sozial-Politik

Studie

Nachwirkungen von Gewalt in DDR-Kinderheimen untersucht




"Dunkelzelle" im Keller des ehemaligen Jugendwerkhofs im sächsischen Torgau
epd-bild/Uwe Winkler
Eine halbe Million Kinder und Jugendliche waren in DDR-Kinderheimen untergebracht. Diese gewährten einer Studie zufolge aber nicht den nötigen Schutz. Viele Insassen machten auch in den Einrichtungen negative Erfahrungen, die sie bis heute belasten.

Leipzig (epd). Viele Insassen von DDR-Kinderheimen erlebten einer neuen Studie zufolge seelische und körperliche Vernachlässigung in den Einrichtungen. Knapp 70 Prozent der dort untergebrachten Kinder und Jugendlichen wurden der am 20. März in Leipzig veröffentlichten Untersuchung zufolge in ihrer Jugend körperlich misshandelt. Rund ein Drittel davon habe psychische Gewalt auch in den Heimen erlebt, hieß es bei der Online-Vorstellung der Studienergebnisse. Rund die Hälfte der Befragten wurde demnach Opfer sexuellen Missbrauchs, davon 17 Prozent im Heim.

Im Rahmen der Verbundstudie „Erfahrungen in DDR-Kinderheimen - Bewältigung und Aufarbeitung“ wurden von der Universität Leipzig zwischen 2019 und 2022 unter anderem 273 ehemalige Bewohner im Alter von 36 bis 84 Jahren befragt. Die Betroffenen berichteten demnach vielfach von Erfahrungen physischer, sexualisierter und psychischer Gewalt, Vernachlässigung und Missbrauch.

Bis heute belasten Erfahrungen von einst

Die Erfahrungen mit Gewalt und Vernachlässigung wirkten sich bei einem Teil der ehemaligen Heimbewohner bis heute aus. Viele Betroffene erleben laut Studie zudem den heutigen Umgang mit DDR-Heimerfahrungen als belastend.

Forscher der Universität Leipzig, der Medical School Berlin, der Alice Salomon Hochschule Berlin und der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf forderten aufgrund der Ergebnisse in einer „Leipziger Erklärung“ weitere Bemühungen um Aufarbeitung. Der Zugang zu Hilfsangeboten müsse niedrigschwelliger gestaltet und ein sensibler Umgang der Behörden mit Trauma-Erfahrungen gewährleistet werden.

Eine Wiedergutmachung der in DDR-Heimen gemachten Erfahrungen sei nicht möglich, erklärten die Forscher. Es gebe jedoch Möglichkeiten, den Betroffenen öffentlich Anerkennung zu zollen sowie entstandenes Leid abzumildern. Viele von ihnen hätten jahrzehntelang über die erfahrene Gewalt geschwiegen. Häufig hätten sie im gesellschaftlichen und rechtlichen Umfeld erniedrigende Erfahrungen gemacht.

Heime Teil einer „pädagogischen Disziplinierungkaskade“

Der Medizinhistoriker Heiner Fangerau von der Heinrich-Heine-Universität betonte, Einrichtungen der Heimerziehung hätten in der DDR nicht unbedingt einen Schutzraum geboten. Sie seien häufig eine Zwischenstation innerhalb einer „pädagogischen Disziplinierungskaskade“ gewesen.

Vernachlässigung, physische und psychische Gewalt ließen sich nicht nur im Vorfeld von Heimeinweisungen, sondern auch in den Einrichtungen selbst nachweisen, so Fangerau: „Trotz des Verbots körperlicher Strafen in der DDR dokumentieren vor allem Akten ein erhebliches Ausmaß physischer Gewaltanwendung vonseiten des Personals.“ Sexualisierte Gewalt bildet demnach in der Aktenüberlieferung ein „kaum je thematisiertes Dunkelfeld“. Das gelte bezüglich sexueller Übergriffe durch Erwachsene und auch sexueller Handlungen zwischen den Kindern. „Hier besteht weiterhin erheblicher Aufarbeitungsbedarf“, betonte Fangerau.

Zwischen 1949 und 1990 waren den Angaben zufolge in der DDR etwa eine halbe Million Kinder und Jugendliche in Kinderheimen und Jugendwerkhöfen untergebracht. Aus der Teilstudie der Universität Leipzig geht demnach hervor, dass der Aufenthalt in den Heimen zwischen zwei Monaten und 18 Jahren dauerte.

Bettina Gabbe