sozial-Politik

Ukraine

Interview

Firmennetzwerk: Erst wenige Geflüchtete haben Arbeit gefunden




Marlene Thiele
epd-bild/NUiF/Offenblende/Markus Braumann
Seit über einem Jahr herrscht Krieg in der Ukraine. Mehr als eine Million Menschen sind nach Deutschland geflohen. Viele von den Flüchtlingen würden hier arbeiten, aber dazu sind einige Hürden zu nehmen. Welche besonders hoch sind, verrät Projektleiterin Marlene Thiele vom "Netzwerk Unternehmen integrieren Flüchtlinge" im Interview mit epd sozial.

Kiel (epd). An Kontakten zu Unternehmen, die Flüchtlinge aus der Ukraine beschäftigen würden, herrscht kein Mangel. Eine neue Umfrage belegt das. Doch bis eine Beschäftigung aufgenommen werden kann, braucht es oft viel Zeit. Vor allem, weil erst die deutsche Sprache beherrscht werden muss, berichtet Marlene Thiele, Mitarbeiterin der DIHK. Die Fragen stellte Dirk Baas.

epd sozial: Mehr als 25 Prozent der deutschen Betriebe hatten bereits Kontakt zu Geflüchteten aus der Ukraine, wie aus einer neuen Umfrage des Netzwerks Unternehmen integrieren Flüchtlinge hervorgeht. Gibt es auch Erkenntnisse, wie viel Beschäftigung so bereits entstanden ist?

Marlene Thiele: Absolute Zahlen haben wir nicht. Aber die Umfrage hat ergeben, dass ukrainische Geflüchtete und deutsche Unternehmen schon vielfach im Gespräch sind. Und doch kommt eine Beschäftigung nicht in jedem Fall zustande. Etwa ein Drittel der Unternehmen, die mit Geflüchteten in Kontakt standen, gaben an, dass aus den Gesprächen eine Anstellung entstanden ist. Bei mehr als drei Vierteln (78 Prozent) der entstandenen Arbeitsverhältnisse handelt es sich um Arbeitsverträge. Der Einstieg in einen Job über ein Praktikum (21 Prozent) oder eine Ausbildung (ein Prozent) spielt bislang eine deutlich kleinere Rolle.

epd: Der Abbau von Sprachbarrieren wird von Firmen als wichtigste Voraussetzung für die Beschäftigung von ukrainischen Geflüchteten genannt (71 Prozent). Wie sehen die Firmen vor Ort dieses Problem?

Thiele: Wir hören immer wieder von den Mitgliedsunternehmen, dass die Verständigung eine ganz wesentliche Hürde und der Wunsch nach guten Sprachkursangeboten groß ist. Aber man muss auch sehen, dass 2022 unerwartet viele Menschen aus der Ukraine kamen, da waren die Kursstrukturen in diesem Maße noch nicht da. Unser Eindruck ist: Aufgrund der Erfahrungen aus den Jahren 2015/2016 konnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, das ja für Integrations- und Berufssprachkurse zuständig ist, doch recht schnell reagieren.

epd: Woran hakt der weitere Ausbau?

Thiele: Es bleibt eine große Herausforderung, die passenden Lehrkräfte zu gewinnen, auch hier herrscht Personalmangel. Aber das Bundesamt hat zum Jahrestag des Kriegsbeginns Zahlen veröffentlicht, wonach sich im letzten Jahr bereits etwa 200.000 Ukrainerinnen und Ukrainer für einen Integrationskurs angemeldet haben. Es geht also mit der Sprachschulung jetzt voran, Teilnehmende schließen die Integrationskurse in der Regel mit den Sprachniveaus A2 bis B1.

epd: Ist das ein ausreichendes Niveau?

Thiele: Man hat damit eine gute Basis für die Verständigung im Arbeitsalltag. Unsere Mitgliedsunternehmen signalisieren oft: Im Anschluss sind spezielle Berufssprachkurse sehr wichtig, die auch Fachsprache für die jeweiligen Berufsgruppen vermitteln und mit der Arbeitszeit vereinbar sind. Dieses Jahr wird also spannend, ob vermehrt Geflüchtete aus der Ukraine die Integrationskurse abschließen und auf den Arbeitsmarkt streben.

epd: Fehlende Kinderbetreuung scheint nicht als hohe Hürde auf dem Weg zu einer Arbeit gesehen zu werden. Das überrascht, denn viele Frauen aus der Ukraine haben kleine Kinder.

Thiele: Die Kinderbetreuung wird nur von 15 Prozent der deutschen Betriebe als wichtige Voraussetzung angegeben, um mit ukrainischen Geflüchteten zusammenzuarbeiten. Das hat uns auch überrascht. Denn in der Tat ist die überwiegende Mehrheit der Geflüchteten aus der Ukraine weiblich, fast die Hälfte von ihnen ist mit minderjährigen Kindern nach Deutschland gekommen. Hier spielt sicherlich auch eine große Rolle, zu welchem Zeitpunkt Betrieb und Geflüchtete in Kontakt kommen: Wenn sich die Frauen an Unternehmen wenden, ist die Kinderbetreuung vermutlich in vielen Fällen bereits geklärt. Und: Nicht wenige Ukrainerinnen sind mit Familienmitgliedern geflüchtet, die hier unterstützen können oder sie haben haben schnell Kitaplätze gefunden.

epd: Sie sagen, bislang hätten noch nicht viele der Ukrainer hier dauerhafte Arbeit gefunden. Woran liegt das, wo doch die Firmen schon fast verzweifelt Personal suchen?

Thiele: Von flächendeckender Aufnahme in Beschäftigung kann noch keine Rede sein. Die Entwicklung steht hier wirklich noch am Anfang. Unsere Befragung zeigt: Es hapert sehr oft an der Sprache, die die Erwachsenen eben auch nicht so leicht lernen wie Kinder. Und auch die Bleibeabsichten sind ein Thema: Knapp die Hälfte der Unternehmen wünscht sich mehr Klarheit über die Frage, ob sich die ukrainischen Geflüchteten eine längerfristige Zukunft in Deutschland vorstellen können. Mit Blick auf die allerorten fehlenden Fachkräfte ist es gut, dass die Ukrainer ein hohes Bildungsniveau haben. Und aus Umfragen ist bekannt, dass die ganz überwiegende Zahl auch der Frauen aus der Ukraine angibt, dass sie in Deutschland eine Arbeit aufnehmen wollen.

epd: Müssen nicht Unternehmen, die helfen wollen, Arbeit zu schaffen, mit den zwei Gruppen Asylbewerber und Geflüchtete aus der Ukraine ganz unterschiedliche Herausforderungen bewältigen? Das betrifft ja zwei völlig verschiedene Rechtskreise.

Thiele: Ja, das stimmt. Für Geflüchtete aus der Ukraine wurde ja auf europäischer Ebene der „vorübergehende Schutz“ in Kraft gesetzt, der schnell eine klare Bleibeperspektive bietet. Außerdem wird hier in aller Regel eine uneingeschränkte Arbeitserlaubnis erteilt. Bei Geflüchteten aller anderen Herkunftsländer sind die Hürden speziell bei der Arbeitsaufnahme deutlich höher. Sie müssen das Asylverfahren durchlaufen und deshalb meist sehr viel länger auf eine Beschäftigungserlaubnis warten. Die rechtlichen Erleichterungen, die für Ukrainerinnen und Ukrainer nun gelten, lösen natürlich nicht alle Probleme, aber viele Schwierigkeiten gibt es hier nicht in dieser Form.

epd: Wo liegen die besonderen Schwierigkeiten für die Unternehmen, die Personal suchen und auch Ukrainer einstellen würden?

Thiele: Man muss schon eine Reihe von Hürden überwinden. Ein Beispiel ist die Pflege, wo ja großer Personalbedarf besteht. Hierzu tauschen wir uns mit vielen Mitgliedsunternehmen aus. Wir reden aber in diesem Fall über die reglementierten Berufe, da kann man nicht einfach Personen anstellen und im Job weiterbilden. Es müssen Abschlüsse vorliegen und die müssen vor dem Arbeitsbeginn anerkannt werden. Das ist nicht immer einfach und braucht Zeit. Dazu kommt für diese Branche, dass die Sprachanforderungen hoch sind. Gerade in diesen reglementierten Berufen steht Deutschland vor einer großen Herausforderung: wenn viele Ukrainerinnen und Ukrainer dauerhaft hier leben und in ihren ursprünglichen Berufen tätig sein wollen, muss das System der Berufsanerkennung sehr viel leisten.

epd: Ergibt der vermehrte Einsatz der Unternehmen zur Bindung der Flüchtlinge denn überhaupt Sinn? Immer wieder ist in Umfragen zu lesen, dass viele Ukrainer wieder zurück in ihre Heimat wollen.

Thiele: Das ist auf jeden Fall etwas, was unsere Betriebe sehr umtreibt. Bei Geflüchteten aus der Ukraine ist es vor allem die Frage, wie lange sie bleiben wollen. Bei Geflüchteten aus anderen Herkunftsländern ist die Frage relevant, wie lange sie bleiben dürfen. Das gilt vor allem für Menschen in Duldung. Die haben oft auch keine gesicherte Bleibeperspektive, und wenn es tatsächlich zu einer Abschiebung kommt, ist das sehr schmerzhaft für Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Es ist spannend, wie das neue Chancen-Aufenthaltsrecht, das seit diesem Jahr hier eine Perspektive bietet, in der Praxis wirken wird. Und dass wirklich die meisten Ukrainer schnell wieder in ihre Heimat wollen, ist nicht ausgemacht. Das Institut für Berufsbildung hat mit mehreren Partnerorganisation herausgefunden, dass gut ein Drittel für immer oder mehrere Jahre in Deutschland bleiben will. Der vorübergehende Schutz für ukrainische Geflüchtete läuft spätestens im März 2025 aus. Noch ist nicht klar, in welche Aufenthaltstitel die Betroffenen dann wechseln können. Nicht zuletzt hier wird ein Arbeitsplatz auch eine ganz wichtige Rolle spielen.