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Kriminalität

Richter befragt Högel als Zeugen zu konkreten Todesfällen




Niels Högel (Archivbild)
epd-bild/Hauke-Christian Dittrich/dpa-Poolfoto
Erstmals wird im Prozess gegen die früheren Vorgesetzten des Patientenmörders Niels Högel über konkrete Todesfälle gesprochen. Es geht um die Frage, ob die Vorgesetzten ihn hätten stoppen können. Die Anwälte versuchen, Högel als Zeugen unglaubwürdig zu machen.

Oldenburg (epd). Vor dem Landgericht Oldenburg hat der Patientenmörder Niels Högel im Prozess gegen sieben frühere Vorgesetzte am 1. und 2. März erstmals zu konkreten Todesfällen ausgesagt. Die Staatsanwaltschaft wirft den Angeklagten Beihilfe zum Totschlag durch Unterlassen vor. Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft hätten sie viele Mordtaten Högels verhindern können, wenn sie nicht weggeschaut hätten (Az.: 5 Ks 20/16).

Keine Erinnerung an Todesfälle

An die zur Verhandlung stehenden drei Todesfälle im November 2001 im Klinikum Oldenburg konnte sich Högel spontan nicht erinnern. Auch zu vier der fünf Todesfälle im Mai und Juni 2005 im Krankenhaus Delmenhorst machte er keine Angaben. Doch an den letzten aufgerufenen Fall erinnere er sich lebhaft, sagte Högel.

Damals, am 6. Juni 2005, vergiftete er den Patienten Dieter M. mit dem Medikament Gilorytmal und wurde dabei auf frischer Tat ertappt. Zwar überlebte M. zunächst den Anschlag, starb dann aber am 22. Juni. M. war Högels vorletztes Opfer. Seine Vorgesetzten entschieden damals, dass Högel noch zwei Dienste bis zu seinem bevorstehenden Urlaub arbeiten sollte. In seiner letzten Schicht ermordete er dann Renate R. mit dem Medikament Sotalex.

Wie schon in seinem eigenen Mordprozess 2018/2019 schilderte Högel detailliert die Intensivstation, wo er das Medikament Gilorytmal aus einem für alle zugänglichen Schrank entnahm und wie er dann vier Ampullen des Wirkstoffs auf eine Spritze zog. Er wisse auch noch, dass er von der rechten Seite ans Patientenbett herangetreten sei und seine Spritze in einen freien Venenzugang injiziert habe.

Keine Spuren verwischt

An den Patienten könne er sich gut erinnern, da er einer der ersten Thorax-Patienten auf der Station gewesen sei. Die Pflege dieses Patienten sei aufwendig gewesen, obwohl die Überlebenschancen nicht gut gestanden hätten, erinnerte sich Högel. Damals habe er schon nicht mehr darauf geachtet, die Spuren seiner Tat zu verschleiern. Irgendwie habe er sogar gehofft, endlich erwischt zu werden. Der Prozesstag endete mit der Vernehmung Högels durch den Vorsitzenden Richter Sebastian Bührmann. Die 18 Verteidigerinnen und Verteidiger der Angeklagten dürfen ihn am 8. März befragen.

Im Verlauf des Tages zogen die Anwälte in verschieden Anmerkungen weiter die Glaubhaftigkeit von Högels Aussagen in Zweifel. Sie thematisierten den Erwartungsdruck, unter dem der Zeuge stehe. Ein Anwalt sagte zu Högel, sei verantwortlich für den Tod „von mehr Menschen, als hier im Saal sitzen“. Ein anderer Verteidiger sprach die erkennbare Schutzweste unter Högels Pullover an. „Die ganze Vorbereitung, dann die Schutzweste - das macht doch auch was mit einem Zeugen.“

Unter den Angeklagten im Prozess sind Ärzte, Verantwortliche aus der Pflege und ein früherer Geschäftsführer. Ihnen wird Beihilfe zur Tötung durch Unterlassen vorgeworfen. Der Ex-Krankenpfleger Högel war am 6. Juni 2019 vom Oldenburger Landgericht wegen insgesamt 85 Morden zu einer lebenslangen Haft verurteilt worden. Er hatte Patienten mit Medikamenten vergiftet, um sie anschließend reanimieren zu können. So wollte er als Lebensretter glänzen.

Jörg Nielsen