Stuttgart (epd). Hartz-IV-Bezieher dürfen für die Geburt ihres Kindes "ortsabwesend" sein und müssen dann an ihrem Wohnort nicht unmittelbar der Vermittlung in den Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Bis zu einem Zeitraum von drei Wochen ist die Abwesenheit zulässig, wenn ein Leistungsbezieher bei der Geburt dabei sein und die an einem anderen Ort lebende Mutter anschließend unterstützen will, entschied das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg in einem am 21. April veröffentlichten Urteil. Die Stuttgarter Richter kassierten damit eine vom Jobcenter vorgenommene Minderung des Arbeitslosengeldes II wegen "Ortsabwesenheit" als rechtswidrig ein.
Im Streitfall ging es um einen Hartz-IV-Bezieher aus dem Raum Reutlingen. Am 18. Mai 2018 sprach der Mann bei seinem Jobcenter vor, um zu seiner in Schleswig-Holstein wohnenden hochschwangeren Freundin fahren zu dürfen. Der Mann wollte seiner Partnerin bei der Geburt des gemeinsamen Kindes beistehen und sie anschließend unterstützen.
Die vorher eingeholte Genehmigung für einen Aufenthalt außerhalb des Wohnortes, ist nach den geltenden Bestimmungen grundsätzlich erforderlich, weil der Arbeitslose in dieser Zeit nicht mehr der Vermittlung in den Job zur Verfügung steht.
Das Jobcenter wies den Mann jedoch ab. Er habe acht Tage vor der geplanten Fahrt in der Behörde vorgesprochen. Um eine Genehmigung erhalten zu können, müsse er innerhalb einer Woche diese beantragen. Der Hartz-IV-Bezieher sollte daher später noch einmal kommen.
Doch der wollte darauf nicht mehr warten. Er fuhr ohne weitere Mitteilung für drei Wochen zu seiner Freundin, war bei der Geburt des gemeinsamen Kindes dabei und unterstützte die Mutter bei der Betreuung des Kindes. Die Vaterschaft erkannte er an.
Als das Jobcenter von der ungenehmigten Ortsabwesenheit erfuhr, hob es die Bewilligung des Arbeitslosengeldes II für diesen Zeitraum auf und forderte 958 Euro zurück.
Die dagegen eingelegte Klage hatte vor dem LSG Erfolg. Der Hartz-IV-Bezieher habe für den Zeitraum der Ortsabwesenheit Anspruch auf Arbeitslosengeld II. Zwar habe er sich außerhalb des "zeit- und ortsnahen Bereichs aufgehalten", so dass er einer Vermittlung in den Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stand. Das Amt hätte die Ortsabwesenheit wegen eines wichtigen Grundes aber genehmigen müssen. Rechtlich zulässig sei eine Abwesenheit von bis zu drei Wochen, so das Gericht.
Die Behörde habe den im Grundgesetz verankerten besonderen Schutz der Familie und das Recht des Kindsvaters, "die unmittelbare Zeit der Geburt des Kindes zu begleiten sowie im weiteren Verlauf die Kindsmutter zu unterstützen und das Neugeborene zu betreuen", nicht beachtet, hieß es zur Begründung.
Der Kläger habe alles getan, um eine Genehmigung des Jobcenters erhalten zu können. Dessen Forderung, unmittelbar vor der geplanten Abreise erneut vorsprechen zu müssen, sei nicht gerechtfertigt gewesen. Zudem habe das Amt für den betreffenden Dreiwochenzeitraum gar keine Eingliederungsmaßnahmen beabsichtigt gehabt.
Der Kläger könne allerdings keine "Ortsabwesenheit" über den Dreiwochenzeitraum verlangen. Das sei nur in Härtefällen möglich, etwa wegen Krankheit. Dem Kläger stehe es frei, zur Überwindung der räumlichen Distanz nach Schleswig-Holstein zu ziehen und dort Arbeitslosenunterstützung zu erhalten, entschied das LSG.
Dass Hartz-IV-Bezieher für eine Ortsabwesenheit um Erlaubnis fragen müssen, hatte bereits das LSG Schleswig am 20. Juni 2013 entschieden. Sehe eine Eingliederungsvereinbarung bei einer gewünschten Ortsabwesenheit von mehr als 24 Stunden eine vorherige Genehmigung vor, sei das nicht zu beanstanden. Die Verpflichtung, für die Vermittlung in den Arbeitsmarkt am Wohnort bleiben zu müssen, stelle keinen unzulässigen "Ortsarrest" dar.
Das Sozialgericht Dortmund urteilte am 16. Dezember 2016, dass das Jobcenter Arbeitslosen nicht die dreiwöchige Orts- und Urlaubsabwesenheit verweigern dürfen, nur weil diese die Behörden mit Klagen und Widersprüchen überziehen. Auch dass noch Bewerbungen offen sind und der Arbeitslose damit eine kleine Chance auf einen Arbeitsplatz hat, sei noch kein Grund, die Zustimmung zur Ortsabwesenheit abzulehnen.
Ein nicht konformes Verhalten des Arbeitslosen dürfe nicht mit der Ablehnung der dreiwöchigen Urlaubsabwesenheit sanktioniert werden, hieß es. Die Zustimmung zur Ortsabwesenheit von bis zu drei Wochen dürfe nur verweigert werden, wenn dadurch die berufliche Eingliederung deutlich beeinträchtigt wird, so das Sozialgericht.
Az.: L 12 AS 1677/19 (LSG Stuttgart)
Az.: L 6 AS 89/12 (LSG Schleswig)
Az.: S 19 AS 3947/16 (Sozialgericht Dortmund)