sozial-Editorial

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Markus Jantzer
epd-bild/Heike Lyding

der russische Angriffskrieg treibt die Ukrainerinnen und Ukrainer in die Flucht. Eine Million Menschen haben nach UN-Angaben das Land schon verlassen. Die Bereitschaft, Kriegsflüchtlinge aufzunehmen, scheint in Deutschland und der EU groß. Die Hilfs- und Spendenbereitschaft ist es bereits. Die ersten Transporte mit Decken, Kleidern und Medikamenten sind schon angekommen.

Nicole Dreifeld war Aufseherin in einer Spielhalle. In dem Job wurde sie selbst süchtig nach Glücksspielen. Durch das Zocken hat sie mindestens 30.000 Euro verloren, stand psychisch vor dem Ende. Doch sie hat den Weg zurück in die Abstinenz geschafft, wie sie im epd-Video erzählt.

Kita-Beschäftigte in Deutschland berichten von extremen Belastungen: Wegen Omikron sind ständig Erzieherinnen krank und in häuslicher Isolation. Manchmal muss wegen fehlenden Personals die Kita geschlossen bleiben. Christina Münderlein, Vorständin des evangelischen Kita-Verbandes in Bayern, berichtet von dramatischen Folgen für die Familien: „Den Eltern wurde gekündigt, nachdem sie nicht zur Arbeit kommen konnten.“

Aus der UN-Behindertenrechtskonvention ergibt sich kein direkter individueller Leistungsanspruch. Das entschied jetzt der Verwaltungsgerichtshof Mannheim und berief sich dabei auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Im konkreten Streit muss daher der klagende Rollstuhlfahrer weiter auf einen barrierefreien Zugang zu einem Verwaltungsgebäude verzichten.

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Markus Jantzer




sozial-Thema

Krieg in der Ukraine

"Die Flüchtlinge sind wie im Nebel"




Ankunft von Kriegsflüchtlingen am Berliner Hauptbahnhof
epd-bild/Rolf Zöllner
Über hundert Freiwillige nehmen am Berliner Hauptbahnhof Flüchtlinge aus der Ukraine in Empfang. Viele von ihnen hätten Angst, wollten wieder zurück, erzählen zwei Helfende.

Berlin (epd). Beim Betreten des Berliner Hauptbahnhofs sind die blau-gelben ukrainischen Flaggen nicht zu übersehen. An Werbetafeln, als Wegweiser und um die Hüften von Helferinnen und Helfern - der Konflikt zwischen der Ukraine und Russland ist in Berlin angekommen. Mit Zügen, unter anderem aus Warschau und Frankfurt an der Oder, kommen flüchtende Menschen seit einigen Tagen in die Hauptstadt. Wie viele andere Freiwillige schlüpft auch die 27 Jahre alte Russin Aygul Shakirova in ihre gelbe Weste, die sie als Helferin erkennbar macht. „Ich bin hier hergekommen, weil ich die Situation einfach nicht mehr ertragen habe“, erzählt sie. Sie könne nicht einfach nur immer weiter Inhalte auf Instagram teilen, sie müsse mehr tun, sagt sie.

Provisorisch errichtete Aufnahmestelle

Auf den Bahnsteigen des Berliner Hauptbahnhofs haben die zahlreichen Helferinnen und Helfer Infostände, Bierzeltgarnituren und lange Tische mit Lebensmitteln und Hygieneartikeln aufgebaut. „Eigentlich alle von uns sind privat hier“, sagte Pascal Idris, der in einer orangenen Weste als Koordinator am Bahnhof im Einsatz ist. Mehr als 120 Menschen seien am heutigen Tag zum Helfen gekommen, schätzt Idris. Eigentlich habe er Sprachunterricht, er könne aber nicht hingehen, es gebe zu viel zu tun. Immer wieder erreichten neue Flüchtlinge die provisorisch errichtete Aufnahmestelle. Allein an diesem Tag schätzt er ihre Zahl auf 600 bis 1.000 Personen. „So genau kann man das aber nicht sagen“, meint Idris.

Unter den Flüchtlingen seien nicht nur Ukrainerinnen und Ukrainer, auch Austauschstudenten und Touristen seien unter den Menschen, die aus Kiew am Berliner Hauptbahnhof ankämen. „Sie haben alle erstmal Angst, wissen nicht, wo sie schlafen können, wo sie etwas zu essen bekommen“, berichtet Idris. Er hoffe, dass sich diese Angst in den Tagen nach ihrer Ankunft ein wenig lege. „Viele der Menschen wollen erstmal hier in Deutschland bleiben, und das empfehlen wir auch.“

Bevor sich Shakirova auf den Weg zum Hauptbahnhof machte, habe ihr Freund sie gewarnt. „Er hat gesagt, dass ich mir darüber bewusst sein muss, dass das emotional schwer sein könnte.“ Auch eine Freundin der Studentin sei aus Kiew geflohen. „Die Leute sind wie im Nebel, wenn sie hier ankommen“, so der Eindruck von Shakirova. „Sie sind einfach nur verzweifelt, haben alles verloren und wollen wieder zurück zu ihrer Familie.“

Die Hilfsbereitschaft ist sehr groß

Viele der Helferinnen und Helfer sprechen mehrere Sprachen. Welche genau, ist dem Klebeband auf ihren Westen zu entnehmen. „Meine Aufgabe wird es jetzt aber erstmal nicht sein, mit den Menschen hier ins Gespräch zu kommen“, sagt Shakirova, kurz nachdem sie erste Instruktionen von anderen Helferinnen und Helfern bekommen hat. „Die Menschen kommen hierher, wollen erstmal etwas essen, etwas trinken und auf die Toilette. Anschließend zeige ich ihnen hier alles und helfe ihnen dabei, Tickets zu kaufen, die sie dann weiterbringen“, sagt die 27-Jährige.

Die Hilfsbereitschaft sei sehr groß, berichten Idris und Shakirova. „Neben den Helferinnen und Helfern hier im Bahnhof gibt es viele, die Menschen mit ihren Autos irgendwo hinfahren oder anders helfen“, sagt Idris. Aus privaten Mitteln würden Lebensmittel gekauft. Die Organisation laufe vor allem über den Messengerdienst Telegram, über den offene Gruppen eingerichtet wurden. Dort können sich Hilfsbedürftige melden. „Darüber habe ich, kurz bevor ich zum Bahnhof loswollte, gelesen, dass vegane Sandwiches benötigt werden“, erzählt Shakirova. Beim ersten Bäcker in ihrer Straße habe sie deshalb gleich alle Sandwiches bestellt, die es dort noch gab. „Die Bäckerin hat mich gefragt, ob ich denn so viel essen könne.“ Als sie der Frau erklärt habe, dass sie auf dem Weg zum Bahnhof sei, habe diese alles eingepackt und ihr umsonst mitgegeben. „Das sagt viel, finde ich“, sagt die Helferin.

Inga Jahn


Krieg in der Ukraine

Viele Hilfsprogramme für Notleidende




Kleiderspenden an der polnisch-ukrainischen Grenze
epd-bild/Frank Schultze/Zeitenspiegel
Um Betroffenen des Konfliktes in der Ukraine zu helfen, haben viele Hilfswerke Notprogramme und Hilfsgütertransporte gestartet. Obwohl Hilfsgüter eingelagert seien, hänge ihre Verteilung jedoch von der Lage vor Ort ab, erklärt das UNHCR.

Berlin (epd). Viele deutsche Hilfsorganisationen haben Notfallmaßnahmen ins Leben gerufen, um Ukrainerinnen und Ukrainern zu helfen. So schickte beispielsweise das Deutsche Rote Kreuz (DRK) einen ersten Hilfstransport mit Nothilfegütern zur Versorgung der ukrainischen Bevölkerung sowie von Menschen auf der Flucht vor, teilte die Organisation am 1. März in Berlin mit. Auch Mitglieder des Hilfsbündnisses „Aktion Deutschland Hilft“ und die Katastrophenhilfe der Diakonie veranlassen Hilfsmaßnahmen. Ob Hilfsgüter verteilt werden könnten, hänge jedoch von der Lage vor Ort ab, erklärte das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR).

Mit dem Lkw in das polnische Lublin

Die Güter des DRK wurden mit fünf Lastwagen in das polnische Lublin gebracht, von wo aus sie anschließend verteilt werden sollen, erklärte das Deutsche Rote Kreuz. Der Transport von 3.280 Feldbetten, 4.680 Isomatten und mehr als 750 Hygienepaketen sei der Beginn des Aufbaus einer Versorgungslinie für vom bewaffneten Konflikt in der Ukraine Betroffene und für Geflüchtete in Polen.

Ob Hilfsgüter vor Ort verteilt werden können, hänge von der Sicherheitssituation und dem Zugang zu ukrainischen Gebieten ab, teilte das UNHCR dem Evangelischen Pressedienst (epd) mit. Hilfsgüter seien an verschiedenen Orten in der Ukraine eingelagert, jedoch sei die Bewegungsfreiheit in den meisten Städten eingeschränkt.

Dennoch stehe das Hilfswerk bereit, um humanitäre Hilfe zu leisten, wo immer dies notwendig und möglich ist, so das UNHCR. Die Organisation bereite den Transport von Hilfsgütern nach Moldawien vor, erklärte eine Sprecherin.

Medikamente in die Westukraine

Auch das evangelische Hilfswerk „Brot für die Welt“ sei darauf vorbereitet, Hilfe zu leisten, teilte eine Sprecherin mit. Der Wohlfahrtsverband der evangelischen Kirche habe einen Nothilfefonds mit zunächst 500.000 Euro aufgelegt. Für jene, die die Ukraine verlassen haben, würden zudem Hilfsmaßnahmen geplant.

Zudem unterstützen Mitglieder des Hilfsbündnisses „Aktion Deutschland Hilft“ Ukrainer und Ukrainerinnen. Beispielsweise verteilten die Johanniter als Partnerorganisation des Hilfsbündnisses nach eigenen Angaben 2.600 Hilfspakete in der Stadt Poltawa verteilt. Poltawa liegt etwa 350 Kilometer südöstlich von Kiew in der Zentralukraine.

Ein weiteres Bündnismitglied, die Caritas International, erklärte, die Situation für die Menschen in der Ukraine werde immer schwieriger. Der Wohlfahrtsverband bringe Geflüchteten unter, versorge sie mit Essen und Hygieneartikeln und betreue sie psychologisch. Er stockte seine Hilfe auf 1,2 Millionen Euro auf.

Eine erste Lieferung des Deutschen Medikamentenhilfswerks action medeor erreichte nach den Angaben am 1. März das Krankenhaus in der westukrainischen Stadt Ternopil. An Bord des Lkw waren Verbandsmaterialien, Spritzen, Kanülen, Gipsverbände, Handschuhe und Infusionslösungen, mit denen nun Verletzte und Kranke in der Ukraine versorgt werden können, wie es hieß.

Inga Jahn, Markus Jantzer


Krieg in der Ukraine

"Kinder bekommen unheimlich viel mit"




Transparent gegen den Krieg in der Ukraine
epd-bild/Rolf Zöllner
Nachrichten über Kriege und Katastrophen belasten viele Kinder und Jugendliche. Eltern sind oft verunsichert, wie sie reagieren sollen. "Auf keinen Fall weghören", sagen Experten.

Datteln, Marl (epd). In den Nachrichten, in zahlreichen Sondersendungen sowie im Internet sind die Bilder des Angriffs der russischen Armee auf die Ukraine allgegenwärtig. Viele Kinder bekommen davon Angst. Kinder- und Jugendpsychiater empfehlen den Eltern, auf die Sorgen des Nachwuchses einzugehen, die Belastungen anzusprechen und Trost zu spenden.

Jungen und Mädchen vor Nachrichten von Katastrophen und Kriegen fernzuhalten, sei nicht sinnvoll, ist die Kinder- und Jugendpsychiaterin Heidi Igl überzeugt. „Man sollte das den Kindern altersgerecht erklären und darf auf keinen Fall weghören, wenn sie Sorgen oder Ängste äußern“, sagt die Oberärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie in der Kinder- und Jugendklinik Datteln. „Kinder bekommen unheimlich viel mit“, betont sie.

Offen mit den eigenen Sorgen umgehen

Das bestätigt auch Claus-Rüdiger Haas, Ärztlicher Direktor der LWL-Klinik Marl-Sinsen. „Belastungen und Ängste werden von den Kindern sehr schnell erkannt“, erklärt der Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie. Daher sei es wichtig, offen mit den eigenen Sorgen umzugehen, Transparenz bedeute „aber nicht, Kinder und Jugendliche mit Details zu konfrontieren“.

Eltern sollten genau auf mögliche Signale und Auffälligkeiten bei ihren Kindern achten. „Wenn Kinder sich Sorgen machen, reagieren sie häufig mit Rückzug und einer allgemeinen Verunsicherung“, berichtet Haas. Manche Kinder versuchten, aufkommende Spannungen abzureagieren. Sie könnten dann gereizt und auch impulsiv sein. Deshalb sei es wichtig, „den Kindern Zeit zu widmen und ihnen die Möglichkeit zu geben, von sich aus die inneren Sorgen anzusprechen“.

Kinder müssen Gefühle äußern können

Die Kinder sollten im Gespräch mit den Eltern die Möglichkeit haben, ihre Gefühle zu äußern - und von Mutter oder Vater gegebenenfalls auch in den Arm genommen und getröstet zu werden, erklärt Oberärztin Igl. Wie viel Information Eltern ihren Kindern geben sollten, hänge dabei weniger vom jeweiligen Alter als von Entwicklungsstand und Persönlichkeit der Jungen und Mädchen ab. Es sei wichtig, vom Kind auszugehen. „Da sollte jedes Elternteil sein Kind realistisch einschätzen“, betont sie.

Bei Kleinkindern sollte man allerdings laut der Kinder- und Jugendpsychiaterin im Gespräch möglichst nicht so stark ins Detail gehen wie etwa bei älteren Kindern. Auch die „Tagesschau“ und ähnliche Formate seien für Vorschulkinder in der Regel noch nicht geeignet. Dafür gebe es eher Kindernachrichten etwa der öffentlich-rechtlichen Sender, die gemeinsam geschaut werden könnten.

Fernseh- oder Internetverbote sind kontraproduktiv

Das sieht auch Klinikdirektor Haas so. Es könne „wichtig sein, Informationen und Nachrichten den Kindern kindgerecht mitzuteilen“. Kindersendungen wie „Logo“ machten dies „gut“.

Fernseh- oder Internetverbote halten beide Mediziner für kontraproduktiv. „Verbote verunsichern die Kinder, machen sie neugierig“, sagt Haas. Außerdem seien sie im Alltag kaum umzusetzen

„Ein Verbot macht vieles ja erst interessant“, ergänzt Kollegin Igl. Statt eines generellen Verbotes könnten die Kinder zu einer sinnvollen und dem Alter angemessenen Mediennutzung angehalten werden. Gegebenenfalls könnten die Eltern auch Alterssperren für bestimmte Sendungen oder Inhalte einrichten.

Michael Bosse


Krieg in der Ukraine

Kirchenbanken rufen zu Russland-Boykott auf Finanzmärkten auf



Frankfurt a.M. (epd). Kirchen- und Nachhaltigkeitsbanken haben die Finanzbranche und Anleger zu einem Boykott russischer Finanzinstitute aufgerufen. „Wir verurteilen jede direkte und indirekte Finanzierung dieses Angriffskrieges“, heißt es in einer am 1. März in Frankfurt am Main veröffentlichten Erklärung von neun Banken. „Alle Finanzakteure müssen jetzt klar Position beziehen und Verantwortung übernehmen.“

Die Verantwortung von Akteuren am Finanzmarkt ende nicht mit der Umsetzung der staatlichen Sanktionen, heißt es in der Erklärung. Sie müsse darüber hinaus gehen: „Finanzmarktakteure, die in Deutschland aktiv sind, sind aufgefordert, auch auf ihre Muttergesellschaften einzuwirken, Geschäftsbeziehungen zu beenden, auch wenn keine Sanktionen erlassen wurden.“ Erste positive Beispiele gebe es schon: „Wir begrüßen, dass Vergleichsplattformen russische Banken aus den Zinsvergleichen entfernt haben.“

Anlegerinnen und Anleger sollten hinterfragen, was mit ihrem Geld finanziert wird und mit welcher Bank sie zusammenarbeiten wollen, heißt es weiter. Die Unterzeichner sind die Evangelische Bank, die Bank für Kirche und Diakonie, die Bank für Kirche und Caritas, die Pax-Bank, die Bank im Bistum Essen BIB Fair Banking, die Steyler Ethik Bank, die UmweltBank, die Triodos Bank und die Bank für Sozialwirtschaft.




sozial-Politik

Spielsucht

"Das Ding muss doch gleich was Großes schmeißen"




Nicole Dreifeld in ihrer ehemaligen Stamm-Spielhalle
epd-bild/Dieter Sell
Was Nicole Dreifeld erlebt hat, war für sie die Hölle: Durch das Zocken in der Spielhalle hat sie mindestens 30.000 Euro verloren, ihre Familie belogen, stand psychisch vor dem Ende. Online ist alles noch viel schlimmer, sagen Experten.

Bremen (epd). Einfach oben in den Münzschlitz eines Zigarettenautomaten Geld einwerfen und dann die Packung rausziehen - das geht bei Nicole Dreifeld nicht mehr. „Das triggert mich, das ist so wie beim Glücksspiel: Oben Geld reinschmeißen, unten kommt das Suchtmittel raus“, beschreibt die 34-Jährige die Parallelen. Die Bremer Justizfachangestellte ist glücksspielsüchtig, aber seit rund vier Jahren „clean“, spielfrei - und mittlerweile Vorsitzende des noch jungen Bundesverbandes Selbsthilfe Glücksspielsucht. Ihr Weg in die Abstinenz war steinig, begleitet von Schulden, Lügen und Verzweiflung.

Der erste Schritt in die Sucht

Begonnen hat bei Nicole Dreifeld alles mit einem Job als Spielhallenaufsicht: die „Spielo“ aufschließen, den Gästen Kaffee servieren, für gute Stimmung sorgen, aufräumen. Irgendwann schmeißt sie dann beim Putzen zwei Euro in einen Automaten, Trinkgeld. „Ich habe nicht mal vor dem Gerät gesessen“, erinnert sie sich. Als sie wieder auf das bunte Display schaut, stehen da plötzlich 54 Euro. Der Gewinn war für die junge Frau der erste Schritt in die Sucht. „Wer Pech hat, hat am Anfang Glück“, blickt sie heute zurück.

Aktuelle Daten der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) belegen, dass rund 430.000 Menschen in Deutschland von einem problematischen Glücksspielverhalten oder einer Glücksspielsucht betroffen sind. „Es fängt damit an, dass du dich selbst anlügst: Ich hab' doch kein Problem, ich mach das nur, um mir die Zeit zu vertreiben“, erzählt Dreifeld. „Und dann, wenn es mehr wird, sagst du dir, ich hab da jetzt so viel Geld reingesteckt, das Ding muss doch gleich mal was Großes schmeißen.“ In Wirklichkeit aber gibt es im Glücksspiel nur zwei Gewinner: die Anbieter und den Staat, über jährlich beträchtliche Steuereinnahmen.

Bei Nicole Dreifeld werden mit der Zeit die Einsätze immer höher, die Schulden häufen sich. „Die Spielhalle war für mich eine Flucht vor den Sorgen des Alltags.“ Doch am Ende verspielt sie mehr als 30.000 Euro. Um ihre Sucht zu verdecken, belügt sie ihre Familie, erfindet Alibis. „Ich habe gesagt, ich will was einkaufen, ich hab mich verquatscht, die Schlange an der Kasse war so lang.“ Damit niemand sieht, wo sie ist, parkt sie ihr Auto in der Nebenstraße, schaltet die Ortung am Handy aus.

Verlust von Raum und Zeit

Besonders gefährlich sind Online-Spiele, für die mit dem neuen Glücksspielstaatsvertrag vom 1. Juli vergangenen Jahres legale Lizenzen für ganz Deutschland erworben werden können. „Je schneller ein Spiel ist, desto gefährlicher ist es auch“, erläutert der Bremer Psychologe und Glücksspielforscher Tobias Hayer. „Entscheidungen im Sekundentakt bedeuten, dass der Spielende in eine Art Trancezustand geraten kann, dass er sich beim Zocken und den damit verbundenen Emotionen in Raum und Zeit verliert.“

Das Suchtpotenzial von Online-Glücksspielen sei außerdem erhöht, weil sie fast immer und überall verfügbar seien: Sie könnten zu jeder Tages- und Nachtzeit am Smartphone, Tablet oder PC gespielt werden.

Hinzu kommen Gefahren durch die Anonymität im Netz und die virtuellen Geldeinsätze, warnt Michaela Goecke, Leiterin des Referates für Suchtprävention der BZgA: „Dadurch können sich Verluste schnell unkontrolliert erhöhen und in eine Schuldenfalle führen.“ Die Bremer Sozialarbeiterin Gisela Koning-Hamers, die glücksspielsüchtigen Menschen und ihren Angehörigen Unterstützung anbietet, kennt das aus der Praxis: „2020 benannte bereits jede fünfte hilfesuchende Person Sportwetten im Internet als problemverursachende Glücksspielform, Tendenz steigend.“

Raus aus der Sucht

Eine Glücksspielsucht sei keine persönliche Schwäche, sondern eine Krankheit, die sich meist schleichend und von den Betroffenen fast unbemerkt entwickele, mahnt Goecke. So war es auch bei Nicole Dreifeld. Selbst die Kündigung in der Spielhalle habe da am Ende nicht mehr geholfen. „Fast hätte ich mein Leben verzockt, ich habe mich so geschämt“, sagt sie.

Dann die Wende: Sie bekommt Kontakt zu einer Selbsthilfegruppe, die sie mittlerweile leitet. Der erste Weg zur Gruppensitzung fällt ihr schwer: „Das war, als ob ich zu meiner eigenen Hinrichtung müsste.“ Im November vergangenen Jahres gründet Dreifeld zusammen mit anderen Aktivisten den Bundesverband Selbsthilfe Glücksspielsucht. „Wir wollen mehr Menschen über die Gefahren der Glücksspielsucht aufklären und gleichzeitig zeigen, dass es einen Weg raus aus der Sucht gibt.“

Dabei unterstützt nach Darstellung des Glücksspielforschers Hayer ein differenziertes Hilfesystem, das von der ambulanten Suchtberatung über stationäre Fachkliniken bis zu online-gestützten niedrigschwelligen Hilfen und Telefon-Hotlines reicht. „Eine weitere zentrale Säule ist die Selbsthilfe“, betont Hayer.

Für Nicole Dreifeld steht fest: „Die Selbsthilfe ist der einzige Grund, warum ich aufgehört habe zu zocken.“ Bundesweit gebe es etwa 150 Gruppen. „Wir haben aber noch viele weiße Flecken, besonders auf dem Land“, sagt sie. Der Bundesverband wolle das Hilfe-Netzwerk enger knüpfen. „Und das“, betont Nicole Dreifeld, „ist mit dem Boom im Internet auch dringend nötig: Die Neuzugänge in meiner Selbsthilfegruppe sind alles Online-Spieler.“

Dieter Sell


Glücksspielsucht

Interview

"Eine Art Trancezustand"




Tobias Hayer
epd-bild/Dieter Sell
Der Bremer Forscher Tobias Hayer kritisiert den neuen Glücksspielstaatsvertrag. Er habe alle Formen des Online-Glücksspiels legalisiert. Hier seien aber die Suchtgefahren besonders groß.

Bremen (epd). Glücksspielsucht hat nichts mit einer moralischen Schwäche oder einem Persönlichkeitsdefizit zu tun - „das ist eine psychische Erkrankung“, stellt der Bremer Psychologe und Glücksspielsuchtforscher Tobias Hayer im Interview klar. Je höher die Spielgeschwindigkeit, desto größer sei die Suchtgefahr. Der Experte warnt im Gespräch mit Dieter Sell besonders vor Online-Glücksspielen.

epd sozial: Warum werden Menschen überhaupt süchtig nach Glücksspiel?

Tobias Hayer: Die Entwicklung einer Sucht ist immer ein komplexer Prozess, Risikofaktoren gibt es auf drei Ebenen. Nehmen wir zunächst das Glücksspiel selbst. Hier gilt verkürzt die Daumenregel: Je schneller ein Spiel ist, desto gefährlicher ist es auch. Entscheidungen im Sekundentakt bedeuten, dass der Spielende in eine Art Trancezustand geraten kann, dass er sich beim Zocken und den damit verbundenen Emotionen in Raum und Zeit verliert.

Dann gibt es Risikofaktoren, die die Person betreffen. Wir wissen beispielsweise, dass glücksspielsüchtige Menschen in der Regel impulsiver agieren und auf schnelle Bedürfnisbefriedigung aus sind. Planung, Belohnungsaufschub und Handlungskontrolle erweisen sich als eher schwach ausgeprägt. Und sie haben oft Probleme, angemessen mit Stresssituationen umzugehen. Schließlich haben wir den großen Kontext, der über die einzelne Person hinausführt: In einer Gesellschaft, in der das Glücksspiel gefördert wird - Stichworte Verfügbarkeit und Werbung -, da gibt es auch eher Berührungspunkte mit dem Glücksspiel.

epd: Vor diesem Hintergrund müsste das Online-Glücksspiel die Problemlagen noch zuspitzen ...

Hayer: Absolut. Trifft eine hohe Spielgeschwindigkeit auch noch auf eine hohe Verfügbarkeit, gehen wir von hohen Suchtgefahren aus - das trifft auf das Internet-Glücksspiel par excellence zu. Hier gibt es ein Spielangebot, das an jedem Tag rund um die Uhr an jedem Ort über ein mobiles Endgerät verfügbar ist. Deswegen kritisieren wir auch den neuen Glücksspielstaatsvertrag, der alle Formen des Online-Glücksspiels mit den damit verbundenen Spielanreizen und Suchtgefahren legalisiert hat.

epd: Spielen bei der Sucht Geschlecht und Alter eine Rolle?

Hayer: Wir haben Bevölkerungsstudien, die das ziemlich klar zeigen. Glücksspielsüchtige Personen sind eher männlich und eher jünger. Das wird auch noch befördert durch die Digitalisierung - Online-Glücksspiel zieht vor allem jüngere Personen an. Weitere Risikogruppen umfassen Menschen mit einem Migrationshintergrund. Und Kinder, die mit einem glücksspielsüchtigen Elternteil aufwachsen, die ein drei- bis vierfach erhöhtes Risiko haben, später selbst exzessiv zu zocken.

Erste Studienbefunde verweisen zudem auf weitere vulnerable Gruppen wie beispielsweise im Sportwettenbereich Mitglieder von Sportvereinen. Das gilt sowohl für den Breiten- als auch für den Leistungssport. Außerdem sind Personen, die bei den Glücksspielanbietern arbeiten, speziell Servicekräfte in Spielhallen, besonders gefährdet.

epd: Wer kann helfen?

Hayer: Wir haben in Deutschland mittlerweile ein differenziertes professionelles Hilfesystem für Betroffene und für Angehörige. Das reicht von klassischen Angeboten in der ambulanten Suchtberatung über stationäre Fachkliniken bis zu online-gestützten niedrigschwelligen Hilfen und Telefon-Hotlines.

Eine weitere zentrale Säule ist die Selbsthilfe, weil sie da die Expertinnen und Experten treffen, die sich gegenseitig austauschen und unterstützen können. Das ist Gold wert, weil die Menschen dort die Erfahrung machen, 'Hey, ich bin nicht der Einzige, der an dieser Erkrankung leidet'. Und sich austauschen können: Wie bin ich da überhaupt reingeraten? Wie kann ich da wieder rauskommen? Wie kann ich einem Rückfall vorbeugen? Das entlastet und unterstützt.

epd: Gibt es Erkenntnisse, wie viele glücksspielsüchtige Menschen den Absprung schaffen?

Hayer: Ja, dieser Anteil ist sicher noch ausbaufähig. Wir wissen, dass etwa 10 bis 15 Prozent der Betroffenen überhaupt den Weg in das professionelle Suchthilfesystem finden. An dieser Stelle muss noch viel mehr Aufklärungsarbeit geleistet werden. Das fängt mit dem zentralen Hinweis an, dass die Glücksspielsucht eine psychische Erkrankung ist und eben keine moralische Schwäche und auch kein Persönlichkeitsdefizit. Die Betroffenen machen das nicht aus Jux und Tollerei, sondern weil sie krank sind.

Übrigens lebt etwa ein Drittel der Personen, die im Suchthilfesystem vorstellig geworden sind, dauerhaft glücksspielfrei, also abstinent. Bei einem weiteren Drittel gibt es trotz gelegentlicher Rückfälle deutliche Verbesserungen auf psychosozialer und finanzieller Ebene. Und dann gibt es etwa ein Drittel, das trotz mehrfacher Versuche den Absprung leider nicht schafft.

epd: Gibt es Voraussetzungen für eine möglichst erfolgreiche Hilfe?

Hayer: Indem die Glücksspielaktivitäten reduziert und bestenfalls auf null geschraubt werden. Und je früher Hilfe in Anspruch genommen wird, desto wahrscheinlicher ist der Weg zurück. Anders ausgedrückt: Je weiter sich die Abwärtsspirale, auch finanziell, gedreht hat, desto schwieriger ist der Ausstieg. Eine ehrliche Bestandsaufnahme, Krankheitseinsicht und eine gewisse Änderungsbereitschaft sind Grundvoraussetzungen für den Genesungsprozess.

Ebenfalls wichtig sind die Angehörigen, auch sie benötigen oftmals Aufklärung, Entlastung und Beratung. Denn als Ehepartner oder Ehepartnerin sehen sie in der Regel nicht, dass eine Person gerade dabei ist, sich und die Familie zu ruinieren. Es gibt ja keine Einstichstellen am Körper, keinen torkelnden Gang, keine Pupillenveränderung. Oftmals führt die glücksspielsüchtige Person über Jahre eine Art Doppelleben. Und jeder kann sich vorstellen, was es bedeutet, plötzlich vor dem finanziellen und emotionalen Ruin zu stehen.



Corona

"Es gibt nur mich, Emma und die Straße"




Corinna Merkel aus Hannover mit ihrer Suzuki
epd-bild/Karen Miether
Wenn Kontakte reduziert sind und Freizeitmöglichkeiten entfallen, warum dann überhaupt aus dem Haus gehen? Corinna Merkel kämpft noch mehr als sonst gegen Antriebslosigkeit in ihrer Depression. Doch auf dem Motorrad bekommt sie den Kopf frei.

Hannover (epd). Corinna Merkel steigt auf den Sattel ihrer Suzuki und rollt die Maschine rückwärts langsam aus der Garage. „Das ist Emma“, sagt sie, bevor sie den Helm über ihre Locken stülpt. „In die hab ich mich schockverliebt. Mir war gleich klar, dass sie so heißt.“ Bei Motorradtouren rund um ihren Wohnort Hannover bekomme sie den Kopf frei, sagt die 43-Jährige. Sie hat Depressionen, und die Corona-Pandemie hat es für sie noch schwerer gemacht, mit der Krankheit umzugehen.

Kürzere Lebenserwartung

Die Corona-Maßnahmen haben bei hochgerechnet mehr als zwei Millionen depressiv Erkrankten zu einer Verschlechterung von Krankheitsverläufen geführt. Das ergab eine repräsentative Befragung der Stiftung Deutsche Depressionshilfe. Von einer „stillen Katastrophe“ spricht der Stiftungsvorsitzende Ulrich Hegerl. Zu den Gründen zählt laut dem „Deutschland Barometer Depression“ der Stiftung eine schlechtere medizinische Versorgung. Stationäre Behandlungen wurden abgesagt, Therapietermine fielen aus. „Wenn Sie die Diagnose Depression haben, leben Sie im Schnitt zehn Jahre weniger“, mahnt Hegerl. „Das ist eine schwere und lebensbedrohliche Erkrankung.“ Das werde noch zu wenig gesehen.

Auch Corinna Merkel war mitten in einer Therapie in der Medizinischen Hochschule Hannover, als im März 2020 ihre Station geschlossen werden musste, um Betten für mögliche Corona-Patienten frei zu haben. Zwei Tage vorher erfuhr sie davon. „Es war therapeutisch gerade ganz viel angestoßen worden. Ganz viel war wachgerüttelt, und ich wusste nicht wohin damit“, erzählt sie. „Es war wie eine Operation am offenen Herzen. Wie wenn der Brustkorb geöffnet ist, und der Patient wird nach Hause geschickt. So fühlt es sich an.“

Mitarbeitende eines ambulanten psychiatrischen Pflegedienstes kamen dann regelmäßig zu ihr und ihrem Mann ins Haus, nur so fand sie in eine Tagesstruktur. Auch bei der Suche nach einem Therapeuten war sie erfolgreich. „Morgens um neun Uhr fertig bereit zu stehen, ist eine Qual“, beschreibt sie Symptome. Sie spricht von Erschöpfung, tiefer Hoffnungslosigkeit und Suizidgedanken. Dass die Corona-Regeln Treffen mit Freundinnen schwer machten und es kaum Freizeitangebote gab, verschlimmerte alles noch. „Das hat der Antriebslosigkeit Feuer gegeben.“

Rückzug in die eigenen vier Wände

Insgesamt haben sich nach der Studie der Stiftung Deutsche Depressionshilfe eine Mehrzahl der Menschen in einer depressiven Krankheitsphase durch den erzwungenen Rückzug in die eigenen vier Wände weniger bewegt. Sie zogen sich vermehrt ins Bett zurück, grübelten und hatten es schwer, den Tag zu strukturieren. „Von diesen drei Faktoren ist gut bekannt, dass sie ganz spezifisch bei einer Depression den Krankheitsverlauf verschlechtern“, sagt Hegerl. Er warnt vor langfristigen Folgen.

Noch immer sei im alltäglichen Miteinander vieles ja nicht normal, sagt Corinna Merkel. Sich in einer solchen Situation Mut zu machen, sei ihr kaum möglich. Und doch fasste sie während der Pandemie den Entschluss, den Motorrad-Führerschein zu machen. Erst waren auch die Fahrschulen noch geschlossen. Doch dann war es schließlich so weit. „Da ist ein Riesentraum in Erfüllung gegangen.“ Wenn sie wie an diesem Tag eine Runde auf ihrer Emma dreht, fühlt sie sich einen Moment frei von Belastungen, erzählt sie mit einem Lächeln. „Es gibt nur mich, Emma und die Straße. Der Kopf hat mal Pause.“

Kampf um eine Erwerbsminderungsrente

Während des Studiums ist bei Corinna Merkel das erste Mal eine depressive Episode diagnostiziert worden. Seitdem begleitet sie die Krankheit in kürzer werdenden Abständen. Seit zwei Jahren ist die Architektin arbeitsunfähig. Sie kämpft aktuell im Widerspruchverfahren um eine Erwerbsminderungsrente. Dabei hoffe sie noch darauf, wieder arbeiten zu können, sagt sie. Doch den Weg dahin wolle sie ohne äußeren Druck gehen.

„An Depressionen erkrankt zu sein, heißt nicht, 24 Stunden in der Ecke zu sitzen“, betont sie. „Das ist ein Klischeebild.“ Es handle sich zwar um eine schwere Krankheit, aber eben um eine Krankheit und um keine Charakterschwäche. An diesem Tag ist sie über Landstraßen und Feldwege gefahren. „Ich spüre mich dann mit all meinen Fasern.“ Das Motorrad ist am Ende voller Schlamm. Und Corinna Merkel wärmt sich an einem Becher Tee die durchgefrorenen Hände, ganz dicht am Ofen, den ihr Mann vorsorglich angeheizt hat.

Karen Miether


Corona

Interview

Experte: Depressionen werden in der Pandemie unzureichend behandelt




Ulrich Hegerl
epd-bild/Katrin Lorenz
Auch im zweiten Jahr der Pandemie haben sich mehr Erwerbstätige wegen Depressionen krank gemeldet als in früheren Jahren. Der Vorsitzende der Stiftung Deutsche Depressionshilfe, Ulrich Hegerl, sieht darin ein gutes Zeichen.

Frankfurt a.M. (epd). Die Statistiken der Krankenkassen zu den Fehlzeiten im Jahr 2021 lassen vermuten, dass unter Corona-Bedingungen mehr Menschen als sonst in eine psychische Krise geraten. Studien der Stiftung Deutsche Depressionshilfe weisen allerdings in eine andere Richtung. Der Stiftungsvorsitzende und Professor an der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie der Goethe-Universität Frankfurt am Main, Ulrich Hegerl, beklagt im Interview jedoch eine deutliche Verschlechterung der ärztlichen Versorgung psychisch Kranker in der Pandemie. Die Fragen stellte Markus Jantzer.

epd sozial: Die Zahl der Fehlzeiten in den Unternehmen wegen psychischer Erkrankungen nimmt seit Jahren zu. Warum ist das so?

Ulrich Hegerl: Die Statistiken der Krankenkassen und Rentenversicherungsträger zeigen eine sehr deutliche Zunahme an Arbeitsunfähigkeitstagen und Frühberentungen wegen Depression. Hinter dieser Zunahme in den Statistiken dürfte die sehr wünschenswerte Entwicklung stehen, dass sich mehr Erkrankte professionelle Hilfe holen und Ärzte Depressionen besser erkennen und behandeln. Eine Rolle spielt auch, dass Depressionen heute auch Depressionen genannt und nicht mehr so oft hinter weniger negativ besetzten Ausweichdiagnosen wie chronischer Rückenschmerz, Tinnitus, Kopfschmerz etc. versteckt werden. Aus bevölkerungsbasierten Studien wissen wir, dass Depressionen nicht wesentlich häufiger geworden sind.

epd: Welchen Einfluss hat hier die Corona-Pandemie?

Hegerl: Die Pandemie und die Maßnahmen dagegen sind zweifellos für viele Menschen eine Quelle von Stress, Sorgen, gedrückter Stimmung und Ängsten. Das sind jedoch normale Reaktionen auf die schwierigen Lebensumstände, die in der Regel nicht zu einer depressiven Erkrankung führen. Bei den repräsentativen Bevölkerungsbefragungen der Stiftung Deutsche Depressionshilfe war der Anteil der befragten Erwachsenen, der angab, dass bei ihnen schon mal eine Depression diagnostiziert worden sei, vor und während der Pandemie wenig verändert bei zirka 20 Prozent.

Bei Menschen die bereits irgendwann an einer Depression erkrankt waren und damit eine Veranlagung zu Depressionen haben, ist die Situation jedoch eine völlig andere. Hier wirken sich die Maßnahmen gegen Corona äußerst negativ aus.

epd: Wie stark wird die Entwicklung der Depressionen im vergangenen Jahr von den besonderen Arbeits-und Lebensbedingungen in der Pandemie beeinflusst?

Hegerl: Sehr viele Menschen glauben ja, dass die Depression vor allem eine Reaktion auf schwierige Lebensumstände sei, z.B. einer Belastung am Arbeitsplatz. Depressionen sind jedoch recht eigenständige Erkrankungen, die bei Menschen mit entsprechender Veranlagung meist mehrfach im Leben auftreten. In der Depression fühlen sich alle Menschen völlig erschöpft und überfordert, sodass sehr oft fälschlicherweise die Arbeit als Ursache angesehen wird. Diese Fehleinschätzung kann zu falschen Lebensentscheidungen führen, z.B. zu einer Frühberentung oder zum Wechsel in einen weniger belastenden Beruf. Doch dann werden diese Menschen wieder depressiv, da die Arbeitsbelastung eben nicht die Ursache war, und nun sind sie vielleicht in einem weniger interessanten und schlechter bezahlten Beruf, ohne gesundheitlich etwas gewonnen zu haben.

epd: Haben die äußeren Umstände - wie etwa soziale Isolation, weniger Freizeitmöglichkeiten, Arbeiten im Homeoffice, Angst vor Covid-19-Infektionen und mehr - etwa keinen Einfluss?

Hegerl: Viele Menschen mit Depression berichten über weniger Bewegung, eine schlechtere Tagesstrukturierung mit vermehrtem Grübeln und Rückzug ins Bett, oft auch tagsüber. Das sind drei Veränderungen, von denen gut bekannt ist, dass sie ganz spezifisch bei Depressionen den Krankheitsverlauf negativ beeinflussen. Sport hat eine antidepressive Wirkung. Längere Bettzeiten und Schlaf führen dagegen nicht zu Erholung, sondern meist zu einer Verschlechterung der Depression. Schlafentzug, d.h. das Wachbleiben in der zweiten Nachthälfte, ist eine kurzfristig sehr wirksame, in Kliniken angebotene Behandlung.

Ein weiterer Aspekt ist die Verschlechterung der medizinischen Versorgungsqualität. Beim letzten Deutschland-Barometer Depression der Stiftung Deutsche Depressionshilfe im September 2021 berichteten darüber 48 Prozent der sich in einer depressiven Phase befindlichen Betroffenen. Stationäre und ambulante Behandlungen seien abgesagt worden, Selbsthilfegruppen seien ausgefallen.

epd: Welche individuellen Dispositionen lassen Menschen eher depressiv werden als andere?

Hegerl: Ob jemand in eine Erkrankung rutscht oder nicht, dafür ist die Veranlagung entscheidend. Diese kann vererbt oder auch erworben sein, z.B. durch Traumatisierungen und Missbrauchserfahrungen in der Kindheit, Wenn man das Pech hat, eine solche Veranlagung zu haben, dann wird man immer wieder in diesen Zustand rutschen. Das betrifft dann auch Menschen, die von außen betrachtet gar keinen Grund für eine Depression zu haben scheinen. Und wenn man die Veranlagung nicht hat, dann überstehen Menschen sehr oft ganz große Bitternisse des Lebens, ohne deswegen in eine eigenständige Erkrankung Depression zu rutschen. Die äußeren Faktoren sind nicht ganz unwichtig. Sie können bei Menschen mit einer derartigen Veranlagung ein Trigger für eine Depression sein. Aber ihre Bedeutung wird in der Regel überschätzt.

epd: Wie können Menschen eine nahende Depression frühzeitig erkennen?

Hegerl: Um von einer echten Depression zu sprechen, müssen mehrere Krankheitszeichen über mindestens zwei Wochen vorliegen. Dazu zählen eine gedrückte Stimmung, Interessen- und Freudlosigkeit, ein permanentes Erschöpfungsgefühl, die Neigung zu Schuldgefühlen, hartnäckige Schlaf- und Appetitstörungen und das Gefühl der Ausweglosigkeit. Hinzu kommen meist permanente Ängste vor allen auch kleinen Anforderungen und der Zukunft, verbunden mit dem Gefühl der Ausweglosigkeit. Viele berichten auch, sich permanent angespannt wie vor einer Prüfung zu fühlen und innerlich wie versteinert. Wie bei allen schweren Krankheiten sollten Betroffene und Angehörige so schnell wie möglich ärztliche Hilfe einholen.

epd: Inwieweit müssen Pandemiemaßnahmen mit Blick auf psychische Erkrankungen überdacht und korrigiert werden?

Hegerl: Noch einmal: Depression ist eine ziemlich eigenständige Erkrankung, und Menschen ohne eine Veranlagung zu Depression werden auch in Pandemiezeiten keine Depression bekommen. Die Tatsache aber, dass durch die Maßnahmen gegen Corona hochgerechnet etwa zwei Millionen depressiv erkrankte Menschen eine Verschlechterung ihres Krankheitsverlaufs berichten, ist eine stille Katastrophe. Mein Eindruck ist, dass die negativen Folgen der Maßnahmen, was psychische Erkrankungen aber auch andere Bereiche der Medizin angeht, nicht mit ausreichender Sorgfalt und Systematik erhoben, ausgewertet und berücksichtigt werden. Es ist aber unerlässlich, negative Folgen getroffener Maßnahmen genauestens zu erfassen, da nur so das Verhältnis zwischen verhindertem und verursachtem Leid optimiert werden kann.



Arbeit

EU will mehr Rechte für Plattformarbeiter



Eigentlich hat die EU in der Sozialpolitik nicht viel zu sagen. Aber ein aktuelles Projekt der Kommission in diesem Bereich betrifft die soziale Stellung von bis zu 5,5 Millionen Erwerbstätigen - und mit ihren Kunden noch viel mehr Menschen.

Brüssel (epd). Sie putzen oder schreiben, bringen Pizza nach Hause und übersetzen Texte: Sogenannte Plattformarbeiter erledigen verschiedene Jobs, eine Gemeinsamkeit haben sie: Ihre Arbeit wird über eine Online-Plattform vermittelt. Ein Teil dieser Erwerbstätigen hat eine weitere Gemeinsamkeit: Sie sind formal selbstständig, obwohl sie eigentlich einen Arbeitsvertrag besitzen müssten - und damit entsprechende Rechte. Ihnen will die EU mit einem neuen Gesetz zu Hilfe kommen.

„Schätzungen zufolge werden neun von zehn der Personen, die in der EU auf digitalen Plattformen tätig sind, derzeit als Selbstständige eingestuft.“ So steht es im Entwurf der Richtlinie „zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Plattformarbeit“, den die EU-Kommission im Dezember in Brüssel vorgelegt hat. Die meisten seien auch tatsächlich selbstständig.

Bis zu 5,5 Millionen Betroffene in der EU

„Es gibt jedoch auch viele Menschen, bei denen gegenüber den digitalen Arbeitsplattformen, über die sie tätig sind, ein Untergebenenverhältnis besteht“, heißt es in der Richtlinie weiter. Einer Schätzung zufolge könnten es in der EU bis zu 5,5 Millionen sein. Sie seien „besonders gefährdet, schlechte Arbeitsbedingungen und einen unzureichenden Zugang zum Sozialschutz zu haben“, so der Gesetzestext. Und: „Infolge der Falscheinstufung kommen sie nicht in den Genuss der Rechte und des Schutzes, die ihnen als Arbeitnehmer zustehen.“ Dazu zählen etwa Mindestlohn und bezahlter Urlaub, Absicherung bei Krankheit und Arbeitslosigkeit.

Das will die Kommission ändern. Ihr Vorschlag enthält daher „klare Kriterien dafür, wie festzustellen ist, ob eine Plattform ein Arbeitgeber ist“, erklärte Sozialkommissar Nicolas Schmit. Eines der Kriterien ist die „Überwachung der Arbeitsleistung“, ein anderes die „effektive Einschränkung der Möglichkeit, einen Kundenstamm aufzubauen“. Sind zwei Kriterien erfüllt und kontrolliert die Plattform dadurch die Arbeitsleistung, gilt das als Beleg für ein Arbeitsverhältnis - mit allen Rechten und Pflichten für beide Seiten, die nach den jeweiligen nationalen Gesetzen daraus folgen.

BDA: Plan greift in nationales Arbeitsrecht ein

Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) kritisiert den Vorschlag. Die Kriterien seien „unzureichend“ definiert, der Plan greife erheblich ins nationale Arbeitsrecht ein. Außerdem: „Die Beweislastumkehr zulasten der Plattformunternehmen widerspricht der Darlegungs- und Beweislast im deutschen Prozessrecht.“ Die BDA hätte sich „mehr Vertrauen in nationale Lösungen gewünscht“.

Die Gegenseite vertritt die Gewerkschaft ver.di. Veronika Mirschel lobt, dass der Richtlinienvorschlag „die Verantwortung der Plattformen“ für ihre Mitarbeiter anerkenne. Diese könnten sich nicht mehr darauf zurückziehen, nur Technik zur Vermittlung von Arbeit bereitzustellen. Auch dass ein früher diskutierter „dritter Status extra für Plattformarbeiter“ vom Tisch sei, findet Mirschel gut. „Man ist entweder abhängig beschäftigt oder selbstständig.“

Gewerkschaft rügt „unangemessenen Bestandsschutz“

Kritisch beurteilt die Gewerkschafterin aber die angepeilte zeitliche Geltung des Gesetzes. Es würde nämlich nur Vertragsverhältnisse erfassen ab dem Zeitpunkt, an dem die nationalen Umsetzungsvorschriften in Kraft treten - und nicht rückwirkend. Mirschel spricht von unangemessenem „Bestandsschutz“.

Für „im Kern richtig und überfällig“ hält der Europaabgeordnete Dennis Radtke (CDU) das Gesetzesvorhaben. Dieses stärke nämlich nicht nur Rechte der Plattformarbeiter. „Es geht auch um fairen Wettbewerb.“ Denn der Wettbewerb würde verzerrt, wenn die eine Firma Mindestlöhne zahlt und die andere nicht, weil die eine ihre Mitarbeiter als abhängig Beschäftigte anerkennt und die andere es fälschlicherweise nicht tut, sagt Radtke.

Doch auch den wirklich Selbstständigen könne die Klärung ihres Status anhand der vorgeschlagenen Gesetzeskriterien nützen, glaubt der Sozialpolitiker aus dem Ruhrgebiet. „Sie werden nicht in ein Arbeitsverhältnis gezwungen, in das sie nicht hineingehören.“

Phillipp Saure


Migration

Fachkräfteeinwanderungsgesetz: Experten fordern flexible Regeln



Berlin (epd). Auch zwei Jahre nach Inkrafttreten des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes stehen ausländische Arbeitskräfte trotz großer Erleichterungen weiterhin vor großen Hürden, kritisiert der Sachverständigenrat für Integration und Migration (SVR). Die Experten forderten daher am 28. Februar in Berlin, den Gleichwertigkeitsnachweis einer im Ausland erworbenen Berufsausbildung als Voraussetzung für den Zuzug beruflich Qualifizierter zu überdenken und mit Öffnungsklauseln zu experimentieren.

Die SVR-Vorsitzende Petra Bendel sieht beim Fachkräfteeinwanderungsgesetz „erheblichen Nachbesserungsbedarf“. Nach wie vor werde ihnen die Arbeitsaufnahme in Deutschland schwer gemacht. Die Anerkennungsverfahren seien kompliziert und langwierig, beklagte die Münchner Politikwissenschaftlerin. „Hier müssen wir schneller und offener werden. Wir brauchen mehr Digitalisierung und Personal in den Behörden und mehr Angebote, anerkannte Qualifikationsnachweise durch Nachprüfungen zu ersetzen.“

Unverändert hoher Fachkräftebedarf

Der Sachverständigenrat hat ein Verfahren als Modellprojekt für nicht-reglementierte Berufe vorgeschlagen, um die Hürde des Gleichwertigkeitsnachweises etwas abzusenken. Dieses würde Fachkräften mit einer im Ausland abgeschlossenen beruflichen Ausbildung bei Vorliegen eines Arbeitsvertrags erlauben, auch ohne Gleichwertigkeitsnachweis nach Deutschland zu kommen und hier erwerbstätig zu sein. Dafür müsste das fehlende Gleichwertigkeitskriterium durch ein oder mehrere Alternativkriterien ersetzt werden, zum Beispiel sehr gute Sprachkenntnisse, ein Mindestgehalt oder Berufserfahrung.

Der Fachkräftebedarf in Deutschland ist den Angaben zufolge unverändert hoch. Laut Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz bewerten 55 Prozent der Unternehmen in Deutschland den Fachkräftemangel als Risiko. Der Bundesagentur für Arbeit zufolge braucht die deutsche Wirtschaft etwa 400.000 Zuwandernde pro Jahr.

Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz trat am 1. März 2020 in Kraft. Aufgrund der sich ausbreitenden Corona-Pandemie wurde wenig später der erste Lockdown in Deutschland beschlossen. Der internationale Reiseverkehr sowie die Bearbeitung von Visaanträgen unterlagen seither erheblichen Einschränkungen. Eine umfangreiche Bilanz zur Wirkung der neuen Regelungen sei deshalb zurzeit noch nicht möglich, erklärte der Sachverständigenrat.

Der Sachverständigenrat für Integration und Migration ist ein unabhängiges und interdisziplinär besetztes Gremium der wissenschaftlichen Politikberatung. Dem SVR gehören neun Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus verschiedenen Disziplinen und Forschungsrichtungen an.

Markus Jantzer


Migration

Zwei Jahre Fachkräfteeinwanderungsgesetz: Mehr als 100.000 Beratungen



Nürnberg (epd). Seit Einführung des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes im März 2020 hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) mehr als 100.000 telefonische und schriftliche Beratungen geleistet. Das Gesetz soll es Unternehmen ermöglichen, dringend benötigte Stellen mit qualifizierten Arbeitskräften aus Nicht-EU-Staaten zu besetzen, und damit dem Fachkräftemangel entgegenwirken, teilte das Bamf am 28. Februar in Nürnberg mit.

Auf der Hotline „Arbeiten und Leben in Deutschland“ nehmen laut Bamf vor allem die Anfragen zu den Themen „Anerkennung ausländischer Abschlüsse“, „Einreise und Aufenthalt“ und „Spracherwerb“ stetig zu. 2021 seien insgesamt 63.131 Beratungen durchgeführt worden. Besonders gestiegen sei der Beratungs- und Informationsbedarf zum 2020 eingeführten beschleunigten Fachkräfteverfahren.

Insgesamt steige neben Anfragen von Personen, die sich bereits in Deutschland aufhalten, auch der Anteil derer mit Wohnsitz im Ausland: 2021 lag er bei 64,4 Prozent (2019: 55,4 Prozent). Vergangenes Jahr hätten vor allem Personen mit Wohnsitz in der Türkei, dem Iran, Indien, Afghanistan und Marokko bei der Hotline angefragt, die auf Deutsch und Englisch berät.



Justiz

Kurzarbeitergeld lässt Fallzahlen beim Bundesarbeitsgericht sinken



Erfurt (epd). Wegen des Kurzarbeitergeldes und der guten Konjunktur vor der Corona-Pandemie gibt es immer weniger Arbeitsrechtsstreitigkeiten. „Das ist eine Entwicklung, die wir seit mehreren Jahren beobachten“, sagte die Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts (BAG), Inken Gallner, am 2. März in Erfurt. Mit Ausnahme von Luftfahrtunternehmen habe es in Deutschland im Jahr 2021 keine Insolvenzkündigungswellen oder Wellen von betriebsbedingten Kündigungen gegeben.

Gallner zufolge gingen beim BAG im Jahr 2021 insgesamt 1.521 Verfahren ein, 520 weniger als im Vorjahr. 35,6 Prozent der Revisionen und 4,1 Prozent der Nichtzulassungsbeschwerden seien erfolgreich gewesen. Im Durchschnitt habe es sieben Monate und sechs Tage gedauert, bis eine Revision erledigt wurde.

Verfahren wegen der Corona-Pandemie spielen bislang bei Arbeitsrechtsstreitigkeiten keine besonders große Rolle. „Wir haben mit mehr Verfahren gerechnet“, sagte Gallner. Dennoch stechen hier der Gerichtspräsidentin zufolge zwei Bereiche hervor: Streitigkeiten um Urlaubsansprüche während der Kurzarbeit und Verfahren um Urlaubsabgeltungsansprüche. „Da hängen einige Hundert Verfahren in der ersten und zweiten Instanz“, sagte Gallner.

Im Zusammenhang mit der Pandemie will das BAG am 1. Juni darüber urteilen, ob ein Arbeitgeber eine Flötistin zu einem Corona-Test verpflichten kann. Auch die Frage, ob Reinigungskräfte wegen der Maskenpflicht einen Erschwerniszuschlag beanspruchen können, ist laut Gallner anhängig. Anhängige kirchenrechtliche Fälle gebe es derzeit beim BAG nicht.




sozial-Branche

Corona

Noch nie das Gesicht der Erzieherin gesehen




Kinder im Außengelände der Kita "Kleiner Globus" in Würzburg
epd-bild/Pat Christ
Der Stress in den Kitas ist enorm. Erzieherinnen fallen in der Omikron-Welle wegen Krankheit aus. Weil die Personaldecke dünn ist, müssen Angebote für die Kinder reduziert werden. Und Debatten ums Impfen belasten das Betriebsklima.

Würzburg (epd). Früher konnten die Kinder nach Herzenslust in der Kita spielen, toben und lernen. Das geht in Corona-Zeiten so nicht mehr. „Es ist unfassbar viel weggebrochen“, sagt Lisa Labisch, Leiterin des Kinderhauses „Kleiner Globus“ in Würzburg. Die Ausflüge zum Beispiel, bei denen die Kleinen früher eine Menge erlebt und erfahren hatten, sind in der Pandemie gestrichen. „Inzwischen haben wir Kinder, die seit zwei Jahren bei uns sind und noch niemals das Gesicht einer Erzieherin gesehen haben, weil es den ganzen Tag hinter einer Maske versteckt ist.“

„Testergebnisse stimmen oft nicht“

Leicht ist es nicht, die Corona-Präventionspolitik des Staates mit den pädagogischen Zielen von Erzieherinnen in Einklang zu bringen. Wobei auch Kita-Leitungen bei den Schutzmaßnahmen hin- und hergerissen sind. „Dass die Kinder unsere Gesichter nicht kennen, ist schon crazy“, sagt Lisa Labisch. Doch in ihrer von der Arbeiterwohlfahrt getragenen Einrichtung gibt es keine Ausnahmen. Die Erzieherinnen müssen immer FFP2-Masken tragen, selbst im Freien. Labisch kann das akzeptieren. Problematischer sind für sie die angeordneten Tests: „Die Testergebnisse stimmen nach unserer Erfahrung unglaublich oft nicht.“

Dreimal in der Woche müssen Eltern die Ergebnisse ihrer Selbsttests vorzeigen, wenn sie die Kita betreten wollen. Morgen können allerdings schon wieder neue Regeln gelten. Das stresst Kita-Leitungen enorm. „Es kommen ständig lange, oft nicht sehr verständliche Texte herein zu dem, was nun wieder gilt“, klagt Lisa Labisch.

Große Sorgen bereitet der Sozialpädagogin der Fachkräftemangel, der immer stärker zu spüren sei. „Wer soll in Zukunft die Kinder betreuen?“, fragt sich Labisch mit vielen anderen Kita-Leiterinnen. Denn sie haben ein Problem: Die Personaldecke ist extrem dünn. Und neues Personal zu finden, sehr schwierig. „Jeder rangelt um Fachkräfte“, bestätigt Carola Lemke, Leiterin der evangelischen Kita „Arche“ in Berlin. Ihr Trägerverband arbeite inzwischen vermehrt mit Quereinsteigerinnen.

Ein Viertel ist nicht geimpft

Doch sei „der bürokratische Aufwand hoch“. Und nicht alle Quereinsteigerinnen bleiben bei der Stange. Das gilt laut Lemke auch für Berufsanfängerinnen. Weil die Personallage angespannt sei, fühlten sich die jungen Mitarbeiterinnen oft überfordert, beobachtet Lemke. Die Konsequenz: „Junge Kolleginnen flüchten aus der Kita.“

Der Stress steigt auch für erfahrene Erzieherinnen. Und es kommt großer Frust auf: „Unser gesamtes Team ist geboostert, dennoch hatten wir inzwischen fünf Corona-Fälle mit Krankheitssymptomen, zum Teil direkt nach dem Booster“, berichtet Lemke.

Dennoch setzen viele Einrichtungen weiter konsequent auf das Impfen. „Mein größtes Problem sind die nicht geimpften Mitarbeiterinnen“, sagt Heike Kuhn, Pfarrerin und damit in der Verantwortung für eine Kita im baden-württembergischen Tauberbischofsheim. Ein knappes Viertel des 25-köpfigen Kita-Teams sei nicht geimpft. „Mich beschäftigt das wirklich sehr, wie man damit so umgehen kann, dass das Betriebsklima nicht leidet.“

Ständig fällt Personal aus

„Die Omikron-Welle und die damit verbundenen Personalausfälle sorgen dafür, dass Eltern um die Verlässlichkeit ihrer Kinderbetreuung bangen müssen“, sagt der Geschäftsführer der Fröbel Bildung und Erziehung gGmbH in Berlin, Stefan Spieker. „Eltern müssen nun schon seit zwei Jahren ständig damit rechnen, dass die Betreuung ausfällt.“

Christiane Münderlein vom evangelischen Kita-Verband in Bayern berichtet von dramatischen Folgen für berufstätige Eltern, die deswegen spontan zu Hause bleiben mussten: „Den Eltern wurde gekündigt, nachdem sie nicht zur Arbeit kommen konnten.“

Johannes Scheib vom Kreisjugendamt Südwestpfalz sagt, durch Quarantäne und Krankheitsfälle fehlten in den 71 Kitas des Landkreises ständig 15 bis 20 Prozent des Personals. „Das führt dazu, dass Öffnungszeiten gekürzt werden oder dass es einen Aufnahmestopp gibt.“

Pat Christ


Corona

"Wenn Impfpflicht, dann für alle"




Impfpässe
epd-bild /Thomas Lohnes
Die Mitte März in Kraft tretende einrichtungsbezogene Impfpflicht soll drastische Konsequenzen für Pflegekräfte ohne Corona-Impfung bringen. Sie stößt aber auch bei vielen geimpften Pflegerinnen und Pflegern auf wenig Gegenliebe.

Hannover, Göttingen (epd). Sabine Bauer (Name geändert), sieht in der einrichtungsbezogenen Impfpflicht eine Diskriminierung. Die 62-Jährige, die in einem Altenheim in Hannover beschäftigt ist, hat sich zwar aus Überzeugung gegen das Coronavirus impfen lassen. Etliche der rund 70 Beschäftigten im Heim hätten dies aber ohne Überzeugung getan: „Da ist einfach sehr viel Druck auf die Kollegen aufgebaut worden, indem die Einrichtungsleitung mehrfach und sehr deutlich auf die Konsequenzen bei Nichtimpfung hingewiesen hat“, bemängelt sie. „Und das in einem Beruf, in dem wir seit zwei Jahren unter Hochdruck die Kohlen aus dem Feuer holen müssen.“

Lebensbedrohliche Corona-Infektion

Am 15. März soll die einrichtungsbezogene Impfpflicht bundesweit in Kraft treten. Von diesem Tag an müssen Pflegekräfte und Beschäftigte von Gesundheitseinrichtungen ohne Corona-Impfung mit drastischen Konsequenzen rechnen - von einem Bußgeld bis zu einer unbezahlten Freistellung vom Dienst oder gar einer Kündigung. Ziel des Gesetzes ist der Schutz von Patienten und Pflegebedürftigen vor einer möglicherweise lebensbedrohlichen Corona-Infektion.

Laut aktueller Zahlen des niedersächsischen Gesundheitsministeriums liegt die Impfquote in allen Bereichen der stationären und ambulanten Pflege bei mindestens 90, teilweise bis zu 95 Prozent. Die Pflegeunternehmerin Nadya Klarmann bezeichnet eine auf ihre Branche begrenzte Impfpflicht allerdings als „zu kurz gedacht“. „Wir brauchen mindestens eine Impfpflicht für besonders vulnerable Menschen und ihre Kontaktpersonen, zu denen neben Pflegekräfte auch viele andere Menschen zählen.“

Trotz einer sehr hohen Impfquote auch in ihrer in Hannover ansässigen Firma für ambulante Pflegedienste habe es erst kürzlich einen größeren Ausbruch bei Pflegenden und Patienten gegeben. „Zum Glück verlief er für alle Betroffenen mild oder symptomlos, weil sie durchweg geimpft waren“, sagt Klarmann, die bis 2021 Präsidentin der inzwischen abgewickelten Pflegekammer Niedersachsen war. Erfahrungen wie diese zeigten, dass die Impfung eine Weitergabe des Virus nicht im erhofften Maß verhindere, aber wesentlich zum Schutz der Schwächsten beitrage.

„Die Kolleginnen haben geliefert“

Deshalb befürwortet die examinierte Altenpflegerin eine allgemeine Impfpflicht, weil sie alle Menschen gleichermaßen schütze und zudem nicht nur die Pflegenden, sondern die Gesellschaft insgesamt in die Pflicht nehme. „Wenn Impfpflicht, dann für alle: Das wäre aus meiner Sicht nicht nur wirksamer zur Pandemiebekämpfung, sondern auch ein Signal, dass wir mit der Verantwortung nicht allein gelassen werden, nicht der Buhmann sind“, unterstreicht Klarmann.

Auch Sven Schumacher, Vorsitzender des Niedersächsischen Evangelischen Verbandes für Altenhilfe und Pflege (Nevap), sieht die Pflegebranche nicht in der Bringschuld. „Die Kolleginnen und Kollegen tragen seit zwei Jahren erhöhte Verantwortung für die ihnen anvertrauten Menschen und machen einen hervorragenden Job. Sie haben geliefert“, sagt der Pastor, der für rund 320 Altenhilfeeinrichtungen in Niedersachsen spricht.

„Es wäre an der Zeit, jetzt zu der Solidarität zurückzukehren, die zu Beginn der Pandemie spürbar war“, sagt der Nevap-Vorsitzende. Das bedeute zu begreifen, „dass es nicht nur auf den Beitrag der Pflegekräfte, sondern aller ankommt, damit wir so gut wie möglich mit diesem Virus klarkommen“.

Gefahr eines Pflegekollaps

Altenpfleger Milan Pengö war zunächst für eine einrichtungsbezogene Impfpflicht. „Ich fand es gut und richtig, dass die Debatte all denen Druck macht, die sich unsolidarisch verhalten“, sagt der 39-Jährige, der als Altenpfleger in einer Pflegeeinrichtung in Südniedersachsen arbeitet. Doch zunehmend sei die Sorge in den Vordergrund gerückt, dass die ohnehin schon angespannte Situation im Haus durch eine einrichtungsbezogene Impfpflicht kritisch werden könne.

Die Anzahl der ungeimpften Kolleginnen und Kollegen bezeichnet Pengö als signifikant. „Schon jetzt fehlen quarantänebedingt immer wieder Kolleginnen und Kollegen. Wenn es zusätzlich ab Mitte März zu Freistellungen oder Kündigungen kommt, wird es schwer, “, befürchtet er.gute Pflege sicherzustellen

Zudem gibt er zu bedenken, dass die Bewohnerinnen und Bewohner durchweg drei- oder vierfach geimpft seien und mit der Omikron-Variante fast ausschließlich milde Krankheitsverläufe hätten oder symptomfrei blieben. Daher sollte darüber nachgedacht werden, die strikten Regeln so weit außer Kraft zu setzen, dass auch positiv getestete, aber symptomfreie Pflegekräfte ihrer Arbeit nachgehen könnten, regt Pengö an: „Wenn man das aktuell geringe Risiko schwerer Krankheitsverläufe ins Verhältnis zur realen Gefahr eines Pflegekollaps in manchen Häusern setzt, scheint mir das der klügere Weg.“

Daniel Behrendt


Armut

Fachverband: Corona hat Wohnungslosigkeit verschärft




Obdachloser mi Sammelbecher auf einer Brücke
epd-bild/Rolf Zöllner
Wer in Zeiten steigender Immobilienpreise einmal seine Wohnung verliert, hat es schwer, aus der dadurch entstehenden Notsituation wieder herauszukommen. Für die Betroffenen ist es wegen Behördenschließungen noch schwieriger, an Hilfen zu kommen.

Berlin (epd). Die Corona-Pandemie hat die Situation für Wohnungslose und diejenigen, die ihnen Hilfen anbieten, noch komplizierter gemacht. „Mit der Corona-Krise hat sich die prekäre Lebenslage wohnungsloser Menschen nochmals dramatisch verschlechtert“, beklagte die Vorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosigkeit (BAG W), Susanne Hahmann, am 1. März in Berlin. Der zweite Pandemie-Winter habe die Betroffenen ebenso wie die Mitarbeitenden des Hilfesystems erneut vor enorme Herausforderungen gestellt.

Hilfseinrichtungen langfristig sichern

Beratungsstellen versuchen demnach, ihre Hilfen auch auf telefonischem Wege oder online anzubieten. „An vielen Stellen wird improvisiert, um möglichst jeder und jedem ein sicheres Übernachtungsangebot machen zu können, auch wenn es an zusätzlichen Räumlichkeiten mangelt“, sagte Hahmann. Zwischen umfangreichen Infektionsschutzmaßnahmen und dem Bemühen, eine niedrigschwellige Versorgung der Hilfesuchenden zu gewährleisten, setzten die Mitarbeitenden sich selbst hohen Infektionsrisiken aus, betonte die Vorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft.

Vor diesem Hintergrund fordert die Bundesarbeitsgemeinschaft die Umsetzung des von der Bundesregierung angekündigten Aktionsplans gegen Wohnungslosigkeit. Es müsse darum gehen, wie die Einrichtungen langfristig gesichert und für den Krisenfall sowie für eine Normalität gewappnet werden können, in der bezahlbarer Wohnraum immer knapper wird.

Um ihre Angebote in der derzeitigen Corona-Lage dennoch weitgehend aufrechterhalten zu können, arbeiteten die Dienste und Einrichtungen der Wohnungsnotfallhilfe unter größten personellen und finanziellen Anstrengungen, sagte Hahmann. Laut einer Mitgliederbefragung der Bundesarbeitsgemeinschaft vom vergangenen Herbst mussten knapp 20 Prozent der Einrichtungen ihr Angebot einschränken. Davon betroffen seien besonders niedrigschwellige Tagesaufenthalte.

Wohnungspolitik als Daseinsvorsorge

Wohnungsnotfallhilfe müsse explizit der kritischen Infrastruktur zugerechnet werden, forderte die Geschäftsführerin der Bundesarbeitsgemeinschaft, Werena Rosenke. Spätestens die Erfahrungen der vergangenen zwei Jahre hätten die Notwendigkeit dieses Schritts vor Augen geführt.

Neben der Schaffung von bezahlbarem Wohnraum seien Mechanismen erforderlich, um wohnungslosen Menschen den Zugang zu Wohnungen zu ermöglichen, etwa durch eine Quote von Wohnungen, die explizit den betroffenen Haushalten zur Verfügung stehen. „Es ist eine soziale Wohnungspolitik gefordert, die sich als Daseinsvorsorge begreift“, mahnte Rosenke.

Viele wohnungslose Menschen, die ohne Unterkunft auf der Straße oder in Sammelunterkünften leben, gehörten derzeit zur Corona-Risikogruppe, beklagte die Bundesarbeitsgemeinschaft. Ohne Schutz in den eigenen vier Wänden könnten sie weder soziale Kontakte reduzieren noch notwendige Hygienemaßnahmen einhalten.

Bettina Gabbe


Umfragen

Neuer Höchststand bei Spenden




Spendenaktion von "Brot für die Welt"
epd-bild/Thomas Lohnes
Corona und die Überschwemmungskatastrophe - beide Ereignisse sorgten 2021 offensichtlich für eine höhere Spendenbereitschaft in der Bevölkerung. Eine jährliche Umfrage ergibt neue Rekordwerte.

Berlin (epd). Die Spendenbereitschaft der Deutschen ist im vergangenen Jahr enorm gestiegen. Mit insgesamt knapp 5,8 Milliarden Euro sei das beste Ergebnis seit Beginn der Erhebung im Jahr 2005 erzielt worden, teilte der Deutsche Spendenrat am 3. März in Berlin mit. Gegenüber dem „bereits sehr guten Vorjahr“ sei das Spendenaufkommen damit um sieben Prozent gestiegen.

Mehr Spender, höhere Beträge

Der in den Vorjahren deutlich erkennbare Trend des Rückzugs von Einzelspendern sei gebrochen worden, sagte Max Mälzer, Geschäftsführer des Deutschen Spendenrats. Er hoffe, dass sich diese Entwicklung in den kommenden Jahren verstetige. Der Deutsche Spendenrat ist ein Dachverband von knapp 70 Spenden sammelnden Organisationen.

Der durchschnittliche Spendenbetrag an gemeinnützige Organisationen und Kirchen stieg 2021 um zwei Euro auf ein Rekordniveau von 42 Euro, hieß es weiter. Auch die Zahl der Spender wuchs um fünf Prozent oder eine knappe Million auf insgesamt 20 Millionen Menschen. Der Hauptanteil der Spenden ging mit 75,8 Prozent ähnlich dem Vorjahr an die humanitäre Hilfe, vor allem die Not- und Katastrophenhilfe.

Das Marktforschungsinstitut GfK in Nürnberg untersucht jährlich für die „Bilanz des Helfens“ im Auftrag des Spendenrates das Spendenverhalten der Deutschen. Die Analyse basiert auf einer monatlichen, repräsentativen Stichprobe von 10.000 deutschen Teilnehmern ab zehn Jahren. Nicht enthalten sind etwa Erbschaften, Unternehmensspenden sowie Spenden an politische Parteien und Organisationen.

Senioren geben am meisten

Fast zwei Drittel des Spendenaufkommens (61 Prozent) kamen im vergangenen Jahr den Angaben zufolge von über 60-Jährigen. Angehörige der Generation 70 plus spendeten im Durchschnitt 416 Euro im Jahr, ein Plus von 14 Euro gegenüber dem Vorjahr. Zugleich sorgt die Generation 70 plus allein für 43 Prozent des Gesamtspendenvolumens. Außer in der Altersgruppe der 40- bis 49-Jährigen registrierte die „Bilanz des Helfens“ in allen anderen Altersgruppen eine positive Entwicklung.

Während die Not- und Katastrophenhilfe ihren Anteil am Gesamtspendenvolumen von knapp 18 auf knapp 28 Prozent beziehungsweise rund 1,2 Milliarden Euro steigerte, lief es für andere humanitäre Zwecke nicht so gut. So verzeichnete der Spendenzweck „Kirche und Religion“ ein Minus von 4,7 Prozentpunkten, um 138 Millionen Euro auf 825 Millionen Euro (18,9 Prozent am Gesamtspendenvolumen). Spenden für „Kinder und Jugendhilfe“ gingen um 3,7 Prozentpunkte auf 1,07 Milliarden Euro und für „Krankheit und Behinderung“ um 2,5 Prozentpunkte auf 381 Millionen Euro zurück. Auch die Spenden für die Flüchtlingshilfe gingen im vergangenen Jahr wieder zurück (minus 19 Prozent auf knapp 347 Millionen Euro).

Zuwachs verzeichneten im vergangenen Jahr bei nahezu gleichbleibenden Anteilen am Gesamtspendenvolumen der Tierschutz (plus 23 Millionen Euro), der Umwelt- und Naturschutz (plus 15 Millionen Euro) und die Kultur- und Denkmalpflege (plus zwei Millionen Euro). Auch der Bereich Sport, der 2020 durch die Pandemie stark gelitten hatte, verzeichnete 2021 wieder eine Steigerung der Spendeneinnahmen (plus 12 Millionen Euro).

Lukas Philippi


Kirchen

Kinder trauern anders




Bild eines Kindes nach dem Besuch einer Trauergruppe
epd-bild/Jugendhospizdienst "Clara"
Erwachsene wollen Kindern das Gefühl der Trauer oft nicht zumuten. Doch es gehört zum Leben. Einen Trauerraum außerhalb des Familiensystems bieten Trauergruppen speziell für Kinder. Angeboten werden sie vielfach von Kinderhospizdiensten.

Mannheim/Karlsruhe (epd). Kinder trauern anders als Erwachsene. Ihre Gefühle wechseln schnell. Sie springen immer wieder von der „Trauer- in die Lachpfütze“, sagt Stefanie Schnitzler vom Ökumenischen Kinder- und Jugendhospizdienst „Clara“ beim Diakonischen Werk Mannheim. „Clara“ hat gerade eine neue Trauergruppe für Grundschulkinder begonnen.

In der Trauergruppe kommen 14 Kinder ein halbes Jahr lang regelmäßig zusammen, um den Verlust eines Angehörigen zu verarbeiten. Wie schwer der Verlust wiegt, hänge mit der Beziehung zu dem Verstorbenen zusammen, erklärt die Koordinatorin. Auch die Umstände spielten eine Rolle: Konnte das Kind Abschied nehmen, gibt es ein Grab, war das Kind bei der Beerdigung dabei?

Kinder überfordern sich in ihrer Trauer selbst

Existenziell für ein Kind ist der Tod eines Elternteils. Er verändert den Alltag und das Leben tiefgreifend. Um Erwachsene zu schonen, unterdrücken Kinder schon mal ihre Trauer. „Sie wollen nicht, dass die Mutter, der Vater noch trauriger werden, als sie ohnehin schon sind“, weiß Schnitzler. Damit überfordern sie sich jedoch.

In ihrem Lebensumfeld sind trauernde Kinder oft allein gelassen, etwa wenn in der Schule die Unterschrift beider Elternteile verlangt werde. Ist ein Elternteil verstorben, werde in diesem Moment die Trauer getriggert, erklärt Schnitzler. „Kinder trauern dann, wenn sie die Trauer nicht mehr elementar bedroht“, sagt sie.

Dafür bietet die Kindertrauergruppe der Diakonie einen neutralen Raum. Auf dem weichen Teppich sitzend können Mädchen und Jungen ihre Ohnmachtsgefühle mit Gleichgesinnten teilen.

Auch Bilder öffnen den Weg ins Innenleben

Lieder, Krafttiere, Rituale helfen in der Kindertrauergruppe, die Trauer zuzulassen. Alles kann, nichts muss. Die Kinder dürfen über den oder die Verstorbene reden, sie basteln Erinnerungskisten oder malen. Auch Bilder eröffnen einen Weg ins Innenleben.

Oder die Kinder kuscheln in der Stunde bei Brigitte Wörner auf dem Sofa. Die gelernte Kindertrauerbegleiterin kennt sich mit Trauer junger Menschen aus. „Kinder sind in der Trauer offener, ehrlicher und weniger erzogen“, ist ihre Erfahrung. Sie könnten kurzfristig „einen Schalter umlegen“, sagt Wörner.

Umdenken setzt ein

Ganz authentisch zeigten sie Tränen oder Wut, seien laut, um plötzlich wieder einen Witz zu erzählen und zu lachen. Kinder lebten mehr im Hier und Jetzt, Erwachsene wollten „funktionieren“, weiß Wörner. Die Trauerbegleiterin plädiert dafür, kindliche Trauer ernst zu nehmen. Erwachsene täten sich damit oft schwer, seien selbst verunsichert. Indem sie das Kind vor einem „schwierigen Gefühl“ schützen wollen, neigen Erwachsene dazu, Tod und Sterben auszuklammern.

Inzwischen beobachtet die Fachfrau für Trauer ein Umdenken. Gerade Bestatter fragten zunehmend, ob bei der Beerdigung auch Kinder dabei seien. Auf dem Karlsruher Hauptfriedhof gibt es seit einigen Jahren das bundesweit erste Themenfeld „Kinderwelten“. Trauer gelte es ins Leben einzuordnen.

Wer nicht trauern darf, wird krank

Wer nicht trauern darf, wird krank. Es ist unbestritten, dass Herzbeschwerden, Aggression oder Posttraumatische Belastungsstörungen mit nicht verarbeiteten Verlusten zusammenhängen können. Trotzdem übernehmen Krankenkassen die Kosten für Trauergruppen nicht.

Der Bundesverband Kinderhospiz in Lenzkirch bei Freiburg setzt sich seit Jahren für eine Kostenübernahme von psychosozialen Präventionsmaßnamen ein - bisher ohne Erfolg. „Die Krankenkasse bezahlt erst, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist“, sagt Geschäftsführerin Sabine Kraft. Sie sieht primär die Bundesländer über die Kinder- und Jugendhilfe in der Pflicht.

Susanne Lohse


Kriminalität

Richter befragt Högel als Zeugen zu konkreten Todesfällen




Niels Högel (Archivbild)
epd-bild/Hauke-Christian Dittrich/dpa-Poolfoto
Erstmals wird im Prozess gegen die früheren Vorgesetzten des Patientenmörders Niels Högel über konkrete Todesfälle gesprochen. Es geht um die Frage, ob die Vorgesetzten ihn hätten stoppen können. Die Anwälte versuchen, Högel als Zeugen unglaubwürdig zu machen.

Oldenburg (epd). Vor dem Landgericht Oldenburg hat der Patientenmörder Niels Högel im Prozess gegen sieben frühere Vorgesetzte am 1. und 2. März erstmals zu konkreten Todesfällen ausgesagt. Die Staatsanwaltschaft wirft den Angeklagten Beihilfe zum Totschlag durch Unterlassen vor. Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft hätten sie viele Mordtaten Högels verhindern können, wenn sie nicht weggeschaut hätten (Az.: 5 Ks 20/16).

Keine Erinnerung an Todesfälle

An die zur Verhandlung stehenden drei Todesfälle im November 2001 im Klinikum Oldenburg konnte sich Högel spontan nicht erinnern. Auch zu vier der fünf Todesfälle im Mai und Juni 2005 im Krankenhaus Delmenhorst machte er keine Angaben. Doch an den letzten aufgerufenen Fall erinnere er sich lebhaft, sagte Högel.

Damals, am 6. Juni 2005, vergiftete er den Patienten Dieter M. mit dem Medikament Gilorytmal und wurde dabei auf frischer Tat ertappt. Zwar überlebte M. zunächst den Anschlag, starb dann aber am 22. Juni. M. war Högels vorletztes Opfer. Seine Vorgesetzten entschieden damals, dass Högel noch zwei Dienste bis zu seinem bevorstehenden Urlaub arbeiten sollte. In seiner letzten Schicht ermordete er dann Renate R. mit dem Medikament Sotalex.

Wie schon in seinem eigenen Mordprozess 2018/2019 schilderte Högel detailliert die Intensivstation, wo er das Medikament Gilorytmal aus einem für alle zugänglichen Schrank entnahm und wie er dann vier Ampullen des Wirkstoffs auf eine Spritze zog. Er wisse auch noch, dass er von der rechten Seite ans Patientenbett herangetreten sei und seine Spritze in einen freien Venenzugang injiziert habe.

Keine Spuren verwischt

An den Patienten könne er sich gut erinnern, da er einer der ersten Thorax-Patienten auf der Station gewesen sei. Die Pflege dieses Patienten sei aufwendig gewesen, obwohl die Überlebenschancen nicht gut gestanden hätten, erinnerte sich Högel. Damals habe er schon nicht mehr darauf geachtet, die Spuren seiner Tat zu verschleiern. Irgendwie habe er sogar gehofft, endlich erwischt zu werden. Der Prozesstag endete mit der Vernehmung Högels durch den Vorsitzenden Richter Sebastian Bührmann. Die 18 Verteidigerinnen und Verteidiger der Angeklagten dürfen ihn am 8. März befragen.

Im Verlauf des Tages zogen die Anwälte in verschieden Anmerkungen weiter die Glaubhaftigkeit von Högels Aussagen in Zweifel. Sie thematisierten den Erwartungsdruck, unter dem der Zeuge stehe. Ein Anwalt sagte zu Högel, sei verantwortlich für den Tod „von mehr Menschen, als hier im Saal sitzen“. Ein anderer Verteidiger sprach die erkennbare Schutzweste unter Högels Pullover an. „Die ganze Vorbereitung, dann die Schutzweste - das macht doch auch was mit einem Zeugen.“

Unter den Angeklagten im Prozess sind Ärzte, Verantwortliche aus der Pflege und ein früherer Geschäftsführer. Ihnen wird Beihilfe zur Tötung durch Unterlassen vorgeworfen. Der Ex-Krankenpfleger Högel war am 6. Juni 2019 vom Oldenburger Landgericht wegen insgesamt 85 Morden zu einer lebenslangen Haft verurteilt worden. Er hatte Patienten mit Medikamenten vergiftet, um sie anschließend reanimieren zu können. So wollte er als Lebensretter glänzen.

Jörg Nielsen



sozial-Recht

Verwaltungsgerichtshof

Kein individueller Anspruch auf barrierefreien Behördenzugang




Beschwerlicher Weg in einem Treppenhaus (Archivbild)
epd-bild/Stefan Trappe
Die UN-Behindertenrechtskonvention verpflichtet Staaten, das Recht behinderter Menschen auf Teilhabe zu gewährleisten. Ein direkter individueller Leistungsanspruch ergibt sich daraus aber nicht, entschied zuletzt der Verwaltungsgerichtshof Mannheim.

Mannheim (epd). Behinderte Menschen sollen nach der UN-Behindertenrechtskonvention keine Bittsteller sein, sondern ein möglichst selbstbestimmtes, diskriminierungsfreies Leben führen können. Allerdings haben Betroffene auf Grundlage des völkerrechtlichen Vertrags keinen direkten individuellen Anspruch auf einen barrierefreien Zugang zu einem einzelnen Behördenhaus, entschied der Verwaltungsgerichtshof (VGH) Baden-Württemberg in einem am 22. Februar veröffentlichten Beschluss. Die Mannheimer Richter wiesen damit einen Rollstuhlfahrer ab, der unter anderem mit Verweis auf die UN-Behindertenrechtskonvention die Errichtung einer Rampe zu einem kommunalen Bezirksamt beanspruchte.

Behinderung als Bereicherung

Die am 13. Dezember 2006 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedete und von Deutschland am 24. Februar 2009 ratifizierte UN-Behindertenrechtskonvention betont, dass Menschenrechte auch für behinderte Menschen gelten müssen und Behinderung als Bereicherung der menschlichen Vielfalt angesehen werden muss. Staaten sind danach in der Pflicht, die Rechte der Betroffenen zu achten, zu gewährleisten und zu schützen. Dazu gehören etwa die Gewährleistung einer Nicht-Diskriminierung, Chancengleichheit und Inklusion.

Auch die Europäische Union hat den völkerrechtlichen Vertrag unterzeichnet. Das Institut für Menschenrechte in Berlin fördert und kontrolliert die Einhaltung der UN-Behindertenrechtskonvention.

Im aktuellen Rechtsstreit sah der Kläger die Konvention verletzt, weil er mit seinem Rollstuhl nicht alleine in die Räume eines Bezirksamtes gelangen konnte. Er werde in diskriminierender Weise von den dort angebotenen Dienstleistungen ausgeschlossen. Ihm stehe ein barrierefreier Zugang nach der UN-Behindertenrechtskonvention zu. Denn diese sei für deutsches und EU-Recht verbindlich.

Berufung auf Bundesverfassungsgericht

Die Kommune lehnte den Anspruch ab. Ein Umbau würde über 100.000 Euro kosten. Der Rollstuhlfahrer könne problemlos mit dem Auto oder dem öffentlichen Busverkehr das etwa fünf Kilometer entfernte barrierefreie Rathaus erreichen. Alternativ könnten Mitarbeiter des Bezirksamtes „auf Zuruf“ vor das Gebäude kommen, um dem Kläger Dokumente auszuhändigen, oder diese von ihm entgegennehmen.

Das Verwaltungsgericht Stuttgart lehnte den Antrag des Mannes auf einen barrierefreien Zugang zum Bezirksamt ab. Der VGH wies den Antrag auf Zulassung der Berufung ebenfalls zurück.

Die UN-Behindertenrechtskonvention begründe keinen unmittelbaren Leistungsanspruch „auf die Schaffung eines barrierefreien Zugangs“. Die Konvention sei zwar nach deutschem und EU-Recht bindendes Recht. Letztlich würden darin „allgemeine Grundsätze“ festgelegt, um Menschen mit Behinderungen eine unabhängige Lebensführung und Teilhabe zu ermöglichen. Staaten müssten nur „geeignete Maßnahmen“ mit dem „Ziel“ gewährleisten, einen gleichberechtigten Zugang unter anderem zu Einrichtungen und Diensten zu schaffen.

Der Kläger lege nicht „ansatzweise“ dar, woraus sich ein direkter individueller Anspruch aus der UN-Behindertenrechtskonvention ergibt und er nicht auf die Hilfe der Bezirksamt-Mitarbeiter zurückgreifen kann. Auch die Fahrt zum barrierefreien Rathaus sei zumutbar.

Der VGH verwies auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vom 30. Januar 2020. Danach führe die UN-Behindertenrechtskonvention nicht zu einem individuellen unmittelbaren Leistungsanspruch behinderter Menschen.

Mitnahme eines Blindenführhundes

Allerdings sei das maßgebliche Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) im „Lichte der UN-Behindertenrechtskonvention“ auszulegen, erklärten die Richter des Bundesverfassungsgerichts zum Streit, ob eine blinde Frau mit ihrem Blindenführhund trotz hygienischer Bedenken in eine Physiotherapiepraxis darf. Menschen mit Behinderungen dürfe „eine Teilhabe aus sachlichen Gründen“ nicht verwehrt werden, wenn Hindernisse mit zumutbaren Anstrengungen überwunden werden könnten, legten die Verfassungsrichter in ihrer Auslegung des AGG dar. Danach müsse der blinden Frau die Mitnahme ihres Blindenführhundes erlaubt werden.

Dass die Konvention als Auslegungshilfe bestehender Vorschriften dient, betonte zudem das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen mit Beschluss vom 4. Oktober 2021. Die Celler Richter sprachen einem Blinden einen Elektrorollstuhl auf Krankenkassenkosten zu.

Dabei verwies das LSG auf den im Zuge der UN-Behindertenrechtskonvention modernisierten Behinderungsbegriff. „Es ist die Aufgabe des Hilfsmittelrechtes, dem Behinderten ein möglichst selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen und nicht, ihn von sämtlichen Lebensgefahren fernzuhalten und ihn damit einer weitgehenden Unmündigkeit anheimfallen zu lassen.“ Könne ein sehbehinderter Mensch einen Elektrorollstuhl verantwortungsbewusst nutzen, dürfe ihm dieser nicht verweigert werden.

Ausführungsgesetze erforderlich

Das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel urteilte bereits am 6. März 2012, dass das in der UN-Behindertenrechtskonvention enthaltene Diskriminierungsverbot „unmittelbar anwendbares Recht“ sei. Doch dies sei „nicht hinreichend bestimmt und bedarf daher Ausführungsgesetzen“, sagte damals der frühere BSG-Präsident Peter Masuch. Im Streitfall wurde damit einem MS-Kranken mit Erektionsstörungen der Zugang zu potenzsteigernden Mitteln auf Krankenkassenkosten verwehrt. Weder das Grundgesetz noch die UN-Behindertenrechtskonvention verlangten „unverhältnismäßige oder unbillige Belastungen“, so das BSG.

Az.: 1 S 3107/21 (VGH Mannheim)

Az.: 2 BvR 1005/18 (Bundesverfassungsgericht)

Az.: L 16 KR 423/20 (LSG Niedersachsen-Bremen)

Az.: B 1 KR 10/11 R (Bundessozialgericht)

Frank Leth


Bundesverfassungsgericht

Verfahren wegen Kindeswohlgefährdung nicht gegen Behörden



Karlsruhe (epd). Die Maskenpflicht und Coronatests in einer Grundschule sind kein Grund, um ein gerichtliches Verfahren wegen Kindeswohlgefährdung durch staatliche Institutionen anzuordnen. Zwar kann ein Familiengericht bei einer Kindeswohlgefährdung Maßnahmen „gegen Dritte“ anordnen, dazu gehört aber nicht der Staat und seine Institutionen, entschied das Bundesverfassungsgericht in einem am 24. Februar veröffentlichten Beschluss. Die Karlsruher Richter erklärten damit die Verfassungsbeschwerde einer Mutter aus dem brandenburgischen Landkreis Dahme-Spreewald für unzulässig.

Die Mutter war nicht damit einverstanden, dass ihr Sohn in der Grundschule eine Mund-Nasen-Bedeckung tragen und regelmäßig Coronatests machen muss. Sie meinte, dass dies eine Kindeswohlgefährdung darstelle. Sie regte daraufhin ein gerichtliches Kinderschutzverfahren wegen Kindeswohlgefährdung an. Das Familiengericht müsse hier gegen den Staat vorgehen.

Keine Verletzung von Grundrechten

Sowohl das Amtsgericht Königs Wusterhausen als auch das Brandenburgische Oberlandesgericht lehnten das ab. Zwar könne ein Familiengericht bei einer Kindeswohlgefährdung Maßnahmen gegen Dritte einleiten, dazu gehörten der Staat und seine Institutionen aber nicht.

Dem stimmte nun auch das Bundesverfassungsgericht zu. Die Verfassungsbeschwerde sei unzulässig, eine Verletzung von Grundrechten sei nicht ersichtlich. Zum einen habe die Mutter ihre Verfassungsbeschwerde zu spät begründet. Zum anderen hätten Familiengerichte nach dem Gesetz keine Befugnis „zum Erlass von Anordnungen zur Durchsetzung des Kindeswohls gegenüber Behörden und sonstigen Trägern der öffentlichen Gewalt“.

Az.: 1 BvR 2318/21



Landessozialgericht

Kurzarbeitergeld gibt es erst nach Antragseingang



Stuttgart (epd). Beim Antrag auf Kurzarbeitergeld und einer Erstattung pauschalierter Sozialversicherungsbeiträge müssen Arbeitgeber für den rechtzeitigen Zugang bei der Bundesagentur für Arbeit (BA) sorgen. Kommt der schriftliche Antrag erst verspätet bei der Behörde ein, besteht erst ab Monat des Eingangs Anspruch auf die Leistung, entschied das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg in einem am 26. Februar veröffentlichten Urteil. Das Risiko für den verspäteten Zugang oder für den auf den Postweg verloren gegangenen Antrag trage der Arbeitgeber, so die Stuttgarter Richter.

Im konkreten Fall ging es um den Betreiber eines Landgasthofs und Hotels aus dem Raum Pforzheim. Wegen der Corona-Pandemie beantragte er für seine neun Beschäftigten im März 2020 Kurzarbeitergeld und die damit ebenfalls mögliche pauschalierte Erstattung von Sozialversicherungsbeiträgen.

Auf dem Postweg verloren gegangen

Als bei einem Telefonat mit der BA Ende April der Sachbearbeiter darauf hinwies, dass noch kein Kurzarbeitergeldantrag vorliege, versandte die vom Arbeitgeber beauftragte Steuerberatungskanzlei im Mai den Antrag noch einmal per E-Mail an die Behörde. Als Antragsdatum war der 19. März 2020 angegeben. Daraufhin wurde dem Arbeitgeber das Kurzarbeitergeld und die Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge erst ab Mai bewilligt.

Der Gasthofbetreiber meinte, dass ihm auch für März und April 2020 das Kurzarbeitergeld zustehe, das er den Beschäftigten dann auszahlt. Er verwies darauf, dass der Antrag wohl auf dem Postweg verloren gegangen ist.

Doch der klagende Arbeitgeber hat für die Monate März und April 2020 keinen Anspruch auf die begehrten Leistungen, urteilte das LSG. Nach dem Gesetz stehe ihm das Kurzarbeitergeld und die pauschalierte Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge erst ab dem Kalendermonat zu, in dem der schriftliche Antrag bei der BA eingegangen ist. Dies sei hier im Mai 2020 erfolgt.

Komme ein Antrag wegen langer Postlaufzeiten zu spät ein oder gehe auf dem Postweg ganz verloren, trage das Risiko der Arbeitgeber. Rückwirkend stehe dem Arbeitgeber kein Anspruch zu.

Az.: L 3 AL 1175/21



Verwaltungsgerichtshof

Hausordnung in Freiburger Flüchtlingsheim teilweise rechtswidrig



Mannheim (epd). Die frühere Hausordnung in der Landeserstaufnahme-Einrichtung (LEA) in Freiburg entsprach teilweise nicht geltendem Recht. Einer Klausel, die Zimmerkontrollen erlaubte, fehlte die gesetzliche Grundlage, heißt es in einem am 24. Februar in Mannheim veröffentlichten Urteil des baden-württembergischen Verwaltungsgerichtshofs (VGH). Geklagt hatten zwei Menschen aus Ghana, die bereits im vergangenen Herbst aus der LEA ausgezogen sind.

Die Hausordnung sah vor, dass Mitarbeiter des Regierungspräsidiums und Beauftragte privater Dienstleister Zutritts- und Zimmerkontrollen vornehmen durften. Nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofs handelt es sich allerdings auch bei Schlafstätten für Flüchtlinge um Wohnungen, die vom Grundgesetz geschützt sind. Deshalb hätte es für Kontrollen eine besondere gesetzliche Vorschrift gebraucht.

Kontrollen beim Zutritt sind in Ordnung

Die von den Antragstellern ebenfalls beklagte Kontrolle beim Zutritt zur LEA wurde von den Richtern dagegen nicht beanstandet. Hier habe es keinen tiefgreifenden Grundrechtseingriff gegeben, argumentierten sie. Die beklagte Hausordnung ist bereits am 15. Dezember 2021 aufgehoben worden, die Leitung hat eine neue Hausordnung erlassen.

Die Verwaltungsrichter haben wegen der grundsätzlichen Bedeutung des Rechtsstreits eine Revision beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig zugelassen. Deshalb ist ihr Urteil noch nicht rechtskräftig.

Az.: 12 S 4089/20



Oberstes Landesgericht

Freispruch für Mönch in Kirchenasyl-Verfahren rechtskräftig



Die Entscheidung der Bamberger Richter war mit Spannung erwartet worden: Das Bayerische Oberste Landesgericht hat entschieden, dass die Gewährung von Kirchenasyl unter bestimmten Umständen straffrei bleiben kann.

Bamberg (epd). Geistliche, die Kirchenasyl gewähren, können in bestimmten Fällen straffrei bleiben. Das hat das Bayerische Oberste Landesgericht am 25. Februar in einem Grundsatzurteil entschieden. Damit folgte der 1. Strafsenat dem Urteil des Amtsgerichts Kitzingen, das einen Ordensbruder aus Unterfranken in erster Instanz freigesprochen hatte. Damit ist das Urteil des Kitzinger Amtsgerichts, das bundesweit Beachtung gefunden hatte, rechtskräftig.

Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt

Der Benediktiner-Bruder Abraham Sauer von der Abtei Münsterschwarzach hatte einem im palästinensischen Gazastreifen geborenen Mann in der Abtei Kirchenasyl gewährt und war wegen Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt angeklagt worden. Die Staatsanwaltschaft hatte nach dem Freispruch im vergangenen Jahr Rechtsmittel eingelegt.

Der Begründung des Freispruchs wegen Glaubens- und Gewissensgründe folgte das Oberste Landesgericht jedoch ausdrücklich nicht. In der Urteilsverkündung hieß es, der Senat könne das Handeln aus Gewissensnot nicht als Entschuldigungsgrund, der zur Straffreiheit führt, anerkennen. Der Gesetzgeber müsse klären, in welchen Fällen dieses Handeln gerechtfertigt sei. Stattdessen sei für den Freispruch relevant, dass der Ordensbruder nicht durch aktives Handeln zum unerlaubten Aufenthalt des Asylsuchenden beigetragen habe, sondern lediglich durch Unterlassung.

Um nach dem negativen Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf) die Unterbringungssituation aufzulösen, hätte der Geistliche den Asylsuchenden aktiv der Abtei verweisen müssen, was er nicht tat. Zudem sei er nicht verpflichtet gewesen, die Straftat eines anderen - in diesem Fall der unerlaubte Aufenthalt des Asylsuchenden - zu verhindern.

Vereinbarung zwischen Bamf und den Kirchen

Der Senat knüpfte die Straffreiheit allerdings daran, dass sich Geistliche an gewisse Abläufe halten müssten, die bereits 2015 in einer Vereinbarung zwischen dem Bamf und den Kirchen festgelegt wurden. Sollte vom Bamf nach der Einzelfallprüfung ein negativer Bescheid für die asylsuchende Person eintreffen, seien Geistliche nicht verpflichtet, gegen den Willen der Betroffenen das Kirchenasyl zu beenden. Die Geistlichen dürften Asylbewerber aber auch nicht dazu ermutigen, im Kirchenasyl zu bleiben.

Der freigesprochene Benediktiner-Bruder Abraham Sauer war aufgrund einer Corona-Erkrankung nicht selbst bei der Verhandlung in Bamberg zugegen. Sein Rechtsanwalt Franz Bethäuser äußerte sich nach der Verhandlung „erfreut, dass der Senat sich so ausführlich mit der Thematik beschäftigt hat“. Für andere offene Kirchenasyl-Verfahren, wie das gegen die oberfränkische Benediktiner-Äbtissin Mutter Mechthild Thürmer, bedeute das: „Es müsste einen Freispruch geben.“

Julia Riese


Arbeitsgericht

Ohne pflegerische Tätigkeit kein Anspruch auf höchste Corona-Prämie



Koblenz (epd). Reinigungskräfte in Pflegeheimen oder im ambulanten Bereich können wegen einer fehlenden pflegerischen Tätigkeit für 2020 keine höhere Corona-Prämie verlangen. Zwar sieht die für das erste Pandemie-Jahr eingeführte Prämie für die „direkte Pflege und Betreuung von Pflegebedürftigen“ eine 1.000 Euro hohe Sonderzahlung vor, betonte das Arbeitsgericht Koblenz in einem am 18. Februar veröffentlichten Urteil. Mit Betreuung sei aber eine pflegerische Betreuung gemeint und nicht die Grundreinigung von Wohnräumen und Sanitäreinrichtungen. Reinigungskräfte stehe nur die geringere Corona-Prämie von 334 Euro zu.

Der Bund hatte wegen der Belastungen von Beschäftigten in Pflegeeinrichtungen im Zuge der Corona-Pandemie vom 1. März 2020 bis einschließlich 31. Oktober 2020 eine Corona-Prämie gesetzlich festgelegt. Danach erhielten Vollzeitbeschäftigte, die mindestens drei Monate in einer zugelassenen Pflegeeinrichtung oder im ambulanten Bereich Pflegebedürftige „direkt“ gepflegt und „betreut“ haben, Prämie von 1.000 Euro.

Erhöhtes Ansteckungsrisiko

Waren Beschäftigte in einem Umfang von mindestens 25 Prozent ihrer Arbeitszeit gemeinsam mit den Pflegebedürftigen „tagesstrukturierend, aktivierend, betreuend oder pflegend“ tätig, gab es 667 Euro. Dies können auch Beschäftigte der Küche, der Gebäudereinigung oder der Verwaltung sein. Alle übrigen Beschäftigten bekamen 334 Euro Corona-Prämie.

Die in einer Pflegeeinrichtung als Reinigungskraft beschäftigte Klägerin meinte, dass sie auch Anspruch auf die 1.000 Euro hohe Corona-Prämie habe. Mit der Grundreinigung der Wohnräume und der Sanitäreinrichtung betreue sie auch die Bewohnerinnen und Bewohner und sei einem erhöhten Ansteckungsrisiko ausgesetzt.

334 Euro ausreichend

Das Arbeitsgericht wies die Klage ab. Mit „Betreuung“ sei eine pflegerische Betreuung gemeint. Diese Tätigkeit leisteten insbesondere neben Pflegefach- und Pflegehilfskräften auch Alltagsbegleiterinnen und Alltagsbegleiter, Betreuungskräfte, Assistenzkräfte und Präsenzkräfte. Auch Beschäftigte in der hauswirtschaftlichen Versorgung könnten dazu gehören. Entscheidend für den Anspruch auf die Höchstprämie seien aber „schwerpunktmäßig Arbeitsleistungen in der direkten Pflege und Betreuung“.

Die Klägerin habe aber lediglich die Räumlichkeiten gereinigt. Sie habe daher zu Recht nur die geringere Corona-Prämie in Höhe von 334 Euro erhalten. Damit wurde ausreichend gewürdigt, dass sie ebenso Kontakt zu den zur Hochrisikogruppe zählenden oder bereits erkrankten Pflegebedürftigen gehabt hatte.

Az.: 10 Ca 1044/21




sozial-Köpfe

Missbrauch

Sachlich im Ton, hart in der Sache




Johannes-Wilhelm Rörig
epd-bild/Christian Ditsch
Mehr als zehn Jahre war Johannes-Wilhelm Rörig Missbrauchsbeauftragter der Bundesregierung. Er band Betroffene in die Arbeit ein und verankerte Standards für die Aufarbeitung sexualisierter Gewalt an Kindern. Nun scheidet er aus dem Amt.

Berlin (epd). Sein Ton und seine Wortwahl haben im Laufe seiner Amtszeit an Dringlichkeit zugenommen, aber das Auffälligste am scheidenden Missbrauchsbeauftragten Johannes-Wilhelm Rörig ist seine Beherrschtheit. Selten äußerte er sich so deutlich wie zum Missbrauchs-Gutachten für das Erzbistum München und Freising. „Mir hat die beschämende Kaltherzigkeit höchster Kleriker im Umgang mit sexuell missbrauchten Kindern und Jugendlichen beinahe die Sprache verschlagen“, sagte Rörig dem Evangelischen Pressedienst (epd) nach der Veröffentlichung am 20. Januar.

„Ein herausforderndes Amt“

Mehr als zehn Jahre war Rörig Missbrauchsbeauftragter der Bundesregierung, nun hört er auf, wie er am 28. Februar mitteilte. Regulär hätte der 62-Jährige sein Amt noch bis 2024 innegehabt. Es wird nun zunächst kommissarisch von der Arbeitsstableiterin Manuela Stötzel geführt, bevor die Bundesregierung eine Nachfolgerin oder einen Nachfolger benennt. Das soll zügig geschehen, teilte das Bundesfamilienministerium, in dem das Amt angesiedelt ist, mit.

Er habe überlegt, ob er überhaupt in eine dritte Amtszeit gehen solle, sagte er dem epd, nachdem er im Dezember 2020 seinen vorzeitigen Rückzug angekündigt hatte: „Es ist ein herausforderndes Amt.“ Er entschloss sich weiterzumachen, bis jetzt. Sein Motiv war „Leid lindern zu können“. Dabei verstand er sich als Mittler: „Ich will, dass diejenigen, die Missbrauch verhindern können, ihr Maximum tun.“ Er verhandelte mit den Spitzenvertretern von Kirchen und Verbänden und stärkte zugleich die Interessenvertretung von Betroffenen durch einen Beirat und eine Aufarbeitungskommission.

Sexuelle Gewalt sei ein „Grundrisiko“ einer Kindheit in Deutschland, sagte Rörig häufig. Rechnerisch sitzen in jeder Schulklasse ein bis zwei Kinder mit Missbrauchserfahrungen. Im Internet haben Missbrauchsfilme und -bilder Hochkonjunktur - während der Corona-Lockdowns stieg der Konsum in Europa um ein Drittel.

Monströse Missbrauchsfälle

In Rörigs Amtszeit fielen die monströsen Missbrauchsfälle von Staufen, Lügde, Bergisch Gladbach und Münster. Er kritisierte das Versagen der Behörden, sachlich im Ton, hart in der Sache, und forderte Konsequenzen für Verwaltung, Polizei und Justiz. Der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul (CDU) erwarb sich Rörigs Anerkennung, als er die Verfolgung und Aufklärung der Verbrechen zur Chefsache machte. Eine Ausnahme, so Rörig, dabei hätten die Bundesländer „mit ihren Zuständigkeiten für Jugend, Bildung, Polizei, Justiz und Gesundheit im Kampf gegen Missbrauch den Schlüssel in der Hand“.

Im Umgang mit den Kirchen, deren Skandale 2010 zur Berufung der ersten Missbrauchsbeauftragten Christine Bergmann geführt hatten, zeigte sich ihr Nachfolger als geduldiger Pragmatiker. Bis Rörig im Juni 2020 mit dem katholischen Bischof Stephan Ackermann eine „Gemeinsame Erklärung“ unterschreiben konnte, die den Diözesen die Kontrolle über die Aufarbeitung entziehen soll, hatte er jahrelang verhandeln müssen. Eine ähnliche Vereinbarung mit der evangelischen Kirche steht immer noch aus.

Unabhängige Aufarbeitung

Sein Amt hatte Rörig am 1. Dezember 2011 von Christine Bergmann übernommen, der ehemaligen Bundesfamilienministerin und SPD-Politikerin aus Ostberlin, mit der ihn eine lange Arbeitsbeziehung verbindet. Er leitete Anfang der 1990er Jahre Bergmanns Büro, als sie Berliner Bürgermeisterin und Arbeitssenatorin war. 1998 folgte er ihr als Büroleiter ins Bundesfamilienministerium und blieb dort in leitenden Funktionen, bis er zum Missbrauchsbeauftragten berufen wurde.

Angesichts des nicht abnehmenden Ausmaßes sexueller Gewalt gegen Kinder und des Versagens der Kirchen bei der Aufarbeitung ihrer Skandale forderte Rörig stets, die Politik müsse hier wie dort mehr tun. Den Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP bewertete er als „großen Fortschritt“. Die Ampel-Koalition will seine Forderung nach einer gesetzlichen Absicherung des Beauftragtenamts erfüllen und hat sich auch verpflichtet, eine unabhängige Aufarbeitung notfalls gesetzlich zu regeln. Das könnte auf eine vom Parlament eingesetzte „Wahrheitskommission“ hinauslaufen. Rörig jedenfalls kann hoffen, dass die Politik künftig nicht „nur dann reagiert, wenn es wieder Skandalfälle gibt“, wie er einmal recht bitter bemerkte.

Bettina Markmeyer


Weitere Personalien



Matthias Ristau (53), evangelischer Seemannspastor der Nordkirche, hat in Hamburg sein neues Amt als Generalsekretär der Deutschen Seemannsmission angetreten. Die Generalversammlung hatte Ristau bereits im Oktober 2021 zum Nachfolger von Christoph Ernst gewählt, der nach internen Querelen zurückgetreten war. Im März 2020 war die Zentrale der Deutschen Seemannsmission von Bremen in das Ökumenische Forum in der Hamburger Hafencity gezogen. Ristau war acht Jahre lang als Seemannspastor für die seelsorgerliche Begleitung von Seeleuten in Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern zuständig. Der Theologe verbrachte mehrere Jahre in Brasilien. Danach war er Pastor an der Sozialkirche St. Matthäus in Kiel-Gaarden. Zur Deutschen Seemannsmission gehören rund 30 Stationen im In- und Ausland. Mehr als 700 Haupt- und Ehrenamtliche leisten auf Schiffen, in Seemannsclubs und in Seemannsheimen Seelsorge und Sozialarbeit.

Kathrin Thiel ist neue Professorin für Interaktion und Beratung in Non-Profit-Organisationen an der Internationale Hochschule (IHL) in Bad Liebenzell. Thiel studierte Psychologie und Grundschullehramt an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt und promovierte dort im Bereich Psychologie mit einer Dissertation über „Organisation, Motivation und Konflikte in der Freiwilligenarbeit“. Nach ihrer Tätigkeit als wissenschaftliche Assistentin in Eichstätt war die Fränkin von 2018 bis 2021 als Regionalreferentin der Hochschul-SMD, einem Netzwerk christlicher Hochschulgruppen, tätig. Die Internationale Hochschule Liebenzell steht in Trägerschaft der Liebenzeller Mission.

Harald Schröder (65), Obdachlosen-Seelsorger in Bremen, ist in den Ruhestand verabschiedet worden. Schröder habe parteiisch auf der Seite der armen Menschen gestanden, sagte Landesdiakoniepastor Manfred Meyer bei der Entpflichtung des 65-jährigen Diakons in der Stadtkirche Unser Lieben Frauen. Der leitende evangelische Theologe zeichnete Schröder für diese Arbeit mit dem Goldenen Kronenkreuz der Diakonie aus. Zuletzt hat Schröder in der Bremer Innenstadt und vor allem rund um den Hauptbahnhof für die aufsuchende Seelsorge an Menschen gearbeitet, die in Armut leben. Er begann seine Arbeit in Bremen im November 2012.

Barbara Klamt wird ab 1. November Geschäftsführerin der Evangelischen Jugendsozialarbeit in Bayern (ejsa). Der erweiterte Vorstand der ejsa bestimmte sie zur Nachfolgerin von Klaus Umbach bestimmt, der in den Ruhestand geht. Klamt ist seit 2019 Geschäftsführerin der LAG Jugendsozialarbeit Bayern und Landesreferentin der berufsbezogenen Jugendhilfe bei der ejsa Bayern. Die Diplom-Caritastheologin und Diplom-Sozialpädagogin leitete zuvor zehn Jahre lang die Jugendwerkstatt Ökomobil Garten- und Landschaftsbau München.

Ruth Wick wird am 9. März 100 Jahre alt. Die frühere Hausmutter auf der Burg Reichenberg bei Oppenweiler, einem Wohnheim der Evangelischen Gesellschaft (eva), kam nach ihrer Heirat 1947 ins Bruderhaus der Gustav-Werner-Stiftung nach Reutlingen. Ihr Mann, Diakon Paul Wick, arbeitete dort als Gärtnermeister. 1964 wurden sie und ihr Mann Hauseltern auf der Burg Reichenberg der eva, damals ein Wohnheim für Frauen mit Behinderung. Heute ist die Burg ein Internat für das Berufsbildungswerk der Paulinenpflege Winnenden. Ruth Wick lebt bei ihrer Tochter und ihrem Schwiegersohn auf einer Bio-Rinderfarm in Endingen bei Balingen.

Britta Dalhoff hat am 1. März die Leitung der Landesvertretung der DAK-Gesundheit in Hessen übernommen. Die 41-Jährige ist seit 16 Jahren für die Krankenkasse tätig und kann unter anderem auf Erfahrungen als stellvertretende Leiterin der Landesvertretung Hessen zurückgreifen. Ihre Vorgängerin Sötkin Geitner war 21 Jahre für die DAK-Gesundheit tätig. Sie übernimmt die Position als Vorstandsvorsitzende des Medizinischen Dienstes Hessen.




sozial-Termine

Veranstaltungen bis April



Wir haben Tagungen, Seminare, Workshops und Webinare aufgelistet, die aktuell geplant sind. Wegen der Corona-Epidemie sagen Veranstalter allerdings Termine auch kurzfristig ab. Wir bitten unsere Leserinnen und Leser, das zu beachten.

März

16.3.

Online-Fortbildung „Suchtprävention für Menschen mit Migrations- und Fluchtgeschichte“

der Paritätischen Akademie Berlin

Tel.: 030/275828-212

16.3.

Online-Fortbildung „Blended Counseling - ein Beratungsmodell mit niedrigschwelligen Zugangsmöglichkeiten zu Ratsuchenden“

der Fortbildungsakademie des Deutschen Caritasverbandes

21.-22.3.

Online-Seminar: „Traumapädagogische Ansätze im Umgang mit jungen psychisch erkrankten Erwachsenen“

der Bundesakademie für Kirche und Diakonie

Tel.: 0172/30128-19

22.3.

Online-Seminar „Reform des Stiftungsrechts“

der Unternehmensberatung Solidaris

Tel.: 02203/8997-221

22.-23.3.

Online-Seminar „Trends in der Arbeitsmarktpolitik“

der AWO Bundesakademie

Tel.: 030/26309-404

23.-25.3.

Online-Fortbildung: „Das operative Geschäft: Steuerung und Controlling in der Eingliederungshilfe“

der Bundesakademie für Kirche und Diakonie

Tel.: 0172/30128-19

28.-30.3. Paderborn:

Seminar „SystemsprengerInnen - Kinder und Jugendliche mit komplexem Hilfebedarf“

der IN VIA Fortbildungsakademie

Tel.: 05251/2908-38

29.3. Köln

Seminar „Grundlagen des Arbeitsrechtes in Einrichtungen der Sozialwirtschaft - Gestaltungsspielräume nutzen“

der BFS Service GmbH

Tel.: 0221/97356-159

30.-31.3. Berlin:

Fortbildung „ Keine Krise mit der Krise - Hilfreich bleiben auch in Ausnahmesituationen“

der Bundesakademie für Kirche und Diakonie

Tel.: 0172/3012819

30.3.-1.4. Marktbreit

Seminar „Grundlagen des Zuwendungsrechts“

der AWO Bundesakademie

Tel.: 030/26309-139

31.3.-1.4.

Online-Fortbildung „Teams entwickeln, einschätzen und kompetent begleiten“

der Paritätischen Akademie Nord

Tel.: 040/415201-66

April

4.-6.4.

Seminar „Arbeit in Familien mit psychischen Auffälligkeiten - Fallstricken in der Familienpflege widerstehen“

der Fortbildungsakademie des Deutschen Caritasverbandes

Tel.: 0761/2001700

7.-8.4. Berlin

Seminar „Teilhabe organisieren mit einem teilhabebasierten Organisationsmodell - Kollegiale Führung und agile Organisationsentwicklung in der Eingliederungshilfe“

der Bundesakademie für Kirche und Diakonie

Tel.: 0172/30128-19

20.-22.4. Berlin

Fortbildung „Quartiers-, Sozialraum- und Netzwerkarbeit“

der AWO Bundesakademie

Tel.: 030/26309-139

27.4. Hamburg

Seminar „Controlling für Einrichtungen der Eingliederungshilfe“

der Unternehmensberatung Solidaris

Tel.: 040/359060

28.4. Hamburg

Seminar „Pflegesatzverhandlungen in der stationären Altenhilfe“

der Unternehmensberatung Solidaris

Tel.: 040/359060