und Jugendliche mehr sind, als Kita-Kinder und Schüler, braucht es aber ein umfangreiches Maßnahmenpaket für alle Felder der Kinder- und Jugendhilfe von Bund, Ländern und Kommunen.
Auch während der Pandemie müssen Kinder und Jugendliche Ferien haben, um Abstand von den Belastungen des Alltags und dem Druck der Schulerwartungen zu gewinnen. Ein solcher Abstand gelingt nicht durch die Verschulung von Ferien, sondern nur dadurch, dass alle Maßnahmen der Kinder-, Jugend- und Familienhilfe gestärkt und ausgebaut werden. Eine weitere Milliarde Euro ist dafür nicht zu viel verlangt! Sie kann aber nur der Anfang für einen nachhaltigen Ausgleich der Coronafolgen sein.
Die Umsetzung eines Maßnahmenpaketes des Bundes muss sich daran orientieren, dass
+ nicht nur Bildungslücken geschlossen, sondern vor allem soziale Kontakte wieder ermöglicht werden.
+ die Perspektive der Rechte von Kindern und Jugendlichen gleichermaßen in die politischen Entscheidungsprozesse zur Pandemiebekämpfung einfließen.
Deshalb ist es wichtig, dass grundsätzlich alle Angebote der Kinder- und Jugendhilfe wieder geöffnet werden. Nur so können Kindern und Jugendlichen wieder der Freiraum und die Entwicklungsfelder geboten werden, die sie für ein gesundes Aufwachsen benötigen.
Deshalb ist es wichtig, dass in allen Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe ausreichend Coronatests zur Verfügung stehen, dass die Mitarbeitenden schnellstmöglich ein Impfangebot erhalten, dass es auch für die Jugendlichen und Kinder unter 16 Jahren eine Impfstrategie gibt, dass ausreichend Impfdosen zur Verfügung stehen, so dass allen, die geimpft werden wollen, auch ein Impfangebot gemacht werden kann ohne Benachteiligung einzelner Gruppen und dass die AHA+L-Regeln weiterhin konsequent in den Angeboten und Maßnahmen der Kinder- und Jugendhilfe einzuhalten sind, was bei Trägern, Fachkräften und auch den jungen Menschen und ihren Familien auf große Zustimmung trifft.
Unsere Forderungen zum Maßnahmepaket:
1. Es gilt die Zukunftsperspektiven der Kinder und Jugendlichen in der Schule und auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt in den Blick zu nehmen, um die entstandenen Bildungslücken durch zusätzliche Angebote an den Bildungsorten außerhalb statt während der Ferienzeiten zu schließen. Das schafft Schule nicht alleine, sondern nur in Zusammenarbeit mit der Kinder- und Jugendhilfe.
2. Vorrangig gilt es aber, allen Kindern und Jugendlichen, und damit auch denen mit Behinderung, ihre Entwicklungs- und Gestaltungsräume außerhalb formaler Bildungseinrichtungen wieder zurück zu geben und die soziale Infrastruktur des Aufwachsens als Angebotsvielfalt der Kinder- und Jugendhilfe auf kommunaler Ebene für Kinder, Jugendliche und Familien zu stärken. Solche Orte sind auch Bildungsorte, vor allem aber Bindungsorte.
3. Kinder, Jugendliche und Familien haben Erholung und eine Auszeit vom Corona-Alltag dringend nötig und verdient. Auch arme Familien müssen Urlaub machen können, Freizeit- und Ferienaktivitäten sowie Familienfreizeiten müssen deshalb ausgebaut werden und niedrigschwellig genutzt werden können.
4. Benötigt wird eine aufsuchende Jugendsozialarbeit, die junge Menschen im Übergang zu Ausbildung und Erwerbsarbeit persönlich unterstützt.
5. Die Stärkung der Angebote der Kinder- und Jugendhilfe, und damit der Kindertagesbetreuung, der Kinder- und Jugendarbeit, der Jugendverbandsarbeit, der kulturellen Jugendbildung, der Jugendsozialarbeit etc. muss in einer gemeinsamen Kraftanstrengung von Bund, Ländern und Kommunen auch mit dem dazu notwendigen Geld hinterlegt werden.
6. Dieses Geld muss vor Ort ohne große Bürokratie ankommen, es kann also nicht um eine zusätzliche Projektfinanzierung gehen.
7. Bei der Entwicklung der Maßnahmen sind alle Kinder und Jugendlichen vor Ort mit einzubeziehen.
Bad Kreuznach (epd). Die Stiftung kreuznacher diakonie fordert in einem offenen Brief mehr Gerechtigkeit beim Verteilen der Corona-Prämie. Zwar seien diese Zahlungen für Menschen, die in der Pflege arbeiten, in der Vergangenheit wichtige Signale der Anerkennung gewesen, "doch in der Praxis führen diese Prämien zu massiven
Ungerechtigkeiten", heißt es in einer am 26. April verbreiteten Mitteilung des Trägers. Das müsse sich ändern, wenn neue Corona-Prämien beschlossen und ausgezahlt werden. "Denn die finanziellen Mittel für die Beschäftigten kommen nicht oder nur unzureichend bei den Menschen an, die die Last der Pandemie tragen und entscheidende Beiträge zur Bewältigung der Katastrophe leisten."
Zur Begründung verwies die kreuznacher diakonie auf bestehende Tarifstrukturen, denen ein so großer Träger wie die Stiftung kreuznacher diakonie mit ihren 6.900 Beschäftigten unterliege. Zum großen Teil seien aber gesetzliche Vorgaben bei der Verteilung von staatlich finanzierten Prämien schuld an den Verwerfungen, hieß es.
Corona-Prämien, die einzelne Kolleginnen und Berufsgruppen in diesem Netz vernachlässigten, reiße Löcher in diese Solidarität. "Unser Staat, unsere Gesellschaft, die Menschen brauchen dieses stabile Netz. Der Vorstand der Stiftung kreuznacher diakonie und die Gesamtmitarbeitervertretung fordern alle politisch Handelnden auf, bei der Entscheidung über weitere Unterstützungsmaßnahmen für Gerechtigkeit bei der Verteilung zu sorgen und die gelebte Solidarität nicht durch weitere Ungerechtigkeiten zu strapazieren.
Als Beispiel für die ungerechte Verteilung verwies der Träger von 120 verschiedenen Einrichtungen darauf, dass Beschäftigten in der Seniorenhilfe und in den Hospizdiensten die Prämie bekommen hätten, nicht aber die in der Behindertenhilfe, in der Kinder- und Jugendhilfe, im Sozialpädiatrischen Zentrum, den Reha-Fachdiensten und in der Wohnungslosenhilfe.
Auch bei der jetzt neuen staatlichen Prämie vom März 2021 führten die vorgegebenen Verteilungsschlüssel schon wieder zu Ungerechtigkeiten.. Daher appellierte die kreuznacher diakonie an alle Entscheidungsträger in der Politik: "Berücksichtigen Sie alle Mitarbeitenden in den sozialen Einrichtungen dieses Landes, die gegen die Pandemie kämpfen. Helfen Sie die Ungleichbehandlung zu beenden. Helfen Sie, dass sich alle Berufsgruppen gleich wertgeschätzt fühlen."
Köln (epd). Die Bank für Sozialwirtschaft bewertet das zurückliegende Geschäftsjahr trotz Pandemie positiv. Im Kreditgeschäft sei mit einem zugesagten Gesamtvolumen von 1,2 Milliarden Euro ein Plus von 26 Prozent gegenüber dem Vorjahr erzielt worden, teilte die Bank am 28. April zur Veröffentlichung ihres Geschäftsberichts 2020 in Köln mit. Belastend habe sich erneut das durch die Pandemie verfestigte Niedrigzinsumfeld ausgewirkt. Dennoch sei der Zinsüberschuss gegenüber dem Vorjahr um 1,9 Prozent gestiegen.
Das Betriebsergebnis, also der Saldo von Aufwendungen und Erträgen aus dem operativen Geschäft, erzielte 44,3 Millionen Euro, wie die Bank erklärte. Damit sei die eigene Zielsetzung nur knapp verfehlt worden. Die Bilanzsumme, die Summe der Aktiv- beziehungsweise Passivseite der Bilanz und Indikator für die Größe einer Bank, erhöhte sich den Angaben nach um 9,1 Prozent auf 9,5 Milliarden Euro. 16 Millionen Euro wurden nach eigenen Angaben in die Risikovorsorge eingestellt, um möglichen negativen Auswirkungen der Pandemie auf das Kreditgeschäft vorzubeugen. Der Jahresüberschuss liegt demnach bei 13 Millionen Euro.
Um die Abhängigkeit vom Zinsgeschäft zu reduzieren, erschließe die Bank neue Ertragskomponenten, hieß es. Das sei beispielsweise der Ausbau der Geschäftsfelder der Tochtergesellschaft BFS Service GmbH. Für das Geschäftsjahr 2020 sei mit Bezug zu Unternehmensbeteiligungen erstmals ein Konzernabschluss erstellt worden. In den nächsten Jahren will die Bank ihre Dienstleistungsangebote im Digitalbereich ausweiten. So sei eine erste strategische Beteiligung an einem Start-up eingegangen und eine digitale Vermögensverwaltung gestartet worden, die speziell die Anlagevorgaben gemeinnütziger Kunden berücksichtige, hieß es.
Die Bank für Sozialwirtschaft AG ist nach eigenen Angaben das einzige Kreditinstitut in Deutschland, das sich ausschließlich an institutionelle Kunden aus der Sozial- und Gesundheitswirtschaft richtet.
Mannheim, Waibstadt (epd). Zu häufig, zu lange und zu hoch dosiert: An der seit langem kritisierten Verschreibungspraxis von Psychopharmaka bei Senioren hat sich nach Einschätzung des Mannheimer Mediziners Martin Wehling noch immer wenig geändert. "Von acht eingenommenen Medikamenten der über 85-Jährigen enthalten zwei psychoaktive Substanzen", sagt der Direktor am Institut für klinische Pharmakologie der Uniklinik Mannheim dem Evangelischen Pressedienst (epd).
So bekommen etwa rund 30 Prozent der Pflegheimbewohner mit Demenz laut Experten des Demenzreports der Universität Bremen 2017 - 2019 dauerhaft ein Neuroleptikum. Das Medikament dämpft das Gehirn, stellt den Patienten ruhig.
Doch bei jeder dritten Demenz trage die Einnahme von Medikamenten, die Hirnfunktionen dämpfen, zur Auslösung oder Verschlimmerung bei, hat Wehling in seiner 20-jährigen geriatrischen Tätigkeit beobachtet. Im Umkehrschluss bedeute das: Solche durch Medikamente verursachten Demenzen verschwinden oder bessern sich, lässt man die Psychopharmaka weg. Was der Körper in jungen Jahren problemlos abbauen kann, sei für den älteren Organismus oftmals "Gift", betont der Fachmann. Grund seien die abnehmenden Organfunktionen im Alter.
Eine Übersicht über sowohl untaugliche als auch hilfreiche Medikamente für ältere Menschen gibt die "FORTA-Liste" (Fit FOR the Aged), deren Urheber Wehling ist. Auf Grundlage ausgewählter Alterskrankheiten bewertet sie Medikamente und teilt sie in vier Kategorien ein - von "unverzichtbar" über "vorteilhaft" und "fragwürdig" bis zu "vermeiden". Die Folgen bei der Einnahme negativ bewerteter Psychopharmaka seien Verwirrtheit, Halluzinationen oder schwere, mithin tödliche Stürze. "Man muss die Latte schon sehr hoch hängen, damit die Leute davon profitieren", urteilt Wehling.
Dass es auch ohne medikamentöse "Fixierung" geht, zeigt ein Projekt am Johanniter-Haus im nordbadischen Waibstadt bei Sinsheim. Hier sei es gelungen, innerhalb von zwei Jahren die Verordnungen der Sedativa, Benzodiazepine und Neuroleptika von zu Beginn 45 Prozent auf zehn Prozent zu senken, sagt Einrichtungsleiter Kai Schramm.
Zusammen mit Ärzten und Therapeuten stellte die Einrichtung alle bestehenden medikamentösen Verordnungen der Bewohner auf den Prüfstand. Unter engmaschiger Beobachtung und Besprechung jedes einzelnen Falles wurden bestehende Psychopharmaka-Verordnungen verändert. "Bei 45 Prozent stellten sich positive Veränderungen und bei 44 Prozent keine Veränderungen ein", fasst Schramm das Ergebnis zusammen. Dadurch konnten bei den meisten Heimbewohnern Psychopharmaka abgesetzt oder reduziert werden.
Begleitend verstärkte das Johanniter-Haus Waibstadt nichtmedikamentöse Angebote, wie Hand- und Fußmassagen, Aromapflege, gezielte Bewegungsangebote im Freien, Strukturierung der Tagesabläufe sowie Biographiearbeit. Die Erfahrung zeige: Den Menschen geht es mit Zuwendung statt Pillen besser. "Wir sind heute noch überrascht, wie gut das funktioniert", sagt Schramm.
Dass gutes Zureden und psychologische Führung für ältere Menschen wichtiger sind als Chemiekeulen, betont auch Martin Wehling. Mit seiner gerontopharmakologischen Ambulanz an der Uniklinik Mannheim versucht er, Ärzten bei der Reduzierung von Polypharmazie älterer Patienten zu helfen. Die Krankenkassen honorierten diese Beratungen allerdings nur spärlich. "Unser Gesundheitssystem bezahlt das Falsche", sagt Wehling: "Es bezahlt die technische und nicht die denkende und sprechende Medizin."
Berlin (epd). Die evangelische Frauenarbeit ist nach Ansicht der Theologieprofessorin Dorothea Wendebourg auf EKD-Ebene nicht länger notwendig. "Sie ist entbehrlich", sagte Wendebourg dem Evangelischen Pressedienst (epd). "Wenn es darum geht, Frauen noch stärker zur Geltung zu bringen, brauchen wir die Frauenarbeit nicht mehr. Da haben wir eigentlich schon alles erobert." In der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) soll das Evangelische Zentrum für Frauen und Männer in Hannover, in dem die Frauenarbeit verortet ist, demnächst fast komplett eingespart werden.
"Es gab Zeiten, da war die Frauenarbeit wichtig. Frauen hatten keinen Zugang zu Ämtern, waren mit Rollenklischees konfrontiert", sagte Wendebourg. "Das ist heute nicht mehr der Fall." Dass für die Gleichberechtigung viel erreicht worden sei, zeige sich etwa in der großen Zahl der Theologiestudentinnen, wogegen die der männlichen Studenten zurückgehe, so die Kirchenhistorikerin, die bis 2017 einen Lehrstuhl an der Berliner Humboldt-Universität innehatte. Es bräuchte eher eine Forcierung der Männerarbeit. Zumal auch Kirchengänger schon immer mehrheitlich Frauen und weniger Männer seien.
Kritisch sieht Wendebourg, dass sich der Fokus der Frauenarbeit auf die Genderfrage verengt habe. Das Gender-Programm müsse sich die Frauenarbeit nicht zu eigen machen, es mache die Frauenfrage letztlich bedeutungslos, sagte die Kirchenhistorikerin. Sie bezog sich damit auf die den Gender-Maßnahmen zugrunde liegende Theorie der US-amerikanischen Philosophin Judith Butler, die Geschlechter durch sozial-kulturelle Zuschreibungen definiert sieht und letztlich die Auflösung der Zweigeschlechtlichkeit anstrebt.
"Gender und Gendersprache sind Anliegen einer kleinen Gruppe, die das pusht", sagte Wendebourg. "Die große Zahl der Frauen in der Kirche interessiert das überhaupt nicht." Hinzu komme, dass Themen wie das Single-Sein oder ein künftiges Transgender-Gesetz, denen sich die Frauenarbeit widmet, "nicht frauenspezifisch" seien. "Hier hört die Frauenarbeit auf, Frauenarbeit zu sein", sagte die Theologin: "Ich verstehe nicht, dass ein Feminismus, der eigentlich unterbewerteten Frauen helfen will, das alles Huckepack nimmt." Es sei eine Illusion zu glauben, dass die Gesellschaft durch Gendersprache und -Programme verändert werden könnte.
Ort klassischer Frauenarbeit seien eher Diakonie und Gemeinde, sagte Theologin, die auch zeitweilig lutherische Vorsitzende der Theologischen Kammer der EKD war: "Frauenhilfe an der Basis, das funktioniert. Vor Ort kann die Frauenarbeit ad hoc besser reagieren - sich etwa um Einsame kümmern und bei Überforderung helfen."
Das Zentrum Frauen und Männer wird von den Evangelischen Frauen in Deutschland e.V. (EFiD) und der Männerarbeit der EKD getragen. Es wird fast vollständig von der EKD finanziert. Dem Frauen-Dachverband gehören 40 Verbände mit rund drei Millionen Protestantinnen an.
Berlin (epd). Nach Einschätzung der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) kommen die Bundesländer ihrer Pflicht zur Finanzierung der Krankenhaus-Investitionskosten in ausreichender Höhe nach wie vor nicht nach. Das habe die jüngste "Bestandsaufnahme zur Krankenhausplanung und Investitionsfinanzierung in den Bundesländern 2020" ergeben, heißt es in einer Mitteilung vom 27. April. Demnach klafft eine Milliardenlücke zwischen den Kosten für Investitionen und ihrer tatsächlichen Finanzierung.
Im Berichtsjahr fehlte den Angaben nach die Hälfte des notwendigen Geldes, um in Gebäude, technische Geräte oder Digitalisierung zu investieren. "Betrug der ermittelte Investitionsbedarf 2019 deutlich über sechs Milliarden Euro, haben die Länder davon gerade 3,16 Milliarden getragen", so der Dachverband. In einigen Bundesländern sei die Fördersumme sogar gesunken.
"Die nun schon Jahrzehnte anhaltende drastische Unterfinanzierung bei den Investitionskosten ist maßgeblich für Krankenhausschließungen verantwortlich. Anstelle dieses kalten Strukturwandels durch wirtschaftlichen Ruin muss wieder versorgungsorientierte Krankenhausplanung treten", forderte der DKG-Vorstandsvorsitzende Gerald Gaß. Zwar sei es erfreulich, dass die Fördersummen nicht mehr sinken, dennoch bedeutet die Summe von 3,16 Milliarden Euro im Vergleich zu 1991 inflationsbereinigt eine beinahe Halbierung der Förderung.
Positiv bewertete die DKG das im Corona-Jahr beschlossene Zukunftsprogramm Krankenhäuser. Hierbei stellt der Bund rund drei Milliarden Euro für Investitionen zur Verfügung und greift den Ländern bei der Investitionskostenfinanzierung unter die Arme. "Es gilt nun, die Kofinanzierung durch die Länder abzusichern und die langfristigen Möglichkeiten solcher Programme zu prüfen, denn die Länder schaffen es offenbar nicht allein, ihren Finanzierungspflichten nachzukommen", erklärte Gaß.
Die Mittel stammen aus der Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds und dienen vor allem Investitionen in die Digitalisierung der Krankenhäuser. Langfristige Programme des Bundes zur Finanzierung der Investitionskosten schlägt die DKG zudem in ihrem jüngst veröffentlichten Positionspapier zur Bundestagswahl vor.
Zürich (epd). Regelmäßiges kognitiv-motorisches Training mit einem Fitnessspiel kann einer Studie zufolge die körperlichen und geistigen Fähigkeiten von Demenzkranken verbessern. Wie die Eidgenössische Technische Hochschule Zürich (ETH) mitteilte, steigert das Training Aufmerksamkeit, Konzentration, Erinnerung oder Orientierung. "Es besteht erstmals die Hoffnung, dass wir durch gezieltes Spielen Demenzsymptome nicht nur verzögern, sondern auch abschwächen können", sagte die ETH-Forscherin Eling de Bruin.
Für die Studie, an der auch die Katholieke Universiteit Leuven in Belgien beteiligt ist, haben 45 Pflegeheimbewohner aus Belgien an einem achtwöchigen Trainingsprogramm teilgenommen. Alle Bewohner waren den Angaben nach 85 Jahre alt und litten an starken Demenzsymptomen.
Für die Studie haben die Forscher die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in zwei Gruppen eingeteilt: Während die eine Gruppe dreimal wöchentlich Musikvideos ihrer Wahl schaute, trainierte die andere Gruppe mit einer speziell entwickelten Plattform. Diese besteht aus einem Bildschirm mit Spielesoftware und einer Bodenplatte mit vier Feldern, auf der Schritte, Gewichtsverlagerungen und Balance gemessen werden können. Auf der Plattform sollen die Nutzer eine auf dem Bildschirm eingeblendete Bewegungsabfolge mit ihren Füßen nachahmen. So sollten gleichzeitig körperliche und kognitive Fähigkeiten trainiert werden, hieß es.
Der Vergleich beider Gruppen nach dem achtwöchigen Training zeigte, dass sich die physischen, mentalen und kognitiven Fähigkeiten der Gruppe, die Musik hörte, weiter verschlechterten, während sich die Leistungen der Gruppe, die mit der Plattform trainierte, deutlich steigerten. So hätte sich etwa die Reaktionszeit dieser Pflegeheimbewohner deutlich verbessert, erklärte das Forscherteam.
Schon 2015 wies eine ETH-Studie den Angaben zufolge nach, dass Senioren, die Körper und Geist gleichzeitig trainieren, bessere kognitive Leistungen erbringen und dadurch kognitive Beeinträchtigungen vorbeugen. Allerdings wurde die Studie nur mit gesunden Menschen ohne Demenz durchgeführt. "Bis jetzt hat es sich als schwierig herausgestellt, Demenzerkrankte über längere Zeiträume für körperliche Aktivitäten zu motivieren", erklärte de Bruin.
Mit der für diese Studie entwickelten Trainingsplattform hingegen, habe die Motivation der demenzkranken Studienteilnehmer, regelmäßig zu trainieren, gesteigert werden können. Aktuell arbeitet die Forschergruppe daran, die Studie mit Menschen mit leichter kognitiver Beeinträchtigung wie einer Vorstufe von Demenz zu wiederholen.
Stuttgart (epd). Hartz-IV-Bezieher dürfen für die Geburt ihres Kindes "ortsabwesend" sein und müssen dann an ihrem Wohnort nicht unmittelbar der Vermittlung in den Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Bis zu einem Zeitraum von drei Wochen ist die Abwesenheit zulässig, wenn ein Leistungsbezieher bei der Geburt dabei sein und die an einem anderen Ort lebende Mutter anschließend unterstützen will, entschied das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg in einem am 21. April veröffentlichten Urteil. Die Stuttgarter Richter kassierten damit eine vom Jobcenter vorgenommene Minderung des Arbeitslosengeldes II wegen "Ortsabwesenheit" als rechtswidrig ein.
Im Streitfall ging es um einen Hartz-IV-Bezieher aus dem Raum Reutlingen. Am 18. Mai 2018 sprach der Mann bei seinem Jobcenter vor, um zu seiner in Schleswig-Holstein wohnenden hochschwangeren Freundin fahren zu dürfen. Der Mann wollte seiner Partnerin bei der Geburt des gemeinsamen Kindes beistehen und sie anschließend unterstützen.
Die vorher eingeholte Genehmigung für einen Aufenthalt außerhalb des Wohnortes, ist nach den geltenden Bestimmungen grundsätzlich erforderlich, weil der Arbeitslose in dieser Zeit nicht mehr der Vermittlung in den Job zur Verfügung steht.
Das Jobcenter wies den Mann jedoch ab. Er habe acht Tage vor der geplanten Fahrt in der Behörde vorgesprochen. Um eine Genehmigung erhalten zu können, müsse er innerhalb einer Woche diese beantragen. Der Hartz-IV-Bezieher sollte daher später noch einmal kommen.
Doch der wollte darauf nicht mehr warten. Er fuhr ohne weitere Mitteilung für drei Wochen zu seiner Freundin, war bei der Geburt des gemeinsamen Kindes dabei und unterstützte die Mutter bei der Betreuung des Kindes. Die Vaterschaft erkannte er an.
Als das Jobcenter von der ungenehmigten Ortsabwesenheit erfuhr, hob es die Bewilligung des Arbeitslosengeldes II für diesen Zeitraum auf und forderte 958 Euro zurück.
Die dagegen eingelegte Klage hatte vor dem LSG Erfolg. Der Hartz-IV-Bezieher habe für den Zeitraum der Ortsabwesenheit Anspruch auf Arbeitslosengeld II. Zwar habe er sich außerhalb des "zeit- und ortsnahen Bereichs aufgehalten", so dass er einer Vermittlung in den Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stand. Das Amt hätte die Ortsabwesenheit wegen eines wichtigen Grundes aber genehmigen müssen. Rechtlich zulässig sei eine Abwesenheit von bis zu drei Wochen, so das Gericht.
Die Behörde habe den im Grundgesetz verankerten besonderen Schutz der Familie und das Recht des Kindsvaters, "die unmittelbare Zeit der Geburt des Kindes zu begleiten sowie im weiteren Verlauf die Kindsmutter zu unterstützen und das Neugeborene zu betreuen", nicht beachtet, hieß es zur Begründung.
Der Kläger habe alles getan, um eine Genehmigung des Jobcenters erhalten zu können. Dessen Forderung, unmittelbar vor der geplanten Abreise erneut vorsprechen zu müssen, sei nicht gerechtfertigt gewesen. Zudem habe das Amt für den betreffenden Dreiwochenzeitraum gar keine Eingliederungsmaßnahmen beabsichtigt gehabt.
Der Kläger könne allerdings keine "Ortsabwesenheit" über den Dreiwochenzeitraum verlangen. Das sei nur in Härtefällen möglich, etwa wegen Krankheit. Dem Kläger stehe es frei, zur Überwindung der räumlichen Distanz nach Schleswig-Holstein zu ziehen und dort Arbeitslosenunterstützung zu erhalten, entschied das LSG.
Dass Hartz-IV-Bezieher für eine Ortsabwesenheit um Erlaubnis fragen müssen, hatte bereits das LSG Schleswig am 20. Juni 2013 entschieden. Sehe eine Eingliederungsvereinbarung bei einer gewünschten Ortsabwesenheit von mehr als 24 Stunden eine vorherige Genehmigung vor, sei das nicht zu beanstanden. Die Verpflichtung, für die Vermittlung in den Arbeitsmarkt am Wohnort bleiben zu müssen, stelle keinen unzulässigen "Ortsarrest" dar.
Das Sozialgericht Dortmund urteilte am 16. Dezember 2016, dass das Jobcenter Arbeitslosen nicht die dreiwöchige Orts- und Urlaubsabwesenheit verweigern dürfen, nur weil diese die Behörden mit Klagen und Widersprüchen überziehen. Auch dass noch Bewerbungen offen sind und der Arbeitslose damit eine kleine Chance auf einen Arbeitsplatz hat, sei noch kein Grund, die Zustimmung zur Ortsabwesenheit abzulehnen.
Ein nicht konformes Verhalten des Arbeitslosen dürfe nicht mit der Ablehnung der dreiwöchigen Urlaubsabwesenheit sanktioniert werden, hieß es. Die Zustimmung zur Ortsabwesenheit von bis zu drei Wochen dürfe nur verweigert werden, wenn dadurch die berufliche Eingliederung deutlich beeinträchtigt wird, so das Sozialgericht.
Az.: L 12 AS 1677/19 (LSG Stuttgart)
Az.: L 6 AS 89/12 (LSG Schleswig)
Az.: S 19 AS 3947/16 (Sozialgericht Dortmund)
Essen (epd). Bezieher von Grundsicherungsleistungen wie Hartz IV können keinen Mehrbedarf für FFP2-Masken geltend machen. Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen bestätigte vier Beschlüsse der Sozialgerichte Düsseldorf, Duisburg und Münster. Wie das Landessozialgericht am 23. April in Essen mitteilte, hatten die Sozialgerichte - noch vor der Verabschiedung der bundesweit geltenden Corona-"Notbremse" - Ansprüche von Hartz-IV- oder Grundsicherungsbeziehern auf Bargeldleistungen oder auf eine Bereitstellung von Masken mit FFP2-Standard durch das Jobcenter oder das kommunale Sozialamt abgewiesen.
Bei ihren Entscheidungen hatten die Richter die neuen bundesweiten Regelungen des Infektionsschutzgesetzes noch nicht berücksichtigt, wie ein Sprecher des Landessozialgerichts erläuterte. In den Beschlüssen wurde noch von einem ausreichenden Standard sogenannter medizinischer oder OP-Masken nach der landesrechtlichen Corona-Schutz-Verordnung ausgegangen. Der nunmehr in der Zwischenzeit etwa für den öffentlichen Nahverkehr geltende Mindeststandard von FFP2-Masken fand in den Beschlüssen keine Anwendung.
Allerdings verweist auch das Landessozialgericht in Essen auf die Möglichkeit, dass Bezieher staatlicher Transferleistungen ab Mai über den Regelbedarf hinaus einmalig 150 Euro zum Ausgleich von pandemiebedingten Mehrausgaben beanspruchen können.
Az.: L 9 SO 18/21 B ER, L 12 AS 377/21 B ER, L 7 AS 498/21 B ER, L 19 AS 391/21 B ER
Münster (epd). Heilpraktikerinnen und -praktiker sind einem Urteil des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Münster zufolge nicht dazu berechtigt, ihren Patienten Blut abzunehmen. Die Entnahme einer Blutspende darf nach dem Transfusionsgesetz nur durch einen Arzt oder unter Verantwortung eines Arztes erfolgen, wie das OVG am 23. April in mehreren Berufungsverfahren entschied. Damit wurden die Klagen von drei Homöopathen gegen ein entsprechendes Behördenverbot abgewiesen.
Die Heilpraktiker aus Borken, Nordwalde und Senden bieten eine sogenannte Eigenbluttherapie an, die etwa auch Orthopäden als naturheilkundliches Verfahren zur Schmerzlinderung anwenden. Dazu entnehmen sie Patientinnen oder Patienten eine geringe Menge Blut, um es anschließend nach Zusatz eines Sauerstoff-Ozon-Gemisches oder nach der Mischung mit homöopathischen Fertigarzneimitteln zurück zu injizieren. Die Bezirksregierung Münster hatte den Homöopathen die Blutentnahme wegen des Arztvorbehalts aber untersagt.
Die dagegen gerichteten Klagen waren bereits vom Verwaltungsgericht Münster abgewiesen worden. Auch die Berufungen hatten nun keinen Erfolg. Der gesetzliche Begriff der Blutspende erfasse neben der Entnahme von Fremdblut auch die von Eigenblut, unterstrichen die Richter des Oberverwaltungsgericht. Dabei spiele keine Rolle, ob nur eine geringe Menge entnommen. Heilpraktiker könnten sich auch nicht auf die Ausnahmeregelung für homöopathische Eigenblutprodukte berufen.
Der Senat hat die Revision nicht zugelassen. Dagegen können die Kläger eine Nichtzulassungsbeschwerde einlegen, über die das Bundesverwaltungsgericht entscheidet. Am Oberverwaltungsgericht sind demnach drei gleich gelagerte Verfahren anhängig, bei denen die Kläger in Berufung gegen Entscheidungen der Verwaltungsgerichte Minden und Düsseldorf gehen.
Az.: 9 A 4073/18; 9 A 4108/18 und 9 A 4109/18
Köln (epd). Familienkassen dürfen Eltern bei der Rückforderung zu viel bezahlten Kindergeldes nicht mit zu hohen Säumniszuschlägen bestrafen. Das hat das Finanzgericht Köln in einem am 26. April veröffentlichten Urteil entschieden und die bisherige Berechnungspraxis für rechtswidrig erklärt. Weil die Familienkasse die zugelassene Revision zum Bundesfinanzhof nicht eingelegt hat, ist die Entscheidung mittlerweile rechtskräftig.
Im Streitfall hatten die Eltern eines 1984 geborenen körperbehinderten Sohnes noch Kindergeld erhalten. Die Familienkasse ging davon aus, dass sich das behinderte Kind nicht selbst unterhalten kann. Nach den gesetzlichen Bestimmungen sind dann auch Kindergeldzahlungen nach dem 25. Lebensjahr des Kindes noch möglich.
Als sich dann herausstellte, dass das Kind nicht wegen seiner Behinderung außerstande war, sich selbst zu unterhalten, stoppte die Kasse die Kindergeldzahlung in Höhe von 184 Euro und forderte insgesamt 3.312 Euro wieder zurück.
Weil die Eltern die Summe nicht sofort zahlen konnten, berechnete die Behörde Säumniszuschläge. Laut Gesetz beträgt der Zuschlag ein Prozent für jede volle 50 Euro überzahlten Kindergeldes, also 50 Cent monatlich je 50 Euro.
Der für Kindergeld-Rückforderungen bundesweit zuständige Inkasso-Service in Recklinghausen rundete die 3.312 Euro für 18 Monate erhaltenes Kindergeld auf 3.300 Euro ab und berechnete einen Säumniszuschlag von 33 Euro pro Monat.
Doch die Berechnung ist falsch und führt zu hohen Säumniszuschlägen, so das Finanzgericht. Die Rückforderung für jeden überzahlten Monat sei einzeln zu betrachten und müsse daher für die Berechnung des Säumniszuschlags auch jeweils einzeln von 184 auf 150 Euro abgerundet werden. So ergebe sich ein Säumniszuschlag von insgesamt nur 27 Euro pro Monat.
Zudem hätten die Eltern bereits für drei Monate Rückforderungen beglichen, so dass die Zuschläge für diese Monate ganz wegfielen, heißt es in der rechtskräftigen Entscheidung.
Az.: 3 K 3048/17
Kitzingen (epd). Freispruch für Bruder Abraham Sauer von der Benediktinerabtei Münsterschwarzach im Verfahren um ein Kirchenasyl: Der Angeklagte habe zwar rechtswidrig "Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt ohne erforderlichen Aufenthaltstitel" geleistet, sagte eine Sprecherin des Kitzinger Amtsgerichts am 26. April nach der Urteilsverkündung dem Evangelischen Pressedienst (epd). Dieser habe sein Handeln jedoch auf Glaubens- und Gewissensgründe gestützt, "die das Gericht im vorliegenden Einzelfall als aus dem Grundgesetz hergeleiteten Entschuldigungsgrund" wertet.
Der 49 Jahre alte Mönch, der in der Abtei im unterfränkischen Münsterschwarzach im Kreis Kitzingen die Flüchtlingsarbeit koordiniert, hatte im August 2020 einen im Gazastreifen geborenen Mann aufgenommen. Der Geflüchtete war über Rumänien in die Europäische Union eingereist und sollte als sogenannter Dublin-Fall wieder dorthin abgeschoben werden. Die Staatsanwaltschaft warf dem Mönch deshalb "Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt" vor und forderte eine Geldstrafe von 60 Tagessätzen von je 40 Euro - also insgesamt 2.400 Euro.
Zum Gerichtsverfahren kam es überhaupt erst, weil die zuständige Amtsrichterin den Strafbefehl gegen den Mönch ablehnte und eine Hauptverhandlung ansetzte. Die Juristin sagte nach der Urteilsverkündung am 26. April, sie gehe davon aus, dass das "nicht die letzte Entscheidung in dieser Sache gewesen ist". Sie rechne damit, dass die Staatsanwaltschaft Rechtsmittel gegen die Entscheidung einlegt. Das sei durchaus auch in ihrem Sinne: "Wir brauchen eine Grundsatz-Entscheidung bei diesem Thema - da hilft alles nichts", erläuterte die Kitzinger Amtsrichterin.
Dazu kommt es nun auch. Die Staatsanwaltschaft legt gegen das Urteil Rechtsmittel ein, wie Oberstaatsanwalt Thorsten Seebach dem epd sagte. Man warte nun die schriftliche Begründung des Urteils ab, diese müsste in ungefähr einem Monat vorliegen. Ob die Staatsanwaltschaft Würzburg eine Berufungsverhandlung vor dem Landgericht Würzburg anstrebe oder eine Revision, in der das Urteil des Kitzinger Amtsgerichts lediglich auf Rechtsfehler geprüft wird, entscheide sich erst dann.
Ähnlich gelagert ist der Fall gegen die Benediktiner-Nonne Mutter Mechthild Thürmer, die Äbtissin des Klosters Kirchletten bei Bamberg. Sie sollte sich bereits vergangenen Sommer wegen eines gewährten Kirchenasyls vor Gericht verantworten, nachdem sie einen Strafbefehl nicht akzeptiert hatte. Wegen weiterer Ermittlungen wurde der Prozessbeginn aber verschoben.
Az.: 1 Cs 882 Js 16548/20
Berlin (epd). Die Mitgliederversammlung des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes hat auf ihrer virtuellen Tagung am 23. April tagte, Rolf Rosenbrock einstimmig für weitere vier Jahre im Amt des Verbandsvorsitzenden bestätigt. In seiner Rede betonte der Gesundheitswissenschaftler die Rolle des Verbandes zur Aufrechterhaltung und der Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts in der Corona-Krise: "Erneut zeigt sich, welch zentrale Rolle die Freie Wohlfahrtspflege, ihre sozialen Dienste vor Ort und das Ehrenamt bei der Bewältigung von gesellschaftlichen Notlagen haben", sagte er.
Dazu gehöre auch, sich mit aller Kraft gegen die bedrohlichen Entwicklungen durch den menschengemachten Klimawandel und das Erstarken von Ideologien der Ungleichwertigkeit zu stemmen. Der Paritätische wende sich "mit aller Entschlossenheit gegen diejenigen, die die Angst der Menschen vor Abstieg und Armut ausnutzen, um sie gegeneinander auszuspielen, um Hass und Zwietracht zu säen", erklärte Rosenbrock.
Der 75-Jährige, der den Vorsitz des Paritätischen ehrenamtlich seit 2012 ausübt, ist seit mehr als 40 Jahren in der sozial- und wirtschaftswissenschaftlichen Gesundheitsforschung tätig. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehört die sozial bedingte Ungleichheit von Gesundheitschancen. Von 1988 bis 2012 leitete er die Forschungsgruppe "Public Health" im Wissenschaftszentrum für Sozialforschung (WZB) Berlin.
Dem Paritätischen und seinen Mitgliedsorganisationen ist Rosenbrock seit Jahrzehnten eng verbunden, u.a. durch sein Engagement für die Deutsche AIDS-Hilfe sowie als Vorsitzender der Landesarbeitsgemeinschaft Gesundheit Berlin-Brandenburg, die jährlich den Kongress "Armut und Gesundheit" organisiert. In vielfältigen Funktionen war er als politischer Berater aktiv, u.a. als Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen sowie als Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirates der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung und Mitglied in der Zentralen Ethikkommission bei der Bundesärztekammer.
Ebenfalls neu gewählt wurde heute der Verbandsrat. Dem neuen Vorstand des Paritätischen gehören neben Rosenbrock die beiden stellvertretenden Vorsitzenden Elke Schmidt-Sawatzki (Der Paritätische Nordrhein-Westfalen) und Achim Meyer auf der Heyde (Deutsches Studentenwerk), Suzanna Karawanskij (Volkssolidarität), Ulla Klapproth (Der Paritätische Niedersachsen), Norbert Blesch (Der Paritätische Bayern) sowie Ulrich Schneider (beratend) an.
Nicole Schley (50) und Stefan Wolfshörndl (48) sind die neuen AWO-Landesvorsitzenden in Bayern. Sie bilden die erste Doppelspitze in der Geschichte der Hilfsorganisation. Das Duo tritt die Nachfolge von Thomas Beyer an, der den Verband seit 2004 führte. Er hatte nicht mehr kandidiert. Schley hat als Politik- und Mediaberaterin gearbeitet, ist seit 2014 Bürgermeisterin von Ottenhofen, SPD-Kreisrätin und war vier Jahre Präsidentin der AWO Oberbayern. Wolfshörndl ist Bürgermeister in der Gemeinde Gerbrunn und Vorsitzender der AWO Unterfranken. Zu Stellvertretern wurden Bernhard Feuerecker, Vorsitzender des AWO-Bezirksverbands Niederbayern/Oberpfalz, Brigitte Protschka, Vorsitzende des AWO-Bezirksverbands Schwaben, und Rudolf Schober, Vorsitzender des AWO-Bezirksverbands Ober- und Mittelfranken, gewählt. Die AWO in Bayern zählt nach eigenen Angaben rund 60.000 Mitglieder und beschäftigt über 33.000 hauptamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Angela Merkel, Bundeskanzlerin (CDU), hat den Europäischen Bürgerrechtspreis der Sinti und Roma erhalten. Sie werde für ihr entschiedenes Eintreten gegen den Antiziganismus geehrt, sagte Romani Rose, Vorsitzender des Zentralrates Deutscher Sinti und Roma, am 28. April in Mannheim: "Wir müssen Antiziganismus genauso ächten wie Antisemitismus." Zur Preisverleihung, die live im Internet übertragen wurde, war die Bundeskanzlerin von Berlin aus zugeschaltet. Sie bezeichnete die Auszeichnung als "große Ehre" und sei für sie Aufforderung und Ansporn zugleich, sich weiter für die Belange von Sinti und Roma einzusetzen.
Udo Hahn, Direktor der Evangelischen Akademie Tutzing, ist neuer Vorstandsvorsitzender des Vereins Evangelische Akademien. In ihren Ämtern bestätigt wurden der stellvertretende Vorsitzende Sebastian Kranich, Evangelische Akademie Thüringen, sowie Uta Engelmann, Evangelische Akademie Baden, und Klaus Breyer, Evangelische Akademie Villigst. Im Verein sind 17 Bildungseinrichtungen zusammengeschlossen.
Carl Wolfgang Müller, einstiger Professor für Erziehungswissenschaften und Sozialpädagogik in Berlin, ist tot. Die Arbeiterwohlfahrt würdigte ihn "als einen der profiliertesten Vertreter der Sozialen Arbeit und Sozialpädagogik in Deutschland". Er habe sich in vielfacher Hinsicht um den Verband und seine Werte verdient gemacht hat. Dafür wurde der gelernter Dolmetscher, Journalist, Jugendpfleger und Gemeinwesenarbeiter 2014 mit der höchsten Auszeichnung der AWO, der Marie-Juchacz-Plakette, geehrt. Nach seiner Emeritierung 1997 war Müller in der Forschung tätig und beriet soziale Einrichtungen.
Wir haben Tagungen, Seminare, Workshops und Webinare aufgelistet, die aktuell geplant sind. Wegen der Corona-Epidemie sagen Veranstalter allerdings Termine auch kurzfristig ab. Wir bitten unsere Leserinnen und Leser, dies zu beachten.
4.5.:
Online-Seminar "Vergütung von Vorständen und Geschäftsführern"
der Paritätischen Akademie Süd
Tel.: 0160/5768667
4.5.:
Online-Seminar "Bedeutung der Leistung der Grundsicherung im Bereich der Eingliederungshilfe"
der Paritätischen Akademie Berlin
Tel.: 030/275828224
4.5.:
Online-Kurs: "Erfolgreiche Zusammenarbeit in Microsoft Teams"
der Paritätischen Akademie Süd
Tel.: 0160/5768667
10.-11.5.
Online-Fortbildung "Steuerrecht gemeinnütziger Körperschaften – Grundlagenseminar für Einsteiger"
Tel.: 030/26309-139
10.-12.5.:
Online-Seminar "Case Management im Migrationsdienst der Caritas: Grundlagen"
der Fortbildungsakademie des Deutschen Caritasverbandes
Tel.: 0761/2001700
18.5.:
Online-Seminar "Arbeit mit schwer erreichbaren Kindern und Jugendlichen in Zeiten digitaler Kommunikation"
der Paritätischen Akademie Berlin
Tel.: 030/275828227
27.5.:
Online-Kurs: "Die Schnittstelle Eingliederungshilfe - Pflege gestalten"
der Bundesakademie für Kirche und Diakonie
Tel.: 0172/3012819
7.6.:
Online-Seminar: "Betriebsverfassungsrecht und Beteiligungsrechte des Betriebsrates"
der Paritätischen Akademie Berlin
Tel.: 030/275828217
7.-8.6:
Online-Fortbildung: "So kann man doch nicht leben!?“ Vermüllt und verwahrlost - Was tun?"
der Bundesakademie für Kirche und Diakonie
Tel.: 0172/3012819
8.6.:
Webinar "Erfolgreiche Förderanträge schreiben"
der BFS Service GmbH
Tel.: 0221/97356159
21.6.:
Online-Fortbildung "Wirksame Führung im 21. Jahrhundert"
der Bundesakademie für Kirche und Diakonie
Tel.: 0173/2637308