Düsseldorf (epd). Antisemitische Vorfälle können in Nordrhein-Westfalen bei einer neuen Meldestelle erfasst werden. Die NRW-Antisemitismusbeauftragte, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), erklärte am 12. April in Düsseldorf, sie sehe die Neueröffnung der Meldestelle als „weiteren wichtigen Schritt beim Vorgehen gegen Antisemitismus“. So hätten Betroffene nun einen weiteren Ansprechpartner, unabhängig von der strafrechtlichen Relevanz antisemitischer Vorfälle. Auch Vorfälle unterhalb der Strafbarkeitsgrenze würden systematisch erfasst, analysiert und dokumentiert.
Leiter: Antisemitismus nimmt in Deutschland wieder zu
Antisemitismus sei eine „sehr konkrete und sehr reale“ Bedrohung für die Demokratie und nehme in Deutschland wieder zu, sagte der Leiter der Meldestelle, Jörg Rensmann. Die Einrichtung wolle mit ihrer Arbeit auch für das Thema sensibilisieren und Beiträge zur Prävention leisten. So werde RIAS NRW künftig eigene Statistiken zu antisemitischen Vorfällen und Phänomenen erstellen und auswerten und die Ergebnisse der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen.
Der Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Abraham Lehrer, sagte, neben den unmittelbar betroffenen Jüdinnen und Juden dürften auch die politisch verantwortlichen Institutionen von der Arbeit der Meldestellen profitieren. Denn sie würden künftig über eine verlässlichere Datenlage für Maßnahmen zur Antisemitismus-Bekämpfung verfügen. So könne auf Tendenzen und Vorkommnisse schneller reagiert werden.
Der Staatssekretär Andreas Bothe (FDP) erklärte: „Mit dem Start der Meldestelle Antisemitismus machen wir deutlich: Judenfeindlichkeit hat bei uns keinen Platz.“ Die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus NRW (RIAS NRW) hat ihren Sitz in Düsseldorf und wird vom Land mit jährlich 266.000 Euro unterstützt. Die Trägerschaft hat zunächst der Landesverband der jüdischen Gemeinden Nordrhein.
Zahl der Vorfälle höher geschätzt
Das Dunkelfeld antisemitischer Vorfälle ist nach Einschätzung des Verfassungsschutzes deutlich höher als die bisher erfassten Zahlen, denn nicht jeder Fall von Antisemitismus wird zur Anzeige gebracht oder erfüllt überhaupt einen Straftatbestand. Im vergangenen Jahr war die Zahl der antisemitischen Straftaten im bevölkerungsreichsten Bundesland gegenüber 2020 um 54 Prozent auf 437 angestiegen.
Die Gründe für den jüngsten deutlichen Anstieg antisemitischer Vorfälle sieht RIAS NRW auch darin, dass im Zuge der Corona-Pandemie über Jahrhunderte verfestigte antisemitische Stereotypen und Mythen wieder öffentlichkeitswirksam verbreitet werden. Anfeindungen gegen Juden und Jüdinnen seien allgegenwärtig im öffentlichen Raum, im Arbeitsumfeld, an Schulen und Universitäten. Zudem gebe es immer wieder Übergriffe auf jüdische Gedenkstätten und Einrichtungen. Vor allem der israelbezogene Antisemitismus habe in den letzten Jahren deutlich zugenommen.
2018 wurde der Bundesverband der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus (RIAS) gegründet, um ein genaueres Bild über antisemitische Vorfälle in Deutschland zu gewinnen. Die bundesweite Meldestelle wird vom Antisemitismusbeauftragten der Bundesregierung gefördert. Parallel entstanden auch in einigen Ländern Meldestellen. Neben Nordrhein-Westfalen haben Bayern, Berlin, Hessen, Niedersachsen, das Saarland, Schleswig-Holstein und Thüringen solche Stellen eingerichtet.