sozial-Editorial

Liebe Leserin, lieber Leser




Markus Jantzer
epd-bild/Norbert Neetz

Das Urteil ist ein Paukenschlag: Die Diakonie Deutschland muss einer abgelehnten Stellenbewerberin ohne Kirchenzugehörigkeit eine Entschädigung zahlen. Die Berlinerin Vera Egenberger klagte erfolgreich wegen Diskriminierung aufgrund von Religion.

Union und SPD haben bezahlbaren Wohnraum zur sozialen Frage unserer Zeit erklärt. Aber sie sind sich nicht einig, welche Antwort sie darauf geben wollen. Das Mieterschutzgesetz der Koalition ist der Opposition im Bundestag Anlass für scharfe Kritik. Der Sozialverband SoVD hat eine eigene Studie zur Wohnungsnot vorgelegt.

Die AfD stellt sich wählerwirksam als Schutzmacht "der kleinen Leute" dar. Seit genau einem Jahr ist sie im Bundestag. Kritiker sagen im epd-sozial-Interview, sozial Benachteiligte spielten nur in der AfD-Propaganda eine zentrale Rolle, nicht aber in der Parlamentstätigkeit der Partei.

Seit 13 Jahren ist die Vergütung der Berufsbetreuer nicht angehoben worden. Deshalb fordert der Dachverband mehr Geld. Dessen Vorsitzender Thorsten Becker verlangt in seinem Gastbeitrag für epd sozial außerdem mehr Zeit pro Betreuungsfall.

Arbeitgeber dürfen Stellenbewerber nicht allein deshalb ablehnen, weil sie Rentner sind. Andernfalls machen sie sich nach einem Gerichtsurteil der Altersdiskriminierung schuldig und müssen dem Bewerber eine Entschädigung zahlen.

Hier geht es zur Gesamtausgabe von epd sozial 43/2018.

Eine interessante Lektüre wünscht Ihnen

Markus Jantzer

Ich freue mich über Ihre Email.




sozial-Thema

Kirchenurteil

Klägerin erhält Entschädigung wegen kirchlicher Einstellungspraxis




Die Klägerin Vera Egenberger mit ihrem Anwalt Klaus Bertelsmann im Gerichtssaal
epd-bild/Jens-Ulrich Koch
Kirchliche Arbeitgeber dürfen die Religionszugehörigkeit nach einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts nicht in jedem Fall zur Voraussetzung bei Stellenbesetzungen machen.

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt sprach am 25. Oktober der Berlinerin Vera Egenberger eine Entschädigung in Höhe von rund 3.915 Euro zu. Egenberger hatte gegen das Evangelische Werk für Diakonie und Entwicklung geklagt, weil sie bei der Auswahl für eine Referentenstelle nicht berücksichtigt worden war. Egenberger, die keiner Kirche angehört, die Stellenausschreibung dies aber zur Voraussetzung machte, machte Diskriminierung aufgrund der Religion geltend. Das BAG gab ihr recht. Die Diakonie habe die Klägerin benachteiligt, hieß es in der mündlichen Begründung des Urteils.

Der EuGH gab die Richtung vor

Zur Begründung führte die Vorsitzende Richterin Anja Schlewing aus, dass die im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) formulierte Ausnahme, nach der Religionsgemeinschaften als Arbeitgeber ein Bekenntnis zur Voraussetzung machen dürfen, in diesem Fall keine Anwendung gefunden habe.

Hintergrund ist ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) im Fall Egenberger. Die Luxemburger Richter hatten im April entschieden, dass die Anforderung einer Kirchenmitgliedschaft im konkreten Fall "wesentlich, rechtmäßig und gerechtfertigt" sowie gerichtlich überprüfbar sein müsse. Dieses Urteil war laut Schlewing nun maßgeblich für das Bundesarbeitsgericht.

Man habe im vorliegenden Fall erhebliche Zweifel an der Wesentlichkeit der beruflichen Anforderung gehabt, erklärte die Richterin. Mit der Nichtzugehörigkeit Egenbergers zu einer Kirche sei "keine wahrscheinliche oder erhebliche Gefahr" entstanden, dass das Ethos der Religionsgemeinschaft dadurch beeinträchtigt werden könnte.

Dreistündige Verhandlung

Dem Urteil ging am 25. Oktober eine fast dreistündige Verhandlung voraus. Dabei ging es um grundsätzliche Fragen der kirchlichen Einstellungspraxis, die die Kirchen als Teil ihres grundgesetzlich zugesicherten Selbstbestimmungsrechts betrachten. Richterin Schlewing warf auch die Frage auf, ob mit dem Fall verbundene grundsätzliche Fragen vom Bundesverfassungsgericht geklärt werden müssen. Mit Hinweis auf den Zwiespalt zwischen dem EuGH-Urteil und dem deutschen Gleichbehandlungsgesetz sagte sie, man sei an "einem ganz schwierigen Punkt angelangt".

Die Klägerin Vera Egenberger zeigt sich zufrieden mit dem Urteil. "Die Punkte, die ich kritisiert habe, wurden aufgegriffen und anerkannt, dass es dazu künftig eine andere Einschätzung geben muss», sagte die Sozialpädagogin in Erfurt dem Evangelischen Pressedienst (epd). Das bedeute, dass in der Zukunft geprüft werden müsse, ob eine fehlende Mitgliedschaft in der Kirche für die ausgeschriebene Tätigkeit eine Nichtberücksichtigung wirklich rechtfertige.

ver.di: Urteil schafft mehr Gerechtigkeit

"Bei mir war das nicht der Fall», sagte Egenberger. Ihr habe am Herzen gelegen, dass das grundsätzliche Prinzip geklärt werde. Daher empfinde sie das Urteil als richtig und fair. Noch einmal werde sie sich bei einer kirchlichen Einrichtung nicht bewerben. "Vor zwei Wochen hat mir mein aktueller Arbeitgeber mitgeteilt, dass ich unbefristet eingestellt werde", sagte Egenberger.

Die Gewerkschaft ver.di begrüßte die Gerichtsentscheidung. "Das wegweisende Urteil schafft mehr Gerechtigkeit." Damit entfielen starke Einschränkungen für Menschen, die darauf angewiesen seien, beim zweitgrößten Arbeitgeber Deutschlands, den Kirchen und ihren Wohlfahrtsverbänden, zu arbeiten. "Es ist gut, wenn bei verkündigungsfernen Tätigkeiten auch für kirchliche Arbeitgeber nur noch die Eignung und Qualifikation zählen darf und nicht mehr so etwas sehr Persönliches wie der Glaube", sagte Sylvia Bühler, Mitglied im ver.di-Bundesvorstand.

Für den Fall einer gerichtlichen Niederlage hatte Diakonie-Präsident Ulrich Lilie angekündigt, man behalte sich einen Gang nach Karlsruhe vor. Nach der Entscheidung äußerte er sich enttäuscht. Wenn es dabei bleibe, "dann können wir alles durch Weisungsrecht machen, dann brauchen wir überhaupt keine evangelischen Christen in unseren Einrichtungen mehr", so Lilie. Es sei eine einschneidende neue Rechtsprechung, "die unser Selbstverständnis schon erheblich berührt", so Lilie. Vor einer Entscheidung über die mögliche Anrufung des Bundesverfassungsgerichts wolle man aber die Urteilsbegründung sorgfältig prüfen.

Az.: 8 AZR 501/14

Corinna Buschow


Kirchenurteil

"An einem ganz schwierigen Punkt angelangt"




Das Bundesarbeitsgericht in Erfurt
epd-bild/Jens-Ulrich Koch
Es habe "das Zeug zum Grundsatzurteil", kommentierte Diakonie-Präsident Ulrich Lilie die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts über die Einstellungspraxis der Kirchen. Es ist gut möglich, dass am Ende das Bundesverfassungsgericht die Frage vorgelegt bekommt.

Die höchsten deutschen Arbeitsrichter in Erfurt sprachen am 25. Oktober der Berlinerin Vera Egenberger, die sich als Konfessionslose erfolglos um eine Stelle beim Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung beworben hatte, eine Entschädigung in Höhe von 3.915,46 Euro zu. Egenberger fühlte sich benachteiligt aus Gründen der Religion. Im Kern ging es aber um mehr als um eine materielle Entschädigung.

Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften

Im Verfahren ging es von Anfang an um die Frage, inwieweit Kirchen und ihre Einrichtungen von potenziellen Mitarbeitern eine Kirchenmitgliedschaft verlangen dürfen. Die Kirchen sehen ihre Praxis gerechtfertigt im Sinne des Selbstbestimmungsrechts, das das Grundgesetz den Religionsgemeinschaften zugesteht.

Denn an der Grundsätzlichkeit der Frage ließ das Bundesarbeitsgericht selbst keinen Zweifel. Fast drei Stunden dauerte die mündliche Verhandlung über viele Details der konkreten Stelle und zur Frage, wie die Diakonie das Erfordernis einer Kirchenmitgliedschaft im konkreten Fall begründet. Die Richter hatten aber auch schon zuvor tiefgehenden Klärungsbedarf. Sie gaben das Verfahren zwischenzeitlich an den Europäischen Gerichtshof (EuGH), der prüfen sollte, inwieweit das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen und die Antidiskriminierungsrichtlinie der EU miteinander zu vereinbaren sind.

Die berufliche Anforderung einer Kirchenmitgliedschaft müsse "wesentlich, rechtmäßig und gerechtfertigt" für die Stelle und dies gerichtlich überprüfbar sein, urteilten die Luxemburger Richter. Die bislang herangezogene Ausnahme im ersten Absatz von Paragraf neun des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG), nach der Religionsgemeinschaften in diesem Punkt benachteiligen dürfen, wenn es ihr Selbstverständnis berührt, war mit diesem Urteil nicht mehr anwendbar. Denn es erlaube nicht die Prüfung eines Bezugs zur Tätigkeit, erklärte die Vorsitzende Richterin am Bundesarbeitsgericht, Anja Schlewing.

Ethos der Diakonie

Das AGG bleibt bei dem Erfurter Urteil außen vor, auch weil Unionsrecht - also Europarecht - über dem nationalen steht. "Wir sind an einem ganz schwierigen Punkt angelangt", sagte Schlewing. Sie und ihre Kollegen orientierten sich letztlich stärker an der EuGH-Entscheidung. In der Begründung hieß es, es bestünden erhebliche Zweifel daran, dass die Anforderung einer Kirchenmitgliedschaft bei der betreffenden Stelle wirklich wesentlich war.

Egenberger hatte sich 2012 auf eine Referentenstelle beworben. Aufgabe war die Erstellung eines Berichts aus Sicht der Diakonie zur Umsetzung der UN-Antirassimuskonvention in Deutschland. Die Stelle sei in einen internen Meinungsbildungsprozess eingebunden gewesen, erläuterte Schlewing. Für das Ethos der Organisation, also das Selbstverständnis der Diakonie, habe daher keine Gefahr bestanden.

Wird Karlsruhe das letzte Wort sprechen?

Diakonie und EKD reagierten enttäuscht auf das Urteil. "Es muss der Kirche und Diakonie möglich bleiben, die kirchlichen Aufgaben aus einer christlichen Perspektive zu erfüllen", sagte der Kirchenamtspräsident Hans Ulrich Anke. Das hänge auch davon ab, Mitarbeitende auswählen und einstellen zu können, die sich mit ihrer Mitgliedschaft zum Auftrag der Kirche bekennen.

Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts werteten EKD und Diakonie als "Abweichung zur langjährigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts". Sie wollen nun Begründung und Konsequenzen prüfen: "Dazu gehört auch die Prüfung, ob gegen den Eingriff in das kirchliche Selbstbestimmungsrecht das Bundesverfassungsgericht angerufen wird." Damit könnte wahr werden, was Richterin Schlewing in der Verhandlung andeutete. Das letzte Wort werde eventuell in Karlsruhe gesprochen, sagte sie.

Corinna Buschow


Kirchenurteil

Gastbeitrag

Reichold: "BAG ist auf einer schiefen Ebene"




Rechtswissenschaftler Hermann Reichold
epd-bild/Wolfram Scheible
Deutliche Kritik am Urteil des Bundesarbeitsgerichts übt der Tübinger Rechtswissenschaftler Hermann Reichold. Das Gericht sei mit seiner Entscheidung auf eine "doppelt schiefe Ebene" gekommen, schreibt er in seinem Gastbeitrag für epd sozial.

Das Bundesarbeitsgericht hat sich damit nicht leicht getan. Nachdem der Europäische Gerichtshof im "Fall Egenberger" die Einstellungspolitik der Diakonie Deutschland bereits kritisiert hatte, konnte der 8. Senat des BAG in Erfurt nicht anders, als der konfessionslosen Klägerin zwei Monatsgehälter als Entschädigung für die - angebliche - Benachteiligung aus Gründen der Religion zuzusprechen. Doch merkt man den Begründungsversuchen der Erfurter Richter/innen an, auf welch "schiefe Ebene" der EuGH die deutschen Kolleginnen und Kollegen geführt hat. Man kommt leicht ins Rutschen, wenn man meint, das Geschäft der Kirche und ihrer Diakonie von außen auf das für richtig gehaltene "Ethos" kontrollieren zu müssen.

"Wirksame gerichtliche Kontrolle"

Die Erfurter Richterinnen und Richter äußerten erhebliche Zweifel an der Wesentlichkeit der beruflichen Anforderung, die von der Diakonie Deutschland für einen Teilzeitjob zur Begleitung und Berichterstattung über die UN-Antirassismus-Konvention für nötig befunden wurde: Die evangelische Konfession sei hierfür nicht erforderlich, weil im konkreten Fall keine "wahrscheinliche und erhebliche Gefahr bestand, dass das Ethos des Beklagten beeinträchtigt würde". Der 8. Senat meinte, dass die Stelleninhaberin lediglich in einen internen Meinungsbildungsprozess in der Diakonie Deutschland eingebunden war und deshalb in ethos-bezogenen Fragen gar nicht unabhängig handeln konnte.

Jetzt wissen wir also, wie das BAG die vom EuGH geforderte "wirksame gerichtliche Kontrolle" zu handhaben versucht: Staatliche Richter/innen bemühen sich nach Kräften, die Selbsteinschätzung kirchlicher Einrichtungen zu überprüfen, ob und inwieweit ein – hier intellektuell durchaus anspruchsvoller – Referenten-Job das Etikett "religionsnah" verdient oder nicht. Eine solche Fremdeinschätzung hat das Zeug zur Bevormundung. Warum soll die Diakonie nicht eine Aufgabe mit – zumindest christlich sozialisierten – Bewerberinnen und Bewerbern besetzen wollen, wenn es gerade um eine "politische" Funktion der Kirche mit Außenwirkung geht?

Die Bewerberin war nicht qualifiziert

Besser wäre es gewesen, wenn die in der Verhandlung in Erfurt geäußerten Bedenken der Vorsitzenden Richterin des 8. Senats ernster genommen worden wären und der Weg dieses schiefen Verfahrens weiter nach Karlsruhe zum Bundesverfassungsgericht umgeleitet worden wäre. Der Schutz, den die Kirchen aufgrund Art. 17 AEUV und damit auch aufgrund Art. 4 Abs. 2, 140 GG genießen, kann nicht mit einer "wirksamen gerichtlichen Kontrolle" ohne jede Beachtung der eigenen Einschätzung der Kirchen angemessen gewährleistet werden. Verfassungsrechtlich alleine vertretbar erscheint hingegen eine "Missbrauchskontrolle", so wie dies in der 2. Instanz vom LAG Berlin-Brandenburg durchexerziert wurde.

Eine besonders pikante Note erhält dieses Verfahren dadurch, dass die Klägerin gar nicht qualifiziert war für diesen Job. Ein abgeschlossenes Jura- oder Politikstudium hatte sie nicht vorzuweisen, sondern lediglich eine Ausbildung als Sozialpädagogin. Eine nicht qualifizierte Bewerberin erhält also eine Entschädigung für eine Stelle, die sie nicht hätte antreten können. Wie kann das sein? Den Richterinnen und Richtern hätte sich eine Überprüfung dieses Sachverhalts aufdrängen müssen mit der Folge, dass "in Wirklichkeit" mangels fachlicher Eignung eine Diskriminierung gar nicht in Betracht kommen konnte. Eine doppelt "schiefe Ebene" also, auf der die Bundesrichter/innen ins Rutschen gekommen sind.

Professor Dr. Hermann Reichold lehrt an der Universität Tübingen Bürgerliches Recht, Wirtschafts- und Arbeitsrecht.


Kirchenurteil

Heinig: Urteil wird Einstellungspraxis der Kirchen kaum verändern




Kirchenrechtler Hans Michael Heinig
epd-bild/Daniel Moeller/Georg-August-Universitaet
Der Göttinger Kirchenrechtler Hans Michael Heinig geht davon aus, dass das Urteil des Bundesarbeitsgerichts die Einstellungspraxis der kirchlichen Arbeitgeber nicht grundsätzlich verändern wird.

Arbeitsstellen mit Aufgaben in der Verkündigung und Glaubensvermittlung könnten nach der Rechtsprechung des EuGH weiter mit einem Konfessionserfordernis versehen werden, sagte der Göttinger Jurist dem Evangelischen Pressedienst (epd). "Auch für Leitungsfunktionen werden besondere Loyalitätsobliegenheiten einer gerichtlichen Prüfung standhalten." In vielen sonstigen Bereichen arbeiten in der evangelischen Kirche bereits bislang Menschen mit, die nicht Mitglied der evangelischen Kirche sind.

Kirchenjurist sieht grundsätzliche Probleme

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt verurteilte am 25. Oktober das Evangelische Werk für Diakonie und Entwicklung in Berlin, einer abgelehnten Stellenbewerberin ohne Kirchenzugehörigkeit eine Entschädigung in Höhe von rund 3.915 Euro zu zahlen. Die Klägerin Vera Egenberger klagte damit erfolgreich wegen Diskriminierung aufgrund von Religion.

Zuletzt hatte der den Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg im April dieses Jahres entschieden, dass kirchliche Arbeitgeber nicht pauschal und unbegründet die Zugehörigkeit zu einer Kirche verlangen dürfen. Die Anforderung müsse "wesentlich, rechtmäßig und gerechtfertigt" sowie gerichtlich überprüfbar sein.

Die Vorgaben aus Luxemburg, denen das BAG folgte, werfen nach Ansicht des Kirchenrechtlers Heinig grundsätzliche Probleme auf. Unklar sei etwa, wie ein säkulares Gericht entscheiden solle, wann eine religiös begründete Anforderung bei der Stellenbesetzung angesichts des religiösen Ethos einer Organisation "objektiv erforderlich" ist? "Hier droht Richtertheologie durch die Hintertür", mahnte der Rechtswissenschaftler.

Das BAG versuche zwar das Problem zu umschiffen, indem es auf eine objektive Gefährdung des Ethos und damit letztlich auf die Einbindung in eine Hierarchie abstellt. Das werde aber dem bisher gerichtlich akzeptierten Leitbild einer kirchlichen Dienstgemeinschaft in keiner Weise mehr gerecht, sagte Heinig.

Maximale Konfrontation

Dieses Problem habe der Ansatz des Bundesverfassungsgerichts bewusst vermieden, als es dem religiösen Selbstverständnis Raum gelassen habe. "Man hätte nun in der Rechtsprechung im Sinne des Antidiskriminierungsrechts die Arbeitnehmerinteressen höher als bislang gewichten können." Stattdessen habe der Europäische Gerichtshof jedoch die maximale Konfrontation mit dem Bundesverfassungsgericht gesucht. "Es hat entgegen europavertraglicher Verpflichtungen und entgegen dem Willen des europäischen Gesetzgebers keinerlei Rücksicht auf die Verfassungstradition in Deutschland genommen", kritisierte Heinig.

"Das Bundesarbeitsgericht war nicht zu beneiden, als es sich nun mit den unterschiedlichen Vorgaben aus Karlsruhe und Luxemburg konfrontiert sah. Es hat sich am Vorrang des Europarechts orientiert."

Die Kirche werde nun die Urteilsgründe genau analysieren müssen, um eventuell das Bundesverfassungsgericht um ein letztes Wort zu bitten, sagte Heinig. Die Hürden dafür lägen aber hoch, denn der Vorrang des Europarechts gelte nur dann nicht, wenn andernfalls der Identitätskern des Grundgesetzes ausgehöhlt würde.

Markus Jantzer



sozial-Politik

Wohnen

Mieterschutz: Opposition kritisiert Gesetzespläne als wirkungslos




Demonstration gegen hohe Mieten
epd-bild/Rolf Zöllner
Union und SPD haben bezahlbaren Wohnraum zur sozialen Frage unserer Zeit erklärt. Aber sie sind sich nicht einig, wie sie sie angehen wollen. Im Bundestag nimmt die Opposition das Mieterschutzgesetz der Koalition auseinander.

Das geplante Mieterschutzgesetz der Koalition ist am 19. Oktober im Bundestag bei der Opposition auf heftige Kritik gestoßen. Für die allermeisten Mieter ändere sich nichts, kritisierte die stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion, Caren Lay. Selbst die SPD hält ihren eigenen Entwurf für unzureichend. Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) sagte in ihrer Rede: "Ich könnte mir mehr vorstellen."

Die Sozialdemokraten hatten vor kurzem unter anderem einen "Mietenstopp" gefordert und waren damit weit über die Koalitionsvereinbarungen hinausgegangen. Die Union verteidigte den Entwurf als ausgewogen.

Mietobergrenzen für geförderte Wohnungen

Außerdem beriet das Parlament über zusätzliche Steueranreize für den Mietwohnungsbau. Damit sollen bezahlbare Wohnungen gefördert werden. Die Koalition strebt den Bau von 1,5 Millionen neuen Wohnungen an. Der Mieterschutzbund forderte Mietobergrenzen für steuerlich geförderte Wohnungen. Andernfalls würden Investoren die Vorteile mitnehmen und trotzdem die hohen Marktmieten fordern, erklärte der Bundesdirektor des Mieterbundes, Lukas Siebenkotten.

Die Koalition will die bisher weitgehend wirkungslose Mietpreisbremse nachbessern. Vermieter müssen künftig offenlegen, auf welche Ausnahmen sie sich berufen, wenn sie eine Miete verlangen, die mehr als zehn Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegt. Tun sie das nicht, können die Mieter Geld zurückverlangen. Dafür soll eine einfache Rüge genügen. Die Linksfraktion forderte, stattdessen die Ausnahmen abzuschaffen.

Die Vize-Fraktionsvorsitzende der Linken, Lay, kritisierte, die Mietpreisbremse gelte nur regional und auch nur bei Neuvermietungen. Es würden aber überall ständig die Mieten erhöht. Die geplanten Änderungen machten das "wirkungsloseste Gesetz aller Zeiten" nicht besser. Die Modernisierungsumlage, über die Vermieter die Kosten auf die Mieter abwälzen, müsse komplett abgeschafft werden, forderte Lay. Sie ziehe Spekulanten an und sei das "Verdrängungsinstrument Nummer eins" auf dem Wohnungsmarkt, sagte Lay.

FDP lehnt Mietpreisbremse ab

Dem Gesetzentwurf zufolge sollen Mieterhöhungen nach einer Modernisierung grundsätzlich auf drei Euro pro Quadratmeter in den kommenden sechs Jahren begrenzt werden. In angespannten Wohnungsmärkten soll die Modernisierungsumlage von elf auf acht Prozent gesenkt werden. Die SPD will sich in den parlamentarischen Beratungen für eine Begrenzung auf zwei Euro und eine Senkung der Umlage auf sechs Prozent einsetzen, kündigte der rechtspolitische Sprecher der Fraktion, Johannes Fechner, an.

Die FDP forderte die Abschaffung der Mietpreisbremse. Es gebe Untersuchungen, wonach sie sogar zu Mietsteigerungen im Bestand führe. Die Mietpreisbremse wurde 2015 eingeführt und gilt gegenwärtig in mehr als 300 Kommunen. Der AfD-Abgeordnete Jens Maier prophezeite, das Mieterschutzgesetz werde wirkungslos bleiben, weil es das Machtgefälle zwischen Vermietern und Mietern nicht aufheben könne. Gegen Wohnungsnot helfe nur "bauen, bauen, bauen". Die Grünen verlangten mehr Rechte für Mieter, insbesondere einen besseren Kündigungsschutz. Die Regierung lasse Mieter seit Jahren im Stich, bilanzierte die Berliner Abgeordnete Canan Bayram.

"Gift für das gesellschaftliche Klima"

Die Koalition will außerdem gegen die gezielte Verdrängung von Mietern vorgehen, etwa indem ihnen während Bautätigkeiten Gas und Wasser abgestellt werden. "Diese schwarzen Schafe vergiften das gesellschaftliche Klima", sagte der Berliner Abgeordnete und Mietexperte Jan-Marco Luczak (CDU). Sie müssten künftig mit einer Geldstrafe von bis zu 100.000 Euro rechnen: "Wir dulden nicht, wenn versucht wird, Mieter bewusst und zielgerichtet herauszumodernisieren." Im Gegenzug wird es Vermietern erleichtert, nach Modernisierungen im Umfang von bis zu 10.000 Euro Mieterhöhungen durchzusetzen.

Auch im Bundesrat war die Mietpreisbremse am 19. Oktober Thema. Die Länder finden unter anderem, dass sich Mieter noch leichter gegen hohe Mieten wehren können müssen. Ihre Stellungnahme wird nun auch in den Bundestag eingebracht.

Der Gesetzentwurf wird in den Ausschüssen des Bundestags beraten. Nach dem Willen von Union und SPD soll das Gesetz Anfang 2019 in Kraft treten.

Bettina Markmeyer


Wohnen

Sozialverband SoVD: Hohe Mieten machen eine Million Haushalte arm




Wohnungsbau in Tübingen
epd-bild/Verena Müller
Bis zu 40 Prozent ihres Einkommens geben Haushalte mit geringen Einkommen inzwischen für die Miete aus. Mit einer eigenen Studie macht der Sozialverband Deutschland auf die zunehmende Wohnungsnot aufmerksam.

Steigende Mieten verschärfen die soziale Ungleichheit: Eine aktuelle Studie des Sozialverbands Deutschland (SoVD) kommt zu dem Ergebnis, dass rund eine Million Haushalte nach Abzug der Miete weniger als den Hartz-IV-Satz zu Leben haben. Dem Gutachten zufolge, das am 25. Oktober in Berlin vorgestellt wurde, betrifft das in erster Linie Privathaushalte in Großstädten.

Wohnungen zu klein

Geringverdiener müssten inzwischen bis zu 40 Prozent ihrer Einkünfte für die Miete aufbringen, heißt es in der SoVD-Studie über die Wohnverhältnisse in Deutschland. Sie kommt zu denselben Ergebnissen wie Londoner und Berliner Wissenschaftler, am 22. Oktober Zahlen zur Belastung durch Wohnkosten vorgelegt und ebenfalls vor wachsender Ungleichheit gewarnt hatten. Während die Wohnkosten für das untere Fünftel der Bevölkerung extrem gestiegen sind, nehmen sie im oberen Fünftel sogar ab - zwischen 1993 und 2013 von 16 auf 14 Prozent.

Seit Anfang der 1990er Jahre steigt die durchschnittliche Miete stärker als das durchschnittliche Einkommen. Da die Niedrigeinkommen prozentual am schwächsten wachsen oder sogar stagnieren, schlagen die Mieterhöhungen in diesen Haushalten am stärksten zu Buche. Dem SoVD-Gutachten zufolge fehlen in den Großstädten inzwischen mehr als 1,9 Millionen bezahlbare Wohnungen für kleine und auch für größere Haushalte. Der Engpass bei größeren Wohnungen sei bisher kaum wahrgenommen worden, hieß es. Ein Viertel der Haushalte lebe inzwischen in zu kleinen Wohnungen, weil sie eine größere Bleibe nicht bezahlen können. Die Analyse beruht auf den Bestandsmieten der Jahre 2014 und 2015. Die extremen Mietsteigerungen bei Neuvermietungen in den Großstädten berücksichtigt sie nur teilweise.

"Abschaffung der Mietpreisbremse wäre abenteuerlich"

Der Präsident des SoVD, Adolf Bauer, sagte, sein Verband spüre deutlich, dass Wohnen "die neue soziale Frage" sei. Benachteiligte Gruppen konkurrierten um zu wenige bezahlbare Wohnungen. Das treffe insbesondere Alleinerziehende, Rentner, Arbeitssuchende sowie kranke oder behinderte Menschen. Vor dem Hintergrund der zunehmenden Wohnungsnot sei die Empfehlung der Berater des Wirtschaftsministeriums, den Sozialwohnungsbau zurückzufahren und die Mietpreisbremse zu streichen "abenteuerlich", kritisierte Bauer.

Der Wissenschaftliche Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums hatte empfohlen, die Politik müsse sich auf die Ankurbelung des Wohnungsbaus konzentrieren. Die Mietpreisbremse sei ein Investitionshindernis, hatten die Forscher argumentiert. Die Vorschläge waren auch in der Bundesregierung auf Widerspruch gestoßen.

Bettina Markmeyer


Rechtspopulismus

Interview

"Keinerlei Sensibilität für das Problem der sozialen Spaltung"




Sie haben ein Buch über das erste Jahr der AfD im Bundestag geschrieben: Christoph Butterwegge, Gudrun Hentges und Gerd Wiegel (v.li.).
epd-bild/Jürgen Blume
Die AfD stellt sich erfolgreich als Schutzmacht "der kleinen Leute" dar. Insbesondere Menschen mit Verlustängsten machen ihr Kreuz bei den Rechtspopulisten. Doch was hat ihnen die AfD tatsächlich zu bieten: in der Steuerpolitik, der Arbeitsmarktpolitik, der Sozialpolitik? Ein Interview mit drei Politikexperten über die Partei, ihr Programm und ihr Verhalten im Bundestag.

Seit genau einem Jahr ist die AfD im Bundestag. Die Kölner Politikwissenschaftler Christoph Butterwegge und Gudrun Hentges haben sie dort beobachtet. Ihre Analyse: Sozial Benachteiligte spielten zwar in der AfD-Propaganda eine zentrale Rolle – jedenfalls wenn sie Deutsche sind –, nicht aber in der Parlamentstätigkeit der Partei. Die beiden Forscher haben mit Gerd Wiegel, Referent der Linksfraktion im Bundestag, das kürzlich erschienene Buch "Rechtspopulismus im Parlament. Polemik, Agitation und Propaganda der AfD" geschrieben. Sie antworteten auf die Fragen von Markus Jantzer.

epd sozial: Sie haben die AfD seit ihrem erstmaligen Einzug in den Deutschen Bundestag im September 2017 ein Jahr lang beobachtet. Mit welchen Themen versucht sich die Fraktion jenseits der Flüchtlingsproblematik zu profilieren?

Christoph Butterwegge: Fast alle anderen Themen behandelt die AfD stiefmütterlich und halbherzig, bringt sie aber grundsätzlich mit ihrem Kernthema "Migration und Flüchtlinge" in Verbindung. Auf diese Weise entsteht der Eindruck, alle Probleme unseres Landes seien von einer "Massenzuwanderung", von "Millionen illegalen Grenzverletzern" und der seit 2015 anhaltenden "Flüchtlingskrise" verursacht. Wenn Vertreter der etablierten Parteien wie Bundesinnenminister Horst Seehofer durch seine Behauptung, Migration sei die Mutter aller politischen Probleme, diese Position teilen, stärken sie die AfD. Armut ist die Mutter aller Migrationsbewegungen, weshalb nicht die Geflüchteten, sondern die wachsende soziale Ungleichheit und die Armut bekämpft werden müssten.

epd: Nach Wahlanalysen wird die AfD überdurchschnittlich häufig von Menschen gewählt, die Abstiegsängste haben, Angst vor den Folgen der Globalisierung und der Digitalisierung. Darunter sind auch Menschen, die seit Jahren einen Niedergang ihrer wirtschaftlich schwachen Region und einen Verfall der Infrastruktur erleben. Was können diese Menschen von der AfD erwarten?

Gerd Wiegel: Nichts, jedenfalls nichts, was ihnen real hilft oder ihre Situation verbessert. Die AfD gaukelt den Menschen vor, es gäbe ein Zurück zum weitgehend abgeschotteten Nationalstaat, zu einem "Deutschland zuerst", mit dem sie vor den Zumutungen der Globalisierung geschützt würden. Für ein Land, das aber vor allem von seiner Exportwirtschaft lebt, ist das eine fatale Strategie. Anstatt für eine soziale Ausgestaltung der Globalisierung, für gemeinsame und hohe soziale Mindeststandards und für eine Globalisierung eben nicht nur im Sinne des großen Kapitals zu kämpfen, setzt die AfD auf Abschottung und Konkurrenz gerade derer, die negativ von der jetzigen Form der Globalisierung betroffen sind. Indem sich die AfD z.B. strikt gegen die Vereinbarung sozialer Mindeststandards innerhalb der EU ausspricht, sorgt sie dafür, dass der Migrationsdruck aus den ärmeren EU-Ländern nach Deutschland hoch bleibt.

epd: In welcher Weise setzen sich AfD-Parlamentarier für sozial Benachteiligte ein? Welchen Stellenwert hat das Themenfeld Sozialpolitik bei der AfD?

Butterwegge: Sozial benachteiligte Deutsche spielen zwar eine zentrale Rolle in der AfD-Propaganda, nicht aber in der Politik und der Parlamentstätigkeit dieser Partei. Alexander Gauland, ihr Partei- und Fraktionsvorsitzender, nennt die AfD eine "Partei der kleinen Leute", sie ist jedoch eine Partei des großen Geldes, wenn man ihre Sponsoren betrachtet, und eine Partei der Privilegierten, wenn man ihre Steuerpolitik betrachtet: Beispielsweise will sie ausgerechnet die Vermögen- und die Erbschaftsteuer abschaffen, also zwei Steuerarten, die Unterprivilegierte gar nicht zahlen müssen. Sozialpolitik nimmt gegenüber der Familien- und Bevölkerungspolitik eine untergeordnete Stellung ein. Sozial ist für die AfD, was Arbeit schafft, und nicht, was Armut abschafft. Dabei setzt sie den neoliberalen Rezepten folgend auf das Wirtschaftswachstum und die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland.

epd: Wie will die AfD die soziale Spaltung in Deutschland überwinden, die unter anderem durch große und weiter wachsende Unterschiede bei Einkommen, Vermögen und Chancen gekennzeichnet ist?

Butterwegge: Für das Problem der sozialen Spaltung, d.h. die sich immer mehr vertiefende Kluft zwischen Arm und Reich, zeigt die AfD keinerlei Sensibilität. Dies zeigt sich exemplarisch beim Thema "Wohnungsnot und explodierende Mieten in den Ballungszentren". Denn die AfD hat im Bundestag gegen alle Anträge für eine wirksame Mietpreisbremse gestimmt. Wenn überhaupt, plädiert die Partei für eine exklusive Solidarität der Einheimischen unter Ausschluss der Zugewanderten. Aber auch die einheimischen Benachteiligten dürfen sich keine Hoffnungen machen, denn die AfD sieht überhaupt keine Notwendigkeit zur Umverteilung von oben nach unten. Vielmehr konstruiert sie einen Innen-Außen-Gegensatz und betrachtet Armut nicht als strukturelles Problem, sondern als Importprodukt, das Flüchtlinge und Migranten aus weniger entwickelten EU-Staaten nach Deutschland eingeschleppt haben. Völlig ignoriert wird, welche Rolle unsoziale Reformen der Bundesregierung wie Agenda 2010, Einführung der Riester-Rente und Hartz-Gesetze dabei gespielt haben.

epd: Wie steht die AfD zur Zunahme von prekären Arbeitsverhältnissen, die sich in befristeten Jobs, Niedriglohnjobs sowie unfreiwilliger Teilzeitarbeit ausdrückt?

Gudrun Hentges: Das Programm der AfD ist in dieser Hinsicht sehr widersprüchlich. Sie hat zwar im Vorfeld der Bundestagswahl behauptet, die Zunahme von prekären Beschäftigungsverhältnissen wirke sich negativ auf den Wohlstand aus, und forderte eine gesetzliche Obergrenze von 15 Prozent Beschäftigten mit Leih- oder Werkverträgen in Unternehmen. Auch wollte die AfD erreichen, dass eine Leiharbeit nach sechs Monaten in eine Festanstellung umgewandelt werden müsse. Mittels dieser Forderungen versucht(e) die AfD ganz gezielt, prekär Beschäftigte oder Teile der Randbelegschaft als Wählerbasis zu rekrutieren. Eine ähnliche Instrumentalisierung der sozialen Frage findet sich auch beim Front National in Frankreich.

epd: Wie steht die AfD zur Benachteiligung von Frauen in Betrieben, also etwa dazu, dass Frauen schlechter bezahlt werden als ihre männlichen Kollegen oder dass sie weniger Führungspositionen bekleiden?

Hentges: Für die Benachteiligung von Frauen, den Gender pay gap und die Unterrepräsentanz von Frauen in Führungspositionen interessiert sich die AfD nicht. Gleichstellung der Geschlechter, Antidiskriminierungsmaßnahmen und Gender Mainstreaming bilden bei ihr eine Projektionsfläche für all das, was es zu bekämpfen gilt. Umgekehrt sucht sie zum Beispiel, die angebliche Diskriminierung der Vollzeit-Mütter zu stoppen, und möchte Mütter dazu ermutigen, ihre Berufstätigkeit zugunsten von Kindererziehung und Familienarbeit aufzugeben. Diskriminierungen, die erwerbstätige Frauen erfahren, sei es hinsichtlich des ungleichen Lohns oder seien es sexistische Übergriffe, begreift die Partei nicht als relevantes Problem. Wenn es bei ihr um Frauen geht, dann im Rahmen der Familien- und Bevölkerungspolitik. (Deutsche) Frauen interessieren nur insofern, als sie die vorrangige Aufgabe haben, durch möglichst viele Geburten das deutsche Volk zu reproduzieren.

epd: Wie steht die AfD zu den Gewerkschaften und dem branchenübergreifenden Rückgang der Tarifbindung?

Wiegel: Gewerkschaften werden von der AfD als Gegner, ja teilweise als Feind definiert. Im Rahmen der jüngsten Betriebsratswahlen gab es gezielte Versuche, mit Konkurrenzlisten anzutreten, um die Stellung der Gewerkschaften in den Betrieben zu untergraben. In einigen ostdeutschen Landesverbänden gibt es Versuche, sogenannte alternative Arbeitnehmervertretungen zu gründen, um die DGB-Gewerkschaften zu schwächen. Gründe dafür sind die klare Positionierung der Gewerkschaften gegen die extreme Rechte, aber auch ein Verständnis von Arbeitsmarktpolitik bei der AfD, das vor allem die Interessen der kleinen und mittleren Unternehmen ins Zentrum rückt, wohingegen die Beschäftigten in der zweiten Reihe stehen bleiben. So werden die Tarifflucht von Unternehmen und der Rückgang der Tarifbindung unsinnigerweise den Gewerkschaften angelastet, ohne dass sich die AfD bisher für eine Stärkung der Tarifbindung stark gemacht hätte. Für eine Partei, die viele regionale Hochburgen in Ostdeutschland hat, wo das Problem besonders gravierend ist, ist das eine markante Leerstelle.

epd: Welche Position hat die AfD zu den Hartz-IV-Gesetzen erarbeitet?

Butterwegge: Dazu hört man von der AfD wenig Substanzielles. Weder denkt die AfD an eine Anhebung der viel zu niedrigen Regelbedarfe für Hartz-IV-Bezieher, noch will sie den Kontrolldruck seitens der Jobcenter verringern und die Sanktionen abschaffen.

epd: In der Rentenpolitik ist die AfD in zwei Lager geteilt: Die eine Gruppe fordert mehr Privatisierung in der Altersvorsorge, die anderen wollen die gesetzliche Rentenversicherung stärken und das Rentenniveau anheben. Geht das zusammen? Wie und wann wird sich die AfD nach ihrer Einschätzung in dem Meinungsstreit entscheiden?

Butterwegge: Da sich die Hauptströmungen der AfD, der wirtschaftsliberale und der völkisch-nationalistische Parteiflügel, bisher nicht auf ein Rentenkonzept haben einigen können, bleibt im Dunkeln, wie die Altersarmut bekämpft werden soll. Hier liegt eine Leer- und Schwachstelle der AfD, die sie durch einen Sonderparteitag im nächsten Jahr beseitigen will. Kommt es dort zu einer Kampfabstimmung über die Rentenpolitik, steht die AfD vor einer Zerreißprobe. Unabhängig davon, wer sich am Ende durchsetzt, sollen Ausländer im Rentenrecht benachteiligt und Eltern bevorzugt werden. Ersteres wäre verfassungswidrig und Letzteres mehr als zweifelhaft, weil Menschen, die ungewollt kinderlos geblieben sind, Jahrzehnte später mit Altersarmut bestraft würden.

epd: Wird die AfD mit ihrem Weltbild und ihren Erklärungsmustern noch lange eine starke politische Kraft bleiben? Oder werden sich viele Wähler schon bald abwenden, weil sie seriöse Antworten auf drängende politische Fragen vermissen?

Hentges: Zwar sind solche Prognosen schwer zu treffen, das von der AfD vertretene Weltbild und die von ihr verbreiteten Erklärungsmuster existierten jedoch bereits in der Bevölkerung, bevor die AfD ihren ersten Wahlerfolg verzeichnete. Die einschlägigen Untersuchungen dokumentierten seit dem Jahrtausendwechsel, dass Autoritarismus, Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus keine ideologischen Randerscheinungen sind. In großen Teilen der Bevölkerung stoßen Einstellungen dieser Art auf Zustimmung. Selbst wenn sich die AfD nicht fest im politischen System der Bundesrepublik etablieren, sondern wieder von der parlamentarischen Bühne verschwinden sollte, würden die genannten Einstellungsmuster relevant bleiben und könnten je nach Gelegenheit wieder von einer Partei am rechten Rand aufgegriffen werden.

epd: Welche Möglichkeiten sollten die konkurrierenden Parteien nutzen, um inhaltliche Schwächen und Widersprüche der AfD publikumswirksam zu entlarven?

Hentges: Die mit der AfD konkurrierenden Parteien sollten deutlich machen, dass diese auf den allermeisten Politikfeldern weder über Expertise noch über ein Konzept verfügt – sei es in Bezug auf die Gesundheitspolitik, die Sozialpolitik oder die Rentenpolitik. AfD-Vertreter sollten z.B. in Talkshows nicht mit dem Asylthema punkten können, die eingeladenen AfD-Politiker müssten vielmehr dazu gezwungen werden, sich auf anderen Politikfeldern zu positionieren. Spätestens dann dürfte sich zeigen, dass die AfD-Polemik immer auf die Ethnisierung des Sozialen hinausläuft und dass die Partei wenig oder nichts zu bieten hat, was für die künftige Entwicklung unserer Gesellschaft von Nutzen sein kann.

epd: Wird die AfD an ihren inhaltlichen Widersprüchen – und dem parteiinternen Streit darüber – scheitern?

Wiegel: Im Moment sieht es so aus, als könne sich die AfD nur selbst ein Bein stellen. Die inhaltlichen Widersprüche können ein Stolperstein sein, z.B. bei den Themen Rente, Mietpreise, Steuerpolitik usw. Gegenwärtig werden aber alle inhaltlichen Konflikte durch die anhaltende Erfolgswelle der Partei überdeckt. Schwächt sich diese ab oder gibt es gar deutliche Rückschläge, dann werden die inhaltlich teils gegensätzlichen Konzepte deutlicher nach außen treten. Aktuell gefährlicher scheint die anhaltende und immer deutlichere Rechtsentwicklung der AfD für die Partei zu seien. Die Ereignisse von Chemnitz haben gezeigt, dass es eine offene Zusammenarbeit mit gewaltbereiten Rechtsextremisten und einem Teil der Neonazi-Szene gibt. Das hat bürgerlich-konservative AfD-Anhänger aufgeschreckt, die sich jetzt verwundert die Augen reiben und fragen, wo die Radikalisierung nach rechts endet. Die erneut aufgeflammte Diskussion um eine Beobachtung der Partei durch den Verfassungsschutz verstärkt das noch.

Literatur: Christoph Butterwegge, Gudrun Hentges, Gerd Wiegel. Rechtspopulisten im Parlament. Polemik, Agitation und Propaganda der AfD. Westend Verlag, Frankfurt am Main, Oktober 2018



Landtagswahl

Die soziale Lage schlägt sich bei der Stimmabgabe nieder




Die Münchner Hilfsorganisation "Lichtblick Hasenbergl" versorgt Bedürftige mit Lebensmitteln. ,
epd-bild/Rudolf Stumberger
Der Stimmbezirk 2412 liegt ganz im Norden von München und war bei der Landtagswahl am 14. Oktober gleich für zwei Rekorde gut: Zum einen war dort die Wahlbeteiligung am niedrigsten und zum anderen der Anteil der AfD-Stimmen am höchsten. In der bayerischen Landeshauptstadt zeigte sich ein enger Zusammenhang zwischen sozialer Lage und Wahlverhalten.

Fährt man die Schleißheimer Straße hinaus nach Norden so macht diese an der ehemaligen Trambahnendhaltestelle einen Knick nach Westen und biegt man dann rechts ab, befindet man sich in der Stösserstraße. Hier wohnen die Menschen in langgezogenen Sozialwohnungsblocks und man findet Hilfsorganisationen wie "Lichtblick Hasenbergl", die sich um das Wohl der Kinder kümmern. Am Frauenholz liegt die Kirche Mariä Sieben Schmerzen. Dort herrscht regelmäßig Andrang, wenn Pastoralreferent Otto Lang am Dienstag die Armenspeisung macht, oft gibt es Schweinebraten mit Knödel. "Politik kommt hier eigentlich nicht zur Sprache", sagt der Geistliche über seine Erfahrung, "die Leute sind vor allem damit beschäftigt, ihr Auskommen zu finden."

Eine Trabantenstadt für Arbeiter

Das Viertel hier hat eine lange Tradition, was soziales Abseits anbelangt. Die Pfarrei liegt in unmittelbarer Nähe des ehemaligen "Frauenholzes". Das war ein Barackenlager für Flakhelferinnen während des Krieges, in den 1950er Jahren waren hier ausgebombte Familien untergebracht. Der schlechte Ruf des Lagers übertrug sich, als in den 1960er Jahren die Stadt München auf der angrenzenden Heide ein Neubaugebiet errichtete, bekannt als Hasenbergl. Eine Trabantenstadt für Arbeiter, eine weiterführende Schule war nicht eingeplant.

Fragt man hier einen der Männer, Alter so um die 55 Jahre, die am Vormittag auf einer der Parkbänke sitzen, wie das hier so ist mit dem Wählen, bleibt die Antwort eher karg: "Na, wie schon?" Mehr Auskunft gibt die Statistik. Bei der Landtagswahl am 14. Oktober lag hier im Stimmbezirk die Wahlbeteiligung mit 35,6 Prozent am niedrigsten in der Stadt (städtischer Durchschnitt: 72,7 Prozent). Und jeder Fünfte, der zur Wahlurne ging, machte sein Kreuz bei der AfD. Die Partei erzielte hier mit 22,9 Prozent ihr bestes Ergebnis in München (AfD-Durchschnitt in der gesamten Stadt: 7,1 Prozent).

Fragt man nach den Gründen für die Wahlentscheidung, kommen die sozialen Verhältnisse ins Spiel. "Dort wohnen nicht diejenigen, denen es am besten geht", weiß Markus Auerbach, Bezirksausschussvorsitzender Feldmoching-Hasenbergl. Wenn er zum Supermarkt einkaufen geht, treffe er Menschen, die Mitte des Monats überlegen, ob sie Reis oder Nudeln kaufen. Für Auerbach hängt das Wahlverhalten mit Einkommen und Bildung zusammen, und er meint, es gebe im Viertel ein gewisses Maß an Unzufriedenheit. Lange Jahre direkt am Hasenbergl gewohnt hat Reinhard Bauer, Historiker und Mitglied des dortigen SPD-Ortsvereins. "Die Leute fühlen sich ausgegrenzt", so sein Statement, doch das sei nichts Neues. Auch die rechten Republikaner hätten hier früher ihre Hochburgen gehabt.

Studie "Prekäre Wahlen"

Das andere Ende der Skala: etwa der Stimmbezirk 220 in der Innenstadt. Ein buntes Viertel mit Altbaubestand, jungen Familien und Akademikern. Hier schlägt sich die soziale Lage in einem umgekehrten Verhältnis wie am Hasenbergl nieder. Eine hohe Wahlbeteiligung von 78,3 Prozent ging mit einem niedrigen Stimmanteil für die AfD von 1,8 Prozent einher. Die Grünen kamen auf stolze 43,5 Prozent der Stimmen.

Im Grunde wiederholte sich somit der Zusammenhang zwischen sozialer Lage und Wahlbeteiligung, wie er schon für die Bundestagswahl 2013 galt. Je prekärer die Lebensverhältnisse, desto geringer die Wahlbeteiligung – so lautet damals das Ergebnis einer Studie der Bertelsmann Stiftung mit dem Titel "Prekäre Wahlen - Milieus und soziale Selektivität der Wahlbeteiligung bei der Bundestagswahl 2013". Bei der bayerischen Landtagswahl am 14. Oktober 2018 hat sich dieses Ergebnis in München im Prinzip wiederholt, allerdings mit einem Unterschied: Die ökonomisch schwächeren Milieus haben diesmal überdurchschnittlich die AfD gewählt.

Rudolf Stumberger


Familie

Studie: Väter übernehmen nach Elternzeit mehr im Haushalt




Ein Vater mit seinem Kind auf einem Spielplatz
epd-bild/Jürgen Blume
Elternzeit ändert die Rolle von Vätern: Sie übernehmen mehr Arbeit im Haushalt und verbringen mehr Zeit mit ihren Kindern - auch Jahre nach ihrer Elternzeit.

Väter, die in Elternzeit gehen, verbringen einer Studie zufolge auch noch Jahre später mehr Zeit mit ihren Kindern und machen mehr im Haushalt. Sie verrichten täglich ungefähr eine halbe Stunde mehr Hausarbeit als Väter, die keine Elternzeit genommen haben, wie aus der am 18. Oktober veröffentlichten Untersuchung des Essener RWI Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung hervorgeht.

Nach ihrer Elternzeit verbringen Väter zudem in den ersten sechs Lebensjahren des Kindes am Wochenende täglich rund eineinhalb Stunden mehr mit ihren Söhnen und Töchtern als Väter, die durchgehend gearbeitet haben. "Auch wenn das meistens nur zwei Monate sind, verändert es langfristig die Rolle, die der Vater in der Familie hat", sagte der Wirtschaftswissenschaftler des Instituts, Marcus Tamm. Für die Studie werteten die Wissenschaftler Daten des Sozio-oekonomischen Panels aus.

Elternzeit prägt Väter

Die Studie vergleicht den Angaben zufolge das Verhalten von Vätern, die sowohl vor als auch nach der Einführung des Elterngeldes 2007 Kinder bekommen haben. Nach Tamms Einschätzung ist daher nicht davon auszugehen, dass der Effekt darauf zurückzuführen wäre, dass Väter, die Elternzeit nehmen, sich ohnehin mehr in der Familie engagieren. "Wir sehen bei denselben Vätern Unterschiede zwischen dem ersten Kind, bei dem sie keine Elternzeit genommen haben, und dem zweiten, bei dem sie mindestens zwei Monate genommen haben", erklärte der Wissenschaftler.

Kurzfristig wirke sich die Elternzeit von Vätern zudem auf die Erwerbstätigkeit der Mütter aus. Frauen arbeiteten pro Woche gut neun Stunden mehr, wenn der Vater Elternzeit nehme, hieß es. Väter arbeiten laut Studie rund 7,5 Stunden weniger.

"Wir haben mit dem Elterngeld einen gesellschaftlichen Wandel erreicht", sagte Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD). Das belegten auch die Zahlen: Zum Start 2007 hätten sich gerade einmal drei Prozent der Väter dafür entschieden, mit ihrem Kind zu Hause zu bleiben. Inzwischen nehme etwa jeder dritte Vater Elternzeit (36 Prozent).

Jana Hofmann


Arbeit

Befristet Beschäftigte und Angestellte in Teilzeit von Armut bedroht



Befristet Beschäftigte und Teilzeitangestellte in Deutschland sind besonders häufig durch Armut gefährdet. Das geht aus Daten des Europäischen Statistikamts Eurostat hervor, die dem Evangelischen Pressedienst (epd) vorliegen. Demnach waren im vergangenen Jahr mehr als 18 Prozent der Arbeitnehmer mit befristeter Anstellung und 14 Prozent der Teilzeitbeschäftigten armutsgefährdet. Insgesamt waren rund acht Prozent aller Angestellten von Armut bedroht.

2005 galten noch knapp neun Prozent der befristet Beschäftigten und rund sieben Prozent der Angestellten als armutsgefährdet. Allerdings verbessern sich die Werte langsam wieder: 2016 waren den Daten zufolge mehr als 20 Prozent der befristet Angestellten und knapp über 15 Prozent der Teilzeitarbeitnehmer von Armut bedroht.

Als armutsgefährdet gilt, wer weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens der Gesamtbevölkerung zur Verfügung hat. Die Armutsrisikogrenze in Deutschland lag im Jahr 2017 Eurostat zufolge für einen alleinstehenden Erwachsenen bei 13.152 Euro.



Arbeit

NRW startet Bundesratsinitiative für flexibles Entgelt bei Minijobs



Die nordrhein-westfälische Landesregierung hat am 19. Oktober im Bundesrat in Berlin eine Initiative gestartet, um die Einkommensgrenze für Minijobs an die Entwicklung des gesetzlichen Mindestlohns zu koppeln. "Die Arbeitszeiten von Minijobbern dürfen nicht durch den steigenden Mindestlohn eingeschränkt werden", erklärte Arbeitsminister Karl-Josef Laumann. Mit der Initiative gebe das Land NRW "einen Impuls für eine nachhaltige Lösung des Problems".

Bei einer geringfügigen Beschäftigung dürfen Arbeitnehmer bis zu 450 Euro im Monat verdienen. Diese starre Entgeltgrenze führe dazu, dass geringfügig Beschäftigte nur eine bestimmte Anzahl von Stunden arbeiten dürften, sagte Minister Laumann. Mit jeder weiteren Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns reduzierten sich diese Stunden. Konnten geringfügig Beschäftigte im Januar 2015 noch knapp 53 Stunden im Monat zum damals geltenden Mindestlohn von 8,50 Euro arbeiten, sind es seit der Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns im Jahre 2017 auf 8,84 Euro nur noch rund 51 Stunden.

Laut dem Gesetzesantrag der NRW-Landesregierung soll die bislang starre Entgeltgrenze von 450 Euro künftig das 53-fache des gesetzlichen Mindestlohns betragen. Auf Basis des aktuellen Mindestlohns wären das dann knapp 470 Euro pro Monat. Bei weiteren Anhebungen des Mindestlohns würde die Entgeltgrenze entsprechend angehoben.

Die Bundesratsinitiative sieht zudem vor, die Gleitzone für den Niedriglohnbereich, in der Arbeitnehmer geringere Sozialversicherungsbeiträge zahlen müssen, von 850 Euro auf 1.300 Euro zu erhöhen. Der nordrhein-westfälische Gesetzentwurf möchte diese Grenze ebenfalls an die Entwicklung des gesetzlichen Mindestlohns anpassen. Nach Angaben des Ministeriums gibt es bundesweit an die sieben Millionen Minijobber.



Bildung

OECD: Chancen sozial benachteiligter Kinder verbessern sich langsam



Die Chancen sozial benachteiligter Kinder verbessern sich im deutschen Bildungssystem nur langsam. Verglichen mit anderen Ländern habe Deutschland beim Thema Chancengleichheit allerdings stark aufgeholt, wie aus einer am 23. Oktober von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) vorgestellte Neuauswertung der Pisa-Ergebnisse von 2015 hervorgeht. Die Bildungserfolge von Kindern aus Akademikerfamilien und Arbeiterhaushalten unterschieden sich allerdings noch immer deutlich.

Rund 16 Prozent der Leistungsunterschiede von Schülern in Deutschland seien auf sozioökonomische Faktoren wie Herkunft und Bildung der Eltern zurückzuführen, heißt es in der Studie mit dem Titel "Chancengleichheit in der Bildung: Abbau von Barrieren für soziale Mobilität". 2006 habe der Wert noch vier Prozentpunkte höher gelegen. Das sei die größte Verbesserung unter den OECD-Ländern.

Der Durchschnitt der Leistungsunterschiede von Schülern in den OECD-Staaten liegt der Erhebung zufolge bei 13 Prozent. In Norwegen und Estland sei der Unterschied mit acht Prozent allerdings deutlich niedriger.

Sozial benachteiligte Schüler erreichten laut Studie in Deutschland im Bereich der Naturwissenschaften einen Pisa-Punktestand von 466, während Jugendliche aus privilegierten Familien 569 Punkte bekamen. Benachteiligte Schüler hätten damit einen Rückstand von dreieinhalb Schuljahren. Diese Kluft sei deutlich größer als in anderen OECD-Ländern. Der durchschnittliche Unterschied liege bei 88 Punkten. In Finnland, Norwegen oder Polen existiere eine solche Kluft nicht.

Den Angaben zufolge ist vor allem die Wahl der Schule entscheidend für den Bildungserfolg. An Schulen, die vor allem von sozial benachteiligten Jugendlichen besucht werden, sei der Bildungsstand niedriger als an anderen Schulen. Die OECD rät dazu, soziale Unterschiede zwischen Schulen zu reduzieren.

Für die Pisastudie 2015 wurden in 72 Ländern rund 540.000 Schüler im Alter von 15 Jahren getestet. 6.500 davon stammten aus Deutschland.



Bundesregierung

Amt des Missbrauchsbeauftragten wird entfristet



Das nach dem Missbrauchsskandal von 2010 geschaffene Amt eines Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs wird zur Dauereinrichtung. Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) teilte am 19. Oktober in Berlin mit, der Arbeitsstab werde unbefristet mit 25 Beschäftigten ausgestattet. Bisher war die Amtszeit des Missbrauchsbeauftragten Johannes-Wilhelm Rörig bis März 2019 befristet. Die Koalition hatte sich aber auf eine Verstetigung des Amtes verständigt. Giffey erklärte, Opfern sexualisierter Gewalt zu helfen, sei eine Daueraufgabe. Rörig ist seit 2011 Missbrauchsbeauftragter.

Der ehrenamtlich tätige Betroffenenrat beim Missbrauchsbeauftragten soll ebenfalls weiterarbeiten können. Die Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs in Deutschland soll bis Ende 2023 abgesichert werden. Bisher war die Arbeit der Kommission unter Leitung der Frankfurter Erziehungswissenschaftlerin Sabine Andresen ebenfalls bis März 2019 befristet. Das Gremium hatte seine Arbeit Anfang 2016 aufgenommen. Es sammelt die Schilderungen Betroffener, veranstaltet öffentliche Hearings und treibt in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern die unabhängige Aufarbeitung voran.



Aus den Ländern

Landtag novelliert niedersächsisches Krankenhausgesetz



Der Landtag in Hannover hat am 24. Oktober eine Novellierung des niedersächsischen Krankenhausgesetzes beschlossen. Damit zog das Parlament Konsequenzen aus den Morden des früheren Krankenpflegers Niels Högel. "Wir wollen, dass es eine Mordserie, wie sie sich in Oldenburg und Delmenhorst ereignet hat, nicht mehr gibt", sagte Landessozialministerin Carola Reimann (SPD). Alle Landtagsabgeordneten stimmten der Gesetzesvorlage zu.

Die Novelle sieht unter anderem vor, dass alle niedersächsischen Krankenhäuser ein Meldesystem aufbauen, das mögliches Fehlverhalten von Mitarbeitern frühzeitig offen legen soll. Zudem müssen die Kliniken eigene Arzneimittelkommissionen und Stationsapotheken einrichten. Das Sozialministerium soll mehr Möglichkeiten zur Kontrolle bekommen.

Högel soll zwischen 2000 und 2005 mehr als 100 Patienten Medikamente gespritzt haben, um absichtlich lebensbedrohliche Herzprobleme bis hin zum Herzflimmern auszulösen. Für 99 Morde muss sich Högel ab dem 30. Oktober vor Gericht verantworten. Für sechs weitere Taten verbüßt er bereits eine lebenslange Haftstrafe. Der Landtag hatte nach Bekanntwerden der Taten einen Sonderausschuss eingesetzt. Die Neufassung des Krankenhausgesetzes beruhe weitgehend auf den Empfehlungen diese Gremiums, sagte Reimann.



Aus den Ländern

Rheinland-Pfalz kündigt Novelle des Rettungsdienstgesetzes an



Die rheinland-pfälzische Landesregierung will mit einer Gesetzesnovelle sicherstellen, dass der Rettungsdienst im Land auch künftig vorrangig von Sanitätsorganisationen wie dem Deutschen Roten Kreuz (DRK) übernommen wird. Änderungen im Vergaberecht der EU sowie auf Bundesebene machten eine Überarbeitung des Rettungsdienstgesetzes notwendig, erklärte Innenminister Roger Lewentz (SPD) am 23. Oktober in Mainz. Zuvor hatte sich die Landesregierung erstmals mit dem Referentenentwurf befasst.

Rheinland-Pfalz will an der bisherigen Praxis festhalten, die Aufgaben des Rettungsdienstes vorrangig an DRK, Malteser Hilfsdienst, Johanniter-Unfall-Hilfe und Arbeiter-Samariter-Bund statt an private Unternehmen zu vergeben. Die Novelle soll außerdem die Finanzierung der Rettungsdienste reformieren. So sollen die Kommunen bei den Baukosten von Rettungswachen künftig durch Fördermittel des Landes stärker entlastet werden. Ebenso sollen in dem Gesetz die Rolle und Aufgaben von Notfallsanitätern festgeschrieben werden. Das Berufsbild war 2014 neu eingeführt worden und ersetzt die bisherigen Rettungsassistenten.

In Deutschland ist die Organisation der Rettungsdienste Länderangelegenheit. Rheinland-Pfalz reagiert nach Angaben des Innenministeriums als erstes Bundesland mit einer Gesetzesnovelle auf die neuen Rahmenbedingungen. Für Notarzt- und Rettungseinsätze sowie Krankentransporte fallen im Land jährlich Kosten von rund 160 Millionen Euro an.




sozial-Branche

Heilsarmee

"Wir möchten überall dort sein, wo Not herrscht"




Hervé Cachelin, Ururenkel des Gründers der Heilsarmee
epd-bild/Jörn Neumann
Hervé Cachelin ist der Ururenkel von William Booth, der vor rund 150 Jahren die Heilsarmee im Londoner East End gründete. Und auch Cachelin folgt der langen Familientradition als Offizier der Heilsarmee – derzeit in Deutschland.

Hervé Cachelin ist ein bescheidener Mensch. Deshalb ist es schwer, dem 61-Jährigen etwas über seinen berühmten Ururgroßvater zu entlocken. Immerhin, auf die Frage, wann ihm denn zum ersten Mal klargeworden sei, wer sein Ururgroßvater gewesen sei, erzählt er in knappen Worten vom 2. Juli 1965: Damals war Cachelin als Achtjähriger zusammen mit seinen Eltern und seinen Geschwistern dabei, als in der Westminster Abbey in London eine Marmorbüste von William Booth (1829 – 1912) enthüllt wurde – zum 100. Gründungsjubiläum der Heilsarmee.

Es war der englische Methodist William Booth, der 1865 zusammen mit seiner Frau Catherine eine christliche Bewegung ins Leben rief, die die Lebensbedingungen der Armen verbessern wollte. Er gründete Suppenküchen und Obdachlosenheime. Was zunächst ganz klein als "Christliche Erweckungsgesellschaft" im bitterarmen Londoner East End anfing, ist heute eine weltweit operierende Organisation und evangelische Freikirche: Die Heilsarmee ist in 131 Ländern vertreten und hat nach eigenen Angaben 1,7 Millionen Mitglieder.

Weltweites Netz an Hilfsdiensten

"The Salvation Army", wie sie auf Englisch heißt, unterhält weltweit ein riesiges Netz an sozialen Einrichtungen, darunter 235 Kinderheime, 940 Kindergärten, 460 Obdachlosenheime, 180 Alten- und Pflegeheime, 1.400 Suppenküchen und Schulen für 620.000 Kinder und Jugendliche.

Zudem beschäftigt sie in ihren Krankenhäusern annähernd 4.000 Ärzte und Pflegekräfte. Cachelin ist einer von rund 28.000 ordinierten hauptamtlichen Offizieren, die die Heilsarmee - ganz wie William Booth - zu ihrem Lebensmittelpunkt gemacht haben.

Zurzeit ist Cachelin zusammen mit seiner Frau Deborah in Deutschland tätig, wo er seit 2017 die Funktion des Verwaltungschefs des Heilsarmee-Territoriums Deutschland, Litauen und Polen mit Sitz in Köln wahrnimmt. Dabei ist Cachelin nicht der erste Nachfahre von Booth, der für die Heilsarmee in Deutschland tätig ist: Hervés Großtante Mary Booth, eine Enkelin von William Booth, war von 1925 bis 1929 für die Heilsarmee in Deutschland aktiv. Und Hervés Mutter Genevieve Cachelin, eine Urenkelin des Gründers, leitete die deutsche Heilsarmee gemeinsam mit ihrem Mann von 1979 bis 1984.

Allerdings, sagt Hervé, sei es nicht außergewöhnlich, dass Kinder von Heilsarmeeoffizieren sich ebenfalls für ein Leben in der Kirche entschieden: "Von uns vier Geschwistern sind tatsächlich drei Heilsarmeeoffiziere geworden."

Frühe Entscheidung für die Heilsarmee

Cachelin selbst hat einen schweizerischen und einen britischen Pass, wurde in Brüssel geboren, ging in Paris zur Grundschule und blieb dann bis zum Ende seines Pädagogikstudiums in Bern. "Ich empfand das, was andere vielleicht als Entwurzelung beurteilen würden, als Abenteuer und spannende Herausforderung." Schon als Jugendlicher war ihm klar, dass er nichts anderes machen wollte, als in der Heilsarmee zu bleiben. Seine eigenen drei Kinder sind zwar in der Kirche aktiv, aber keine Offiziere.

Deutschland ist aus Sicht der Heilsarmee ein bisschen so etwas wie ein Entwicklungsland: "Von den Ländern, in denen meine Frau und ich bislang tätig waren, ist die Heilsarmee in Deutschland in der Bevölkerung am wenigsten bekannt." Sie werde hier vor allem als Hilfsorganisation, etwa bei Katastropheneinsätzen, oder als Träger sozialer Einrichtungen gesehen, "aber erst in zweiter Linie als Kirche". Das habe sicherlich damit zu tun, dass die Heilsarmee durch die Nationalsozialisten und später den Eisernen Vorhang stark eingeschränkt worden sei, sagt Cachelin. Vor dem Zweiten Weltkrieg sei sie dagegen sehr populär gewesen: "Allein in Berlin gab es 20 Gemeinden. Ohne den Krieg wäre Deutschland heute vielleicht eines der mitgliederstärksten Territorien."

Dass sich das heute noch einmal entscheidend ändert, glaubt Cachelin nicht: "Wir müssen realistisch sein: Wir leben in einer Zeit, in der die Menschen sehr offen und neugierig sind, aber nicht unbedingt auf organisierte Kirche." Mit 1.300 Mitgliedern sei die Heilsarmee in Deutschland zahlenmäßig nicht groß: "Aber sie ist weit über ihre Größe hinaus bekannt. Schließlich möchten wir überall dort sein, wo Not herrscht."

Barbara Driessen


Betreuung

Gastbeitrag

Verbandschef Becker: Es tickt eine soziale Zeitbombe




Thorsten Becker
epd-bild/Bundesverband der Berufsbetreuer/innen
Seit 13 Jahren ist die Vergütung der Berufsbetreuer nicht angehoben worden. Deshalb fordert der Dachverband mehr Geld. Doch nicht nur hier müssen Reformen her, schreibt Verbandschef Thorsten Becker in seinem Gastbeitrag für epd sozial. Um die Qualität zu sichern, werde mehr Zeit pro Betreuungsfall benötigt. Und: Der Beruf müsse professionalisiert werden, fordert er von der Bundesregierung.

Es kann jeden treffen. Jeder von uns kann Probleme bekommen, das eigene Leben selber zu regeln: eine schwere seelische Krise, ein Schlaganfall, eine fortgeschrittene demenzielle Erkrankung, eine körperliche oder geistige Behinderung. Menschen können aus vielen Gründen aus der Lebensbahn geworfen werden. Für diese Menschen leisten wir Berufsbetreuerinnen und -betreuer wertvolle Dienste.

Wenn ein Mensch nicht mehr in der Lage ist, seine Angelegenheiten selber zu managen, dann kann ihm ein Gericht einen Betreuer zur Seite stellen. Dessen Aufgabe ist es, die Rechte des Klienten zu wahren, seine Handlungsfähigkeit zu sichern und für Teilhabe an der Gesellschaft zu sorgen.

Selbstbestimmte Lebensführung

Wunsch und Wille sowie der eigene Lebensentwurf des Klienten sind für unsere gemeinsame Arbeit mit den Klienten zentralen Leitplanken. Der betreute Mensch soll zu eigenen Entscheidungen befähigt werden. So fordert es auch die UN-Behindertenrechtskonvention, die die Bundesregierung 2007 unterschrieben hat. Leitbild der rechtlichen Betreuung ist die selbstbestimmte Lebensführung.

Wie komplex unsere Arbeit ist, zeigt das Beispiel von Klaudia J. aus Koblenz. 2014 erkrankte die damals 56-Jährige an paranoider Schizophrenie. Ihre Mutter kümmerte sich zunächst um die frühere Bundeswehr-Mitarbeiterin. Sie sorgte dafür, dass die Erkrankte regelmäßig zum Arzt ging und ihre Medikamente nahm. Dann starb sie, Klaudia J. blieb allein zurück – vom Leben mit der Krankheit überfordert. Die Medikamente nahm sie nicht mehr, die Wohnung ließ sie verwahrlosen, Nachbarn beschimpfte sie, den ganzen Tag lang hörte sie laut Musik. Die Beschwerden häuften sich. Schließlich sollte die Wohnung zwangsgeräumt werden. Klaudia J. brach zusammen und wurde in eine psychiatrische Klinik eingeliefert. In dieser scheinbar ausweglosen Lage wurde ein Berufsbetreuer bestellt.

Die Meinung der Ärzte war klar: Klaudia J. wird nie wieder allein leben können; sie muss ins Heim. Doch Klaudia J. war in der Einrichtung unglücklich und wünschte sich eine eigene Wohnung.

Schutz vor Verwahrlosung

Die Rahmenbedingungen waren schwierig: Die Erwerbsunfähigkeitsrente von Klaudia J. gab nur eine Bleibe am Stadtrand oder auf dem Land her. Zugleich sollte medizinische Versorgung der Klientin sichergestellt werden. Klaudia J. muss regelmäßig zum Neurologen und ist auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen. Nach vier Monaten fand der Betreuer gemeinsam mit Klaudia J. eine Wohnung im Zentrum mit guter Busanbindung.

Klaudia J. führt heute ein selbstbestimmtes Leben - mit Unterstützung durch den Berufsbetreuer. Zweimal pro Woche kommt eine Haushaltshilfe, die der Betreuer beschafft und für deren Bezahlung durch die Behörden er gesorgt hat. Die Haushaltshilfe übt mit Klaudia J. kochen, kauft mit ihr ein, putzt und bedient die Waschmaschine. So ist sichergestellt, dass die Wohnung nicht verwahrlost.

Der Betreuer hat in Abstimmung mit Klaudia J. die Aufnahme in einer Reha-Werkstatt organisiert. Der Bürojob gibt ihrem Tag eine sinnvolle Struktur und stabilisiert sie. Der Berufsbetreuer unterstützt so die Klientin bei der Ausübung ihres Selbstbestimmungsrechts.

Zahl der Aufgaben gestiegen

Der Zeitaufwand ist in Fällen wie diesem immens. Doch wir Berufsbetreuer können nur durchschnittlich 3,3 Stunden pro Klient und Monat abrechnen, zu maximal 44 Euro pro Stunde, sofern eine verwertbare akademische Ausbildung vorliegt. Bis 2005 durften wir die tatsächlich aufgewandte Zeit abrechnen, seither sind die Stundenkontingente und -sätze pauschaliert. Eine Erhöhung der Zahlungen gab es in den inzwischen mehr als 13 Jahren nicht.

Im gleichen Zeitraum ist die Zahl der Aufgaben gestiegen, die wir für und mit unseren Klienten wahrnehmen. Antragsverfahren wurden umfangreicher und Bewilligungszeiträume verkürzt, weswegen heute Anträge häufiger gestellt werden müssen. Auch ist es deutlich schwieriger geworden, Leistungen für Klienten bewilligt zu bekommen. Der Schriftverkehr mit den Behörden füllt in jedem Betreuerbüro viele Aktenordner.

Die Folge: Wir können uns weder genügend Zeit für die Klienten nehmen, noch wird unsere Arbeit leistungsgerecht vergütet. Das kann zu Qualitätsdefiziten führen, auf die wir als Verband seit Jahren hinweisen - und die inzwischen auch wissenschaftlich erwiesen sind.

Unbezahlte Mehrarbeit

Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hat 2015 bis 2017 in einer Studie die Qualität in der Betreuung vom Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik (ISG) und der Technischen Hochschule Köln untersuchen lassen. So belegte die Studie einen deutlichen Unterschied zwischen geleisteter und vergüteter Arbeit. Wir Betreuer wenden durchschnittlich mindestens 4,1 Stunden pro Klient und Monat auf, um das Pensum einigermaßen zu schaffen: Wir leisten also 0,8 Stunden unbezahlte Mehrarbeit, was sich bei zehn Klienten bereits auf acht Stunden pro Monat summiert.

Die prekäre Lage betrifft nicht nur selbstständige Betreuer, sondern wirkt sich auch auf angestellte Vereinsbetreuer aus. Um qualifizierte Fachleute als Berufsbetreuer in den Betreuungsvereinen zu refinanzieren, müssen jährlich 92.000 Euro für Personal- und Sachkosten aufgewendet werden, wenn man sich an den entsprechenden Tarifen im öffentlichen Dienst und bei Wohlfahrtsverbänden orientiert. Mit den aktuellen Pauschalsätzen lassen sich jedoch nur rund 69.000 Euro refinanzieren.

Nur durch geschickte Organisation, ein ausgeklügeltes Delegieren von Aufgaben sowie der Inanspruchnahme von kaum noch vorhandenen Rücklagen lassen sich Betreuungsvereine auf dieser Basis heute noch managen. Das Gleiche gilt für die fachliche Unterstützung von ehrenamtlichen Betreuern, was eine Kernaufgabe von Betreuungsvereinen ist. Auch hier reichen die Zuschüsse der Länder meist bei weitem nicht aus, um die Personal- und Sachkosten zu tragen.

Suche nach Nachwuchs schwierig

Die Folge: Rücklagen werden aufgebraucht, Mitarbeiter unter Tarif bezahlt und immer mehr Betreuungsvereine müssen aufgelöst werden. Viele meiner Kollegen mit eigenen Büros gehen pleite oder geben auf. Nachwuchs für unseren Beruf lässt sich unter den gegebenen Umständen kaum rekrutieren.

Auf der Strecke bleiben die Menschen, die auf unsere Unterstützung angewiesen sind, um ein selbstbestimmtes Leben führen zu können. Hier tickt eine soziale Zeitbombe. Die Folgekosten werden den deutschen Staat mehr belasten als eine Verbesserung der Rahmenbedingungen jetzt.

Die Studie des Bundesjustizministeriums bildet eine objektive, empirisch repräsentative Grundlage für eine umfassende Reform. Das Ziel ist klar: Wir wollen mehr Qualität und Professionalität in der rechtlichen Betreuung.

Nach dem Scheitern einer Gesetzesänderung zur Vergütungserhöhung im Bundesrat 2017 erwarten wir von der großen Koalition eine neue Gesetzesinitiative sowie die Umsetzung der im Koalitionsvertrag angekündigten strukturellen Verbesserungen im Betreuungswesen.

Professionalisierung der Berufsbetreuung

Um das System Betreuung kurzfristig zu sichern, fordern wir, die Zahl der vergüteten Stunden an die tatsächlich geleistete Arbeit anzupassen und von durchschnittlich 3,3 auf 4,1 anzuheben. Außerdem fordern wir eine Erhöhung der Stundensätze in der obersten Stufe von derzeit 44 auf 55 Euro pro Stunde.

Die Rahmenbedingungen in der rechtlichen Betreuung müssen langfristig den Anforderungen der UN-Behindertenrechtskonvention angepasst werden. Dabei spielt der Faktor Zeit für Klienten eine zentrale Rolle. Im Fokus steht dabei die sogenannte "unterstützte Entscheidungsfindung" - ein gemeinsames Verfahren, durch das der Klient befähigt wird, eigene Entscheidungen in der persönlichen Lebensführung zu treffen. Durch unterstützte Entscheidungsfindung wirken Klienten souverän am Entscheidungsprozess mit - ihr Selbstbestimmungsrecht wird gesichert. Das ist eine betreuungsrechtliche Pflicht.

Für die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention ist aus unserer Sicht die Professionalisierung der Berufsbetreuung zwingend nötig. Bis heute ist der Beruf des rechtlichen Betreuers nicht anerkannt. Weder die Ausbildung noch der Zugang zum Beruf sind geregelt. Wir schlagen die Errichtung einer Betreuerkammer vor, die den Berufszugang steuert, eine verbindliche Berufsordnung erlässt sowie die beruflich tätigen Betreuerinnen und Betreuer beaufsichtigt.

Thorsten Becker ist Diplom-Pädagoge und seit 2014 Vorsitzender des Bundesverbands der Berufsbetreuer/innen e.V..


Studie

Lebenssituationen von Wohnungslosen erstmals systematisch analysiert




Wohnungslose in der Heilig-Kreuz-Kirche in Berlin-Kreuzberg
epd-bild / Rolf Zöllner
Erstmals gibt es in Deutschland eine systematische Analyse der Lebensumstände wohnungsloser Menschen. Die Diakonie hat sich an der Studie beteiligt.

Besonders wichtig für wohnungslose Menschen ist einer Studie zufolge eine grundlegende Sicherheit. Dies ergibt sich aus der am 24. Oktober veröffentlichten Erhebung der Evangelische Bundesfachverband Existenzsicherung und Teilhabe (EBET) und der Alice Salomon Hochschule Berlin. Dafür sei entscheidend, wo die Wohnungslosen übernachten können, wie zufrieden sie damit sind, ob sie zum Arzt gehen können und sich sicher fühlen. "Diese Aspekte sind existenziell und können nicht mit anderen Dingen kompensiert werden", heißt es in der Studie.

Nicht jedem Wohnungslosen geht es schlecht

28 Prozent der Wohnungslosen leben den Angaben zufolge unter schlechten oder sehr schlechten Lebensbedingungen. Etwa die Hälfte dieser Menschen (53 Prozent) befinde sich in einer mittleren Situation. Bei knapp 20 Prozent sehe die Situation gut oder sehr gut aus. Die Einordnung berücksichtigt die materielle Situation, Arbeit, Wohnen, Gesundheit, Sicherheit und die sozialen Netzwerke der Betroffenen.

Daneben müssten aber auch die individuellen Einschätzungen wohnungsloser Menschen berücksichtigt werden, fordert Susanne Gerull, Studienleiterin und Professorin für Theorie und Praxis der Sozialen Arbeit. Denn die Studie zeigt auch: Nach der subjektiven Einschätzungen der Betroffenen sehen sich mehr als 40 Prozent in einer schlechten oder sehr schlechten Lebenslage.

In Deutschland gibt es keine amtliche Statistik über Wohnungslosigkeit. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe veröffentlicht lediglich Schätzungen. Demnach waren 2016 rund 860.000 Menschen betroffen. Als wohnungslos gelten Menschen, die keinen vertraglich abgesicherten Wohnraum haben. Nicht alle leben auf der Straße.

Ein Viertel befürchtet Verschlechterungen

Die am meisten gefährdete Gruppe besteht der neuen Studie zufolge aus Menschen, die auf der Straße leben: Knapp zwei Drittel von ihnen befinden sich in unterdurchschnittlich schlechten Lebenslagen. Fast ein Viertel denke, ihre Lebenslage würde sich innerhalb eines Jahres noch verschlechtern. Besonders belastet seien zudem Frauen und Menschen aus anderen EU-Staaten, vor allem Südosteuropa.

Damit sich prekäre Lebenssituationen nicht verfestigen können, sei es vor allem wichtig, wohnungslose Menschen so schnell wie möglich wieder eigenen Wohnraum zu vermitteln. "Wir fordern daher die Politik auf, bezahlbaren Wohnraum für alle zu schaffen, für besonders verletzliche Menschen zugänglich zu machen, Notunterkünfte abzuschaffen und durch Vermittlung in menschengerechte Wohnungen zu ersetzen", erklärten der EBET-Vorsitzende Jens Rannenberg und Maria Loheide, Vorstand Sozialpolitik der Diakonie Deutschland.

Die repräsentativen Analyse stützt sich auf die Befragung 1.135 Betroffener aus ganz Deutschland, die Angebote der diakonischen Wohnungslosen- und Straffälligenhilfe nutzen.

Nora Frerichmann


Bundesregierung

VdK befürchtet Verschlechterungen für Behinderte



Der Sozialverband VdK Deutschland warnt vor deutlichen Verschlechterungen für Menschen mit Behinderung. "Wir befürchten, dass durch die geplante Reform der Versorgungsmedizin-Verordnung künftig niedrigere Grade der Behinderung vergeben werden", sagte Dorothee Czennia vom VdK Deutschland am 22. Oktober dem Evangelischen Pressedienst (epd). Die Verordnung regelt das Verfahren, nach dem die Versorgungsämter individuell den Grad der Behinderung feststellen. Von diesem hängt es ab, in welcher Höhe staatliche Hilfen gewährt werden.

Die Kritik der Sozialverbandes entzündet sich am Referentenentwurf des Bundessozialministeriums zur Änderung der Versorgungsmedizin-Verordnung. Besonders kritisiert werden dort zwei Punkte: die geplante Befristung der Bescheide sowie vorgesehene Änderungen bei der Bildung des sogenannten Gesamt-Grades der Behinderung bei Menschen, die mehrere Beeinträchtigungen aufweisen. Ende 2017 waren 7,8 Millionen Menschen in Deutschland als schwerbehindert anerkannt. Das heißt, sie hatten einen Grad der Behinderung von mindestens 50 Prozent und einen entsprechenden Ausweis.

Komplizierte Neuanträge

Nach Angaben der Referentin für Behindertenpolitik beim VdK, Czennia, sollen die Versorgungsämter künftig die Bescheide bei bestimmten Erkrankungen von vornherein befristen. Dadurch werde der Grad der Behinderung einer Person ungeprüft nach Ende der Frist herabgesetzt. Die Ämter seien allerdings dazu verpflichtet, diese Menschen sechs Monate vor Ablauf der Frist zu informieren. Die Betroffenen könnten dann einen neuen Antrag stellen, um ihren alten Grad zu behalten. "Menschen mit Behinderung haben es bereits schwer genug, ohne dass sie komplizierte Neuanträge stellen müssen", sagte Czennia. Auch für die Verwaltung bedeuteten diese Neuanträge mehr Aufwand und keine Vereinfachung.

Ähnlich kritisch sieht Czennia die geplanten Neuregelungen bei der Bildung des Gesamt-Grades der Behinderung, bei dem mehrere gesundheitliche Einschränkungen zusammen bewertet werden. Bisher wurden auch Beeinträchtigungen mit einem niedrigen Grad von 20 berücksichtigt. "Bald soll ein Einzel-Grad der Behinderung in dieser Höhe im Regelfall nicht mehr zählen", sagte Czennia dem epd.

Sollten die geplanten Änderungen zu niedrigeren Graden führen, hätten Behinderte weniger Ansprüche auf Unterstützung wie die Nachteilsausgleiche. "Dazu zählen beispielsweise die freie oder günstige Teilhabe des ÖPNV, erweiterter Kündigungsschutz oder auch steuerliche Entlastungen", sagte Ilse Müller, Vorsitzende des BDH Bundesverband Rehabilitation.

Jarmila Schneider, Sprecherin des Bundessozialministeriums, sagte dem epd, das Ministerium werde den Referentenentwurf überprüfen und die Kritik der Verbände berücksichtigen. In vielen Bereichen habe das Ministerium dem VdK bereits Änderungsbereitschaft signalisiert.



Interessensvertretung

Altenpflegeverband wirbt für Pflegering in Nordrhein-Westfalen



Der Deutsche Berufsverband für Altenpflege empfiehlt den nordrhein-westfälischen Pflegekräften die Wahl eines Pflegeringes. Wichtig sei die Freiwilligkeit, erklärte der Bundesvorstand am 23. Oktober im oberbergischen Wiehl. Der Verband wolle nicht, dass jemand zu einer Mitgliedschaft in einer Pflegekammer gezwungen werden kann. Die nordrhein-westfälische Landesregierung lässt rund 1.500 repräsentativ ausgewählte Pflegekräfte darüber abstimmen, ob und in welcher Form sie eine Interessensvertretung gründen wollen.

Die Pflegekräfte können sich in der Befragung für eine Pflegekammer mit verpflichtender Mitgliedschaft oder einen Pflegering mit freiwilliger Mitgliedschaft stimmen. Sie können sich aber auch gegen eine Interessenvertretung aussprechen. Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) hatte sich für eine Pflegekammer ausgesprochen.

Der Berufsverband erklärte, eine Pflegekammer würde Bürokratisierung bedeuten. Auch würde es der Erwartung an eine moderne Politik widersprechen. Zudem fehlten einer Pflegekammer die Handlungsmöglichkeiten, um die Bezahlung sowie die Arbeits- und Rahmenbedingungen in der Pflege zu verbessern. Stattdessen würde die verpflichtende Mitgliedschaft in einer Pflegekammer den Beschäftigten Geld kosten.

Die Pflichtbeiträge für die Mitglieder einer Pflegekammer liegen nach Einschätzung des Ministeriums je nach Einkommenshöhe zwischen 2,50 und zehn Euro monatlich. Sollte sich eine Mehrheit bei der Befragung dagegen für einen Pflegering entscheiden, gäbe es einen freiwilligen Beitrag. Die übrigen Kosten müsste zumindest in der Anfangszeit das Land übernehmen.

Falls bei der Befragung eine Mehrheit für eine der beiden Lösungen zustande kommt, soll nach den Plänen des Gesundheitsministers bis Ende 2019 ein entsprechendes Gesetz in Kraft treten. In Nordrhein-Westfalen gibt es nach Ministeriumsangaben rund 197.000 Pflegekräfte. Von ihnen sind rund 75.000 in der Altenpflege und rund 121.000 in der Krankenpflege tätig.



Pflege

Volksbegehren soll mehr Personal in Bremer Kliniken bringen



Mit einem Volksbegehren wollen Vertreter aus Pflege, Gewerkschaften und Politik erreichen, dass in Bremer Krankenhäusern mehr Pflegepersonal eingestellt wird. Durch Arbeitsverdichtung und Überlastung seien die Kolleginnen und Kollegen auf den Stationen am Ende, warnte am 23. Oktober die Sprecherin des Bremer Bündnisses für mehr Personal im Krankenhaus, Ariane Müller. Nach Angaben von ver.di-Gewerkschaftssekretär Jörn Bracker fehlen in den Bremer Kliniken rund 1.600 Stellen.

In einem ersten Schritt sollen ab dem 27. Oktober Unterschriften für die Beantragung eines Volksbegehrens gesammelt werden. Dafür sind nach Angaben der Initiatoren 5.000 Unterstützer nötig. Mit dem Volksbegehren wiederum soll eine Änderung des Bremischen Krankenhausgesetzes erreicht werden, in der eine an den Bedürfnissen der Patienten orientierte Personalplanung festgeschrieben werden soll.

"Das Gesundheitswesen funktioniert nur noch, weil die Beschäftigten regelmäßig über ihre Leistungsgrenzen hinausgehen", sagte Bracker. Ariane Müller, selbst Schwester auf einer Intensivstation, ergänzte, die Pflegekräfte könnten den Druck nicht mehr aushalten. "Ältere flüchten in die Teilzeit - Jüngere kündigen nach kurzer Zeit ihren Arbeitsplatz, um einen anderen Beruf zu ergreifen." Diese Situation sei für Pflegende wie Patienten gleichermaßen gesundheitsgefährdend: "Deshalb brauchen wir sofort eine gesetzliche Personalbemessung."

Diese dürfe sich aber nicht an der neuen Verordnung von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) zu Untergrenzen von Pflegepersonal orientieren, mahnte Müller. "Die bringt uns kein Stück weiter. Was wir brauchen, ist eine patientenorientierte Personalbemessung." Der Stellenabbau in den vergangenen Jahren habe zu einer "Fließbandpflege" geführt.

Das Bündnis will bis zum 16. Dezember Unterschriften für den Antrag auf das Volksbegehren sammeln. Diese werden dann zunächst geprüft. Im zweiten Schritt geht es um das Volksbegehren selbst, das fünf Prozent der Wahlberechtigten in Bremen per Unterschrift unterstützen müssen. Am Ende gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder stimmt das Parlament über den Entwurf zur Gesetzesänderung ab, oder das Volk entscheidet per Volksentscheid selbst. Die Bremer Initiative folge dem Vorbild der Pflegebündnisse in Berlin, Hamburg und Bayern, hieß es.



Verbände

Caritas warnt vor Scheitern der Entlastung in der Pflege



Der Caritasverband im Erzbistum Paderborn warnt davor, die Entlastung für Pflegekräfte in der ambulanten Pflege auf die lange Bank zu schieben. Die dringend nötige Entlastung scheine erneut zu scheitern, erklärte der katholische Wohlfahrtsverband am 24. Oktober in Paderborn. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) habe bei seinem Besuch Anfang September in Paderborn zugesagt, bis Anfang nächsten Jahres im aktuellen Pflegepersonalstärkungsgesetz die Krankenkassen darauf zu verpflichten, den Tariflohn von Pflegekräften anzuerkennen und nicht als "unwirtschaftlich" ablehnen zu dürfen.

Die Tarifanerkennung für die häusliche Krankenpflege werde jedoch weder im Gesetzentwurf der Bundesregierung, der aktuell im Bundestag beraten werde, noch in Änderungsanträgen der Regierungsfraktionen erwähnt, kritisierte der katholische Wohlfahrtsverband. Die Caritas mahnte eine kurzfristige Änderung des Gesetzesentwurfs an. "Es wäre ein Signal der Wertschätzung für Pflegekräfte, wenn den Worten nun Taten folgen", sagte der Referatsleiter Sozialstationen beim Paderborner Caritasverband, Christoph Menz.

Die fehlende Tarif-Anerkennung sei ein erheblicher Grund für die extreme Arbeitsverdichtung und damit auch für die geringe Attraktivität, in der ambulanten Pflege zu arbeiten. Es drohe, eine Riesenchance vertan zu werden, beklagte Menz. Nur die Gewissheit der Anerkennung der Tariflöhne könne die Arbeitsverdichtung lockern und damit die häusliche Krankenpflege als Einsatzgebiet für Pflegefachkräfte attraktiver machen, erklärte die Caritas.



Aus den Ländern

Wohlfahrt fordert mehr Flexibilität im Bremer Kita-System



Die Träger der Freien Wohlfahrtspflege in Bremen fordern mehr Flexibilität und Autonomie. Dadurch könnten schneller und bedarfsgerechter Kita-Plätze geschaffen werden, sagte am 22. Oktober der Vorstandssprecher der Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) der Freien Wohlfahrtspflege, Arnold Knigge. Die Hauptursache für die Defizite sehen die Verbände nach seinen Worten in einer zentralistischen Planungs- und Steuerungspraxis und in den damit verbundenen aufwendigen Verfahren der Verwaltung.

Die LAG und der Landesverband Evangelischer Tageseinrichtungen für Kinder haben ein Positionspapier mit Vorschlägen erarbeitet, die den notwendigen Ausbau der Kita-Plätze im Land Bremen nach ihrer Einschätzung beschleunigen würden. Entsprechende Erfahrungen mit dezentralen Strukturen beispielsweise in Hamburg, Berlin und Mecklenburg-Vorpommern bestätigten dies, sagte Landesverbands-Chef Carsten Schlepper.

Im Kern sollen das Land und die Kommunen mit einer Leitplanung beispielsweise Versorgungsquoten, Qualitätsstandards und Personalschlüssel vorgeben. "Die Träger müssten dann auf der Grundlage dieser politischen Vorgaben handeln, hätten dann aber mehr Raum für eigene Initiative", erläuterte Knigge. Dies gelte bei der Schaffung neuer Plätze genauso wie bei der Ausgestaltung der Betreuungsangebote. Die gemeinnützigen Kita-Träger sollten nach Auffassung der LAG vor dem Hintergrund der Leitplanung insbesondere ein eigenständiges Initiativrecht zur Schaffung von Plätzen bekommen.

Bei der Finanzierung würde das bisherige System unterschiedlicher Zuwendungen laut Schlepper durch Pauschalen ersetzt werden. "Eine Grundpauschale ergänzt durch weitere Teilpauschalen, die sich auf die Bedürfnisse des jeweiligen Kindes beziehen", erläuterte er.



Aus den Ländern

Pro Familia fordert Schutzzone um Beratungsstellen



Der Verband pro familia Baden-Württemberg fordert um Schwangerschaftsberatungsstellen eine Schutzzone von 150 Metern gegen Demonstrierende. Nach der in Deutschland gültigen Beratungsregelung müsse Frauen, die einen Schwangerschaftsabbruch erwägen, unter anderem vertraulich und auf Wunsch auch anonym Beratung zur Verfügung stehen. Demonstrationen vor einer Beratungsstelle verhinderten dies, teilte Gudrun Christ, Landesgeschäftsführerin von Pro Familia, am 19. Oktober in Stuttgart mit.

Bereits zum zweiten Mal in diesem Jahr demonstrieren Abtreibungsgegner vor der Beratungsstelle von pro familia in Pforzheim täglich für insgesamt 40 Tage mit Mahnwachen, großen Plakaten und Gebeten. Daher fordert der Verband die Schutzzone, "wie dies zum Beispiel in Österreich und Frankreich bereits umgesetzt ist". Für die Frauen dürfe die Beratung nicht zum "demütigenden Spießrutenlauf" werden. Die Pforzheimer Beratungsstelle ist eine von 124 staatlich anerkannten Schwangeren- und Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen in Baden-Württemberg.



Auszeichnungen

Caritas würdigt wissenschaftliche Arbeiten



Der Präsident des Deutschen Caritasverbandes, Peter Neher, hat am 17. Oktober in Osnabrück den Gertrud-Luckner- und den Lorenz-Werthmann-Preis verliehen. Der mit 5.000 Euro dotierte Lorenz-Werthmann-Preis ging an Ingo Proft. Der außerplanmäßiger Professor für Theologische Ethik, Gesellschaft und Sozialwesen an der Philosophisch-Theologischen Hochschule in Vallendar setzte sich in seiner Habilitation mit dem Thema "Epikie. Ein integratives Handlungsprinzip zur Verlebendigung von Leitbildern in konfessionellen Krankenhäusern" auseinander.

Den mit 1.000 Euro dotierte Gertrud-Luckner-Preis erhielt Matthias Merz. In seiner Masterarbeit beschäftigte er sich mit dem Thema "Der Mensch ist dem Menschen Bedürfniswesen, Aggressor und Fürsorger zugleich (Wilhelm Korff)" – Die Bedeutung der sozialen Perichorese für die ethisch-humane Beurteilung der Arbeitsbedingungen von Pflegekräften im Krankenhaus". Merz arbeitet als Gesundheits- und Krankenpfleger auf einer Palliativstation.




sozial-Recht

Landesarbeitsgericht

Stellenabsage wegen Rentenalters ist Diskriminierung




Rentner arbeiten in einer Werkstatt.
epd-bild/Gerhard Bäuerle
Arbeitgeber dürfen Stellenbewerber nicht allein deshalb ablehnen, weil sie Rentner sind. Andernfalls machen sie sich nach einem Gerichtsurteil der Altersdiskriminierung schuldig und müssen dem Bewerber eine Entschädigung zahlen.

Lehnt ein öffentlicher Arbeitgeber einen Stellenbewerber wegen seines Rentenalters ab, ist dies eine unzulässige Altersdiskriminierung. Selbst wenn ein Tarifvertrag eine Altersgrenzenregelung enthält, steht dem abgelehnten Rentner wegen der erlittenen Diskriminierung eine Entschädigung zu, entschied das Landesarbeitsgericht (LAG) Niedersachsen in einem am 16. Oktober veröffentlichten Urteil.

Tarifvertrag lässt Beschäftigung von Rentnern zu

Im konkreten Fall hatte die Stadt Osnabrück eine "Hauswirtschaftliche Anleitung im Zentrum für Jugendberufshilfe" gesucht. Ein 71-jähriger Rentner bewarb sich auf die Stelle und verwies auf seine Erfahrungen in dem Bereich, unter anderem beim Christlichen Jugenddorfwerk Deutschland e. V. Er wies ausdrücklich auf seinen Rentnerstatus hin.

Die Kommune erteilte ihm eine Absage und begründete dies damit, dass "keine Rentner eingestellt werden dürfen". Der Rentner fühlte sich wegen seines Alters unzulässig benachteiligt und verlangte eine Diskriminierungsentschädigung in Höhe von drei Monatsgehältern, insgesamt 8.271 Euro.

Es folgte zunächst eine Entschuldigung der Stadt. Die Formulierung der Absage, dass keine Rentner eingestellt werden dürfen, sei missverständlich. Der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) enthalte jedoch eine Altersgrenzenregelung, nach der ein Arbeitsverhältnis mit Ablauf des Monats endet, in dem der Beschäftigte das gesetzlich festgelegte Alter zum Erreichen der Regelaltersrente vollendet hat.

Entschädigung in Höhe eines Monatsgehalts

Nach Erreichen der Altersgrenze sei ein erneutes Beschäftigungsverhältnis nur mit Zustimmung der zuständigen Personalvertretung möglich, so die Stadt. Wegen der Entscheidungspraxis der Personalvertretung sei davon auszugehen, dass der Kläger nach einem positiven Auswahlverfahren nicht die erforderliche Zustimmung erhalten hätte.

Das Arbeitsgericht Osnabrück sprach dem 71-Jährigen wegen der erlittenen Altersdiskriminierung die gewünschte Entschädigung von 8.271 Euro zu. Das LAG Hannover stellte ebenfalls eine Altersdiskriminierung nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) fest, verringerte jedoch den Entschädigungsanspruch auf ein Monatsgehalt in Höhe von 2.757 Euro.

Der Kläger sei wegen seines Rentnerstatus nicht zum Bewerbungsverfahren zugelassen und damit unmittelbar wegen seines Lebensalters benachteiligt worden. Der 71-Jährige sei auch objektiv für die Stelle geeignet gewesen. Mit der Ablehnung sei ihm die Chance versagt worden, den Arbeitgeber von seiner Bewerbung zu überzeugen. Es komme auch nicht darauf an, dass die Kommune die Stelle letztlich gar nicht besetzt hat.

Die Stadt habe den Vorwurf der Altersdiskriminierung nicht entkräften können, urteilte das LAG. Es gebe zwar im TVöD eine Altersgrenzenregelung in Bezug auf die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses. Die Regelung hindere eine Kommune aber nicht daran, Altersrentner neu einzustellen. Es gebe nach den tariflichen Bestimmungen auch keine Rechtfertigung dafür, dass ein Bewerber überhaupt nicht in die Auswahl einbezogen wird.

BAG beanstandet Suche nach "Hochschulabsolventen"

Allerdings sei die Entschädigungshöhe auf ein Brutto-Monatsgehalt zu verringern, so die Hannoveraner Richter. Die Höhe reiche aus, um eine "abschreckende Wirkung" zu erzielen. Außerdem habe es sich hier eh nur um eine auf neun Monate befristete Stelle gehandelt.

Bereits am 23. August 2012 hatte das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschieden, dass Arbeitgeber sich auch dann nicht um eine Diskriminierungsentschädigung drücken können, wenn die Stelle später gar nicht besetzt wird. Ob die Stelle besetzt wurde oder nicht, spielt für eine erlittene Diskriminierung im Bewerbungsverfahren keine Rolle. Auf diese Entscheidung stützte sich auch das LAG.

In einem weiteren Urteil vom 24. Januar 2013 betonte das BAG, dass öffentliche Arbeitgeber nach der Verfassung verpflichtet seien, Stellen nur nach "Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung der Bewerber" zu besetzen. Eine alleinige Suche nach "Hochschulabsolventen" könne ein Indiz für eine Altersdiskriminierung sein, so die Erfurter Richter.

Az.: 17 Sa 1302/17 (LAG, Altersdiskriminierung)

Az.: 8 AZR 285/11 (BAG, unbesetzte Stelle)

Az.: 8 AZR 429/11 (BAG, Hochschulabsolventen)

Frank Leth


Bundesgerichtshof

Psychisch Kranke: Ärzte dürfen nicht zur Behandlung nötigen



Sollen psychisch Kranke einer Behandlung zustimmen, dürfen Ärzte sie hierbei nicht unter Druck setzen. Eine spätere Zwangsbehandlung ist nur zulässig, wenn Ärzte zuvor "ernsthaft, mit dem nötigen Zeitaufwand und ohne Ausübung unzulässigen Drucks" versucht haben, den Patienten von der Behandlung zu überzeugen, wie der Bundesgerichtshof (BGH) in einem am 18. Oktober veröffentlichten Beschluss in Karlsruhe entschied. In dem Rechtsstreit waren diese Voraussetzungen erfüllt.

Vor Gericht war eine Frau aus Hannover gezogen, die an einer chronischen paranoiden schizophrenen Störung leidet und sich gegen ihre Zwangsbehandlung wendete. Wegen ihrer Erkrankung kann sie weitere körperliche Erkrankungen nicht erkennen. Sie lehnte die Einnahme von gerinnungshemmenden Medikamenten ab, die ein Vorhofflimmern am Herzen verhindern sollten.

Das Amtsgericht Hannover ordnete nach Einholung eines Gutachtens wegen Eigengefährdung die Unterbringung in der Psychiatrie und die Zwangsmedikation an. Das Gericht hatte festgestellt, dass die Frau die notwendige Behandlung "trotz hinreichender Versuche einer freiwilligen Medikation" ablehnt. Die Klinik hatte dem Gericht dabei geschildert, wie im Einzelnen versucht wurde, die Patientin zu überzeugen.

Der BGH hielt die erteilte Genehmigung der Zwangsbehandlung für rechtmäßig. Die Karlsruher Richter betonten, dass eine Zwangsmaßnahme nur dann erlaubt sei, wenn zuvor versucht wurde, den Patienten zur Zustimmung zu überzeugen. Dies müsse ernsthaft, mit dem nötigen Zeitaufwand und ohne Druck erfolgen. Dies sei hier erfolgt. Die Klinik habe dabei dem Amtsgericht geschildert, wie im Einzelnen die Ärzte versucht hätten, die Frau von der Notwendigkeit der Behandlung zu überzeugen.

Az.: XII ZB 87/18



Landessozialgericht

Versicherungsschutz für Beschäftige in Heimarbeit lückenhaft



Der Unfallversicherungsschutz für Beschäftigte, die zu Hause arbeiten, ist nach Auffassung des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom Gesetzgeber neu zu regeln. Die bestehende Regelung, wonach Eltern, die ihr Kind auf dem Weg zur Arbeit in den Kindergarten bringen, gesetzlich unfallversichert sind, greife nicht bei Heimarbeit, bemängelte das Gericht in Celle in einem am 22. Oktober veröffentlichten Urteil. Angesichts der zunehmenden Zahl von Heimarbeitsplätzen sollte der Gesetzgeber sich mit dieser Gesetzeslücke auseinandersetzen.

Zugrunde lag den Angaben zufolge der Fall einer Mutter aus Peine, die für ihren Braunschweiger Arbeitgeber von zu Hause per Teleworking arbeitete. Ende November 2013 erlitt sie auf dem Rückweg vom Kindergarten ihrer Tochter zum häuslichen Telearbeitsplatz einen Fahrradunfall, bei dem sie sich den Ellenbogen brach. Die Krankenkasse zahlte die Behandlungskosten von 19.000 Euro und forderte die Berufsgenossenschaft zur Erstattung auf. Diese hielt sich nicht für zuständig. Es handele sich nicht um einen Wegeunfall.

Das Landessozialgericht gab der Berufsgenossenschaft in dem Urteil vom September Recht. Liegen Wohnung und Arbeitsstätte in demselben Gebäude, sei begrifflich ein Wegeunfall ausgeschlossen. Der Weg zum Kindergarten sei damit privat. Ob angesichts zunehmender Verlagerung von Bürotätigkeiten der Versicherungsschutz auch auf Wege zum Heimarbeitsplatz zu erweitern sei, könne allein der Gesetzgeber entscheiden.

Az.: L 16 U 26/16



Verwaltungsgerichtshof

Gesunde Afghanen dürfen abgeschoben werden



Alleinstehende gesunde Männer im arbeitsfähigen Alter dürfen nach Afghanistan abgeschoben werden. Dies entschied der baden-württembergische Verwaltungsgerichtshof (VGH) im Asylverfahren eines afghanischen Staatsangehörigen am 23. Oktober in Mannheim. Die Revision zum Bundesverwaltungsgericht wurde nicht zugelassen.

Geklagt hatte ein Afghane, der im Iran aufgewachsen und im Herbst 2015 nach Deutschland gekommen war. Mit seinem Asylantrag hatte er geltend gemacht, dass er nicht abgeschoben werden dürfe. Die Sicherheitslage und die humanitären Bedingungen seien in Afghanistan extrem schlecht. Als abgeschobener Rückkehrer aus Westeuropa werde er dort zudem stigmatisiert. Er habe auch kein Netzwerk in Afghanistan, das ihn unterstützen könne.

Seiner Argumentation, wonach ihm in Kabul die Verelendung drohe, folgten die Mannheimer Richter nicht. Zwar träfen Rückkehrer dort auf extrem widrige Lebensbedingungen. Die verfügbaren Erkenntnisse ließen aber nicht den Schluss zu, dass "schlichtweg jede aus Europa abgeschobene Person in Kabul so gefährdet sei, dass ihr eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne der Europäischen Menschenrechtskonvention drohe", heißt es in der Urteilsbegründung.

Az.: A 11 S 316/17



Verwaltungsgericht

Kein Familiennachzug bei Kinderehe



Eine im Ausland geschlossene Kinderehe führt nicht automatisch zu einem Anspruch auf Familiennachzug eines der Ehepartner nach Deutschland. Wie das Verwaltungsgericht Berlin in einer am 22. Oktober veröffentlichten Entscheidung mitteilte, setzt ein "Nachzugsanspruch" etwa für Flüchtlinge eine "wirksame Ehe" voraus. Diese habe bei der Klägerin aber nicht vorgelegen. Hintergrund ist das seit Mitte 2017 gültige Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen.

Geklagt hatte eine inzwischen volljährige Syrerin, die in der Türkei lebt und ihrem in Deutschland als Flüchtling anerkannten Ehemann nachfolgen wollte. Ihren Antrag auf Erteilung eines Visums zum Ehegattennachzug hatte aber das deutsche Generalkonsulat in Istanbul nach Gerichtsangaben abgelehnt. Dagegen richtete sich die Klage.

Die Richter erklärten nun, es sei der Klägerin nicht gänzlich verwehrt, nach Deutschland zu kommen. Dazu müsse sie einen Visumsantrag zum Zwecke der Wiederholung der Eheschließung in Deutschland stellen. Die im Jahr 2000 geborene Frau hatte den Angaben zufolge mit Zustimmung ihres Vaters im Januar 2015 in Syrien ihren 1991 geborenen Mann geheiratet. Ende Juli 2015 floh der Ehemann nach Deutschland und wurde als Flüchtling anerkannt.

Das Gericht erklärte, die Ehe sei zwar nach dem Heimatrecht der Klägerin gültig, da das syrische Gesetz Mädchen die Eheschließung mit Zustimmung des Ehevormunds, etwa des Vaters, ab Vollendung des 13. Lebensjahres gestatte. Für den deutschen Rechtskreis habe dies aber keine Bedeutung, so dass eine sogenannte hinkende Ehe vorliege. Nach dem im Juli 2017 in Kraft getretenen Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen ist die Ehe nach deutschem Recht unwirksam, wenn die oder der Verlobte zum Zeitpunkt der Eheschließung das 16. Lebensjahr nicht vollendet haben.

Az.: VG 3 K 349.16 V




sozial-Köpfe

Arbeiter-Samariter-Bund

Knut Fleckenstein bleibt Bundesvorsitzender




ASB-Bundesvorsitzender Knut Fleckenstein
epd-bild/ASB/Hannibal
Der Arbeiter-Samariter-Bund (ASB) hat Knut Fleckenstein erneut zum Bundesvorsitzenden gewählt. 90 Prozent der 166 Delegierten habe den Hamburger am 19. Oktober im Amt bestätigt, teilte der ASB mit. Der 64-Jährige ist SPD-Abgeordneter im Europäischen Parlament.

Der Arbeiter-Samariter-Bund will sich dem alten und neuen Vorsitzenden Knut Fleckenstein zufolge künftig noch stärker für ein solidarisches Miteinander einsetzen: "Wir wollen alle unterstützen, die die Menschen in unserer Gesellschaft zusammenführen und nicht spalten." Der Verband werde sich weiterhin für die Integration von Flüchtlingen und Migranten einsetzen und wolle für mehr Organspenden eintreten. Der Bundesvorstand entscheidet nach den Beschlüssen der Bundeskonferenz und nach den Bundesrichtlinien über die strategische Entwicklung des Verbandes.

Zu den stellvertretenden Bundesvorsitzenden wurden erneut Uwe Borchmann aus Rostock sowie Christine Theiss aus München gewählt. Hans Werner Loew aus Würzburg kandidierte nicht mehr für den Vorstand. Andrea Schröder-Ehlers aus Lüneburg und Herbert Münch aus Regensburg stoßen ebenfalls zum Bundesvorstand hinzu. Thomas Schmidt aus Teltow wird dem neuen Vorstand nicht mehr angehören. Anna Schein aus Essen wurde den Angaben zufolge bei der Bundesjugendkonferenz neu in das Amt der Bundesjugendleiterin gewählt.

Der Verband hat aktuell 1,3 Millionen Mitglieder. Präsident ist der ehemalige SPD-Bundesvorsitzende Franz Müntefering. Der ASB entstand aus dem 1888 von sechs Berliner Zimmerleuten organisierten "Lehrkursus über die Erste Hilfe bei Unglücksfällen". Damit sollten Arbeiter zukünftig eigenständig verletzte Kollegen versorgen konnten, da es Ende des 19. Jahrhunderts häufig zu schweren Unfällen kam, Arbeitsschutz- oder Unfallverhütungsvorschriften allerdings noch nicht existierten. Mittlerweile ist der ASB auch bei Katastrophen im Ausland aktiv.



Weitere Personalien



Rolf Drescher wurde nach 26 Jahren als Geschäftsführer des Bundesverbands evangelische Behindertenhilfe (BeB) am 23. Oktober in den Ruhestand verabschiedet. "Einen Verband wie den BeB kann man nur mit Ruhe und Besonnenheit führen", sagte der Vorsitzende Uwe Mletzko in seiner Abschiedsrede. Das sei ihm als Geschäftsführer gelungen. Drescher war insgesamt 30 Jahre bei dem Verband tätig. Seine Nachfolgerin Barbara Heuerding wurde bereits im März berufen. Sie leitet aktuell die Abteilung Gesundheit, Alter und Pflege bei der Diakonie Hessen in Frankfurt am Main und wechselt zum 1. November nach Berlin. Auf der BeB-Mitgliederversammlung wurde außerdem Uwe Mletzko, Theologischer Geschäftsführer der Diakovere gGmbH sowie der Diakovere Annastift Leben und Lernen gGmbH in Hannover, für vier weitere Jahre als Vorsitzender bestätigt. Der BeB ist ein Fachverband im Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung. In den rund 600 Mitgliedseinrichtungen werden Angebote für mehr als 100.000 Menschen mit Behinderung oder psychischer Erkrankung aller Altersstufen bereitgestellt.

Roland Kaiser (66) hat den Annemarie-Renger-Preis des Arbeiter-Samariter-Bundes (ASB) erhalten. Mit dem Preis wird der Schlagersänger für sein gesellschaftliches Engagement geehrt. "Hinter den Kulissen der Showbühne, fernab von Ruhm und Applaus, widmet sich Roland Kaiser seiner zweiten großen Passion – nämlich anderen Menschen zu helfen", sagte der ASB-Bundesvorsitzende Knut Fleckenstein am 19. Oktober in der Laudatio für Kaiser. Der Schlagersänger ist etwa Botschafter für das Kinderhospiz Mitteldeutschland und die Deutsche Stiftung Organtransplantation. Zudem engagiert er sich für die Albert-Schweitzer-Kinderdörfer und -Familienwerke, die Stiftung Atemweg, die Stiftung Lesen sowie die Rudolf-Pichlmayr-Stiftung zur Betreuung von Kindern und Angehörigen vor und nach Organtransplantationen. Das Preisgeld von 10.000 Euro wird der Künstler hälftig dem Kinderhospiz Mitteldeutschland und der Hilfsorganisation Kinderlachen stiften.

Sebastian Börstel (52) wird zum 1. November Geschäftsführer beim Sozialwerk des Deutschen Roten Kreuzes in Bernkastel-Wittlich. Er folgt auf Christian Johann, der das Unternehmen bereits im Februar verlassen hat. Der Volkswirt ist bereits seit März vorübergehender Geschäftsführer des Werks. Zuvor arbeitete er bei verschiedenen Hilfsorganisationen in Leitungsfunktionen. Das DRK-Sozialwerk ist ein soziales Dienstleistungsunternehmen, das im Landkreis Bernkastel-Wittlich in den Bereichen Freizeit, Wohnen und Arbeit für Menschen mit geistigen Behinderungen, psychischen Erkrankungen und sozialen Schwierigkeiten anbietet. Das Werk beschäftigt mehr als 400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die rund 800 Klientinnen und Klienten ambulant, teilstationär und stationär betreuen. Mehr als 570 Menschen mit Behinderung werden in der eigenen Werkstatt beschäftigt. Das DRK-Sozialwerk unterhält fünf Heimstandorte und zwei Anlaufstellen für ambulante Hilfen. Gesellschafter sind der DRK-Kreisverband Bernkastel-Wittlich und der DRK-Landesverband Rheinland-Pfalz.

Marc Sterzel (44) ist seit 1. Oktober kaufmännischer Geschäftsführer des Diakomed Diakoniekrankenhauses Chemnitzer Land. Der 44-Jährige folgt auf Stephan Lazarides, der zur Diakonie Sachsen wechselt. Sterzel ist Betriebswirt und Bankkaufmann. Er ist zudem Vorstandsmitglied der Stadtmission Chemnitz, zu dem das Krankenhaus gehört. Er war zuvor unter anderem als Projektleiter für Unternehmenssteuerung und Prozessoptimierung im Bankensektor tätig und ist seit März Interims-Geschäftsführer des Krankenhauses. Johannes Härtel soll neben Sterzel die Geschäftsführer für Strategie und Personal übernehmen. Das Diakomed Diakoniekrankenhaus Chemnitzer Land hat seinen Sitz in Hartmannsdorf und beschäftigt rund 500 Mitarbeiter.

Christian Beuchel (57) wird zum 1. Dezember Theologischer Vorstand des Diakoniewerks Halle. Mit der Berufung eines leitenden Theologen nach sechs Jahren Vakanz wolle man das diakonische Profil schärfen, teilte das Diakoniewerk mit. Beuchel ist seit 2003 Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises Wittenberg. Als Mitglied von mehreren Aufsichtsgremien begleitete er die Entwicklung verschiedener diakonischer Einrichtungen, unter anderem der Paul-Gerhardt-Stiftung Wittenberg, der Paul-Gerhardt-Diakonie Berlin-Wittenberg und des Diakonievereins Wolfen-Bitterfeld-Gräfenhainichen. Das Diakoniewerk Halle betreibt als Schwerpunkt seiner Arbeit ein Krankenhaus mit 250 Betten und tagesklinischen Plätzen. Im Diakoniewerk Halle und seinen Tochtergesellschaften sind derzeit knapp 700 Mitarbeitende beschäftigt.

Michael Fantini wird neuer Medizinischer Direktor beim Krankenhaus-Konzern "Diakovere" in Hannover. Der 56-jährige Arzt übernimmt damit zum 1. März 2019 hauptamtlich die medizinische Leitung der drei Krankenhäuser Annastift, Henriettenstift und Friederikenstift. Zurzeit ist er Geschäftsführender Direktor und Ärztlicher Direktor des Klinikums der Region Hannover in Neustadt am Rübenberge. Der Sozialkonzern "Diakovere" ist mit rund 4.600 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von etwa 330 Millionen Euro Niedersachsens größtes Diakonie-Unternehmen. In seinen Krankenhäusern werden jährlich rund 57.000 Patienten stationär und 103.000 Personen ambulant versorgt.

Elke Mandel wird neue Behindertenbeauftragte in Brandenburg. Die 57-jährige langjährige Mitarbeiterin des märkischen Sozialministeriums soll ab November zunächst bis zum Ende der Legislaturperiode im kommenden Herbst die Belange der Menschen mit Behinderungen vertreten. Mandel übernimmt das Amt von Jürgen Dusel, der seit Mai Behindertenbeauftragter des Bundes ist.

Sabine Tatge aus Rodenberg (Kreis Schaumburg) wird für ihren Einsatz für einen Flüchtling aus Simbabwe mit dem Dr. Matthias Lange-Fluchthilfepreis des niedersächsischen Flüchtlingsrates ausgezeichnet. Der Preis ist nicht dotiert und wird zum zweiten Mal nach 2016 vergeben. Tatge habe weitgehend auf sich allein gestellt erreicht, dass ein rechtswidrig nach Simbabwe abgeschobener Flüchtling nach Deutschland zurückkehren konnte, erklärte der Flüchtlingsrat. "Durch ihren selbstlosen und unermüdlichen Einsatz ist es ihr gelungen, gegen alle Widerstände der Behörden einem Asylsuchenden zu seinem Recht zu verhelfen." Der Fluchthilfepreis erinnert an den Mitbegründer und ehemaligen Vorsitzenden des Flüchtlingsrates, Matthias Lange, der 2006 starb.




sozial-Termine

Veranstaltungen bis November



Oktober

31.10. Paderborn:

Seminar "Berichten und dokumentieren - PflegeassistentInnen und ihre Aufgaben im Pflegeprozess"

der IN VIA Akademie

Tel.: 05251/290838

November

5.11. Münster:

Seminar "Risikomanagement in Einrichtungen des Gesundheitswesens"

der BPG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft

Tel.: 0251/4820412

5.11. Frankfurt a.M.:

Seminar "Gewaltprävention in der Pflege. Ansätze einer Konzeptentwicklung"

des Fort- und Weiterbildungsinstituts FWIA der AWO

Tel.: 069/29890138

7.11. Berlin:

Jahrestagung der Drogenbeauftragten "Stadt, Land, Sucht - Wer übernimmt Verantwortung?"

der Drogenbeauftragten der Bundesregierung

Tel.: 030/18441-1452

7.11. Berlin:

Seminar "Das neue Pflegeberufegesetz"

des Bundesverbandes Pflegemanagement

Tel.: 030/44037693

7.11. Würzburg:

Seminar "Der Jahresabschluss gemeinnütziger Einrichtungen - Grundlagen, Besonderheiten, Vorbereitung und Gestaltungsmöglichkeiten"

der Unternehmensberatung Solidaris

Tel.: 02203/89 97-221

7.-8.11. Nürnberg:

Fachmesse und Kongress "ConSozial - Digitalisierung menschlich gestalten"

des Bayerischen Sozialministeriums

Tel.: 0911/8606-8773

8.-9.11. Berlin:

Dialogforum "5. Berliner Pflegekonferenz"

der spectrumK GmbH

Tel.: 030/212336-110

12.11. Essen:

Fachtagung "Irgendwie hier! Flucht, Migration, Männlichkeiten"

der LAG Jungenarbeit in NRW

Tel.: 0231/5342174

12.11. Münster:

Seminar "BPG-Werkstättentag"

der BPG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft

Tel.: 0251/4820412

12.-15.11. Düsseldorf:

Kongress "41. Deutscher Krankenhaustag: Gemeinschaftsaufgabe Gesundheitsversorgung - kooperativ & effektiv"

der Deutschen Krankenhausgesellschaft

Tel.: 030/39801-0

14.11. Köln:

Seminar "Der Konzern - Herausforderungen für Aufsichtsräte und Geschäftsführer"

der Unternehmensberatung Solidaris

Tel.: 02203/8997-221

20.11. Stuttgart:

Tagung "Darf's ein bisschen mehr sein? - Berufliche Chancen von Mädchen und jungen Frauen mit Migrationsgeschichte"

der BAG EJSA

Tel.: 0711/164890

22.-23.11. Hannover:

Forum Schuldnerberatung 2018: "Fachliche und sozialpolitische Entwicklungen in der Schuldnerberatung"

des Deutschen Vereins

Tel.: 030/62980605

22.-23.11. Berlin:

Symposium "Pflege: Wir gestalten die Zukunft"

des DEVAP

Tel.: 030/83001277

30.11. Berlin:

Fachtagung "Pflegepersonal-Stärkungsgesetz und Pflegepersonaluntergrenzen-Verordnung"

des Bundesverbandes Pflegemanagement

Tel.: 030/44037693