Freiburg (epd). So ein Theater: Menschen mit und ohne Behinderungen stehen seit 25 Jahren gemeinsam auf der Bühne. Mit Vielfalt und Kreativität wagen sie sich nicht nur an selbstgeschriebene Produktionen, sondern auch an Shakespeare-Klassiker. Ihr jüngstes Stück „Haus der Vielfalt - eine explosive Mischung“ hatte am 18. März im Bürgerhaus Freiburg-Zähringen Premiere.
Bei der Hauptprobe herrscht Nervosität im Probenraum. Die 14 Schauspielerinnen und Schauspieler tragen Kostüme. Aufgeregt nehmen sie ihre Plätze ein. Sabine Bühler spielt die Kanzlerkandidatin. „Zu Anfang war es schwer in die Rolle zu kommen, später ging es besser“, sagte sie dem Evangelischen Pressdienst (epd). Die 41-Jährige mag es, auf der Bühne „jemand sein zu können, der man normalerweise nicht ist“.
Theaterspiel stärke das Selbstbewusstsein, sagt auch Julia Bangert. Es gebe „weniger Schamgrenzen“, sind sich die Schauspielerinnen einig. Die beiden Frauen sind seit vielen Jahren bei den „Schattenspringern“ dabei. Bei der Probe geben sie einmal mehr ihr Bestes.
Das Bühnenbild zeigt ein Hochhaus, in dem die verschiedensten Menschen leben: Eine Rechtsanwältin, ein Verleger oder die Leiterin einer Partnerschaftsagentur. Der Zuschauer erlebt schnelle Wechsel von Bistro- zu Kanzleiatmosphäre, schaut dem gestressten Physiotherapeuten über die Schulter und erlebt einen coolen Fußballtrainer sowie die Frauenpower einer Kanzlerkandidatin.
Eingeleitet von Musik kommt der Flurtratsch in Gang. Wer kann mit wem? Wer hilft, wenn etwas kaputt ist? Die Typen auf der Bühne gewinnen an Leben. Was sich auf den ersten Blick schlicht unterhaltsam präsentiert, entwickelt im Verlauf Tiefe. Die Fassade erhält Brüche, die Protagonisten zeigen ihre Verletzlichkeit. Da sind etwa die Kanzlerkandidatin, die an ihrer Beziehungsfähigkeit zweifelt oder die Anwältin, die um Anerkennung durch den Vater kämpft. Und nicht nur der Verleger ist auf der Suche nach seiner besseren Hälfte.
Menschen mit körperlichen, kognitiven oder auch psychischen Einschränkungen stehen gemeinsam mit Menschen ohne Einschränkungen auf der Bühne. Nicht jeder ist in der Lage, das Textbuch zu lesen. „Beim Spiel bekommen es die Zuschauer nicht mit, welcher Schauspieler eine Einschränkung hat“, sagte Wolfgang Kapp vom Leitungsteam. Zusammen mit Katarina Fischhaber und Felix Möllenhoff führt er Regie. Als der 67-Jährige im Jahr 1998 die „Schattenspringer“ aufbaute, leistete er Pionierarbeit. Die „Schattenspringer“ waren die erste inklusive Theatergruppe Baden-Württembergs. „Wir haben zunächst einen Theaterkurs angeboten. Daraus wurden schnell zwei“, erinnert sich der Diplom-Pädagoge an die Geburtsstunde der inklusiven Theatergruppe.
Seitdem brachte das Ensemble in der Trägerschaft des Diakonischen Werkes Freiburg 14 meist selbstgeschriebene große Bühnenproduktionen sowie mehrere kleine Inszenierungen in ganz Deutschland zur Aufführung. Es war bei verschiedenen Kultur- und Theaterfestivals im In- und Ausland zu Gast. Unterstützt wird die Arbeit der offenen Theatergruppe von der theaterpädagogischen Erfahrung des Theater Phänampfer sowie dem Arbeitskreis Behinderte an der Christuskirche (ABC).
Seit einigen Jahren wollen die „Schattenspringer“ noch professioneller werden: Mit der ausbildungs- und berufsbegleitenden Weiterbildung „Inklusives Schauspiel“ feilen sie an ihrer Ausdrucksfähigkeit. Die Arbeit wird von der Aktion Mensch mit 223.000 Euro unterstützt.
Die „Schattenspringer“ sind getragen von der Vision einer Gesellschaft, in die niemand erst integriert werden muss, sondern die ganz selbstverständlich alle umfasst, die dazu gehören. „Hier sind alle gleich“, betont die Regisseurin Katarina Fischhaber.