sozial-Editorial

Liebe Leserin, lieber Leser,




Markus Jantzer
epd-bild/Heike Lyding

die Kontroverse um Suizidassistenz in diakonischen Einrichtungen wird intensiver. Die inhaltlichen Streitpunkte treten deutlicher hervor: Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, sagt im epd-Interview, die Kirche dürfe nicht Teil eines Prozesses werden, "an dessen Ende der Suizid eines Menschen stehen soll". Die Theologieprofessorin Isolde Karle, die die aktuelle Diskussion als Co-Autorin eines Gastbeitrags in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" angestoßen hat, warnt davor, "Sterbewillige, die sich einen Suizid wünschen, aus einer diakonischen Einrichtung zu entlassen und damit in einer für sie äußerst schwierigen Lage alleine zu lassen".

Der Aufruf der Sozialverbände am 25. Januar wirkt: Am 28. Januar erklärten der Bundessozial- und der Bundesgesundheitsminister, einkommensarme Personen würden medizinische Schutzmasken kostenlos zur Verfügung gestellt. Der Forderung der Verbände und Gewerkschaften nach einem Corona-Zuschlag auf die Grundsicherung scheint die große Koalition - bis jetzt jedenfalls - nicht nachkommen zu wollen.

Arbeitnehmerinnen können sich nach einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts leichter gegen unfair niedrige Löhne wehren. Demnach reicht es als Indiz für eine Lohndiskriminierung wegen des Geschlechts aus, wenn Frauen deutlich weniger verdienen als das mittlere Gehalt in der männlichen Vergleichsgruppe.

Christian Gruß kann sich Hoffnungen machen: Der Historiker mit einer manifesten psychischen Erkrankung will als Stadtführer in Leipzig arbeiten. Wie in epd sozial am 22. Januar berichtet, fehlen ihm aber 1.700 Euro, um die dazu erforderliche Weiterbildung zu absolvieren. (http://sozial-digital.epd.de/sw/2021/01/22/3-7.htm) Nach Erscheinen des epd-Beitrags hat sich ein Leser bei der Redaktion gemeldet und versprochen, den Kurs zu bezahlen.

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Hier geht es zur Gesamtausgabe von epd sozial 4/2021.

Markus Jantzer




sozial-Thema

Sterbehilfe

Interview

Bedford-Strohm: "Ich fühle mich dem Lebensschutz verpflichtet"




Heinrich Bedford-Strohm
epd-bild/Theo Klein
In der Debatte um Sterbehilfe hat der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, seine Haltung gegen eine Beteiligung evangelischer Einrichtungen bei der Suizidassistenz bekräftigt. "Die aktive Beendigung menschlichen Lebens kann für uns nie als normale Option gelten", sagte Bedford-Strohm im Interview.

Diakonie-Präsident Ulrich Lilie und andere haben eine Debatte darüber angestoßen, ob Suizidassistenz auch in evangelischen Einrichtungen denkbar wäre. In einem Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) erklärt der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, warum er das ablehnt. Mit ihm sprachen Corinna Buschow und Franziska Hein.

epd sozial: Diakonie-Präsident Ulrich Lilie hat sich gemeinsam mit anderen für die Möglichkeit von Suizidassistenz in evangelischen Einrichtungen ausgesprochen. Sie waren bislang dagegen. Überdenken Sie Ihre Haltung?

Heinrich Bedford-Strohm: Meine Haltung ist seit langer Zeit gewachsen. Deswegen ist das kein Anlass, sie zu ändern. Beim Thema ärztlich assistierter Suizid wollen und dürfen wir niemals moralisch über die einzelnen Situationen hinwegsegeln. Gleichzeitig müssen wir aber inhaltlich eine klare Orientierung geben: Die aktive Beendigung menschlichen Lebens kann für uns nie als normale Option gelten. Es gibt immer wieder Grenzsituationen, in denen sich Menschen zum Suizid entschließen. Aber Suizid ist immer etwas Tragisches, immer eine Niederlage. Ich fühle mich dem Lebensschutz verpflichtet.

epd: Sie haben kürzlich auf das Gebot "Du sollst nicht töten" verwiesen. Ist Suizidassistenz für Sie töten?

Bedford-Strohm: Man kann aus einem Gebot nicht einfach eine Handlungsanweisung für jede komplexe Situation ableiten. Aber natürlich spielt das Fünfte Gebot eine Rolle dafür, wie wir unser Leben gestalten. Das Gebot bezieht sich auch auf die Selbsttötung, über die wir als Menschen und Kirche aber nicht richten sollten. Wir müssen uns davor hüten, Menschen moralisch zu verurteilen, die sich das Leben nehmen. Das hat man leider in der Vergangenheit getan. Sogenannte "Selbstmörder" wurden lange nicht kirchlich beerdigt. Das empfinde ich als Schuld der Kirche. Aus meiner Sicht widerspricht es dem Liebesgebot, das uns aufruft, Menschen auch in ausweglosen Situationen zu begleiten. Daraus kann man aber nicht ableiten, dass man organisatorisch tätig wird, damit Menschen ihr Leben beenden können. Es gibt andere Möglichkeiten.

epd: Welche?

Bedford-Strohm: Eine gute palliative Begleitung, Schmerzmedizin und eine gute seelsorgerliche Unterstützung. Es gibt im Extremfall palliative Sedierung. Viele wissen nicht, was schon jetzt möglich ist. Natürlich ist der Wunsch, selbstbestimmt zu sterben, zu respektieren. Schon jetzt kann mir mit guten Gründen niemand eine lebensverlängernde Maßnahme verordnen, die ich nicht will.

epd: Wenn ein Betroffener aber trotzdem Suizidassistenz in Anspruch nehmen will, wie soll sich die evangelische Einrichtung konkret verhalten?

Bedford-Strohm: Für mich ist klar, dass wir uns nicht organisatorisch beteiligen können, weil wir mit dem assistierten Suizid nicht einverstanden sind. Alle anderen Formen der Begleitung müssen offenbleiben, und es bleibt jetzt zu klären, welche das sind. Wir müssen dazu auch die betroffenen Einrichtungen fragen. Da stehen wir erst am Anfang eines Prozesses, für den jetzt erst einmal der Gesetzgeber die Rahmenbedingungen schafft. Nochmal: Wir lassen niemanden allein. Auch ich habe schon mit Menschen gebetet, dass Gott sie sterben lassen möge. Das ist aber etwas anderes, als mich zum Teil eines organisierten Prozesses zur aktiven Beendigung menschlichen Lebens zu machen.

epd: Was bedeutet für Sie "organisiert"?

Bedford-Strohm: "Organisiert" würde bedeuten, dass die Kirche Teil eines Prozesses wird, an dessen Ende der Suizid eines Menschen stehen soll. Zum Beispiel darf die Beratung betroffener Menschen nicht nur die zu absolvierende Vorstufe dafür sein, dass ein Mensch alle Mittel für den Suizid zur Verfügung gestellt bekommt.

epd: Durch die Diskussion sind Meinungsunterschiede zu dem Thema in der evangelischen Kirche sichtbar geworden. Wie geht es nun weiter?

Bedford-Strohm: Es geht jetzt darum, in diesem Spannungsfeld einen konkreten Weg zu finden. dazu gehört auch die Frage, ob und inwieweit das überhaupt "von oben" festgelegt werden kann. Gewissensentscheidungen in Grenzfällen entziehen sich ohnehin solchen Festlegungen. Ich gehe davon aus, dass es innerhalb der evangelischen Kirche zwar keinen vollständigen Konsens geben wird, wohl aber eine gemeinsame Grundhaltung für den Lebensschutz. Die hat auch der Rat der EKD als gewähltes Repräsentativorgan der EKD in seiner Position deutlich zum Ausdruck gebracht.

epd: Und Sie meinen, die Position wird sich durch die Diskussion nicht verändern?

Bedford-Strohm: Jede Diskussion muss ergebnisoffen sein, sonst braucht man nicht zu diskutieren. Aber ich sage zugleich, die jetzige Position ist das Ergebnis langjähriger Diskussionsprozesse. Ich erwarte nicht, dass sie sich grundlegend ändern wird. Eher müssen wir genauer klären, wie wir diese Gratwanderung schaffen zwischen der Ablehnung der aktiven Beendigung menschlichen Lebens und der Sensibilität für Dilemmasituationen, die Gewissensentscheidungen erfordern. Mir geht es um eine substanzielle Debatte in gegenseitiger Achtung und Respekt. Wir brauchen keine Empörungsdebatte. Dass eine respektvolle Diskussion auch bei sehr unterschiedlichen Positionen möglich ist, hat nicht zuletzt der Bundestag mit seiner Behandlung des Themas eindrucksvoll gezeigt.

epd: Manche sagen, man muss die Sterbehilfe liberalisieren, damit Menschen nicht auf geschäftsmäßige Sterbehilfeorganisationen angewiesen sind. Was sagen Sie dazu?

Bedford-Strohm: Es ist kein Weg, etwas, das man ablehnt, lieber besser machen zu wollen. Das ist für mich auch ethisch nicht stimmig. Die Unverfügbarkeit menschlichen Lebens liegt für mich in der Gottebenbildlichkeit des Menschen begründet. Deswegen gibt es mit guten Gründen diese innere Hemmung gegen die aktive Beendigung menschlichen Lebens. Und deswegen ist es falsch zu sagen, dass die evangelische Kirche sich mitschuldig daran macht, dass Menschen zu zweifelhaften Sterbehilfeorganisationen gehen, weil wir es nicht selbst machen.

epd: Der Gesetzgeber könnte eine Neuregelung der Suizidassistenz oder ein Schutzkonzept auf den Weg bringen. Haben Sie eine Vorstellung, wie das aussehen könnte?

Bedford-Strohm: Auch dem Bundesverfassungsgericht ist ja sehr bewusst, dass das Thema assistierter Suizid offen für Missbrauch ist. Deswegen hat es angeregt, ein Schutzkonzept durch den Gesetzgeber auf den Weg zu bringen. Wir als Kirchen wollen an dem Gesetzgebungsprozess mitwirken. Wir wollen aber nicht daran mitwirken, um den assistierten Suizid zu ermöglichen, sondern um im Sinne einer Optimierung der Schutzmaßnahmen wie etwa intensiver palliativer und seelsorgerlicher Betreuung einzuwirken. Es darf nie ein Fall eintreten, in dem ein Mensch sich den Tod wünscht, weil er nicht menschlich oder schmerzmedizinisch gut begleitet worden ist. Das ist aus meiner Sicht auch bei allen Akteuren, die jetzt diskutieren, konsensfähig. Und natürlich ist auch Beratung Teil eines solchen Konzepts.

epd: Will sich die EKD in einem möglichen Gesetzgebungsprozess für Ausnahmen für kirchliche Einrichtungen einsetzen?

Bedford-Strohm: Von einer solchen Debatte sind wir weit entfernt. Ich sehe auch nicht, dass am Ende des Gesetzgebungsverfahrens eine explizite Verpflichtung herauskommen wird, dass es in jeder Einrichtung die organisierte Möglichkeit zum assistierten Suizid geben muss. Keine Einrichtung kann gezwungen werden, sich daran zu beteiligen. Wir werden aber bis zuletzt keinen Menschen alleinlassen.

epd: Sie wünschen sich bei dem Thema auch Konsens mit der katholischen Kirche. Bei ethischen Fragen ist das gar nicht so selbstverständlich. Warum ist Ihnen in diesem Fall der ökumenische Schulterschluss so wichtig?

Bedford-Strohm: Wir kommen nicht aus kirchenpolitischen Gründen zu unseren Positionen, sondern sind inhaltlich von dem überzeugt, was wir vertreten. Der ökumenische Konsens über manche ethischen Fragen ist größer, als es manchmal dargestellt wird. Bei der Sterbehilfe haben wir sogar einen breiten Konsens: Für uns steht der Lebensschutz im Vordergrund, ohne die Grenzsituationen auszublenden.



Sterbehilfe

Gastbeitrag

Ende der Blockade




Isolde Karle
epd-bild/privat
In der Debatte über mögliche Suizidassistenz in kirchlichen Einrichtungen warnt die evangelische Theologieprofessorin Isolde Karle in einem Gastbeitrag für epd sozial vor einer Stigmatisierung der Menschen mit Sterbewunsch. Karle hat die aktuelle Diskussion mit einem gemeinsamen Beitrag unter anderem mit Diakonie-Präsident Ulrich Lilie in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" angestoßen.

Der am 11. Januar in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" veröffentlichte Diskursbeitrag zur Suizidassistenz hat vielfältige Reaktionen ausgelöst. Der "Sitz im Leben" unserer Überlegungen ist die Tatsache, dass es nach dem Bundesverfassungsgerichtsurteil von Februar 2020 notwendig ist, ein Schutzkonzept zu entwickeln. Damit soll der Missbrauch einer Suizidassistenz im Sinne eines "anything goes" verhindert und die unsichere Lage, die derzeit vorherrscht, beendet werden.

Es geht uns nicht darum, dass die Kirche zum Akteur der Suizidhilfe wird, sondern darum, dass diakonische Einrichtungen nicht darum herumkommen werden, sich zu überlegen, wie sie damit umgehen, dass auch von ihnen betreute Menschen eine Suizidassistenz in Anspruch nehmen wollen und werden. Denkt man darüber nicht nach, bedeutet das erstens, die neue Rechtsentwicklung außer acht zu lassen und zweitens Sterbewillige, die sich einen Suizid wünschen, aus einer diakonischen Einrichtung zu entlassen und damit in einer für sie äußerst schwierigen Lage alleine zu lassen. Beides scheint uns nicht angemessen zu sein.

Kein Druck auf Sterbende

Wir haben deshalb einen Vorschlag gemacht, der helfen soll, die Voraussetzungen zu klären, unter denen eine Suizidassistenz in diakonischen Einrichtungen denkbar sein könnte. Sie sollen sicherstellen, dass kein Druck auf Sterbende ausgeübt wird und Nützlichkeitserwägungen keine Rolle spielen. Zu dem Schutzkonzept gehört eine intensive medizinische Beratung über Alternativen und damit über eine bestmögliche palliative Versorgung.

Darüber hinaus denken wir an eine seelsorgliche Begleitung, die Sterbewilligen mit einer empathisch-akzeptierenden Grundhaltung begegnet, die ein offenes Ohr für ihre Ängste hat und nach Möglichkeit auch Kontakt zu den engsten Angehörigen herstellt und versucht, das familiäre Gespräch wieder in Gang zu bringen, wo es unter der Belastung einer solchen Entscheidung mühsam geworden ist. Eine ethisch sensible Seelsorge, die die Nöte des Sterbewilligen ernst nimmt und sich nicht besserwisserisch über sie stellt, setzt dabei auch Impulse, die zu einem Überdenken der Entscheidung führen können – aber nicht müssen.

Theologisch ist für uns elementar, dass ein Suizid nicht als Sünde verurteilt werden kann und darf – wie dies in der Tradition mit vielen verheerenden Folgewirkungen der Fall war und wie dies in der katholischen Kirche bis heute der Fall ist. Menschen mit Sterbewunsch dürfen nicht stigmatisiert werden. Sie sind in der Regel vom Leiden extrem erschöpft – ihnen gilt unser Respekt, unsere Empathie und unsere solidarische Begleitung.

Gottebenbildlichkeit des Menschen

Die Krankenhausseelsorge in der EKD hat deshalb auch unseren Vorstoß begrüßt und betont, dass Seelsorgende in der Sterbebegleitung trotz aller Bemühungen immer wieder auf Menschen treffen, die den letzten Weg nicht mehr gehen wollen oder können und aufgrund eines für sie nicht mehr erträglichen Leiden zu sterben wünschen. Es gibt Grenzfälle, in denen im Bewusstsein um den Vorrang des Lebens ein Ja zu einer willentlichen Beendigung des Lebens gesprochen werden kann. Selbstbestimmung ist Ausdruck der Menschenwürde, die in der Gottebenbildlichkeit des Menschen wurzelt. Diese Würde verbietet es, dass über einen Menschen gegen dessen Willen in schwerwiegender Weise verfügt wird.

Wir begrüßen deshalb das Ende der innerkirchlichen Denk- und Diskussionsblockade im Hinblick auf die Frage einer Suizidassistenz. Dass die Möglichkeit einer Suizidhilfe innerhalb von diakonischen Einrichtungen zu neuen Problemen und Dilemmata führt, ist uns bewusst. Gerade deshalb hoffen wir auf eine sachlich-weiterführende Diskussion – in der Bundesärztekammer, im Rat der EKD, in den diakonischen Einrichtungen. Wir brauchen eine Diskussion, die sich nicht in Polemik erschöpft, sondern die gestellten Herausforderungen wahr- und ernst nimmt.

Professor Dr. Isolde Karle lehrt an der Universität Bochum Praktische Theologie.


Sterbehilfe

Ethikexpertin der Diakonie warnt vor Tabuisierung




Dorothea Bergmann
epd-bild/Erol Gurian/Innere Mission München

In der aktuellen Debatte um assistierten Suizid in diakonischen Einrichtungen hat die Ethikexpertin der Diakonie München und Oberbayern, Dorothea Bergmann, für eine Diskussion auf breiter Basis geworben. Die in der Diakonie Beschäftigten müssten sich damit auseinandersetzen, wie sie mit Menschen umgehen, die von ihrem Recht auf Selbstbestimmung Gebrauch machen wollten.

Der Wunsch zu sterben entstehe immer aus Notsituationen. "Sollen wir sie vor die Tür setzen oder ihre Entscheidung ignorieren?", fragte die Theologin im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Bergmann sagte, sie halte es "für unchristlich und nicht seelsorgerlich, die Menschen damit allein zu lassen und ihnen einen Segen zu verwehren".

Sterbewunsch im Pflegealltag nicht unbekannt

Das Bundesverfassungsgericht hatte im Februar 2020 das in Paragraf 217 Strafgesetzbuch geregelte Verbot der geschäftsmäßigen Suizidbeihilfe gekippt. Im Januar 2021 hatten drei Theologen, darunter Diakoniepräsident Ulrich Lilie, in einem Zeitungsbeitrag für eine "ergebnisoffene, aber wertgebundene" Beratung, Unterstützung und Begleitung für Menschen plädiert, die in einer diakonischen Einrichtung um Beihilfe zur Selbsttötung bitten. Namhafte Theologen sprechen sich gegen assistierten Suizid in Heimen und Krankenhäusern der Diakonie aus.

Dorothea Bergmann leitet seit über 15 Jahren die Fachstelle "Spiritualität - Palliative Care - Ethik - Seelsorge" bei der Diakonie-Tochter "Hilfe im Alter", die Trägerin von zehn Alten- und Pflegeheimen in und um München ist. Die Fachstelle berät die Pflegeteams in palliativen und ethisch schwierigen Situationen. Der Sterbewunsch am Lebensende sei im Pflegealltag nicht unbekannt, sagt die Pfarrerin: "Es gibt Senioren, die sich die Treppe runterstürzen oder Tabletten sammeln und schlucken." Missglücke ein solcher Selbstmordversuch, seien die Folgen häufig tragisch. "Kirche redet sich leicht, wenn sie sagt: Suizid darf nicht sein!", kritisierte Bergmann. Denn andererseits sei das Feld der Altenheimseelsorge "komplett unterbesetzt".

"Kirche kann sich nicht wegducken"

Wenn Kirche sich einer offenen Diskussion um den Umgang mit assistiertem Suizid in ihren Einrichtungen verschließe, würde das Thema indirekt tabuisiert. "Wer diese Option nicht grundsätzlich für sich ausschließt, geht dann nicht mehr in ein diakonisches Heim", befürchtet die Seelsorgerin. In der Folge erfahre man nicht mehr von Suizidplänen und könne die Menschen weder beraten noch begleiten.

Die Theologin stellt klar, dass eine Beratung zwar ergebnisoffen, aber nie neutral sein könne: "Sie müsste den Menschen bei aller Offenheit immer auch vermitteln: Lieber wäre mir, du bliebest am Leben." Die klare christliche Haltung laute: "Das Leben ist wertvoll, auch wenn jemand alt, siech und leidend ist." Eine Beratung mit hoher seelsorgerlicher Qualität könne diesen Wert des Lebens manchen Menschen deutlich machen und andere Optionen als den Suizid aufzeigen. "Gerade deshalb", findet Bergmann, "kann sich Kirche da nicht wegducken."

Susanne Schröder


Sterbehilfe

Ethiker: Suizid darf nicht zu einer Normalform des Sterbens werden




Wolfgang Huber
epd-bild/Jürgen Blume
In der evangelischen Kirche wird über eine mögliche Suizidassistenz in diakonischen Einrichtungen diskutiert. Zwei hochrangige Theologen haben nun die Ablehnung der Sterbehilfe betont. Die Hilfe zur Selbsttötung dürfe nicht normalisiert werden.

In der Debatte über Sterbehilfe haben sich der ehemalige Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Peter Dabrock, und der frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Wolfgang Huber, gegen den assistierten Suizid in kirchlichen Einrichtungen ausgesprochen. "Die Diakonie sollte nicht über Angebote 'professionellen Sterbens' sinnieren", schreiben Dabrock und Huber in einem Gastbeitrag in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (25. Januar). "Es geht darum, dass der Suizid nicht eine Normalform des Sterbens wird", heißt es darin an anderer Stelle.

Begleitung in der letzten Lebensphase

"Die Diakonie sollte ihr Profil statt durch ein geschäftsmäßiges Angebot im Bereich der Suizidassistenz durch Formen der Begleitung in der letzten Lebensphase stärken, die ihr Gewicht auf mögliche Alternativen legen", schreiben Dabrock und Huber. Zu den möglichen Alternativen gehöre insbesondere die palliative Versorgung, die nicht nur Mittel der Schmerzlinderung umfasse, sondern körperliche und psychologische, seelsorgliche und spirituelle Sterbebegleitung einschließe, schreiben die evangelischen Theologen weiter.

Huber und Dabrock verweisen darauf, dass Selbstbestimmung mit der sozialen Bezogenheit auf andere verbunden ist. Selbstbestimmung habe in der Fürsorge für das Leben anderer eine Grenze, schreiben sie. Weiter betonen die Theologen, die Entscheidung zum Suizid sei zu respektieren. Der Respekt vor der Menschenwürde und die Achtung für das Leben würden aber zugleich die Aufgabe einschließen, Menschen soweit möglich vor der Selbsttötung zu bewahren.

Die Experten für evangelische Ethik beziehen sich in ihrem Beitrag auf einen Vorstoß mehrerer evangelischer Autoren, darunter auch Diakonie-Präsident Ulrich Lilie und der hannoversche Landesbischof Ralf Meister, die sich ebenfalls in einem Gastbeitrag in der FAZ für die Möglichkeit der Suizidassistenz auch in diakonischen und kirchlichen Einrichtungen ausgesprochen haben.

"Ausdruck verantwortlichen Handelns"

Darin heißt es: "Anstatt durch eine Verweigerung Suizidwillige dazu zu zwingen, sich auf die Suche nach - möglicherweise durchaus eigennützig und nicht im Interesse des Lebensschutzes handelnden - Organisationen zu machen, dürfte es sehr viel eher Ausdruck verantwortlichen Handelns sein, entsprechende Möglichkeiten durch besonders qualifizierte interdisziplinäre Teams in den Einrichtungen zuzulassen und dabei das familiäre Umfeld einzubeziehen."

Ausgelöst wurde die Debatte durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Februar 2020, das das Verbot organisierter - sogenannter geschäftsmäßiger - Hilfe bei der Selbsttötung kippte, das 2015 vom Bundestag beschlossen worden war. Offiziell lehnen die evangelische und katholische Kirche die Suizidassistenz ab - unabhängig davon, in welcher Einrichtung sie stattfindet.

Dabrock und Huber fordern, dass sich die Diakonie im Verbund mit der Caritas und den Kirchen dafür einsetzt, "dass in einer künftigen Gesetzgebung zu diesem Thema, die durch das Karlsruher Urteil nötig geworden ist, Schutzklauseln gegen eine Pflicht freier Träger zur regelmäßigen Gewährleistung von Suizidassistenz vorgesehen werden". Kein freier Träger werde durch das Urteil dazu genötigt, mit organisierter Regelmäßigkeit im Feld der Suizidassistenz tätig zu werden.

Franziska Hein


Sterbehilfe

Schad lehnt Suizidassistenz in kirchlichen Einrichtungen ab




Christian Schad
epd-bild/Thomas Lohnes

Der pfälzische Kirchenpräsident Christian Schad hat sich gegen einen ärztlich assistierten Suizid in diakonischen Einrichtungen ausgesprochen. Die Aufgabe sei es, "nicht Hilfe zum Sterben", sondern "Hilfe im Sterben" anzubieten, sagte der Kirchenpräsident am 22. Januar in Speyer. Schad, der auch Vorsitzender des Verwaltungsrats der Diakonissen Speyer ist, sagte: "Wir können viel in unserem Leben selbst bestimmen, nicht aber über das Leben."

Das Bundesverfassungsgericht hatte vor gut einem Jahr das gesetzliche Verbot der organisierten Sterbehilfe gekippt. Führende Protestanten, darunter Diakonie-Präsident Ulrich Lilie, hatten sich in einem Gastbeitrag in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" für die Möglichkeit der Suizidassistenz auch in kirchlichen Einrichtungen ausgesprochen.

Ärzte müssten ihre Patienten gewissenhaft über die medizinischen Handlungsmöglichkeiten aufklären, sagte Schad. Ihre Verantwortung erschöpfe sich nicht darin, einem verzweifelten Todeswunsch nur stattzugeben. Der Wunsch nach Hilfe beim Suizid sei vielmehr als Hilferuf zu verstehen. "Die umfassende palliative Begleitung ist die wichtigste Antwort auf die gegenwärtige Suiziddebatte", sagte Schad. Diakonische Einrichtungen hätten die Aufgabe, die Leiden von Sterbenden so weit als möglich mitzutragen und zu versuchen, sie erträglich zu machen.




sozial-Politik

Corona

Wenn nur endlich die Physiotherapeutin wieder kommen dürfte




Christine Hochreuter lebt im Diakonie-Wohnstift in Osnabrück.
epd-bild/Matthias Pabst
Etwa die Hälfte der Altenheim-Bewohner hat den ersten Piks hinter sich. Viele Hoffnungen sind damit verbunden - darauf, nie wieder eingesperrt zu sein oder Therapien fortsetzen zu können. Und doch bleiben auch Ängste.

Christine Hochreuter hat sich in der Coronakrise ihren Humor bewahrt - und ihre pragmatische Sicht auf die Dinge. Die 83-Jährige lebt seit einem dreiviertel Jahr im Diakonie-Wohnstift, einem Alten- und Pflegeheim in Osnabrück. Quarantäne, Besuchsverbote, ausgefallene Freizeitprogramme - hat sie alles erlebt. Auch derzeit ist das Café im Haus mal wieder verwaist, die Kuchentheke leer. Dennoch findet sie die Einschränkungen richtig. Dass es mit der Ausbreitung des Virus "so nicht weitergehen kann, ist doch klar wie Kloßbrühe", sagt Hochreuter, die sich in ihrer Heimatstadt Goslar lange in der Politik engagiert hat. Am 4. Januar bekam sie ihre erste Corona-Impfung.

Die alte Dame ist eine von bundesweit bislang rund 450.000 geimpften Altenheim-Bewohnern. Damit bekam seit dem Start der Impfkampagne etwa die Hälfte der in Heimen lebenden Seniorinnen und Senioren die Erstimpfung. Knapp 31.000 Heimbewohner sind schon ein zweites Mal geimpft. Für Hochreuter ist das ein Hoffnungsschimmer - auch wenn sie ahnt, dass echte Normalität in das Haus mit den 192 Wohnungen so bald nicht einkehren wird. Ihr wäre es völlig "wurscht, wenn jetzt die Bürgersteige um 20 Uhr hochgeklappt werden. In Goslar werden die sowieso immer um 20 Uhr hochgeklappt."

Lockerungen wären ein Glücksfall

Aber wenn ein wenig gelockert würde, würde sie das schon glücklich machen: "Damit ich mal wieder mit meiner Tochter essen gehen kann und meine Physiotherapeutin wieder kommt." Die helfe ihr, beweglich zu bleiben. "Ohne sie sitze ich mehr, werde schneller müde, und der Sessel wird mein bester Kumpel. Das will ich nicht." Mehr Besucher könne sie ohnehin nicht empfangen, sagt die ehemalige Verwaltungsangestellte, die mitten im ersten Lockdown in das Osnabrücker Heim gezogen ist. "Ich habe hier in Osnabrück ja nur meine Tochter."

Die alten Menschen hätten kaum überzeugt werden müssen, sich impfen zu lassen, sagt Sabine Weber, Vorsitzende der evangelischen Altenhilfe in Niedersachsen. Die Impfquote liege in den allermeisten Einrichtungen deutlich über 90 Prozent. Bei den Beschäftigten sei die Impfbereitschaft zuletzt deutlich gestiegen - von zunächst knapp 60 auf zum Teil 90 Prozent. Es zeige sich, dass viele ihre Bedenken nach persönlichen Aufklärungsgesprächen zurückgestellt hätten, sagt Weber. Dennoch bleibe es das gute Recht eines jeden Mitarbeiters und Bewohners, sich nicht impfen zu lassen.

Umgang mit Impfunwilligen

Die Gesellschaft müsse insgesamt klären, wie sie mit Menschen umgehen wolle, die sich nicht impfen lassen wollten, fordert Weber, die die Altenhilfe in der Osnabrücker Diakonie mit insgesamt elf Heimen verantwortet. Vorher könne es in den Einrichtungen keine umfassenden Lockerungen geben. Weber hofft, dass wenigstens hausinterne Freizeitprogramme wieder aufgenommen werden, sobald die Geimpften nach dem zweiten Pieks den maximalen Infektionsschutz erlangt haben. Ein wenig mehr Gemeinschaft, das wäre für die Bewohner eine wesentliche Verbesserung. Die Entscheidungen darüber träfen aber das Land und die Kommunen.

Auch Christine Hochreuter möchte gerne bald wieder zum Singen und zum Bingo-Spiel gehen. "Das tut mir richtig gut. Da lernt man mal ein paar Leute kennen." Die ersten Kontakte, die sie im Sommer in der neuen Umgebung geknüpft hatte, sind schon wieder eingeschlafen. Auf ihrer Station gehört sie zu den wenigen, die noch geistig fit sind. Mit Seniorinnen und Senioren aus dem betreuten Wohnen darf sie sich derzeit nicht treffen. "Alle geben sich große Mühe. Aber die Einsamkeit bleibt trotzdem", sagt sie. Noch schlimmer waren die Quarantäne-Zeiten nach dem Einzug und nach jedem ihrer drei Krankenhaus-Aufenthalte. "Wenn man 14 Tage auf 40 Quadratmetern verbringen muss, da kommst du dir vor wie ein Kanarienvogel."

Auch bei den übrigen Bewohnern spürt Hochreuter die Auswirkungen der Kontaktbeschränkungen. Sie ließen sich gehen. "Einige haben unheimlich abgebaut. Und das Pflegepersonal ist überfordert." Auf die Maskenverweigerer, Coronaleugner und Impfgegner ist die Seniorin deshalb ganz schön wütend: "Für uns ist das eine Gemeinheit." Am meisten Sorge bereitet ihr jedoch, "dass ich nicht weiß, ob wir das in den Griff kriegen oder ob die Situation heute für den Rest meines Lebens so bleibt".

Martina Schwager


Corona

Umfrage: Impfzentren sind für Senioren und Behinderte gut zugänglich




Corona-Impfzentren in Halle
epd-bild/Steffen Schellhorn
Die Corona-Impfzentren haben für Senioren und behinderte Menschen weitgehend barrierefreie Zugänge. Das ergab eine bundesweite Umfrage des Evangelischen Pressedienstes (epd) bei den Gesundheitsministerien der Länder.

Senioren und behinderte Menschen haben bei den Corona-Schutzimpfungen besondere Schwierigkeiten zu bewältigen. Für sie sind barrierefreie Impfzentren daher besonders wichtig. Nach einer bundesweiten Umfrage des Evangelischen Pressedienstes (epd) bemühen sich die zuständigen Behörden, die Voraussetzungen für einen möglichst problemlosen Zugang zu den mehr als 440 Impfzentren in Deutschland zu schaffen. Ein Problem scheint allerdings vielerorts die Terminvergabe zu sein.

Keine Beschwerden bekannt

So teilte das bayerische Gesundheitsministerium mit, der barrierefreie Zugang und Warteräume mit ausreichender Größe auch für Rollstuhlfahrer und Begleitpersonen seien explizit in die Anforderungen an die rund 100 Impfzentren aufgenommen worden. Ein Sprecher des Sozialministeriums sagte, ihm seien bisher keine Beschwerden bekannt.

In den 53 Impfzentren des bevölkerungsreichsten Bundeslandes Nordrhein-Westfalen ist eine möglichst "barrierearme Wegführung" vorgesehen. Meldungen, dass Impfzentren die Vorgaben des Landes nicht erfüllen, liegen nach Angaben des NRW-Gesundheitsministeriums bisher nicht vor. Im Internet werde ein Video in Gebärdensprache mit Informationen zur den Impfzentren zur Verfügung gestellt, hieß es. Auch die Impfzentren im Saarland sind laut Gesundheitsministerium barrierefrei gestaltet.

Die zehn Impfzentren, die bislang in Baden-Württemberg in Betrieb sind, haben nach Angaben des Sozialministeriums in Stuttgart alle einen barrierefreien Zugang, auch wenn das manche nur für eine begrenzte Personenzahl gewährleisten können. Wer bei der Terminsuche im Internet Schwierigkeiten habe, könne diese unter der Hotline 116 117 klären, hieß es.

Unterstützung durch Begleitperson

In Hessen seien alle 28 Impfzentren barrierefrei, teilte das Innenministerium in Wiesbaden mit. Das Registrierungssystem für die Anmeldungen war allerdings zum Auftakt am 12. Januar vorübergehend wegen Überlastung zusammengebrochen.

Auch in Rheinland-Pfalz gehörte die Barrierefreiheit zu den Vorgaben für die Errichtung der Impfzentren. Die Wege in den Zentren seien ebenerdig oder es seien Aufzüge vorhanden, hieß es aus dem Sozial- und Gesundheitsministerium in Mainz. Da es sich um Bestandsgebäude handele, müssten einige Standorte noch nachgerüstet werden.

Das Land Niedersachsen sieht ebenfalls die barrierefreie oder mindestens barrierearme Erreichbarkeit der Impfzentren vor. Behinderte Menschen oder Pflegebedürftige könnten von einer Begleitperson unterstützt werden, sagte die Sprecherin des Sozial- und Gesundheitsministeriums. In Bremen sind nach Angaben eines Sprechers der Gesundheitssenatorin alle Impfzentren ebenerdig eingerichtet, vor Ort stehen Rollstühle und Gehhilfen bereit.

Kritik an Telefon-Hotline

Das Hamburger Impfzentrum verfügt nach Angaben der Sozialbehörde über Rampen für einen problemlosen Zugang. Auch Hilfskräfte und Ruheräume seien vorhanden. In Schleswig-Holstein sind alle Impfzentren nach Angaben des Sozial- und Gesundheitsministeriums in Kiel barrierefrei zugänglich. Die meisten Impfzentren verfügten über einen Wartebereich für Begleitpersonen, hieß es.

In Berlin teilte die Senatsverwaltung mit: "Alle Impfzentren sind barrierefrei gebaut." Die Internetseiten, die über "berlin.de" laufen, seien teilweise barrierefrei. Auch in Brandenburg seien alle Impfzentren barrierefrei, hieß es aus dem Sozial- und Gesundheitsministerium in Potsdam.

Die Impfzentren in Sachsen seien barrierefrei und für Rollstuhlfahrer geeignet, teilte das Deutsche Rote Kreuz auf Anfrage mit. Zugleich bemängelte das Rote Kreuz die Erreichbarkeit der Telefon-Hotline für die Terminvergabe.

Jürgen Prause


Corona

Nach Chaos bei Impfterminvergabe: Computer-Experte kritisiert Länder



Der Sprecher des Chaos Computer Clubs (CCC), Falk Garbsch, hat sich verwundert gezeigt über den Zusammenbruch des digitalen Impfportals in Nordrhein-Westfalen am 25. Januar. Dass unmittelbar nach der Freischaltung der Terminvergabe bereits nichts mehr ging, "macht mich schon ein wenig sprachlos", sagte Garbsch dem Evangelischen Pressedienst (epd). Bedenklich finde er, dass das Versagen bereits von Politikern und Behörden angekündigt worden war. Diese und weitere digitalen Pannen seien ein klares Zeichen dafür, "dass die Digitalisierung in der öffentlichen Verwaltung in den letzten zehn, 15 Jahren einfach verschlafen wurde".

Garbsch betonte, zahlreiche Online-Dienste zeigten, dass es durchaus möglich sei, mit großen Nutzerlasten klarzukommen. "Die großen sozialen Netzwerke machen den ganzen Tag nichts anderes."

Der Aufgabe nicht gewachsen

Dass auch eine Terminverwaltung gut funktionieren könne, zeigten etwa Online-Shops, die jeden Artikel auch nur ein Mal verkaufen könnten. Offenbar beauftragten die Bundesländer Firmen, die der Aufgabe nicht gewachsen seien. Oder sie stellten nicht ausreichend Mittel zur Verfügung, um die Portale ordentlich zu betreiben.

Der CCC-Experte bemängelte, dass öffentliche digitale Systeme seit Beginn der Corona-Pandemie immer wieder versagt hätten. Bei den Sorforthilfen für Unternehmen seien die Systeme sofort nach der Freischaltung vollkommen überlastet gewesen. Die E-Learning-Plattformen für Schulen brächen in regelmäßigen Abständen zusammen. "Offensichtlich fehlen die Konzepte, mit solchen System umzugehen. Man staunt immer wieder, wie blauäugig damit umgegangen wird."

All diese Herausforderungen bei zentralen Online-Pattformen hätten nach Ansicht des Experten umgangen werden können, wenn diese Seiten dezentral betrieben würden. "Warum schafft man zum Beispiel nicht auf kommunaler Ebene E-Learning-Plattformen für Schulen an, anstatt so etwas auf Deutschland- oder Landesebene anzubieten?" Das würde zwar etwas teurer, aber wenn etwas schief gehe, seien nicht alle Schulen bundesweit betroffen, sagte Garbsch. Das Risiko, dass überhaupt etwas ausfalle, sei bei kleineren Systemen zudem geringer. Auch Termine für die Impfzentren der Landkreise könnten dezentral viel einfacher vergeben werden.

Martina Schwager


Corona

Alt ist nicht gleich vulnerabel




Herbert Schmidt
epd-bild/Pat Christ
Alte Menschen sollen besonders gut vor dem Coronavirus geschützt werden. An sich eine löbliche Absicht, aber manche Seniorinnen und Senioren fühlen sich durch die Schutzmaßnamen gegängelt, ja sogar diskriminiert. Ein Dilemma.

In der Corona-Pandemie kollidieren die Interessen. Die einen wollen größtmöglichen Schutz. Die anderen, trotz Virus, größtmögliche Freiheit. In einem besonderen Spannungsfeld befinden sich Senioren. Als vulnerable Gruppe sollen sie bestmöglich geschützt werden. "Doch im Bemühen um Schutz schwingt oft Paternalismus mit", sagt Kristin Bergmann von der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Altenarbeit. Die Risikominimierung beeinträchtige oft das psychische Wohl und die Selbstbestimmung alter Menschen.

Menschen über 65 fühlen sich heute oft noch jung. Sie sind unternehmungslustig und aktiv. Schwierig in der aktuellen Pandemie ist für Kristin Bergmann, dass alle älteren Menschen pauschal zur Risikogruppe erklärt werden. "Dadurch wird ausgeblendet, dass Menschen in keiner anderen Lebensphase so unterschiedlich sind wie im Alter", betont die Geschäftsführerin der evangelischen Arbeitsgemeinschaft.

Virtuellen Stammtisch gegründet

Der 83-jährige Herbert Schmidt aus Würzburg kennt sich mit dem Internet besser aus als so mancher junge Mensch. Als es losging mit der Pandemie, fackelte er nicht lange: "Ich gründete mit anderen einen virtuellen Stammtisch." Seit März ist hier täglich etwas los. Um IT-ferne Senioren aus der Isolation zu holen, bot Schmidt einen Online-Internetkurs an. Zehn 70- bis 86-Jährige nahmen teil. Schmidt twittert, ist in sozialen Netzwerken unterwegs. Sagt dort, was er denkt, kommt damit gut an.

Den Corona-Maßnahmenkatalog zur Eindämmung der Pandemie hält Schmidt für sinnvoll: "Entmündigt fühle ich mich dadurch nicht." Aufgrund seines Alters sieht er sich durchaus als Mitglied der "Risikogruppe". Und tut alles, damit er nicht infiziert wird: "Meinen Urenkel, der im August geboren wurde, hatte ich noch kein einziges Mal auf dem Arm." Schmidt tut dies, wie er sagt, "aus freier Entscheidung".

77-Jähriger fühlt sich vom Staat gegängelt

Gerd Pflug aus dem hessischen Florstadt fühlt sich hingegen vom Staat gegängelt. Pflug ist 77 Jahre alt und aktiver Sportler, er spielt Badminton. 2019 heimste er bei der World Senior Championship im polnischen Kattowitz im Herrendoppel seiner Altersklasse eine Goldmedaille ein. Pflug möchte nicht in erster Linie als Mitglied einer "Risikogruppe" betrachtet werden. Vor allen Dingen möchte er selbst entscheiden, welchen Risiken er sich aussetzt - auf der Basis seiner eigenen Einstellung zu Leben und Tod.

Dass Senioren in Medien fast nur dann auftauchen, wenn es um "Schutz" und "Pflege" geht, findet Sabine Hantzko von der Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenbüros (BAS) kritisch. "Selbst in Kommunen scheint mir der Hilfebedarfsaspekt zu oft im Vordergrund zu stehen", sagt die stellvertretende BAS-Vorsitzende, die den Seniorenstützpunkt Celle leitet. In Celle sind viele Senioren als Seniorenbegleiter aktiv - auch während der Pandemie. Engagement ist sinnstiftend, erklärt Sabine Hantzko. "Wir ermöglichen es gern, indem wir versuchen, Risiken so weit wie möglich zu minimieren."

Schutz schränkt Selbstbestimmung ein

Hantzko sieht es kritisch, dass Schutz derzeit vielerorts weit vor Selbstbestimmung rangiert. "Schutz wird dann inhuman, wenn er im Kontrast steht zu den Bedürfnissen der Betroffenen." Durch ihre Arbeit im Stützpunkt erfährt die 49-Jährige, wie unterschiedlich die Bedürfnisse Älterer sind. Da sind die, die ihr klipp und klar sagen: "Ich will nicht geschützt werden." Andere sind verunsichert. Sie haben große Angst um ihre Gesundheit - und sind dankbar für jeden Schutz.

Für den Münchner Claus Fussek ist offensichtlich, dass alte Menschen schlechter behandelt werden als junge. Der 67-jährige Sozialarbeiter gilt als "Deutschlands Pflegekritiker Nummer 1". Für Fussek rächt sich angesichts des massiven Sterbens in den Heimen, dass hilfsbedürftige Senioren in Einrichtungen, wie er sagt, "entsorgt" werden. "In Heime will doch keiner freiwillig rein." Dass alte Menschen mangels Alternativen hierzu gezwungen werden, sieht er als fundamentalste Form der Altersdiskriminierung an.

Pat Christ


Corona

"Beim Homeoffice ist noch viel Luft nach oben"



Bis Mitte März müssen alle Arbeitgeber überall dort, wo es die Betriebsabläufe zulassen, mobiles Arbeiten ermöglichen. Das gilt seit 27. Januar. Bislang setzte die Politik in der Pandemie auf Freiwilligkeit, doch nicht einmal Behörden gingen überall vorbildlich mit dem Thema um.

Schon während des ersten Corona-Lockdowns im Frühjahr 2020 war Clara Bauer (Name geändert) mit ihrer Bitte um Homeoffice auf taube Ohren gestoßen. "Mir hat der Chef nicht zugetraut, dass ich zu Hause überhaupt etwas tun würde", seufzt die Rheinland-Pfälzerin, die als Verwaltungsangestellte in einer Einrichtung der katholischen Kirche arbeitet. Als im Herbst die Infektionszahlen erneut explodierten, wurde ihr nach langen Diskussionen immerhin zugestanden, dass sie nur noch jeden zweiten Tag am Arbeitsplatz erscheinen muss. Einen zwingenden Grund dafür, die Aufgaben im Büro zu erledigen, gebe es nicht, sagt sie.

Keine willkürliche Verweigerung

Eine Verordnung des Bundesarbeitsministeriums soll in der Corona-Krise sicherstellen, dass Berufstätige mit Bürojobs mehr von zu Hause aus arbeiten. "Der Arbeitgeber hat den Beschäftigten im Falle von Büroarbeit oder vergleichbaren Tätigkeiten anzubieten, diese Tätigkeiten in deren Wohnung auszuführen, wenn keine zwingenden betriebsbedingten Gründe entgegenstehen", heißt es darin. Telearbeit dürfe für die Dauer der Pandemie nicht mehr willkürlich verweigert werden, versprach Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD). Eingeklagt werden kann sie allerdings nicht.

Noch im Dezember hatten auch SPD-Politiker wie die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer eine solche Homeoffice-Verpflichtung klar abgelehnt. "Die meisten Arbeitgeber verhalten sich absolut vernünftig", sagte sie zur Begründung. Zwang sei in dieser Frage rechtlich nicht möglich. Da die Infektionszahlen trotz aller Einschränkungen und Verbote bislang nicht ausreichend stark gesunken sind, kam es dann im Januar zu einem Kurswechsel.

Die Homeoffice-Quote habe beim ersten Lockdown 30 Prozent betragen, heute nur noch 22 Prozent, ärgerte sich der saarländische Regierungschef Tobias Hans (CDU) auf Twitter: "Da ist noch viel Luft nach oben."

"Das funktioniert sehr gut."

Tatsächlich haben sich viele Firmen längst Gedanken darüber gemacht, wie sie Kontakte am Arbeitsplatz auf ein Minimum verringern und Arbeit von Zuhause erleichtern können. So befindet sich am Stammsitz des weltgrößten Chemiekonzerns BASF in Ludwigshafen seit Oktober rund die Hälfte der 39.000 Beschäftigten durchgehend im Homeoffice - das sind praktisch alle Angestellten mit Bürojob. "Es gilt die Ansage: Wer von zu Hause arbeiten kann, soll es auch machen", sagt eine Unternehmenssprecherin. "Das funktioniert sehr gut." Bürostühle und große PC-Bildschirme konnten die Beschäftigten mitnehmen.

Ähnlich organisiert auch der Pharmakonzern Boehringer Ingelheim die Arbeit in der Coronavirus-Pandemie. "Uns ist wichtig, dass wir die Infektion nicht aufs Gelände holen", heißt es in der Ingelheimer Unternehmenszentrale. Beim Südwestrundfunk gilt seit Dezember, dass Führungskräfte die Anwesenheit ihrer Mitarbeiter im Funkhaus jederzeit begründen können müssen. Die Sendeanstalt hat nicht nur klassische Büroarbeiten, sondern auch Cutter und Multimedia-Redakteure ins Homeoffice versetzt.

Ungutes Gefühl in der S-Bahn

Auch bei den großen Kirchen ist Arbeit von zu Hause vielerorts eine Selbstverständlichkeit, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß. So sehen die Empfehlungen der hessen-nassauischen Landeskirche für Verwaltungskräfte vor, dass durchschnittlich zwei Drittel der Arbeitszeit zu Hause abgeleistet werden können. Bei der pfälzischen Kirche sind es meist 50 bis 70 Prozent der Arbeitszeit. Die Evangelische Kirche im Rheinland verzichtet ganz auf zeitliche Rahmenvorgaben. Von den 280 Mitarbeitenden im Landeskirchenamt in Düsseldorf seien noch zehn Prozent regelmäßig ganztägig im Haus, die übrigens 90 Prozent kämen nur sporadisch oder stundenweise vorbei.

Gerade im Bereich der Behörden - also dort, wo die Politik am ehesten Einfluss nehmen könnte - gibt es erstaunlich oft Nachholbedarf. Viele Verwaltungen sehen es bereits als Erfolg, dass die Präsenzpflicht ihrer Bediensteten an einzelnen Arbeitstagen ausgesetzt ist. Dass die Kontakte am Arbeitsplatz nicht stärker sinken, hat wohl auch damit zu tun, dass längst nicht alle Arbeitnehmer dazu bereit sind.

Auch Clara Bauer hatte in ihrem Büro zunächst keine Rückendeckung beim Thema Homeoffice: "Ich wollte sofort, aber die Kolleginnen wollten nicht." Als sie sagte, dass sie sich in der S-Bahn unwohl fühle, sei ihr nahegelegt worden, mit dem Auto zu kommen.

Karsten Packeiser


Corona

Wissenschaftler: Pandemie kann Hartz-IV-Reform anstoßen



Die Corona-Pandemie kann nach Erkenntnissen von Wissenschaftlern der Ruhr-Universität Bochum und des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) einer Reform des Hartz-IV-Systems den Weg bereiten. Um die Folgen der Pandemie abzufedern, seien Ende März 2020 sozialpolitische Reformen erlassen worden, die einen vereinfachten Hartz-IV-Zugang ermöglichen, teilte die Ruhr-Uni am 22. Januar mit.

Die befristeten Neuregelungen zielten darauf ab, schnelle und unbürokratische Zugänge zur sozialen Sicherung sowie eine zügige Bereitstellung von Geldzahlungen für den Lebensunterhalt der Hartz-IV-Empfänger zu ermöglichen. So wird etwa auf Sanktionen verzichtet und die Bedürftigkeitsprüfung bei den Transferempfängern abgeschwächt.

"Die Pandemie hat eindeutig administrative und inhaltliche Transformationsprozesse angestoßen", erklärte Rolf Heinze vom Lehrstuhl für Allgemeine Soziologie, Arbeit und Wirtschaft der Ruhr-Uni. Für die Untersuchung hatten die Wissenschaftler mehr als 600 Online-Fragebögen zu den Veränderungen im Arbeitsalltag von Mitarbeitern der insgesamt 15 Jobcenter-Bezirksstellen im Kreis Recklinghausen ausgewertet.

Viele Verfahren sind digitalisierbar

Die Umfrage unter den Jobcenter-Mitarbeitern habe ergeben, dass viele Verfahrensprozesse problemlos digital zu organisieren seien. Zudem habe es "eine befristete sozialpolitische Neujustierung des Hartz-IV-Systems" gegeben, sagte der Soziologe Fabian Beckmann. Die derzeit praktizierte "bedingungsarme" Grundsicherung könne helfen, Ressourcen für die Arbeitsvermittlung in den Jobcentern zu nutzen und den Druck auf die Leistungsbezieher zu reduzieren. Allerdings gebe es derzeit bei den Mitarbeitern in den Jobcentern noch Vorbehalte gegen die neuen Verfahren. Die "positiven Chancen einer Reform" müssten deshalb noch stärker kommuniziert werden, erklärte Beckmann.

Die Neuregelungen im Bereich der Grundsicherung gelten bis zum 31. März. Über eine weitere Verlängerung bis Ende dieses Jahres oder sogar eine Entfristung wird aktuell diskutiert.

Esther Soth


Kriminalität

"HateAid": Hass gegen Frauen im Internet ist heftig




Anna-Lena von Hodenberg
epd-bild/Andrea Heinsohn
Die Hilfsorganisation "HateAid" verzeichnet angesichts einer durch die Corona-Krise zusätzlich gereizten Stimmung im Internet einen Anstieg von digitaler Gewalt gegen Frauen. "Wir stellen fest, dass Aggressionen gerade an dem Teil der Gesellschaft ausgelassen werden, der als schwächer empfunden wird", sagt Geschäftsführerin Anna-Lena von Hodenberg im Interview.

Jede siebte junge Frau in Deutschland hat laut einer Studie der Hilfsorganisation Plan International mindestens einmal digitale Gewalt erlebt. Im Interview erklärt die "HateAid"-Geschäftsführerin Anna-Lena von Hodenberg, warum gerade Frauen im Internet oft Opfer von Gewalt sind. "HateAid" unterstützt Gewaltopfer von Gewalt im Internet durch Beratung und Hilfe in rechtlichen Auseinandersetzungen. Mit Anna-Lena von Hodenberg sprach Patricia Averesch.

epd sozial: Frau von Hodenberg, was verstehen Sie unter digitaler Gewalt?

Anna-Lena von Hodenberg: Digitale Gewalt ist jede Form von Gewalt, die auf digitalen Geräten stattfindet - also zum Beispiel auf Computern und Smartphones. Alles, was dort an gewaltvollen Handlungen stattfindet, ist digitale Gewalt. Das kann Cybermobbing, Stalking, das ungewollte Posten der Wohnadresse oder mit Photoshop bearbeitete Fotos sein, die die Gesichter der Betroffenen dann in Hardcore-Pornos zeigen.

epd: Warum sind gerade Frauen und Mädchen so häufig die Opfer?

Hodenberg: In allen Studien, die international durchgeführt wurden, sind Frauen und Mädchen stärker betroffen. In unserer Statistik gibt es allerdings keinen so deutlichen Unterschied: Bei uns liegt der Anteil der Frauen bei 60 bis 65 Prozent, aber wir stellen fest, dass 80 Prozent der Dinge, die Frauen uns melden, von unseren Kanzleien als höchstwahrscheinlich rechtswidrig eingestuft werden. Das heißt, dass der Hass, den Frauen im Internet erleben, heftiger ist.

epd: Warum ist das so?

Hodenberg: Auf der einen Seite haben wir die sehr organisierten und orchestrierten Hassattacken, die vor allem aus dem rechten und rechtsextremen Spektrum kommen. Frauen werden als weicheres Ziel empfunden. Es wird davon ausgegangen, dass sie schneller und leichter fertiggemacht und eingeschüchtert werden können. Und Frauenhass ist natürlich auch ein Teil der Ideologie. Bei den Tätern von Christchurch und Halle haben wir gesehen, dass sich der Hass gezielt gegen Frauen richtete - genauer gesagt gegen Frauen, die emanzipiert sind, eine eigene politische Meinung haben und selbst über ihren Körper bestimmen wollen. Es gibt das Denken, dass emanzipierte Frauen keine Kinder mehr bekommen wollen und die Angst, dass die Menschheit deshalb als Rasse ausstirbt. Frauen werden versachlicht und auf ihre Funktion, Kinder zu bekommen und dem Mann zur Verfügung zu stehen, reduziert.

epd: Was ist mit Hassattacken aus dem privaten Umfeld?

Hodenberg: Zusätzlich gibt es Taten, bei denen sich Täter und Opfer kennen. Auch die machen einen großen Anteil aus, weil Formen von sexualisierter Gewalt sich aus dem häuslichen Bereich auf das Internet ausgeweitet haben und dort zum Beispiel über Messenger-Dienste und Social Media ausgeübt werden. Das kann die Spysoftware auf dem Handy sein, um die Frau auszuspionieren oder Passwörterklau, um nach der Trennung weiter verfolgen zu können, was die Expartnerin macht. Was wir aber wirklich massiv haben, sind Dickpics, also, dass Frauen Penisbilder von Kollegen oder flüchtigen Bekannten geschickt bekommen.

epd: Bei ungefragten Dickpics handelt es sich in Deutschland eindeutig um eine Straftat. Schwieriger ist es bei Hasskommentaren. Was raten Sie Betroffenen, die unsicher sind, ob der Hasskommentar rechtswidrig ist?

Hodenberg: Wir empfehlen, den Hasskommentar immer anzuzeigen - auch wenn man sich unsicher ist. Es ist besser, lieber einmal mehr anzuzeigen als einmal zu wenig. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass bisher viel zu wenig Betroffene Täter anzeigen und dass dann zum Beispiel Statistiken herauskommen, die sagen, dass Hasskriminalität im Internet abnimmt, obwohl wir natürlich alle aus anderen Studien wissen, dass das Gegenteil der Fall ist. Aber wenn die Betroffenen die Täter nicht anzeigen, wird das Problem leider nicht sichtbar. Anzeige kann man in den meisten Bundesländern mittlerweile sehr einfach sogar online erstatten.

epd: Was ist bei einer Anzeige zu beachten?

Hodenberg: Der erste Schritt, der aber direkt passieren muss, ist, die Beweise zu sichern. Und da ist es wichtig, dass die Frauen das richtig machen, damit sie das Material auch vor Gericht benutzen dürfen. Das heißt, sie müssen einen Screenshot machen, auf dem die Uhrzeit, das Datum und der Verlauf erkenntlich ist. Wenn der Kommentar, der Sie beleidigt, zum Beispiel der fünfte unter ihrem Post ist, dann müssen die Betroffenen auch von den anderen vier Kommentare einen Screenshot machen, weil man sonst den Kontext nicht beurteilen kann. Zusätzlich wäre es gut, die URL zu den Kommentaren und dem Profil des Täters zu speichern. All das sollten die Betroffenen sichern, bevor sie etwas löschen oder es bei der Plattform melden.



Betreuungsrecht

Reform soll Bevormundung beenden



In Deutschland haben rund 1,3 Millionen Menschen einen gesetzlichen Betreuer. Betroffene kritisieren seit Jahren, dass ihre Wünsche und Bedürfnisse dabei häufig übergangen werden. Nun berät der Bundestag über eine Reform des Betreuungsrechts.

Melanie weiß nicht genau, wer den Antrag für ihre gesetzliche Betreuung gestellt hat. "Niemand hat mit mir gesprochen", sagt die 30-Jährige. Nach ihrer Behandlung in einer psychiatrischen Klinik bestellte ein Gericht den gesetzlichen Betreuer, der seitdem ihre finanziellen Belange regelt und auch für ihre Wohnsituation und gegebenenfalls auch für gesundheitliche Angelegenheiten zuständig ist.

Melanie fühlte sich überfahren von der Entscheidung. "Das Gericht hat gar nicht berücksichtigt, dass ich nach dem Klinikaufenthalt ganz viel in meinem Leben neu geregelt habe", sagt die junge Frau, bei der eine bipolare Störung sowie eine Schizophrenie diagnostiziert wurde. Die Berlinerin zog nach der Entlassung aus der Klinik in eine betreute Wohneinrichtung, bekam eine Einzelfallbetreuerin und steht unter regelmäßiger ärztlicher Kontrolle.

Rechtliche Betreuungen oft vermeidbar

"Oft könnten Menschen mit Hilfe von Assistenzleistungen zurechtkommen, kriegen aber stattdessen gleich einen gesetzlichen Betreuer", beobachtet Thomas Künneke von der Interessensvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland (ISL) in Berlin, die Betroffene berät. Eine Studie des Forschungsinstituts IGES im Auftrag des Bundesjustizministeriums kam zu dem Ergebnis, dass bis zu 15 Prozent der rechtlichen Betreuungen vermieden werden könnten, wenn andere Hilfen effektiver genutzt würden. Das soll künftig besser werden. Der Bundestag berät derzeit eine Reform des seit 1992 geltenden Betreuungsrechts.

In der Betreuung werde häufig über den Kopf der Betroffenen hinweg entschieden, beobachtet Künneke. Melanie bestätigt, dass ihr Betreuer kaum mit ihr über anstehende Entscheidungen spreche, sondern meist eigenständig handle. "Für ihn bin ich nur ein Fall, aber für mich geht es um mein Leben."

Wünsche der Betreuten kommen zu kurz

Dass viele Betreute sich übergangen fühlen, beobachtet auch die Präsidentin des Sozialverbandes VdK, Verena Bentele. Dabei sieht auch das geltende Betreuungsrecht die Beteiligung Betroffener an Entscheidungen vor. Der Reformentwurf stelle aber viel deutlicher klar, dass es sich bei der rechtlichen Betreuung um Unterstützung für den Betroffenen handele und nicht um Bevormundung, sagt Bentele.

"Es zieht sich wie ein roter Faden durch den Gesetzentwurf, dass die Wünsche der rechtlich betreuten Personen an vielen Stellen des Betreuungsverfahrens festzustellen sind und Richtschnur für das Handeln der Gerichte und der Betreuer sein müssen." Das sei ein Fortschritt. Allerdings sehe die Reform keine zusätzlichen niedrigschwelligen Beratungsstellen für Betroffene vor, die jedoch aus Sicht des VdK notwendig seien. Denn in der Regel wüssten die Betroffenen nicht, welche Folgen eine gesetzliche Betreuung für sie habe. "Und wenn Menschen Probleme mit dem Betreuer haben, wissen sie in der Regel nicht, an wen sie sich wenden können."

"Positiv ist hingegen, dass es künftig Registrierungsvoraussetzungen für die Betreuer geben soll", sagt Bentele. Bislang bestehen für Berufsbetreuer keinerlei Anforderungen hinsichtlich ihrer Ausbildung oder persönlichen Eignung. Neben vielen engagierten und qualifizierten Betreuern gebe es auch immer wieder solche, die zu viele Klienten annähmen, so dass für den persönlichen Kontakt kaum Zeit bleibe. Immer wieder sorgen auch Fälle von einzelnen Betreuern für Schlagzeilen, die Klienten sogar finanziell schädigen.

Zulassungsverfahren für Betreuer

Der Bundesverband der Berufsbetreuer/innen fordert deshalb seit Jahren ein Zulassungsverfahren für Betreuer ähnlich wie bei Ärzten oder Rechtsanwälten. Der Gesetzentwurf sieht nun ein Registrierungsverfahren vor, zu dem auch ein Sachkundenachweis gehört. Das setze aus Sicht des Verbandes zwar zu niedrig an, sagt Geschäftsführer Harald Freter. "Aber es ist ein erster Schritt in die richtige Richtung."

Einmal in der Betreuung war es bislang für Betroffene mitunter schwierig, wieder herauszukommen. Denn die Gerichte können die Betreuung für bis zu sieben Jahre anordnen, bevor sie überprüft werden muss. "Ein Rahmen, der viel zu oft ausgeschöpft wird", kritisiert Bentele. Die Reform sieht vor, die Überprüfung künftig nach maximal drei Jahren vorzuschreiben.

Im Fall von Melanie hatte das Gericht sogar angeordnet, die Betreuung nach nur zwei Jahren zu überprüfen. "Wahrscheinlich, weil ich noch relativ jung bin", vermutet sie. Die zwei Jahre sind nun bald vorbei. "Aber ob da auch etwas überprüft wird, weiß ich nicht. Ich habe von meinem Betreuer nichts gehört."

Claudia Rometsch


Flüchtlinge

Psychologin: Kinder auf Lesbos leiden mehr denn je



Angst und Alpträume haben fast alle, aber auch völlige Apathie oder Suizidversuche sind verbreitet: Die Flüchtlingskinder auf Lesbos leiden nach Einschätzung der Psychologin Katrin Glatz-Brubakk nach dem Brand im alten Camp Moria und dem Umzug ins neue Lager Kara Tepe mehr denn je. "Es hieß: 'Nie wieder Moria!', und alle hatten die Hoffnung, dass es etwas besser wird", sagte die Expertin von "Ärzte ohne Grenzen" im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). "Und jetzt sieht man, dass es das nicht ist, eher im Gegenteil. Da verlieren Menschen die Hoffnung - und wenn wir keine Hoffnung mehr haben, dann verlieren wir auch die Lebenskraft."

Die Kinder würden mehr und mehr depressiv, erklärte die Norwegerin, die derzeit zum neunten Mal für "Ärzte ohne Grenzen" auf Lesbos im Einsatz ist. "Wir sehen leider sehr viele Fälle von Selbstschädigung und auch Suizidversuche, Panikattacken oder die totale Apathie", sagt Glatz-Brubakk. Ein 13-Jähriger aus Afghanistan habe in dieser Woche schon zum fünften Mal versucht, sich das Leben zu nehmen. "Und wir haben Kinder, die seit Monaten nicht mehr reden, also kein Wort sagen."

Viele Re-Traumatisierungen

Krieg und Kämpfe in der Heimat und die Schrecken der Flucht hätten unzählige Kinder traumatisiert, aber oft hätten sie dennoch Bewältigungsstrategien entwickelt. Doch Polizeigewalt, Prügeleien im Camp und nicht zuletzt das Feuer vom September, bei dem das Lager Moria niederbrannte, hätten bei vielen zu solch starken Re-Traumatisierungen geführt, "dass sie die Welt aufgeben". Viele hätten auch angefangen zu schlafwandeln und könnten so nicht einmal mehr im Schlaf neue Kraft schöpfen.

Die Kinder bräuchten ein Gefühl von Geborgenheit, Sicherheit, Vertrautheit, betont Glatz-Brubakk. "Und all das gibt es ja im Lager überhaupt nicht." Viele hätten Angst vor Kidnapping, Gewalt, Vergewaltigungen. Zugleich seien die Tage "total ohne Inhalt", wegen Corona gebe es nicht einmal mehr Spielgruppen außerhalb, in denen die Kinder das Lager kurzzeitig vergessen könnten, sagt die Helferin. Dazu komme nun noch die Eiseskälte und Nässe des Winters. Auch über zu wenig Essen klagten viele.

In Kara Tepe leben derzeit rund 7.000 Flüchtlinge, davon etwa 2.000 Kinder. "Ärzte ohne Grenzen" bietet nach eigenen Angaben das einzige psychologische Betreuungsangebot für die Kleinen vor Ort. Im vergangenen Jahr seien etwa 250 Kinder behandelt worden, sagt Glatz-Brubakk. "Der Bedarf ist viel, viel größer."

Silvia Vogt



sozial-Branche

Corona

Bündnis fordert Soforthilfen für Arme




Mann mit FFP2-Maske
epd-bild/Tim Wegner
Sozialverbände machen Druck auf den Bund, einkommensarme Personen in der Corona-Krise zu unterstützen. Die Ankündigung von Bundessozialminister Heil, einen Zuschuss für coronabedingte Belastungen auf den Weg zu bringen, sei überfällig, aber nicht ausreichend.

Ein Bündnis aus Gewerkschaften, Sozialverbänden und Initiativen fordert angesichts der fortdauernden Corona-Pandemie Hilfen für die Bedürftigsten. Der Regelsatz bei Hartz IV und Altersgrundsicherung müsse auf mindestens 600 Euro im Monat steigen, heißt es in dem gemeinsamen Aufruf "Soforthilfen für die Armen - Jetzt!" von 36 Verbänden und Gewerkschaften, der am 25. Januar in Berlin veröffentlicht wurde. Für die Dauer der Pandemie müsse zudem ein pauschaler Zuschlag von 100 Euro monatlich gezahlt werden, damit die Menschen die zusätzlichen Belastungen tragen könnten.

Krisenfester Sozialstaat

Der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes, Ulrich Schneider, erklärte: "Wir erwarten von dieser Bundesregierung ohne Wenn und Aber und ohne weitere Ausflüchte, dass sie endlich auch etwas für die Armen tut, das wirklich Substanz hat." Maria Loheide, Vorstandsmitglied der Bundesdiakonie, sagte: "Krisen dürfen die Schwächsten nicht noch ärmer machen." Deshalb müsse spätestens die neue Bundesregierung im Herbst Maßnahmen umsetzen, die den Sozialstaat für seine Bürger nachhaltig krisenfest mache.

Bereits im ersten Lockdown im Frühjahr 2020 hätten die Bezieher von Hartz-IV-Leistungen und der Altersgrundsicherung keine zusätzlichen Hilfen bekommen, kritisieren die Verfasserinnen und Verfasser des Aufrufs. Alle großen Sozialverbände, die Gewerkschaften ver.di und Erziehung und Wissenschaft (GEW), der Kinderschutzbund, der Mieterbund, der Tafelverband Deutschland, der Kulturrat, Umwelt- und Verbraucherverbände sowie der Berufsverband für Pflegeberufe zählen zu dem Bündnis.

Der zusätzliche Bedarf durch wegfallendes Schulessen, geschlossene Tafeln, steigende Lebenshaltungskosten und Mehrausgaben für Masken und Desinfektionsmittel sei offensichtlich. Vor diesem Hintergrund komme die jüngste Anhebung des Hartz-IV-Regelsatzes zum Jahreswechsel um lediglich 14 Euro auf 446 Euro im Monat einem "armutspolitischen Offenbarungseid" gleich.

"Überfälliges Signal" des Ministers

Für Kinder und Jugendliche fordern die Verbände Computer und Lernmittel als einmalige Leistung der Jobcenter für den digitalen Unterricht. Außerdem verlangen sie einen Kündigungsschutz für Mieter, die aufgrund der Pandemie in Mietzahlungsschwierigkeiten geraten sind, wie er im vergangenen Jahr nach Ausbruch der Pandemie bis 30. Juni galt.

Die Ankündigung von Bundessozialminister Hubertus Heil (SPD), einen Zuschuss für coronabedingte Zusatz-Belastungen auf den Weg zu bringen, sei ein überfälliges Signal, reiche aber angesichts der Not vieler Betroffener bei weitem nicht aus, erklären die Verbände. Heil stellte am 22. Januar kostenlose FFP2-Masken für Bedürftige in Aussicht. Er will außerdem einen Corona-Zuschuss auf Hartz-IV-Leistungen.

Am 28. Januar erklärten Bundessozialminister Hubertus Heil (SPD) und Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) in Berlin, dass Bedürftige zehn FFP2-Masken kostenlos erhalten. Die Masken würden über die Apotheken abgegeben. Anrecht auf die Zuteilung haben Spahn und Heil zufolge rund fünf Millionen Menschen, die Sozialleistungen oder Grundsicherung beziehen. Sie erhalten einen Brief von ihrer Krankenkasse und können dann binnen zwei Wochen die Masken abholen.

Bettina Markmeyer, Markus Jantzer


Corona

Mensamobil bringt mehr als ein warmes Essen




Kinderteller mit Macaroni-Nudeln
epd-bild/Mensamobil
Die Stadt Bruchsal lässt Kindern während des Lockdowns ein warmes Mittagessen bringen - nach Hause oder in die Notbetreuung der Kitas und Schulen. Die Nachfrage nach dem Mensa-Mobil steigt.

Ein Mensa-Mobil mit einem warmen Mittagessen für Kinder gibt es in Bruchsal seit dem Ende der Weihnachtsferien. Es richtet sich an Mädchen und Jungen, die eine Bruchsaler Schule oder Kita besuchen und normalerweise in Ganztagesbetreuung sind, jetzt aber wegen des Corona-Lockdowns zuhause sind. "Die Nachfrage nach dem Mittagessen steigt von Tag zu Tag," sagt der Fachbereichsleiter Bildung, Soziales und Sport bei der Stadtverwaltung Bruchsal und Initiator des Projektes Mensa-Mobil dem Evangelischen Pressedienst (epd), Patrik Hauns.

Ehrenamtliche Unterstützung

Die Idee dafür sei ihm am Dreikönigstag gekommen. Nach kurzer Besprechung im Rathaus sei das Mensamobil schon am ersten Tag nach den Weihnachtsferien, dem 11. Januar, umgesetzt worden. "Ich freue mich über die große Bereitschaft an ehrenamtlicher Unterstützung," berichtet Hauns. Nur so habe er das Angebot allen Ganztageskindern machen können.

Rund 15 Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeiter könne er einsetzen. Sie liefern das warme Essen unter Einhaltung der Infektionsschutzvorschriften an die Wohnungstür. Vor allem Kinder, deren Eltern ganztägig arbeiten, nutzen das Angebot. Für sie kostet ein Mittagessen wie in der Ganztagesbetreuung 3,90 Euro. Für Kinder, denen Leistungen für Bildung und Teilhabe zustehen, ist das Essen kostenlos.

Mit dem Projekt kommt die Stadt Bruchsal unter anderem einer Forderung der Diakonie Deutschland nach. Maria Loheide vom Vorstand Sozialpolitik bei der Diakonie Deutschland hatte zuletzt Anfang Januar gefordert, dass "Kinder, die in Armut leben, auch dann zu Mittag essen müssen, wenn sie im Lockdown nicht in der Schule sind und zuhause lernen". Laut Loheide sehen es die gesetzlichen Regelungen sogar vor, dass bei einem Corona-bedingten Ausfall des Präsenzunterrichts die Familien nicht das Essensgeld bekommen, sondern das Essen nach Hause geliefert werde.

Hoffen auf Nachahmer

Das Projekt Mensamobil sei bisher einmalig in Baden-Württemberg, bestätigt der Dezernent für Familie und Soziales beim Städtetag Baden-Württemberg, Benjamin Lachat. Die bereits im ersten Lockdown im Frühjahr angestellten Überlegungen einiger Städte, ein ähnliches Projekt einzuführen, seien bisher nicht "ins Rollen gekommen". Viele der 190 im Städtetag vertretenen Städte seien zu groß, um ein Essensangebot für alle Ganztagesschüler machen.

"Ich bin mir jedoch sicher, dass das Bruchsaler Beispiel Nachahmer findet," gibt sich Benjamin Lachat zuversichtlich. Er begrüße es, dass Bruchsal nach Wegen suche, den Kontakt zu Kindern auch während des Homeschoolings zu halten. Der Sozialdezernent und ehemalige Schulsozialarbeiter spricht einen wichtigen "Nebeneffekt" der Essenslieferung an: den Austausch mit Erwachsenen, die nicht der eigenen Familie angehören.

Das Angebot des Mensamobils sei mehr als die eines einfachen Essenslieferanten. Bei der Begegnung mit den Kindern könne er nachfragen, wie das Kind etwa mit dem Homeschooling zurechtkommt, ob es Lesestoff braucht oder gar sehr oft allein ist. "Die massiven Einschränkungen des Schul- und Soziallebens von Kindern und Jugendlichen dauern nun schon fast ein Jahr", stellt Lachat fest. "Damit muss man umgehen."

Susanne Lohse


Corona

Fachverbände gegen Einsatz Auszubildender für Covid-19-Tests




Ausbildung zum Krankenpfleger
epd-bild/Jürgen Blume
In der Corona-Krise brauchen die Pflegeheime jede helfende Hand. Doch der Vorschlag der Minister Giffey und Spahn, Pflege-Auszubildende auch zur Unterstützung bei den Schnelltests einzusetzen, lehnen Fachverbände ab.

Fachverbände haben dem Vorschlag aus der Bundesregierung widersprochen, Pflege-Auszubildende zur Unterstützung der Heime bei den Schnelltests einzusetzen. Der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) wies am 28. Januar in Berlin das von den Ministern Franziska Giffey (SPD) und Jens Spahn (CDU) in einem Schreiben an die Partnerorganisationen der Konzertierten Aktion Pflege formulierte Anliegen zurück. "Wir haben bereits schriftlich unseren Unmut mitgeteilt", sagte DBfK-Präsidentin Christel Bienstein.

In dem Brief, der dem Evangelischen Pressedienst (epd) vorliegt, schlagen die Minister vor, vermehrt Auszubildende schon vom ersten Lehrjahr an "zur Entlastung des Pflegepersonals einzusetzen, etwa nach entsprechender Einweisung bei der Durchführung von Testungen der Bewohnerinnen und Bewohner sowie deren Angehörigen oder bei den Vorkehrungen der Hygiene- und Schutzmaßnahmen". Die dynamische Pandemielage erfordere "von uns allen ein hohes Maß an Flexibilität und Einsatzbereitschaft", lautet die Begründung.

Billige Aushilfskräfte

Konkret könne das "insbesondere durch das Verschieben schulischer Ausbildungsabschnitte bzw. einer Abänderung der Reihenfolge der praktischen Ausbildungsabschnitte erfolgen". Die bundesrechtlichen Ausbildungsregelungen stünden einer solchen Vorgehensweise nicht entgegen, hieß es.

Der DBfK nannte diese Idee kurzsichtig: "Dieser Vorschlag zeugt einmal mehr davon, welchen geringen Stellenwert die beiden Ministerien der Pflegeausbildung und damit auch der Professionalität unseres Berufs insgesamt beimessen." Man dürfe Azubis nicht als billige Aushilfskräfte missbrauchen.

Verbandschefin Bienstein zufolge findet die Pflegeausbildung während der Pandemie bereits unter erschwerten Bedingungen statt. Praxisanleitungen könnten schon jetzt aufgrund des Personalmangels nicht in der notwendigen Intensität stattfinden. Es müsse dadurch mit zunehmenden Ausbildungsabbrüchen gerechnet werden, warnte sie. Die personelle Unterstützung der Einrichtungen bei den Testungen sollte laut Bienstein von den angekündigten Bundeswehrangehörigen sowie geschulten Personen erfolgen.

Übermäßige Belastungen

Auch der Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung, Andreas Westerfellhaus, wies den Plan zurück. "Ich rate davon ab, Auszubildende der Pflegeberufe vor allem für die Testungen einzusetzen, da diese auch in Pandemiezeiten in ihrer praktischen Ausbildungszeit hochprofessionelle Pflege erlernen sollten", sagte Westerfellhaus. "Sonst haben wir nach der Pandemie viele junge Pflegekräfte, die testen, aber kaum pflegen können."

Kritik kam auch vom Bundesverband Lehrende Gesundheits- und Sozialberufe. In einem Schreiben an die Minister heißt es: "Unseren Mitgliedsschulen und allen in der Ausbildung Verantwortlichen werden wir mit besonderem Nachdruck davon abraten, einer Ausweitung von Praxiseinsätzen, der Verschiebung schulischer Ausbildungsabschnitte oder ähnlichen Maßnahmen zuzustimmen." Denn: "Wir sind in unserem professionellen Handeln dazu verpflichtet, das körperliche und psychische Wohlergehen der uns anvertrauten Schülerinnen und Schüler zu berücksichtigen und sie vor übermäßigen Belastungen zu schützen."

Dirk Baas, Karsten Frerichs


Corona

Krankenhäuser fordern Finanzhilfe und Entlastung der Pflege




Isolierraum einer Intensivstation
epd-bild/Werner Krüper
Die Corona-Pandemie hat viele Krankenhäuser an ihre Leistungsgrenzen gebracht, finanziell und personell. In Berlin wurde eine Klinik unter Quarantäne gestellt. Der Spitzenverband der Krankenhausträger fordert von der Bundesregierung Unterstützung.

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) hat für dieses Jahr bessere Rahmenbedingungen für die Pflege gefordert. Die Krankenpflege brauche klare politische Signale und Unterstützung, um eine Trendumkehr zu erreichen, sagte der designierte Hauptgeschäftsführer der DKG, Gerald Gaß, am 26. Januar in Berlin. So müsse der Gesetzgeber noch vor der Bundestagswahl aktiv werden und Standards für die Personalbemessung im Krankenhaus festlegen. Notwendig sei etwa das Aussetzen der Pflegepersonaluntergrenzen in diesem Jahr.

Mutiertes Corona-Virus in Klinik

Der Fachkräftemangel in der Pflege sei der zentrale Engpass in der Pandemie, hieß es weiter. An vielen Standorten sei deshalb die Regelversorgung deutlich eingeschränkt. Zur Reduzierung der bürokratischen Lasten müsse die Prüfquote des Medizinischen Dienstes auf maximal fünf Prozent beschränkt werden, forderte die DKG.

Nach der Häufung von Infektionen mit einem mutierten Corona-Virus im Berliner Humboldt-Klinikum sprach sich DKG-Hauptgeschäftsführer Georg Baum für eine bessere Teststrategie in den Krankenhäusern aus. Überall dort, wo es auch nur die Vermutung einer Coronavirus-Mutation gebe, müssten die Krankenhäuser die Möglichkeit haben, die erforderlichen Tests zu machen, sagte Baum. Da sollten die Krankenkassen nicht mitreden können, sagte er mit Blick auf die Kostenübernahme. In dieser Frage wünsche er sich klare Signale von der Bundesebene.

Das Vivantes Humboldt-Klinikum in Berlin ist seit 23. Januar unter Quarantäne, neue Patienten werden nicht mehr aufgenommen. Das Personal befindet sich in sogenannter Pendel-Quarantäne zwischen Wohnung und Arbeitsplatz. Grund ist die Ausbreitung der als hochansteckend geltenden Corona-Variante B.1.1.7.

Rettungsschirm verlängern

Die DKG fordert von der Politik außerdem für das Jahr 2021 einen Rettungsschirm für Krankenhäuser. Wie schon im vergangenen Jahr müsse ein solches Konzept Erlösausfälle bei den Kliniken berücksichtigen, die aufgrund ihrer Umstellung zugunsten von Covid-Behandlungen ihre sonstigen Leistungen heruntergefahren haben, sagte Hauptgeschäftsführer Baum.

Ein solcher Rettungsschirm müsse nun schnell geschaffen werden, um den Häusern Planungssicherheit zu geben, mahnte Baum. Den Krankenhäusern müsse der Rücken wirtschaftlich freigehalten werden, damit sie sich weiterhin auf die Pandemie konzentrieren könnten. Auch wenn die Zahl der stationären Covid-Patienten und derjenigen auf den Intensivstationen derzeit sinke, bleibe das Thema aufgrund der Mutationen weiter in den Krankenhäusern.

Baum erläuterte, dass die Kliniken aufgrund von verordnungsgesetzlichen Vorgaben und Vorschriften durch die Landesregierungen während der ersten Corona-Infektionswelle im vergangenen Jahr "sehr radikal" das Regelleistungsvolumen heruntergefahren hätten. Heute geschehe dies besser abgestimmt. Gleichwohl bestehe die Notwendigkeit, zugunsten der Covid-Behandlung das sonst übliche Leistungsangebot eines Hauses zu reduzieren. Das bedeute weniger Einnahmen. Ganze Abteilungen würden in Infektionsabteilungen umgewidmet, in den Zimmern weniger Patienten untergebracht.

Laut DKG gab es seit 10. März 2020 rund 150.000 Covid-Patienten in Krankenhäusern, davon rund 28.000 Intensivpatienten. Aktuell seien es rund 4.600 Intensivpatienten. In der ersten Welle war demnach der Höchststand am 21. April 2020 mit 2.845 Intensivpatienten, davon wurden 2.052 beatmet. Der Höchststand in der zweiten Welle sei am 4. Januar 2021 gemessen worden mit 5.781 Intensivpatienten, davon wurden 3.191 beatmet.

Lukas Philippi, Gabriele Fritz


Corona

Behinderte fordern höhere Priorität bei Covid-19-Impfung




Beschäftigte in einer Behinderten-Werkstatt
epd-bild/v. Bodelschwinghsche Stiftungen
Behindertenbeauftragte und Selbsthilfeorganisationen dringen darauf, dass behinderte Menschen mit hohem Gesundheitsrisiko schnell gegen das Coronavirus geimpft werden. Außerdem müsse der Zugang zu den Impfungen barrierefrei sein, verlangen sie.

Behinderte Menschen, die ein hohes Risiko für einen schweren Corona-Krankheitsverlauf haben, müssen nach Ansicht von Selbsthilfeorganisationen und der Behindertenbeauftragten von Bund und Ländern vorrangig geimpft werden. Die Beauftragten verlangten in einer am 26. Januar in Berlin veröffentlichten Erklärung neben schnelleren Impfungen eine bessere Versorgung mit FFP2-Masken, mehr Schnelltests und einen barrierefreien Zugang zu den Impfzentren der Bundesländer.

Informationen auch in Leichter Sprache

Die Impfverordnung müsse nachgebessert werden, damit auch jene, die zu Hause von Angehörigen versorgt werden, einen vorrangigen Zugang zu Impfungen erhalten, forderten die Beauftragten. Das müsse auch für ihre Betreuerinnen und Betreuer gelten, etwa die Assistenzkräfte, die sie rund um die Uhr versorgen. In den ersten Kategorien sollen bisher nur die Menschen schnell eine Impfung erhalten, die in Einrichtungen leben oder von professionellen Pflegediensten versorgt werden sowie im Einzelfall Menschen mit hohen Gesundheitsrisiken. Die Mehrheit von rund drei Millionen pflegebedürftigen und behinderten Menschen lebe zu Hause, hieß es.

Die Behindertenbeauftragten verlangen in ihrer Erklärung weiter, dass die Anmeldung zu einer Impfung sowie der Zugang zu den Zentren auch mobilitätseingeschränkten, gehörlosen, blinden und geistig behinderten Menschen ermöglicht werden müsse, etwa indem die notwendigen Informationen auch in Leichter Sprache zur Verfügung gestellt werden. Die Fahrtkosten zu den Zentren müssten übernommen und die Wartezeiten dort in Grenzen gehalten werden. Weiter fordern die Beauftragten, dass den Betroffenen etwa Gebärdendolmetscher zur Verfügung stehen, damit sie sich verständigen können.

In Österreich in der ersten Prioritätsgruppe

Der derzeitige Sprecher der Konferenz der Beauftragten von Bund und Ländern für Menschen mit Behinderungen, der rheinland-pfälzische Beauftragte Matthias Rösch, sagte, bei vielen Menschen mit Behinderung gebe es Verunsicherung, wann sie bei den Impfungen berücksichtigt werden. Sie bräuchten mehr Sicherheit, insbesondere wenn sie etwa als Beatmungspatienten durch eine Infektion mit dem Virus einem hohen gesundheitlichen Risiko ausgesetzt seien.

Die LIGA Selbstvertretung erklärte in Berlin, behinderte Menschen müssten bei der Impfstrategie eine genauso höchste Priorität haben wie Bewohnerinnen und Bewohner von Pflege- und Altenheimen. Die Organisation wies darauf hin, dass im benachbarten Österreich Behinderte mit einem hohen Erkrankungsrisiko in der ersten Prioritätsgruppe geimpft werden. Die LIGA Selbstvertretung ist ein Zusammenschluss von 13 bundesweit tätigen Selbstvertretungsorganisationen, die von behinderten Menschen selbst verwaltet werden.

Bettina Markmeyer, Markus Jantzer


Corona

Hospizverein: Pflegepersonen schwer kranker Kinder schnell impfen



Der Deutsche Kinderhospizverein fordert die schnellstmögliche Impfung aller Pflegepersonen von jungen Menschen mit einer lebensverkürzenden Erkrankung. Alle erwachsenen Angehörigen von Kindern und Jugendlichen im selben Haushalt sowie regelmäßig in Assistenz und Versorgung eingesetzte Kräfte müssten bei der Impfreihenfolge möglichst hoch priorisiert werden, heißt es in einer am 25. Januar in Olpe veröffentlichten Stellungnahme des Vereins, die an die Bundesregierung, die ständige Impfkommission des Robert Koch-Institutes (RKI) sowie die für die Umsetzung der Impfstrategie zuständigen Landesbehörden adressiert ist. Kinder und Jugendliche können mit den bisher vorhandenen Impfstoffen nicht selbst geimpft werden.

Zudem mahnte der Verein an, "fortlaufend neue Studien zu in der Entwicklung befindlichen Impfstoffen auszuwerten". Bei Bedarf solle die Impfempfehlung angepasst werden, um auch für bisher nicht erfasste Gruppen, wie Kinder mit Vorerkrankungen, möglichst bald eine Impfung zu ermöglichen. Kinder und junge Erwachsene mit Vorerkrankungen "und die sich für sie ergebenden Gefahren" seien bei den Impfkategorien bisher "nicht ausreichend berücksichtigt" worden, monierte der Kinderhospizverein.

Der Deutsche Kinderhospizverein unterhält ambulante Kinder- und Jugendhospizdienste an 30 Standorten und begleitet Jugendliche und junge Erwachsene mit eine lebensverkürzenden Erkrankung und deren Familien.



Corona

Weiterbildungsbranche fordert staatliche Hilfe für Digitalisierung



Die Weiterbildungsbranche ist nach Meinung des Geschäftsführers des Verbandes Deutscher Privatschulverbände (VDP), Dietmar Schlömp, bisher relativ gut durch die Corona-Pandemie gekommen. "Die Einnahmeverluste durch im Lockdown kurzfristig abgesagte Kurse oder durch Buchungsrückgänge sind durch Finanzhilfen des Bundes zumindest teilweise ausgeglichen worden", sagte Schlömp dem Evangelischen Pressedienst (epd). Im VDP sind laut Schlömp bundesweit etwa 1.000 Bildungsunternehmen organisiert. Für ihre Zukunftssicherung sei nun dringend ein "Digitalpakt Weiterbildung" notwendig, zu dem sich der Staat, die Wirtschaft und Weiterbildungsträger zusammenschließen sollten.

Kurse für Migranten

Im Digitalpakt muss es nach Schlömps Auffassung darum gehen, den in der Coronakrise forcierten Ausbau der Digitalisierung zu verstetigen. "Sprachkurse für Beschäftigte, aber auch zum Beispiel Berufssprachkurse für Migranten können auch nach der Pandemie mit Unterstützung digitaler Medien und Konzepte stattfinden", sagt er. Die Weiterbildungsunternehmen hätten im vergangenen Jahr jeweils fünf- und sechsstellige Beträge in die digitale Infrastruktur investiert. Darauf sollte aufgebaut werden.

Eine leistungsstarke digitale Infrastruktur im Bereich der staatlich und privat geförderten Weiterbildung verlangt laut Schlömp weitere Investitionen in Milliardenhöhe. "Zu dieser gemeinsamen Aufgabe sollten sich Staat, Privatwirtschaft und Weiterbildungsbranche bekennen", forderte er. Dazu gehöre es auch, die Lehrkräfte und Dozenten entsprechend zu schulen und Lernformate und -inhalte an den digitalen Wandel anzupassen.

Hohe Summen investiert

Nach Schlömps Angaben konnten im vergangenen Jahr trotz Corona eine Vielzahl von der Bundesagentur für Arbeit und den Jobcentern geförderten Kurse für Erwerbslose und Langzeitarbeitslose aufrecht erhalten werden. Das gelte auch für die vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) bezahlten Integrations- und Berufssprachkurse. Die Umstellung auf Digitalangebote habe der Kursqualität keinen Abbruch getan.

Allerdings hätten die Betriebe dafür hohe Summen investiert. Die Finanzhilfen nach dem Sozialdienstleister-Einsatzgesetz (SodEG) hätten ihnen dabei ebenso wie das gewährte Kurzarbeitergeld über die schwierige Zeit geholfen. Zu Insolvenzen sei es bisher kaum gekommen. "Das stimmt uns vorsichtig optimistisch." Allerdings sei noch offen, in welchem Umfang die Bildungseinrichtungen Teile der Finanzhilfen wieder zurückzahlen müssen. "Es bleibt abzuwarten, wie sich mögliche Rückzahlungsforderungen auf die Branche auswirken", sagte Schlömp.

Markus Jantzer


Corona

Pandemie erschwert Gefangenen Weg in die Freiheit



Die Diakonie in Osnabrück hat auf die coronabedingten Probleme von Gefängnisinsassen aufmerksam gemacht, die sich auf ein Leben in Freiheit vorbereiten. Die meisten seien verunsichert und hätten Ängste, weil sie aufgrund ihres häufig schlechten Gesundheitszustandes durch Alkohol- und Drogenmissbrauch besonders gefährdet seien, schwer an Covid-19 zu erkranken, sagte der Leiter der Straffälligenhilfe, Burkhard Teschner, dem Evangelischen Pressedienst (epd).

In den Justizvollzugsanstalten (JVA), die zeitweilig komplett geschlossen gewesen seien und nach der Öffnung strengen Besuchsregeln unterlägen, hätten die Gefangenen sich diesbezüglich sicher gefühlt. Hilfen, etwa beim Übergangsmanagement oder in der Anlaufstelle für Straffällige, könnten ihnen aufgrund der Kontaktbeschränkungen zeitweise nur eingeschränkt angeboten werden, bedauerte der Experte.

Besuche zwecks Beratung sind möglich

Immerhin aber dürften die Fachleute aus der Straffälligenhilfe mittlerweile wieder zu Beratungssgesprächen in die Gefängnisse, etwa die JVA Lingen oder die Frauen JVA Vechta fahren, sagte Teschner. Im Lockdown des vergangenen Frühjahrs habe alles per Telefon geregelt werden müssen. Das sei sehr schwierig gewesen, weil sich ein stabiles Vertrauensverhältnis so kaum aufbauen lasse.

Allerdings seien wegen des Infektionsschutzes derzeit nur Einzel- und keine Gruppentreffen möglich. Die sonst einmal im Jahr in den Einrichtungen stattfindenden Messen mit Ständen etwa von Jobcentern, Schuldnerberatung, Suchtberatung oder Bewährungshilfe könnten derzeit nicht angeboten werden, erläuterte der Leiter. In den neun WG-Plätzen in Übergangswohnungen in Osnabrück seien Gruppentreffen derzeit ausgesetzt. "Wir versuchen das jetzt alles in Einzelgesprächen aufzufangen."

Digitalisierung als echte Herausforderung

Dabei geht es Teschner zufolge häufig auch um den Umgang mit der in der Corona-Pandemie rasant fortgeschrittenen Digitalisierung. "Diese Technik überfordert viele unserer Klienten, zum Beispiel wenn sie bei Behörden, die derzeit geschlossen sind, online Termine vereinbaren oder Formulare ausfüllen müssen."

Auch die Anlaufstelle für Straffällige in Osnabrück, eine von 14 in ganz Niedersachsen, habe mit Einschränkungen zu kämpfen, sagte der Leiter. Sie werde vielfach von kürzlich aus der Haft entlassenen Menschen sowie deren Angehörigen aufgesucht. Offene Sprechstunden würden derzeit nicht angeboten. Die Klienten müssten Termine vereinbaren oder sich telefonisch beraten lassen. In der Coronazeit sei der Zulauf von jährlich rund 500 Klienten um schätzungsweise 15 Prozent zurückgegangen.

Bewusst aufrechterhalten wird nach Teschners Worten das Beratungsangebot für Menschen, die zu häuslicher Gewalt neigen. Der Lockdown erhöhe die Gefahr für Gewalt in Familien. Das unter normalen Umständen angewandte Anti-Gewalt-Training in Gruppen werde aktuell durch regelmäßige Einzelgespräche ersetzt.

Martina Schwager


Frauen

Hänel: Versorgung von ungewollt Schwangeren wird immer schlechter




Kristina Hänel
epd-bild/Stephan Wallocha

Die Situation ungewollt schwangerer Frauen hat sich nach Aussage der Gießener Ärztin Kristina Hänel durch die Corona-Pandemie weiter verschlechtert. Viele Frauen in ihrer Praxis berichteten von "existenziellen Problemen, etwa weil sie ihren Arbeitsplatz verloren haben", sagte Hänel dem Evangelischen Pressedienst (epd). Die soziale Situation der Frauen sei "extrem viel schwieriger" geworden. "Das sind dann oft auch die Gründe für Abtreibungen."

Auch die Versorgung der Frauen, die eine Schwangerschaft abbrechen wollen, habe sich durch die Pandemie verschlechtert. Frauen berichteten von Schwierigkeiten, Termine bei Ärzten zu bekommen und von Problemen mit der Kostenerstattung durch die Krankenkassen. Im Frühjahr seien ambulante OP-Zentren geschlossen gewesen. Die Versorgungslage in Krankenhäusern sei noch schlechter als früher.

Gang nach Karlsruhe

Hänel, die 2017 vom Amtsgericht Gießen wegen Verstoßes gegen den Strafrechtsparagrafen 219a zu einer Geldstrafe verurteilt worden war, unterlag erneut vor Gericht: Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt verwarf die Revision Hänels gegen ein Urteil des Landgerichts Gießen.

Sie habe nach dem OLG-Beschluss einen "überwältigenden Zuspruch" erfahren, berichtete die Allgemeinmedizinerin. "Viele hatten den Fall Hänel schon ad acta gelegt." Jetzt sei aber vielen klargeworden, dass es verboten sei, wenn jemand sachlich über Schwangerschaftsabbrüche informiere. "Da kommt die enorme Unterstützung her", sagte Hänel.

Paragraf 219a des Strafgesetzbuches verbietet Werbung für den Abbruch einer Schwangerschaft. Seit einer Neuregelung im Februar 2019 dürfen Praxen zwar informieren, dass sie Schwangerschaftsabbrüche anbieten. Für weitere Informationen müssen sie aber auf offizielle Behörden verweisen. Die große Koalition hatte sich auf diesen Kompromiss geeinigt, nachdem die SPD ursprünglich für eine Abschaffung des Paragrafen plädiert hatte.

Hänel hatte bereits angekündigt, vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen. Ihre Chancen dort halte sie für ungewiss.

Nach dem OLG-Beschluss nahm sie die Informationen über Schwangerschaftsabbrüche von der Internetseite ihrer Praxis. Daraufhin veröffentlichte ihr Solidaritätsbündnis die Informationen im Netz.

Stefanie Walter


Grundgesetz

Expertin: "Der Gesetzentwurf stärkt die Kinderrechte nicht"



Am Gesetzentwurf des Bundeskabinetts zur Aufnahme von Kinderrechten ins Grundgesetz gibt es harsche Kritik. Der Entwurf falle "weit hinter die Grundprinzipien der UN-Kinderrechtskonvention zurück", sagte Kinderrechts-Expertin Luise Pfütze von der Organisation SOS-Kinderdorf dem Evangelischen Pressedienst (epd). Durch die vorgesehene Formulierung von Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) würden die Kinderrechte "nicht gestärkt, sondern möglicherweise sogar geschwächt", moniert sie. Pfütze leitet die politische Arbeit von SOS-Kinderdorf.

Das Bundeskabinett hatte am 20. Januar den Gesetzentwurf gebilligt, demzufolge Artikel 6 Absatz 2 des Grundgesetzes ergänzt werden soll. Pfütze - wie auch Vertreter anderer Kinderrechtsorganisationen und der Opposition - kritisiert daran, dass darin der Vorrang des Kindeswohls fehlt. In Lambrechts Formulierung soll das Kindeswohl lediglich "angemessen" berücksichtigt werden, nicht aber "vorrangig". "Das ist eine Leerformel", sagte Pfütze dem epd. Der Kindeswohlvorrang sei eines der Kernelemente der UN-Kinderrechtskonvention, die Deutschland 1992 ratifiziert habe.

Zudem nehme der Entwurf das Recht von Kindern auf Beteiligung nicht auf, moniert Pfütze. Die vorgesehene Formulierung, dass ihr Anspruch auf "rechtliches Gehör" zu wahren sei, bleibe ebenfalls weit hinter der UN-Konvention zurück. Diese spricht Kindern das Recht zu, "dass ihre Meinung in allen sie berührenden Angelegenheiten berücksichtigt wird", sagt Pfütze. Dagegen betoniere Lambrechts Engführung "bestenfalls nur den Status quo", denn einen Anspruch auf rechtliches Gehör hat laut Grundgesetz bereits jeder Bürger.

Kritik an paternalistischer Haltung in der Gesellschaft

Dass der Kabinettsentwurf so schwach sei, liegt laut Pfütze mit "an einer starken paternalistischen Haltung in Teilen der Gesellschaft und Politik". Man wolle Kinder nicht als Experten für ihr Lebensumfeld anerkennen, es mangele an Vertrauen. "Es herrscht zu oft noch die Einstellung: Am Ende wissen doch die Erwachsenen, was gut und richtig für die Kinder ist", kritisiert Pfütze. Sie fordert, dass explizite Kinderrechte im Grundgesetz nicht fehlen dürfen. Dieses sei "das juristische Fundament unserer Gesellschaft". Zudem sei die Verankerung ein "Signal an die Gesellschaft".

In Deutschland wird seit Jahrzehnten über die Aufnahme der Kinderrechte in die Verfassung diskutiert. Die aktuelle Bundesregierung hat sich das Vorhaben erstmalig in den Koalitionsvertrag geschrieben. Der Kabinettsentwurf geht nun ins parlamentarische Verfahren. Über die Grundgesetzänderung müssen Bundestag und Bundesrat abstimmen, benötigt wird dafür eine Zwei-Drittel-Mehrheit.

Christine Ulrich



sozial-Recht

Bundesarbeitsgericht

Nachweis von diskriminierendem Lohn erleichtert




Kundgebung zum Equal Pay Day am 18. März 2019
epd-bild/Jürgen Blume
Diskriminierenden Lohnunterschieden zwischen Männern und Frauen soll das relativ junge Entgelttransparenzgesetz entgegenwirken. Wie das Bundesarbeitsgericht nun urteilte, kann ein höheres mittleres Einkommen der männlichen Kollegen ein Indiz für eine Geschlechterdiskriminierung sein.

Frauen können künftig leichter ihren Anspruch auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit durchsetzen. Wie das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt am 21. Januar urteilte, reicht es als Indiz für eine Diskriminierung des Geschlechts aus, wenn Frauen weniger verdienen als das "mittlere Einkommen" der männlichen Vergleichsgruppe. Der Arbeitgeber ist dann in der Beweispflicht, dass keine Diskriminierung vorliegt, entschieden die Erfurter Richter.

Individueller Anspruch auf Auskunft

Damit Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer überhaupt überprüfen können, ob sie wegen ihres Geschlechts zu niedrig bezahlt werden, haben sie nach dem im Juli 2017 in Kraft getretenen Entgelttransparenzgesetz einen individuellen Auskunftsanspruch gegenüber ihren Arbeitgeber über die Vergütung der in dem Betrieb vergleichbar beschäftigten Frauen und Männer. Der Auskunftsanspruch besteht bei Unternehmen mit mehr als 200 Beschäftigten. Ein Beschäftigter kann auch mit Hilfe des Betriebsrates Auskunft darüber verlangen, wie viel andere im Betrieb verdienen.

Seit Inkrafttreten des Gesetzes war umstritten, was Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer als Beleg für eine Diskriminierung wegen des Geschlechts angeben sollen und in welcher Form der Arbeitgeber die Lohnbestandteile der anderen Beschäftigten offenlegen muss. Im Streitfall hatte die klagende Abteilungsleiterin der Landschaftlichen Brandkasse Hannover den Verdacht, dass sie viel weniger verdient als ihre vergleichbaren männlichen Kollegen. Sie verlangte daher von ihrem Arbeitgeber Auskunft über deren Entlohnung.

"Kein Kausalzusammenhang"

Dieser kam dem Auskunftsanspruch auch nach und teilte der Frau dann den sogenannten statistischen Median der sechsköpfigen männlichen Vergleichsgruppe mit. Dieser entspricht der Entlohnung des Mannes, die im Vergleich zu den anderen männlichen Kollegen genau in der Mitte liegt. Danach betrug das mittlere Grundgehalt 6.292 Euro brutto monatlich und damit 1.006 Euro mehr als das Grundgehalt der Klägerin. Die Männer erhielten zudem eine um 100 Euro höhere übertarifliche Zulage. Die Frau wertete die unterschiedliche Bezahlung als Indiz für eine Geschlechterdiskriminierung.

Das Landesarbeitsgericht (LAG) Niedersachsen urteilte, dass der statistische Median der Gehälter ihrer männlichen Kollegen kein Indiz für eine ungleiche Bezahlung sei. Es gebe keinen "Kausalzusammenhang zwischen der niedrigen Vergütung und ihrem Geschlecht". So sei es möglich, dass die männlichen Kollegen viel länger bei dem Arbeitgeber beschäftigt sind und daher auch mehr verdienen.

Dem widersprach jedoch das BAG und verwies das Verfahren an die Vorinstanz zurück. Das vom Arbeitgeber mitgeteilte höhere Vergleichsentgelt der männlichen Vergleichspersonen lasse "regelmäßig" auf eine Benachteiligung wegen des Geschlechts schließen. Werde solch ein Indiz vorgebracht, sei der Arbeitgeber verpflichtet, die Vermutung einer diskriminierenden Entlohnung zu widerlegen.

Informationen an den Betriebsrat

Das LAG müsse nun von der Vermutung einer Diskriminierung wegen des Geschlechts ausgehen und prüfen, ob andere Gründe die ungleiche Bezahlung rechtfertigen, etwa unterschiedliche Ausbildungen und Berufserfahrungen bei den höher entlohnten männlichen Kollegen. Im Streitfall hatte der Arbeitgeber außerdem angeführt, dass eine Frau unter allen Angestellten die bestbezahlte Beschäftigte ist.

Suchen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer für die Auskunft über die Entlohnung ihrer Kolleginnen und Kollegen die Unterstützung beim Betriebsrat, hat dieser nach dem Entgelttransparenzgesetz nicht generell Anspruch auf Einsicht in die Entgeltlisten der Beschäftigten. Denn der Arbeitgeber kann sich auch selbst bereiterklären, dem Betriebsrat Auskunft über die nach Geschlecht aufgeschlüsselten Lohnbestandteile der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu geben, entschied das BAG in einem weiteren Urteil vom 28. Juli 2020. Ein weiteres Einsichts- und Auswertungsrecht bestehe dann nicht mehr.

Im Streitfall hatte der Betriebsrat eines Telekommunikationsunternehmens Auskunft über die Bruttoentgeltlisten der Beschäftigten verlangt. Der Arbeitgeber sollte dem Betriebsausschuss - quasi die Geschäftsführung des Betriebsrates - die Angaben in elektronischer Form übermitteln. Das Unternehmen lehnte die Übermittlung der Bruttolohnlisten ab und gewährte nur Einblick in nach Geschlecht aufbereitete Entgeltlisten.

Zu Recht, befand das BAG. Erfülle der Arbeitgeber von sich aus den Auskunftsanspruch, könne der Betriebsrat nach dem Entgelttransparenzgesetz nicht in die Bruttoentgeltlisten Einsicht nehmen und diese selbst auswerten.

Ungeklärt ist, welche Rechte der Betriebsrat hat, wenn der Arbeitgeber die Entgeltlisten nicht aufbereitet. Hat er Anspruch auf Aushändigung von Excel-Listen oder nur in Papierform oder darf er nur - wie das Landesarbeitsgericht München am 17. Dezember 2019 entschied - nur Einsicht nehmen und sich Notizen machen? Das entsprechende Verfahren ist derzeit beim BAG unter dem Aktenzeichen 1 ABR 7/20 anhängig.

Az.: 8 AZR 488/19 (Indiz Diskriminierung)

Az.: 1 ABR 6/19 (Einsicht Entgeltlisten)

Frank Leth


Bundesverfassungsgericht

Klagen gegen menschenunwürdige Haftbedingungen teilweise erfolgreich



Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat zwei Gefangenen teilweise recht gegeben, die gegen menschenunwürdige Haftbedingungen geklagt hatten. In einem Fall wurde der Beschwerdeführer in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör und in der Gewährleistung des allgemeinen Willkürverbots verletzt worden, teilte das Gericht am 27. Januar mit. Der zweite Beschwerdeführer sei in seinem Anspruch auf Rechtsschutzgleichheit verletzt worden, hieß es. Beide Fälle wurden zur erneuten Entscheidung an das Landgericht Augsburg zurückverwiesen.

Die Beschwerdeführer waren im Jahr 2012 in bayerischen Justizvollzugsanstalten inhaftiert. Sie rügten die Unterbringung mit einem weiteren Gefangenen in zu kleinen Hafträumen mit baulich nicht abgetrennten Toiletten ohne gesonderte Abluftvorrichtung.

Sollte der Haftraum tatsächlich nur 7,41 Quadratmeter groß gewesen sein und dem Beschwerdeführer anteilig nur eine Fläche von etwa 3,7 Quadratmeter zur Verfügung gestanden haben, hätte das Landgericht die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte berücksichtigen müssen, so die Karlsruher Richter. Danach muss bei einer Fläche von unter vier Quadratmetern pro Gefangenem das Verbot der unmenschlichen Behandlung besonders intensiv geprüft werden.

Im zweiten Fall sei dem Kläger der Antrag auf Prozesskostenhilfe verwehrt worden. Das verletze seinen Anspruch auf Rechtsschutzgleichheit, hieß es. Die Erfolgsaussichten einer Amtshaftungsklage wegen menschenunwürdiger Haftunterbringung könnten nicht im Rahmen eines Prozesskostenhilfeverfahrens verneint werden, soweit Fragen der Menschenwürde bei der Unterbringungen ungeklärt seien, hieß es zur Begründung.

Az.: 1 BvR 117/16 und 1 BvR 149/16



Bundesverfassungsgericht

Beschwerde gegen elektronische Patientenakte gescheitert



Gesetzliche Krankenkassen dürfen weiter ohne ausdrückliche Zustimmung des Versicherten seine elektronische Patientenakte nutzen und diesem gezielt Angebote etwa zur Krankheitsvorsorge machen. Eine gegen die entsprechende gesetzliche Regelung eingelegte Verfassungsbeschwerde eines Versicherten wegen einer Verletzung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung wies das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe mit zwei am 26. Januar veröffentlichten Beschlüssen als unzulässig zurück.

Die geltenden Regelungen erlauben gesetzlichen Krankenkassen in Zusammenhang mit der elektronischen Patientenakte, "individuell geeignete Versorgungsinnovationen oder sonstige individuell geeignete Versorgungsleistungen" anzubieten. Dabei können Krankenkassen auf die in der elektronischen Patientenakte gespeicherten Sozialdaten eines Versicherten zugreifen.

Der Beschwerdeführer sah in den Vorschriften sein informationelles Selbstbestimmungsrecht verletzt. Er wandte sich dagegen, dass Krankenkassen von sich aus und ohne seine Einwilligung auf die in der elektronischen Patientenakte gespeicherten Sozialdaten zugreifen können. Nur bei ausdrücklichem Widerspruch könne die Datenauswertung untersagt werden. Damit verliere er die "Hoheit über seine Daten", argumentierte der Bürger.

Das Bundesverfassungsgericht wies die Verfassungsbeschwerde als unzulässig zurück. Die Nutzung der elektronische Patientenakte sei für Versicherte freiwillig. Der Beschwerdeführer habe es damit "selbst in der Hand, die geltend gemachte Verletzung in seinem Recht auf informationelle Selbstbestimmung anzuwenden, indem er seine Einwilligung zur Nutzung der elektronischen Patientenakte nicht erteilt". Auch der ebenfalls eingereichte Antrag auf einstweilige Anordnung wiesen die Verfassungsrichter ab. Der Versicherte hätte Rechtsschutz vor den Sozialgerichten suchen müssen.

Az.: 1 BvR 619/20 und 1 BvQ 108/20



Bundessozialgericht

Minijob kann Hartz-IV-Anspruch für EU-Bürger retten



Auch eine nur geringfügige Beschäftigung kann den Hartz-IV-Anspruch von nach Deutschland eingereisten EU-Bürgern begründen. Ein Anspruch auf Arbeitslosengeld II besteht erst recht, wenn die Kinder in Deutschland zur Schule gehen und die geringfügig oder teilzeitbeschäftigten Eltern deshalb ein Aufenthaltsrecht haben, entschied am 27. Januar das Bundessozialgericht (BSG) in zwei Verfahren. Die Kasseler Richter setzten damit die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes um.

Seit Januar dieses Jahres ist der gesetzliche Ausschluss von Hartz-IV-Leistungen für EU-Bürger mit in Deutschland zur Schule gehenden Kindern weggefallen. Sonst gilt nach den gesetzlichen Bestimmungen weiterhin, dass in Deutschland arbeitsuchende EU-Bürger vom Hartz-IV-Anspruch ausgeschlossen sind, wenn sie weder Arbeitnehmer sind oder über kein Aufenthaltsrecht verfügen.

Job aus Mitleid bekommen

Im ersten Verfahren war die psychisch kranke bulgarische Klägerin mit ihren zwei Kindern im April 2013 nach Deutschland eingereist. Die Kinder besuchten die Schule. Zwischen November 2014 und Februar 2015 ging die Frau einem Minijob als Verkäuferin nach und verdiente monatlich 250 Euro. Der Arbeitgeber hatte mitgeteilt, ihr den Job aus Mitleid gegeben zu haben.

Arbeitslosengeld II lehnte das Jobcenter Köln jedoch ab, weil sich die Bulgarin allein zur Arbeitsuche hier aufhalte. Sie sei auch nicht als Arbeitnehmerin einzustufen, weil ihr Minijob nur einen Umfang von acht Wochenstunden und der Arbeitgeber ihr die Stelle nur aus Mitleid gegeben habe, hieß es zur Begründung.

Das BSG verwies den Fall wegen fehlender Feststellungen an die Vorinstanz zurück. Allerdings gelte die Frau auch als Minijobberin mit einem Verdienst von nur 250 Euro als Arbeitnehmerin, so dass sie über ein Aufenthaltsrecht verfügte. Auch seien ihre Kinder hier zur Schule gegangen, so dass ihr auch deshalb Sozialleistungen zustehen könnten. Das Landessozialgericht müsse nun prüfen, ob unter Umständen der Sozialhilfeträger zu Leistungen verpflichtet ist.

Im zweiten Verfahren vor dem BSG ging es um einen Bulgaren, der als Elektrohelfer auf Abruf bei einer Firma für zwei Monate beschäftigt war. Dessen Tochter besuchte die Schule.Hier hatte das Jobcenter Bremen Hartz-IV-Zahlungen abgelehnt, weil der Mann sich nur zur Arbeitsuche in Deutschland aufhalte.

Das BSG sprach dem Mann kedoch Arbeitslosengeld-II-Leistungen zu. Als Teilzeitbeschäftigter sei er nach EU-Recht freizügigkeits- und damit aufenthaltsberechtigt. Seine Tochter besuche die Schule, so dass sich auch aus diesem Grund ein Hartz-IV-Anspruch ergebe.

Az.: B 14 AS 25/20 R und B 14 AS 42/19 R



Bundessozialgericht

Jobcenter muss trotz geförderter Ausbildung eventuell Miete decken



Wird die Ausbildung des Kindes einer Hartz-IV-Bezieherin von der Arbeitsagentur gefördert, darf das Jobcenter die Mutter bei der Übernahme ihrer Gesamtmiete nicht im Regen stehenlassen. Auch wenn die geförderte Auszubildende weiter ihren Lebensmittelpunkt im Haushalt der Mutter hat, sie die Miete aber nicht bezahlen kann, könne das Jobcenter im Einzelfall aus Härtegründen weiter zur Übernahme der vollen Unterkunftskosten verpflichtet sein, urteilte am 27. Januar das Bundessozialgericht in Kassel.

Im Streitfall hatte das Jobcenter Vorderpfalz Ludwigshafen der klagenden Hartz-IV-Bezieherin statt rund 500 Euro Unterkunftskosten nur noch 250 Euro für Miete und Nebenkosten monatlich bezahlt. Als Grund wurde angegeben, dass ihre in der Wohnung lebende Tochter nicht mehr berücksichtigt werden könne. Sie habe eine von der Arbeitsagentur geförderte Ausbildung in einem Reha-Zentrum begonnen. Damit sei das Jobcenter nicht mehr für sie zuständig.

Lebensmittelpunkt bei der Mutter

Die Tochter war während ihrer Ausbildung internatsähnlich untergebracht, hatte aber weiterhin ihren Lebensmittelpunkt in der Wohnung der Mutter. Ihren Mietanteil an der Wohnung konnte sie nicht bezahlen. Ohne Erfolg verwies die Mutter darauf, dass sie ohne den Unterkunftskostenanteil ihrer Tochter die Gesamtmiete nicht mehr begleichen könne.

Das Bundessozialgericht verwies den Fall an das Landessozialgericht Rheinland-Pfalz zurück. Grundsätzlich müsse das Jobcenter nicht für den Wohnbedarf anderer, in derselben Wohnung lebenden Personen aufkommen, sondern müsse nur den Unterkunftsbedarf der Hilfebedürftigen decken. Im Einzelfall könne davon aber abgewichen werden. So müsse das Jobcenter prüfen, ob es der Tochter ein Darlehen für ihren Mietanteil hätte gewähren müssen. Komme dies nicht in Betracht, könne aus Härtegründen das Jobcenter zur Übernahme der Gesamtmiete verpflichtet sein. Die hierzu nötigen Feststellungen müsse das Landessozialgericht noch treffen, befand das Bundessozialgericht.

Az.: B 14 AS 35/19 R



Bundesarbeitsgericht

Beschränkte Haftung für Betriebsrenten bei Insolvenz



Der Käufer eines pleitegegangenen Unternehmens muss für die Betriebsrentenansprüche der übernommenen Beschäftigten, die vor Einleitung des Insolvenzverfahrens entstanden sind, nicht haften. Dies hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt am 26. Januar in zwei Urteilen entschieden und die Klagen zweier Betriebsrentner abgewiesen.

Die beiden Männer waren bei einem Autoteilezulieferer beschäftigt, bei dem sie eine betriebliche Altersversorgung erwirtschafteten. Die Höhe der Betriebsrente berechnete sich nach der Anzahl der Dienstjahre und einem zu einem bestimmten Stichtag vor dem Ausscheiden erzielten Gehalt.

Als am 1. März 2009 das Insolvenzverfahren über das Unternehmen eröffnet wurde, blieben die Kläger einen Monat im ungewissen, wie es mit dem Betrieb weitergeht. Schließlich wurde die Firma verkauft und von einem anderen Unternehmen übernommen. Bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens sprang der Pensions-Sicherungs-Verein für die bis dahin erwirtschafteten Anwartschaften ein. Dieser legte aber entsprechend den gesetzlichen Regelungen für die Betriebsrentenberechnung das damals niedrigere Einkommen zugrunde. Die Kläger meinten, dass mit dem Betriebsübergang auf das neue Unternehmen dieses nun für die ursprünglich zugesagten höheren Betriebsrentenansprüche haften müsse.

Die obersten Arbeitsrichter in Erfurt urteilten, dass die Haftung eines Betriebserwerbers für Betriebsrentenansprüche beschränkt sei. So müsse dieser nicht für Ansprüche geradestehen, die vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sind. Dies verstoße auch nicht gegen EU-Recht, sofern ein Mindestschutz für Betriebsrentner erhalten bleibt. Dies werde in Deutschland aber mit den Ansprüchen gegenüber dem Pensions-Sicherungs-Verein gewährleistet.

Az.: 3 AZR 139/17 und 3 AZR 878/16



Landessozialgericht

Volle Sozialversicherungsbeiträge für Promotionsstipendiaten



Empfänger von Promotionsstipendien müssen einer Entscheidung des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen zufolge volle Kranken- und Pflegeversicherungsbeträge entrichten. Ausgangspunkt der Entscheidung war die die Klage einer Doktorandin aus Bremen, wie das Gericht am 25. Januar mitteilte. Sie erhielt eine Förderung der Hans-Böckler-Stiftung aus einem Grundstipendium von 1.050 Euro pro Monat und einer Kostenpauschale von 100 Euro pro Monat. Die Forschungskostenpauschale war zweckgebunden für die Finanzierung von Literatur und Sach- und Reisekosten zu verwenden.

Die Krankenkasse berechnete die Beiträge aus erzielten Einnahmen von 1.150 Euro. Sie führte dazu aus, dass zur Beitragsberechnung die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit maßgeblich sei. Die Stipendiatin war allerdings nur bereit, Beiträge auf das Grundstipendium zu zahlen, da allein dies dem Lebensunterhalt diene. Die Pauschale dürfe nur für Forschungszwecke verwendet werden. Deshalb sei etwa der Kauf eines Brötchens in der Mensa aus den Mitteln der Pauschale ebenso wenig zulässig wie der Abzug von Beiträgen.

Das Landessozialgericht habe mit seinem Urteil die Rechtsauffassung der Krankenkasse bestätigt, hieß es. Zur Begründung sei die jüngere Rechtsprechung des Bundessozialgerichts herangezogen worden, wonach nur solche Einnahmen von der Beitragsberechnung ausgeklammert werden, die einer gesetzlichen Zweckbindung unterliegen. Die Zweckbindung der Stiftung sei rein privatrechtlich ausgestaltet.

Az.: L 16 KR 333/17



Landessozialgericht

Leistungen für Asylsuchende: Fall geht zum Bundesverfassungsgericht



Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen in Celle hat die Regelungen des Asylbewerberleistungsgesetzes dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung vorgelegt. Es gehe um die Frge, ob die gewährten Leistungen für ein menschenwürdiges Existenzminimum ausreichen, sagte Gerichtssprecher Carsten Kreschel am 26. Januar dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Im vorliegenden Fall haben eine Mutter und ihr Kind geklagt. Die geduldeten Asylbewerber aus Eritrea leben im Landkreis Osterholz. Sie erhalten Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Die Klägerinnen wandten sich gegen die Höhe der Leistungsbewilligung im Jahr 2018 mit der Begründung, die Bargeldleistungen seien seit Ende 2016 nicht an die Teuerung angepasst worden. In der ersten Instanz hatte das Sozialgericht die beklagte Kommune zur Zahlung höherer Leistungen verurteilt.

Die Gemeinde berief sich auf den Gesetzgeber. Dieser und nicht die Kommune habe die Höhe der Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums einer fortwährenden Überprüfung und Weiterentwicklung zu unterziehen. Unabhängig davon machten die gegebenenfalls vorzunehmenden Anpassungen einen sehr geringen Umfang aus.

Asylbewerber erhalten geringere Hilfen als Sozialhilfeempfänger oder Bezieher von Hartz IV. Aktuell bekommen Alleinstehende und Alleinerziehende 364 Euro im Monat.



Verwaltungsgericht

83-Jähriger scheitert mit Antrag auf sofortige Impfung



Ein 83-Jähriger ist mit seinem Antrag auf eine unverzügliche Schutzimpfung gegen das Coronavirus vor dem Verwaltungsgericht Hannover gescheitert. Nach Angaben des Gerichtes war er der Auffassung, aufgrund seines Alters, seiner Vorerkrankungen sowie als Vater von zwei schulpflichtigen Kindern einen Anspruch auf die Impfung zu haben. Es handele sich um einen Härtefall. Diese Auffassung teilte das Gericht in dem am 26. Januar veröffentlichtem Urteil nicht.

Der Mann könne einen Anspruch auf sofortige Schutzimpfung gegen das niedersächsische Gesundheitsministerium weder aus der Coronavirus-Impfverordnung noch aus Teilhabeansprüchen herleiten, erläuterte eine Sprecherin das am Vortag gefällte Urteil. Zwar gehört er nach Auffassung des Gerichts der Impfgruppe mit höchster Priorität an. Da dem Land aber derzeit nicht ausreichend Impfstoff zur Verfügung stehe, sei die Entscheidung, zunächst Bewohner von Alten- und Pflegeheimen mit dem Impfstoff zu versorgen, nicht zu beanstanden.

Kein besonderer Härtefall

Bewohner von Alten- und Pflegeheimen hätten die ein deutlich erhöhtes Risiko, sich mit dem Coronavirus zu infizieren und an Covid-19 zu sterben, erläuterte die Sprecherin. Zudem bestehe bei einem Ausbruch im Pflege- und Altenheim das Risiko einer raschen Verbreitung des Virus. Dies könne zu besonderen Belastungen der Intensivbettkapazitäten in den Kliniken führen.

Der 83-Jährige sei zudem kein besonderer Härtefall. Auch er könne sich etwa durch Kontaktvermeidung vor einer Ansteckung schützen. Für seine Kinder bestehe derzeit zudem keine Verpflichtung, die Schule zu besuchen, da - auch für das jüngere Kind - die Präsenzpflicht aktuell aufgehoben und die Befreiung von der Präsenzbeschulung bereits beantragt worden sei. Zwar ergebe sich für die Kinder und den Vater eine hohe Belastung, dies gelte derzeit jedoch gleichermaßen für alle Familien mit schulpflichtigen Kindern und gesundheitlich vorbelasteten Haushaltsangehörigen.

Gegen die Entscheidung kann der Antragsteller Beschwerde vor dem Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht in Lüneburg erheben.

Az.: 15 B 269/21




sozial-Köpfe

Kirchen

Wolfgang Teske als Vorstand der Diakonie Mitteldeutschland verabschiedet




Wolfgang Teske
epd-bild/Gustavo Alabiso
25 Jahre lang war Wolfgang Teske für die Diakonie tätig, die vergangenen zehn Jahre in Mitteldeutschland. Er sei faktisch nie "offline" gewesen, würdigte ihn Landesbischof Kramer beim Gottesdienst zur Verabschiedung in den Ruhestand.

Mit einem Gottesdienst ist der Kaufmännische Vorstand der Diakonie Mitteldeutschland, Wolfgang Teske, am 20. Januar in Halle feierlich in den Ruhestand verabschiedet worden. Der Landesbischof der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM), Friedrich Kramer, und der Kirchenpräsident der Evangelischen Landeskirche Anhalts, Joachim Liebig, würdigten die Arbeit des promovierten Juristen. Seine Nachfolge tritt zum 1. Februar Martina von Witten an.

Immer im Dienst

Kramer hob die "unermüdliche und weit über das Obligatorische hinausgehende Arbeit" Teskes hervor. Der Diakonie-Vorstand, zu dessen Aufgaben auch die Digitalisierung des Wohlfahrtsverbandes gehört habe, sei faktisch niemals "offline" gewesen. Aus den Händen Liebigs erhielt Teske das Goldene Kronenkreuz der Diakonie.

Christoph Stolte bescheinigte in einem Grußwort seinem Vorstandskollegen, der seit über 25 Jahren für die Diakonie und davon das letzte Jahrzehnt in Halle tätig war, viel bewegt zu haben. "Er hat es verstanden, abstrakte juristische Fragen und unsere diakonische und gesellschaftliche Wirklichkeit zu verknüpfen - zu konkretem und verantwortlichem Handeln", sagte der Oberkirchenrat.

"Massive Schwierigkeiten"

Teske schaute in Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) mit Sorge auf die Zeit nach der Corona-Krise. Manche Finanzpolitiker, die in der Pandemie noch das Füllhorn ausschütteten, wollten anschließend heute noch gesetzlich garantierte Leistungen massiv einschränken. "Das wird viele diakonische Einrichtungen in massive Schwierigkeiten bringen", warnte er. Die Begleitung Suchtkranker oder die Hilfe in schwierigen sozialen Verhältnissen werde schon heute immer wieder infrage gestellt. Es sei zu befürchten, "dass mit knapper werdenden Haushaltsmitteln auch wieder die Rufe nach Privatisierung von Einrichtungen oder Kliniken lauter werden", sagte Teske.

Bei der Diakonie Mitteldeutschland verantwortete Teske die Bereiche Wirtschaft, Finanzen und Recht. Von 1995 bis 2011 gehörte er dem Vorstand im Diakonischen Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) an und war Vizepräsident im Bundesverband der Diakonie. Die Diakonie Mitteldeutschland der EKM und der Landeskirche Anhalts umfasst weitgehend die Landesgebiete von Sachsen-Anhalt und Thüringen. In mehr als 1.700 Einrichtungen und Diensten arbeiten rund 30.000 Menschen.



Weitere Personalien



Claudia Bausewein ist zur neuen Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) gewählt worden. Die Direktorin der Klinik und Poliklinik für Palliativmedizin, LMU Klinikum München, löst damit Lukas Radbruch ab, der sechs Jahre lang Präsident der medizinischen Fachgesellschaft war. Wesentliche Herausforderungen für die zukünftige Arbeit der wissenschaftlichen Fachgesellschaft sind laut der für die kommenden zwei Jahre gewählten DGP-Präsidentin Bausewein die Pandemie und die Debatte um den assistierten Suizid: "Sie dominieren im Moment die Diskussionen und brauchen auch weiter unsere volle Aufmerksamkeit." Seit Gründung im Jahr 1994 ist es Anliegen der DGP, die Fortentwicklung der Palliativmedizin und Palliativversorgung interdisziplinär und berufsgruppenübergreifend zu fördern.

Susanne Munzert ist die neue Oberin der geistlichen Gemeinschaften von Diakoneo in Neuendettelsau. Die 53-jährige Theologin wird zusammen mit einem Rat die Gemeinschaft leiten. Die "Diakoneo Gemeinschaft Neuendettelsau" (DGN) war im vergangenen Jahr aus einer Fusion der bislang eigenständigen Diakonissengemeinschaft, der Diakonische Schwestern- und Brüderschaft sowie der Diakonatsgemeinschaft entstanden. Munzert war nach ihrem Studium an der Augustana-Hochschule Neuendettelsau und in Marburg von 2003 bis 2014 an der Augustana als Assistentin am Lehrstuhl für Systematische Theologie tätig. Im Herbst 2020 übernahm sie als geschäftsführende Pfarrerin die Diakoniegemeinde St. Laurentius in Neuendettelsau. Diakoneo ist eines der größten evangelischen Sozialunternehmen in ganz Deutschland und das größte in Bayern.

Uta Gaidys ist neues Mitglied des Wissenschaftsrats. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat die Professorin für Pflegewissenschaft und Leiterin des Departments Pflege und Management der HAW Hamburg ab dem 1. Februar für drei Jahre in den Wissenschaftsrat berufen. Der Wissenschaftsrat ist das wichtigste wissenschaftspolitische Beratungsgremium für die Bundesregierung und die Regierung der Länder in Deutschland. Gaidys zeichnet ein hoher Einsatz für Forschungsprojekte hinsichtlich Fragestellungen der pflegerischen Versorgung von Menschen mit chronischen Erkrankungen und ihren ethischen Implikationen aus. In einer aktuellen Studie wurden von ihr 2.500 Pflegende in Deutschland befragt, was sie in der aktuellen Pandemie besonders belastet.

Margarete Reske, pensionierte Kölner Richterin, ist auf der ersten Sitzung der für die katholische Kirche zuständigen Unabhängigen Kommission für Anerkennungsleistungen (UKA) zur Vorsitzenden gewählt worden. Reske war bis zu ihrer Pensionierung Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Köln. Zu ihrem Stellvertreter bestimmte die Kommission Ernst Hauck, ehemaliger Vorsitzender des 1. Senats des Bundessozialgerichts. Die UKA nimmt Anträge von Betroffenen sexualisierter Gewalt entgegen und entscheidet über die Höhe der Leistungen. Sie ist ein interdisziplinär besetztes Gremium aus sieben Fachleuten aus den Bereichen Recht, Medizin und Psychologie. Die Mitglieder stehen in keinem Anstellungsverhältnis mit der katholischen Kirche und arbeiten weisungsunabhängig.

Wiebke Müller ist die neue Ansprechperson am Vertrauenstelefon für Betroffene sexualisierter Gewalt der evangelischen Landeskirche in Baden. Die Diplom‐Pädagogin und Supervisorin folgte zum Jahreswechsel auf den Psychologen Peter Linzer, der seit der Einrichtung des unabhängigen Vertrauenstelefons vor zehn Jahren als telefonischer Ansprechpartner zur Verfügung gestanden hatte. Das Vertrauenstelefon wurde von der Landeskirche initiiert, um Menschen, die durch kirchliche Mitarbeitende oder im Rahmen kirchlicher Strukturen sexualisierte Gewalt erlebt haben, eine geschützte Kontaktaufnahme zu ermöglichen.

Alfons Ummenhofer verstärkt seit Jahresanfang die Geschäftsführung der Liebenau Kliniken in Meckenbeuren. Bis Ende 2020 war Irmgard Möhrle-Schmäh alleinige Geschäftsführerin der gemeinnützigen Tochtergesellschaft der katholischen Stiftung Liebenau. Ummenhofer ist seit 34 Jahren in der Stiftung Liebenau und seit 27 Jahren in verschiedenen Funktionen in den Liebenau Kliniken tätig. Die Kliniken beschäftigen 540 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Peter Dabrock (57) ist in den Stiftungsrat des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels berufen worden. Der Professor für Systematische Theologie an der Friedrich-Alexander-Universität in Erlangen-Nürnberg tritt die Nachfolge des katholischen Tübinger Theologen Karl-Josef Kuschel an. Dabrock befasst sich vor allem mit der Ethik von Biowissenschaften, von Keimbahnintervention bis Künstliche Intelligenz. Von 2016 bis 2020 war der evangelische Theologe Vorsitzender des Deutschen Ethikrates.




sozial-Termine

Veranstaltungen bis Februar



Wir haben Tagungen, Seminare, Workshops und Webinare aufgelistet, die aktuell geplant sind. Wegen der Corona-Epidemie sagen Veranstalter allerdings Termine auch kurzfristig ab. Wir bitten unsere Leserinnen und Leser, dies zu beachten.

Februar

1.-3.2.:

Online-Seminar "Phänomen Trauma als Herausforderung für die Sozialarbeit"

der Fortbildungsakademie des Deutschen Caritasverbandes

Tel.: 0761/200-1700

8.2. Köln:

Seminar "Die Arbeitsergebnisrechnung von Werkstätten für behinderte Menschen in Zeiten einer Pandemie"

der BFS Service GmbH

Tel.: 0221/97356-159

10.2. Köln:

Seminar "Kostenrechnung für ambulante Pflege- und Betreuungsdienste"

der BFS Service GmbH

Tel.: 0221/97356-159

11.2.:

Online-Fortbildung "Umkämpfte Familien- und Geschlechterbilder: Einstehen für gesellschaftliche Vielfalt"

der Bundesakademie für Kirchen und Diakonie

Tel.: 030/48837-488

17.2.:

Online-Seminar "Stabübergabe im Verein - wie der Wechsel im Vorstand gelingt"

der Paritätischen Akademie Süd

Tel.: 0711/25298-920

17.-19.2.:

Online-Seminar: "Sozialräumliches Arbeiten in migrantisch geprägten Quartieren"

der Bundesakademie für Kirche und Diakonie

Tel.: 030/48837-488

18.-19.2.:

Online-Seminar: "Mit Mitarbeiter/Innen sprechen 2.0"

der Fortbildungsakademie der Caritas

Tel.: 0761/200-1700

22.-24.2.:

Online-Seminar "Der Offene Dialog als wertebasierte Kommunikation - Die harte Realität der weichen Organisationsentwicklung

der Fortbildungsakademie der Caritas

Tel.: 0761/200-1700

24.2.:

Online-Fortbildung "Die Herausforderungen und Chancen für die Führungskraft bei der Realisierung der Selbststeuerung"

der Bundesakademie für Kirche und Diakonie

Tel.: 030/48837-488