Kirchen

Osterbotschaften der Kirchen geprägt vom Krieg in der Ukraine




Entzünden einer Osterkerze
epd-bild/Jens Schulze
Das Osterfest war in diesem Jahr von dem Krieg in der Ukraine überschattet. In ihren Predigten und Botschaften prangerten Kirchenvertreter das durch den Krieg erzeugte Leid an - und riefen dennoch zu Zuversicht und Hoffnung auf.

Frankfurt a.M. (epd). Der Krieg in der Ukraine, aber auch Aufrufe zu Hoffnung und Zuversicht haben in diesem Jahr im Mittelpunkt der Osterbotschaften der Kirchen gestanden. Erstmals seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie erteilte Papst Franziskus am Ostersonntag wieder vor Zehntausenden Gläubigen auf dem Petersplatz in Rom den Segen „Urbi et Orbi“ (Der Stadt und dem Erdkreis). Der Papst rief zum Frieden in der Ukraine auf und forderte auch für andere Länder wie Libyen das Niederlegen der Waffen sowie Gerechtigkeit. Auch in Deutschland prangerten evangelische und katholische Geistliche die Folgen des russischen Angriffs auf die Ukraine an. Wegen einer Corona-Infektion gab es keine Osterpredigten der Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Annette Kurschus.

Bei der Ostermesse in Rom sagte Papst Franziskus, er trage die vielen ukrainischen Toten, die Millionen Flüchtlinge, die auseinandergerissenen Familien und die alleine gelassenen alten Menschen in seinem Herzen. „Unsere Gesichter haben an diesem Osterfest in Kriegszeiten einen ungläubigen Ausdruck“, sagte Franziskus. „Wir haben zu viel Blutvergießen, zu viel Gewalt gesehen.“

Annette Kurschus an Corona erkrankt

In Deutschland bestärkte der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, im Limburger Dom die Hoffnung auf positive Veränderung. „Nur hoffend können wir unser Leben gut führen.“ Bätzing betonte, die Welt sei wahrhaftig kein Paradies. „Unsere Welt ist nicht nur schön und gut. Und wir sind nicht unschuldig daran“, sagte er mit Blick unter anderem auf Kriege und den Klimawandel. Doch die Hoffnung sollten die Menschen nicht aufgeben. Die EKD-Ratsvorsitzende Kurschus musste ihre für Sonntag und Montag geplanten Gottesdienste wegen einer Corona-Erkrankung absagen, wie die Evangelische Kirche von Westfalen mitteilte. Bereits vor den Ostertagen hatte Kurschus die Gültigkeit der Osterbotschaft betont und sie als Antwort auf „die dumpfen Parolen des Angriffskrieges“ bezeichnet.

Am Ostersonntag prangerte der bayerische Landesbischof und ehemalige EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm in der Münchner Matthäuskirche das durch den Ukraine-Krieg hervorgebrachte Leid an. Die verzweifelten Menschen in der Ukraine wolle man in „unsere Mitte nehmen“, auch wenn sie weit weg seien, sagte er. „Und wir wollen auch die russischen Soldatenmütter in unsere Mitte nehmen, deren Söhne als Soldaten einer Angriffsarmee gefallen sind, die aber genauso um sie trauern.“

Der hannoversche Landesbischof Ralf Meister ging in seiner Predigt ebenfalls immer wieder auf den Krieg in der Ukraine ein. Dennoch rief er zu Zuversicht auf: „Christinnen und Christen sind Protestmenschen gegen den Tod.“ Der Glaube an die Auferstehung sei „der größte Hoffnungsspeicher“. Für die Menschen an Orten wie der Ukraine sei dieser Gedanke „ein Lebenselixier, weil ein Morgen angekündigt wird“.

ZDF-Fernsehgottesdienst mit Volker Jung

In dem aus der Saalkirche in Ingelheim am Rhein übertragenen ZDF-Fernsehgottesdienst sprach derweil der hessen-nassauische Kirchenpräsident Volker Jung den russischen Machthabern das Recht ab, in den traditionellen Osterjubel „Christus ist auferstanden“ einzustimmen. „Wenn Menschen andere Menschen angreifen, ihre Städte zerstören und töten, verbünden sie sich mit dem Tod“, sagte Jung am Sonntag. Sie dienten dem Tod und stellten sich gegen Gottes Botschaft vom Leben.

Christen in aller Welt feierten am Sonntag das Fest der Auferstehung Jesu Christi nach seinem Leiden am Kreuz. Ostern ist das älteste und wichtigste Fest der Christenheit. Es erinnert an die Mitte des christlichen Glaubens: die Auferstehung Jesu Christi von den Toten nach seinem Leiden und Sterben am Kreuz.



Osterbotschaften der Kirchen setzen auf Hoffnung



Krieg und Leid in der Ukraine bestimmten die kirchlichen Osterbotschaften in diesem Jahr. Jedoch warnten die Kirchenvertreter vor Resignation und setzten Hoffnungsbotschaften dagegen.

Düsseldorf (epd). Spitzenvertreter der Kirchen haben in ihren Karfreitags- und Osterpredigten den russischen Angriffskrieg in der Ukraine verurteilt und das Leid der Menschen beklagt. Zugleich stellten die Kirchen die Hoffnung auf Frieden ins Zentrum ihrer Osterbotschaften. Wegen einer Corona-Infektion gab es keine Osterpredigten der Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Annette Kurschus. Nach einem positiven Schnelltest am 14. April und einem positiven PCR-Test am 15. April hatte sie ihre geplanten Ostergottesdienste absagen müssen.

Präses Latzel: Mit Waffen unrechtmäßige Gewalt beenden

Der rheinische Präses Thorsten Latzel sagte am Ostersonntag, dass in den vergangenen Jahrhunderten die Gewaltgeschichte immer weitergegangen sei. Kultur, Bildung und Fortschritt hätten kaum etwas geändert. „Menschen töten Menschen“, betonte der leitende Theologe der Evangelischen Kirche im Rheinland laut Predigttext. Waffen könnten helfen, unrechtmäßige Gewalt zu beenden. „Überhaupt wieder Raum für Recht und Diplomatie zu schaffen. Dazu braucht es sie jetzt“, sagte Latzel. Allerdings schafften Waffen keinen Frieden. Dafür brauche es Menschen, „die Schwachen helfen, Kinder großziehen, Häuser renovieren, Blumen pflanzen“, erklärte er. „Auch wenn es Jahrzehnte dauert.“

Ostern erzählt dem lippischen Landessuperintendenten Dietmar Arends zufolge, dass Gewalt und Tod sowie die gewalttätigten Herrscher dieser Welt nicht das letzte Wort haben werden. Das Leben und Gott hätten das letzte Wort. „Das macht uns zu Anwälten für das Leben und zu Protestleuten, wie es mal jemand gesagt hat, gegen den Tod“, sagte er laut Predigttext.

Die Hoffnung auf positive Veränderungen bestärkte auch der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing. „Hoffnung als Lebensmittel. Denn nur hoffend können wir unser Leben gut führen“, sagte Bätzing in seiner Predigt im Limburger Dom. „Wenn wir die Hoffnung verlernen, verlernen wir das Zutrauen zum Leben.“

EKD-Ratsvorsitzende: Osterbotschaft trotz Krieg und Gewalt gültig

Bereits vor den Ostertagen hatte die EKD-Ratsvorsitzende Kurschus die Gültigkeit der Osterbotschaft trotz Krieg und Gewalt betont. Diese sei eine Antwort auf „die dumpfen Parolen des Angriffskrieges“, erklärte die westfälische Präses. Ähnlich äußerte sich der Paderborner Erzbischof Hans-Josef Becker am Ostersonntag: „Dem fanatischen Hass rücksichtsloser Menschenverächter setzt Ostern 2022 ein entschiedenes Signal des uns von Gott erschlossenen Lebens entgegen.“ Die stellvertretende EKD-Ratsvorsitzende Kirsten Fehrs bezeichnete Ostern in diesem Jahr als „Hoffnungsfest gegen Krieg und Gewalt“. Diese Botschaft komme mit Blick auf die grausamen Bilder allerdings schwer über die Lippen, räumte die Hamburger Bischöfin ein.

Nach den Worten des Trierer Bischofs Stephan Ackermann lautet die Osterbotschaft der Auferstehung: „Gott bewahrt dich nicht vor allem, aber er rettet dich durch alles hindurch: durch deine Niederlagen, deine Enttäuschungen, deine Schmerzen, ja selbst durch den Tod.“ Die biblischen Erzählungen seien „Rettungsgeschichten“, behaupteten aber nicht einfach, dass alles einfach gut sei und werde, sagte er in einem Osternachtsgottesdienst im Trierer Dom.

Ostern ist das älteste und wichtigste Fest der Christenheit. Es erinnert an die Mitte des christlichen Glaubens: die Auferstehung Jesu Christi von den Toten nach seinem Leiden und Sterben am Kreuz.



EKD-Synodenpräses: Waffenlieferungen an Ukraine gerechtfertigt



Frieden ist ein Kernthema der Kirchen. Mit Blick auf den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine befinde man sich daher in einem Dilemma, sagt die EKD-Synodenpräses Heinrich: Bei allen Friedensbemühungen haben die Ukrainer das Recht zur Verteidigung.

Köln (epd). Die Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Anna-Nicole Heinrich, hält Waffenlieferungen an die Ukraine für gerechtfertigt. Das Selbstverteidigungsrecht der Ukraine sei unbestritten, sagte Heinrich im Deutschlandfunk. Gerade ihrer Generation falle es schwer, in Worte zu fassen, was derzeit in der Ukraine passiere. Auch die christliche Friedensethik stehe nun vor Diskussionen.

Zum ökumenischen Dialog zwischen EKD und der Russischen Orthodoxen Kirche sagte Heinrich: „Nein, wir brechen Gespräche zur Ukrainischen Orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats und auch zur Russischen Orthodoxen Kirche nicht ab.“ Der Moskauer Patriarch Kyrill I. hatte sich hinter Russlands Präsident Wladimir Putin gestellt und den Krieg als Verteidigung „traditioneller christlicher Werte“ befürwortet. Zuletzt waren Forderungen laut geworden, die Russisch Orthodoxe Kirche aus dem Ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK) auszuschließen.

Zur Debatte um eine Neugestaltung der evangelischen Friedensethik als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg in der Ukraine sagte Heinrich: „Wir hatten ja bis jetzt auch keine perfekte Antwort, sondern es ist immer eine Spannungsbeschreibung. Und ich glaube, genau darin liegt ja auch der Wert einer christlichen Reflexion von solchen Situationen, dass wir nicht die perfekte Antwort liefern, sondern eher dabei helfen, in aller Spannung irgendwie handlungsfähig zu bleiben.“

Heinrich: Kirchenmitgliedschaft hat einen Mehrwert

Zu den sinkenden Mitgliederzahlen der Kirchen erklärte die Synodenpräses, sie habe die Hoffnung, dass die Kirchen nicht auf dem Weg in die Nische der Gesellschaft seien. Es sei wichtig, klar zu benennen, dass Kirchenmitgliedschaft einen Mehrwert habe. Die evangelische Kirche müsse sich die Frage stellen, wie Menschen an der Kirche teilhaben könnten, ohne zwingend Mitglied zu sein. Auch in anderen Institutionen seien feste Bindung nicht mehr zeitgemäß.

Mit Blick auf die Corona-Pandemie lobte Heinrich die „riesige Leistung“ der Kirche und vor allem auch der Diakonie während dieser Krisenzeit. Diese hätten professionell auf die Situation reagiert, auf „die wir auch nicht vorbereitet waren“. Heinrich: „Ich glaube, das hat vor allem still stattgefunden.“

Zum Klimawandel sagte Heinrich, kirchliche Akteure hätten in den 1970er und 80er Jahren die Debatte maßgeblich mit angestoßen. „Aktuell sind wir als Kirche nicht mehr Teil der Spitze dieser Gesamtbewegung.“ Dies sei aber auch nicht schlimm, denn es gebe starke Akteurinnen und Akteure, „die diese Rolle jetzt ausfüllen, und wir als Kirche haben jetzt die Chance, eine neue Rolle zu finden.“



Kritik an Führung der Russischen Orthodoxen Kirche nimmt zu




Pavel Černý
epd-bild/Kilian Kirchgessner
Die einseitig pro-russische Haltung des Moskauer orthodoxen Patriarchen Kyrill I. im Ukraine-Russland-Krieg stößt in westlichen Kirchen auf Unverständnis. Anstatt zu vermitteln, gieße er weiter Öl ins Feuer des Konflikts, wird kritisiert.

Frankfurt a.M. (epd). Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine belastet zunehmend auch die Ökumene. Dem Moskauer Patriarchen Kyrill I. wird vorgeworfen, die kriegerische Gewalt mit religiösen Argumenten zu unterstützen. Der tschechische Ökumene-Experte Pavel Černý sprach sich jetzt erneut für einen Ausschluss der Russisch Orthodoxen Kirche aus dem Ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK) aus. Scharfe Kritik an der Haltung der russisch-orthodoxen Führung zum Ukraine-Krieg äußerte am 12. April auch der Bischof der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, Frank Otfried July.

Bei der 11. Vollversammlung des Weltkirchenrates im Sommer in Karlsruhe wird daher eine Auseinandersetzung mit der Russischen Orthodoxen Kirche erwartet. Würde der Weltkirchenrat diese weiter in den Reihen seiner Mitglieder behalten, drohe der Organisation ein erheblicher Vertrauensverlust, sagte der international renommierte Theologe Černý dem Evangelischen Pressedienst (epd): „Derzeit zeigt sich, dass Patriarch Kyrill und die engste Führung der Kirche die aktuellen Geschehnisse unterstützen.“

Ausschluss wäre langwieriger Prozess

Patriarch Kyrill I. hatte den „Westen“ und das Militärbündnis Nato für die Ursachen des Krieges in der Ukraine verantwortlich gemacht. Der tragische Konflikt sei Teil einer „großangelegten geopolitischen Strategie“ zur Schwächung Russlands, heißt es in einem Brief an den Weltkirchenrat. Der amtierende ÖRK-Generalsekretär Ion Sauca hatte Kyrill Anfang März aufgerufen, seine Stimme zu erheben, um den Krieg in der Ukraine zu stoppen.

Ein Ausschluss sei allerdings ein langwieriger Prozess, erklärte Generalsekretär Sauca, der weltweit 352 Kirchen aus mehr als 120 Ländern mit rund 580 Millionen Christinnen und Christen repräsentiert. Die Russische Orthodoxe Kirche mit mehr als 150 Millionen Mitgliedern in mehreren Ländern ist ÖRK-Mitglied seit 1961. Sie ist damit die größte Einzelkirche im Weltkirchenrat.

Über den Ausschluss eines ÖRK-Mitglieds könne nicht der Generalsekretär, sondern nur der Zentralausschuss entscheiden, hatte Sauca am 11. April in Genf erklärt: Eine solche Entscheidung werde durch den ÖRK-Zentralausschuss erst nach eingehender Untersuchung, nach Anhörungen, Debatten sowie Besuchen in den betroffenen Kirchen getroffen.

July „erschüttert“ von Haltung der russisch-orthodoxen Kirche

Berühmtes Beispiel sei der Fall von Südafrikas Holländisch Reformierter Kirche, so der rumänisch-orthodoxe Priester Sauca. Zwar hatte diese den ÖRK 1948 mitgegründet, doch brach sie in den 1960er Jahren die Beziehungen ab, als sie sich harter Kritik aus der ökumenischen Gemeinschaft an ihrer aktiven Unterstützung der Apartheid ausgesetzt sah. Auf der Tagung des ÖRK-Zentralausschusses 2016 wurde sie wieder als Vollmitglied im ÖRK aufgenommen.

Der württembergische Landesbischof July schreibt in seiner in Stuttgart verbreiteten Osterbotschaft: „Heute müssen wir erschüttert zur Kenntnis nehmen, dass eine alt-ehrwürdige Kirche, wie es die russisch-orthodoxe ist, den verbrecherischen russischen Angriffskrieg nicht zurückweist, sondern ihn noch nicht einmal benennt.“ Die Vollversammlung des Ökumenischen Rats der Kirchen im Sommer in Karlsruhe solle die Delegierten der russisch-orthodoxen Kirche befragen, welche Bibel so etwas hergebe, forderte der Bischof.



Vor dem Clubbesuch noch eben die Füße waschen lassen




Christliche Fußwaschungen auf der Reeperbahn
epd-bild/Philipp Reiss
Eine Gruppe von Pastorinnen und Pastoren hat am Gründonnerstag mitten auf der Hamburger Reeperbahn biblische Fußwaschungen angeboten. Das Angebot wurde von Partygängern und Passanten so gut angenommen, dass die frischen Handtücher ausgingen.

Hamburg (epd). Als am Gründonnerstag auf dem Hamburger Kiez so langsam das Partyleben erwachte, zeigte sich vor der berühmten Davidwache ein ungewohntes Bild: zwei Klappstühle auf Fußmatten mit jeweils einer großen Schüssel Wasser davor, stapelweise kleine Handtücher und Bio-Seife. Es dauerte nicht lange, und schon saßen die ersten Partygänger und lösten ihre Schnürsenkel. Denn die „Pop-up Church“ bot biblische Fußwaschungen an. Zehn Geistliche aus verschiedenen Hamburger Gemeinden hatten sich für die ungewöhnliche Aktion zusammengetan.

„Es wird gut angenommen“, freut sich die Pastorin Angelika Gogolin. „Die Menschen bleiben stehen und gucken, und entweder spreche ich sie an oder sie fragen neugierig, was wir hier machen.“ Gogolin unterhält sich unverkrampft mit den Kiez-Besuchern und Passanten. Sie trägt „Doc Martens“-Stiefel und über dem Talar eine schwarze Lederjacke mit Stola in Regenbogenfarben. Einigen bietet sie nur ein Bonbon oder Abwasch-Tattoo an. Wer nachfragt, dem erzählt sie von Jesus.

Hintergrund ist die biblische Erzählung aus dem Johannes-Evangelium, nach der Jesus einen Tag vor seinem Kreuzestod seinen Jüngern die Füße gewaschen hat. Heute wird dieses Ritual meist in katholischen und freikirchlichen Gemeinden praktiziert. Bei evangelischen Christen werde es leider etwas vernachlässigt, sagte Matti Schindehütte, Pastor aus Großhansdorf. Doch das wollten sie mit der Aktion auf der Reeperbahn ändern. „Gott will uns nah sein, auch durch Berührung.“

Resonanz stärker als erwartet

Moritz Eigenauer aus Rostock ist gerade 18 geworden und will mit drei Freunden auf dem Kiez feiern. „Mit Kirche hab ich nichts am Hut“, sagt er. „Aber es tat erstaunlich gut, und die Leute waren nett.“ Er nehme das als „lustige Anekdote“ aus seinem Hamburg-Besuch mit nach Hause. Auch seine Kumpels ließen sich die Füße waschen und plauderten mit den Pastorinnen.

Auf der zentralen Kreuzung mitten auf der Reeperbahn lockten die Lichterketten an den Klappstühlen und Live-Musik viele Menschen an: jung und alt, angetrunken und nüchtern - die Interessierten waren bunt gemischt. Kirchenmusiker Jan Keßler spielte moderne Pop-Songs zum Mitsingen: Liebes- und Friedenslieder von Bosse bis zu den Toten Hosen.

Die Aktion ging über die geplante Zeit hinaus bis in den späten Abend. Am Ende seien die 40 frischen Handtücher aufgebraucht gewesen, sagte Gogolin dem epd am Karfreitag. „Wir haben alles aus Stoff genommen, was noch nicht benutzt war.“ Anschließend seien sie in kleiner Gruppe noch in eine Bar gegangen, um Resumée zu ziehen. Alle seien sich einig gewesen, dass sie mit so einer guten Resonanz nicht gerechnet hatten, so die Pastorin. Viele Menschen seien gerührt gewesen, als sie den Segen bekamen.

Manche hätten sich mit einem Pastor in eine ruhige Ecke zurückgezogen und intensive Gespräche geführt. „Wir wollten mit dieser Aktion Liebe und Frieden weitergeben - und genau so hat es sich auch angefühlt“, sagte Gogolin.

Julia Reiß (epd)


Schorlemmer übergibt seine Bibliothek an die evangelische Kirche




Friedrich Schorlemmer in seinem Lesezimmer
epd-bild/Paul-Philipp Braun

Weimar (epd). Der Wittenberger evangelische Theologe und Bürgerrechtler Friedrich Schorlemmer übergibt seine Bibliothek an die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland (EKM). Derzeit ordne er seine Schriftstücke, die mehr als 200 Regalmeter in seiner Wittenberger Altbauwohnung in Anspruch nehmen, sagte der 77-Jährige der in Weimar erscheinenden Mitteldeutschen Kirchenzeitung „Glaube+Heimat“ (Ausgabe vom 17. April). Die Leiterin des landeskirchlichen Archivs der EKM, Christina Neuß, unterstütze ihn bei dieser Aufgabe.

Neuß sagte, diesen Schatz zu bergen und unter Schorlemmers Regie zu sortieren, sei eine Mammutaufgabe. Bei dem sogenannten Vorlass handele es sich um Skizzen, Andachten, Reden, Essays und Korrespondenzen des Theologen.

Der 1944 in Wittenberge in Brandenburg geborene Friedrich-Wilhelm Schorlemmer war ein wichtiger Protagonist der friedlichen Revolution in der DDR. Er gehörte unter anderem zu den Erstunterzeichnern des Aufrufs „Für unser Land“ vom 26. November 1989. Er war Mitbegründer der Partei Demokratischer Aufbruch (DA), wechselte aber noch 1990 in die SPD. Schorlemmer ist bis heute politisch aktiv.



Bätzing für dauerhaftes synodales Forum in Deutschland




Georg Bätzing
epd-bild/Heike Lyding

Limburg (epd). Der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, hat sich für dauerhafte synodale Beratungen zwischen katholischen Bischöfen und Laien ausgesprochen. „Es ist mein Wunsch, den Synodalen Weg in ein Kontinuum zu überführen“, sagte Bätzing dem Evangelischen Pressedienst (epd). Es gebe dazu bereits Überlegungen. „Die Zeit steht nicht still. Diese Form von Beteiligung können wir nicht einfach wieder aussetzen“, sagte der Limburger Bischof.

Er sei gern im katholischen Reformdialog, dem Synodalen Weg, unterwegs, sagte er. Er habe damit gerechnet, dass es Kritik an seiner Person gebe. „Das heißt nicht, dass mich das auch manchmal nervt. Aber das gehört dazu“, sagte er.

Der Synodale Weg wurde als Gesprächsforum für Reformen 2019 von katholischen Bischöfen und Laien ins Leben gerufen. Er soll die katholische Kirche aus der Krise führen, die der Missbrauchsskandal verursacht hat. Die Synodalversammlung berät über Reformen in den Bereichen Macht- und Gewaltenteilung, priesterliche Lebensformen, Beteiligung von Frauen an kirchlichen Ämtern und der katholischen Sexualmoral. Die nächste Synodalversammlung findet im September in Frankfurt am Main statt.

epd-Gespräch: Franziska Hein


Lutherischer Weltbund feiert vor 500 Jahren erschienene Luther-Bibel



Genf (epd). Der Lutherische Weltbund (LWB) hat an Martin Luthers vor 500 Jahren erschienene Übersetzung des Neuen Testaments erinnert. Diese im September 1522 erschienene Ausgabe habe den Weg für weitere volkssprachliche Übertragungen der Bibel geebnet und sie für mehr Menschen auch im Alltag zugänglich gemacht, erklärte die mehr als 78 Millionen Christinnen und Christen in 99 Ländern repräsentierende Gemeinschaft am 13. April in Genf.

Man hoffe während des laufenden Jubiläums-Jahrs auf viele vom Geist erfüllte Interpretationen und Auslegungen der Bibel aus aller Welt, erklärte die LWB-Generalsekretärin Anne Burghardt. Dies solle viele Menschen dazu ermutigen, sich mehr mit der Heiligen Schrift zu beschäftigen.

Kampagne in Sozialen Medien

Der Lutherische Weltbund will während des 500-Jahr-Jubiläums mit Publikationen, Online-Bibel-Studien sowie Kampagnen in den Sozialen Medien aufzeigen, wie lutherische Christen in aller Welt die Bibel lesen und auslegen. Dabei werde auf die unterschiedlichen geografischen und kulturellen Kontexte seiner 148 Mitgliedskirchen hingewiesen.

Martin Luther (1483-1546) hatte das Neue Testament zwischen dem 18. Dezember 1521 und dem 1. März 1522 auf der Wartburg bei Eisenach ins Deutsche übertragen. Dort lebte er seit Mai 1521 versteckt unter dem Schutz des sächsischen Kurfürsten Friedrich des Weisen. Im September 1522 erschien Luthers Übersetzung des Neuen Testaments in gedruckter Form („Septembertestament“). 1534 folgte die erste komplette Ausgabe der Bibel mit Altem und Neuem Testament auf Deutsch.



Kritik an Tilgung von Priester-Schulden im Erzbistum Köln



Köln (epd). Die Tilgung von Spielschulden eines Priesters in Höhe von 500.000 Euro durch das Erzbistum Köln trifft auf Kritik von Missbrauchsopfern und Reforminitiativen. Der Sprecher des Betroffenenbeirats der Deutschen Bischofskonferenz, Johannes Norpoth, nannte den Vorgang im „Kölner Stadt-Anzeiger“ (16. April) verstörend und beschämend. „Opfer von Sexualstraftaten, teilweise ohne gesicherte Einnahmen wie bei einem Priester, werden mit einem Betrag abgespeist, welcher weniger als zwei Prozent von dem beträgt, was die Kirche als Ausgleich für die selbst verschuldete finanzielle Schieflage eines Priesters zu zahlen bereit war“, sagte Norpoth.

Er rechnete vor, dass 60 Prozent der Opfer sexualisierter Gewalt, die einen Antrag auf eine Anerkennungsleistung stellen, weniger als 20.000 Euro bekämen. Missbrauchsopfer werden im Erzbistum aus dem gleichen kirchlichen Sondervermögen entschädigt, dem 2015 und 2016 das Geld für die Tilgung der Spielschulden entnommen wurde. Insgesamt zahlte das Erzbistum Köln 1,15 Millionen Euro aus dem bischöflichen Sondervermögen: Weil das Geld offenbar nicht korrekt versteuert wurde, mussten insgesamt 650.000 Euro Lohnsteuer inklusive Zinsen nachgezahlt werden.

Reform-Initiative fordert Untersuchungskommission

Die Sprecherin der Reform-Initiative Maria 2.0 im Rheinland, Maria Mesrian, forderte eine unabhängige öffentliche Untersuchungskommission. Dies sei „die einzige Möglichkeit, für Transparenz zu sorgen“, sagte sie der Zeitung. Mesrian sprach von einem „verantwortungslosen Finanzgebaren“, das „den tiefen Fall Kardinal Woelkis und seiner Führungsriege“ zeige. Missbrauchsopfer würden „mit lächerlichen Summen abgespeist, während Millionen für eine überflüssige Hochschule oder eben für die privaten Spielschulden eines Priesters verschleudert werden“.

Der Vorgang fiel dem Erzbistum zufolge in die letzten Jahre des früheren Erzbischofs Joachim Meisner, wurde aber von seinem Nachfolger Rainer Maria Woelki nach dessen Amtsantritt 2014 mitgetragen. Heute könne ein solcher Fall so nicht mehr auftreten, „da wir aus dem Fall gelernt haben und der Kontakt zwischen der Personalabteilung und den Geistlichen heute intensiver und besser geordnet ist“, hatte das mitgliederstärkste deutsche Bistum erklärt.



Neuer evangelischer Gefängnisseelsorger in der JVA Detmold



Detmold (epd). Pfarrer Andreas Flor ist neuer evangelischer Gefängnisseelsorger in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Detmold. Der Theologe wurde in einem Gottesdienst in der Justizvollzugsanstalt vom Theologischen Kirchenrat Tobias Treseler in sein Amt eingeführt, wie das Landeskirchenamt der Lippischen Landeskirche am 13. April in Detmold mitteilte. An dem Gottesdienst nahmen neben Inhaftierten auch der JVA-Leiter Oliver Burlage, der katholische Gefängnisseelsorger Lothar Dzialdowski sowie Vertreterinnen der Gefängnisseelsorge in der westfälischen Nachbarkirche teil.

Das Amt des Seelsorgers sei das eines Zuhörers, der in seinem eigenen Zuhören bezeuge, dass auch Gott höre, erklärte Treseler in seiner Ansprache. Aufgabe des Seelsorgers sei es, Menschen in ihrem Alltag in der Justizvollzugsanstalt und in ihren existenziellen Fragen nach dem eigenen Leben, dem Geschick und der eigenen Schuld zu begleiten. Diese Begleitung geschehe im Auftrag Christi, denn er selbst habe in seiner Rede vom Weltgericht gesagt: „Ich bin im Gefängnis gewesen und ihr seid zu mir gekommen.“

Flor tritt als Gefängnisseelsorger die Nachfolge von Pfarrer Kees Appelo an. Flor war nach einem Vikariat in einer Landgemeinde bei Trier im Jahr 2014 nach Lippe gekommen. Dort war er bis zuletzt Pfarrer in der evangelisch-reformierten Kirchengemeinde Pivitsheide in Detmold.




Gesellschaft

Zehntausende bei Ostermärschen der Friedensbewegung




Friedensdemonstration im niedersächsischen Unterlüß
epd-bild/Christian Ditsch
Zehntausende Teilnehmer in mehr als 120 Städten: Die Friedensbewegung zeigt sich zufrieden mit den diesjährigen Ostermärschen. In Hamburg und Berlin gab es wegen unterschiedlicher Positionen zum Ukraine-Krieg Kontroversen.

Düsseldorf (epd). Mit Aktionen in mehreren Städten sind am 18. April die diesjährigen Ostermärsche zu Ende gegangen. Das Netzwerk Friedenskooperative in Bonn, das die regionalen Aktionen koordiniert, zeigte sich zufrieden. Sie gingen von mehreren zehntausend Teilnehmern aus, sagte Sprecher Kristian Golla dem Evangelischen Pressedienst (epd) am Montag. Eine genaue Zahl nannte er nicht. Nach Angaben des Netzwerks gab es in mehr als 120 Städten über die Ostertage Aktionen für Frieden und Abrüstung. Begleitet wurden die Ostermärsche in diesem Jahr von einer Debatte über die Haltung der Friedensbewegung zum Krieg in der Ukraine.

Bereits am 14. April starteten die traditionellen Ostermärsche, unter anderem in Erfurt. Hauptaktionstag war der Karsamstag mit rund 80 Kundgebungen und Demonstrationen. Auch am Karfreitag und Ostersonntag gingen Friedensaktivistinnen und -aktivisten in mehreren Städten auf die Straße. Am Montag demonstrierten 2.000 Menschen in Hamburg, in Dortmund besuchten nach Angaben der Veranstalter bis zu 800 Menschen die Abschlusskundgebung des traditionsreichen Ostermarsches Rhein-Ruhr. In Frankfurt am Main demonstrierten laut Veranstaltern 3.000 Menschen, am Bundeswehrfliegerhorst in Büchel laut Polizei 320. Für ganz Deutschland geht das Netzwerk Friedenskooperative von einem moderaten Anstieg der Teilnehmerzahlen im Vergleich zu den Vorjahren aus.

Ukraine-Krieg im Fokus

Inhaltlich standen die Demonstrationen unter dem Vorzeichen des Ukraine-Krieges. Ein Waffenstillstand und die Beendigung des russischen Krieges gegen die Ukraine sowie die Ablehnung gegenüber den „Aufrüstungsplänen der Bundesregierung“ seien die Hauptthemen gewesen, erklärte das Netzwerk Friedenskooperative. Das Netzwerk betonte das Recht der Ukraine zur Selbstverteidigung, zeigte sich jedoch gleichzeitig besorgt über mögliche Lieferungen von schweren Waffen und kritisierte die geplante Einrichtung eines Sondervermögens für die Bundeswehr.

Begleitet wurden die Ostermärsche in diesem Jahr von einer grundsätzlichen Debatte über den Wert des Pazifismus. Zum Höhepunkt der Aktionen am Samstag sagte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) den Zeitungen der Funke-Mediengruppe, für ihn sei „Pazifismus im Moment ein ferner Traum“. Der FDP-Politiker Alexander Graf Lambsdorff nannte die Ostermarschierer im WDR-Radio gar „die fünfte Kolonne Putins“. Golla vom Netzwerk Friedenskooperative wies die Anschuldigungen Lambsdorffs als reine Polemik zurück. Unterstützung erhielten die Ostermarschierer auch von der evangelischen Theologin Margot Käßmann und von der Linken.

Debatte über Einschätzung der Kriegsgefahr

Einzelne Vertreter der Friedensbewegung räumten bei den Kundgebungen Fehler bei der Einschätzung der Kriegsgefahr ein. Die Warnungen aus der Ukraine, Polen und dem Baltikum hätten sie zwar gehört, aber nicht geglaubt, sagte Alfred Keienburg von der katholischen Friedensbewegung Pax Christi am Ostersonntag in Essen. Zwar hätten auch die EU und die Nato Fehler gemacht, aber das rechtfertige den Angriffskrieg Putins in keiner Weise. In Neuruppin rief die Brandenburgische Landtagspräsidentin Ulrike Liedtke (SPD) zu einem unverzüglichen Ende des russischen Angriffskriegs in der Ukraine auf.

In Berlin hingegen gab es wegen Differenzen bei der Positionierung zum Ukraine-Krieg am 16. April zwei konkurrierende Ostermärsche: Zum traditionellen Ostermarsch der Friedenskoordination für eine „neue Sicherheitsarchitektur von Lissabon bis Wladiwostok“ versammelten sich nach Polizeiangaben rund 1.300 Teilnehmer. Kritiker hatten zu einem alternativen Ostermarsch aufgerufen, der sich explizit gegen russische Angriffskriege richtete und das Selbstverteidigungsrecht der Ukraine betonte. Dazu kamen laut Polizei rund 650 Menschen zusammen. Auch beim Ostermarsch in Hamburg am Montag gab es Kontroversen zum Ukraine-Krieg.



Heftige Debatte über Haltung der Ostermärsche zum Ukraine-Krieg



"Pazifismus auf Kosten anderer" und "fünfte Kolonne Putins": Kritiker der Ostermärsche für Frieden und Abrüstung fahren schwere verbale Geschütze auf. Die Friedensbewegung wehrt sich gegen die Vorwürfe und erhält für ihre Haltung auch Unterstützung.

Düsseldorf (epd). Zum Höhepunkt der diesjährigen Ostermärsche ist eine Debatte über die Haltung der Friedensbewegung zum Krieg in der Ukraine entbrannt. Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) appellierte an die Teilnehmer, bei ihren Aktionen deutlich zu machen, „dass sie sich gegen Putins Krieg richten“. Der frühere Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) warnte vor „Pazifismus auf Kosten anderer“. Der FDP-Politiker Alexander Graf Lambsdorff nannte die Ostermarschierer „die fünfte Kolonne Putins“.

Die Friedensbewegung wies die Anschuldigungen zurück und betonte, sie verurteile den russischen Angriffskrieg und fordere einen sofortigen Waffenstillstand und den Rückzug der russischen Truppen. Zugleich warne sie aber vor einer gefährlichen Eskalation etwa durch Waffenlieferungen und werbe für eine Verhandlungslösung. Unterstützung erhielten die mehreren tausend Teilnehmerinnen und Teilnehmer der fast 80 Ostermärsche am 16. April von der ehemaligen Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Margot Käßmann, und von der Linken.

Habeck: Pazifismus ferner Traum

Habeck sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe (16. April), Frieden könne es nur geben, wenn der russische Präsident Wladimir Putin den Krieg stoppe. Für ihn sei „Pazifismus im Moment ein ferner Traum“. Putin habe mit allen Regeln des Völkerrechts gebrochen und die Ukraine angegriffen, damit bedrohe er auch die Freiheit Europas. „Kriegsverbrechen sind offenkundig Teil seiner Kriegsführung“, beklagte Habeck. „Für mich gilt, dass Zuschauen die größere Schuld ist.“

Thierse verurteilte im Bayerischen Rundfunk das langjährige Motto der Friedensbewegung „Frieden schaffen ohne Waffen“ als Arroganz gegenüber den Menschen in der Ukraine und fügte hinzu: „Pazifismus auf Kosten anderer ist zynisch.“ Die Ukraine habe das Recht, Unterstützung für seine Selbstverteidigung zu fordern. Lambsdorff, FDP-Fraktionsvize im Bundestag, beschuldigte die Ostermarsch-Organisatoren im WDR-Radio, sie seien keine Pazifisten, sondern „Interessenvertreter der russischen Position“ und versuchten, den Westen zu schwächen und die Ukraine zu diskreditieren.

Friedenskooperative weist Anschuldigungen zurück

Der Sprecher des Netzwerks Friedenskooperative, Kristian Golla, wies die Anschuldigungen Lambsdorffs als reine Polemik zurück. Das Netzwerk koordiniert die lokal und regional verantworteten Aktionen der Friedensbewegung. In den Aufrufen zu den Ostermärschen werde durchgängig der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine als völkerrechtswidriges Verbrechen verurteilt, hieß es. Die Bewegung wende sich aber auch gegen wachsenden Militarismus.

Die Theologin Margot Käßmann verteidigte die Friedensdemonstrationen. Es sei nicht gerecht, Menschen, die sich seit Jahrzehnten für Frieden einsetzten, vorzuwerfen, sie stünden auf der Seite Russlands, sagte sie auf NDR Info. Mehr Waffenlieferungen würden auch aus ihrer Sicht nicht zu einem Ende des Krieges führen, betonte die frühere EKD-Ratsvorsitzende. „Wann wird definiert, dass jemand Kriegspartei ist? Wenn eigene Soldaten dort tätig sind? Oder wenn eigene Waffen dort eingesetzt werden?“ Die größte Gefahr sei im Moment, „dass dieser Konflikt so eskaliert, dass Nato-Staaten tatsächlich Kriegspartei werden“, dann könnten auch Atomwaffen eingesetzt werden, warnte Käßmann. Sie forderte mehr Druck auf zivilgesellschaftliche Organisationen in Russland.

Für Sevim Dagdelen, abrüstungspolitische Sprecherin der Linken-Fraktion im Bundestag, setzen die Ostermärsche ein wichtiges Zeichen für die Beendigung des Krieges in der Ukraine, den Rückzug der russischen Truppen und die Verhinderung einer militärischen Konfrontation zwischen der Nato und Russland. „Wer dagegen immer mehr Waffen in das Kriegsgebiet Ukraine liefern will, setzt auf Eskalation und riskiert eine Kriegsbeteiligung Deutschlands“, erklärte sie. „Dieser Wahnsinn muss verhindert werden.“ Wer wie die EU und die Nato analog zu Russland auf eine militärische Lösung setze, gieße weiter Öl ins Feuer: „Es ist gut, das die Ostermärsche gegen Eskalation, Waffenlieferungen und Wirtschaftskrieg deutlich Nein sagen.“



Flüchtlingshelfer an Gleis 17




Dolmetscher Viktor Roytman (mit gelber Weste) im Einsatz
epd-bild/Nancy Heusel
Jeden Tag kommen ukrainische Flüchtlinge am Messebahnhof bei Hannover an, um von dort in andere Städte oder Länder weiterzureisen. Wenn der Sonderzug einrollt, stehen zahlreiche Helfer bereit. Viele von ihnen stammen selbst aus der Ukraine.

Laatzen (epd). Ein Kind blickt unsicher und neugierig aus dem Abteilfenster. Mit lautem Getöse rollt langsam der Sonderzug mit Flüchtlingen aus der Ukraine in den Messebahnhof in Laatzen bei Hannover ein. Als sich die Türen öffnen, ist es für einen Moment ganz still. Müde, erschöpfte Frauen, Männer und Kinder steigen vorsichtig aus. Bundespolizisten helfen dabei, Kinderwagen aus dem Zug zu heben. Menschen nehmen sich erleichtert in die Arme.

Im kalten Wind am Bahnsteig wartet auch Viktor Roytman. „Dolmetscher“ steht in Deutsch und Ukrainisch auf der gelben Weste des Rentners. Roytman ist einer von zahlreichen Ehrenamtlichen, die die Geflüchteten an einem von bundesweit drei Drehkreuzen in Empfang nehmen. Nie hätte der gebürtige Ukrainer sich ausmalen können, dass er einmal Kriegsflüchtlingen aus seinem Heimatland helfen würde. „Ich hätte es im Leben nicht geglaubt, dass ein Land, das den Faschismus in die Knie gezwungen hat, einen Krieg beginnt“, sagt er kopfschüttelnd.

„Beruhigende Stimme“

An dem Bahnhof, wo üblicherweise internationale Messegäste ankommen, fährt nun jeden Tag mindestens ein Zug aus Polen ein. Rund 15.000 Menschen sind seit Kriegsbeginn im Februar bereits über Laatzen nach Deutschland gekommen. Viele wollen weiterreisen und fragen Roytman nach Wegen, nach medizinischer Versorgung oder auch danach, wie wohl andere Städte in Deutschland zum Leben sind.

Der 69-Jährige, der noch bis vor kurzem als Elektriker gearbeitet hat, beantwortet geduldig alle Fragen. „Ich bin vor allem bekannt dafür, dass ich so eine beruhigende Stimme habe“, sagt der gebürtige Kiewer lächelnd und schiebt sich seine Brille auf die Stirn. An einem seiner ersten Tage als Ruheständler hat er sich spontan bereit erklärt, zu übersetzen. „Ich will so viel helfen, wie es eben geht.“

An jeder Zugtür ein Dolmetscher

An fast jeder Zugtür erwartet die Ankommenden ein Dolmetscher. Viktoria Andryeyeva ist fast jeden Tag am Bahnhof. Für die 48-jährige Klavierlehrerin aus Odessa, die seit fast 20 Jahren in Deutschland lebt, ist es angesichts der Geschehnisse in ihrem Heimatland oft schwer, sich selbst auf Abstand zu halten. „Ich habe aber gespürt, dass es besser ist, wenn ich helfe.“ Das sei ein schönes Gefühl. Seit ein paar Tagen arbeitet Andryeyeva nicht mehr ehrenamtlich, sondern ist von der Region Hannover in einem 450-Euro-Job fest angestellt. Insgesamt arbeiten in jeder Schicht bis zu 170 Menschen, vom Dolmetscher bis zum Caterer.

In der Ankunftshalle des Bahnhofs herrscht inzwischen reges Treiben. Lautsprecher-Durchsagen informieren die Flüchtlinge auf Ukrainisch, Russisch und Deutsch, dass sie in Hannover angekommen sind, das im Norden Deutschlands liegt, und über die Möglichkeiten, mit weiteren Zügen oder Bussen weiterzufahren. Kinder mit kleinen Rucksäcken auf den Schultern hüpfen an der Hand ihrer Eltern über den dunklen Steinboden. Vor dem Stand der Deutschen Bahn, die kostenlose Tickets zur Weiterfahrt vergibt, hat sich eine lange Schlange gebildet.

Baby-Fläschchen und Rollstuhl

Mitarbeiter und ehrenamtliche Helfer vom Deutschen Roten Kreuz verteilen Getränke und Snacks. Zu ihnen gehört auch Fadi Merzah, der einer jungen Mutter mit Baby auf dem Arm eine Trinkflasche und Milchpulver gibt. Das in eine warme Decke gewickelte Kind schaut ihn mit großen Augen an und der 32-jährige gebürtige Iraker drückt für einen kurzen Moment die kleine ausgestreckte Hand.

Dann muss er auch schon weiter: Eine Frau sucht für ihre Großmutter einen Rollstuhl, um zum nächsten Gleis zu kommen. Sie will mit ihrer „Babuschka“ nach Leipzig weiterfahren. Merzah, der bis vor sieben Monaten selbst in der Ukraine gelebt und als Arzt gearbeitet hat, bringt die Familie bis in den Zug. Zwölf Stunden dauern seine Schichten auf dem Messegelände.

Manche Züge kommen erst spät abends an. Er versorgt auch die Menschen, die in den nahegelegenen Messehallen für eine Nacht unterkommen können. Da Merzah ihre Sprache spricht, hat er ein Ohr für ihre Ängste und Nöte.

Eine halbe Stunde nach Ankunft des Zuges ist der Messebahnhof wieder leer und still. Eine Rotkreuz-Helferin räumt noch ein paar Lebensmittel von den Tischen. Manche Menschen wollten oft nur erzählen, sagt sie. Auch wenn sie selbst kaum ein Wort verstehe, könne sie erahnen, dass sie von ihrem zerstörten Zuhause berichteten. „Manchmal nehmen wir uns dann einfach weinend in die Arme.“

Von Charlotte Morgenthal (epd)


Über 140 Ermittlungsverfahren wegen Befürwortung des Angriffskriegs



Hannover/Köln (epd). Polizei und Staatsanwaltschaften haben in mehreren Bundesländern insgesamt mehr als 140 Ermittlungsverfahren wegen der Befürwortung des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine eingeleitet. In der Mehrheit der Fälle geht es um die Verwendung des „Z“-Symbols, mit dem die russische Armee in der Ukraine unter anderem ihre Panzer und Fahrzeuge kennzeichnet, wie das „RedaktionsNetzwerks Deutschland“ (18. April) berichtet.

Allein in Sachsen-Anhalt seien seit dem Beginn der russischen Invasion mindestens 19 Verstöße gegen Paragraf 140 des Strafgesetzbuchs erfasst, der das Belohnen und Billigen von Straftaten unter Strafe stellt. In 17 dieser Fälle ging es nach Angaben des Landesinnenministeriums um die Verwendung des „Z“-Symbols. Das „RedaktionsNetzwerks“ hatte dazu die Innen- und Justizministerien und Landeskriminalämtern der Bundesländer befragt.

Auch im Stadtstaat Hamburg seien bereits mindestens 17 Verfahren wegen der Billigung des Angriffskriegs eingeleitet worden. In 16 davon gehe es um die Verwendung des „Z“-Symbols. In Nordrhein-Westfalen sind 37 Ermittlungsverfahren dazu bekannt, davon 22 wegen des „Z“-Symbols. Darüber hinaus seien dort mehr als hundert Sachbeschädigungen in Zusammenhang mit dem Krieg festgestellt worden. Auch dabei habe das „Z“ in vielen Fällen eine Rolle gespielt.

Die Verwendung des Symbols wird in mehreren Bundesländern als rechtswidrige Unterstützung des völkerrechtswidrigen russischen Angriffskriegs gewertet. Jedoch werden nicht in allen Ländern solche Ermittlungsverfahren von den Behörden gesondert erfasst.



27,2 Prozent der deutschen Bevölkerung haben Migrationshintergrund



Wiesbaden (epd). 22,3 Millionen der in Deutschland lebenden Menschen haben einen sogenannten Migrationshintergrund. Wie das Statistische Bundesamt am 12. April in Wiesbaden mitteilte, entspricht das einem Bevölkerungsanteil von 27,2 Prozent. Als Menschen mit Migrationshintergrund zählen Personen, wenn sie selbst oder mindestens ein Elternteil nicht mit deutscher Staatsangehörigkeit geboren wurde.

Den auf Basis des Mikrozensus ermittelten Daten zufolge erhöhte sich die Zahl der Menschen mit Migrationshintergrund von 2020 zu 2021 um zwei Prozent. Im vergangenen Jahr hatten rund 53 Prozent der Bevölkerung mit Migrationshintergrund die deutsche Staatsangehörigkeit und etwa 47 Prozent die Staatsangehörigkeit eines anderen Landes.

Knapp zwei Drittel (62 Prozent) aller Menschen mit Migrationshintergrund sind nach Angaben des Bundesamtes aus einem anderen europäischen Land Eingewanderte oder deren Nachkommen. Wichtigste Herkunftsländer sind die Türkei (zwölf Prozent), gefolgt von Polen (zehn Prozent), der Russischen Föderation (sechs Prozent), Kasachstan (sechs Prozent) und Syrien (fünf Prozent).



Natalie Pawlik neue Aussiedlerbeauftragte



Berlin (epd). Die Bundesregierung hat eine neue Beauftragte für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten berufen. Natalie Pawlik trat das Amt am 14. April an, wie das Bundesinnenministerium in Berlin mitteilte. Zuvor stimmte das Bundeskabinett der Personalie zu. Es entband gleichzeitig den bisherigen Beauftragten Bernd Fabritius von seinen Aufgaben.

Natalie Pawlik wurde den Angaben zufolge 1992 in Wostok in Russland geboren und kam im Alter von sechs Jahren mit ihrer Familie als Spätaussiedlerin nach Deutschland. Sie freue sich auf die Aufgabe, sagte Pawlik. „Gerade in diesen schwierigen Zeiten ist es wichtig, Minderheitenrechte im In- und Ausland zu schützen und den sozialen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft zu stärken“, sagte sie.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) erklärte, die Bundesregierung sei sich ihrer Verantwortung gegenüber den Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedlern, den Vertriebenen, den nationalen Minderheiten in Deutschland und den deutschen Minderheiten im Ausland sehr bewusst. Für Aussiedler gibt es seit 1988 einen Beauftragten bei der Bundesregierung. 2002 wurde das Amt um die Zuständigkeit für andere nationale Minderheiten ergänzt. Fabritius war seit 2018 Beauftragter.



Generalinspekteur: Soldaten haben Anspruch auf Seelsorge



Berlin (epd). Vor dem Osterfest hat Generalinspekteur Eberhard Zorn die Bedeutung der Religionsausübung in der Bundeswehr betont. „Unsere Soldatinnen und Soldaten haben einen Anspruch auf Seelsorge und ungestörte Religionsausübung“, erklärte Zorn in seinem Tagesbefehl am Gründonnerstag, in dem er auch auf das bevorstehende jüdische Pessachfest und den Anfang April begonnenen muslimischen Fastenmonat Ramadan verwies.

Die Militärseelsorge gehöre seit den Anfängen der Bundeswehr als „wichtiger und nicht wegzudenkender Beitrag für die Betreuung und Fürsorge“ zum soldatischen Alltag, schrieb Zorn. In seiner täglichen Mitteilung an alle Militärangehörigen bat er die Disziplinarvorgesetzten, „auch weiterhin auf die Belange der Angehörigen aller Glaubensrichtungen einzugehen, soweit dienstliche Erfordernisse nicht entgegenstehen“. Die Bundeswehr stehe für eine freie, demokratische und vielfältige Gesellschaft ein. „Im täglichen Miteinander sind wir alle gefordert, diesen Worten sichtbar Taten folgen zu lassen“, erklärte der General.

Seit Jahrzehnten leisten evangelische und katholische Geistliche Seelsorge in der Bundeswehr. Seit dem vergangenen Jahr gibt es auch einen Militärbundesrabbiner. Künftig sollen zehn jüdische Geistliche an den Standorten Schwielowsee bei Potsdam, Hamburg, Leipzig, Köln und München bei religiösen Fragestellungen ansprechbar sein, wie Zorn schreibt.

Eine muslimische Militärseelsorge gibt es bislang noch nicht. Militärseelsorger und -seelsorgerinnen sind Ansprechpartner für die Soldatinnen und Soldaten. Sie gestalten Gottesdienste und unterrichten im sogenannten Lebenskundlichen Unterricht, in dem ethische Fragen reflektiert werden.



Aufklärung von Kindesmissbrauch: NRW sieht sich für Zukunft gerüstet



Düsseldorf (epd). Die nordrhein-westfälische Landesregierung sieht sich im Kampf gegen sexuellen Kindesmissbrauch und gegen Kinderpornografie für die Zukunft gut gerüstet. Das Thema „steht in unserer Sicherheitspolitik an erster Stelle“, betonte Ministerpräsident Hendrik Wüst am 12. April in Düsseldorf. Bundesweit sei NRW mittlerweile Vorreiter bei der Bekämpfung sexuellen Missbrauchs. Zusammen mit Innenminister Herbert Reul hatte sich Wüst (beide CDU) zuvor mit 25 Polizisten und Ermittlern über ihre Arbeit ausgetauscht.

Minister Reul betonte, dass es in keinem anderen Bereich der Kriminalitätsbekämpfung in NRW in den vergangenen vier Jahren so viele Veränderungen gegeben habe. Organisatorisch, personell und digitaltechnisch seien Lehren aus den großen Missbrauchsfällen von Lügde, Bergisch Gladbach und Münster gezogen worden, betonte er.

Reul: Rund 4.100 Fälle im vergangenen Jahr aufgedeckt

Innerhalb eines Jahres, von 2020 auf 2021, sei in NRW die Zahl der bekannt gewordenen Missbrauchsfälle um 23 Prozent gestiegen, erklärte Wüst. Minister Reul ergänzte, dass die aus dem Dunkelfeld geholten Zahlen deshalb so hoch seien, weil die Ermittler den Dingen nachgingen und vor dem „Elend im Netz“ nicht die Augen verschlössen. Allein im vergangenen Jahr seien in NRW rund 4.100 Fälle von sexuellem Missbrauch an Kindern und 11.300 Fälle von Kinderpornografie aufgedeckt worden.

Die Personalstärke bei der Polizei sei in diesem Bereich vervierfacht worden, erläuterte der Minister. Landesweit werde nach einheitlichen Standards mit einer speziellen Software gearbeitet, die mithilfe künstlicher Intelligenz Ermittler unterstützt, Fotos und Videos zu identifizieren, auf denen sexuelle Gewalt an Kindern zu sehen sein könnte. Für die erforderliche Technik seien mehr als 32 Millionen Euro investiert worden. Die 47 Kreispolizeibehörden und das LKA seien zu einem „virtuellen Großraumbüro“ vernetzt worden.

Ermittler mahnen erweiterte Präventionskonzepte an

Kriminaloberkommissarin Sabrina Stein von der Zentralen Auswertungs- und Sammelstelle Kinderpornografie (ZASt) am Landeskriminalamt in Düsseldorf bezifferte allein die Zahl der digitalen Hinweise, die von internationalen Stellen nach Deutschland weitergeleitet wurden, auf 78.500 für das vergangene Jahr. Damit liege Deutschland „nur“ auf Platz 33, sagte die Spezialistin für die Auswertung von Daten- und Bildmaterial. Von diesen Hinweisen gelangten dann rund 20 bis 25 Prozent nach Nordrhein-Westfalen. Allein in Düsseldorf seien in drei Abteilungen mit je rund 30 Mitarbeitern mit Auswertungen befasst.

Michael Esser, Leiter der Ermittlungsgruppe „Berg“ der Kölner Polizei, mahnte erweiterte Präventionskonzepte an. Nicht nur Kinder im Kindergarten- oder Schulalter und die dortigen Pädagogen und Mitarbeiter müssten erreicht und sensibilisiert werden. Opfer seien in hoher Zahl auch Kinder im Säuglingsalter. „Da sind neue Wege erforderlich.“ Das Internet mache es Mitgliedern sämtlicher Gesellschaftsschichten leicht, Missbrauchsdarstellungen zu verbreiten und zu erwerben.



Neue Meldestelle erfasst Judenfeindlichkeit in NRW



Mit einer neuen Meldestelle will NRW antisemitische Übergriffe besser erfassen. Auf Vorfälle, die nicht strafrechtlich verfolgbar sind, können hier gemeldet werden.

Düsseldorf (epd). Antisemitische Vorfälle können in Nordrhein-Westfalen bei einer neuen Meldestelle erfasst werden. Die NRW-Antisemitismusbeauftragte, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), erklärte am 12. April in Düsseldorf, sie sehe die Neueröffnung der Meldestelle als „weiteren wichtigen Schritt beim Vorgehen gegen Antisemitismus“. So hätten Betroffene nun einen weiteren Ansprechpartner, unabhängig von der strafrechtlichen Relevanz antisemitischer Vorfälle. Auch Vorfälle unterhalb der Strafbarkeitsgrenze würden systematisch erfasst, analysiert und dokumentiert.

Leiter: Antisemitismus nimmt in Deutschland wieder zu

Antisemitismus sei eine „sehr konkrete und sehr reale“ Bedrohung für die Demokratie und nehme in Deutschland wieder zu, sagte der Leiter der Meldestelle, Jörg Rensmann. Die Einrichtung wolle mit ihrer Arbeit auch für das Thema sensibilisieren und Beiträge zur Prävention leisten. So werde RIAS NRW künftig eigene Statistiken zu antisemitischen Vorfällen und Phänomenen erstellen und auswerten und die Ergebnisse der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen.

Der Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Abraham Lehrer, sagte, neben den unmittelbar betroffenen Jüdinnen und Juden dürften auch die politisch verantwortlichen Institutionen von der Arbeit der Meldestellen profitieren. Denn sie würden künftig über eine verlässlichere Datenlage für Maßnahmen zur Antisemitismus-Bekämpfung verfügen. So könne auf Tendenzen und Vorkommnisse schneller reagiert werden.

Der Staatssekretär Andreas Bothe (FDP) erklärte: „Mit dem Start der Meldestelle Antisemitismus machen wir deutlich: Judenfeindlichkeit hat bei uns keinen Platz.“ Die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus NRW (RIAS NRW) hat ihren Sitz in Düsseldorf und wird vom Land mit jährlich 266.000 Euro unterstützt. Die Trägerschaft hat zunächst der Landesverband der jüdischen Gemeinden Nordrhein.

Zahl der Vorfälle höher geschätzt

Das Dunkelfeld antisemitischer Vorfälle ist nach Einschätzung des Verfassungsschutzes deutlich höher als die bisher erfassten Zahlen, denn nicht jeder Fall von Antisemitismus wird zur Anzeige gebracht oder erfüllt überhaupt einen Straftatbestand. Im vergangenen Jahr war die Zahl der antisemitischen Straftaten im bevölkerungsreichsten Bundesland gegenüber 2020 um 54 Prozent auf 437 angestiegen.

Die Gründe für den jüngsten deutlichen Anstieg antisemitischer Vorfälle sieht RIAS NRW auch darin, dass im Zuge der Corona-Pandemie über Jahrhunderte verfestigte antisemitische Stereotypen und Mythen wieder öffentlichkeitswirksam verbreitet werden. Anfeindungen gegen Juden und Jüdinnen seien allgegenwärtig im öffentlichen Raum, im Arbeitsumfeld, an Schulen und Universitäten. Zudem gebe es immer wieder Übergriffe auf jüdische Gedenkstätten und Einrichtungen. Vor allem der israelbezogene Antisemitismus habe in den letzten Jahren deutlich zugenommen.

2018 wurde der Bundesverband der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus (RIAS) gegründet, um ein genaueres Bild über antisemitische Vorfälle in Deutschland zu gewinnen. Die bundesweite Meldestelle wird vom Antisemitismusbeauftragten der Bundesregierung gefördert. Parallel entstanden auch in einigen Ländern Meldestellen. Neben Nordrhein-Westfalen haben Bayern, Berlin, Hessen, Niedersachsen, das Saarland, Schleswig-Holstein und Thüringen solche Stellen eingerichtet.



Ohne eigenes Auto mobil




Malte Melloh mit Lastenrad
epd-bild/Marie-Luise Braun
Benzin ist teuer. Manche Menschen fahren deshalb weniger Auto. Andere versuchen, ganz darauf zu verzichten. Um das möglich zu machen, ist vor allem auf dem Land noch einiges zu tun.

Lüneburg (epd). Malte Melloh lädt vier Wasserkisten in sein Lastenrad. Dann fährt er los, um Kunden zu beliefern. Das gehört zum Service seines Unverpackt-Ladens in Reppenstedt bei Lüneburg dazu. Bis zum Herbst 2021 hat er die Touren mit dem Auto gemacht. Der Wechsel hat für ihn einige Vorteile. „Ich hatte früher nie Zeit für Sport. Jetzt mache ich das im Alltag automatisch mit“, sagt der 44-Jährige.

Zwei Autos hatte die Familie bislang. Malte und Jenni Melloh dachten, es ginge nicht anders, mit vier Kindern und zwei erwerbstätigen Erwachsenen. Einkaufen, die Kinder (17 Monate bis neun Jahre) zu Kindergarten, Schule und Sport bringen, Ausflüge am Wochenende. Aber dann hat ein Fernsehsender nach Menschen gesucht, die 14 Tage auf ihr Auto verzichten würden. Das reizte Melloh und er ergänzt: „Wir haben sieben Wochen daraus gemacht.“ Während des Versuchs fuhr die Familie mit dem Lastenrad. Danach hat sie eines ihrer Autos abgeschafft.

Kemfert für Tempolimit

Bringen solche Aktionen etwas, um Geldbeutel und Klima zu schonen und unabhängiger von russischem Öl zu werden? Die Antwort von Claudia Kemfert ist so kurz wie eindeutig: „Ja“, sagt die Professorin für Energiewirtschaft und -politik der Leuphana Universität Lüneburg. Dass das Handeln Einzelner nichts bewirken würde, hält sie für ein Totschlagargument. „Und wenn viele Menschen weniger Autofahren, sind wir sogar einen guten Schritt weiter“, ergänzt die Energieökonomin des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW).

Grundsätzlich befürworte sie ein Tempolimit von 30 Stundenkilometern innerhalb von Ortschaften und Tempo 100 auf Autobahnen: „Damit kann man zwischen einem und fünf Prozent Benzin und Diesel einsparen“, sagt sie mit Blick auf Studien des Umweltbundesamtes, der Deutschen Umwelthilfe, von Greenpeace und wissenschaftlichen Institutionen.

800-Euro-Argument

Das Einsparen war einer der Gründe für die Mellohs, das zweite Auto zu verkaufen: „Wir haben ausgerechnet, was uns beide Autos pro Monat kosten und das Geld in Scheinen auf den Tisch gelegt.“ Die 800 Euro lieferten das letzte Argument. „Die Kinder fanden es erst nicht so toll“, erinnert sich Melloh. Die ersten Wochen komplett ohne Auto seien eine Herausforderung gewesen: „Zumal diese Phase im November und Dezember war. Ich bin einige Male nass geworden.“ Am Ende sprach aber mehr für das Lastenrad. „Bei Ausflügen am Wochenende mussten wir umdenken und andere Ziele finden. Aber es geht“, sagt Melloh.

Doch er spricht auch von Schwierigkeiten: Die Radwege seien katastrophal durch Schlaglöcher, fehlende Beleuchtung und mangelnde Breite. Bei Gegenverkehr müsse er stets vom Radweg runterfahren, anhalten. Es gebe einige Straßen ohne Radweg und damit ohne Sicherheit.

„Wir brauchen einen Ausbau der Infrastruktur“, betont Michael Müller-Görnert, verkehrspolitischer Sprecher des Verkehrsclubs Deutschland (VCD). „Es gibt eine Verantwortung des Bundes und der Länder für die Daseinsvorsorge“, sagt er vor allem mit Blick auf ländliche Regionen, wo die Abhängigkeit vom Auto besonders groß sei. Dafür fordert der VCD ein besseres Angebot mit Bus und Bahn, mit einer Taktung von maximal einer Stunde auch bis nach 18 Uhr.

Auto steht meistens herum

Nötig sei zudem eine bessere Infrastruktur für Fahrradfahrer. Zwar sei der Bau von Fahrradwegen entlang neuer Bundesstraßen inzwischen gesetzlich bindend, aber das reiche nicht: „Oft sind andere Strecken für Fahrradfahrer attraktiver, weil kürzer oder durch schöneres Gelände.“

Er ist sich sicher: „Wer ein Auto hat, kümmert sich nicht um andere Möglichkeiten der Mobilität.“ Deshalb müssten Verkehrsunternehmen stärker Alternativen zum Auto kommunizieren. Gerade jetzt, wo viele Menschen auf der Suche danach sind. Hilfreich sind laut VCD auch Angebote wie Bürgerbusse, die auf bürgerschaftliches Engagement zurückgehen, Rufbusse oder Anruf-Sammeltaxis lokaler Anbieter.

Ein eigenes Auto haben Malte Melloh und seine Familie noch: „Zur Sicherheit. Es steht aber meistens herum“, sagt er. Deshalb plant die Familie ein privates Car-Sharing in der Nachbarschaft.

Von Marie-Luise Braun (epd)


NRW entwickelt Schulkonzept für junge Flüchtlinge aus der Ukraine



Düsseldorf (epd). Nordrhein-Westfalen will seine Schulen auf eine bestmögliche Unterrichtung der geflüchteten Kinder und Jugendlichen aus der Ukraine vorbereiten. Mit einem sogenannten Beschulungskonzept habe das Schulministerium für die Schulträger ein Angebot entwickelt, um den Unterricht für die neu Zugewanderten zu organisieren und durchzuführen, berichtete Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) am 11. April in Düsseldorf. Ziel sei es, den Kriegsflüchtlingen von Anfang an gute Startbedingungen zu geben.

Inzwischen sind nach Angaben der Ministerin rund 113.000 Flüchtlinge aus der Ukraine in NRW angekommen, darunter viele Kinder und Jugendliche. Zum Stichtag 6. April nahmen demnach an 1.985 Schulen des Landes bereits 8.753 Kinder und Jugendliche aus der Ukraine an einer Erstförderung teil.

Für eine gelingende Integration sei die Beherrschung der deutschen Sprache Voraussetzung, betonte die Ministerin. Deshalb sei es wichtig, dass die Beschulung von grundsätzlich allen Zugewanderten funktioniere. Das Beschulungskonzept sieht unter anderem vor, dass es bereits in den zentralen Unterbringungseinrichtungen schulnahe Bildungsangebote für schnelle erste Deutschkenntnisse geben soll.

Nach der Zuweisung in die jeweiligen Kommunen werden die Kinder dann den Schulklassen zugewiesen, nachdem zuvor in Begleitung der Eltern eine Erstberatung seitens der Lehrkräfte stattgefunden hat. Die Deutschförderung erfolgt durch Teilnahme am Unterricht und ergänzend durch den Besuch einer gesonderten Deutsch-Lerngruppe. Die Deutschförderung soll den Angaben zufolge mindestens zehn bis zwölf Stunden pro Woche betragen. Unter Berücksichtigung von Lernstand und Lernentwicklung erhalten die Kinder den passenden Bildungsgang.

Das Erleben von Schule als sicherer Ort sei für die geflüchteten Kinder und Jugendlichen von entscheidender Bedeutung, heißt es in dem Konzeptpapier. Belastungen wie die Sorge um Angehörige und den Verlust von Heimat und sozialen Beziehungen könnten so in einem ersten Schritt aufgefangen werden.



Saarland schließt Vereinbarung mit Landesverband der Sinti und Roma



Saarbrücken (epd). Die saarländische Landesregierung hat mit dem Landesverband Deutscher Sinti und Roma am 13. April eine Rahmenvereinbarung geschlossen. „Angesichts der Verfolgung und Ermordung von Sinti und Roma während der Zeit des Nationalsozialismus erkennt das Saarland in der Rahmenvereinbarung die besondere historische Verantwortung gegenüber den Angehörigen dieser Minderheit an“, sagte Ministerpräsident Tobias Hans (CDU) am 13. April in Saarbrücken. Die Vereinbarung solle Maßnahmen fördern, die die rund 4.000 im kleinsten Flächenbundesland lebenden Sinti und Roma in allen gesellschaftlichen Bereichen unterstützten.

Die Vorsitzende des Landesverbandes Deutscher Sinti und Roma, Diana Bastian, begrüßte die Vereinbarung, die „die Zusammenarbeit zwischen den saarländischen Sinti und Roma und der Landesregierung auf ein neues Fundamt stellt“. „Mit der Rahmenvereinbarung ist es zum ersten Mal in der Geschichte des Saarlandes möglich, gefestigte Strukturen aufzubauen, um die kulturelle Vielfalt unserer Minderheit darzulegen“, betonte sie.

Das Saarland ist der Staatskanzlei zufolge das achte Bundesland, welches ein solches Verwaltungsabkommen geschlossen hat. Die Rahmenvereinbarung gilt demnach für zwei Jahre. Danach solle geprüft werden, ob sie in einen Staatsvertrag überführt werden könne, hieß es.



Kläger legen Revision gegen Urteile zu Medikamenten für Suizid ein



Münster, Leipzig (epd). Die Urteile des Oberverwaltungsgerichts NRW über Medikamente zur Selbsttötung sollen nun vom Bundesverwaltungsgericht in Leipzig überprüft werden. Zwei der drei Kläger haben am 30. März Revision eingelegt, wie eine Gerichtssprecherin in Leipzig dem Evangelischen Pressedienst (epd) am 11. April sagte. Wann in diesen Verfahren ein Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt wird, könne derzeit noch nicht gesagt werden. (Az: : 3 C 9.22 und 3 C 8.22).

Das Oberverwaltungsgericht in Münster hatte am 2. Februar entschieden, dass schwerkranke Menschen keinen Anspruch auf ein Betäubungsmittel des Bundesarzneimittelinstituts zur Selbsttötung haben. Anwaltlich vertreten werden die beiden Kläger nicht mehr vom Rechtsanwalt und Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS), Robert Roßbruch. Bevollmächtigter Rechtsanwalt ist den Angaben nach Oliver Kautz aus Augsburg, der laut eigener Homepage Berater der Deutschen Gesellschaft für humanes Sterben ist.

Geklagt hatten in Münster noch drei Kläger. Nach der Verhandlung hatte sich allerdings herausgestellt, dass die dritte Klägerin aus Schwäbisch-Hall schon im April 2021 - noch vor der Verhandlung - gestorben war. Bei den beiden noch verbliebenen Klägern handelt es sich um einen krebskranken 77- jährigen aus dem Landkreis Lüneburg und einem 51- jährigen Frührentner aus Rheinland-Pfalz, der an Multipler Sklerose erkrankt ist. Die Kläger berufen sie sich auf ihr verfassungsrechtlich gewährleistetes Persönlichkeitsrecht, das auch ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben einschließe.

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) in Bonn hatte die Anträge auf Erteilung einer Erlaubnis zum Erwerb des Betäubungsmittels Natrium-Pentobarbital abgelehnt. Das Oberverwaltungsgericht hatte erklärt, einem Erwerb des Mittels in einer tödlichen Dosis stehe das Betäubungsmittelgesetz entgegen. Ein solches Verbot sei kein unverhältnismäßiger Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht, nachdem das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2020 das Verbot von „geschäftsmäßiger Förderung der Selbsttötung“ aufgehoben habe.




Soziales

Studie: Große regionale Unterschiede bei Durchschnittseinkommen




Der Reichtum in Deutschland ist unterschiedlich verteilt.
epd-bild/Jürgen Blume
Die durchschnittlichen Einkommen in Deutschland fallen laut einer Studie regional sehr unterschiedlich aus. Süddeutsche Kommunen rangieren an der Spitze, in Städten wie Gelsenkirchen und Duisburg haben die Menschen am wenigsten Geld zur Verfügung.

Düsseldorf (epd). Zwischen den Kreisen und kreisfreien Städten in Deutschland gibt es offenbar deutliche Unterschiede beim Pro-Kopf-Einkommen. Laut einer am 13. April in Düsseldorf veröffentlichten Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung existierten für das Berichtsjahr 2019 „zum Teil frappierende Einkommensunterschiede“.

Spitzenreiter bei der Untersuchung der durchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommen in den 401 deutschen Landkreisen und kreisfreien Städten waren die Stadt Heilbronn mit 42.275 Euro und der Landkreis Starnberg mit 38.509 Euro. Am niedrigsten war das Pro-Kopf-Einkommen im Jahr 2019 in den Ruhrgebietsstädten Gelsenkirchen und Duisburg mit 17.015 Euro beziehungsweise 17.741 Euro.

Für ihre Studie hatten die Experten Eric Seils und Toralf Pusch auf die aktuellen Daten aus der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung der Länder für 2019 und auf neue Daten zu regionalen Preisniveaus zurückgegriffen. Demnach ist auch 30 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung das Einkommensgefälle von West nach Ost nicht verschwunden. So gab es in den neuen Ländern mit dem Landkreis Potsdam-Mittelmark (24.127 Euro) nur einen einzigen Kreis, in dem das verfügbare Pro-Kopf-Einkommen den Durchschnitt für die Bundesrepublik (23.706 Euro) überschreitet.

Reicher Süden

In den alten Bundesländern besteht den Angaben zufolge weiterhin ein Süd-Nord-Gefälle. Im Durchschnitt liegt das Pro-Kopf-Einkommen in Bayern und Baden-Württemberg etwa 2.600 Euro höher als im übrigen Westdeutschland. Insbesondere in einigen kleineren Städten oder ländlichen Gebieten mit sehr hohen Einkommen wird der Durchschnitt dabei durch eine überschaubare Zahl sehr reicher Haushalte beeinflusst. „Was hier als regionale Ungleichheit erscheint, hat also in Wirklichkeit auch mit sehr hohen Einkommen einzelner Personen zu tun“, sagte Seils.

Gleichwohl sorge das staatliche System von Abgaben und Transfers - wie Kindergeld, Arbeitslosengeld oder Renten - für eine Verringerung der Einkommensunterschiede zwischen den Kommunen, hieß es. „Vor allem die staatliche Umverteilung korrigiert die Verteilung der realen verfügbaren Einkommen zwischen den Regionen in beachtlichem Umfang“, erklärte Seils. Insbesondere in der personellen Einkommensverteilung verbleibe aber eine beträchtliche Ungleichheit.

Zudem tragen regional unterschiedlich hohe Preisniveaus zu einer gewissen Angleichung der Pro-Kopf-Einkommen bei. In Regionen mit hohem Einkommen liegen zumeist die Lebenshaltungskosten auch höher. „Die Leute haben dann zwar mehr Geld im Portemonnaie, können sich aber nicht in gleichem Maße mehr leisten“, erläuterte Wissenschaftler Pusch.



Lisa Paus wird neue Bundesfamilienministerin




Lisa Paus
epd-bild/dpa-Pool/Fabian Sommer
Nach dem Rücktritt von Anne Spiegel schicken die Grünen Lisa Paus an die Spitze des Familienministeriums. Sie brenne für soziale Gerechtigkeit, sagt sie bei ihrer Vorstellung. Ihre erste Priorität sei "selbstverständlich die Kindergrundsicherung".

Berlin (epd). Die Grünen-Politikerin Lisa Paus wird neue Bundesfamilienministerin. Die Grünen-Parteivorsitzenden Ricarda Lang und Omid Nouripour präsentierten die 53-Jährige am 14. April als Nachfolgerin für die am 11. April zurückgetretene Anne Spiegel (Grüne).

Paus sei eine erfahrene, kompetente und durchsetzungsstarke Politikerin, sagte Nouripour in Berlin. Damit sei sie die Richtige für die Herausforderungen, vor denen das Familienministerium stehe, sagte er mit Verweis auf die geplante Kindergrundsicherung, die Folgen der Corona-Pandemie für Familien und die Integration der Ukraine-Flüchtlinge, darunter viele Kinder. Lang sagte, Paus sei eine Kämpferin für soziale Gerechtigkeit.

Die neue Bundesministerin stammt aus Nordrhein-Westfalen. Die Volkswirtin machte aber in Berlin politische Karriere. Sie gehörte von 1999 bis 2009 dem Berliner Abgeordnetenhaus an. 2009 zog sie in den Bundestag ein. Als Finanzexpertin ihrer Fraktion war sie auch mit steuerlichen Fragen und Leistungen, die die Familienpolitik betreffen, befasst. Sie wird dem linken Flügel der Partei zugerechnet.

Neue Ministerin nennt Kindergrundsicherung als Priorität

Paus selbst betonte, sie brenne für soziale Gerechtigkeit. Bei der Aufzählung ihrer Prioritäten nannte sie sogleich „als erstes selbstverständlich die Kindergrundsicherung“. Die Koalition von SPD, Grünen und FDP hat dieses Projekt im Koalitionsvertrag verankert, um Kinderarmut zu bekämpfen. Sie könne sich nicht damit abfinden, dass in einem der reichsten Länder der Welt Kinderarmut wachse, sagte Paus.

Anne Spiegel, die in der Ampel-Koalition im Dezember das Amt der Bundesfamilienministerin übernommen hatte, war nach Kritik an ihrem Umgang in ihren früherem Amt als Landesministerin in Rheinland-Pfalz nach der Hochwasserkatastrophe im Sommer 2021 zurückgetreten. Das Bundesfamilienministerium, das auch die Zuständigkeit für Frauen, Senioren und Jugend hat, ging bei der Ressortverteilung der Ampel-Koalition an die Grünen, so dass sie über die Nachfolge entschieden.

Paus betonte bei ihrer Vorstellung, mit ihr werde es „wieder eine klare Feministin“ als Ministerin in diesem Haus geben, und stellte Pläne für mehr Gleichstellung sowie eine Verbesserung der Lage von Seniorinnen und Senioren sowie von Alleinerziehenden heraus. Auch das Demokratiefördergesetz, das Initiativen gegen Rechtsextremismus eine stabilere finanzielle Grundlage ermöglichen soll, will sie nach eigenen Worten vorantreiben.



Weniger Organspenden, aber mehr Spender im Pandemiejahr 2021



Frankfurt a.M. (epd). Die Zahl der nach dem Tod gespendeten Organe in Deutschland ist im Pandemiejahr 2021 nur leicht auf 2.905 (2020: 2.941) zurückgegangen. Dagegen stieg die Zahl der postmortalen Organspender geringfügig von 913 auf 933 an, wie aus dem am 12. April in Frankfurt am Main veröffentlichten Jahresbericht der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) hervorgeht. Insgesamt wurden danach im vergangenen Jahr bundesweit 2.979 Organe transplantiert.

„In Anbetracht der teils massiven Einbußen, die andere europäische Länder über die zwei Pandemiejahre zu verzeichnen hatten, können wir mit dieser errungenen Stabilität noch zufrieden sein“, schreiben die beiden DSO-Vorstände Axel Rahmel und Thomas Biet im Vorwort des Jahresberichts. „Allerdings bewegen wir uns in Deutschland nach wie vor unverändert auf einem sehr niedrigen Niveau. Nicht aus den Augen verlieren dürfen wir deshalb die Zahl der Patientinnen und Patienten, die auf eine Organspende warten.“

8.500 Menschen auf der Warteliste

Ende 2021 standen laut Bericht rund 8.500 schwer kranke Menschen auf der Warteliste. Davon benötigten allein rund 6.600 eine Nierentransplantation, es konnten jedoch nur 1.992 Nieren übertragen werden. Aus Mangel an Spenderorganen seien hierzulande rund 100.000 Patienten dauerhaft auf die Dialyse angewiesen, hieß es. Durch eine Nierentransplantation hätten sie eine längere Lebenserwartung und eine erheblich bessere Lebensqualität.

Die DSO hatte erst vor einer Woche einen Einbruch der Zahl der Organspenden im ersten Quartal dieses Jahres gemeldet. Von Januar bis März seien 28 Prozent weniger Organe gespendet worden als im Vorjahreszeitraum. 176 Personen hätten 562 Organe gespendet, im Vorjahreszeitraum seien es 249 Spender und 778 Organe gewesen.



Energiekosten: Caritas-Präsidentin für "sozial angemessene Antworten"



Essen, Berlin (epd). Hohe Energiekosten und Klimaschutz betreffen nach den Worten der Caritas-Präsidentin Eva Maria Welskop-Deffaa nicht nur Industrie und private Haushalte, sondern auch soziale Einrichtungen. „Die akute Verschärfung der Lage macht sozial angemessene Antworten in der Energiepolitik unaufschiebbar dringlich“, sagte sie den Zeitungen der Essener Funke Mediengruppe (19. April). „Wie in anderen Debatten - wenn es zum Beispiel um die Förderung von Klimamaßnahmen geht - werden soziale Einrichtungen nicht mitgedacht.“ Aber auch die Caritas wolle die Arbeit bis 2030 klimaneutral erbringen.

Allein bei der Caritas sind laut Welskop-Deffaa die allermeisten der etwa 1.000 ambulanten Pflegedienste mit über 40.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mit dem Auto unterwegs. Eine Pflegekraft fahre jeden Tag zwischen 20 bis 50 Kilometer, ein einzelnes Auto um die 100 Kilometer. „Erhöhte Spritpreise sind eine enorme finanzielle Belastung“, betonte die Caritas-Präsidentin. So müsse etwa die Sozialstation Glashütte in Sachsen mit ihren 19 Fahrzeugen zurzeit monatlich um die 4.000 Euro zusätzlich fürs Tanken ausgeben. Anderen ambulanten Diensten gehe es ähnlich, erklärte sie.

„Um das auszugleichen, wird versucht, die Touren zu optimieren, etwa indem die Mitarbeiterinnen des Pflegediensts für die Pflegebedürftigen nicht mehr einkaufen fahren“, sagte Welskop-Deffaa. „Es ist nicht nur die Versorgung bedroht, sondern es geht auch ein Stück Menschlichkeit verloren.“ Spritbedingte Mehrkosten würden bisher nicht erstattet. Während soziale Dienste in der Debatte nicht mitgedacht würden, würden die „Tempo-verliebten Besitzer großmotoriger Autos“ berücksichtigt. „Tempolimit auf allen deutschen Autobahnen sofort - auch darauf warte ich“, sagte die Caritas-Präsidentin.




Medien & Kultur

Zollverein wird zu Gethsemane




"Die Passion" in Essen
epd-bild/Friedrich Stark
Wie sähe es aus, wenn Jesus heute in unserer modernen Gesellschaft leiden, sterben und auferstehen würde? RTL versucht eine Antwort mit einem live übertragenen Pop-Musical, das auch religiös und kirchlich unerfahrene Menschen ansprechen soll.

Essen (epd). So hat man die Zeche Zollverein in Essen bei Nacht noch nicht gesehen: umgedeutet zum biblischen Garten Gethsemane mit dem verzweifelten Jesus im Gebet. „Wacht mit mir und betet“, bittet er die Clique junger Leute um sich herum. Männer und Frauen, modern gekleidet wie er selbst: in Jeans, Kurzmantel mit Kapuze oder kariertem Holzfällerhemd wie Petrus. Dann der große Showdown: Der Verräter Judas, ganz in Schwarz gekleidet, fährt mit dem Polizeiauto vor, und Jesus wird nach kurzem Gerangel wie auf einer Demo abgeführt. Später taucht er im orangefarbenen Overall wieder auf - der berüchtigten Gefängniskleidung aus dem US-Internierungslager Guantánamo.

Fiktion und Fantasie: So könnte es sein, wenn Jesus seine Passion heute erleben würde. Das zeigen die sieben vorproduzierten Filmszenen an verschiedenen Orten in Essen wie auf Zollverein, aber auch im Linienbus, am Imbisswagen oder im Shoppingcenter. Prominent besetzt mit Alexander Klaws als Jesus, Ella Endlich als Maria, Laith Al-Deen als Petrus, Mark Keller als Judas und Henning Baum als Pontius Pilatus.

Sie alle sind am 13. April am Essener Burgplatz auf der Open-Air-Bühne zu sehen, im Film und real. Eine hybride Veranstaltung mit mehr als 2,9 Millionen TV-Zuschauerinnen und Zuschauern vor dem Fernseher und fast 5.000 Menschen live vor Ort zu Füßen des Doms. Sie begleiten das Event mit Szenenapplaus und Begeisterung. Eine gelungene Deutschland-Premiere für die RTL-Show „Die Passion“ über das Leben und Leiden Jesu im modernen Gewand - „Die größte Geschichte aller Zeiten“, wie der Sender in der Werbung unermüdlich betont.

Thomas Gottschalk als Erzähler

Was das heißt, verdeutlicht Thomas Gottschalk, den RTL neben vielen anderen Prominenten für das gut zweistündige Musikspektakel gewonnen hat, als Erzähler. In der Passionsgeschichte gehe es um Freundschaft, Liebe und Verrat, aber auch Hoffnung, Zuversicht und Vergebung - „Themen, die heute wahrscheinlich aktueller sind als jemals zuvor“, erläutert der Showmaster nachdenklich.

Jesus wäre heute wohl „ein erfolgreicher Influencer“, meint Gottschalk, der etwas einsam auf der ausladenden Bühne steht mit Band, Chor und LED-Leinwand weit hinter sich. Zu viel Nähe zur Kirche oder gar missionarischen Absichten erteilt Gottschalk eine klare Absage: Die Show sei „weder ein Gottesdienst noch ein frommes Märchen“, sondern einfach die Ostergeschichte „im Look von 2022 - reloaded“. Und doch leben die Einspieler auch von wortgetreuen Bibelzitaten.

Neben Filmszenen spielen bei der Umsetzung zahlreiche moderne Popsongs die zentrale Rolle. Bei der Gethsemane-Szene etwa erklingt Adel Tawils Song „Ist da jemand?“ und nach Jesu Tod singt Maria das Lied „Wir sind geboren, um zu leben“ der Band „Unheilig“. Viele vertraute Songs, die in dieser Inszenierung eine erstaunliche Bedeutung erhalten. Bis hin zum gefeierten Finale, als Jesus alias Alexander Klaws live und ganz in Weiß als Auferstandener auf dem hohen Dach des Kinos Lichtburg erscheint. Er wird angestrahlt von hunderten Scheinwerfern und singt „Halt dich an mir fest, wenn das Leben dich zerreißt“ („Revolverheld“).

Es ist ein Gänsehautmoment der technisch aufwändigen und abwechslungsreichen Show. Parallel zum Bühnenprogramm zieht eine Prozession rund drei Kilometer durch die Essener City, von Rüttenscheid an der Philharmonie vorbei bis auf den Burgplatz. Freiwillige tragen ein sechs Meter langes und 250 Kilogramm schweres Leuchtkreuz.

„Ich weiß nicht, ob mich dieser Abend wirklich berühren kann oder ob alles nur Show ist“, sagt eine Besucherin anfangs. Am Ende des Abends sieht sie ihre Skepsis nicht bestätigt: „Spannend, dieser neue Zugang zur alten Ostergeschichte.“

Von Bettina von Clausewitz (epd)


Liebe und Angst in der Fußgängerzone




Rahmenprogramm der Kirchen zur Live-Show
epd-bild/Udo Gottschalk
Kunst, Gebet und Seelsorge: Während RTL in der Essener City Jesu letzte Tage als moderne Musikshow "Die Passion" inszeniert, bieten die Kirchen Denkanstöße und Gelegenheit zu Gesprächen.

Essen (epd). In der Essener Fußgängerzone lauert die Angst. Zwischen Herrenbekleidungsgeschäft und Parfümerie, in rund ein Meter hohen orangefarbenen Holzbuchstaben. Die meisten Passantinnen und Passanten laufen vorbei und werfen nur einen kurzen Blick auf die Installation, die Teil des kirchlichen Rahmenprogramms zum RTL-Live-Event „Die Passion“ am 13. April auf dem Essener Burgplatz ist. „Der Begriff Mut hätte vielleicht mehr Menschen angesprochen“, sinniert Lydia Schneider, ehrenamtliche evangelische Seelsorgerin, die als Ansprechpartnerin für Gespräche bereitsteht.

Die „Liebe“ kommt auf jeden Fall besser an. Insbesondere jüngere Leute bleiben vor den pinkfarbenen Buchstaben neben dem Springbrunnen hinter dem Handelshof stehen - vor allem, um schnell ein Foto mit dem Smartphone zu machen. Zwei ältere Frauen lassen sich von Gregor Lauenburger, Schulseelsorger am katholischen Mariengymnasium, erklären, was hier eigentlich los ist, und kündigen an, sich „Die Passion“ dann später zuhause im Fernsehen anzuschauen.

Passanten haben Gesprächsbedarf

Ein paar Meter weiter bei „Jesus“ - in blau - bleiben häufiger Menschen stehen. Einige haben auch Gesprächsbedarf, wie Nicolaus Klimek, Referent für Glaubenskommunikation beim Bistum Essen, berichtet. An der evangelischen Marktkirche am unteren Ende der Kettwiger Straße schließlich prangt in grün der Begriff „Kreuz“. Auf den Buchstaben haben Besucherinnen und Besucher mit Filzstiften bereits eigene Gedanken wie „Im Kreuz ist Hoffnung“ hinterlassen.

Elvira Neumann, Gemeindereferentin aus Gelsenkirchen, die als Seelsorgerin zu Gesprächen bereitsteht, findet die ökumenische Aktion sehr gut. „Niederschwelliger geht's doch gar nicht“, sagt sie. Viele Menschen seien stehen geblieben, ohne sich genötigt zu fühlen. Das sei „ein Zeichen, dass die Menschen sich mit zentralen christlichen Themen auseinandersetzen“.

Neben Dom und Anbetungskirche, neben den Absperrungen und etwas versteckt hinter den brummenden riesigen Stromaggregaten des Musikspektakels ist der Street-Art-Künstler Mika Springwald bei der Arbeit. Direkt unterhalb der Kreuzigungsgruppe entsteht ein „moderner Kreuzweg“, wie er sagt. In dem gesprayten Graffiti greift er dabei auch die Farben und Begriffe der Aktion in der Fußgängerzone auf.

Während Menschen weiter mit Einkaufstaschen durch die Fußgängerzone schlendern, wird die Schlange am Einlass zur RTL-Show am Burgplatz immer länger. Das Angebot der Kirchen, sich vor Beginn der Veranstaltung im Dom oder in der Marktkirche auf das Ereignis einzustimmen oder dort mit Seelsorgern zu sprechen, nimmt indes kaum jemand wahr.

Zum Abschluss in die Kirche und in den Dom

Anders sieht es nach dem Ende des Live-Events aus. Die letzten Songs schallen noch über den Platz, während zahlreiche Schaulustige versuchen, über die weiß bespannten Absperrzäune einen Blick auf das Geschehen zu erhaschen. Einige Jugendliche spekulieren auf Autogramme der Stars. Nachdem das Spektakel um kurz nach halb elf mit dem Abendsegen von Marktkirchenpfarrer Jan Vicari und der katholischen Theologin Theresa Kohlmeyer endet, öffnen sich die Ausgänge und die Zuschauerinnen und Zuschauer strömen heraus.

Einige finden den Weg in die Marktkirche und vor allem in den Dom, in dem ein weißes Lichtkreuz eine Verknüpfung zu dem Musical herstellt. Viele sitzen einfach nur ein paar Minuten still in der Kirchenbank oder zünden eine Kerze bei der Goldenen Madonna an. „Sie kommen, beten und schweigen“, sagt Jesuitenpater Lutz Müller. Der Seelsorger ist schon seit dem Nachmittag im Einsatz und steht auch hier noch bis Mitternacht zum Gespräch bereit für die Menschen, die nach der Musikshow noch ein wenig die Stille genießen möchten.

Von Esther Soth (epd)


Jüdisches Museum zeigt Ausstellung über Moses Mendelssohn




Büste von Moses Mendelssohn (1785)
epd-bild/Juergen Blume
Literaturkritiker, Autor, gefragter Gast in den Berliner Salons, Fabrikant und Familienvater: Eine Ausstellung im Jüdischen Museum Berlin widmet sich dem jüdischen Gelehrten und Aufklärer Moses Mendelssohn. Eröffnet wurde sie vom Bundespräsidenten.

Berlin (epd). Im Beisein von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ist am 13. April im Jüdischen Museum Berlin eine Ausstellung über den jüdischen Philosophen und Aufklärer Moses Mendelssohn (1729-1786) eröffnet worden. Steinmeier würdigte Mendelssohn als einen wichtigen Vordenker der jüdischen Aufklärung (Haskala), der den Weg bereitet habe für die Gleichstellung der Juden in Deutschland: „Er kämpfte dafür, dass sie aus ihrer Isolation, wie sie seit dem Mittelalter bestand, heraustreten konnten und Teil der entstehenden bürgerlichen Gesellschaft wurden“, sagte Steinmeier laut vorab verbreitetem Redemanuskript.

Mendelssohns Vermächtnis sei universal. „Toleranz, Meinungsfreiheit und die Kraft der Vernunft und Wissenschaft, ein friedliches Miteinander der Religionen, Humanität und die Geltung der Menschenrechte - diese Werte verbinden sich mit ihm. Diese Werte verdanken wir der Aufklärung. Auf ihnen gründen unsere modernen liberalen Demokratien“, betonte der Bundespräsident.

„Ausgrenzung gibt es noch heute“

Mendelssohn habe immer unter den Beleidigungen, den Demütigungen, unter uralten antisemitischen Vorurteilen und Klischees gelitten: „Er litt unter der Unterscheidung von Juden und Deutschen. Sie hatte nur ein Ziel: Ausgrenzung.“

„Wir alle wissen: Diese Form der Ausgrenzung gibt es noch heute in unserem Land“, mahnte der Bundespräsident. Jüdinnen und Juden seien aber keine Fremden, keine Anderen: „Sie gehören zu uns. Sie sind ein Teil von uns. Das ist es, wofür Moses Mendelssohn gekämpft hat. Das ist sein Vermächtnis. Das ist es, wofür wir auch heute eintreten müssen.“

In der Ausstellung „Wir träumten von nichts als Aufklärung“ werden auf 900 Quadratmetern zahlreiche Schriften, Porträts, Bücher, aber auch ein Tora-Vorhang, die Brille samt Etui Mendelssohns sowie interaktive Karten präsentiert. Dazu kommen zahlreiche Hörstationen und Filmausschnitte.

Jüdische Moderne beeinflusste Europa

In insgesamt sieben Räumen werden thematische Schwerpunkte gesetzt wie „Von Dessau nach Berlin“, „Dialog und Netzwerk“, „Religion“ oder „Aufklärung und Verdunklung“. Erzählt wird unter anderem von Mendelssohns Leben in Berlin, seinem Eintreten für die Emanzipation der Juden und von seiner Freundschaft mit dem Schriftsteller Gotthold Ephraim Lessing (1729-1781) und dem Berliner Verleger Friedrich Nicolai (1733-1811).

Die Schau zeige in einer jüdischen Perspektive, wie das Berlin des 18. Jahrhunderts zu einem Ort wurde, an dem sich unterschiedliche jüdische und nichtjüdische Sichtweisen begegneten und sich eine jüdische Moderne entwickelte, die nahezu ganz Europa beeinflusste, sagte die Direktorin des Museums, Hetty Berg.

Mendelssohn sei schon damals von seinen Zeitgenossen als eine Ausnahmeerscheinung wahrgenommen worden, sagte Kuratorin Inka Bertz. Darauf deute auch die Vielzahl der Porträts hin, die damals von ihm angefertigt wurden. So habe er damals allein achtmal Modell gesessen, „eine erstaunliche Zahl“, sagte Bertz.

Sein Entwurf einer rechtsstaatlich begründeten pluralistischen Gesellschaft könne auch für heutige Diskussionen fruchtbar sein, sagte die Kuratorin. Die Ausstellung schlage so auch eine Brücke ins Heute. Zu sehen ist sie bis 11. September.

Von Markus Geiler (epd)


Oberammergau Museum von alten Passionsgewändern umhüllt




Umhülltes Museum
epd-bild/Oberammergau Museum

Oberammergau (epd). Das Oberammergau Museum kommt im veränderten Gewand daher - und zwar in alten Passionskleidern. Ab 23. April sei ein spektakuläres Gesamtkunstwerk aus Gebäude- und Rauminstallation sowie Ausstellung zu sehen, teilte das Museum am 13. April mit. Das Gesamtkunstwerk unter dem Titel „(IM)MATERIELL - Stoff, Körper, Passion“ ist bis Mitte Oktober zu sehen, wenn auch die Passionsspiele enden.

Das Museumsgebäude sei ummantelt von einem riesigen blauen Kubus, der aus den Volksgewändern der Passionsspiele 2000 und 2010 gefertigt wurde, teilte das Museum weiter mit. Diese textile Ummantelung „verdeckt und verwandelt“ das Museumsgebäude in ein weithin sichtbares Kunstobjekt im öffentlichen Raum. Die „Stoffwand“ setze sich im Innenbereich fort und ziehe sich schräg gestellt durch alle drei Stockwerke des Museums.

„Irritierend umgestaltet“

Die Räume im Inneren seien durch die Stoffwand „irritierend umgestaltet“: Die Besucherinnen und Besucher würden immer wieder den Kubus betreten und verlassen. Durch Verhüllungen und Verfremdungen seien nur einige wenige Exponate hervorgehoben. Kernbestand der Sammlung seien figürliche Holzschnitzereien aus fünf Jahrhunderten, die vor allem die Geburt, das Leben, Leiden, Sterben und die Auferstehung Christi darstellten.

Das Projekt sei „eine Hommage an die Volkskunst und die Generationen vor uns“, heißt es weiter. Am Ende der Ausstellung sollen die Besucher ein kleines Stück Stoff der alten Volksgewänder erhalten.

Die weltberühmten Oberammergauer Passionsspiele feiern in diesem Jahr am 14. Mai Premiere. Wegen der Corona-Pandemie wurden sie um zwei Jahre verschoben.



Wie man in der Schule zur Leseratte wird




Schulbibliothek der St.-Angela-Schule in Königstein im Taunus
epd-bild/Peter Juelich
Nur wenige deutsche Schulen verfügen über eine gut ausgestattete Bibliothek. Eine vertane Bildungschance, klagen Pädagogen. Wie es gehen kann, zeigt eine Schule im Taunus.

Königstein (epd). Es ist große Pause: Aus dem gläsernen „Informatikfachraum“ der St. Angela-Schule im hessischen Königstein stürmen die Schülerinnen der 5d geradewegs in die Bibliothek. Die elfjährige Charlotte hat „Mister Marple und die Schnüfflerbande“ unterm Arm, sie und Lara (11) möchten in den „Leseclub“ der Schule und erkundigen sich bei der Bibliothekarin. „Ich lese ziemlich viel, das macht mir Spaß“, sagt Charlotte. Lara hat auch zuhause „tausende Bücher“, wie sie sagt, manche liest sie mehrmals.

Die beiden Leseratten sind gut dran. Die Bibliothek der privaten katholischen Mädchenschule St. Angela, die Realschule und Gymnasium unter einem Dach vereint, ist ein Vorzeigeprojekt. Was hier möglich ist, davon können viele andere Schulen nur träumen.

Nur knapp 20 Prozent der rund 32.000 allgemeinbildenden und 8.800 beruflichen Schulen in Deutschland verfügen Schätzungen des Arbeitskreises Jugendliteratur zufolge über eine modernen Standards entsprechende Schulbibliothek. Genaue Zahlen liegen nicht vor. Die Kommission „Bibliothek und Schule“ des Deutschen Bibliotheksverbands hat 2021 eine eigene Evaluierung initiiert. Ihr Vorsitzender Frank Raumel geht davon aus, dass viele kleine Schulbüchereien gibt, die in irgendeinen Raum Lesestoff anbieten - mit wenig Mitteln und ohne fachlich-pädagogische Betreuung.

Bibliothek als „Wissensspeicher“

In der Königsteiner St. Angela Schule stehen den rund 1.100 Schülerinnen etwa 10.000 Bücher, CDs, DVDs und Zeitschriften zur Verfügung. Der lichtdurchflutete Dachstuhl des denkmalgeschützten Bauhaus-Gebäudes wurde 2010 renoviert und lädt mit Hockern, Sofas und knuffeligen Sitzkissen zum Schmökern ein. Aber auch konzentriertes Arbeiten, das Recherchieren für den Unterricht, ist möglich; dafür gibt es eigene PC-Arbeitsplätze.

„Die Bibliothek fungiert als Wissensspeicher, den die Schülerinnen täglich benutzen“, sagt die Schulbibliothekarin und Literaturpädagogin Gabriele Fachinger. Sie sei aber auch der Ort, wo Kinder Freizeitliteratur und Sachbücher fänden und sich darüber austauschen könnten. Neben dem freiwilligen „Leseclub“ bietet Fachinger Pflicht-Kurse zur Medien- und Informationskompetenz an und entwickelt zusammen mit Lehrern und Lehrerinnen Unterrichtseinheiten.

Leseförderung wird an dieser Schule großgeschrieben. Fachinger versucht etwa es mit „Book Slams“ in der neunten Klasse: Jede Schülerin soll dabei den Inhalt eines Buchs in drei Minuten kreativ vor der Klasse präsentieren. Wie beim „Poetry Slam“ wird am Ende abgestimmt. Auf sogenannten Lese-Inseln, mobilen Kästen oder Tischen, werden Comics oder Krimis auch in Klassenräumen angeboten. Immer wieder gibt es Autorenlesungen.

Leseförderung als ein Ziel

„Vor allem in Grundschulen ist Leseförderung ein wichtiger Aspekt“, sagt Raumel: „28 Prozent der Viertklässler können schlecht lesen. Das bedeutet, sie können an weiterführenden Schulen Wissen nur schlecht aufnehmen.“ Mit Blick auf Migrantenkinder und ihre Chancen stehe man vor einer gesellschaftlichen Herausforderung. „Da kann die Schulbibliothek was erreichen, auch für Kinder aus lesefernen Haushalten.“

Schulbibliotheken, die zugleich Mediotheken mit Hörbüchern und Computern sind, könnten in Zeiten der Informationsüberflutung durch soziale Plattformen die Medienkompetenz der Schüler fördern, sagt Raumel. Sie lernten zu recherchieren, Informationen kritisch zu überprüfen, Fakten und Fake News zu unterscheiden.

Vom Trend zur Digitalisierung der Schulen scheint die Mehrzahl der Bibliotheken bislang jedoch wenig profitiert zu haben. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) und Verbände wie die „Stiftung Lesen“ oder der Arbeitskreis Jugendliteratur machen sich seit langem für eine „Schulbibliothek 4.0“ stark. In Berlin wird jetzt nach dem neuen Schulgesetz (2021) immerhin die Bibliothek als Teil der Schule anerkannt und finanziert. Andere Bundesländer sind noch nicht so weit.

„In der Politik kommt überhaupt nicht an, wie wichtig und notwendig eine gut ausgestattete Schulbibliothek ist“, sagt Bibliothekarin Fachinger. „Das gehört eigentlich zur Grundausstattung jeder Schule.“

Der Deutsche Bibliotheksverband strebt ebenfalls eine feste Verankerung der Bibliotheken in Schule und Unterricht an, wobei auch Kooperationen mit öffentlichen Bibliotheken ein Weg sein können. „Es ist an der Zeit, die Bibliotheken mit ins Bildungsboot zu holen“, sagt Frank Raumel. „Schulbibliotheken brauchen eine professionelle, fachlich qualifizierte Betreuung; sie brauchen Medien, Räume und Geld.“

In der St. Angela-Schule bereitet man sich derzeit auf die Leseaktion „Frankfurt liest ein Buch“ vor: „Nach Mitternacht“ von Irmgard Keun, eine Geschichte aus der NS-Zeit. Oberstufenschülerin Sophie möchte dazu eine kleine Ausstellung konzipieren - mit Zeitleiste und einem Plakat mit nächtlichem Sternenhimmel und Zitaten. Auch Krieg und Gewalt in der Gegenwart sind im Bewusstsein der Schülerinnen präsent: Am Eingang des Schulbibliotheks-Baus flattern blaue und gelbe Zettel mit Wünschen für die Ukraine: „Ihr schafft das!“, „Hope“ und „Freiheit“.

Von Renate Kortheuer-Schüring (epd)


Presse-Studie: Mehr Angriffe auf Journalisten



Leipzig (epd). Die Zahl der Angriffe auf Journalistinnen und Journalisten in Deutschland ist einer Studie zufolge im vergangenen Jahr weiter gestiegen. Das Europäische Zentrum für Presse- und Medienfreiheit (ECPMF) in Leipzig habe 83 tätliche Angriffe, 14 mehr als noch im Jahr 2020, verzeichnet, teilte der MDR am 12. April in Leipzig unter Berufung auf die dem Sender vorliegende ECPMF-Studie „Feindbild Journalist - Hass vor der Haustür“ mit. Von der Gewalt betroffen seien 124 Medienschaffende, darunter auch Jounalistenteams, wobei die Forscher von einer hohen Dunkelziffer ausgehen.

75 Prozent der Angriffe ereigneten sich den Angaben zufolge auf Demonstrationen von Gegnern der Corona-Maßnahmen. „Demonstrationen und Proteste bilden auch im Jahr 2021 den gefährlichsten Arbeitsplatz. Durch tätliche Angriffe und Bedrohungen entsteht hier das größte Berufsrisiko für Journalist:innen in Deutschland“, wird aus der Studie zitiert. Medienschaffende zögen sich immer häufiger von der Protestberichterstattung zurück.

„Hass zieht westwärts“

Regional betrachtet verzeichne Sachsen mit 23 Fällen die meisten Übergriffe, hieß es weiter: „Die Angriffe in Westdeutschland nehmen jedoch deutlich zu.“ Der Hass ziehe westwärts. Die beobachtete Ausbreitung pressefeindlicher Tätlichkeiten nach Westdeutschland spreche dafür, dass der Hass auf die Presse sich als Normalzustand bei einer Minderheit etabliere.

In Niedersachsen wurden laut Studie 21 Fälle verzeichnet, in Berlin 14, in Bayern zehn, in Baden-Württemberg sechs in Thüringen und Hessen je drei sowie in Nordrhein-Westfalen, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein je einer. Das ECPMF verifiziert den Angaben zufolge seit 2015 tätliche Angriffe auf Journalisten in Deutschland. Inzwischen summierten sich diese auf insgesamt 265.



Corona: 500.000 Euro für Amateurtheater und Freilichtbühnen



Düsseldorf (epd). Nordrhein-Westfalen unterstützt Amateurtheater und Freilichtbühnen mit 500.000 Euro. Gruppen und Bühnen, die durch die Corona-Krise ihre Reserven aufgebraucht hätten, könnten nun mit einer einmaligen Förderung aus diesem Topf beispielsweise Materialien für Bühne und Kostüme anschaffen, erläuterte Kulturministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen (parteilos) am 12. April in Düsseldorf.

„Darüber hinaus wollen wir die Amateurtheater und Freilichtbühnen künftig aus dem Landeshaushalt fördern, um die wichtige Arbeit, die hier geleistet wird, grundsätzlich besser abzusichern und zu stärken“, kündigte die Ministerin an. Hierzu würden Gespräche mit dem Verband der Amateurtheater aufgenommen.

Für die Corona-Förderung können sich alle nordrhein-westfälischen Amateurtheater und Amateur-Freilichtbühnen ab sofort bewerben. Die Anträge können bei den jeweiligen Bezirksregierungen gestellt werden.



Lutherhaus in Eisenach mit überarbeiteter Dauerausstellung



Eisenach (epd). Das Lutherhaus Eisenach hat seine Ausstellung „Luther und die Bibel“ neu gestaltet. An zusätzlichen interaktiven Medienstationen können die Gäste nun neue Aspekte der Übersetzung von 1521/22 erleben, sagte Direktor Jochen Birkenmeier am 13. April in der Wartburgstadt.

So werde etwa die internationale Wirkungsgeschichte der Lutherbibel künftig anschaulicher dargestellt und in Beziehung zu katholischen Bibelübersetzungen gesetzt. Neu in die Ausstellung aufgenommen worden sei auch die Geschichte der Vereinnahmung von Luthers bekanntestem Lied „Ein feste Burg ist unser Gott“. Die Geschichte des Liedes lasse sich nun durch fünf Jahrhunderte an prägnanten Beispielen nachverfolgen.

Die Ausstellung „Luther und die Bibel“ sei dabei nur eine von drei Attraktionen zum Jubiläumsjahr. So zeige das Lutherhaus seine - um eine weitere „Nazi-Glocke“ ergänzte - Sonderausstellung zum kirchlichen „Entjudungsinstitut 1939-1945“. Im Jubiläumsjahr stehe dabei das sogenannte „entjudete“ Neue Testament des Instituts und sein Verhältnis zu Luther im Fokus, sagte Birkenmeier. Zugleich biete das Haus seinen Gästen auch eine verbesserte Barrierefreiheit im Museum.

Die Skulptur „man in a cube“, die der chinesische Künstler Ai Weiwei anlässlich des Reformationsjubiläums geschaffen hat, sei weiterhin im Innenhof des Lutherhauses zu erleben. Sie sei eine außerordentlich aktuelle Auseinandersetzung mit Luthers Ideen von Sprache und Freiheit.

Das Lutherhaus Eisenach zählt als Museum in Trägerschaft der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM) zu den bedeutenden Reformationsstätten in Europa.




Entwicklung

Öffentliche Gelder für Entwicklungshilfe steigen auf Allzeithoch



Zum dritten Mal erreicht Deutschland das Ziel, mindestens 0,7 Prozent der Wirtschaftsleistung für die Entwicklungshilfe auszugeben. Weltweit verzeichnete die OECD einen neuen Rekord bei den Entwicklungsausgaben - vor allem wegen der Corona-Hilfen.

Paris, Frankfurt a.M. (epd). Vor allem wegen der Unterstützung bei der Pandemiebekämpfung sind die Gelder für öffentliche Entwicklungshilfe im vergangenen Jahr auf ein Rekordhoch gestiegen. Nach Angaben der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) erhöhte sich die Entwicklungshilfe der Geberländer im Jahr 2021 auf 179 Milliarden US-Dollar (164 Milliarden Euro). Das entspricht gegenüber dem Vorjahr einem Zuwachs von 4,4 Prozent, wie die OECD am 12. April in Paris mitteilte.

Die Geberländer hätten bewiesen, dass sie in Krisenzeiten Hilfe bereitstellen, sagte OECD-Generalsekretär Mathias Cormann. Zugleich mahnte er mit Blick auf die Folgen des Ukraine-Krieges wie steigende Lebensmittelpreise in armen Ländern weitere Anstrengungen an. „Der Bedarf wird steigen“, warnte er bei Vorstellung der Zahlen in Paris.

Zuwachs durch Corona-Hilfen

Der Großteil der Mehrausgaben für die Entwicklungszusammenarbeit geht auf Corona-Hilfen für ärmere Länder zurück. So schätzt die OECD, dass allein für Corona-Impfstoffspenden etwa 6,3 Milliarden US-Dollar (5,8 Milliarden Euro) und damit 3,5 Prozent der gesamten öffentlichen Entwicklungshilfe (ODA) ausgegeben wurden.

Abzüglich der Ausgaben für Corona-Vakzine liegt der Zuwachs bei den Entwicklungsausgaben im Vergleich zu 2020 demnach lediglich bei 0,6 Prozent. Insgesamt haben die Geberländer die Corona-Hilfen für ärmere Länder, etwa mit Geldern für das Gesundheitswesen, mit 18,7 Milliarden US-Dollar (17,2 Milliarden Euro) finanziert, damit floss mehr als ein Zehntel der Entwicklungshilfe in die Pandemiebekämpfung.

Die öffentliche Entwicklungshilfe entsprach rund 0,33 Prozent des Bruttonationaleinkommens der Geberländer. Damit wurde das UN-Ziel, mindestens 0,7 Prozent der Wirtschaftsleistung für die Entwicklungszusammenarbeit auszugeben, abermals weit verfehlt. Fünf Länder erreichten das sogenannte 0,7-Prozent-Ziel laut den vorläufigen Daten der OECD. Auch Deutschland schaffte dies nach 2016 und 2020 mit einem Anteil von 0,74 Prozent zum dritten Mal, wenn auch Ausgaben für Flüchtlinge im Inland mitgezählt werden. Ohne diese Kosten lagen die deutschen Ausgaben für Entwicklungshilfe bei 0,68 Prozent.

Deutschland zweitgrößter Geber

Bund, Länder und Kommunen hätten im vergangenen Jahr etwa 27,3 Milliarden Euro für ODA-Leistungen aufgebracht, erklärte das deutsche Entwicklungsministerium. Deutschland bleibe damit hinter den USA der zweitgrößte Geber. Staatssekretär Jochen Flasbarth sagte, es sei wichtig, dass Deutschland „gerade auch in schwierigen Zeiten bereit ist, partnerschaftlich andere Länder zu unterstützen“.

In die ODA-Quote eingerechnet werden öffentliche Gelder, die für die Unterstützung der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung armer Länder ausgegeben werden - und in dem Zusammenhang auch an internationale Organisationen fließen können. Die meisten der staatlichen Entwicklungsgelder in Deutschland stammen aus dem Bundesentwicklungsministerium.



Oxfam: Über 250 Millionen Menschen droht Abstieg in extreme Armut



Berlin (epd). Mehr als eine Viertelmilliarde Menschen könnte in diesem Jahr einer Studie zufolge in die absolute Armut gedrängt werden. Gründe hierfür seien die Auswirkungen der Corona-Krise, eine weltweit zunehmende Ungleichheit und der Anstieg der Lebensmittelpreise, der seit Beginn des Ukraine-Krieges zusätzlich verstärkt werde, hieß es in einer am 12. April veröffentlichten Studie der Entwicklungsorganisation Oxfam.

Die Zahl der Menschen, die in extremer Armut leben, könnte demnach bis Ende des Jahres auf 860 Millionen weltweit steigen. Sie haben weniger als 1,90 US-Dollar (1,75 Euro) pro Tag zur Verfügung. 2017 lag die Zahl der extrem Armen bei knapp 690 Millionen.

Die Weltgemeinschaft dürfe diese Menschen nicht vergessen, forderte Tobias Hauschild, Leiter Soziale Gerechtigkeit bei Oxfam Deutschland. Die Organisation rief die Bundesregierung auf, die besonders betroffenen Länder entschieden durch höhere Entwicklungshilfe zu unterstützen. Zudem müsse sie sich auf internationaler Ebene für Schuldenerlasse, eine höhere Besteuerung von Vermögen und übermäßigen Gewinnen sowie die Gründung eines Globalen Fonds für soziale Sicherung einsetzen.

Zwei Jahrzehnte Fortschritt zunichte gemacht

Durch die Corona-Pandemie und die zunehmende Ungleichheit werden nach Berechnungen der Weltbank in diesem Jahr 198 Millionen Menschen in die extreme Armut abrutschen. Damit drohen Oxfam zufolge zwei Jahrzehnte des Fortschritts bei der Armutsbekämpfung zunichtegemacht zu werden. Im Jahr 2020 stieg die Zahl der extrem Armen erstmals nach 20 Jahren. Durch die nun massiv steigenden Lebensmittelpreise drohe weiteren 65 Millionen Menschen extreme Armut. Der Studie zufolge sind damit 263 Millionen Menschen akut armutsgefährdet, das entspreche der Bevölkerung von Großbritannien, Frankreich, Deutschland und Spanien zusammen.

Laut dem Bericht steht eine Reihe von Ländern kurz vor der Zahlungsunfähigkeit. Zugleich müssten die ärmsten Länder der Welt in diesem Jahr Schulden in Höhe von 43 Milliarden Dollar (knapp 40 Milliarden Euro) zurückzahlen. Dieses Geld fehle für die Versorgung der Bevölkerung, beispielsweise mit importierten Lebensmitteln. „Die Weltgemeinschaft hat die Mittel, um alle Menschen aus Armut und Hunger zu befreien“, sagte Hauschild. „Was fehlt, ist der politische Wille.“