Brüssel (epd). Sie putzen oder schreiben, bringen Pizza nach Hause und übersetzen Texte: Sogenannte Plattformarbeiter erledigen verschiedene Jobs, eine Gemeinsamkeit haben sie: Ihre Arbeit wird über eine Online-Plattform vermittelt. Ein Teil dieser Erwerbstätigen hat eine weitere Gemeinsamkeit: Sie sind formal selbstständig, obwohl sie eigentlich einen Arbeitsvertrag besitzen müssten - und damit entsprechende Rechte. Ihnen will die EU mit einem neuen Gesetz zu Hilfe kommen.
„Schätzungen zufolge werden neun von zehn der Personen, die in der EU auf digitalen Plattformen tätig sind, derzeit als Selbstständige eingestuft.“ So steht es im Entwurf der Richtlinie „zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Plattformarbeit“, den die EU-Kommission im Dezember in Brüssel vorgelegt hat. Die meisten seien auch tatsächlich selbstständig.
„Es gibt jedoch auch viele Menschen, bei denen gegenüber den digitalen Arbeitsplattformen, über die sie tätig sind, ein Untergebenenverhältnis besteht“, heißt es in der Richtlinie weiter. Einer Schätzung zufolge könnten es in der EU bis zu 5,5 Millionen sein. Sie seien „besonders gefährdet, schlechte Arbeitsbedingungen und einen unzureichenden Zugang zum Sozialschutz zu haben“, so der Gesetzestext. Und: „Infolge der Falscheinstufung kommen sie nicht in den Genuss der Rechte und des Schutzes, die ihnen als Arbeitnehmer zustehen.“ Dazu zählen etwa Mindestlohn und bezahlter Urlaub, Absicherung bei Krankheit und Arbeitslosigkeit.
Das will die Kommission ändern. Ihr Vorschlag enthält daher „klare Kriterien dafür, wie festzustellen ist, ob eine Plattform ein Arbeitgeber ist“, erklärte Sozialkommissar Nicolas Schmit. Eines der Kriterien ist die „Überwachung der Arbeitsleistung“, ein anderes die „effektive Einschränkung der Möglichkeit, einen Kundenstamm aufzubauen“. Sind zwei Kriterien erfüllt und kontrolliert die Plattform dadurch die Arbeitsleistung, gilt das als Beleg für ein Arbeitsverhältnis - mit allen Rechten und Pflichten für beide Seiten, die nach den jeweiligen nationalen Gesetzen daraus folgen.
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) kritisiert den Vorschlag. Die Kriterien seien „unzureichend“ definiert, der Plan greife erheblich ins nationale Arbeitsrecht ein. Außerdem: „Die Beweislastumkehr zulasten der Plattformunternehmen widerspricht der Darlegungs- und Beweislast im deutschen Prozessrecht.“ Die BDA hätte sich „mehr Vertrauen in nationale Lösungen gewünscht“.
Die Gegenseite vertritt die Gewerkschaft ver.di. Veronika Mirschel lobt, dass der Richtlinienvorschlag „die Verantwortung der Plattformen“ für ihre Mitarbeiter anerkenne. Diese könnten sich nicht mehr darauf zurückziehen, nur Technik zur Vermittlung von Arbeit bereitzustellen. Auch dass ein früher diskutierter „dritter Status extra für Plattformarbeiter“ vom Tisch sei, findet Mirschel gut. „Man ist entweder abhängig beschäftigt oder selbstständig.“
Kritisch beurteilt die Gewerkschafterin aber die angepeilte zeitliche Geltung des Gesetzes. Es würde nämlich nur Vertragsverhältnisse erfassen ab dem Zeitpunkt, an dem die nationalen Umsetzungsvorschriften in Kraft treten - und nicht rückwirkend. Mirschel spricht von unangemessenem „Bestandsschutz“.
Für „im Kern richtig und überfällig“ hält der Europaabgeordnete Dennis Radtke (CDU) das Gesetzesvorhaben. Dieses stärke nämlich nicht nur Rechte der Plattformarbeiter. „Es geht auch um fairen Wettbewerb.“ Denn der Wettbewerb würde verzerrt, wenn die eine Firma Mindestlöhne zahlt und die andere nicht, weil die eine ihre Mitarbeiter als abhängig Beschäftigte anerkennt und die andere es fälschlicherweise nicht tut, sagt Radtke.
Doch auch den wirklich Selbstständigen könne die Klärung ihres Status anhand der vorgeschlagenen Gesetzeskriterien nützen, glaubt der Sozialpolitiker aus dem Ruhrgebiet. „Sie werden nicht in ein Arbeitsverhältnis gezwungen, in das sie nicht hineingehören.“