sozial-Recht

Landessozialgericht

"Angemessene" Mietwohnung muss nicht immer angemessen bleiben




Nach späteren Berechnungen der Kommune kann eine zuvor angemessene Mietwohnung dann zu groß sein.
epd-bild/Rolf Zöllner
Grundleistungsbezieher können die Übernahme der Unterkunftskosten nur für "angemessenen" Wohnraum verlangen. Ohne repräsentative Daten über den Wohnungsmarkt kann aber die angemessene Mietobergrenze nicht einfach festgelegt werden, urteilte das Landessozialgericht Halle.

Halle (epd). Eine vom Jobcenter zunächst als angemessen eingestufte Mietwohnung kann sich nach einer neuen Bewertung des Wohnungsmarktes als unangemessen groß und folglich zu teuer erweisen. Empfängern von Grundsicherungsleistungen ist dann die Suche nach einer billigeren Wohnung zuzumuten, stellte das Landessozialgericht (LSG) Sachsen-Anhalt in Halle in zwei am 17. März veröffentlichten Urteilen klar. Allerdings müsse die von der Kommune festgelegte angemessene Mietpreisobergrenze auf repräsentativen Daten des Wohnungsmarktes basieren.

Frühere Hartz-IV-Bezieher und jetzige Bürgergeldempfänger können nach den geltenden Regelungen nur die Übernahme „angemessener Unterkunftskosten“ vom Jobcenter einfordern. Wie hoch die sind, hängt vom örtlichen Wohnungsmarkt ab. Legen Kommunen die vom Jobcenter zu bezahlende „angemessene“ Wohnungsmiete fest, muss das nach einem „schlüssigen Konzept“ erfolgen. Die Mietpreise für einfache Standardwohnungen müssen demnach in einem festgelegten Vergleichsraum repräsentativ abgebildet sein.

Nur sechs Monate Übernahme zu hoher Mietkosten

War die Miete zu hoch, musste das Jobcenter diese bei Hartz-IV-Beziehern für höchstens sechs Monate übernehmen. Danach musste der Hilfebedürftige die übersteigenden Kosten aus der Regelleistung bezahlen. Bei dem seit 2023 geltenden Bürgergeld gilt diese Frist auch. Nur innerhalb des ersten Jahres des Bürgergeldbezugs wird vom Jobcenter keine Angemessenheitsprüfung vorgenommen.

Im ersten vom LSG entschiedenen Fall ging es um eine fünfköpfige Familie aus Bitterfeld. Weil ihre Wohnung von Schimmel befallen war, hatte das Jobcenter den Umzug in eine 110 Quadratmeter große Wohnung genehmigt. Die Gesamtmiete belief sich auf 610 Euro monatlich. Darin waren 70 Euro für die Betriebskosten enthalten.

Doch 2012 erhöhte der Vermieter die Vorauszahlungen der Betriebskosten auf 180 Euro monatlich. Zudem hatte der Landkreis ein nach eigenen Angaben „schlüssiges Konzept“ über die angemessenen Wohnungsmieten erstellen lassen. Danach war für eine fünfköpfige Familie eine höchstens 90 Quadratmeter große Bleibe angemessen. Die Behörde forderte die Familie zur Senkung der Mietkosten auf.

Wohnung um vier Quadratmeter zu groß

Im zweiten Verfahren lebte die alleinerziehende Klägerin mit ihrer inzwischen volljährigen Tochter in einer 64 Quadratmeter großen Wohnung in Dessau-Roßlau. Die Hartz-IV-Aufstockerin zahlte ab August 2014 eine Gesamtmiete von 482 Euro monatlich. Als die Stadt neue Grenzen für die vom Jobcenter zu tragenden Mietkosten bestimmte, forderte das Jobcenter die Frau ebenfalls zur Senkung der Unterkunftskosten auf. Die Wohnung sei für zwei Personen um vier Quadratmeter zu groß. Ohne Erfolg verwies die Klägerin darauf, dass es unwirtschaftlich sei, wegen einer um vier Quadratmeter zu großen Wohnung umziehen zu müssen.

In beiden Verfahren rügten die Kläger, dass die Bestimmung angemessener Unterkunftskosten seitens der Kommunen nicht schlüssig sei. So seien überproportional viele Wohnungen von Großvermietern in die Berechnung eingeflossen. Diese Wohnungen seien aber besonders günstig, so dass die errechnete Mietobergrenze viel zu niedrig ausgefallen sei. Zu diesem Preis gebe es auf dem Wohnungsmarkt keine Wohnungen. Die festgelegte Angemessenheitsgrenze dürfe nicht angewandt werden, so die Forderung.

Kommunen besserten Berechnungen nach

Das LSG stellte zwar fest, dass die Wohnungsdaten nicht repräsentativ gewesen seien. Angaben von Großvermietern, die tendenziell günstigere Wohnungen anbieten würden, seien überproportional häufig berücksichtigt worden. Diesen Fehler hätten die Kommunen aber nachträglich behoben, indem dann große und kleinere Vermieter in der Datenauswertung unterschiedlich gewichtet worden seien. Durch diese „Hochrechnung“ werde das Konzept der Kommunen „nicht unschlüssig“, so das Gericht.

Für die Kläger hatte sich die Neuberechnung der angemessenen Unterkunftskosten indes kaum ausgewirkt. So hatte die fünfköpfige Familie vom Jobcenter nur 3,60 Euro mehr zu ihrer Bruttokaltmiete erhalten.

Kein „beachtlich höheres Raumbedürfnis“ festgestellt

Die persönlichen Umstände der alleinerziehenden Klägerin sowie der Wunsch der fünfköpfigen Familie auf ein eigenes Zimmer für jedes Kind rechtfertigten kein „beachtliches höheres Raumbedürfnis“, so das LSG. Für den ausnahmsweise gewährten Anspruch auf eine größere Wohnung bedürfe es eines konkreten objektiven Grundes. Das sei etwa bei Rollstuhlfahrern der Fall, die in ihrer Wohnung mehr Platz benötigten.

Schließlich hätten die Kläger auch nicht belegt, dass sie trotz umfassender Wohnungssuche keine billigere Unterkunft gefunden haben. Solch ein Beleg sei aber erforderlich, um das Argument des Jobcenters zu entkräften, dass es ausreichend Wohnraum zu den festgelegten angemessenen Unterkunftskosten gebe.

Az.: L 4 AS 293/15 (LSG Halle fünfköpfige Familie)

Az.: L 4 AS 340/21 (LSG Halle alleinerziehende Mutter)

Frank Leth