München (epd). Fährt man die Schleißheimer Straße hinaus nach Norden so macht diese an der ehemaligen Trambahnendhaltestelle einen Knick nach Westen und biegt man dann rechts ab, befindet man sich in der Stösserstraße. Hier wohnen die Menschen in langgezogenen Sozialwohnungsblocks und man findet Hilfsorganisationen wie "Lichtblick Hasenbergl", die sich um das Wohl der Kinder kümmern. Am Frauenholz liegt die Kirche Mariä Sieben Schmerzen. Dort herrscht regelmäßig Andrang, wenn Pastoralreferent Otto Lang am Dienstag die Armenspeisung macht, oft gibt es Schweinebraten mit Knödel. "Politik kommt hier eigentlich nicht zur Sprache", sagt der Geistliche über seine Erfahrung, "die Leute sind vor allem damit beschäftigt, ihr Auskommen zu finden."
Das Viertel hier hat eine lange Tradition, was soziales Abseits anbelangt. Die Pfarrei liegt in unmittelbarer Nähe des ehemaligen "Frauenholzes". Das war ein Barackenlager für Flakhelferinnen während des Krieges, in den 1950er Jahren waren hier ausgebombte Familien untergebracht. Der schlechte Ruf des Lagers übertrug sich, als in den 1960er Jahren die Stadt München auf der angrenzenden Heide ein Neubaugebiet errichtete, bekannt als Hasenbergl. Eine Trabantenstadt für Arbeiter, eine weiterführende Schule war nicht eingeplant.
Fragt man hier einen der Männer, Alter so um die 55 Jahre, die am Vormittag auf einer der Parkbänke sitzen, wie das hier so ist mit dem Wählen, bleibt die Antwort eher karg: "Na, wie schon?" Mehr Auskunft gibt die Statistik. Bei der Landtagswahl am 14. Oktober lag hier im Stimmbezirk die Wahlbeteiligung mit 35,6 Prozent am niedrigsten in der Stadt (städtischer Durchschnitt: 72,7 Prozent). Und jeder Fünfte, der zur Wahlurne ging, machte sein Kreuz bei der AfD. Die Partei erzielte hier mit 22,9 Prozent ihr bestes Ergebnis in München (AfD-Durchschnitt in der gesamten Stadt: 7,1 Prozent).
Fragt man nach den Gründen für die Wahlentscheidung, kommen die sozialen Verhältnisse ins Spiel. "Dort wohnen nicht diejenigen, denen es am besten geht", weiß Markus Auerbach, Bezirksausschussvorsitzender Feldmoching-Hasenbergl. Wenn er zum Supermarkt einkaufen geht, treffe er Menschen, die Mitte des Monats überlegen, ob sie Reis oder Nudeln kaufen. Für Auerbach hängt das Wahlverhalten mit Einkommen und Bildung zusammen, und er meint, es gebe im Viertel ein gewisses Maß an Unzufriedenheit. Lange Jahre direkt am Hasenbergl gewohnt hat Reinhard Bauer, Historiker und Mitglied des dortigen SPD-Ortsvereins. "Die Leute fühlen sich ausgegrenzt", so sein Statement, doch das sei nichts Neues. Auch die rechten Republikaner hätten hier früher ihre Hochburgen gehabt.
Das andere Ende der Skala: etwa der Stimmbezirk 220 in der Innenstadt. Ein buntes Viertel mit Altbaubestand, jungen Familien und Akademikern. Hier schlägt sich die soziale Lage in einem umgekehrten Verhältnis wie am Hasenbergl nieder. Eine hohe Wahlbeteiligung von 78,3 Prozent ging mit einem niedrigen Stimmanteil für die AfD von 1,8 Prozent einher. Die Grünen kamen auf stolze 43,5 Prozent der Stimmen.
Im Grunde wiederholte sich somit der Zusammenhang zwischen sozialer Lage und Wahlbeteiligung, wie er schon für die Bundestagswahl 2013 galt. Je prekärer die Lebensverhältnisse, desto geringer die Wahlbeteiligung – so lautet damals das Ergebnis einer Studie der Bertelsmann Stiftung mit dem Titel "Prekäre Wahlen - Milieus und soziale Selektivität der Wahlbeteiligung bei der Bundestagswahl 2013". Bei der bayerischen Landtagswahl am 14. Oktober 2018 hat sich dieses Ergebnis in München im Prinzip wiederholt, allerdings mit einem Unterschied: Die ökonomisch schwächeren Milieus haben diesmal überdurchschnittlich die AfD gewählt.