sozial-Editorial

Liebe Leserin, lieber Leser,




Dirk Baas
epd-bild/Heike Lyding

das Elterngeld gibt es seit über 15 Jahren. Immer wieder wurde es modifiziert und ausgebaut, die Antragstellung wurde dadurch jedoch nicht leichter. Im Gegenteil. Kritiker sagen, diese staatliche Hilfe zu bekommen, sei schwerer, als eine GmbH zu gründen. Eltern, die mit den komplizierten Papieren gar nicht klarkommen, müssen Beratungsstellen aufsuchen. Und die haben gut zu tun.

Seit 100 Jahren nutzen Pflegeheime, Kliniken und viele andere Sozialträger die Dienste der spezialisierten Bank für Sozialwirtschaft (BFS). Deren Vorläufer, die „Hilfskasse gemeinnütziger Wohlfahrtseinrichtungen Deutschlands“, wurde 1923 in Berlin gegründet - von der Wohlfahrt für die Wohlfahrt. Es war die Rettung in schwerer Zeit. Beschaffung, Gewährung und Vermittlung von Darlehen an gemeinnützige Wohlfahrtseinrichtungen wurde professionalisiert. Das Geschäftsmodell trägt bis heute.

Die DAK, die Diakonie Deutschland und der Landkreistag fordern gemeinsam von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) mehr Geld für die Pflegeversicherung. Die drei Akteure kritisierten in Berlin, die aktuellen Reformpläne griffen zu kurz. Beitragserhöhungen könnten die Probleme nicht lösen. Sie stehen mit ihrem Appell nicht alleine da: Eine Umfrage zeigt, dass viele Bürgerinnen und Bürger ebenfalls auf mehr Geld vom Staat für die Pflegekasse hoffen.

Wer als Bürgergeldbezieher einmal in einer angemessen großen Wohnung wohnt, kann sich nicht sicher sein, dass das zwingend auf Dauer so bleibt. Legen die Kommunen neue, schlüssige Berechnungen vor, welche Wohnungsgrößen fortan als angemessen von den Jobcentern bezahlt werden müssen, kann der Auszug aus der dann als zu groß geltenden Bleibe drohen. Das hat das Landessozialgericht Halle entschieden.

Lesen Sie täglich auf dem Twitteraccount von epd sozial Nachrichten aus der Sozialpolitik und der Sozialbranche. Auf dem Twitterkanal können Sie mitreden, Ihren Kommentar abgeben und auf neue Entwicklungen hinweisen. Gern antworte ich auch auf Ihre E-Mail.

Ihr Dirk Baas




sozial-Politik

Familie

Antrag auf Elterngeld komplizierter als eine GmbH-Gründung




Der selbstständige Fotograf Simon Malik und seine Frau beziehen 20 Monate ElterngeldPlus.
epd-bild/Simon Malik/privat
Vor mehr als 15 Jahren wurde in Deutschland das Elterngeld eingeführt. Doch viele Eltern empfinden den Antrag auf Basiselterngeld, ElterngeldPlus und Partnerschaftsbonus als kompliziert. Beratungsstellen helfen weiter.

Nürnberg (epd). Für Eltern eines Neugeborenen steht der Alltag Kopf. Zwischen Windeln wechseln und schlaflosen Nächten bleibt kaum Zeit, sich mit Finanzen auseinanderzusetzen. Der selbstständige Fotograf Simon Malik und seine Ehefrau haben sich schon vor der Geburt ihres Sohnes mit dem Elterngeld beschäftigt. „Wir wollten nicht unter Zeitdruck geraten, wenn unser Kind da ist“, sagt der Vater eines neun Monate alten Sohnes.

Eltern stehen zwölf Monate Basiselterngeld zu. Wenn beide Elternteile die Sozialleistung beantragen, gibt es zwei Monate obendrauf, den sogenannten Partnerschaftsbonus. Die Höhe richtet sich nach dem Gehalt vor der Geburt und liegt zwischen 300 und 1.800 Euro monatlich. Ein Monat Basiselterngeld kann in zwei Monate ElterngeldPlus umgewandelt werden. ElterngeldPlus lohnt sich für Eltern, die neben der Betreuung ihres Kindes in Teilzeit arbeiten. Es ist in der Regel halb so hoch wie das Basiselterngeld.

20 Monate ElterngeldPlus passen optimal

Der 36-jährige Simon Malik und seine Frau haben beide Elterngeld beantragt. Sie entschieden sich für eine Kombination. Die 14 Monate Elterngeld haben sie aufgeteilt in vier Monate Basiselterngeld, die restlichen zehn Monate haben sie umgewandelt in 20 Monate ElterngeldPlus. „Das hat für uns gut gepasst, da ich mir als Selbstständiger meine Zeit frei einteilen kann. Außerdem können wir durch ElterngeldPlus die Zeit mit unserem Sohn länger genießen“, sagt Malik.

Den Antrag auszufüllen, habe viel Zeit in Anspruch genommen. „Das Formular ist sehr lang, und das Konzept ist kompliziert gestrickt“, sagt Malik. Kollegen von ihm meinten: Elterngeld zu beantragen, sei wesentlich schwieriger, als eine GmbH zu gründen. „Es gibt jedoch gute Beratungsstellen“, sagt er.

Mütter beantragen Elterngeld doppelt so oft wie Väter

Eine davon ist das Zentrum Bayern für Familie und Soziales (ZBFS). Florian Hofmann vom ZBFS sagte dem Evangelischen Pressedienst (epd): „Wir sehen, dass das Elterngeld geschlechtsspezifisch unterschiedlich in Anspruch genommen wird.“ Mütter beantragten das Elterngeld doppelt so oft wie Väter.

Seit der Einführung des Elterngelds im Jahr 2007 gibt es im Freistaat die Möglichkeit einer Onlinebeantragung. „Bayern war und ist hier Vorreiter. Andere Bundesländer, die bislang noch keinen Onlineantrag haben, ziehen nun in Form von ‚Elterngeld Digital‘ nach“, erklärt Benjamin Vrban, Pressesprecher des ZBFS.

Pro Familia Nürnberg bietet Beratungsgespräche zum Elterngeld an. Oda Pranz von Pro Familia sagt: „Im Richtlinien- und Paragrafendschungel fühlen sich viele überfordert. Selbst Akademiker und Selbstständige suchen unsere Beratung auf.“ Den Wunsch nach einer Vereinfachung des Antrags höre die Sozialpädagogin oft. „Begriffe wie Basiselterngeld, ElterngeldPlus und Partnerschaftsbonus sorgen häufig für Verwirrung.“

Elterngeldantrag gibt es bislang nur auf Deutsch

Pro Familia betont, keine rechtsverbindlichen Auskünfte zu geben, sondern lediglich zu beraten und über die verschiedenen Modelle des Elterngelds zu informieren. „Ich erkläre zunächst juristische Begriffe. Besonders Eltern mit Migrationshintergrund und Sprachbarrieren haben hier große Probleme“, sagt Pranz. Während der Kindergeldantrag in 15 EU-Sprachen übersetzt wurde, gibt es den Elterngeldantrag nur in Deutsch.

Auch das Nürnberger Ehepaar Zahn empfand den Elterngeldantrag als kompliziert. Daher suchten die Gesundheits- und Krankenpflegerin und der Arzt eine Beratung auf. „Danach waren wir noch verwirrter“, sagt Doro Zahn.

„Wir wollten ursprünglich ElterngeldPlus nehmen, weil mein Mann als Arzt in der Klinik reduziert gearbeitet hat und sich das gelohnt hätte“, sagt die 29-Jährige. Doch dann änderten sich die Lebensverhältnisse des Paares. „Mein Mann hat den Job gewechselt und eine Vollzeitstelle angenommen“, sagt die junge Mutter, deren Tochter im April 2021 geboren wurde. Im Februar 2023 fing Doro Zahn wieder an zu arbeiten.

Stefanie Unbehauen


Familie

Das Stichwort: Elterngeld



Berlin (epd). Das Elterngeld muss bei der zuständigen Elterngeldstelle beantragt werden. Ein Jahr lang besteht Anspruch auf Basiselterngeld. Zwei zusätzliche Monate, die Partnermonate, gibt es, wenn beide Elternteile die Zahlung beantragen. Das Paar kann diese 14 Monate beliebig untereinander aufteilen. Die Höhe des Elterngeldes liegt zwischen 300 und 1.800 Euro im Monat. Das Elterngeld beträgt in der Regel 65 Prozent des Netto-Einkommens vor der Geburt.

Für Elternteile, die Teilzeit arbeiten, lohnt sich das ElterngeldPlus. Es ist in der Regel halb so hoch wie das Basiselterngeld. Ein Monat Basiselterngeld kann in zwei Monate ElterngeldPlus umgewandelt werden. Die Höchstdauer liegt also bei 28 Monaten. Diese insgesamt vier zusätzlichen ElterngeldPlus-Monate werden als Partnerschaftsbonus bezeichnet. Auch Allein- oder Getrennterziehende können diesen Bonus erhalten. Wenn im Haushalt ein Kind unter drei oder zwei Kinder unter sechs Jahren leben, kommt ein Geschwisterbonus von zehn Prozent obendrauf.

Sechs Wochen vor und acht Wochen nach der Geburt gilt der Mutterschutz. In dieser Zeit wird Mutterschaftsgeld in Höhe des Nettolohns ausgezahlt. Maximal 13 Euro pro Tag übernimmt der Staat, den Rest der Arbeitgeber.

Im Jahr 2021 haben laut Statistischem Bundesamt rund 1,9 Millionen Frauen und Männer in Deutschland Elterngeld erhalten. Der Väteranteil lag bei über 25 Prozent. Mehr als jede dritte Mutter und jeder siebte Vater entschied sich für ElterngeldPlus.



Familie

Umfrage: Mehrheit der Bevölkerung für Kindergrundsicherung




Essenausgabe im Hilfswerk "Die Arche - Christliches Kinder- und Jugendwerk" in Berlin
epd-bild/Christian Ditsch
Bundesfamilienministerin Paus streitet für die Kindergrundsicherung. Dafür hat sie eine Mehrheit in der Bevölkerung hinter sich, wie eine aktuelle Umfrage zeigt. Wegen der Inflation sorgen sich immer mehr Familien um ihre wirtschaftliche Lage. Sozialverbände mahnen weitere Reformen an, um Familie und Beruf besser vereinbar zu machen.

Berlin (epd). Die von der Ampel-Koalition geplante Kindergrundsicherung findet mehrheitlich Zustimmung in der Bevölkerung. Das geht aus einer repräsentativen Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach hervor, die Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) am 20. März in Berlin vorstellte. Danach befürworten 60 Prozent der Gesamtbevölkerung und 75 Prozent der Eltern mit Kindern unter 18 Jahren die Einführung einer Kindergrundsicherung, obwohl sie wissen, dass sie mit Mehrausgaben für den Staat verbunden ist.

Die Ergebnisse sind Teil des „Familienbarometers“, das Paus vorstellte. Zur Kindergrundsicherung wurden den Angaben zufolge Anfang März 1.100 Menschen befragt. Paus sieht sich in ihrem Drängen auf die Umsetzung der Kindergrundsicherung bestätigt. Sie erklärte, in Zeiten, in denen sich die Menschen um ihre Zukunft sorgten, habe die Kindergrundsicherung Priorität. Mit ihr könne der Staat ein Sicherheitsnetz für Familien schaffen.

Große Sorgen über Folgen der Inflation

Aus dem Familienbarometer geht hervor, dass 93 Prozent der Eltern mit minderjährigen Kindern in großer Sorge sind wegen der Inflation. Sie liegt nach Angaben des Statistischen Bundesamts derzeit bei 8,7 Prozent. Nur noch 43 Prozent der Familien bewerten ihre wirtschaftliche Lage als gut. 70 Prozent der Bevölkerung erwarten von der Familienpolitik die Bekämpfung der Kinderarmut, 53 Prozent eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie für Väter und Mütter.

Die Kindergrundsicherung soll ab 2025 ausgezahlt werden und die Familienleistungen bündeln. Bisher führen bürokratische Hürden dazu, dass viele Familien nicht die Leistungen beziehen, die ihnen zustehen. Umstritten ist in der Ampel-Koalition aber, ob mit der Grundsicherung auch eine Erhöhung der Leistungen für Kinder in einkommensarmen Familien einhergehen soll. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hat sich dazu mehrfach zurückhaltend geäußert.

Weiterentwicklung familienpolitischer Leistungen skizziert

Im Familienbarometer des Paus-Ministeriums werden zentrale Trends zum Familienleben in Deutschland auf Basis neuer Daten analysiert und Möglichkeiten zur Weiterentwicklung familienpolitischer Leistungen beschrieben.

Daten zur Aufteilung der Berufs- und Familienarbeit bei Elternpaaren lassen erkennen, dass die Weichen dafür nach der Geburt des ersten Kindes gestellt werden. Knapp die Hälfte der Paare wünschen sich eine partnerschaftliche Aufteilung. Dem Familienbarometer zufolge geben aber 38 Prozent der Mütter an, dass sie zu Hause mehr Arbeit übernehmen, als zwischen ihnen und den Vätern vereinbart war. Die Mehrheit aller Mütter arbeitet nach der Geburt des ersten Kindes in Teilzeit. Ein Drittel arbeitet 35 Wochenstunden und mehr. Insgesamt sind drei Viertel der Mütter berufstätig.

Positiv auf die Arbeitsteilung zu Hause wirkt sich die Elternzeit aus. Hat auch der Vater Elternzeit genommen, übernehmen in gut einem Drittel der Familien zwar weiter die Frauen den größten Teil der Kinderbetreuung. Hat aber der Partner keine Elternzeit genommen, sind es knapp zwei Drittel.

Zweiwöchige „Elternstartzeit“ in der Diskussion

Als Unterstützung für junge Eltern will die Ampel-Koalition zusätzlich zur Elternzeit eine zweiwöchige, bezahlte Freistellung im Job für den Partner oder die Partnerin nach der Geburt eines Kindes einführen, um ihnen mehr gemeinsame Zeit mit dem Neugeborenen zu ermöglichen. Paus erklärte, mit der „Elternstartzeit“ werde ein wichtiger Impuls für partnerschaftliche Aufgabenteilung in Familien gesetzt.

Der Paritätische warnte davor, die Kindergrundsicherung am Geld scheitern zu lassen. „Jedes fünfte Kind in Deutschland ist von Armut betroffen. Die Folgen für die Zukunft dieser Kinder sind dramatisch. So etwas darf der gesamten Ampel nicht egal sein”, sagte Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes. Vom derzeitigen System des Kindergeldes und der Kinderfreibeträge profitierten Spitzenverdiener deutlich stärker als ärmere Familien. “Das ist eine nicht hinnehmbare Ungerechtigkeit. Alle Kinder müssen dem Staat gleich viel wert sein." Die von Familienministerin Paus eingebrachte Möglichkeit, den steuerlichen Freibetrag für Betreuung, Erziehung und Ausbildung abzusenken, sei sehr überlegenswert.

Elke Hannack, stellvertretende DGB-Vorsitzende, erklärte, der Familienmonitor zeige, wie sehr die Inflation Familien belaste: „Dabei zeigt sich auch: Familien mit kleinen Einkommen trifft es besonders hart. Gerade Alleinerziehende - und zu über 80 Prozent sind dies Frauen - arbeiten oftmals in schlecht bezahlten Mini- oder Midijobs, im Einzelhandel, im Gesundheits- und Sozialwesen. Armut von Alleinerziehenden bedeutet immer auch Kinderarmut.“ Auch deshalb müsse die Regierung die Kindergrundsicherung endlich auf den Weg bringen.

Verband: Basis-Elterngeld sollte ausgebaut werden

Die „evangelische arbeitsgemeinschaft familie“ (eaf) merkte an, dass eine Reduktion des Erwerbsumfangs von Vätern, um die Lasten der Sorgearbeit innerhalb der Familien besser zu verteilen, bisher kaum zu beobachten sei. „Sorgearbeit passiert nicht nebenbei, sondern beide Elternteile müssen ihre Erwerbsarbeit dafür phasenweise zurückstellen und reduzieren“, erklärte Bundesgeschäftsführerin Svenja Kraus. „Nur wer von Anfang an mindestens zeitweise allein Sorge für ein Kind übernimmt, kann einschätzen, was das bedeutet und wird später diese Verantwortung anerkennen und teilen. Hier erwarten wir ein deutliches Signal im Bundeshaushalt.“

Aus Sicht der eaf ist der Ausbau des Basis-Elterngeldes der richtige Weg. Sie favorisiert ein 6+6+6 Modell: 18 Basis-Elterngeld-Monate mit jeweils sechs Monaten exklusiv für einen Elternteil und sechs zur beliebigen Verteilung. „Das kostet natürlich Geld“, so Kraus. „Aber gute Familienpolitik darf nicht dem Haushaltsdiktat zum Opfer fallen.“

Bettina Markmeyer


Arbeit

Lauterbach will Leiharbeit in Altenpflege zurückdrängen



In der Altenpflege nimmt die Leiharbeit zu, weil es in vielen Einrichtungen an Personal mangelt. Gesundheitsminister Lauterbach will das Pflegereform-Gesetz nun nutzen, um diese Entwicklung zu bremsen. Praktiker wie die Diakonie sehen das kritisch.

Berlin (epd). Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) will einem Zeitungsbericht zufolge die Leiharbeit in der Altenpflege einschränken. Laut einem überarbeiteten Gesetzentwurf für die Pflegereform sollen Pflegeeinrichtungen die Mehrkosten für den Einsatz von Leiharbeiterinnen und -arbeitern nicht den Pflegekassen in Rechnung stellen dürfen, wie das „RedaktionsNetzwerk Deutschland“ am 23. März berichtete. Das Bundesgesundheitsministerium verwies auf die noch laufenden regierungsinterne Abstimmung des Gesetzesvorhabens und wollte sich zu Einzelheiten zunächst nicht äußern.

Hintergrund des Vorhabens ist, dass Zeitarbeitsfirmen Pflegekräften inzwischen eine Entlohnung anbieten, die deutlich über dem Tarif liegt. Deshalb wechseln viele Pflegekräfte in ein Leiharbeitsverhältnis. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit waren im Jahresdurchschnitt 2021 gut zwei Prozent der Pflegekräfte in einem Leiharbeitsverhältnis angestellt. Während der Pandemie habe die Nachfrage nach Zeitarbeitern weiter zugenommen.

Wirtschaftliche Anreize für Leiharbeit werden gekappt

Für die Erstattung der Personalkosten in den Einrichtungen sollen dem Zeitungsbericht zufolge künftig als Obergrenze die in der Branche üblichen Tariflöhne gelten. Auch Vermittlungsgebühren für die Zeitarbeitsfirmen dürfen demnach nicht an die Pflegekassen weitergereicht werden. Durch die Begrenzung werde vermieden, dass „wirtschaftliche Anreize für das Verleihen von Pflege- und Betreuungspersonal auf Kosten der Solidargemeinschaft beziehungsweise der Pflegebedürftigen und ihrer Familien bestehen“, heißt es dem Bericht zufolge in der Begründung für den neu eingefügten Paragrafen im Pflegereform-Gesetzentwurf.

Sozial-Vorständin Maria Loheide von der Diakonie Deutschland sagte dem Evangelischen Pressedienst (epd) zu den Plänen, die Diakonie halte es für richtig, die Leiharbeit in der Altenpflege auf ihre Kernfunktion zurückzuführen, Personalengpässe schnell zu überbrücken. Sie aber dadurch beschränken zu wollen, „dass man den Pflegekassen untersagt, höhere als tarifliche Vergütungen zu refinanzieren, ist als isolierter Schritt wenig hilfreich“, kritisierte Loheide. Wenn die Träger nicht mehr auf Zeitarbeitsfirmen zurückgreifen könnten, müssten sie „Angebote runterfahren und Stationen schließen. Und das bei bereits bestehenden Versorgungslücken.“

Leiharbeit kostet bis zu 50 Prozent mehr als Tarifarbeit

Die Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe hatte am 22. März auf Basis einer Umfrage in den Mitgliedseinrichtungen mitgeteilt, dass inzwischen zwei Drittel der Krankenhäuser und Pflegeheime Leihpersonal beschäftigen. Zeitarbeitskräfte kosteten die Arbeitgeber zwischen 20 und 50 Prozent mehr als festangestellte Mitarbeitende, denn die Zusatzausgaben würden in der Praxis schon heute von den Pflegekassen nicht refinanziert.

Der Vorstand der Patientenschutz-Stiftung Eugen Brysch, warnte, die geplante Regelung werde zulasten der Heimbewohnerinnen und -bewohner gehen, ohne dass die Leiharbeit in der Altenpflege damit zurückgedrängt werden könne. Denn anders als die Krankenhäuser, für die eine ähnliche Regelung zur Zeitarbeit bereits gilt, wie sie nun offenbar für die Altenpflege geplant ist, könnten Pflegeeinrichtungen die Zusatzkosten für Zeitarbeiter nicht abfangen, sondern würden sie auf die Bewohner umlegen müssen, erklärte Brysch.

„Karl Lauterbach beweist, dass er kein einziges Problem in der Pflege verstanden hat, wenn ihm zur Eindämmung der Leiharbeit nur eine Begrenzung der Gehälter einfällt“, erklärte Ates Gürpinar, Sprecher für Krankenhaus- und Pflegepolitik der Links-Fraktion. „Ich verstehe und teile den Ärger über schlechte Arbeitsbedingungen und miese Bezahlung in den Stammbelegschaften. Doch daran sind nicht die Leiharbeiter schuld, sondern die Verantwortlichen in der Politik“, sagte Gürpinar. Die Bedingungen in der Pflege müssten grundlegend verbessert werden: „Wer glaubt, Pflegekräfte gehen nur wegen der besseren Bezahlung in die Leiharbeit, hat lange nicht mehr mit Betroffenen gesprochen.“

Bettina Markmeyer


Armut

Kritik an Ungleichheit in der Gesundheitsversorgung




Gerhard Trabert
epd-bild/Kristina Schäfer
Der enge Zusammenhang von Armut und Gesundheit ist alljährlich Thema eines Kongresses von Praktikern, Wissenschaft und Politik. In diesem Jahr betonte Bundespräsident Steinmeier die Bedeutung sozialer Gerechtigkeit für die Demokratie. Der Arzt Gerhard Trabert forderte mehr Einsatz gegen krank machende Armut.

Berlin (epd). Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat gesundheitliche Ungleichheit als Herausforderung für den Sozialstaat bezeichnet. Er forderte am 21. März beim Kongress „Armut und Gesundheit“ in Berlin, dass auch in Zeiten, in denen angesichts von Krisen und Krieg die politischen Prioritäten neu geordnet werden, der Sozialstaat leistungsfähig bleiben müsse: „Sozialpolitik ist Demokratiepolitik“, betonte Steinmeier. Nur ein Gesellschaftsmodell, das die Stimme der Ärmsten nicht überhöre, werde dauerhaft auf Akzeptanz stoßen: „Nur als soziales Land bleibt unsere Demokratie stabil“, sagte der Bundespräsident.

Steinmeier erinnerte an den engen und vielfach nachgewiesenen Zusammenhang von sozialem Status und Gesundheit und Lebenschancen. Wer weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens zur Verfügung habe, habe eine geringere Lebenserwartung: bis zu vier Jahre weniger bei Frauen, bis zu acht Jahre weniger bei Männern. Es gehe indes nicht nur um die gesundheitlichen Folgen von wenig Geld, betonte Steinmeier. „In Wahrheit reden wir von einer vielschichtigen Unterversorgung.“ Dies betreffe das Einkommen, Wohnen, Bildung, Arbeitsbedingungen und die soziale Infrastruktur am Wohnort. „Bei den Armen in unserer Gesellschaft kommt vieles davon gleichzeitig zusammen“, sagte Steinmeier.

Steinmeier: Bedürftige Kinder besser unterstützen

Er appellierte, insbesondere Kinder aus wirtschaftlich schwachen Verhältnissen zu unterstützen. Die Weichen für den späteren sozialen und gesundheitlichen Status würden sehr früh gestellt, mahnte Steinmeier. Der Bundespräsident dankte allen Menschen, die sich in der Wissenschaft, dem Sozialwesen oder vor Ort haupt- oder ehrenamtlich in der Gesundheitsversorgung für Benachteiligte engagieren.

Der Kongress-Mitgründer und Mainzer Armenarzt Gerhard Trabert sagte, „Armut macht krank“. Das sei eine Realitität in Deutschland, die „immer noch nicht wirklich bei den politischen Entscheidungsträgern angekommen ist“. Gerade in den letzten Jahren, so Trabert, „hat Armut wieder zugenommen und das liegt insbesondere an gesellschaftlichen Unrechtsstrukturen, Partizipationsbenachteiligungen und unsozialen finanziellen Verteilungsregelungen“. Armutsbekämpfung müsse zu einem politischen Querschnittsthema werden.

Trabert regt Arbeitsgruppe im Gesundheitsministerium an

In einem reichen Land wie Deutschland sei aber das Geld vorhanden, das zu verhindern. Er stellte konkrete Forderungen, etwa dass Brillen wieder Kassenleistung werden. Trabert setzte sich für eine Arbeitsgruppe zu Armut und Gesundheit beim Bundesgesundheitsministerium ein sowie für eine Erhöhung des Bürgergeldes um 200 Euro im Monat. Von den aktuellen Sätzen könnten Eltern kein Kind gesund ernähren, so der Mediziner.

Der Vorstandsvorsitzende des Paritätischen Gesamtverbandes, Rolf Rosenbrock, sagte, Armutsbekämpfung sei die beste Gesundheitsvorsorge. Er forderte „die zügige Einführung einer auskömmlichen Kindergrundsicherung“. Sie würde die weitere Spreizung der Einkommens- und Gesundheits-Ungleichheit zumindest verlangsamen, betonte Rosenbrock. Die Ampel-Koalition ist derzeit uneins, ob mit der Einführung einer Kindergrundsicherung zur Bündelung der Familienleistungen auch eine Erhöhung der Leistungen verbunden sein soll.

Der Kongress „Armut und Gesundheit“ fand in diesem Jahr zum 28. Mal statt. Die Veranstaltung diente dem Austausch von Wissenschaft, Politik und Menschen aus der Praxis. Im Zentrum des Treffens standen Ansätze zur Gesundheitsförderung wirtschaftlich schwacher Menschen und die Prävention gesundheitlicher Folgen von Armut.

Bettina Markmeyer


Studie

Nachwirkungen von Gewalt in DDR-Kinderheimen untersucht




"Dunkelzelle" im Keller des ehemaligen Jugendwerkhofs im sächsischen Torgau
epd-bild/Uwe Winkler
Eine halbe Million Kinder und Jugendliche waren in DDR-Kinderheimen untergebracht. Diese gewährten einer Studie zufolge aber nicht den nötigen Schutz. Viele Insassen machten auch in den Einrichtungen negative Erfahrungen, die sie bis heute belasten.

Leipzig (epd). Viele Insassen von DDR-Kinderheimen erlebten einer neuen Studie zufolge seelische und körperliche Vernachlässigung in den Einrichtungen. Knapp 70 Prozent der dort untergebrachten Kinder und Jugendlichen wurden der am 20. März in Leipzig veröffentlichten Untersuchung zufolge in ihrer Jugend körperlich misshandelt. Rund ein Drittel davon habe psychische Gewalt auch in den Heimen erlebt, hieß es bei der Online-Vorstellung der Studienergebnisse. Rund die Hälfte der Befragten wurde demnach Opfer sexuellen Missbrauchs, davon 17 Prozent im Heim.

Im Rahmen der Verbundstudie „Erfahrungen in DDR-Kinderheimen - Bewältigung und Aufarbeitung“ wurden von der Universität Leipzig zwischen 2019 und 2022 unter anderem 273 ehemalige Bewohner im Alter von 36 bis 84 Jahren befragt. Die Betroffenen berichteten demnach vielfach von Erfahrungen physischer, sexualisierter und psychischer Gewalt, Vernachlässigung und Missbrauch.

Bis heute belasten Erfahrungen von einst

Die Erfahrungen mit Gewalt und Vernachlässigung wirkten sich bei einem Teil der ehemaligen Heimbewohner bis heute aus. Viele Betroffene erleben laut Studie zudem den heutigen Umgang mit DDR-Heimerfahrungen als belastend.

Forscher der Universität Leipzig, der Medical School Berlin, der Alice Salomon Hochschule Berlin und der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf forderten aufgrund der Ergebnisse in einer „Leipziger Erklärung“ weitere Bemühungen um Aufarbeitung. Der Zugang zu Hilfsangeboten müsse niedrigschwelliger gestaltet und ein sensibler Umgang der Behörden mit Trauma-Erfahrungen gewährleistet werden.

Eine Wiedergutmachung der in DDR-Heimen gemachten Erfahrungen sei nicht möglich, erklärten die Forscher. Es gebe jedoch Möglichkeiten, den Betroffenen öffentlich Anerkennung zu zollen sowie entstandenes Leid abzumildern. Viele von ihnen hätten jahrzehntelang über die erfahrene Gewalt geschwiegen. Häufig hätten sie im gesellschaftlichen und rechtlichen Umfeld erniedrigende Erfahrungen gemacht.

Heime Teil einer „pädagogischen Disziplinierungkaskade“

Der Medizinhistoriker Heiner Fangerau von der Heinrich-Heine-Universität betonte, Einrichtungen der Heimerziehung hätten in der DDR nicht unbedingt einen Schutzraum geboten. Sie seien häufig eine Zwischenstation innerhalb einer „pädagogischen Disziplinierungskaskade“ gewesen.

Vernachlässigung, physische und psychische Gewalt ließen sich nicht nur im Vorfeld von Heimeinweisungen, sondern auch in den Einrichtungen selbst nachweisen, so Fangerau: „Trotz des Verbots körperlicher Strafen in der DDR dokumentieren vor allem Akten ein erhebliches Ausmaß physischer Gewaltanwendung vonseiten des Personals.“ Sexualisierte Gewalt bildet demnach in der Aktenüberlieferung ein „kaum je thematisiertes Dunkelfeld“. Das gelte bezüglich sexueller Übergriffe durch Erwachsene und auch sexueller Handlungen zwischen den Kindern. „Hier besteht weiterhin erheblicher Aufarbeitungsbedarf“, betonte Fangerau.

Zwischen 1949 und 1990 waren den Angaben zufolge in der DDR etwa eine halbe Million Kinder und Jugendliche in Kinderheimen und Jugendwerkhöfen untergebracht. Aus der Teilstudie der Universität Leipzig geht demnach hervor, dass der Aufenthalt in den Heimen zwischen zwei Monaten und 18 Jahren dauerte.

Bettina Gabbe


Nordrhein-Westfalen

Runder Tisch will Kinderverschickungen systematisch aufarbeiten



Bis 1990 wurden in NRW rund zwei Millionen Kinder in sogenannte Kindererholungskuren verschickt. Sie sollten dort aufgepäppelt werden, viele kamen aber traumatisiert zurück. Ein runder Tisch in NRW arbeitet die Gewalt- und Missbrauchstaten nun auf.

Düsseldorf (epd). Betroffene der sogenannten Kinderverschickungen fordern eine Aufklärung der Gewalt- und Missbrauchstaten durch Bund und Länder. Der nordrhein-westfälische Landtag unterstütze die Aufklärungsbemühungen, sagte Detlef Lichtrauter, Vorsitzender des Vereins Aufarbeitung Kinderverschickungen-NRW dem Evangelischen Pressedienst (epd) am 22. März. Doch die Bemühungen würden an Grenzen stoßen, weil die Organisation der sogenannten Kindererholungskuren zwischen den 1940er und 1980er Jahren über die einzelnen Bundesländer hinausgegangen und auch der Bund involviert gewesen sei. „Wir brauchen eine länderbasierte und vom Bund gesteuerte Aufklärungsarbeit“, forderte er.

Am 21. März hatte sich der Runde Tisch „Verschickungskinder“ im Landtag zur konstituierenden Sitzung getroffen. Der nordrhein-westfälische Sozialminister Karl-Josef Laumann (CDU) bekräftigte am Dienstagabend den Willen des Landes, die Gewalt- und Missbrauchstaten an Kindern bei den sogenannten Verschickungskuren aufzuarbeiten. Es sei „höchste Zeit, dieses Leid wahrzunehmen“ und Ursachen sowie Umstände systematisch und umfassend zu erforschen und aufzuarbeiten, sagte Laumann.

Alle Akten werden gesichert

Das Gremium vereinbarte nach Ministeriumsangaben, dass alle für die Aufarbeitung relevanten Aktenbestände gesichert werden sollen. So solle die Aufarbeitung von Leid und Traumata unterstützt werden, die Teilnehmende der sogenannten Kindererholungskuren zwischen 1949 und 1990 erfahren haben. Der Runde Tisch soll auch darüber beraten, welche weiteren Maßnahmen und Projekte für eine umfassende Aufarbeitung in NRW nötig sind und wie bestehende Aufarbeitungsbemühungen gebündelt werden können.

Lichtrauter erklärte, die Betroffenen wünschten sich konkrete und sichtbare Ergebnisse und eine unabhängige, wissenschaftliche Aufarbeitung. Viele der damaligen „Verschickungskinder“ litten noch heute unter den Folgen, die zum Teil jahrzehntelang ignoriert wurden. „Deshalb muss der Runde Tisch auch über geeignete Therapieangebote sprechen“, sagte er.

Aufklärung über Entstehung eines „rechtsfreien Raumes“

Der Jugenddezernent des Landschaftsverbands Rheinland (LVR), Knut Dannat, erklärte, die Schilderungen der Betroffenen bei der Sitzung hätten „schlicht fassungslos gemacht“. Der Runde Tisch werde etwa aufklären, nach welchen Kriterien Kinder verschickt wurden, wie die „Pädagogen“ dort geschult wurden, wie Leitbild und Betreuung dort aussahen und wie der „rechtsfreie Raum“ entstehen konnte, in dem Kinder gedemütigt, bestraft, geschlagen und sediert wurden. Für die Aufarbeitung wolle der LVR die eigenen Akten sichern und der Forschung zugänglich machen. Der LVR hatte selbst keine „Verschickungskuren“ angeboten, aber die Landesjugendämter hatten Kinder zu solchen Angeboten geschickt.

Das Gremium wird vom NRW-Sozialministerium und dem Verein „Aufarbeitung Kinderverschickungen NRW“ organisiert und von der ehemaligen Opferschutzbeauftragten des Landes, Elisabeth Auchter-Mainz, moderiert. Auch das NRW-Familienministerium, die beiden Landschaftsverbände LVR und LWL, die kommunalen Spitzenverbände, evangelische und katholische Kirche, Sozialverbände, Freie Wohlfahrtspflege, Ärztekammern, Krankenkassen, die Deutsche Rentenversicherung und das Landesarchiv gehören dem Gremium an.

Laut einer Studie des NRW-Sozialministeriums wurden von 1949 bis 1990 von staatlichen Stellen Fahrten für über 2,1 Millionen Kurkinder aus NRW in Erholungsheime vor allem an Nord- und Ostsee organisiert. Viele dieser Kinder waren nach eigenen Berichten dort Gewalt, Misshandlungen und Demütigungen ausgesetzt und leiden zum Teil bis heute unter Depressionen und Angstzuständen. Die Berichte reichen von Strafen, Demütigungen und Essenszwang bis hin zu Schlägen, sexueller Gewalt und Medikamentenmissbrauch.

Nora Frerichmann


Ukraine

Interview

Firmennetzwerk: Erst wenige Geflüchtete haben Arbeit gefunden




Marlene Thiele
epd-bild/NUiF/Offenblende/Markus Braumann
Seit über einem Jahr herrscht Krieg in der Ukraine. Mehr als eine Million Menschen sind nach Deutschland geflohen. Viele von den Flüchtlingen würden hier arbeiten, aber dazu sind einige Hürden zu nehmen. Welche besonders hoch sind, verrät Projektleiterin Marlene Thiele vom "Netzwerk Unternehmen integrieren Flüchtlinge" im Interview mit epd sozial.

Kiel (epd). An Kontakten zu Unternehmen, die Flüchtlinge aus der Ukraine beschäftigen würden, herrscht kein Mangel. Eine neue Umfrage belegt das. Doch bis eine Beschäftigung aufgenommen werden kann, braucht es oft viel Zeit. Vor allem, weil erst die deutsche Sprache beherrscht werden muss, berichtet Marlene Thiele, Mitarbeiterin der DIHK. Die Fragen stellte Dirk Baas.

epd sozial: Mehr als 25 Prozent der deutschen Betriebe hatten bereits Kontakt zu Geflüchteten aus der Ukraine, wie aus einer neuen Umfrage des Netzwerks Unternehmen integrieren Flüchtlinge hervorgeht. Gibt es auch Erkenntnisse, wie viel Beschäftigung so bereits entstanden ist?

Marlene Thiele: Absolute Zahlen haben wir nicht. Aber die Umfrage hat ergeben, dass ukrainische Geflüchtete und deutsche Unternehmen schon vielfach im Gespräch sind. Und doch kommt eine Beschäftigung nicht in jedem Fall zustande. Etwa ein Drittel der Unternehmen, die mit Geflüchteten in Kontakt standen, gaben an, dass aus den Gesprächen eine Anstellung entstanden ist. Bei mehr als drei Vierteln (78 Prozent) der entstandenen Arbeitsverhältnisse handelt es sich um Arbeitsverträge. Der Einstieg in einen Job über ein Praktikum (21 Prozent) oder eine Ausbildung (ein Prozent) spielt bislang eine deutlich kleinere Rolle.

epd: Der Abbau von Sprachbarrieren wird von Firmen als wichtigste Voraussetzung für die Beschäftigung von ukrainischen Geflüchteten genannt (71 Prozent). Wie sehen die Firmen vor Ort dieses Problem?

Thiele: Wir hören immer wieder von den Mitgliedsunternehmen, dass die Verständigung eine ganz wesentliche Hürde und der Wunsch nach guten Sprachkursangeboten groß ist. Aber man muss auch sehen, dass 2022 unerwartet viele Menschen aus der Ukraine kamen, da waren die Kursstrukturen in diesem Maße noch nicht da. Unser Eindruck ist: Aufgrund der Erfahrungen aus den Jahren 2015/2016 konnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, das ja für Integrations- und Berufssprachkurse zuständig ist, doch recht schnell reagieren.

epd: Woran hakt der weitere Ausbau?

Thiele: Es bleibt eine große Herausforderung, die passenden Lehrkräfte zu gewinnen, auch hier herrscht Personalmangel. Aber das Bundesamt hat zum Jahrestag des Kriegsbeginns Zahlen veröffentlicht, wonach sich im letzten Jahr bereits etwa 200.000 Ukrainerinnen und Ukrainer für einen Integrationskurs angemeldet haben. Es geht also mit der Sprachschulung jetzt voran, Teilnehmende schließen die Integrationskurse in der Regel mit den Sprachniveaus A2 bis B1.

epd: Ist das ein ausreichendes Niveau?

Thiele: Man hat damit eine gute Basis für die Verständigung im Arbeitsalltag. Unsere Mitgliedsunternehmen signalisieren oft: Im Anschluss sind spezielle Berufssprachkurse sehr wichtig, die auch Fachsprache für die jeweiligen Berufsgruppen vermitteln und mit der Arbeitszeit vereinbar sind. Dieses Jahr wird also spannend, ob vermehrt Geflüchtete aus der Ukraine die Integrationskurse abschließen und auf den Arbeitsmarkt streben.

epd: Fehlende Kinderbetreuung scheint nicht als hohe Hürde auf dem Weg zu einer Arbeit gesehen zu werden. Das überrascht, denn viele Frauen aus der Ukraine haben kleine Kinder.

Thiele: Die Kinderbetreuung wird nur von 15 Prozent der deutschen Betriebe als wichtige Voraussetzung angegeben, um mit ukrainischen Geflüchteten zusammenzuarbeiten. Das hat uns auch überrascht. Denn in der Tat ist die überwiegende Mehrheit der Geflüchteten aus der Ukraine weiblich, fast die Hälfte von ihnen ist mit minderjährigen Kindern nach Deutschland gekommen. Hier spielt sicherlich auch eine große Rolle, zu welchem Zeitpunkt Betrieb und Geflüchtete in Kontakt kommen: Wenn sich die Frauen an Unternehmen wenden, ist die Kinderbetreuung vermutlich in vielen Fällen bereits geklärt. Und: Nicht wenige Ukrainerinnen sind mit Familienmitgliedern geflüchtet, die hier unterstützen können oder sie haben haben schnell Kitaplätze gefunden.

epd: Sie sagen, bislang hätten noch nicht viele der Ukrainer hier dauerhafte Arbeit gefunden. Woran liegt das, wo doch die Firmen schon fast verzweifelt Personal suchen?

Thiele: Von flächendeckender Aufnahme in Beschäftigung kann noch keine Rede sein. Die Entwicklung steht hier wirklich noch am Anfang. Unsere Befragung zeigt: Es hapert sehr oft an der Sprache, die die Erwachsenen eben auch nicht so leicht lernen wie Kinder. Und auch die Bleibeabsichten sind ein Thema: Knapp die Hälfte der Unternehmen wünscht sich mehr Klarheit über die Frage, ob sich die ukrainischen Geflüchteten eine längerfristige Zukunft in Deutschland vorstellen können. Mit Blick auf die allerorten fehlenden Fachkräfte ist es gut, dass die Ukrainer ein hohes Bildungsniveau haben. Und aus Umfragen ist bekannt, dass die ganz überwiegende Zahl auch der Frauen aus der Ukraine angibt, dass sie in Deutschland eine Arbeit aufnehmen wollen.

epd: Müssen nicht Unternehmen, die helfen wollen, Arbeit zu schaffen, mit den zwei Gruppen Asylbewerber und Geflüchtete aus der Ukraine ganz unterschiedliche Herausforderungen bewältigen? Das betrifft ja zwei völlig verschiedene Rechtskreise.

Thiele: Ja, das stimmt. Für Geflüchtete aus der Ukraine wurde ja auf europäischer Ebene der „vorübergehende Schutz“ in Kraft gesetzt, der schnell eine klare Bleibeperspektive bietet. Außerdem wird hier in aller Regel eine uneingeschränkte Arbeitserlaubnis erteilt. Bei Geflüchteten aller anderen Herkunftsländer sind die Hürden speziell bei der Arbeitsaufnahme deutlich höher. Sie müssen das Asylverfahren durchlaufen und deshalb meist sehr viel länger auf eine Beschäftigungserlaubnis warten. Die rechtlichen Erleichterungen, die für Ukrainerinnen und Ukrainer nun gelten, lösen natürlich nicht alle Probleme, aber viele Schwierigkeiten gibt es hier nicht in dieser Form.

epd: Wo liegen die besonderen Schwierigkeiten für die Unternehmen, die Personal suchen und auch Ukrainer einstellen würden?

Thiele: Man muss schon eine Reihe von Hürden überwinden. Ein Beispiel ist die Pflege, wo ja großer Personalbedarf besteht. Hierzu tauschen wir uns mit vielen Mitgliedsunternehmen aus. Wir reden aber in diesem Fall über die reglementierten Berufe, da kann man nicht einfach Personen anstellen und im Job weiterbilden. Es müssen Abschlüsse vorliegen und die müssen vor dem Arbeitsbeginn anerkannt werden. Das ist nicht immer einfach und braucht Zeit. Dazu kommt für diese Branche, dass die Sprachanforderungen hoch sind. Gerade in diesen reglementierten Berufen steht Deutschland vor einer großen Herausforderung: wenn viele Ukrainerinnen und Ukrainer dauerhaft hier leben und in ihren ursprünglichen Berufen tätig sein wollen, muss das System der Berufsanerkennung sehr viel leisten.

epd: Ergibt der vermehrte Einsatz der Unternehmen zur Bindung der Flüchtlinge denn überhaupt Sinn? Immer wieder ist in Umfragen zu lesen, dass viele Ukrainer wieder zurück in ihre Heimat wollen.

Thiele: Das ist auf jeden Fall etwas, was unsere Betriebe sehr umtreibt. Bei Geflüchteten aus der Ukraine ist es vor allem die Frage, wie lange sie bleiben wollen. Bei Geflüchteten aus anderen Herkunftsländern ist die Frage relevant, wie lange sie bleiben dürfen. Das gilt vor allem für Menschen in Duldung. Die haben oft auch keine gesicherte Bleibeperspektive, und wenn es tatsächlich zu einer Abschiebung kommt, ist das sehr schmerzhaft für Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Es ist spannend, wie das neue Chancen-Aufenthaltsrecht, das seit diesem Jahr hier eine Perspektive bietet, in der Praxis wirken wird. Und dass wirklich die meisten Ukrainer schnell wieder in ihre Heimat wollen, ist nicht ausgemacht. Das Institut für Berufsbildung hat mit mehreren Partnerorganisation herausgefunden, dass gut ein Drittel für immer oder mehrere Jahre in Deutschland bleiben will. Der vorübergehende Schutz für ukrainische Geflüchtete läuft spätestens im März 2025 aus. Noch ist nicht klar, in welche Aufenthaltstitel die Betroffenen dann wechseln können. Nicht zuletzt hier wird ein Arbeitsplatz auch eine ganz wichtige Rolle spielen.



Asyl

Städte dringen auf langfristige Zusagen bei Flüchtlings-Unterbringung



Der Deutsche Städtetag dringt bei Bund und Ländern weiter auf eine Entlastung der Kommunen bei der Unterbringung von Geflüchteten.

Berlin (epd). Der Streit über die Kostenübernahme bei der Flüchtlingsversorgung geht weiter: Nach einer virtuellen Präsidiumssitzung am 23. März kritisierte der Präsident des Deutschen Städtetags und Münsteraner Oberbürgermeister Markus Lewe (CDU), das geplante Treffen zwischen Bund und Ländern im 10. Mai komme sehr spät.

Kurzfristige Hilfen müssten schnell zur Verfügung gestellt werden. Außerdem brauche es eine langfristige Zusammenarbeit von Bund und Ländern bei der Unterbringung der Menschen. Die Aufnahme von Geflüchteten werde eine dauerhafte Aufgabe für die Städte bleiben, sagte Lewe.

Mehr Menschen als je zuvor in einem Jahr aufgenommen

Dem Städtetag zufolge hat der Bund die Kommunen in den Flucht-Jahren 2015 und 2016 mit neun Milliarden Euro unterstützt. Im vergangenen Jahr seien es drei Milliarden Euro gewesen. Es seien aber 2022, einschließlich der Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine, mehr Menschen gekommen als je zuvor in einem Jahr.

Es dürfe nicht bei jeder neuen Fluchtbewegung ein „langwieriges Verhandlungs-Ping-Pong“ geben, kritisierte Lewe. Die Kommunen müssten sich auf dauerhaft funktionierende Absprachen mit Bund und Ländern verlassen können. Lewe und sein Stellvertreter, der Leipziger Oberbürgermeister Burkhardt Jung (SPD), betonten, die Städte seien bereit, Menschen aufzunehmen, Schutz zu gewähren und ihnen bei der Integration zu helfen.

Es könne aber nicht sein, dass man, wie derzeit in Leipzig, Zeltstädte aufbauen müsse und Geflüchtete jahrelang in Gemeinschaftsunterkünften leben müssten, weil es keine Wohnungen gebe, sagte Jung. Jung und Lewe forderten den Bund auf, sich deutlich stärker bei der Erstunterbringung zu engagieren und die Menschen erst dann in die Städte zu verteilen, wenn ihre Bleibeperspektive geklärt sei.



Alterssicherung

Renten im Osten steigen im Sommer auf Westniveau



Berlin (epd). Rentner in Ost- und Westdeutschland erhalten ab Sommer mehr Geld. Wie das Bundessozialministerium am 20. März in Berlin mitteilte, steigt die Rente zum 1. Juli in den ostdeutschen Bundesländern um 5,86 Prozent und in Westdeutschland um 4,39 Prozent. Damit gelte in West und Ost dann ein gleich hoher aktueller Rentenwert. Wegen der höheren Lohnsteigerung in Ostdeutschland werde die Rentenangleichung Ost ein Jahr früher erreicht als gesetzlich vorgesehen, hieß es.

Der Rentenwert ist ein wesentlicher Berechnungsfaktor und spiegelt die Lohnentwicklung. Bislang wird der Rentenwert Ost schrittweise erhöht. Ursprünglich sollte ein einheitlicher Rentenwert ab 1. Juli 2024 in ganz Deutschland gelten.

„Arbeitsmarkt in guter Verfassung“

Die für die Rentenanpassung relevante Lohnsteigerung beträgt den Ministeriumsangaben von Montag zufolge in den alten Ländern 4,5 Prozent und 6,78 Prozent in den ostdeutschen Ländern. „Diese Erhöhungen sind möglich, weil der Arbeitsmarkt in guter Verfassung ist und die Löhne steigen“, sagte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD). „Ich will die gesetzliche Rente langfristig stabilisieren, damit die Menschen sich auch in Zukunft auf eine gute Altersvorsorge verlassen können. Deshalb werden wir die Haltelinie von 48 Prozent über das Jahr 2025 hinaus sichern, damit die gesetzliche Rente verlässlich bleibt.“

Die Rentenanpassung bleibe hinter der aktuellen Inflation von mehr als acht Prozent zurück, das sei aber nur eine Momentaufnahme, hieß es. Betrachte man die Entwicklung des aktuellen Rentenwerts im Jahresdurchschnitt seit 2012, so betrage der Anstieg im Westen insgesamt 26 Prozent, im Osten 40 Prozent. Im gleichen Zeitraum seien die Preise um 20 Prozent gestiegen.

Nächste Anpassung im Juli 2024

Bei 1.000 Euro Rente habe die Rentenanpassung in diesem Zeitraum somit brutto um 63 Euro im Westen und um 198 Euro im Osten über der Inflation gelegen. „Aktuell abgeschlossene Tarifverträge sehen durchaus beachtliche Lohnerhöhungen vor. Sie werden sich dann in der Rentenanpassung zum 1. Juli 2024 abbilden“, hieß es.

Gundula Roßbach, Präsidentin der Deutschen Rentenversicherung Bund, sagte, durch die hohe Rentensteigerung werde die hohe Preissteigerung, die in diesem Jahr erwartet wird, für die 21 Millionen Rentnerinnen und Rentner deutlich abgemildert. Rückblickend habe es für die Rentnerinnen und Rentner seit 2010 ein deutliches Plus bei der Rente gegeben. „So sind die Standardrenten von 2010 bis 2022 im Westen um über 32 Prozent und im Osten um über 47 Prozent gestiegen. Der Anstieg lag damit deutlich über der Entwicklung der Inflation in diesem Zeitraum“, betonte Roßbach.




sozial-Branche

Sozialbank

Rettung der Wohlfahrtspflege in schwerer Zeit




Die Hilfskasse im Wohlfahrtshaus an der Berliner Oranienburger Straße im Jahr 1924
epd-bild/Sozialbank
Mehrere Sozialverbände schufen vor genau 100 Jahren mit der "Hilfskasse" ein Kreditinstitut nur für die Wohlfahrtspflege. Die daraus hervorgehende Bank für Sozialwirtschaft besteht noch heute - und ist wichtiger denn je.

Berlin (epd). „Wir haben Kunden, die etwas Gutes machen, und wenn man den Kunden dabei hilft, das Gute zu finanzieren, dann finde ich, ist das ein Gefühl, da kann man abends ganz gut mit ins Bett gehen“, sagt Dietmar Krüger, der von 1997 bis 2014 Mitglied des Vorstandes der Bank für Sozialwirtschaft (BFS), war. Und diese wohligen Gefühle haben inzwischen eine lange Tradition, sie sind genau 100 Jahre alt. Denn um die Förderung der Liquidität ging es schon 1923 bei der Gründung der „Hilfskasse gemeinnütziger Wohlfahrtseinrichtungen Deutschlands“, dem Vorgänger der BFS.

Damals wie heute nutzen Pflegeheime, Kliniken und viele andere Sozialträger die Dienste der spezialisierten Bank mit Sitz in Köln, um ihre Arbeit und Wirtschaftlichkeit zu sichern. Daran änderte auch die Umwandlung der BFS in eine Aktiengesellschaft 1997 nichts - Grundlage für das große Kreditwachstum, das sie bei der Finanzierung von Sozialimmobilien über viele Jahre verzeichnet. Die Anteilseigner der Bank stammen noch 2023 zu mehr als 90 Prozent aus den Reihen der Freien Wohlfahrtspflege.

Neun Männer leisten Pionierarbeit

Eine neunköpfige Kommission leistet die Vorarbeit, dann erfolgt die Gründung der Hilfskasse am 10. März 1923 beim Berliner Notar Fritz Lamm. Sie rettet die Wohlfahrtspflege in schwerer Zeit. Denn nach dem Ersten Weltkrieg steckt die junge Republik schwer in der Krise - politisch, gesellschaftlich und wirtschaftlich.

In Zeiten der galoppierenden Inflation steht vielen Trägern der Wohlfahrtspflege das Wasser bis zum Hals. Die Zuwendungen und Spenden an die Einrichtungen sind versiegt, die Aufnahme von Darlehen ist viel zu teuer - und zugleich ist der Hilfebedarf in der Bevölkerung enorm groß. Doch mit der Rolle des „hilflosen Helfers“ wollen sich die Sozialverbände nicht abfinden. Sie suchen gemeinsam eine Lösung. Ihr Plan: die Gründung einer Einrichtung, die die Beschaffung, Gewährung und Vermittlung von Darlehen an gemeinnützige Wohlfahrtseinrichtungen professionell in die Hand nimmt. So kommt es zur Gründung der „Hilfskasse“.

Stammkapital kommt vom Wirtschaftsministerium

Das Stammkapital dieser speziellen Fachbank in Höhe von 800.000 Mark stammt als zinsgünstiges Darlehen aus der Kasse des Reichswirtschaftsministeriums, das dem Projekt überaus wohlwollend gegenübersteht. Satzungsgemäße Tätigkeiten der Gesellschaft sind die Beschaffung von In- und Auslandsmitteln zur Gewährung von Darlehen an gemeinnützige Wohlfahrtseinrichtungen, die Gewährung und Vermittlung von Darlehen an sie, die Verwaltung ihrer Sparguthaben und die Beratung der Träger in in finanzieller Fragen. 1924 kann sie treuhänderisch die ersten Gelder zur Förderung der Freien Wohlfahrtspflege in Form mittelfristiger Kredite vergeben.

Wenige Jahre später drohen neue Schwierigkeiten: erst die Weltwirtschaftskrise, dann der Nationalsozialismus. Der NS-Staat fackelt nicht lange. Zunächst wird die Zentralwohlfahrtsstelle der deutschen Juden aus der Hilfskasse verdrängt, dann wird die Gleichschaltung vollzogen, auch wenn Innere Mission und Caritas formell weiter Gesellschafter bleiben.

Büros versinken im Bombenhagel

Im November 1943 wird das „Wohlfahrtshaus“ in der Oranienburger Straße, dem Sitz der Hilfskasse, bei einem Bombenangriff schwer beschädigt. Nach einem zweiten Bombentreffer erfolgt der Umzug ins Seebad Heringsdorf auf Usedom, wo ab Februar 1944 in einem Schwesternwohnheim Quartier genommen wird.

Nach dem Zweiten Weltkrieg übersteht die Hilfskasse schwierige Jahre, bis sie ihre Zulassung zum Neugeschäft wiedererlangt. Sie muss sich neue Tätigkeitsfelder erschließen, die sie als „Bank für Sozialwirtschaft“ erfolgreich ausbaut.

Entwicklung hin zur Universalbank

Mitte der 60er Jahre beginnt mit der Aufnahme des Spargeschäfts und der nicht treuhänderischen Kreditvergabe an Einrichtungen und Organisationen der Freien Wohlfahrtspflege die Entwicklung hin zur Universalbank. Ab den 1990er Jahren werden selbst langfristige Darlehen vergeben. Mitte der 90er Jahre wird die eigene Kreditvergabe durch langfristige Kredite der Deutschen Ausgleichsbank und Förderdarlehen der KfW ergänzt. Die Finanzierung von Sozialimmobilien entwickelt sich zum Schwerpunkt im Kreditgeschäft.

Im Jubiläumsjahr zeigt sich die Bank gut aufgestellt: „Wir verzeichnen eine stabile Nachfrage nach Krediten. Der Investitionsbedarf in unseren Kundenbranchen ist weiterhin sehr hoch“, sagt Vorstandsvorsitzender Harald Schmitz. Im Bereich der kurz- und mittelfristigen Kredite erzielt die Bank 2022 einen Zuwachs von rund 39 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Die durchschnittliche Bilanzsumme belief sich 2022 auf rund elf Milliarden Euro. „Seit einem Jahrhundert bringen wir Menschen und Organisationen zusammen, die erfolgreich das Gemeinwohl stärken. Seit 100 Jahren und in Zukunft“, erklärt Schmitz.

Dirk Baas


Kirche und Diakonie

Positive Bilanz der Aktion #wärmewinter




Zufrieden mit der Aktion #wärmewinter: EKD-Ratsvorsitzende Kurschus und Diakonie-Präsident Lilie, hier im Bild mit Kristina Wollnik und ihrer Tochter Klara
epd-bild/Jens Schulze
Von der heißen Suppe in Hanau bis zur Energieberatung in München: Mit der Aktion #wärmewinter haben Kirche und Diakonie ein Zeichen gegen gesellschaftliche Kälte gesetzt - und hoffen auf Fortsetzung vieler Hilfsangebote.

Hannover (epd). Die Diakonie und die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) werten ihre gemeinsame bundesweite Hilfsaktion #wärmewinter als Erfolg. In ganz Deutschland sind dabei nach ihren Angaben Hunderte diakonische Angebote entstanden. Diese reichen vom Eltern-Kind-Café in Bremen bis zum Nacht-Café in Dresden, von der heißen Suppe in Hanau bis zur Energieberatung in München. „Wir danken den vielen Menschen, die durch ihr Engagement dazu beigetragen haben, Hilfesuchenden in diesem Krisenwinter eine Anlaufstelle zu bieten“, sagte die EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschus am 23. März in der Lutherkirche in Hannover.

Vor dem Hintergrund steigender Energiepreise und drohender sozialer Notlagen hatten Kirche und Diakonie im Herbst ihre Gemeinden aufgerufen, Wärmestuben und Beratungsangebote einzurichten. In einer Situation, in der auch das gesellschaftliche Klima „sehr kühl und trist“ gewesen sei, sei es darum gegangen, konkret zu helfen und zugleich „Menschlichkeit und Herzlichkeit spürbar und sichtbar zu machen“, sagte Kurschus. „Durch diesen Winter hat ein warmer Wind der Verbundenheit und der Solidarität geweht.“

Diakoniechef: Beispiel gelebter Nächstenliebe

Allein zwischen Stendal und Sonneberg seien mehr als 100 Maßnahmen mit insgesamt 659.237 Euro unterstützt worden, teilten Kirche und Diakonie Mitteldeutschland mit. Ein halbes Jahr nach dem Start der Hilfsaktion sei damit die Hälfte der zur Verfügung stehenden Hilfszahlungen an Tafeln, Wärmestuben sowie an Kirchengemeinden und bedürftige Privathaushalte auf den Weg gebracht. „Aus der deutschlandweit ausgerufenen Aktion #wärmewinter wurde ein Instrument der Krisenbewältigung und ein Beispiel für Nächstenliebe durch konkretes und unbürokratisches Handeln.“, so Christoph Stolte, Vorstandsvorsitzender der Diakonie Mitteldeutschland.

Finanziert wurden die Angebote unter anderem durch zusätzliche Kirchensteuereinnahmen infolge der im September ausgezahlten Energiepreispauschale. Diakonie-Präsident Ulrich Lilie sprach von mehreren Millionen Euro, die dabei und durch zusätzliche Spenden zusammengekommen seien. Genau beziffern lässt sich die Gesamtsumme Kurschus zufolge nicht, weil die Gelder jeweils von den Landeskirchen zur Verfügung gestellt wurden.

Bestehende Angebote neu ins Licht gerückt

Mit der Aktion seien auch bestehende Angebote neu ins Licht gerückt worden, betonte die Ratsvorsitzende, die auch Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen ist. „Wir haben eines der besten Filialnetze der Welt.“ Vielfach seien Netzwerke etwa mit Kommunen, Sozialverbänden und Vereinen sowie in ökumenischer und interreligiöser Zusammenarbeit entstanden.

Diakonie-Präsident Lilie betonte, auch im Frühjahr seien weiter Hilfen nötig, und viele Angebote würden weitergeführt. Er forderte eine verlässliche staatliche Finanzierung für die Sozialarbeit und Sozialberatung, die vielfach am Anschlag arbeiteten. „Der soziale Frieden setzt voraus, dass die Versprechen des Sozialstaats eingelöst werden. Und dass die Entlastungen bei den Menschen in Not tatsächlich ankommen.“ Zugleich sei die Aktion #wärmewinter beispielhaft für eine „sorgende Gemeinschaft“, wie sie künftig mit dem Blick auf den zunehmenden Fachkräftemangel immer wichtiger werde.



Pflege

DAK, Diakonie und Landkreise: Pflegeversicherung braucht mehr Geld




Auf mehr Geld für die Pflege hoffen Angehörige und Verbände.
Eine Krankenkasse, ein Wohlfahrts- und ein Kommunalverband haben normalerweise wenig gemeinsam. Beim Thema Pflege ist das anders. Geeint wenden sie sich mit ihren Sorgen um die Zukunft der Pflegeversicherung an die Politik - und fordern vor allem mehr Geld.

Berlin (epd). Die Krankenkasse DAK, die Diakonie Deutschland und der Landkreistag fordern gemeinsam von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) mehr Geld für die Pflegeversicherung. Die drei Akteure kritisierten am 22. März in Berlin, die aktuellen Reformpläne griffen zu kurz. Der Vorstandsvorsitzende der DAK, Andreas Storm, forderte Lauterbach auf, bei Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) auf mehr Geld für die Pflege zu dringen.

Es könne nicht sein, sagte Storm, dass in Zeiten des Wandels in der Prioritätensetzung der Regierung kein einziger Cent für die Pflege vorgesehen sei. „Wenn Minister Lauterbach keine Steuermittel zur Stabilisierung der Pflegeversicherung einsetzt, ist die Pflegereform zum Scheitern verurteilt“, sagte Storm.

Einigkeit bei der Kritik an Lauterbachs Reformplänen

Anlass für das ungewöhnliche Trio aus Krankenkasse, Kommunalvertretung und Wohlfahrtsverband, gemeinsam vor einem Pflegenotstand zu warnen, ist Lauterbachs Gesetzentwurf zur Stabilisierung der defizitären Pflegeversicherung, der derzeit in der Bundesregierung abgestimmt wird. Der Minister will zum Juli dieses Jahres die Beiträge zur Pflegeversicherung anheben und gleichzeitig ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts umsetzen, wonach Eltern künftig weniger zahlen als Kinderlose.

Der allgemeine Beitragssatz soll dem Referentenentwurf zufolge von 3,05 auf 3,4 Prozent des Bruttoeinkommens steigen, der Satz für Kinderlose auf vier Prozent. Eltern sollen bei den Beiträgen hingegen ab dem zweiten Kind entlastet werden. Für Kritik aus der Branche sorgt Lauterbachs Plan, das Gesundheitsministerium zu ermächtigen, künftig allein per Verordnung die Beiträge erhöhen zu können, wenn die Zahlungsfähigkeit der Pflegeversicherung gefährdet ist.

„Leistungsverbesserungen reichen nicht aus“

Demgegenüber verlangten der DAK-Chef und die Diakonie-Sozialvorständin Maria Loheide, dass angesichts der weiter steigenden Ausgaben mehr Steuergeld in die Pflegeversicherung fließen müsse. Beitragserhöhungen reichten nicht aus, um die Probleme zu lösen. Die Leistungsverbesserungen, die Lauterbach plant, kritisierten sie als unzureichend.

So soll erstmals seit 2017 das Pflegegeld für Angehörige erhöht werden, aber nur um fünf Prozent. Das gleiche nicht einmal die Inflation aus, bemängelte Loheide, und zeige „die fehlende Wertschätzung“ für die Leistungen der Angehörigen, zumeist Frauen. 80 Prozent aller pflegebedürftigen Menschen werden zu Hause versorgt. Je nach Schwere der Pflegebedürftigkeit erhalten die Angehörigen, wenn sie daheim alles allein übernehmen, dafür ein Pflegegeld von 316 bis 901 Euro im Monat.

Aus einer repräsentativen Forsa-Umfrage im Auftrag der DAK geht hervor, dass 96 Prozent der Bevölkerung eine staatliche Unterstützung pflegender Angehöriger für wichtig halten. Die aktuellen Daten zeigen auch, welchen Stellenwert die Bürgerinnen und Bürger der Pflegeversicherung beimessen. Die große Mehrheit wünsche sich eine starke, solidarische Pflegeversicherung, bilanzierte Loheide.

Mehrheit der Bürger für mehr staatliche Zuschüsse

Drei Viertel der Bevölkerung sind der Forsa-Befragung zufolge der Meinung, dass die künftigen Kosten der Pflege nicht nur durch Beiträge, sondern auch durch Steuergelder finanziert werden müssen. Denn Leistungskürzungen will praktisch niemand (4 Prozent). Private Vorsorge ist in Deutschland auch nicht beliebt, 70 Prozent lehnen sie ab und wünschen sich mit einer Mehrheit von 85 Prozent, dass die gesetzliche Pflegeversicherung weiterhin alle wesentlichen Pflegekosten übernehmen soll. Für die Erhebung der Daten hat Forsa vom 10. bis 14. März 1.004 Bürgerinnen und Bürger ab 18 Jahren online befragt.

Rund 4,5 Millionen Menschen beziehen in Deutschland Leistungen aus der Pflegeversicherung. Für einen Heimplatz müssen Pflegebedürftige gegenwärtig im Durchschnitt rund 2.450 Euro im Monat aus eigener Tasche zahlen. Deshalb schließen sich die Landkreise der Forderung nach mehr Geld für die Pflege an. Sie müssen inzwischen für knapp ein Drittel der Bewohnerinnen und -bewohner die Heimplätze über die Sozialhilfe mitfinanzieren, weil die Renten der Menschen nicht reichen.

Man verfolge die Entwicklung mit Sorge, sagte die stellvertretende Hauptgeschäftsführerin des Landkreistages, Irene Vorholz: „Der Gesetzentwurf enthält lediglich lange überfällige Reparaturmaßnahmen.“ Diese seien zwar für sich genommen richtig, würden aber nur zu kurzzeitigen und punktuellen Entlastungen führen. Es bedürfe einer grundlegenden Reform, um die Pflege zukunftsfest zu machen. „Das betrifft sowohl die Finanzierung als auch das erforderliche Personal und die Unterstützung der häuslichen Pflege. Steuert die Politik nicht entschlossen gegen, haben wir in wenigen Jahren den Pflegenotstand“, so Vorholz.

Bettina Markmeyer


Pflege

Verband: Kompetenzzentrum Digitalisierung braucht Unabhängigkeit



Berlin (epd). Der Deutsche Evangelische Verband für Altenarbeit und Pflege (DEVAP) mahnt an, das geplante Kompetenzzentrum Digitalisierung und Pflege unabhängig arbeiten zu lassen. Man begrüße es ausdrücklich, dass dieses Zentrum im Referentenentwurf zum Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetz vorgesehen sei, doch dürfe es nicht beim GKV-Spitzenverband angesiedelt sein, sagte Vorstand Sebastian Wirth am 22. März in Berlin. Es komme darauf an, dass die dortigen Expertinnen und Experten völlig unabhängig arbeiteten: Die Kassen seien in der Digitalisierung nicht die Lösung, sondern das Problem.

Wirth weiter: „Das Fazit der bisherigen Digitalisierung in der Pflege ist leider eindeutig: Trotz vieler Anläufe, trotz vieler Versprechungen und trotz Konzertierter Aktion Pflege kommen die digitalen Verfahren nicht voran.“ Seit mehr als 20 Jahren schickten die ambulanten Pflegeeinrichtungen die Rechnungen digital zu den Krankenkassen, müssten danach aber zusätzlich die Papierdokumentation senden. Diese werde von den Abrechnungsstellen eingescannt, digital an die Rechnung gehängt und das Papier weggeworfen. „Das ist Digitalisierung made in Krankenkassen im Jahr 2023.“

„Der DEVAP fordert eine unabhängige Stelle, die verpflichtende digitale Standards für alle Beteiligten vorgibt - von der Verordnung über die Genehmigung bis hin zur Abrechnung und Zahlung“, so Wirth abschließend.



Studie

Beschäftigte in sozialen Berufen an Belastungsgrenze




Viele soziale Angebote für Kinder und Jugendliche sind in Gefahr, wenn Sozialarbeiter den Job verlassen.
epd-bild/Rolf Schulten
Der Personalmangel in einigen sozialen Berufen ist nach der Corona-Pandemie gewachsen, ebenso wie die Belastungen für die Beschäftigten. Die Gewerkschaft ver.di fordert von der Politik eine Kehrtwende.

Berlin (epd). Die Belastungen für Beschäftigte in sozialen Berufen sind laut einer Umfrage nach der Corona-Pandemie erheblich angestiegen. Zu diesem Ergebnis kommt eine am 21. März in Berlin vorgestellte Analyse der Hochschule Fulda und der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di. So seien mehr als 60 Prozent der Befragten häufig oder sehr häufig an der Grenze der Belastbarkeit. Ein hohes Burn-out-Risiko gebe es insbesondere bei Beschäftigten in der Jugend- sowie in der Behindertenhilfe, aber auch in Kitas und den Jugendämtern, so die Autoren der Erhebung.

Für die Studie „Professionelle Krise nach Corona? Steuerungsbedarf in der Sozialen Arbeit nach der Pandemie“ wurden den Angaben zufolge im November vergangenen Jahres 8.210 Beschäftigte online befragt. Schätzungen zufolge gibt es bundesweit rund 1,5 Millionen Beschäftigte in der sozialen Arbeit.

Ver.di: Beschäftigte arbeiten oft am Limit

Die Bundesfachgruppenleiterin Erziehung, Bildung und Soziale Arbeit bei ver.di, Elke Alsago, sagte, die Beschäftigten in vielen sozialen Berufen, vor allem im öffentlichen Dienst, seien am Limit. Als Grund wird unter anderem auf eine gestiegene Nachfrage nach Angeboten sozialer Arbeit nach der Pandemie verwiesen. Zudem seien die Problemlagen bei den einzelnen Klienten vielschichtiger geworden und der Hilfebedarf zudem gestiegen. Das verschärfe den bereits vor der Pandemie herrschenden Personalmangel in den Berufsfeldern.

Über alle Arbeitsfelder der sozialen Arbeit hinweg arbeiten laut Studie mehr als ein Drittel (38,9 Prozent) der Befragten regelmäßig drei oder mehr Stunden wöchentlich zusätzlich. Knapp zwei Drittel der Befragten stehen demnach bei ihrer Arbeit unter Zeitdruck. Mehr als die Hälfte (56,6 Prozent) schaffen die Arbeitsmenge häufig oder sehr häufig nicht.

Viele wollen Job nicht bis zur Rente machen

Im Ergebnis wollen laut Umfrage mehr als drei Viertel der Befragten (77,2 Prozent) nicht bis zur Rente in der sozialen Arbeit bleiben. In einzelnen Handlungsfeldern sei die Quote noch höher.

Alsago betonte, eine Schließung von Einrichtungen aufgrund hoher Krankheitswerte und erschöpfter Beschäftigter könne sich die Gesellschaft angesichts multipler Krisen nicht leisten. Sie verwies dabei auch auf die vielen prekären Beschäftigungsverhältnisse und befristeten Arbeitsverträge in der Branche, die die Beschäftigten belaste.

Es fehlt an Nachwuchs

Laut ver.di wurde bislang versäumt, entsprechend dem Bedarf Fachkräfte auszubilden. Bund, Länder und Kommunen müssten jetzt Geld unter anderem für die Verbesserung der Personalschlüssel bereitstellen. „Fachkräfte zu gewinnen und zu halten ist auch eine Frage der finanziellen Anerkennung“, sagte Alsago.

Heidi Reichinnek, kinder- und jugendpolitische Sprecherin der Links-Fraktion, erklärte, der Fachkräftemangel sei in allen sozialen Berufen Realität, was bei den harten Arbeitsbedingungen mit viel zu niedriger Bezahlung nicht verwunderlich sei. Corona habe die Situation noch weiter verschärft. „So darf es nicht weitergehen. Die Daten zeigen nämlich auch, dass ein Zusammenbruch von relevanten Teilen der Kinder- und Jugendhilfe droht“, so Reichinnek. Der Bund müsse sich mit Ländern, Kommunen, Gewerkschaften und Trägern zusammensetzen und mit ihnen gemeinsam Lösungswege zur Überwindung der akuten Krise finden: „Es braucht massive Anstrengungen, um soziale Berufe aufzuwerten, und das kostet Geld. Das, was wir heute investieren, wird die Folgekosten reduzieren.“

Lukas Philippi


Behinderung

Die Schattenspringer




Die Theatergruppe "Die Schattenspringer" probt ein Stück.
epd-bild/Philipp von Ditfurth
Die "Schattenspringer" aus Freiburg sind Pioniere des inklusiven Theaters. Seit 25 Jahren stehen Menschen mit und ohne Behinderung auf der Bühne. Die erste inklusive integrative Theatergruppe Baden-Württembergs wird von der Aktion Mensch gefördert.

Freiburg (epd). So ein Theater: Menschen mit und ohne Behinderungen stehen seit 25 Jahren gemeinsam auf der Bühne. Mit Vielfalt und Kreativität wagen sie sich nicht nur an selbstgeschriebene Produktionen, sondern auch an Shakespeare-Klassiker. Ihr jüngstes Stück „Haus der Vielfalt - eine explosive Mischung“ hatte am 18. März im Bürgerhaus Freiburg-Zähringen Premiere.

Bei der Hauptprobe herrscht Nervosität im Probenraum. Die 14 Schauspielerinnen und Schauspieler tragen Kostüme. Aufgeregt nehmen sie ihre Plätze ein. Sabine Bühler spielt die Kanzlerkandidatin. „Zu Anfang war es schwer in die Rolle zu kommen, später ging es besser“, sagte sie dem Evangelischen Pressdienst (epd). Die 41-Jährige mag es, auf der Bühne „jemand sein zu können, der man normalerweise nicht ist“.

Selbstbewusstsein wird gestärkt

Theaterspiel stärke das Selbstbewusstsein, sagt auch Julia Bangert. Es gebe „weniger Schamgrenzen“, sind sich die Schauspielerinnen einig. Die beiden Frauen sind seit vielen Jahren bei den „Schattenspringern“ dabei. Bei der Probe geben sie einmal mehr ihr Bestes.

Das Bühnenbild zeigt ein Hochhaus, in dem die verschiedensten Menschen leben: Eine Rechtsanwältin, ein Verleger oder die Leiterin einer Partnerschaftsagentur. Der Zuschauer erlebt schnelle Wechsel von Bistro- zu Kanzleiatmosphäre, schaut dem gestressten Physiotherapeuten über die Schulter und erlebt einen coolen Fußballtrainer sowie die Frauenpower einer Kanzlerkandidatin.

Eingeleitet von Musik kommt der Flurtratsch in Gang. Wer kann mit wem? Wer hilft, wenn etwas kaputt ist? Die Typen auf der Bühne gewinnen an Leben. Was sich auf den ersten Blick schlicht unterhaltsam präsentiert, entwickelt im Verlauf Tiefe. Die Fassade erhält Brüche, die Protagonisten zeigen ihre Verletzlichkeit. Da sind etwa die Kanzlerkandidatin, die an ihrer Beziehungsfähigkeit zweifelt oder die Anwältin, die um Anerkennung durch den Vater kämpft. Und nicht nur der Verleger ist auf der Suche nach seiner besseren Hälfte.

Zuschauer bekommen Einschränkungen der Schauspieler nicht mit

Menschen mit körperlichen, kognitiven oder auch psychischen Einschränkungen stehen gemeinsam mit Menschen ohne Einschränkungen auf der Bühne. Nicht jeder ist in der Lage, das Textbuch zu lesen. „Beim Spiel bekommen es die Zuschauer nicht mit, welcher Schauspieler eine Einschränkung hat“, sagte Wolfgang Kapp vom Leitungsteam. Zusammen mit Katarina Fischhaber und Felix Möllenhoff führt er Regie. Als der 67-Jährige im Jahr 1998 die „Schattenspringer“ aufbaute, leistete er Pionierarbeit. Die „Schattenspringer“ waren die erste inklusive Theatergruppe Baden-Württembergs. „Wir haben zunächst einen Theaterkurs angeboten. Daraus wurden schnell zwei“, erinnert sich der Diplom-Pädagoge an die Geburtsstunde der inklusiven Theatergruppe.

Seitdem brachte das Ensemble in der Trägerschaft des Diakonischen Werkes Freiburg 14 meist selbstgeschriebene große Bühnenproduktionen sowie mehrere kleine Inszenierungen in ganz Deutschland zur Aufführung. Es war bei verschiedenen Kultur- und Theaterfestivals im In- und Ausland zu Gast. Unterstützt wird die Arbeit der offenen Theatergruppe von der theaterpädagogischen Erfahrung des Theater Phänampfer sowie dem Arbeitskreis Behinderte an der Christuskirche (ABC).

Aktion Menschen gibt Geld

Seit einigen Jahren wollen die „Schattenspringer“ noch professioneller werden: Mit der ausbildungs- und berufsbegleitenden Weiterbildung „Inklusives Schauspiel“ feilen sie an ihrer Ausdrucksfähigkeit. Die Arbeit wird von der Aktion Mensch mit 223.000 Euro unterstützt.

Die „Schattenspringer“ sind getragen von der Vision einer Gesellschaft, in die niemand erst integriert werden muss, sondern die ganz selbstverständlich alle umfasst, die dazu gehören. „Hier sind alle gleich“, betont die Regisseurin Katarina Fischhaber.

Susanne Lohse


Kirchen

Vom Küchenmeister zum Seelsorger




Thomas Ruthenberg
epd-bild/privat
Weil gute Arbeit mehr als "Lohn und Brot" ist, gibt es den kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt. Gerade im Gastgewerbe zeigt sich, wie eng Kirche und Handwerk miteinander verbunden sind. Es ist das Einsatzfeld von Diakon Thomas Ruthenberg.

Nürnberg, Dachau (epd). Keine Kammer bietet an, was Thomas Ruthenberg vom kirchlichen Dienst im Gastgewerbe für Auszubildende im Hotel, Restaurant und in der Küche macht: Intensiv-Kurse zur Vorbereitung auf die IHK-Abschlussprüfung, auch für Externe. „Es kommen Menschen, die teils zehn oder 15 Jahre Erfahrung haben in dem Beruf, aber noch keinen Abschluss haben“, sagt der Diakon und Küchenmeister. So wie Justine Selmaier, die zusammen mit ihrem Mann die „Einkehr zum Müllerbräu“ im oberbayerischen Töging leitet.

Weil sie Schwierigkeiten hatten, einen Koch zu finden, arbeitete die gelernte Hotelkauffrau jahrelang selbst in der Küche. „Irgendwann wollte ich einfach einen Stempel auf meinem Kochdasein haben“, beschreibt sie ihre Motivation, sich direkt für die Prüfung anzumelden. Auf den kirchlichen Dienst im Gastgewerbe stieß sie nach langer Suche nach einem Vorbereitungskurs. „Thomas hat uns wirklich an die Hand genommen und alle individuell unterstützt, egal wie gut sie Deutsch konnten“, sagt Selmaier. Der Kurs richtet sich bewusst auch an ausländische Fachkräfte, die in Deutschland noch einen anerkannten Abschluss brauchen.

Weit mehr als ein normaler Berufschullehrer

„Für mich war das Christliche, die Zusammenarbeit immer das Leitbild im Kurs“, erinnert sich Selmaier. „Thomas hat uns als Gemeinschaft zusammengebracht. Ich glaube, jemand anderem, der diesen Hintergrund nicht hat, wäre das egal gewesen.“ Die Teilnehmenden durften auch mit persönlichen Anliegen auf Ruthenberg zukommen, sagt sie. „Bei mir ist in der Zeit meine Großmutter gestorben und wir haben dann auch lang telefoniert. Das hätte ein normaler Berufsschullehrer definitiv nicht gemacht.“

Auf das Zwischenmenschliche achtet Thomas Ruthenberg auch bei seinem Online-Kursangebot „Ausbildung der Ausbilder“ (AdA). Es gehe ihm nicht nur darum, das Wissen zu vermitteln, um die Eignungsprüfung schnell zu bestehen. „Wir sprechen auch über die Grundbedürfnisse des Menschen. Ganz einfaches Beispiel: die Pausenregelung. Wann arbeiten wir, wann ruhen wir? Wer kümmert sich im Betrieb darum?“ Ausbilderinnen und Ausbilder haben die Verantwortung, für ihre Azubis darauf zu achten, sagt er.

Im Auszubildenden immer auch den Menschen sehen

Roman Schmuttermaier führt das Restaurant „Rind & Rebe“ in Dachau und hat an einem AdA-Kurs teilgenommen. „Ich bin gelernter Metzger und Koch und in meiner eigenen Ausbildung wurde es auch öfters mal lauter“, erzählt er. „Aber mit Schreien erreicht man niemanden mehr. Da verliert man die Leute.“ Er selbst achtet auf eine gute Portion Einfühlungsvermögen und will lernen, immer ganz individuell auf den Charakter des Menschen einzugehen, den er ausbildet.

Gastronomie ist für Thomas Ruthenberg immer auch Gastfreundschaft und damit etwas Urchristliches. „Ich komme aus dem ländlichen Raum und wenn man da die Gastwirtschaft sucht, schaut man zuerst nach der Kirche. Sie sind in direkter Nachbarschaft, weil sie sich ergänzen.“ Wenn Menschen nach dem Gottesdienst für ihr leibliches Wohl sorgen wollen, sind die Gastronomen immer da, weiß Ruthenberg. Deshalb sei es ihm wichtig, sich wiederum um diese Menschen besonders zu kümmern, beispielsweise durch Betriebsbesuche. Seit 1965 gibt es bei der Evangelischen Landeskirche die Gastbewerbe-Seelsorge, die auch Gottesdienste an arbeitsfreien Montagen organisiert.

Mit den Menschen ein Stück ihres Weges gehen

Ruthenberg selbst kennt sowohl Gastronomie als auch Kirche: „Meine Eltern hatten eine Wirtschaft, in der ich aufgewachsen bin. Mein frühester Berufswunsch war es, Koch zu werden.“ Als er bereits selbst Ausbilder war, kam er bei einer Fahrt nach Italien bei den Dillinger Franziskanerinnen vorbei. „Die suchten einen Küchenmeister, weil sie ihre Küche umbauen wollten. Ich habe Halt gemacht, die Oberin hat mich eingestellt und dort habe ich gemerkt, dass es noch eine andere Form gibt, für das Wohl der Menschen zu sorgen.“

Bei den Franziskanerinnen habe er gelernt, dass es nicht viel braucht. „Wichtig ist die Zuwendung. Das zeigt sich auch an den Vesperkirchen. Eine warme Suppe, ein Stück Brot und Menschen an meiner Seite reichen.“ Statt den Betrieb seiner Eltern zu übernehmen, ging Ruthenberg nach Rummelsberg und wurde Diakon. Seine Mission sieht er darin, „mit den Menschen ein Stück des Weges zu gehen“. Und er kann sich durchaus vorstellen, dass diese Werte gastronomische Berufe in Zeiten des Fachkräftemangels attraktiver machen können.

Julia Riese


Medizin

Pilze gegen Depressionen



Mit "magic mushrooms" wird an der Berliner Charité und in Mannheim ein neuer Therapieansatz gegen Depressionen erforscht. Im Hirn der Patienten sollen durch die halluzinogenen Pilze verkrustete Strukturen aufgebrochen werden.

Berlin (epd). Andreas' Depressionen haben kurz vor dem Tod seiner Tochter angefangen. Seitdem fühle es sich so an, als sei er in einer Glasglocke, berichtet er: „Mit einem Bein ist man dabei und macht das meiste mit, aber im Inneren fühlt man sich abgetrennt.“ Seine Depression gilt als behandungsresistent. Das heißt, herkömmliche Behandlungen mit Antidepressiva konnten ihm gar nicht oder nur sehr wenig helfen.

„Deswegen war die Entdeckung dieser Studie so eine Art Rettungsanker“, erzählt er. Andreas ist einer von 144 Probanden der bislang größten Studie in Deutschland, mithilfe von halluzinogen Pilzen den Depressionen zu entkommen oder sie zumindest einzudämmen und wieder ein normaleres Leben führen zu können.

Neuer Therapieansatz im Test

Finanziert vom Bund wird unter Leitung des Neurologen Gerhard Gründer am Mannheimer Institut für Seelische Gesundheit und der Ärztin Andrea Jungaberle an der Berliner Charité bei den Patientinnen und Patienten ein neuer Therapieansatz ausprobiert. Alle Probanden haben zumeist schon viele Jahre herkömmliche Psychopharmaka genommen, ohne dass sich ihr depressiver Zustand grundlegend gebessert hat.

Die sogenannten „magic mushrooms“ enthalten Psilocybin, eine psychoaktive Komponente, die einen psychedelischen Rausch mit visuellen Halluzinationen bewirkt. Jungaberle bezeichnet diese als „Türöffner“ zu tief sitzenden Traumata. Im Rahmen der Studie wird den Probanden in mehreren Sitzungen Psilocybin verabreicht, mal hoch dosiert, mal schwach dosiert oder als Placebo.

„Psychedelika sorgen dafür, dass verkrustete, alte, eingefahrene Muster aufgebrochen werden“, sagt die Ärztin, die in ihrer Berliner Praxis bereits seit Jahren mit dem ebenfalls halluzinogen Narkosemittel Ketamin arbeitet: „Es werden neue neuronale Verbindungen aufgebaut und diese Lernerfahrungen im Hirn verankert.“ Dadurch könnten die Dinge von den Patienten neu gesehen werden.

Veränderungen wirken im Gehirn

Die Ärztin vergleicht das mit einer Schneekugel, die durch Schütteln aufgewirbelt wird. In der Folge ordnen sich die Schwebeteilchen neu. Ähnliches passiere im Hirn nach der Einnahme der Pilze durch das Psilocybin.

„Die Drogen wirken auf der neuropharmakologischen Ebene und machen im Hirn etwas anders“, sagt sie: „Daten werden anders verarbeitet, Strukturen anders herausgebildet.“ Gleichzeitig komme es zu neuen Erfahrungen, die das Gewohnte übersteigen. Die Patienten erlebten in der Rauschphase etwas Sinnhaftes außerhalb ihrer selbst: „Sie finden einen Sinn, wo sie vorher keinen gesehen haben.“

Bei vielen depressiven Menschen seien die negativen Dinge gesetzt, das Gefühl der Hoffnungslosigkeit dominiere das Leben, sagt Jungaberle. „Der Himmel ist immer grau, Menschen sind immer gemein zu mir, ich bekomme eh nichts hin. Das ist das, was steht.“ Positive Erfahrungen wie „Hey, der hat mich angelächelt“ oder „heute scheint die Sonne“ würden viel weniger wahrgenommen: „Es geht um das Bestätigen einer negativen Spirale.“

Der Ansatz klassischer pharmakologischer Antidepressiva sei, diesen Mangel im Hirn zu beheben. „Im Hirn fehlt etwas, das muss repariert werden“, sagt die Ärztin. Die Drogen sollen dagegen den Blickwinkel auf das Vorhandene verändern, weg vom „Ich-kann-es-eh-nicht-ändern“.

Proband spürt positive Veränderungen

Auch Proband Andreas spürt nach mehreren Sessions bei sich positive Veränderungen. „Die Intensität an Angst vor dem Leben, vor der Depression, vor der Zukunft ist von 100 auf 20 heruntergegangen“, berichtet er. Wenn man diesen Schlüssel in der Hand habe, dann öffne der ganz viele Türen: „Es ist viel möglich. Das ist das Entscheidende.“

Die Studie läuft im dritten Jahr, die Arbeiten mit dem letzten Patienten sollen in einem Jahr abgeschlossen sein. Die Therapie ist eine Kombination aus Pharmakotherapie und Psychotherapie und geht pro Session bis zu acht Stunden. Während des Rausches werden die Patienten die ganze Zeit von den Therapeuten beobachtet. Danach werden die Erfahrungen gemeinsam aufgearbeitet.

„Das ist natürlich teuer“, sagt Jungaberle. Es kommen schnell mehrere tausend Euro zusammen. Im Vergleich dazu kostet eine Standardtherapie mit klassischen Psychopharmaka 19 Cent pro Tag: „Ich würde mir trotzdem wünschen, dass wir in Zukunft allen Menschen diese Therapie zur Verfügung stellen können, wenn sie sie wirklich brauchen. Und dass das in einem sozial verträglichen Rahmen von den Krankenkassen bezahlt wird.“

Wie lange die Therapie wirke, sei die Gretchenfrage schlechthin, sagt Jungaberle. Bei manchen wirke sie ein halbes bis ein Jahr. Bei anderen schlage sie kaum an. Deshalb sei eine Anschlussstudie wichtig.

Markus Geiler


Migration

Caritas: Fachkräfteeinwanderungsgesetz weiter verbessern



Berlin (epd). Die Caritas begrüßt den Entwurf des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes und wirbt zugleich dafür, die Familienzusammenführungen zu erleichtern. Der Vorschlag für die Weiterentwicklung des Gesetzes stelle wichtige Weichen, um die dringend gebrauchte Arbeitskräfteeinwanderung auf fast allen Qualifikationsstufen aus Nicht-EU-Staaten zu erleichtern und Migrantinnen und Migranten möglichst zeitnah in den Arbeitsmarkt zu integrieren, heißt es in einer am 20. März verbreiteten Erklärung. Doch damit Deutschland noch attraktiver für Arbeitskräfte aus dem Ausland werde, müssten vor allen die Verfahren zum Familiennachzug deutlich erleichtert werden.

„Familienzusammenführungen dauern oft viele Monate, mitunter sogar mehrere Jahre. Das ist für die Betroffenen nicht zumutbar“, sagte Präsidentin Eva Maria Welskop-Deffaa. Gerade für Kinder oder Jugendliche könne die lange Zeit ohne ein Elternteil oder ohne die Geschwister schwere Folgen haben: „Es darf nicht sein, dass Familienzusammenführung an zu hohen Hürden scheitert oder die Umsetzung am Bürokratiestau in deutschen Behörden stecken bleibt.“

Rechtslage an Arbeitnehmerfreizügigkeit anpassen

Der Caritasverband fordert seit 2006 analog der EU-Arbeitnehmerfreizügigkeit, dass unter anderem Sprachnachweise vor der Einreise, die eine Familienzusammenführung verzögern oder sogar verhindern, generell gestrichen werden - denn Deutsch lasse sich am besten in Deutschland lernen. Weiterhin führen derzeitige Wohnraumerfordernisse dazu, dass Niedrig- und Durchschnittsverdiener in Großstädten kaum eine Chance haben, ihre Familien nachzuholen. „Für die Kinder ist es wichtiger, gegebenenfalls ohne eigenes Zimmer, dafür aber mit dem eigenen Vater und der eigenen Mutter aufzuwachsen“, erläuterte Welskop-Deffaa.

Auch die Pflicht zur Lebensunterhaltssicherung für die ganze Familie führt dazu, dass es zum Beispiel für eine Krankenschwester in München unmöglich ist, ihre Familie nachzuholen. Der Familiennachzug von Ehegatten, -gattinnen und nachziehenden Kindern müsse generell von der Einkommenssicherung unabhängig sein, fordert die Caritas. „Die Einheit der Familie ist höher zu bewerten als die Vermeidung des Bezugs von Transferleistungen,“ bewertet die Caritas-Präsidentin.

Neben den rechtlichen Neuerungen im Gesetz dürfe auch die praktische Umsetzung in den Behörden vor Ort nicht vernachlässigen werden. Visa- und Verwaltungsverfahren dauern schon seit einiger Zeit übermäßig lang, weil Visastellen und Ausländerbehörden stark überlastet sind. „Es braucht primär mehr Personal für die betroffenen Behörden. Weiterhin wissen wir aus der Praxis unserer Beratungsstellen, dass die Prozesse dringend stärker digitalisiert werden müssen.“




sozial-Recht

Landessozialgericht

"Angemessene" Mietwohnung muss nicht immer angemessen bleiben




Nach späteren Berechnungen der Kommune kann eine zuvor angemessene Mietwohnung dann zu groß sein.
epd-bild/Rolf Zöllner
Grundleistungsbezieher können die Übernahme der Unterkunftskosten nur für "angemessenen" Wohnraum verlangen. Ohne repräsentative Daten über den Wohnungsmarkt kann aber die angemessene Mietobergrenze nicht einfach festgelegt werden, urteilte das Landessozialgericht Halle.

Halle (epd). Eine vom Jobcenter zunächst als angemessen eingestufte Mietwohnung kann sich nach einer neuen Bewertung des Wohnungsmarktes als unangemessen groß und folglich zu teuer erweisen. Empfängern von Grundsicherungsleistungen ist dann die Suche nach einer billigeren Wohnung zuzumuten, stellte das Landessozialgericht (LSG) Sachsen-Anhalt in Halle in zwei am 17. März veröffentlichten Urteilen klar. Allerdings müsse die von der Kommune festgelegte angemessene Mietpreisobergrenze auf repräsentativen Daten des Wohnungsmarktes basieren.

Frühere Hartz-IV-Bezieher und jetzige Bürgergeldempfänger können nach den geltenden Regelungen nur die Übernahme „angemessener Unterkunftskosten“ vom Jobcenter einfordern. Wie hoch die sind, hängt vom örtlichen Wohnungsmarkt ab. Legen Kommunen die vom Jobcenter zu bezahlende „angemessene“ Wohnungsmiete fest, muss das nach einem „schlüssigen Konzept“ erfolgen. Die Mietpreise für einfache Standardwohnungen müssen demnach in einem festgelegten Vergleichsraum repräsentativ abgebildet sein.

Nur sechs Monate Übernahme zu hoher Mietkosten

War die Miete zu hoch, musste das Jobcenter diese bei Hartz-IV-Beziehern für höchstens sechs Monate übernehmen. Danach musste der Hilfebedürftige die übersteigenden Kosten aus der Regelleistung bezahlen. Bei dem seit 2023 geltenden Bürgergeld gilt diese Frist auch. Nur innerhalb des ersten Jahres des Bürgergeldbezugs wird vom Jobcenter keine Angemessenheitsprüfung vorgenommen.

Im ersten vom LSG entschiedenen Fall ging es um eine fünfköpfige Familie aus Bitterfeld. Weil ihre Wohnung von Schimmel befallen war, hatte das Jobcenter den Umzug in eine 110 Quadratmeter große Wohnung genehmigt. Die Gesamtmiete belief sich auf 610 Euro monatlich. Darin waren 70 Euro für die Betriebskosten enthalten.

Doch 2012 erhöhte der Vermieter die Vorauszahlungen der Betriebskosten auf 180 Euro monatlich. Zudem hatte der Landkreis ein nach eigenen Angaben „schlüssiges Konzept“ über die angemessenen Wohnungsmieten erstellen lassen. Danach war für eine fünfköpfige Familie eine höchstens 90 Quadratmeter große Bleibe angemessen. Die Behörde forderte die Familie zur Senkung der Mietkosten auf.

Wohnung um vier Quadratmeter zu groß

Im zweiten Verfahren lebte die alleinerziehende Klägerin mit ihrer inzwischen volljährigen Tochter in einer 64 Quadratmeter großen Wohnung in Dessau-Roßlau. Die Hartz-IV-Aufstockerin zahlte ab August 2014 eine Gesamtmiete von 482 Euro monatlich. Als die Stadt neue Grenzen für die vom Jobcenter zu tragenden Mietkosten bestimmte, forderte das Jobcenter die Frau ebenfalls zur Senkung der Unterkunftskosten auf. Die Wohnung sei für zwei Personen um vier Quadratmeter zu groß. Ohne Erfolg verwies die Klägerin darauf, dass es unwirtschaftlich sei, wegen einer um vier Quadratmeter zu großen Wohnung umziehen zu müssen.

In beiden Verfahren rügten die Kläger, dass die Bestimmung angemessener Unterkunftskosten seitens der Kommunen nicht schlüssig sei. So seien überproportional viele Wohnungen von Großvermietern in die Berechnung eingeflossen. Diese Wohnungen seien aber besonders günstig, so dass die errechnete Mietobergrenze viel zu niedrig ausgefallen sei. Zu diesem Preis gebe es auf dem Wohnungsmarkt keine Wohnungen. Die festgelegte Angemessenheitsgrenze dürfe nicht angewandt werden, so die Forderung.

Kommunen besserten Berechnungen nach

Das LSG stellte zwar fest, dass die Wohnungsdaten nicht repräsentativ gewesen seien. Angaben von Großvermietern, die tendenziell günstigere Wohnungen anbieten würden, seien überproportional häufig berücksichtigt worden. Diesen Fehler hätten die Kommunen aber nachträglich behoben, indem dann große und kleinere Vermieter in der Datenauswertung unterschiedlich gewichtet worden seien. Durch diese „Hochrechnung“ werde das Konzept der Kommunen „nicht unschlüssig“, so das Gericht.

Für die Kläger hatte sich die Neuberechnung der angemessenen Unterkunftskosten indes kaum ausgewirkt. So hatte die fünfköpfige Familie vom Jobcenter nur 3,60 Euro mehr zu ihrer Bruttokaltmiete erhalten.

Kein „beachtlich höheres Raumbedürfnis“ festgestellt

Die persönlichen Umstände der alleinerziehenden Klägerin sowie der Wunsch der fünfköpfigen Familie auf ein eigenes Zimmer für jedes Kind rechtfertigten kein „beachtliches höheres Raumbedürfnis“, so das LSG. Für den ausnahmsweise gewährten Anspruch auf eine größere Wohnung bedürfe es eines konkreten objektiven Grundes. Das sei etwa bei Rollstuhlfahrern der Fall, die in ihrer Wohnung mehr Platz benötigten.

Schließlich hätten die Kläger auch nicht belegt, dass sie trotz umfassender Wohnungssuche keine billigere Unterkunft gefunden haben. Solch ein Beleg sei aber erforderlich, um das Argument des Jobcenters zu entkräften, dass es ausreichend Wohnraum zu den festgelegten angemessenen Unterkunftskosten gebe.

Az.: L 4 AS 293/15 (LSG Halle fünfköpfige Familie)

Az.: L 4 AS 340/21 (LSG Halle alleinerziehende Mutter)

Frank Leth


Landessozialgericht

Landkreis muss Gebärdendolmetschen an Schule sicherstellen



Stuttgart, Reutlingen (epd). Die Assistenz durch einen Gebärdendolmetscher für ein gehörloses Kind kann auch in einer Schule für gehörlose und höreingeschränkte Schüler Aufgabe der Eingliederungshilfe und nicht der Schule sein. Das Landessozialgericht hat mit dieser Begründung in einem Eilverfahren den Landkreis Reutlingen verpflichtet, einer gehörlosen 13-jährigen Schülerin vorläufig 16 Stunden Assistenz durch einen Gebärdendolmetscher wöchentlich zu gewähren, teilte das Landessozialgericht Baden-Württemberg am 16. März in Stuttgart mit. Eine endgültige Entscheidung, ob der Landkreis als Träger der Eingliederungshilfe die Kosten des Gebärdendolmetschers tragen muss, werde erst in einem Klageverfahren vor dem Sozialgericht Reutlingen ergehen.

Jetzt ging es darum, ob für die Kosten von voraussichtlich 85 Euro pro Stunde die Schule, für die das Land verantwortlich ist, oder die Schulassistenz im Rahmen der Eingliederungshilfe für behinderte Schülerinnen und Schüler aufkommen muss, die Aufgabe der Land- und Stadtkreise ist. Für den „pädagogischen Kernbereich“ des Unterrichts, also für die Vermittlung des Lehrstoffs, seien die Schulen zuständig - beziehungsweise in dem Fall das Land als Schulträger. Die Assistenz für Schülerinnen und Schüler mit Behinderung beim Besuch einer Schule sei jedoch Aufgabe der Eingliederungshilfe, für die in Baden-Württemberg die Stadt- und Landkreise zuständig sind, erläuterte das Landessozialgericht.

Dolmetschen ist Aufgabe der Eingliederungshilfe

Im Fall der antragstellenden Schülerin ging es darum, dass sie am Unterricht nur dann erfolgreich teilnehmen kann, wenn das Dolmetschen in Deutscher Gebärdensprache (DGS), in der sie kommuniziert, gesichert ist. Diesen Dolmetscherdienst - einschließlich der lautsprachlichen Unterrichtsbeiträge der Mitschüler - den Lehrkräften zu übertragen, würde den Unterrichtsverlauf zu sehr bremsen, erläuterte das Gericht. Den Gebärdendolmetscher zu stellen, sei daher Aufgabe der Eingliederungshilfe.

Das Gericht wies am Rande darauf hin, dass die Vermittlung der Deutschen Gebärdensprache (DGS) an gehörlose Schüler zwar eigentlich eine Leistung der Schule sei, die aber zurzeit nicht ausreichend erbracht werde. Es könnten daher dem Landkreis wegen der Kosten des Gebärdendolmetschers möglicherweise Regressansprüche gegen den Schulträger zustehen.

Az.: L 2 SO 204/23 ER-B



Oberlandesgericht

Teilweise Sorgerechtsübertragung nur nach persönlicher Anhörung



Frankfurt a.M. (epd). Die teilweise Übertragung des Sorgerechts auf einen Ergänzungspfleger geht nicht ohne vorherige gerichtliche persönliche Anhörung von Eltern und Kind. Die persönliche Anhörung der Betroffenen diene unmittelbar dazu, dass sich das zuständige Amtsgericht insbesondere über das minderjährige Kind einen besseren persönlichen Eindruck verschaffen kann, entschied das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main in einem am 16. März veröffentlichten Beschluss.

Hintergrund des Rechtsstreits war ein Vaterschaftsanfechtungsverfahren eines in Frankfurt lebenden verheirateten Mannes. Dieser unterhielt seit 2004 eine außereheliche Beziehung. Als die Frau 2008 schwanger wurde, erkannte er schließlich die Vaterschaft an. Die Beziehung endete 2014, nachdem die Ehefrau des Mannes von dessen außerehelichen Beziehung erfahren hatte.

Mutter verweigert Abstammungstest

Weil der Vater nicht mehr überzeugt war, dass er tatsächlich der biologische Vater des Kindes ist, leitete er ein Vaterschaftsanfechtungsverfahren ein und verlangte ein Abstammungsgutachten. Die Mutter verweigerte bis heute die hierfür vorgesehene Entnahme von Mundschleimhaut bei ihrem Kind.

Um das Abstammungsgutachten erstellen zu können, bestimmte das Frankfurter Amtsgericht im September 2022 das Jugendamt als Ergänzungspfleger. Mit der damit verbundenen teilweisen Übertragung des Sorgerechts sollte das Jugendamt die genetische Abstammungsuntersuchung endlich veranlassen können. Zuvor hatte das Amtsgericht der Mutter und dem Kind Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme gegeben.

Doch das reicht nicht, entschied jetzt das OLG. Bei der Bestimmung eines Ergänzungspflegers müssen die Eltern und das betroffene Kind vom Gericht persönlich angehört werden. Die persönliche Anhörung diene nicht nur der Gewährung „rechtlichen Gehörs“, sondern auch der Sachverhaltsaufklärung. Das Gericht könne sich so einen persönlichen Eindruck insbesondere über das Kind verschaffen. Auch sei das Jugendamt fehlerhaft in dem Verfahren nicht beteiligt worden. Das müsse nun alles vom Amtsgericht nachgeholt werden.

Az.: 3 WF 143/22



Sozialgericht

Verletzung nach Schlägerei kein Arbeitsunfall



Berlin (epd). Eine Schlägerei mit einem Falschparker während der Arbeitszeit hat mit der Arbeit nichts zu tun. Will ein Arbeitnehmer einen Streit um die zugeparkte Einfahrt zu einem Betriebsgelände mit dem Verkehrssünder „ausdiskutieren“, ist ein Schlag ins Gesicht und ein dabei erlittener Schädelbruch kein Arbeitsunfall, stellte das Sozialgericht Berlin in einem am 20. März bekanntgegebenen Urteil klar. Denn das Zurechtweisen anderer Verkehrsteilnehmer auf dem Weg zur Arbeit oder auf Betriebswegen sei „dem privaten Lebensbereich zuzurechnen“.

Im Streitfall ging es um einen angestellten Bauleiter, der im Februar 2020 nach einem Termin auf das Betriebsgelände seines Arbeitgebers fahren wollte. Da ein Lkw die Einfahrt versperrte und der Fahrer auch nicht wegfahren wollte, musste der Bauleiter sein Auto stehen lassen und zu Fuß gehen.

Handfester Streit endete im Krankenhaus

Danach kam es zu einem Wortwechsel zwischen ihm und dem Falschparker. Der hatte den Bauleiter dabei als „egoistisches Arschloch“ beschimpft. Dieser schlug daraufhin die Wagentür seines Autos wieder zu und wollte mit dem Lkw-Fahrer „die Sache ausdiskutieren“. Bei der daraufhin erfolgten Schlägerei erlitt der Bauleiter eine Mittelgesichtsfraktur, die operiert werden musste.

Die Unfallversicherung wollte den Vorfall nicht als Arbeitsunfall anerkennen. Zu Recht, befand das Sozialgericht. Das Zur-Rede-Stellen sei aus rein privaten Gründen erfolgt, für die es keinen Unfallversicherungsschutz gebe. Das Zurechtweisen anderer Verkehrsteilnehmer auf dem Weg zur Arbeit oder auf Betriebswegen diene „nicht der betrieblichen Tätigkeit“, urteilte das Sozialgericht.

Az.: S 98 U 50/21



Sozialgericht

Klinikverlegung nur mit plausiblem Grund



Berlin (epd). Für die Verlegung eines Patienten in ein anderes Krankenhaus müssen medizinische oder organisatorische Gründe ausreichend dokumentiert werden und plausibel sein. Andernfalls muss die Krankenkasse des Versicherten nicht für die enstandenen Mehrkosten aufkommen, entschied das Sozialgericht Berlin in einem am 16. März veröffentlichten Urteil.

Im Streitfall ging es um einen hochbetagten, mittlerweile verstorbenen Mann, der wegen der Lockerung einer Knieprothese in einer Berliner diakonischen Klinik aufgenommen wurde. Nach dem Wechsel der Prothese hatten die Tochter und die Ehefrau des Patienten dessen Verlegung in ein anderes diakonisches Krankenhaus zur geriatrischen Frührehabilitation gewünscht. Die behandelnden Ärzte stimmte dem zu. Für die Aufenthalte in beiden Krankenhäusern zahlte die Kaufmännische Krankenkasse KKH insgesamt 16.620 Euro.

Kasse sah unnötige Verlegung

Doch dann machte die Krankenkasse geltend, dass die Verlegung nicht erforderlich gewesen sei. Weder medizinische noch organisatorische Gründe seien hierfür ersichtlich gewesen, hieß es. Weil beide Kliniken für die Behandlung Fallpauschalen geltend gemacht hätten, seien letztlich Mehrkosten von 3.816 Euro entstanden, die die Krankenkasse mit anderen Rechnungen der erstbehandelnden Klinik verrechnete. Außerdem seien auch 90,79 Euro für Transportkosten angefallen, die auch bezahlt werden müssten. Mit der unnötigen Verlegung habe das Krankenhaus gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot verstoßen, meinte die Kasse.

Die Klinik verwies dagegen auf das Recht des Patienten auf freie Krankenhauswahl. Sie habe den Versicherten ja auch nicht gegen seinen Willen festhalten und behandeln dürfen.

Doch das Sozialgericht gab der Krankenkasse recht. Der alleinige Wunsch eines Versicherten ohne nähere Begründung reiche als Grund für eine Verlegung nicht aus. Er habe zwar ein Recht auf freie Krankenhauswahl. Das gelte jedoch nur für die Ersteinweisung.

Gründe der Verlegung lückenhaft dokumentiert

Für eine Verlegung müsse es daher einen medizinischen oder organisatorischen Grund wie fehlende Behandlungskapazitäten geben, der auch ausreichend dokumentiert worden ist. Eine Wohnortnähe könne ebenfalls ein Grund sein. Hier seien beide Kliniken aber gleich entfernt gewesen. Die geriatrische Frührehabilitation hätte zudem in der erstbehandelnden Klinik stattfinden können. Zwar könne ein Versicherter nicht gegen seinen Willen in einer Klinik behandelt werden. Aber auch dies müsse dann dokumentiert werden. Daran fehle es hier.

Schließlich müsse ein Krankenhausträger Maßnahmen treffen, die eine ausreichende Dokumentation der Gründe sicherstellt. Eine Verlegung aus wirtschaftlichen Gründen sei nicht erlaubt. Hier hätten beide Kliniken mit dem Johannesstift Diakonie gAG aber denselben Gesellschafter, so dass die mit höheren Kosten verbundene Klinikverlegung aus wirtschaftlichem Grund erfolgt sei.

Az.: S 91 KR 2606/20




sozial-Köpfe

Verbände

Ex-Sozialministerin Carolina Trautner Landesvorsitzende der Lebenshilfe




Carolina Trautner
epd-bild/Lebenshilfe
Carolina Trautner ist am 17. März in Erlangen zur neuen Landesvorsitzenden der Lebenshilfe Bayern gewählt worden. Sie tritt die Nachfolge der langjährigen Landesvorsitzenden Barbara Stamm an, die im Oktober starb.

Erlangen (epd). Carolina Trautner (61) ist von der Landesversammlung der Lebenshilfe in Erlangen an die Spitze der Organisation gewählt worden. Ihre Amtszeit geht bis 2025. „Es ist für mich eine große Ehre, mich hier einbringen zu dürfen“, betonte Trautner. Als zentrale Zukunftsthemen nannte die neue Vorsitzende, ausreichend Wohnraum für Menschen mit Behinderungen zu schaffen, ein würdevolles Leben im Alter zu ermöglichen sowie Inklusion in der Bildung und bei Freizeitangeboten ebenso voranzubringen wie in der Arbeitswelt und in der Gesundheitsversorgung.

Trautner stammt aus Augsburg und ist seit 2013 Mitglied des Bayerischen Landtages. Die CSU-Politikerin engagiert sich unter anderem beim Bayerischen Roten Kreuz, beim Katholischen Deutschen Frauenbund - Landesverband Bayern und beim Kolping-Bildungswerk Bayern. Von 2020 bis 2022 war sie Staatsministerin für Familie, Arbeit und Soziales. Für ihre Verdienste wurde Trautner im Oktober 2022 mit dem Bayerischen Verdienstorden ausgezeichnet.

Heute hat der Verband mit Sitz in Erlangen nach eigenen Angaben gut 160 Mitgliedsorganisationen. Diese unterstützen, fördern und begleiten über 50.000 Menschen mit Behinderungen und deren Familien. Die Lebenshilfe Bayern hat ein umfassendes Netz kompetenter Hilfe aufgebaut - mit etwa 900 Einrichtungen, Diensten und Beratungsstellen.



Weitere Personalien



Barbara Aßmann (57) und Vinzenz du Bellier (62) haben die Leitung des Caritasverbandes für die Diözese Speyer übernommen. Zugleich entpflichtete Bischof Karl-Heinz Wiesemann bei einem Festakt in der Speyerer Stadthalle den langjährigen Caritasdirektor, Domkapitular Karl-Ludwig Hundemer (70), und entließ ihn in den Ruhestand. Der neue Vorstand lenkt die Arbeit des Sozialunternehmens mit seinen zahlreichen Hilfs- und Beratungseinrichtungen und Diensten mit rund 3.500 Mitarbeitenden in der Pfalz und Saarpfalz. Der aus Rödersheim-Gronau im Rhein-Pfalz-Kreis stammende du Bellier hat die kaufmännische Verantwortung für die rund 40 Einrichtungen in Trägerschaft der Caritas inne. Seit Anfang März ist er auch deren Vorstandsvorsitzender. Die studierte Sozialarbeiterin Aßmann aus dem vorderpfälzischen Lingenfeld war für die Caritas in verschiedenen Leitungsfunktionen sowie in spitzenverbandlicher Vertretung tätig und ist bereits seit 1. Januar Direktorin.

Susanne Johna (57), seit November 2019 1. Vorsitzende des Marburger Bundes, bewirbt sich um die Präsidentschaft der Bundesärztekammer (BÄK). Die Internistin kündigte an, sich im Mai auf dem Deutschen Ärztetag in Essen zur Wahl zu stellen. Seit 2016 ist die Ärztin Mitglied im Vorstand der Bundesärztekammer. 2019 wurde sie im Amt bestätigt. Seit 2019 Präsident ist Klaus Reinhardt Präsident der Bundesärztekammer.

Philipp Spitczok von Brisinski wird neuer Leiter der Berliner Bahnhofsmission am Zoo. Der diplomierte Sozialarbeiter übernimmt das Amt am 3. April. Er verfügt über langjährige Erfahrung in diesem Bereich und hat zuletzt die Bahnhofsmission in Freiburg gemanagt. Seit Anfang 2022 war die Stelle in Berlin unbesetzt. Von Brisinski wird in den kommenden Wochen und Monaten die Versorgung der Gäste der Bahnhofsmission organisieren. Unterstützt wird er dabei auch von Tim Schneck, der mit Förderung der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales als hauptamtlicher Freiwilligenkoordinator die Arbeit der Ehrenamtlichen in der Bahnhofsmission am Zoo koordiniert. So ist der Ehrenamtskoordinator bereits dabei, neue Helferinnen und Helfer zu gewinnen.

Stephanie Engelmann rückt in den Vorstand der KKH Kaufmännische Krankenkasse auf. Der Verwaltungsrat hat die diplomierten Wirtschaftsjuristin einstimmig gewählt. Engelmanns sechsjährige Amtszeit beginnt am 1. Juni 2023. Sie bildet künftig gemeinsam mit dem Vorsitzenden Wolfgang Matz den Vorstand. In dieser Funktion wird sie die Geschäftsbereiche Leistungen und Beitrag sowie Kundenbindung und Kundengewinnung verantworten. Seit 2020 leitet Engelmann bei der KKH den Bereich Stationäre Versorgung, Rehabilitation, Prävention und Zahnversorgung. Davor war sie fast 30 Jahre in der Versicherungsbranche tätig, zuletzt als Bereichsleiterin Betrieb Leben bei der HDI Kundenservice AG.

Tina Deeken, Leistungssportlerin, ist in Niedersachsen zur Behindertensportlerin des Jahres gekürt worden. Die Para-Eisschwimmerin und Triathletin ist Förderschullehrerin an einer inklusiven Grundschule in Hannover. Sie erhielt 2.978 der 12.370 abgegebenen Stimmen Die Leistungssportlerin startet für die Schwimm- und Sportfreunde Obernkirchen und den Verein für Leibesübungen Eintracht Hannover. Sechs Para-Sportlerinnen und -Sportler aus Niedersachsen standen zur Wahl. Deekens linkes Bein und zunehmend auch ihr linker Arm sind seit dem Jugendalter wegen eines angeborenen Hüftschadens gelähmt. Gehen kann die 46-Jährige nur mit zwei Stöcken und mithilfe von zwei Bein-Orthesen. „Ohne Sport säße ich schon längst im Rollstuhl“, sagte die Ausnahmeathletin.

Natalie Schaffert (36), Regionalleiterin Altenhilfe der Diakonie Bethanien in Solingen, ist mit dem Preis „Woman and Work: Frau mit Profil“ in der Kategorie „Vorbildliche Unternehmerin“ ausgezeichnet worden. Der Preis wird vom „Kompetenzzentrum Frau und Beruf im Bergischen Städtedreieck“ verliehen und würdigt besondere und vorbildliche Leistungen von Frauen im Beruf. Ein wichtiges Thema ist dabei die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Die Mutter von zwei Kindern trägt als Mitglied der erweiterten Geschäftsführung der Diakonie Bethanien die Verantwortung für mehr als 400 Mitarbeitende. „Die beeindruckende berufliche Laufbahn von Natalie Schaffert zeigt, dass es für Frauen zwar heute schon möglich ist, Beruf und Familie erfolgreich unter einer Hut zu bekommen“, sagt Matthias Ruf, Vorsitzender der Geschäftsführung der Diakonie Bethanien. Die Diakonie Bethanien beschäftigt an 20 Standorten rund 2.000 Mitarbeitende.

Philipp Seitz (30) ist neuer Präsident des Bayerischen Jugendrings. Er löst Matthias Fack nach zwölf Jahren an der Spitze des BJR ab. Seitz ist Journalist und kommt aus Barbing im Landkreis Regensburg. Der Oberpfälzer wird seine neue Aufgabe turnusgemäß am 1. Mai antreten.




sozial-Termine

Veranstaltungen bis April



April

3.4. Freiburg:

Seminar „BWL in der Caritas: Grundlagen“

der Fortbildungsakademie des Deutschen Caritasverbandes

Tel.: 0761/200-1700

14.4.:

Online-Seminar „Von der Bedarfsermittlung zum Teilhabeziel“

der Paritätischen Akademie Süd

Tel.: 0711/286976-10

18.4. Köln:

Seminar „Die Mitbestimmung des Betriebsrates im Tendenzbetrieb“

der BFS Service GmbH

Tel.: Tel.: 0221/98817-159

19.4. Köln:

Seminar „Konfliktmanagement im Arbeitsverhältnis - vom Personalgespräch über die Abmahnung bis zur Kündigung“

der BFS Service GmbH

Tel.: 0221/98817-159

19.4. Berlin:

Diskussionsveranstaltung „Alles okay? Behindertenhilfe im Zeichen des Fachkräftemangels“

der Fürst-Donnersmarck-Stiftung

Tel.: 030/769700-27

19.-20.4.:

Online-Seminar „Grundlagen 'Positive Führung' - wertschätzend und zukunftsorientiert führen“

der Paritätischen Akademie Berlin

Tel.: 030/2758282-15

19.- 22.4. Nürnberg:

„Werkstätten:Messe“

der Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen

Tel.: 030/944133026

April 2023 zum 15. Mal in Nürnberg

20.4. Köln:

Seminar „Kirchlicher Datenschutz - Datenschutzrecht der evangelischen und katholischen Kirche“

der Unternehmensberatung Solidaris

Tel.: 0251/48261-201

20.-21.4.:

Online-Seminar „Datenschutz und Social Media“

der Fortbildungsakademie des Deutschen Caritasverbandes

Tel.: 0761/200-1700

24.-25.4.:

Online-Seminar „Die Anwendung der ICF in der Hilfeplanung“

der Bundesakademie für Kirche und Diakonie

Tel.: 030/48837-476

24.-26.4.:

Online-Seminar „Die Schnittsstelle Eingliederungshilfe - Pflege gestalten“

der Bundesakademie für Kirche und Diakonie

Tel.: 0172/3012819

24.-26.4. Freiburg:

Seminar „Die Kunst, erfolgreich Gespräche mit Mitarbeiter:innen zu führen“

der Fortbildungsakademie des Deutschen Caritasverbandes

Tel.: 0761/2001700

27.4.:

Webinar „Wie lebendige Netzwerkarbeit Ihren Spendenerfolg erhöht“

der BFS Service GmbH

Tel.: 0221/98817-159

27.4.-2.5.:

Online-Fortbildung: „Einstieg ins Gemeinwesen: Grundlagen, Handlungsfelder, Methodenkoffer“

der Bundesakademie für Kirche und Diakonie

Tel.: 0173/5105498