Hannover, Göttingen (epd). Sabine Bauer (Name geändert), sieht in der einrichtungsbezogenen Impfpflicht eine Diskriminierung. Die 62-Jährige, die in einem Altenheim in Hannover beschäftigt ist, hat sich zwar aus Überzeugung gegen das Coronavirus impfen lassen. Etliche der rund 70 Beschäftigten im Heim hätten dies aber ohne Überzeugung getan: „Da ist einfach sehr viel Druck auf die Kollegen aufgebaut worden, indem die Einrichtungsleitung mehrfach und sehr deutlich auf die Konsequenzen bei Nichtimpfung hingewiesen hat“, bemängelt sie. „Und das in einem Beruf, in dem wir seit zwei Jahren unter Hochdruck die Kohlen aus dem Feuer holen müssen.“
Am 15. März soll die einrichtungsbezogene Impfpflicht bundesweit in Kraft treten. Von diesem Tag an müssen Pflegekräfte und Beschäftigte von Gesundheitseinrichtungen ohne Corona-Impfung mit drastischen Konsequenzen rechnen - von einem Bußgeld bis zu einer unbezahlten Freistellung vom Dienst oder gar einer Kündigung. Ziel des Gesetzes ist der Schutz von Patienten und Pflegebedürftigen vor einer möglicherweise lebensbedrohlichen Corona-Infektion.
Laut aktueller Zahlen des niedersächsischen Gesundheitsministeriums liegt die Impfquote in allen Bereichen der stationären und ambulanten Pflege bei mindestens 90, teilweise bis zu 95 Prozent. Die Pflegeunternehmerin Nadya Klarmann bezeichnet eine auf ihre Branche begrenzte Impfpflicht allerdings als „zu kurz gedacht“. „Wir brauchen mindestens eine Impfpflicht für besonders vulnerable Menschen und ihre Kontaktpersonen, zu denen neben Pflegekräfte auch viele andere Menschen zählen.“
Trotz einer sehr hohen Impfquote auch in ihrer in Hannover ansässigen Firma für ambulante Pflegedienste habe es erst kürzlich einen größeren Ausbruch bei Pflegenden und Patienten gegeben. „Zum Glück verlief er für alle Betroffenen mild oder symptomlos, weil sie durchweg geimpft waren“, sagt Klarmann, die bis 2021 Präsidentin der inzwischen abgewickelten Pflegekammer Niedersachsen war. Erfahrungen wie diese zeigten, dass die Impfung eine Weitergabe des Virus nicht im erhofften Maß verhindere, aber wesentlich zum Schutz der Schwächsten beitrage.
Deshalb befürwortet die examinierte Altenpflegerin eine allgemeine Impfpflicht, weil sie alle Menschen gleichermaßen schütze und zudem nicht nur die Pflegenden, sondern die Gesellschaft insgesamt in die Pflicht nehme. „Wenn Impfpflicht, dann für alle: Das wäre aus meiner Sicht nicht nur wirksamer zur Pandemiebekämpfung, sondern auch ein Signal, dass wir mit der Verantwortung nicht allein gelassen werden, nicht der Buhmann sind“, unterstreicht Klarmann.
Auch Sven Schumacher, Vorsitzender des Niedersächsischen Evangelischen Verbandes für Altenhilfe und Pflege (Nevap), sieht die Pflegebranche nicht in der Bringschuld. „Die Kolleginnen und Kollegen tragen seit zwei Jahren erhöhte Verantwortung für die ihnen anvertrauten Menschen und machen einen hervorragenden Job. Sie haben geliefert“, sagt der Pastor, der für rund 320 Altenhilfeeinrichtungen in Niedersachsen spricht.
„Es wäre an der Zeit, jetzt zu der Solidarität zurückzukehren, die zu Beginn der Pandemie spürbar war“, sagt der Nevap-Vorsitzende. Das bedeute zu begreifen, „dass es nicht nur auf den Beitrag der Pflegekräfte, sondern aller ankommt, damit wir so gut wie möglich mit diesem Virus klarkommen“.
Altenpfleger Milan Pengö war zunächst für eine einrichtungsbezogene Impfpflicht. „Ich fand es gut und richtig, dass die Debatte all denen Druck macht, die sich unsolidarisch verhalten“, sagt der 39-Jährige, der als Altenpfleger in einer Pflegeeinrichtung in Südniedersachsen arbeitet. Doch zunehmend sei die Sorge in den Vordergrund gerückt, dass die ohnehin schon angespannte Situation im Haus durch eine einrichtungsbezogene Impfpflicht kritisch werden könne.
Die Anzahl der ungeimpften Kolleginnen und Kollegen bezeichnet Pengö als signifikant. „Schon jetzt fehlen quarantänebedingt immer wieder Kolleginnen und Kollegen. Wenn es zusätzlich ab Mitte März zu Freistellungen oder Kündigungen kommt, wird es schwer, “, befürchtet er.gute Pflege sicherzustellen
Zudem gibt er zu bedenken, dass die Bewohnerinnen und Bewohner durchweg drei- oder vierfach geimpft seien und mit der Omikron-Variante fast ausschließlich milde Krankheitsverläufe hätten oder symptomfrei blieben. Daher sollte darüber nachgedacht werden, die strikten Regeln so weit außer Kraft zu setzen, dass auch positiv getestete, aber symptomfreie Pflegekräfte ihrer Arbeit nachgehen könnten, regt Pengö an: „Wenn man das aktuell geringe Risiko schwerer Krankheitsverläufe ins Verhältnis zur realen Gefahr eines Pflegekollaps in manchen Häusern setzt, scheint mir das der klügere Weg.“