Erfurt (epd). Die höchsten deutschen Arbeitsrichter in Erfurt sprachen am 25. Oktober der Berlinerin Vera Egenberger, die sich als Konfessionslose erfolglos um eine Stelle beim Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung beworben hatte, eine Entschädigung in Höhe von 3.915,46 Euro zu. Egenberger fühlte sich benachteiligt aus Gründen der Religion. Im Kern ging es aber um mehr als um eine materielle Entschädigung.
Im Verfahren ging es von Anfang an um die Frage, inwieweit Kirchen und ihre Einrichtungen von potenziellen Mitarbeitern eine Kirchenmitgliedschaft verlangen dürfen. Die Kirchen sehen ihre Praxis gerechtfertigt im Sinne des Selbstbestimmungsrechts, das das Grundgesetz den Religionsgemeinschaften zugesteht.
Denn an der Grundsätzlichkeit der Frage ließ das Bundesarbeitsgericht selbst keinen Zweifel. Fast drei Stunden dauerte die mündliche Verhandlung über viele Details der konkreten Stelle und zur Frage, wie die Diakonie das Erfordernis einer Kirchenmitgliedschaft im konkreten Fall begründet. Die Richter hatten aber auch schon zuvor tiefgehenden Klärungsbedarf. Sie gaben das Verfahren zwischenzeitlich an den Europäischen Gerichtshof (EuGH), der prüfen sollte, inwieweit das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen und die Antidiskriminierungsrichtlinie der EU miteinander zu vereinbaren sind.
Die berufliche Anforderung einer Kirchenmitgliedschaft müsse "wesentlich, rechtmäßig und gerechtfertigt" für die Stelle und dies gerichtlich überprüfbar sein, urteilten die Luxemburger Richter. Die bislang herangezogene Ausnahme im ersten Absatz von Paragraf neun des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG), nach der Religionsgemeinschaften in diesem Punkt benachteiligen dürfen, wenn es ihr Selbstverständnis berührt, war mit diesem Urteil nicht mehr anwendbar. Denn es erlaube nicht die Prüfung eines Bezugs zur Tätigkeit, erklärte die Vorsitzende Richterin am Bundesarbeitsgericht, Anja Schlewing.
Das AGG bleibt bei dem Erfurter Urteil außen vor, auch weil Unionsrecht - also Europarecht - über dem nationalen steht. "Wir sind an einem ganz schwierigen Punkt angelangt", sagte Schlewing. Sie und ihre Kollegen orientierten sich letztlich stärker an der EuGH-Entscheidung. In der Begründung hieß es, es bestünden erhebliche Zweifel daran, dass die Anforderung einer Kirchenmitgliedschaft bei der betreffenden Stelle wirklich wesentlich war.
Egenberger hatte sich 2012 auf eine Referentenstelle beworben. Aufgabe war die Erstellung eines Berichts aus Sicht der Diakonie zur Umsetzung der UN-Antirassimuskonvention in Deutschland. Die Stelle sei in einen internen Meinungsbildungsprozess eingebunden gewesen, erläuterte Schlewing. Für das Ethos der Organisation, also das Selbstverständnis der Diakonie, habe daher keine Gefahr bestanden.
Diakonie und EKD reagierten enttäuscht auf das Urteil. "Es muss der Kirche und Diakonie möglich bleiben, die kirchlichen Aufgaben aus einer christlichen Perspektive zu erfüllen", sagte der Kirchenamtspräsident Hans Ulrich Anke. Das hänge auch davon ab, Mitarbeitende auswählen und einstellen zu können, die sich mit ihrer Mitgliedschaft zum Auftrag der Kirche bekennen.
Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts werteten EKD und Diakonie als "Abweichung zur langjährigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts". Sie wollen nun Begründung und Konsequenzen prüfen: "Dazu gehört auch die Prüfung, ob gegen den Eingriff in das kirchliche Selbstbestimmungsrecht das Bundesverfassungsgericht angerufen wird." Damit könnte wahr werden, was Richterin Schlewing in der Verhandlung andeutete. Das letzte Wort werde eventuell in Karlsruhe gesprochen, sagte sie.