sozial-Recht

Bundesarbeitsgericht

Nachweis von diskriminierendem Lohn erleichtert




Kundgebung zum Equal Pay Day am 18. März 2019
epd-bild/Jürgen Blume
Diskriminierenden Lohnunterschieden zwischen Männern und Frauen soll das relativ junge Entgelttransparenzgesetz entgegenwirken. Wie das Bundesarbeitsgericht nun urteilte, kann ein höheres mittleres Einkommen der männlichen Kollegen ein Indiz für eine Geschlechterdiskriminierung sein.

Frauen können künftig leichter ihren Anspruch auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit durchsetzen. Wie das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt am 21. Januar urteilte, reicht es als Indiz für eine Diskriminierung des Geschlechts aus, wenn Frauen weniger verdienen als das "mittlere Einkommen" der männlichen Vergleichsgruppe. Der Arbeitgeber ist dann in der Beweispflicht, dass keine Diskriminierung vorliegt, entschieden die Erfurter Richter.

Individueller Anspruch auf Auskunft

Damit Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer überhaupt überprüfen können, ob sie wegen ihres Geschlechts zu niedrig bezahlt werden, haben sie nach dem im Juli 2017 in Kraft getretenen Entgelttransparenzgesetz einen individuellen Auskunftsanspruch gegenüber ihren Arbeitgeber über die Vergütung der in dem Betrieb vergleichbar beschäftigten Frauen und Männer. Der Auskunftsanspruch besteht bei Unternehmen mit mehr als 200 Beschäftigten. Ein Beschäftigter kann auch mit Hilfe des Betriebsrates Auskunft darüber verlangen, wie viel andere im Betrieb verdienen.

Seit Inkrafttreten des Gesetzes war umstritten, was Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer als Beleg für eine Diskriminierung wegen des Geschlechts angeben sollen und in welcher Form der Arbeitgeber die Lohnbestandteile der anderen Beschäftigten offenlegen muss. Im Streitfall hatte die klagende Abteilungsleiterin der Landschaftlichen Brandkasse Hannover den Verdacht, dass sie viel weniger verdient als ihre vergleichbaren männlichen Kollegen. Sie verlangte daher von ihrem Arbeitgeber Auskunft über deren Entlohnung.

"Kein Kausalzusammenhang"

Dieser kam dem Auskunftsanspruch auch nach und teilte der Frau dann den sogenannten statistischen Median der sechsköpfigen männlichen Vergleichsgruppe mit. Dieser entspricht der Entlohnung des Mannes, die im Vergleich zu den anderen männlichen Kollegen genau in der Mitte liegt. Danach betrug das mittlere Grundgehalt 6.292 Euro brutto monatlich und damit 1.006 Euro mehr als das Grundgehalt der Klägerin. Die Männer erhielten zudem eine um 100 Euro höhere übertarifliche Zulage. Die Frau wertete die unterschiedliche Bezahlung als Indiz für eine Geschlechterdiskriminierung.

Das Landesarbeitsgericht (LAG) Niedersachsen urteilte, dass der statistische Median der Gehälter ihrer männlichen Kollegen kein Indiz für eine ungleiche Bezahlung sei. Es gebe keinen "Kausalzusammenhang zwischen der niedrigen Vergütung und ihrem Geschlecht". So sei es möglich, dass die männlichen Kollegen viel länger bei dem Arbeitgeber beschäftigt sind und daher auch mehr verdienen.

Dem widersprach jedoch das BAG und verwies das Verfahren an die Vorinstanz zurück. Das vom Arbeitgeber mitgeteilte höhere Vergleichsentgelt der männlichen Vergleichspersonen lasse "regelmäßig" auf eine Benachteiligung wegen des Geschlechts schließen. Werde solch ein Indiz vorgebracht, sei der Arbeitgeber verpflichtet, die Vermutung einer diskriminierenden Entlohnung zu widerlegen.

Informationen an den Betriebsrat

Das LAG müsse nun von der Vermutung einer Diskriminierung wegen des Geschlechts ausgehen und prüfen, ob andere Gründe die ungleiche Bezahlung rechtfertigen, etwa unterschiedliche Ausbildungen und Berufserfahrungen bei den höher entlohnten männlichen Kollegen. Im Streitfall hatte der Arbeitgeber außerdem angeführt, dass eine Frau unter allen Angestellten die bestbezahlte Beschäftigte ist.

Suchen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer für die Auskunft über die Entlohnung ihrer Kolleginnen und Kollegen die Unterstützung beim Betriebsrat, hat dieser nach dem Entgelttransparenzgesetz nicht generell Anspruch auf Einsicht in die Entgeltlisten der Beschäftigten. Denn der Arbeitgeber kann sich auch selbst bereiterklären, dem Betriebsrat Auskunft über die nach Geschlecht aufgeschlüsselten Lohnbestandteile der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu geben, entschied das BAG in einem weiteren Urteil vom 28. Juli 2020. Ein weiteres Einsichts- und Auswertungsrecht bestehe dann nicht mehr.

Im Streitfall hatte der Betriebsrat eines Telekommunikationsunternehmens Auskunft über die Bruttoentgeltlisten der Beschäftigten verlangt. Der Arbeitgeber sollte dem Betriebsausschuss - quasi die Geschäftsführung des Betriebsrates - die Angaben in elektronischer Form übermitteln. Das Unternehmen lehnte die Übermittlung der Bruttolohnlisten ab und gewährte nur Einblick in nach Geschlecht aufbereitete Entgeltlisten.

Zu Recht, befand das BAG. Erfülle der Arbeitgeber von sich aus den Auskunftsanspruch, könne der Betriebsrat nach dem Entgelttransparenzgesetz nicht in die Bruttoentgeltlisten Einsicht nehmen und diese selbst auswerten.

Ungeklärt ist, welche Rechte der Betriebsrat hat, wenn der Arbeitgeber die Entgeltlisten nicht aufbereitet. Hat er Anspruch auf Aushändigung von Excel-Listen oder nur in Papierform oder darf er nur - wie das Landesarbeitsgericht München am 17. Dezember 2019 entschied - nur Einsicht nehmen und sich Notizen machen? Das entsprechende Verfahren ist derzeit beim BAG unter dem Aktenzeichen 1 ABR 7/20 anhängig.

Az.: 8 AZR 488/19 (Indiz Diskriminierung)

Az.: 1 ABR 6/19 (Einsicht Entgeltlisten)

Frank Leth