Kirchen

Evangelische Kirche: Jahreslosung ist eine Einladung


Die Losung für das Jahr 2020 lautet: "Ich glaube; hilf meinem Unglauben" (Archivbild)
epd-bild / Norbert Neetz
"Ich glaube; hilf meinem Unglauben": Die biblische Jahreslosung für das neue Jahr sei eine Einladung an alle Menschen, die auf der Suche seien, sagt der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Heinrich Bedford-Strohm.

Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, hat in seiner Botschaft zum Jahreswechsel für mehr Gottvertrauen geworben. Die biblische Jahreslosung für das neue Jahr "Ich glaube; hilf meinem Unglauben" aus dem Markus-Evangelium (9, 24) sei eine große Einladung, "an all die Menschen in unserem Land, die auf der Suche sind, die etwas ersehnen, an das sie sich halten können, die aber nicht wissen, wie sie das hinbekommen", erklärte Bedford-Strohm am 30. Dezember in Hannover. Man solle sich in Situationen persönlicher Unsicherheit an Gott wenden, auch wenn dieser vermeintlich fern erscheine.

Die Losung für das Jahr 2020 stammt aus einer biblischen Heilungsgeschichte, die erzählt, wie Jesus einen kranken Jungen heilt. Der Vater des Jungen wendet sich in seiner Not an Jesus und bittet diesen um Hilfe. "Wir alle dürfen mit dem Vater zusammen lernen, radikal aus dem Vertrauen zu leben", sagte der EKD-Ratsvorsitzende, "und alles andere getrost in Gottes Hand zu legen."

Ein Leitvers für das Jahr

Diese Losung spreche mitten hinein in Zeiten, in denen nichts mehr zur Seele durchdringe, so Bedford-Strohm weiter, der auch bayerischer Landesbischof ist: "Wenn Sie im kommenden Jahr einen solchen Moment haben, dass Sie ein Zeichen von Gott ersehnen, dass Sie selber keinen Kontakt herstellen können, dass Sie sich dieser Grenze schmerzlich bewusst werden, dann wagen Sie die Worte des Vaters mitzusprechen: Herr, ich glaube; hilf meinem Unglauben!"

Als Jahreslosung wird von der Ökumenischen Arbeitsgemeinschaft für Bibellesen jeweils drei Jahre im Voraus ein Vers aus der Bibel ausgewählt. Die Jahreslosung soll Christinnen und Christen als Leitvers für das Jahr dienen. Wesentlich älter als die Jahreslosungen sind die täglichen Losungen der Herrnhuter Brüdergemeine. Seit über 270 Jahren zieht ein Mitglied dieser Glaubensgemeinschaft ein Bibelwort für jeden Tag aus einer silbernen Schale - ähnlich einer Lotterie. Die so ermittelten Worte werden bis heute als Tageslosungen in einem Sammelband veröffentlicht und sind Richtschnur für den Alltag vieler Christen.



Aufrufe zu Mut und Gottvertrauen

Erderwärmung, Populismus, verrohende politische Kultur - angesichts beunruhigender Entwicklungen rufen die Kirchen zu Gottvertrauen und Mut im neuen Jahr auf. Der Papst nutzt seine Predigt am Neujahrstag für einen Appell gegen Gewalt an Frauen.

Papst Franziskus hat am Neujahrstag Gewalt gegen Frauen scharf verurteilt. Frauen würden unablässig "beleidigt, geschlagen, vergewaltigt und dazu gebracht, sich zu prostituieren", beklagte das katholische Kirchenoberhaupt am 1. Januar in einer Messe im römischen Petersdom. Diese Gewalt sei eine "Schändung Gottes, der von einer Frau geboren wurde". In Deutschland riefen die Kirchen in ihren Neujahrsbotschaften dazu auf, mit Gottvertrauen und Mut in die Zukunft zu blicken.

Der Papst warb dafür, Frauen stärker an der Lösung von Konflikten zu beteiligen. "Die Frau ist Spenderin und Mittlerin des Friedens und muss an den Entscheidungsprozessen voll beteiligt werden", sagte Franziskus anlässlich des katholischen Weltfriedenstags am 1. Januar. "Denn wenn die Frauen ihre Gaben weitergeben können, dann ist die Welt geeinter und friedvoller", betonte er.

Aufrufe zu Zuversicht

Die Repräsentanten der Kirchen in Deutschland warben zum Jahreswechsel für Zuversicht, wiesen aber zugleich auf gesellschaftliche Fehlentwicklungen hin. So zeigte sich der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, besorgt um die politische Kultur und beklagte verbale Attacken auf Politiker im Ehrenamt, insbesondere auf Ebene der Städte und Gemeinden. "Ein politisches Amt ist heute manchmal nicht mehr vor allem mit Ehre verbunden, vielmehr muss man vor allem in der Kommunalpolitik mit Beschimpfungen rechnen", sagte er der "Rheinischen Post".

Es gebe in Teilen der Bevölkerung eine ablehnende Grundhaltung, die alle Politiker in einen Topf werfe, führte Bedford-Strohm aus: "Dem widerspreche ich in aller Entschiedenheit. Die meisten Politiker haben Ideale und versuchen sie umzusetzen."

Der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Reinhard Marx, forderte ein neues Denken in Kirche und Gesellschaft. Dazu müssten "alte Schablonen und Besitzstanddenken" beiseitegelassen werden, sagte der Kardinal in seiner Silvesterpredigt im Münchner Liebfrauendom: "Wenn die Kirche, wenn Europa und die ganze Welt im neuen Jahr einen Weg gehen wollen, dann nicht in einer Verteidigungshaltung, sondern in der Zuversicht, dass Gott uns neue Möglichkeiten erschließt - ohne Angst, ohne Enge, sondern mit großem Mut und mit großer Lust, Neues zu denken."

Der hessen-nassauische Kirchenpräsident Volker Jung erklärte, viele Menschen schwankten derzeit beim Blick in die Zukunft zwischen Angst und Hoffnung. So fragten sich viele, ob die "Katastrophe der Erderwärmung" abzuwenden sei, die Gesellschaft wieder besseren Zusammenhalt finde oder Staaten für eine engere Kooperation gewonnen werden könnten, erklärte der evangelische Theologe. Es sei jedoch ein Charakterzug des christlichen Glaubens, dass "Gottes Kraft in der Welt allem Bedrohlichen und Unheilvollen entgegentritt und es zum Guten wendet".

Nach den Worten des Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, Manfred Rekowski, wird es "im neuen Jahr immer solche Situationen geben, wo wir mit unserem Glauben hilflos vor der Not Anderer und auch vor den Herausforderungen unseres eigenen Lebens stehen". Wer sich aber auf Jesus Christus verlasse, der könne aus dem Potenzial Gottes schöpfen, sagte er. Dazu gehöre auch Kraft und Mut, aus diesem Glauben heraus die Welt ein kleines Stück zum Besseren zu verändern.

Kohlgraf: Populismus macht Sorge

Der Mainzer katholische Bischof Peter Kohlgraf sagte in seiner Silvesterpredigt: "Der um sich greifende Populismus mit seinen einfachen und oft menschenverachtenden Antworten macht uns Sorge." In Deutschland mache sich ein zunehmender Antisemitismus breit. Christen müssten im praktischen Miteinander deutlich machen, dass die Juden ihre älteren Geschwister seien.

Die westfälische Präses Annette Kurschus betonte, der christliche Glauben dürfe nicht "missbraucht werden, sich von anderen abzugrenzen und eine Trennlinie zu den 'Ungläubigen' zu markieren". Wer dies tue, sei nicht in der Spur Christi unterwegs. Die Liebe Gottes gelte bedingungslos allen, betonte die stellvertretende Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in der Dresdner Frauenkirche in einem Neujahrsgottesdienst, den das ZDF live übertrug.



Kirchen-Appell zu Mitmenschlichkeit


Der Gottesdienst zum Jahresbeginn in Dresdner Frauenkirche wurde vom ZDF live übertragen.
epd-bild/Matthias Rietschel
Die Kirchen in Nordrhein-Westfalen haben zum Jahreswechsel an die Menschen appelliert, gesellschaftliche Klüfte zu überwinden und im Zwiegespräch mit Gott neues Vertrauen aufzubauen.

Die Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen, Annette Kurschus, warnte vor einem Missbrauch des christlichen Glaubens. Wer diesen dafür benutze, "sich von anderen abzugrenzen und eine Trennlinie zu den 'Ungläubigen' zu markieren, ist nicht auf der Spur Christi unterwegs", sagte Kurschus am 1. Januar im Neujahrsgottesdienst in der Dresdner Frauenkirche, der live im ZDF übertragen wurden.

Die Liebe Gottes gelte bedingungslos allen, betonte die westfälische Präses, die auch stellvertretende Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ist. "Niemand hat das Recht, die weit geöffnete Tür der Liebe Gottes in eine enge Pforte zu verwandeln, an der Glaubensprüfungen stattfinden und der Einlass nur Auserwählten gewährt wird", sagte Kurschus laut Predigttext. Im Mittelpunkt der Predigt stand die biblische Jahreslosung für 2020 "Ich glaube, hilf meinem Unglauben" aus dem Markusevangelium.

Der rheinische Präses Manfred Rekowski ermutigte Christen, bei Glaubenszweifeln Stärkung im Gebet zu suchen. "Wenn der Glaube auf Wirklichkeit trifft, dann geht ihm nicht selten die Luft aus", sagte Rekowski in der Pauluskirche in Hückeswagen. Dann stellten Menschen fest, dass der Glaube an die heilende Kraft Jesu nicht sogleich alle Suchtprobleme löse oder quälende Sorgen beseitige. Doch Gottes Möglichkeiten seien noch nicht am Ende, wenn die Menschen keine Möglichkeiten mehr erkennen könnten, betonte der leitende Theologe der Evangelischen Kirche im Rheinland. Zweifel und Anfechtungen könnten zum Impuls werden, Christus um eine Stärkung des Glaubens zu bitten, "der uns die Gelassenheit schenkt, unser Leben im neuen Jahr getrost aus Gottes Hand entgegen zu nehmen".

Generationskonflikte

Nach Ansicht des Aachener Bischofs Helmut Dieser fühlen sich zu viele Menschen übersehen. Sie kämen sich vor wie im Wartezimmer, "wo man unerklärlicher Weise übergangen wird", beklagte der katholische Geistliche in einer Predigt zum Jahreswechsel im Aachener Dom. Darin liege Sprengstoff für die Gesellschaft, aber auch eine Herausforderung für die Kirche. Jüngere Generationen, die mit der Digitalisierung aufgewachsen seien, fühlten sich nicht selten "von den Altvorderen" zu wenig geschätzt und verstanden. Auch die junge Umweltbewegung "Fridays for future" wolle das Abwarten nicht mehr ertragen, sagte Dieser laut Redetext. Die Frage sei, wie die vielen Menschen etwas Gutes Gemeinsames entstehen lassen könnten. Das gelinge nur, wenn ihre Zukunftschancen nicht mehr von der Herkunft abhängig seien.

Auch der Münsteraner Bischof Felix Genn rief zu mehr Miteinander auf. Wo man hinschaue, erlebe man Unfrieden, Terror, Gewalt und unzählige Tote angesichts politischer Unruhen, sagte Genn im Silvestergottesdienst in Münster. "Wo wir auch hinblicken, treffen wir auf Personen, die nicht wie Friedensboten aussehen, sondern Distanz und Misstrauen wecken", sagte Genn. Auch in Deutschland sei die Situation von großer Unsicherheit und einer Spaltung der Gesellschaft gekennzeichnet. Der Paderborner Erzbischof Hans-Josef Becker sagte im Paderborner Dom, Zeit könne hier zum kostbaren Geschenk werden, das Menschen füreinander haben.

Overbeck: Kirche muss wieder mehr Glaubwürdigkeit erlangen

Der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck forderte vor dem Hintergrund der Debatte um sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche mehr Demut. Dazu gehöre auch, über die Lebensform der Priester zu debattieren und Konsequenzen zu ziehen aus der Erfahrung, "dass das zölibatäre Leben für nicht wenige Priester eher eine schwere Last bedeutet und keine Befreiung für einen größeren Dienst ist", sagte Overbeck laut Predigttext am Neujahrstag im Essener Dom. Auch die Frage nach der Rolle der Frau in der katholischen Kirche stelle sich immer dringlicher. Die katholische Kirche sei gut beraten, heute keine Mauern auf Dauer zu verfestigen, mit denen Frauen die Teilhabe an der Mitverantwortung verweigert werde, erklärte Overbeck.

Die katholische Kirche in Deutschland hatte am 1. Dezember den "synodalen Weg" gestartet, ein Beratungsprozess, an dem sowohl die Bischöfe als auch Laien beteiligt sind. Er soll Reformen in Gang setzen. Themen sind Macht und Gewaltenteilung, Sexualmoral, der Pflichtzölibat sowie die Rolle der Frauen in der Kirche.



Rekowski: Gesellschaftliche Gräben überwinden


Manfred Rekowski
epd-bild/Stefan Arend

Soziale und gesellschaftliche Spaltungen in Deutschland gefährden nach Einschätzung des rheinischen Präses Manfred Rekowski das Gemeinwesen. "Dreißig Jahre nach dem Fall der Mauer stellen wir fest, dass der Umgang mit den Erfahrungen der Menschen im Osten Deutschlands zu gesellschaftlichen Gräben beigetragen hat", sagte der leitende Theologe der Evangelischen Kirche im Rheinland dem Evangelischen Pressedienst (epd). Die Entwertung von Lebensbiografien habe Menschen tief verletzt.

In Westdeutschland gebe es vor allem eine soziale Spaltung, die Schere zwischen Arm und Reich öffne sich weiter, sagte Rekowski. Das Ruhrgebiet sei nach dem jüngsten Armutsbericht des Paritätischen Gesamtverbandes die "Problemregion Nummer 1" in Deutschland. "Menschen, die abgehängt sind, haben es sehr schwer", warnte der 61-Jährige. "Und wer von der Politik keine Veränderung mehr erwartet, neigt zu einfachen Erklärungsmustern."

Besorgt äußerte sich Rekowski auch über ein soziales Gefälle zwischen den Städten und Gemeinden und mahnte: "Wo Bürger in strukturschwachen Städten den Staat als handlungsunfähig erleben, weil Schwimmbänder geschlossen werden und Schulen und Straßen nicht in Schuss gehalten werden können, droht ihre Loyalität zum Staat zu schwinden." Das sei "Gift für das Gemeinwesen" und gefährde das demokratische Miteinander.

"Es ist dringend notwendig, dass die Politik hier zu Lösungen kommt", forderte der Spitzenvertreter der zweitgrößten Landeskirche in Deutschland mit 2,5 Millionen Mitgliedern. "Unter anderem muss man über den Umgang mit Altschulden reden." Der Bund und die betroffenen Länder diskutieren einen möglichen Schuldenschnitt. Die Altschulden der Kommunen bei sogenannten Kassenkrediten liegen nach Angaben von Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) bei etwa 40 Milliarden Euro.

epd-Gespräch: Ingo Lehnick


EKD-Ratsvorsitzender erhält Morddrohungen


Heinrich Bedford-Strohm
epd-bild/Philipp Reiss
Er erhalte Morddrohungen wegen seines Einsatzes für die Seenotrettung, sagte der Chef der deutschen Protestanten in einem Interview zu Hass im Internet. Das löste eine Welle von Reaktionen aus.

Weil er sich für die Seenotrettung im Mittelmeer einsetzt, erhielt der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, Morddrohungen. Das sagte der Bischof in einem Interview mit der "Augsburger Allgemeine" (4. Januar), in dem es um die Rolle der sozialen Medien im gesellschaftlichen Miteinander ging. Seine Forderung: Regeln und Normen bei Twitter, Facebook und Co, weil sie sonst ein Katalysator für eine inakzeptable Art des Umgangs würden.

Doch vor allem die Aussage zu den Morddrohungen blieb hängen und zeigte, wie die sozialen Medien funktionieren: Sie löste eine Welle von Kommentaren aus, viele davon solidarisch, andere aber gehässig bis verunglimpfend. Bedford-Strohm reagierte daraufhin aus dem Urlaub, was er normalerweise nicht tut, wie er in den sozialen Medien erklärte. Das Echo auf das Interview habe ihn überrascht, schrieb der Bischof bei Facebook. Die Frage nach den Morddrohungen sei nur eine unter vielen gewesen. "Solche Drohungen gehören heute leider fast schon zur Normalität einer Existenz als öffentliche Person, die sich zu manchen Themen klar äußert. Das trifft viele andere auch." Die Verrohung der Kommunikation allgemein bleibe ein wichtiges öffentliches Thema, betonte der Theologe.

Maas, Özdemir, Levit

Unterstützend reagierten unter anderen Politiker, aber auch Künstler, die teilweise selbst bedroht werden. Außenminister Heiko Maas (SPD) erklärte über Twitter, es sei unerträglich, wenn Mitmenschlichkeit und Barmherzigkeit zu Morddrohungen führten. "Wir müssen uns an die Seite aller stellen, die bedroht und verhetzt werden, weil sie sich für unsere Gesellschaft engagieren." Auch der Grünen-Politiker Cem Özdemir verurteilte die Drohungen: "Rechtsradikale entlarven sich selbst am besten. Sie geben vor, das christliche Abendland zu verteidigen & drohen Bischof mit Mord? Dümmer geht’s nicht." schrieb er ebenfalls auf Twitter. "Die Täter wollen menschliche Werte nicht verteidigen, sie verachten sie. Solidarität mit Bedford-Strohm!" Der jüdische Pianist Igor Levit nannte den Bischof einen wahren Menschen, der Courage, Herz und Empathie zeige.

Bedford-Strohm sagte in dem Interview, er nehme die Drohungen "nicht sehr ernst", obwohl sie "recht konkret" gewesen seien. Ein Sprecher der EKD bestätigte dem Evangelischen Pressedienst (epd), dass es mehrere Drohungen gegeben habe, auch einen Brief, der am 17. September im Kirchenamt der EKD eingegangen war und ein zunächst unbekanntes weißes Pulver enthielt. Der Ratsvorsitzende setzt sich seit langem für die Seenotrettung ein. Auf Initiative der EKD hat sich das Bündnis "United 4 Rescue" gebildet, das ein eigenes Rettungsschiff aufs Mittelmeer schicken will. Bedford-Strohm ist daran maßgeblich beteiligt.

"Schutzraum für Hetzer"

Der Ratsvorsitzende nannte als Beispiel für Hass im Netz die bekanntgewordenen Morddrohungen gegen Mitarbeiter des Senders WDR nach dem umstrittenen Umweltsau-Lied. Das sei "in keinem Fall hinnehmbar", sagte der bayerische Landesbischof. Es sei wichtig, dass sie von der Polizei verfolgt werden: "Soziale Netzwerke sind zum Schutzraum für Hetzer geworden, das kann nicht sein."

Menschen stachelten sich im Netz gegenseitig an und würden immun gegen andere Meinungen. Sie bekämen "das Gefühl, dass ihre menschenfeindlichen Äußerungen salonfähig sind - zumindest in den Filterblasen, in denen sie sich bewegen", sagte Bedford-Strohm. Deshalb müssten Regeln entwickelt werden, die bereits mit einer "Ethik der Programmierer" beginnen und auch eine Stärkung der Medienkompetenz sowie unabhängige Kontrollgremien umfassen. Die Evangelische Kirche mische sich in die Diskussion darüber ein, weil es dabei um die Menschenwürde gehe.

Natalia Matter (epd)


150 Organisationen beteiligen sich an "United 4 Rescue"

Nach Angaben der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) beteiligen sich inzwischen 150 Organisationen am Bündnis "United 4 Rescue", das ein eigenes Rettungsschiff aufs Mittelmeer schicken will. Darunter seien viele Organisationen aus dem kirchlichen Bereich, sagte der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm der Düsseldorfer "Rheinischen Post" (31. Dezember). Hinzu kämen zahlreiche zivilgesellschaftliche Organisationen, die sich um Flüchtlinge kümmern, aber auch die Arbeiterwohlfahrt und die italienische Stadt Palermo. "Uns unterstützen auch einzelne Persönlichkeiten wie der Regisseur Wim Wenders", fügte der oberste Repräsentant der deutschen Protestanten hinzu.

Kirchentags-Initiative

Das Bündnis geht auf eine Initiative der EKD zurück, die eine entsprechende Resolution des evangelischen Kirchentags im vergangenen Juni in Dortmund aufgegriffen hatte. Seit Anfang Dezember sammelt "United 4 Rescue" Spenden.

"Das Bündnis verfolgt den konkreten Plan, Ende Januar die 'Poseidon' aus dem Besitz des Landes Schleswig-Holstein zu kaufen", sagte Bedford-Strohm. Für den Fall, dass "United 4 Rescue" bei dem Bieterverfahren zu dem ehemaligen Forschungsschiff nicht zum Zuge komme, gebe es einen Plan B, ein anderes Schiff zu besorgen.

Einen aktuellen Spendenstand wollte Bedford-Strohm nicht nennen. "Wir lassen uns nicht dauernd Zwischenstände aus dem Bündnis geben", sagte er.



Friedensverband: Klimawandel erhöht Kriegsgefahr

Die Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden hat angesichts des Klimawandels vor einer wachsenden Gefahr kriegerischer Auseinandersetzungen in der Welt gewarnt. "Der Klimawandel bedroht den Frieden und führt zunehmend zu gewaltsamen Konflikten und Migrationsbewegungen", sagte die Vorsitzende des evangelischen Friedensverbands, Christine Busch, in Bonn. "Die Ausgaben für Rüstung und Militär steigen, hybride Kriege und teilautonome Waffensysteme werfen schwierige ethische Fragen auf, es droht eine neue nukleare Rüstungsspirale."

Die im November 2019 auf der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in Dresden beschlossene Kundgebung "Kirche auf dem Weg der Gerechtigkeit und des Friedens" weise in diesem Zusammenhang den richtigen Weg und benenne einen "Primat der Gewaltfreiheit". "Der aktive Verzicht auf Gewalt erfordert aber professionelle Anstrengungen, große Wachsamkeit und auch eine entschiedene Prävention, um die Eskalation von Konflikten zu verhindern und um nicht in eine Ausweglosigkeit zu geraten, die dann nur noch die Ultima Ratio der Gewalt kennt", betonte Busch.

Darum sei eine Stärkung der Ausbildung wie auch der Einsatz von Friedensfachkräften oder der Ausbau der Friedens- und Demokratiebildung in Schulen und Bildungseinrichtungen wichtig. Hier sei auch die Politik gefordert, mehr finanzielle Mittel in die zivile Friedensarbeit zu investieren, erklärte der Friedensverband.



Künstlerkollektiv entwendet Figuren aus Weihnachtskrippen


Krippendarstellung mit drei heiligen Königen
epd-bild/Heike Lyding

Politaktivisten haben aus Protest gegen die EU-Flüchtlingspolitik bundesweit aus Kirchen zwei der heiligen drei Könige von den dortigen Weihnachtskrippen entfernt. Betroffen seien Kirchenkrippen in Berlin, Bielefeld, Darmstadt, Frankfurt, Freiburg, Köln und Münster, wie ein Sprecher der Aktivisten, die sich als "Künstlerkollektiv" bezeichnen, am 5. Januar dem Evangelischen Pressedienst (epd) erläuterte. In Nordrhein-Westfalen sind seinen Angaben nach insgesamt zwölf überwiegend katholische Kirchen betroffen. Die Figuren wurden am 4. Januar aus den Kirchen entfernt und seien derzeit an einem sicheren Ort aufbewahrt.

Mit der Aktion "ausgeGRENZT - Dreikönige vor den Toren Europas" vor dem Dreikönigstag am 6. Januar solle auf die gravierende humanitäre Notlage in den Flüchtlingslagern an den europäischen Außengrenzen aufmerksam gemacht werden, heißt es. Zudem gehe es um die "menschenunwürdige Unterbringung" von Flüchtlingen in Ankerzentren in Deutschland. Am Dreikönigstag feiern die Christen weltweit die Ankunft der heiligen drei Könige bei dem Jesuskind im Stall von Bethlehem.

Polit-Aktion gegen Abschottungspolitik der EU

Die EU-Abschottungspolitik habe verhindert, dass die beiden Könige das neugeborene Flüchtlingskind Jesus von Nazareth begrüßen können, erklärte das Kollektiv. Ein König sitze im Lager Moria auf der griechischen Insel Lesbos fest. Die Situation dort sei eine humanitäre Katastrophe, die Menschen hungerten und seien kaum vor Kälte und Regen geschützt. Die Aktion solle "aufrütteln und das Thema Lagerunterbringung neu in die gesellschaftliche Diskussion einbringen".

Allein in Münster wurden laut dem Sprecher aus acht Kirchen die Königsfiguren entfernt, darunter aus der St. Clemens-, St. Michael- und St. Mauritzkirche. In Köln sind von der Aktion die Weihnachtskrippen der Kirchen Christi Auferstehung, St. Pankratius und des Jugendpastoralen Zentrums Crux betroffen, in Darmstadt unter anderem die Heilig Geist Gemeinde. In Berlin fehlen die Könige in der Kapelle der Versöhnung auf dem früheren Mauerstreifen, wie die Gemeinde mitteilte. In hinterlassenen Schreiben sichern die Aktivisten den Gemeinden zu, die Krippenfiguren sorgsam zu verwahren und in den nächsten Tagen unbeschadet wieder auszuhändigen.

Die Kirchengemeinden seien vorab nicht über die Aktion benachrichtigt worden, sagte der Sprecher. Es sei um den Überraschungseffekt gegangen. Auch habe man den Gemeinden nicht die Verantwortung für die Entfernung der Figuren aufbürden wollen. Weitgehend sei die Aktion in den Gemeinden auf Verständnis gestoßen, aber es gebe auch kritische Reaktionen. Ab dem 7. Januar würden die fehlenden Krippenfiguren wieder in die Kirchen zurückgebracht, versicherte der Sprecher.

In Bielefeld fehlten Figuren nur am 4. Januar von St. Jodokus in der Altstadt. Aufgrund zahlreicher Beschwerden seien sie allerdings bereits am 5. Januar wieder dorthin zurückgebracht worden, erklärte der Sprecher des Kollektivs.



Landesbischof Meyns warnt vor völkischem Denken


Christoph Meyns
epd-bild / Susanne Hübner
Klassische Institutionen wie Gewerkschaften, Parteien und Kirchen verlören immer mehr an Bindungskraft, sagt der braunschweigische Landesbischof Christoph Meyns im Gespräch mit dem epd. An deren Stelle träten dann oft instabile, diffuse Bewegungen.

Der braunschweigische Landesbischof Christoph Meyns warnt vor Populismus und einem zunehmenden völkischen Denken. "Wir stehen vor einer tiefgreifenden Veränderung politischer Beteiligungen", sagte er dem Evangelischen Pressedienst (epd). Klassische Institutionen wie Gewerkschaften, Parteien und Kirchen verlören immer mehr an Bindungskraft. An deren Stelle träten dann oft instabile, diffuse Bewegungen. "Da wird häufig mit Angstmacherei und hoher Emotionalität gearbeitet", erklärte der evangelische Bischof.

Nach seiner kritischen Rede bei der Kundgebung gegen den AfD-Bundesparteitag in Braunschweig Ende November habe er auch negative Zuschriften bekommen. Ihm sei es jedoch nicht um die Wähler oder alle Mitglieder der AfD gegangen, sagte Meyns. Die AfD habe aber längst eine offene rechte Flanke. "Ich verwahre mich gegen völkische Positionen und dagegen, wenn die Grundsätze des Grundgesetzes nicht mehr ernstgenommen werden." Christen müssten aus ihrem Glauben heraus Position beziehen.

Frieden, Barmherzigkeit und Menschlichkeit

Ganz bewusst habe er bei der Kundgebung aus der biblischen Bergpredigt gelesen, in der es um Frieden, Barmherzigkeit und Menschlichkeit gehe, sagte Meyns. "Wenn man die Seligpreisungen der Bergpredigt Jesu öffentlich zitiert, werden sie zu einem politischen Text." Weltweit würden Parteien von Politikern gekapert, die Probleme vereinfachten und populistisch agierten.

Meyns verteidigte die Initiative der Evangelischen Kirchen in Deutschland (EKD), sich an der Seenotrettung im Mittelmeer mit einem Schiff zu beteiligen. "Menschen ertrinken zu lassen, ist mit dem christlichen Glauben nicht zu vereinbaren." Meyns mahnte zudem, die unhaltbaren Zustände in den Flüchtlingslagern und die zahlreichen Menschen, die auf ihren Flüchtlingsrouten bereits in den Wüsten sterben, im Blick zu behalten.

epd-Gespräch: Gunnar Müller


Bischof Kramer: Taufe muss vor Abschiebung schützen können


Friedrich Kramer
epd-bild/Matthias Rietschel
Landesbischof Friedrich Kramer kritisiert das Vorgehen vieler Gerichte bei Asylverfahren und fordert eine bessere Aus- sowie Weiterbildung für Richter zum Thema Religionsfreiheit.

Mit deutlichen Worten kritisiert der Landesbischof der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM), Friedrich Kramer, das Vorgehen vieler Gerichte in Asylverfahren. Glaubensprüfungen bei Flüchtlingen stünden Gerichten nicht zu, sagte Kramer dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Magdeburg: "Wir als Kirche prüfen, ob jemand getauft wird oder nicht, und wenn er getauft ist, ist er getauft." Dann zu sagen, er habe sich nur taufen lassen, damit er hierbleiben darf, sei "eine Frechheit und führt zurück in Zeiten der Inquisition", sagte der Bischof.

Christen generell nicht abschieben

Kramer forderte eine bessere Ausbildung und Weiterbildungen für Richter zum Thema Religionsfreiheit. Viele in Deutschland getaufte Flüchtlinge kämen aus dem Iran. Es sei zwar möglich, dort Christ zu sein. Der Wechsel des Glaubens, die Konversion, sei jedoch unabhängig vom Ort der Taufe mit der Todesstrafe bedroht. "Wenn also hier getaufte Iraner mit dem Argument, es gäbe ja im Iran Christen, die nicht vom Tode bedroht sind, abgeschoben werden, geht das an den Wirklichkeiten der Lebensbedrohung vorbei", sagte der Theologe.

Es dürfe nicht akzeptiert werden, "dass man unsere christlichen Geschwister in den Tod schickt", betonte Kramer. Darüber würden auch Gespräche mit den Innenministerien der Länder geführt. Eine christliche Gesellschaft sollte Christen generell nicht abschieben, sagte Kramer: "Taufe muss ein Abschiebehinderungsgrund sein, egal um welches Land es geht. Wir Christen denken nicht in nationalen Grenzen." Wer sich einer christlichen Gemeinde anschließe, könne zudem besser in die Gesellschaft integriert werden.

epd-Gespräch: Romy Richter


Lübecker Altbischof Wilckens war Mitglied der Waffen-SS


Ulrich Wilckens (Archivbild)
epd-bild / Dirk Silz
In seiner Autobiografie offenbart der evangelische Theologe, Mitglied der Waffen-SS gewesen zu sein. Im Januar 1945 wurde er zum Einsatz einberufen und von einem Panzer überrollt. Er überlebte und beschloss danach, Theologie zu studieren.

Der frühere Lübecker Bischof Ulrich Wilckens war als Jugendlicher Mitglied der Waffen-SS. Das hat der 91-jährige evangelische Theologe in seiner Autobiografie "Warum ich Christ wurde" eingeräumt, die Ende 2019 erschienen ist. Weil er eine jüdische Urgroßmutter hat, hätte er nach der NS-Ideologie gar nicht aufgenommen werden dürfen, schreibt er. Darüber hinaus äußert er Zweifel, ob er überhaupt regulär getauft worden sei.

Wilckens stammt nach eigener Beschreibung aus einem religionsfernen Elternhaus. Sein Vater war Arzt in Hamburg und habe Religion abgelehnt. Er habe zwar zugelassen, dass die Kinder getauft wurden - allerdings zu Hause durch einen befreundeten Pastor. "Ob der diese Taufen überhaupt nach dem christlichen Ritus der Kirche vollzogen hat, habe ich später nie herausbekommen", schreibt Wilckens.

Wilckens Vater war frühes Parteimitglied der NSDAP und begeisterter Hitler-Anhänger. Wilckens selbst wurde als Schüler Mitglied der Hitler-Jugend. Als der Vater als Militärarzt eingezogen wurde, zog die Familie 1941 aus dem unsicheren Hamburg in den Schwarzwald nach Hinterzarten.

Als 15-Jähriger bei der Waffen-SS angemeldet

Anders als der junge Wilckens seien seine Mitschüler in Hinterzarten eher regimekritisch gewesen. "Bald stellte sich heraus, dass ich als einziger Mitschüler Hitler verehrte", erinnert sich Wilckens. 1943 habe er sich als 15-jähriger Schüler nach dem Vortrag eines SS-Offiziers bei der Waffen-SS angemeldet. Er habe unterschrieben, um "meinem Vater einen Gefallen zu tun und zugleich die Ehre meiner Schule zu retten". Mit einer jüdischen Urgroßmutter hätte er allerdings gar nicht eintreten dürfen, schreibt er. Sein Bruder sei deshalb 1944 von der Musikhochschule Berlin ausgeschlossen worden.

Bei einer "militärischen Vorübung" 1944 sei es zum "inneren Bruch mit der SS" gekommen. Die Liedzeile "Wenn das Judenblut vom Messer spritzt..." habe er nicht mitsingen können. Im Januar 1945 wurde er zur Waffen-SS nach München einberufen. Bei einem Kampfeinsatz wurde er von einem Panzer im Schützengraben überrollt, überlebte aber unverletzt. Dieses Wunder war für den späteren Bischof ein Bekehrungserlebnis. Kurz darauf beschloss er, evangelische Theologie zu studieren, schreibt Wilckens.

Predigt bei Trauerfeier für Uwe Barschel

Nach Stationen an den Universitäten Heidelberg, Marburg und Berlin wurde Wilckens 1968 Theologie-Professor in Hamburg. Seine Übersetzung des Neuen Testaments war ein Bestseller. 1981 wurde er zum Lübecker Bischof gewählt. Bekannt wurde er unter anderem durch seine Predigt bei der Trauerfeier für Ministerpräsident Uwe Barschel (CDU) im Oktober 1987, der zuvor tot in einem Genfer Hotel aufgefunden worden war. Es habe eine "knisternde Spannung" in der Luft gelegen, doch er habe die politischen Aspekte nicht ausblenden wollen. Zur Absicherung habe er seine Predigt vorher den beiden Parteivorsitzenden Heiko Hoffmann (CDU) und Björn Engholm (SPD) vorgelegt.

Gegen Ende seiner Amtszeit erkrankte er an Bauchspeichendrüsen-Krebs. Nach einer achtstündigen Operation hätten ihm die Ärzte maximal noch ein Jahr Lebenszeit gegeben, schreibt er. Dass er trotzdem geheilt wurde, sei für ihn das zweite Wunder seines Lebens.

Wilckens lebt heute in Lübeck. Er zählt zum konservativen Flügel der Nordkirche und meldet sich bisweilen zu Abtreibung und Homo-Ehe kritisch zu Wort.

Thomas Morell (epd)


Debatte über ökumenische Gemeinden


Der evangelische Landesbischof Ralf Meister (li.) und sein katholischer Amtskollege Heiner Wilmer aus Hildesheim (Archivbild)
epd-bild/Jens Schulze
Der evangelische Landesbischof Ralf Meister aus Hannover hält Kirchengemeinden mit evangelischen und katholischen Christen in der Zukunft für möglich. Sein katholischer Amtskollege Heiner Wilmer aus Hildesheim begrüßte seine Überlegungen.

Der hannoversche Landesbischof Ralf Meister hält Kirchengemeinden mit evangelischen und katholischen Christen unter einem Dach in Zukunft für möglich. "Viele Menschen fragen schon heute nicht mehr danach, ob jemand evangelisch oder katholisch ist, sondern nur, ob er Christ oder Christin ist", sagte er im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Der katholische Hildesheimer Bischof Heiner Wilmer begrüßte die Überlegungen seines evangelischen Amtskollegen. "Ich bin der festen Auffassung, dass es zwischen den beiden großen deutschen Kirchen viel mehr Verbindendes als Trennendes gibt", sagte Wilmer dem epd.

"Wir alle sind als Christinnen und Christen aufgefordert, das Evangelium zu bezeugen und zu verkünden", betonte Wilmer. "Wie wir in der Seelsorge gemeinsame Wege gehen können, ist eine richtige und wichtige Frage für die Zukunft. Damit werden wir uns in der Ökumene ganz sicher weiter befassen."

Meister hatte angeregt, zu überlegen, was die beiden Kirchen künftig gemeinsam tun könnten - "bis hin zur Gründung von reinen ökumenischen Gemeinden". Das sei zwar ein ferner Wunsch, "aber man kann ihn ja ruhig mal äußern", sagte er. Es sei zurzeit noch völlig offen, wie solche Gemeinden aussehen könnten: "Wir sind einfach noch nicht so weit und haben unsere Differenzen, zum Beispiel mit dem Abendmahl." Nötig seien Initiativen, die beide Kirchen herausforderten: "Ich glaube, das wird für die Zukunft des Christentums in unserem Land sehr entscheidend sein."

Verkündigung auch in sozialen Medien

Auch für seine eigene Landeskirche, der größten in Deutschland, wünscht sich Meister neue und kreative Formen. Er denke dabei an Gemeinden, die sich nur für einen begrenzten Zeitraum zusammenfänden, womöglich ohne Pastor und Kirchengebäude, nur mit einem ehrenamtlich beauftragten Prädikanten. "Warum soll es nicht auch eine reine, allein von Jugendlichen konzipierte und getragene Jugendkirche geben oder eine international geprägte Gemeinde? Solche Initiativen könnten wir sofort aufnehmen und finanziell unterstützen", betonte der Theologe. Auch in den Sozialen Medien geschehe Verkündigung und Seelsorge: "Ist das nicht auch schon Gemeinde?"

Er halte eine solche Entwicklung in den nächsten 20 bis 30 Jahren für möglich, sagte Meister. "Sie wird natürlich für diejenigen unter uns, die wir die Kirche als Institution repräsentieren, erst einmal schwierig und schmerzhaft sein." Doch in der im vergangenen Jahr verabschiedeten neuen Kirchenverfassung der hannoverschen Landeskirche seien die entsprechenden Voraussetzungen dafür geschaffen worden. "Mein Wunsch ist, unsere Verfassung so offen und liberal auszulegen, dass auch andere Gemeindeformen in unserer Kirche akzeptiert werden", betonte der Bischof: "Das würde auch uns neu beleben."



Reformierter Kirchenpräsident: Digitales mit "wachem Geist" nutzen


Martin Heimbucher (Archivbild)
epd-bild / Gerold Meppelink

Der Kirchenpräsident der Evangelisch-reformierten Kirche, Martin Heimbucher, hat einen kritischen Umgang mit der fortschreitenden Digitalisierung angemahnt. "Wir können uns ihr nicht verweigern, sie aber mit einem wachen Geist sinnvoll nutzen", sagte der Theologe dem Evangelischen Pressedienst (epd). Den technologischen Systemen dürfe jedoch keine Macht über Menschen eingeräumt werden.

Heimbucher plädierte dafür, Debatten in demokratischen Gesellschaften ausschließlich unter Klarnamen zu führen: "Es wird immer Foren geben, in denen sich Menschen hinter anonymen Bezeichnungen verstecken, aber die sind nicht relevant. Relevant ist, was Leute mit offenem Gesicht oder ersatzweise mit eigenem Namen sagen und schreiben. Nur das zählt wirklich."

Soziale Medien im Gottesdienst

Trotz aller Kritik ermutigte Heimbucher seine Kirche, die Chancen und Möglichkeiten der Digitalisierung stärker als bisher zu nutzen: "Wenn wir uns der Gefahren bewusst sind, können wir das Gute daran verwenden."

Selbst in Gottesdiensten könnten die sozialen Medien wie Facebook, Instagram oder Twitter künftig eine Rolle spielen: "Wir haben uns daran gewöhnt, dass der Gottesdienst eine Unterrichtsveranstaltung geworden ist, nach dem Motto: Vorne sagt einer etwas Kluges, und die anderen hören nur zu." Ein Gottesdienst sollte aber eine interaktive und kommunikative Angelegenheit sein. Persönliche Gebete könnten über die sozialen Medien aktuell in den Gottesdienst mit eingeflochten werden. "Da sollten wir experimentierfreudiger werden", sagte Heimbucher.

epd-Gespräch: Jörg Nielsen


Scheiben an Leipziger Thomaskirche eingeworfen


Die zerstörten Scheiben am Mendelssohn-Portal in Leipzig
epd-bild/Jens Schulze
In der Silvesternacht haben Unbekannte mehrere Scheiben der Leipziger Thomaskirche und des angrenzenden Thomashauses eingeworfen. Das evangelische Gotteshaus ist eine der wichtigsten Sehenswürdigkeiten in der Leipziger Innenstadt.

Unbekannte Täter haben in der Silvesternacht mit Pflastersteinen rund zwei Dutzend Scheiben der Leipziger Thomaskirche und des angrenzenden Thomashauses eingeworfen. Beschädigt seien auch mindestens vier wertvolle Buntglasfenster aus dem 19. Jahrhundert über dem Mendelssohn-Portal an der Westseite der Kirche, teilte die evangelische Gemeinde am 2. Januar in Leipzig mit. Der entstandene Schaden könne noch nicht beziffert werden.

Alle Gottesdienste finden wie geplant statt

Das Thomashaus ist den Angaben zufolge stärker betroffen als die Kirche selbst. Dort wurde demnach unter anderem ein Jugendstilfenster aus dem frühen 20. Jahrhundert zerstört. Trotz der Schäden könnten alle Gottesdienste und weiteren Veranstaltungen in den beiden Gebäuden wie geplant stattfinden. Nach Angaben eines Polizeisprechers wurde die Tat zwischen 20 Uhr am Silvestertag und 8 Uhr an Neujahr begangen.

Das evangelische Gotteshaus ist eine der wichtigsten Sehenswürdigkeiten in der Leipziger Innenstadt. Die Kirche ist Heimstätte des weltberühmten Thomanerchors, der dort in der Regel zweimal pro Woche in sogenannten Motetten zu hören ist. Ab 1723 stand dem Chor für 27 Jahre der Barockkomponist Johann Sebastian Bach (1685-1750) als Kantor vor. Sein Grab befindet sich im Chorraum der Kirche.



Polizei prüft Bekennerschreiben zu Anschlag auf Freikirche

Die Kriminalpolizei prüft derzeit, ob ein Bekennerschreiben zu dem Anschlag auf die Freikirche "Tübinger Offensive Stadtmission" echt ist. Die Ermittlungen liefen, doch habe man noch keine Täter, sagte ein Sprecher des Polizeipräsidiums Reutlingen dem Evangelischen Pressedienst (epd) am 2. Januar. Eine "Feministische Autonome Zelle" hatte auf der Internetseite "indymedia" für sich beansprucht, einen Kleintransporter der Gemeinde angezündet und das Gebäude der Kirche mit lila Farbe besprüht zu haben.

Der evangelikalen Freikirche werden in dem Schreiben "antifeministische Einstellungen" und eine reaktionäre Grundstimmung vorgeworfen. Deshalb habe man schon im Frühjahr 2018 einen Ableger der Gemeinde in Leipzig angegriffen. Das Schreiben endet mit dem Aufruf "Macht sie platt!".

40.000 Euro Schaden

Bei dem Anschlag am 27. Dezember in Tübingen entstand nach Schätzung der Polizei ein Schaden von 40.000 Euro. Videoaufnahmen zeigten, dass mehrere vermummte Personen simultan den Bus anzündeten und mit Farbspritzen den Eingangsbereich des Gottesdienstraums großflächig besprühten, sagte Heinz Reuss vom Pastorenteam der Freikirche. In den vergangenen Jahren habe es bereits "einige Vorfälle" von linksextremer Seite gegen die Gemeinde gegeben. Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer (Grüne) verurteilte den Anschlag auf seiner Facebook-Seite als "feige und verachtungswürdig".

Die "Tübinger Offensive Stadtmission" ist nach eigenen Angaben eine Freikirche und ein Missions- und Sozialwerk mit evangelikal-charismatischer Prägung, das 1990 in Tübingen gegründet wurde und heute aus zwölf Gemeinden, fünf Gebetsdiensten, einem Rehabilitationszentrum für Drogenabhängige und vier Häusern für Straßenkinder besteht.



Kirchengemeinde findet 1.000-DM-Schein in Kollekte

Nach einem Familiengottesdienst in der evangelischen Christuskirche im Celler Stadtteil Westercelle ist ein 1.000-DM-Schein in der Kollekte aufgetaucht. "Wir glauben, dass sich der Spender ganz bewusst dafür entschieden hat", sagte Pastor Jens Heger dem Evangelischen Pressedienst (epd) am 3. Januar. Die Kollekte am Ausgang sei für die Kinder- und Jugendarbeit der Gemeinde bestimmt.

Mehr als 150 Gottesdienstbesucher, vorwiegend kleine Kinder mit ihren Eltern, hätten am vierten Advent den Tannenbaum der Kirche geschmückt, sagt Pastor Heger. Nach dem Gottesdienst sei dann ein Mitglied des Kirchenvorstandes auf ihn zugekommen. In den Opferstock sei von einem anonymen Spender ein 1.000-DM-Schein gesteckt worden.

Bei einem festgelegten Umtauschkurs von 1,95583 DM für einen Euro, erhielt die Kirchengemeinde 511,29 Euro für den alten DM-Schein. Das Geld werde für Projektarbeit mit Kindern und Jugendlichen eingesetzt, sagte Heger. Seit zehn Jahren sammele die Kirchengemeinde bei Erntedank- und Familien-Gottesdiensten oder auch bei Taufen, um eine Stelle zu finanzieren. "Wir benötigen jährlich für diese Arbeit mindestens 20.000 Euro." Heger vermutet, dass der Spender oder die Spenderin um den Verwendungszweck gewusst hat.



Krippe in Ratinger Kirche in Brand gesetzt

Unbekannte haben in einer katholischen Kirche in Ratingen Feuer gelegt und eine Weihnachtskrippe zerstört. In der Heilig-Geist-Kirchengemeinde sei nach ersten Schätzungen ein Sachschaden von mindestens 10.000 Euro entstanden, erklärte die Polizei Mettmann am 2. Januar. Das Feuer sei wahrscheinlich in der Silvesternacht an mehreren Stellen gelegt worden, hieß es. Die Kirche sei möglicherweise nicht komplett verschlossen gewesen. Die Brände seien aber von alleine wieder erloschen.

Der Boden, die Bänke, die Regale, die Wände und die Decke im gesamten Innenraum der Kirche wurden stark verrußt. Schaden an der Gebäudesubstanz sei jedoch nicht entstanden, erklärte die Polizei. Sie ermittelt wegen des Verdachts der schweren Brandstiftung.



Allianzgebetswoche mit dem Motto "Wo gehöre ich hin?

Unter dem Motto "Wo gehöre ich hin?" lädt die Evangelische Allianz vom 12. bis 19. Januar zur traditionellen Allianzgebetswoche ein. In der Woche träfen sich an etwa 1.000 Orten in Deutschland evangelikale Christen aus Kirchen und Freikirchen, um miteinander zu beten, kündigte die Evangelische Allianz am 4. Januar im thüringischen Bad Blankenburg an.

Das diesjährige Thema greife eine aktuelle Fragestellung auf und wolle in seiner Entfaltung sowohl Hilfestellung für persönliche Lebensfragen geben, als auch gesamtgesellschaftliche Orientierungspunkte bieten, sagte Allianz-Generalsekretär Reinhardt Schink. Das diesjährige Motto ist den Angaben zufolge von den Mitgliedsverbänden in Spanien und Portugal erarbeitet worden. Bundesweit rechnet die Evangelische Allianz mit rund 300.000 Teilnehmern.

Die traditionelle Internationale Gebetswoche findet seit 1847 jährlich statt. Beschlossen wurde sie auf der Gründungskonferenz der Evangelischen Allianz 1846 in London. Die Evangelische Allianz ist ein Netzwerk mit mehr als einer Million evangelikaler Christen aus Landes- und Freikirchen. Gegründet wurde sie 1846 in London als interkonfessionelle Einigungsbewegung. In Deutschland gib es rund 1.000 örtliche Allianzgruppen.



Film zeigt Geschichte eines iranischen Flüchtlings in Deutschland

Die Flüchtlings-Dokumentation "Amin - Eine iranische Geschichte" von Marcel Kuß, Filmemacher der Evangelischen Kirche im Rheinland, feiert am 8. Januar in Büchenbeuren im Rhein-Hunsrück-Kreis Premiere. Für den 60-minütigen Film begleitete Kuß den iranischen Flüchtling drei Jahre lang, wie das Düsseldorfer Landeskirchenamt am 2. Januar mitteilte. Die Doku biete Einblicke in das Leben des Mannes, der in Büchenbeuren auf dem Hunsrück ankommt, konvertiert, sich integriert und dann abgeschoben werden soll. Im Mittelpunkt stünden dabei vor allem die "stillen Helden" aus dem Dorf und ein von der Gemeinde betriebenes Begegnungscafé, erklärte die rheinische Kirche.



Mehr Menschen vertrauen evangelischer als katholischer Kirche

Die evangelische Kirche genießt einer Umfrage zufolge bei mehr Deutschen Vertrauen als die katholische. Im sogenannten Institutionen-Ranking, das das Meinungsforschungsinstitut forsa für die Mediengruppe RTL erstellt hat, rangieren Polizisten und Ärzte ganz oben, Manager und Werbeagenturen am Ende der Skala. Laut der am 6. Januar in Köln veröffentlichten Umfrage haben 36 Prozent der Befragten großes Vertrauen in die evangelische Kirche, aber nur 14 Prozent in die katholische Kirche.

Der Zentralrat der Juden als Institution genießt bei 40 Prozent der Deutschen großes Vertrauen. Der Islam, den die Demoskopen ebenfalls als Institution klassifizierten, kommt auf einen Wert von neun Prozent. Dahinter liegen nur Manager (acht Prozent) und Werbeagenturen (drei Prozent).

Polizisten und Ärzte vorn

An der Spitze der Rangliste kommen Polizei und Ärzte auf jeweils 80 Prozent. Die Medien rangieren im Mittelfeld, wobei das Radio (54 Prozent) bei mehr Menschen Vertrauen genießt als die Presse (43 Prozent) und das Fernsehen (30 Prozent). Kurz hinter dem Fernsehen folgt der Papst, dem 29 Prozent der Deutschen großes Vertrauen entgegenbringen.

Die Daten wurden zwischen dem 18. Dezember 2019 und dem 3. Januar 2020 erhoben. 2.505 Menschen wurden befragt.



Laschet: Sternsinger stehen für gelebte Solidarität und Nächstenliebe

NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) hat am 3. Januar in Düsseldorf 60 Sternsinger aus den katholischen Diözesen Aachen, Essen, Köln, Münster und Paderborn zum traditionellen Dreikönigssingen begrüßt. Die Sternsinger-Aktion sei ein gutes Beispiel für gelebte Solidarität und Nächstenliebe, erklärte Laschet. In der Gesellschaft würden überall Menschen gebraucht, "die nicht nur an sich denken, sondern auch etwas für die Gemeinschaft tun".

Die diesjährige 62. Aktion Dreikönigssingen trägt das Motto "Segen bringen, Segen sein. Frieden! Im Libanon und weltweit!". Ein wichtiges Ziel sei es, Frieden und Verständigung zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft, Kultur und Religion im Libanon zu fördern, hieß es. Unterstützt werden mit der Aktion unter anderem Zentren des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes, die für syrische Flüchtlingskinder Unterricht und Freizeitaktivitäten anbieten.

Kinder und Jugendliche litten am allermeisten unter Krieg, Gewalt und Unsicherheit, betonte Laschet. Auch in Deutschland gebe es zu viel Hass und zu viele Vorurteile. Die Sternsinger stünden zum Glück für das Gegenteil, nämlich für Mitgefühl und Toleranz.

Bis zum 17. Januar sind bundesweit rund 300.000 Kinder und Jugendliche verkleidet als die Heiligen Drei Könige Caspar, Melchior und Balthasar unterwegs. Sie klingeln an Haustüren, um den Bewohnern den Segen Gottes zu bringen und um Spenden zu bitten. Die Aktion Sternsingen gibt es in Deutschland seit 1959. Seitdem sammelten die Sternsinger rund 1,14 Milliarden Euro für mehr als 74.000 Projekte. Im vergangenen Jahr erzielte die Aktion ein Spendenaufkommen von 50,2 Millionen Euro.

Träger der Aktion Dreikönigssingen sind das Kindermissionswerk "Die Sternsinger" und der Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ). Die Sternsinger sind eine der größten Solidaritätsaktionen von Kindern für Kinder weltweit.




Gesellschaft

Buhrow zu WDR-Video: Nicht vor rechten Kreisen eingeknickt


Tom Buhrow
epd-bild/Guido Schiefer
WDR-Intendant Tom Buhrow verteidigt seine Entscheidung, das "Umweltsau"-Video zu sperren und sich zu entschuldigen. Er sei jedoch nicht vor rechten Kreisen eingeknickt, zahlreiche Beschwerden seien von "wohlmeinenden Hörern" gekommen, sagt Buhrow.

WDR-Intendant Tom Buhrow hat sich gegen Kritik verteidigt, im Streit um das "Umweltsau"-Video des WDR-Kinderchors vor rechten Kreisen eingeknickt zu sein. "Nein, bin ich nicht", sagte er dem Nachrichtenmagazin "Der Spiegel". Von Rechtspopulisten und -radikalen mache er seine Entscheidungen nicht abhängig. Der WDR habe die Mechanismen einer rechten Mobilisierung erkannt, "aber wir konnten auch unterscheiden zwischen dem, was orchestriert ist, und dem, was echte Gefühlsäußerungen von ansonsten wohlmeinenden Hörern sind", sagte Buhrow: "Und da hatten wir wirklich Hunderte Seniorinnen und Senioren und deren Enkel am Telefon. Uns war sofort klar, diese Menschen waren nicht Teil einer orchestrierten Sache."

Mit der satirischen Umdichtung des Kinderlieds "Meine Oma fährt im Hühnerstall Motorrad" hatte der Kölner Sender vor rund einer Woche für Wirbel gesorgt. Nach zahlreichen Beschwerden und scharfer Kritik löschte der WDR die auf Facebook gestellte Aufnahme. Buhrow entschuldigte sich. Im Lied geht es um eine fiktive Oma als "Umweltsau", die SUV fährt, Kreuzfahrten macht und sich täglich billiges Discounterfleisch brät.

Laschet-Vorwurf zurückgewiesen

"Wir können doch nicht einfach so tun, als ob es nicht zählt, wenn sich ein großer Teil unseres Publikums zu Unrecht angegriffen fühlt", verteidigte der WDR-Indendant seine Entscheidung, das Video zu sperren und sich zu entschuldigen. "Soll ich denen sagen: Sie sitzen einer rechten Instrumentalisierung auf, und Ihre Gefühle sind deshalb irrelevant? Wir können uns doch nicht hinter der Satirefreiheit verstecken und sagen: Wir haben recht, lieber Hörer, und dass du so empfindest, das ist eben falsch."

Den Vorwurf des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Armin Laschet (CDU), der WDR habe Kinder für politische Zwecke "instrumentalisiert", wies Buhrow zurück. "Das ist doch lächerlich. Dem schließe ich mich überhaupt nicht an. Und es politisieren zu wollen, dass Kinder ein Kinderlied singen, finde ich absurd. Kinder spielen im Fernsehen und im Hörfunk überall eine Rolle, auf Spendengalas, bei Weihnachtskonzerten. Ich glaube, selbst auf Wahlplakaten von Politikern."



Gewaltsame Proteste nach "Umweltsau"-Lied

Ein persifliertes Kinderlied wird zum Aufreger. Rechte Demonstranten nutzen dies für einen Angriff auf den öffentlich-rechtlichen Journalismus und die Erhöhung der Rundfunkgebühren. Der WDR sucht unterdessen Hilfe bei einem externen Krisenberater.

Die Proteste nach dem "Umweltsau"-Lied am 4. Januar in Köln sind teils gewaltsam verlaufen. Im Rahmen von Demonstration und Gegendemonstration in der Innenstadt in Nähe des WDR-Funkhauses leitete die Polizei nach eigenen Angaben in 20 Fällen unter anderem Ermittlungen zu Körperverletzungen, Sachbeschädigungen, Widerstands gegen Polizeibeamte, Verstoßes gegen das Waffengesetz und Diebstahls ein. Vier Demonstranten erlitten leichte Verletzungen. In einem Hotel kam es der Polizei zufolge zu weiteren Auseinandersetzungen zwischen linken und rechtsorientierten Demonstranten. Wegen gefährlicher Körperverletzung wurde ein Ermittlungsverfahren eingeleitet

Rund 50 Demonstranten von vorwiegend rechten Gruppierungen hatten vor dem WDR-Funkhaus demonstriert. Ihr Protest richtete sich gegen Rundfunkgebühren und das satirische "Umweltsau"-Video von WDR2. Die Demonstranten aus dem Umfeld der "Bruderschaft Deutschland", aus AfD-Kreisen sowie Gruppen, die der Identitären Bewegung nahestehen, sahen sich einer Gegendemonstration mit rund 1.500 Teilnehmern gegenüber.

Rechte Demonstranten sprechen von "Propaganda"

Die Kontroverse hatte sich an einer Umdichtung des Kinderlieds "Meine Oma fährt im Hühnerstall Motorrad" zum Jahreswechsel entzündet. Der WDR entschuldigte sich und löschte die auf Facebook verbreitete Aufnahme. Auf dieses Vorgehen gab es ein unterschiedliches Echo. Im Lied, das von einem Kinderchor gesungen wurde, geht es um eine fiktive Oma, die SUV fährt, Kreuzfahrten macht, sich täglich billiges Discounterfleisch brät und im Refrain als "alte Umweltsau" tituliert wird.

Auf ihrer Kundgebung am 4. Januar beklagten die rechten Demonstranten "merkwürdige Posts", die eine ganze Generation verunglimpften. Der WDR diffamiere alte Leute, das Video sei "keine Satire, sondern Propaganda". Die rechten Demonstranten bezogen sich offenbar auch auf einen Tweet eines WDR-Reporters. Er hatte auf Twitter geschrieben, dass die Großmütter derjenigen, die sich über das Umweltsau-Video des WDR aufregen würden, "Nazisäue" gewesen wären. WDR2-Chef Jochen Rausch und auch der betreffende Reporter hatte sich anschließend von dem Tweet distanziert und entschuldigt.

DJV: Journalisten lassen sich nicht einschüchtern

Redner der Gegendemonstration hoben hervor, dass sie sich schützend vor den WDR stellten. Man werde die Bedrohung einer freien unabhängigen Presse nicht hinnehmen. Zugleich forderten sie, das Stattgefundene aufzuarbeiten.

Der Vorsitzende des Deutschen Journalistenverbandes DJV, Frank Überall, warf den rechten Demonstranten vor, die Satire zum Anlass zu nehmen, die Demokratie zu zerstören. Überall: "Sie sind gegen den WDR, gegen Journalisten, gegen das Grundgesetz. Sie treten das Grundgesetz mit Füßen." Zugleich kritisierte Überall WDR-Intendant Tom Buhrow, der das WDR2-Video auf Facebook hatte löschen lassen. "Man muss ein solches satirisches Lied aushalten, auch wenn man Intendant ist", sagte Überall. Satire müsse zuspitzen, müsse wehtun.

Demo auch in Baden-Baden

In Baden-Baden folgten parallel zur Kundgebung in Köln "einige Dutzend" Menschen einem Aufruf des AfD-Landtagsabgeordneten Stefan Räpple zu einer Demonstration gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, wie das Boulevardportal Tag24 berichtete. Räpple hatte nach Angaben der Stadt etwa 300 Teilnehmer zur Kundgebung vor dem Funkhaus des Südwestrundfunks (SWR) angemeldet. Auch hier formiert sich Gegenprotest des DJV und eines Bündnisses gegen rechts.

Unterdessen sucht sich der WDR Unterstützung bei einem externen Kommunikationsberater, unter anderem mit Blick auf Diskussionen um die Erhöhung des Rundfunkbeitrags. Am 5. Januar bestätigte der Sender einen Bericht der "Welt am Sonntag" und verweist in einer Stellungnahme auf den ARD-Vorsitz des WDR für die kommenden zwei Jahre. In dieser Zeit sei mit umfangreichen zusätzlichen Kommunikationsmaßnahmen zu rechnen, die deutlich über das übliche Maß hinausgehen, erklärte der WDR. Der Verwaltungsrat habe deshalb bereits im Juni 2019 der Einbindung einer Kommunikationsagentur zugestimmt. Nach einer öffentlichen europaweiten Ausschreibung sei im vergangenen Herbst die Entscheidung für die Agentur "Media 5" gefallen.



Laschet mahnt mehr Toleranz im Miteinander an


Armin Laschet
epd-bild/Hans-Jürgen Bauer

Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) hat zu mehr Toleranz gegenüber anderen Meinungen und Lebensentwürfen aufgerufen. "Wir brauchen eine neue Fairness in unserem Land, die Unterschiedlichkeiten anerkennt und wertschätzt", sagte er in seiner Neujahrsansprache, die am 1. Januar im WDR-Fernsehen ausgestrahlt wurde. Das verlange vor allem, sich nicht von Aggression, Hass und Wut leiten zu lassen. Als Beispiel nannte Laschet die sozialen Medien. Sie bieten seinen Worten zufolge die Chancen umfassender Informationen, "aber leider auch immer mehr die Gefahr der Zuspitzung, des Rückzugs in Filterblasen, in eine Welt derer, die genauso leben und denken, wie man selbst".

Der Ministerpräsident riet dagegen zum persönlichen Gespräch, um die Kluft zwischen Alt und Jung, Großstädtern und den Menschen im ländlichen Raum, zwischen Zugewanderten und alteingesessenen Familien zu überwinden. "Fairness heißt auch, den Blick zu bewahren für die Not und die Fragen Anderer", betonte der stellvertretende CDU-Vorsitzende.

"Ein Gespräch mit einem anderen zu führen, zuhören zu können, das lebt von der Bereitschaft anzuerkennen, dass der andere Recht haben könnte", führte Laschet weiter aus. Die eigene Sicht werde im besten Fall geweitet, Selbstgewissheiten würden hinterfragt. "Vielfalt bereichert. Meinungsverschiedenheit bereichert, weil Menschen verschieden und nicht einheitlich sind", sagte Laschet und verwies auf das Motto der Europäischen Union: "In varietate concordia - in Vielfalt geeint".



Trauer um früheren NRW-Arbeitsminister Guntram Schneider


Guntram Schneider (Archivbild von 2015)
epd-bild/Friedrich Stark
Guntram Schneider ist tot. Weggefährten trauern und würdigen den einstigen DGB-Vorsitzenden und Arbeitsminister in NRW als aufrecht und mit Herz. Der Mann mit Reibeisenstimme bleibt als Kämpfer für einen fairen Arbeitsmarkt in Erinnerung.

Nordrhein-Westfalen trauert um den ehemaligen Arbeits- und Sozialminister Guntram Schneider. Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) würdigte am 4. Januar den im Alter von 68 Jahren in Dortmund gestorbenen SPD-Politiker und langjährigen DGB-Vorsitzenden als eine Persönlichkeit "mit Herz für das Land und Herzblut für die Sache". Schneider war von 2010 bis 2015 Minister für Arbeit, Integration und Soziales und zuvor Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes in Nordrhein-Westfalen.

Für Guntram Schneider habe bei all seinem Engagement in der Gewerkschaft und der Politik der Mensch im Mittelpunkt gestanden, erklärte Ministerpräsident Laschet in Düsseldorf. Als langjähriger DGB-Vorsitzender habe er leidenschaftlich für Chancengerechtigkeit in Schule und Beruf gekämpft. "Solidarität war bei ihm nicht wissenschaftliche Theorie, sondern gelebte innere Haltung." Guntram Schneider habe auch denjenigen wertgeschätzt, der anderer Meinung war. "Ich werde ihn vermissen", erklärte Laschet.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) in NRW erinnerte daran, dass auf Schneiders Initiative hin unter dem damaligen und heutigen Arbeitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) das "Sonderprogramm Ausbildung" realisiert wurde, das 3.000 außerbetriebliche Ausbildungsplätze schuf. "Soziale Gerechtigkeit, Chancengleichheit, Teilhabe, Tarifautonomie und Mitbestimmung, dafür setzte er sich ein", erklärte der DGB.

"Gewerkschafter mit Verstand, Tatkraft und viel Herz"

Der Düsseldorfer Arbeitsminister Laumann (CDU) erinnerte an seinen Amtsnachfolger und Vorgänger im Kabinett als einen "Gewerkschafter mit Verstand, Tatkraft und viel Herz". Solidarität sei für ihn nicht nur eine Worthülse, sondern eine Lebenseinstellung gewesen. "Ich trauere um einen langjährigen Weggefährten, dem ich vertraute und der für mich mehr war als nur ein Kollege."

Landtagspräsident André Kuper würdigte Schneider als einen Mann mit Humor und der Worte. Seine Beiträge hätten die Debattenkultur im Landtag bereichert. Kuper verwies auch auf Schneiders Engagement in Israel und für die Aussöhnung zwischen Israel und Deutschland. Als DGB-Vorsitzender sei er einer der ersten gewesen, die Partnerschaften mit der israelischen Gewerkschaft Histadrut nicht nur geschlossen, sondern auch glaubwürdig gelebt habe. Schneider gehörte dem Landtag von 2012 bis 2017 an.

Bundesweit Vorreiter mit Teilhabe- und Integrationsgesetz

Mit Schneider verbinde die Partei große Verdienste um eine soziale Arbeitsmarktpolitik, erklärte die SPD in NRW. Schneider sei unter anderem maßgeblich an der Einführung des "Kein Abschluss ohne Anschluss"-Projektes beteiligt gewesen, das Jugendlichen mit Startschwierigkeiten den Übergang von Schule in Beruf erleichtern soll.

Die ehemalige Ministerpräsidenten Hannelore Kraft (SPD), die Schneider 2010 in ihr Kabinett geholt hatte, würdigte Schneider als einen Mann mit klaren Überzeugungen, Durchsetzungskraft und Aufrichtigkeit. Der SPD-Fraktionsvorsitzende im Düsseldorfer Landtag, Thomas Kutschaty, erinnerte unter anderem an Schneiders Verdienste als Integrationsminister. Mit dem ersten Teilhabe- und Integrationsgesetz eines Flächenlandes habe er NRW bundesweit zum Vorreiter gemacht.

Stadt Dortmund legt Kondolenzbuch aus

Die Stadt Dortmund will Bürgern nun die Gelegenheit geben, ihrer Trauer um Guntram Schneider Ausdruck zu verleihen. Von 7. Januar an liegt ein Kondolenzbuch im Rathaus am Friedensplatz auf der ersten Etage aus, wie die Stadt mitteilte. Oberbürgermeister Ulrich Sierau (SPD) betonte die enge Verbundenheit Schneiders mit der Stadt Dortmund, wo er 1985 Vorsitzender des DGB-Kreises war. Schneider habe für den Mindestlohn gekämpft und "durch seine streitbare und empathische Art dafür gesorgt, dass sich viele Menschen mit der SPD nach der Hartz-IV-Gesetzgebung wieder aussöhnen konnten".

Guntram Schneider wurde nach Angaben der Staatskanzlei am 2. Juli 1951 in Gütersloh-Isselhorst geboren. Er machte eine Lehre als Werkzeugmacher und trat schon früh der Gewerkschaft IG Metall bei. 1985 wurde er Vorsitzender des DGB-Kreises Dortmund. 2006 wurde er zum Landesvorsitzenden des DGB in Nordrhein-Westfalen gewählt. Ministerpräsidentin a.D. Hannelore Kraft (SPD) ernannte Guntram Schneider am 15. Juli 2010 zum Minister für Arbeit, Integration und Soziales. Er leitete das Ressort bis September 2015.



Gedenkstättenchef für bundesweiten Feiertag am 8. Mai 2020

Der Direktor der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, Axel Drecoll, hat dazu aufgerufen, den 8. Mai 2020 bundesweit zum gesetzlichen Feiertag zu machen. Dass Berlin den 75. Jahrestag der Befreiung vom Nationalsozialismus "zum einmaligen gesetzlichen Feiertag erklärt hat, halte ich für ein positives Signal", sagte Drecoll dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Oranienburg. Dies sei gerade in Zeiten wichtig, in denen verstärkt versucht werde, "den Nationalsozialismus und seine Menschheitsverbrechen zu relativieren".

Er würde begrüßen, "wenn Brandenburg und die anderen Bundesländer diesem Beispiel folgen würden", sagte Drecoll: "Politik und Gesellschaft müssten diesen Tag dann aber auch mit erinnerungskultureller Substanz füllen." Dass der 8. Mai in Brandenburg seit 2015 ein gesetzlicher Gedenktag ist, zu dem der Landtag jährlich eine Gedenkveranstaltung ausrichtet, begrüße er sehr.

Die Stiftung werde 2020 die Begegnung mit den letzten Überlebenden der Konzentrationslager und das Gedenken an die Opfer in den Mittelpunkt stellen, sagte Drecoll: "Wir wünschen uns, dass von den vielfältigen Veranstaltungen zum 75. Jahrestag der Befreiung der KZ-Häftlinge ein starkes Signal ausgeht: Dass die Erinnerung an die Verbrechen des Nationalsozialismus in Brandenburg und darüber hinaus einen hohen Stellenwert hat und auch in Zukunft haben wird."

epd-Gespräch: Yvonne Jennerjahn


Baugenehmigung für Jüdische Akademie in Frankfurt

Der Zentralrat der Juden in Deutschland errichtet in Frankfurt am Main eine Jüdische Akademie. Die Stadt gab am 2. Januar das Erteilen der Baugenehmigung bekannt. Der Deutsche Bundestag bewilligte den Angaben nach sieben Millionen Euro Zuschuss für das Projekt. Einen einmaligen Investitionskostenzuschuss von 4,5 Millionen Euro zahlt die Stadt Frankfurt, weitere drei Millionen Euro will das Land Hessen beisteuern.

Harry Schnabel, Mitglied des Zentralrats der Juden und des Vorstands der Jüdischen Gemeinde Frankfurt, sagte, die Jüdische Akademie solle den Diskurs über jüdisches Leben und jüdische Kultur in die Bevölkerung hineintragen. Ihr Seminar-, Konferenz-, Vortrags- und Fortbildungsangebot richte sich gleichermaßen an Juden und Nichtjuden. Bei planmäßigem Verlauf könnten die Bauarbeiten im Spätsommer beginnen.



Experte: Existenzberechtigung des Islam wird infrage gestellt

Der Osnabrücker Islamexperte Bülent Ucar sieht den Islam in Deutschland zunehmend in Bedrängnis. Die Haltung der AfD, die sich unter anderem über die Abgrenzung zum Islam rechtfertige, färbe auf die Gesellschaft ab, weil die Partei mittlerweile in vielen Parlamenten vertreten sei, sagte Ucar dem Evangelischen Pressedienst (epd): "Eine islamkritische Grundhaltung in Medien und Parteien hat sich weitgehend durchgesetzt und ist mittlerweile normal geworden. Die Existenzberechtigung des gelebten Islam in Deutschland wird wieder infrage gestellt."

Die politisch Verantwortlichen seien misstrauischer auch aus der Angst heraus, dass sie von rechten Kreisen als zu naiv und nachsichtig beurteilt würden, sagte der Direktor des Instituts für Islamische Theologie der Universität Osnabrück. Das mache sich auch in den Islam-Instituten in Deutschland bemerkbar. Obwohl sie sich mittlerweile im Wissenschaftsbetrieb etabliert hätten, habe sich an manchen Einrichtungen eine Tendenz herauskristallisiert, die Wissenschaftler zu bevormunden, erläuterte der Theologe und Religionspädagoge: "Dieser paternalistische Beobachtungsmodus ist nicht gerechtfertigt und muss unterlassen werden."

Wissenschaftsfreiheit

Die Wissenschaftsfreiheit bei der Berufung von Professorinnen und Professoren sowie bei der Entwicklung von Lehrplänen und Forschungsschwerpunkten gelte auch für die Islamische Theologie und müsse beachtet werden, forderte Ucar. Die Institute hätten letztlich viel zur Versachlichung, zur Wissensvermittlung und zur differenzierten Betrachtung des Islam im deutschsprachigen Raum beigetragen.

Er wünsche sich von den Muslimen und seinen Kollegen, dass sie sich fundierter und lauter zu Wort melden, sagte der Professor. Vor einigen Jahren hätten rund 100 Imame in Österreich eine Erklärung für Toleranz, Demokratie und Menschenrechte abgegeben. Ähnliche Aktionen seien jetzt auch in Deutschland gefragt: "Wir dürfen die Deutungshoheit über den Islam weder den Rechten noch den Islamisten überlassen."

epd-Gespräch: Martina Schwager


Innenminister sieht neue Dimension linksextremer Gewalt

"Vorläufiger Höhepunkt der Gewalt": Nach der Attacke von Leipzig wird über aggressiven Linksextremismus debattiert - aber auch über die Strategie der Polizei in der Silvesternacht. Der schwerverletzte Polizist hat das Krankenhaus verlassen.

Nach dem mutmaßlich linksextrem motivierten Angriff auf Polizisten zu Silvester in Leipzig hat Sachsens Innenminister Roland Wöller (CDU) vor einer neuen Qualität der Bedrohung gewarnt. "Was wir in Leipzig-Connewitz erleben, ist ein vorläufiger Höhepunkt der Gewalt", erklärte er am 3. Januar in Leipzig nach einem Treffen mit an dem Einsatz beteiligten Beamten.

Man müsse zur Kenntnis nehmen, "dass diese Gewaltausbrüche nicht nur Sachen betreffen, sondern dass sie gezielt Menschenleben gefährden", erklärte Wöller: "Das ist eine neue Dimension." Angriffe auf Polizisten seien Angriffe auf den Rechtsstaat "und damit auch Angriffe auf uns und die friedliche, freiheitliche Gesellschaft", unterstrich der Minister.

"Linksextremistischer Hotspot"

Wöller verwies auch auf Brandanschläge auf mehrere Baukräne in Leipzig im Oktober und eine Attacke auf eine Mitarbeiterin einer Immobilienfirma in deren Privatwohnung. Die Taten werden jeweils Linksextremisten zugeschrieben, die sich gegen Gentrifizierung in dem linksalternativen Stadtteil wehren.

"Wir haben es hier mit Straftätern zu tun aus dem linksextremistischen Bereich, die nicht davor zurückschrecken, auch unbeteiligte Menschenleben in Gefahr zu bringen", erklärte Wöller. Man werde weder in Sachsen noch in Leipzig rechts- und polizeifreie Räume dulden.

Unterstützung erhielt Wöller aus Berlin. Dort sagte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums, es gebe einen "linksextremistischen Hotspot in Leipzig". In Sachsen habe die Zahl linksextremer Gewalttaten 2018 um 14 Prozent zugenommen, sagte er. Bundesweit war die Zahl dagegen rückläufig.

Sachsens Landespolizeipräsident Horst Kretzschmar verteidigte die in den vergangenen Monaten verstärkte Polizeipräsenz in dem Leipziger Stadtteil und die Einsatzstrategie in der Silvesternacht. Präsenz zu zeigen, "ist genau das Richtige", erklärte er. Die Auseinandersetzung sei provoziert worden, erklärte Kretzschmar. Die Täter hätten "ganz gezielt, heimtückisch und hinterhältig den Angriff auf Polizeibeamte" gesucht.

Esken fordert Überprüfung des Polizeieinsatzes

SPD-Chefin Saskia Esken hatte zuvor eine Überprüfung des Polizeieinsatzes gefordert. Im Sinne der Polizisten müsse "schnell geklärt werden, ob die Einsatztaktik angemessen war", sagte sie den Zeitungen der Funke Mediengruppe (3. Januar).

Die Leipziger Staatsanwaltschaft hält derweil am Tatvorwurf des versuchten Mordes fest. Sprecher Ricardo Schulz sagte dem Evangelischen Pressedienst (epd), er werfe den Tätern vor, billigend in Kauf genommen zu haben, dass die Angegriffenen schwere Verletzungen erleiden.

Laut Schulz wurden gegen vier Tatverdächtige im Alter von 27 bis 32 Jahren Haftbefehle in Kraft gesetzt, gegen einen von ihnen im beschleunigten Verfahren. Den Männern wird Landfriedensbruch, tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte und versuchte gefährliche Körperverletzung vorgeworfen. Die Ermittlungen wegen versuchten Mordes laufen gegen Unbekannt.

Polizei korrigiert Darstellung

Rund 1.000 Menschen hatten am Connewitzer Kreuz Silvester gefeiert. Kurz nach Mitternacht wurden nach Polizeiangaben Beamte mit Steinen, Böllern und Flaschen beworfen, ein brennender Einkaufswagen sei in ihre Richtung geschoben worden. Als die Beamten eingreifen wollten, wurden drei von ihnen attackiert. Zwei von ihnen wurden leicht, ein dritter schwer am Ohr verletzt. Laut Kretzschmar konnte er das Krankenhaus am 3. Januar verlassen.

Die Leipziger Polizei ist derweil von ihrer Darstellung aus der Tatnacht abgerückt, der Schwerverletzte habe notoperiert werden müssen. Dies habe den Eindruck erweckt, es habe eine lebensgefährliche Verletzung vorgelegen, sagte Sprecher Andreas Loepki "MDR Aktuell". Die Polizei müsse sich den "Schuh anziehen, dass es sicherlich besser gewesen wäre, von einer operativen Maßnahme zu sprechen statt von Not-OP". Kretzschmar hatte zuvor auf die Frage nach den widersprüchlichen Informationen noch geantwortet: "Die Polizei wird nie Falschinformationen verbreiten."



Krefelder Zoo nach Brand wiedereröffnet

Die Trauer um die getöteten Affen hält an, doch langsam will der Krefelder Zoo zur Normalität zurückkehren. Seit dem 3. Januar sind Besucher wieder willkommen. Das zerstörte Affenhaus bekommen sie nicht zu sehen.

Nach dem folgenschweren Brand an Silvester im Affenhaus ist der Krefelder Zoo am 3. Januar wieder geöffnet worden. Der Besucherandrang hielt sich allerdings in Grenzen, wie eine Mitarbeiterin des Tierparks sagte. Zahlen nannte die Zooleitung zunächst nicht. Die Nachfrage sei "einem Januartag entsprechend" gewesen. Der Bereich zu dem zerstörten Affenhaus ist weiträumig abgesperrt, auch angrenzende Bereiche wie das Gorillahaus und die Känguruhanlage sind für Besucher derzeit nicht zugänglich.

In den kommenden Tagen will der Zoo zur Normalität zurückkehren und zu den regulären Zeiten öffnen. Für die etwa 70 Mitarbeiter ist eine Trauerfeier geplant. Wann sie stattfindet, ist nach Angaben einer Sprecherin noch unklar.

Himmelslaternen

Bei dem Feuer waren in der Silvesternacht mehr als 30 Tiere des 1975 eröffneten Affenhauses verendet, darunter acht Menschenaffen. Es entstand ein Schaden in zweistelliger Millionenhöhe. Verursacht wurde der Brand nach den Erkenntnissen von Polizei und Staatsanwaltschaft von drei Krefelderinnen, die in der Silvesternacht fünf sogenannte Himmelslaternen in die Luft steigen ließen. Eine dieser fliegenden Leuchtfackeln habe den Brand des Affenhauses im Bereich des Daches ausgelöst.

Auch am 3. Januar trauerten vor dem Zoo viele Menschen um die getöteten Tiere, stellten Kerzen auf und legten Blumen und Stofftiere ab. Die Trauer um die verendeten Tiere ist nach Ansicht des katholischen Theologen und Biologen Rainer Hagencord angemessen. Gerade bei Menschenaffen könnten Besucher und Pfleger eine Persönlichkeit erleben und eine Vertrautheit mit den Tieren erfahren, sagte der Leiter des Instituts für Theologische Zoologie in Münster dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Man müsse sich zudem von der Vorstellung eines Dualismus und einer grundlegenden Unterscheidung zwischen Mensch und Tier verabschieden, sagte Hagencord, der in Münster als katholischer Seelsorger tätig ist und nach seiner Priesterweihe noch Biologie und Philosophie studierte. Aus theologischer Sicht sei alles, was lebt, auch beseelt.

"Mahnwachen vor Schlachthöfen"

Vorfälle wie der Brand in Krefeld sollten nach Ansicht Hagencords ein Anlass sein, über eigene Konsumgewohnheiten und Sichtweisen nachzudenken. Während viele Haustiere oder Tiere im Zoo als süß empfunden würdem und ihr Leiden öffentlich thematisiert werde, kümmerten sich noch zu wenige Menschen um das Schicksal des Schlachtviehs in Deutschland. Hier wären "Mahnwachen vor Schlachthöfen" angebracht, um auf das Schicksal dieser Tiere hinzuweisen, sagte er.

Der Psychologe Rolf Schmiel würdigte die Entscheidung der drei mutmaßlichen Verursacherinnen des Großbrands, sich am Neujahrstag bei der Polizei zu melden. Wenn man öffentlich zu seiner Schuld stehe, habe man auch die Chance, Solidarität und Vergebung zu erfahren, sagte Schmiel im Radiosender WDR5. Es helfe am meisten, von Anfang an Verantwortung für den Fehler zu übernehmen. Gegen die Frauen, eine Mutter und ihre zwei erwachsenen Töchter, wird wegen fahrlässiger Brandstiftung ermittelt.



Theologe: Tod von Tieren kann Verlust von Verwandten gleichkommen

Die Trauer vieler Menschen um die verendeten Tiere im abgebrannten Affenhaus des Krefelder Zoos ist nach Ansicht des Theologen und Biologen Rainer Hagencord angemessen. Gerade bei Menschenaffen könnten Besucher und Pfleger eine Persönlichkeit erleben und eine Vertrautheit mit den Tieren erfahren, sagte der Leiter des Instituts für Theologische Zoologie in Münster dem Evangelischen Pressedienst (epd). Würden die Tiere dann getötet, könne das durchaus dem Verlust eines Verwandten oder Freundes gleichkommen.

Durch das Feuer im Krefelder Zoo, das laut Polizei durch sogenannte Himmelslaternen verursacht wurde, waren in der Silvesternacht mehr als 30 Tiere getötet worden, darunter acht Menschenaffen. Am 3. Januar wurde der Zoo wieder eröffnet. Für die Mitarbeiter war eine Trauerfeier geplant.

Man müsse sich von der Vorstellung eines Dualismus und einer grundlegenden Unterscheidung zwischen Mensch und Tier verabschieden, sagte Hagencord, der in Münster als katholischer Seelsorger tätig ist und nach seiner Priesterweihe noch Biologie und Philosophie studierte. Aus theologischer Sicht sei alles, was lebt, auch beseelt.

Menschenähnliche Verhaltensweisen

"Wir sind tatsächlich Tiere", erklärte Hagencord weiter und verwies auf die Evolutionslehre von Charles Darwin (1809-1882). Es sei "wissenschaftsfeindlich", zwischen Mensch und Tier unterscheiden zu wollen. Und Menschenaffen seien nun einmal physiologisch und genetisch "unsere nächsten Verwandten", bei denen man durchaus menschenähnliche Verhaltensweisen feststellen könne, unterstrich der Theologe.

Vorfälle wie der verheerende Brand in Krefeld sollten nach Hagencords Worten ein Anlass sein, über eigene Konsumgewohnheiten und Sichtweisen nachzudenken. Während viele Haustiere oder Tiere im Zoo als süß empfunden würden und ihr Leiden öffentlich thematisiert werde, kümmerten sich noch zu wenige Menschen um das Schicksal des Schlachtviehs in Deutschland. Hier wären Mahnwachen vor Schlachthöfen angebracht, um auf das Schicksal dieser Tiere hinzuweisen, sagte der Zoologe.

Auf der anderen Seiten sollten Tierschützer nicht den Respekt vor Menschen verlieren und Andersdenkende nicht mit Drohungen und einschüchternden Aktionen unter Druck setzen, sagte der katholische Theologe. Es gehe um Respekt und Wertschätzung gegenüber allen Geschöpfen.

Das vor zehn Jahren gegründete Institut für Theologische Zoologie in Münster ist nach eigenen Angaben das bundesweit einzige seiner Art. Vorsitzende des Kuratoriums ist die frühere nordelbische Bischöfin Bärbel Wartenberg-Potter, Schirmherrin die Primatenforscherin Jane Goodall.

Mit Exerzitien, Vorträgen und Workshops setzt sich das Institut in Gemeinden und Zoos sowie bei Landwirten für eine sensiblere Haltung gegenüber Tieren und der gesamten Natur ein. Außerdem entwickelt die Einrichtung, die mit der Philosophisch-Theologischen Hochschule der deutschen Kapuziner in Münster verbunden ist, Materialien für Universitäten und Schulen.

epd-Gespräch: Michael Bosse


Computer entrümpeln wie den eigenen Dachboden


Die ruhige Zeit zu Beginn des neuen Jahres biete eine gute Gelegenheit, um den Computer zu entrümpeln.
epd-bild / Heike Lyding
Beim Frühjahrsputz reicht es nicht, nur die Wohnung oder das Haus aufzuräumen. Auch der Computer muss ausgemistet werden, fordern Technikexperten. Sie erklären, was dabei zu beachten ist - und warum ein aufgeräumter PC das Arbeiten erleichtern kann.

Berufstätige in Deutschland erhalten pro Tag durchschnittlich 21 E-Mails. Rechnet man diese Zahl aus einer Umfrage des Digitalverbands Bitkom auf 365 Tage hoch, sind das allein für einen einzelnen Berufstätigen jährlich 7.665 E-Mails. Ohne regelmäßiges Löschen quillt das Mail-Postfach schnell über. Doch oft macht der Datenmüll da nicht Halt: Auf dem ganzen Computer können sich zig Dokumente, Fotos und Dateien ansammeln. Herbert Hertramph, zuständig für Lehr- und Lernforschung an der Universität Ulm und evangelischer Theologe, empfiehlt analog zum Frühjahrsputz zum Jahreswechsel, auch den Computer aufzuräumen. "Wie in einem Keller oder auf einem Dachboden sammeln sich auch auf dem PC im Laufe der Zeit überflüssige Daten an."

Die ruhige Zeit zu Beginn des neuen Jahres biete eine gute Gelegenheit, um die digitale "Lagerhalle, in der alles kreuz und quer" herumstehe, zu entrümpeln. "Mit dem Jahreswechsel beginnt auch ein neues Haushaltsjahr, was digitale Unterlagen wie zum Beispiel Rechnungen betrifft", sagt der Sozialwissenschaftler, der ein Buch über das sogenannte Digital Cleaning geschrieben hat.

Verwackelte Bilder und Videos löschen

Auch die niedersächsische Verbraucherzentrale empfiehlt einen digitalen Frühjahrsputz: Verwackelte Bilder und Videos sowie ungenutzte Dateien im Download-Ordner auf dem Rechner sollten dabei gelöscht werden. "Anders als beim Wohnungsputz reicht es nicht aus, die Dateien in den Papierkorb zu schieben", mahnen die Verbraucherschützer auf ihrer Webseite. Um nicht nur die Verweise zu entfernen, sondern auch den Inhalt selbst, sei es nötig, auch den Papierkorb auf dem Computer zu löschen - "sonst bleibt die Festplatte voll".

Ebenso sollte beim digitalen Frühjahrsputz das Mail-Programm auf dem Computer ausgemistet werden. Was Nutzer dabei häufig übersähen, so die Verbraucherzentrale, sei den Ordner der "gesendeten Objekte" zu durchforsten. Auch sei es aus Datenschutzgründen ratsam, regelmäßig den Such-Verlauf im Browser, die Cookies und gespeicherte Passwörter zu löschen. Für erstellte Profile bei Webseiten sollte man sich eine Liste mit allen Online-Zugängen anlegen und ungenutzte Konten löschen.

In den eigenen Social-Media-Profilen solle man hochgeladene Fotos oder Beiträge prüfen und gegebenenfalls ausrangieren. "Oft sind Dinge dabei, die Sie heute nicht mehr posten würden", fügt die niedersächsische Verbraucherzentrale hinzu. Tatsächlich räumen viele Social-Media-Nutzer zumindest schon ihre Freundesliste auf. Laut einer Bitkom-Umfrage prüft und entfolgt oder entfreundet fast jeder Zweite regelmäßig seine Online-Bekannten.

Software regelmäßig aktualisieren

Computerbesitzern, die jahrelang nicht ihren Speicher aufgeräumt haben, rät "Digital Cleaning"-Experte Hertramph davon ab, alle Dateien auf dem Rechner einzeln zu prüfen. Zu lange dauere das Sichten, sagt er. Stattdessen solle man alle schon lange nicht mehr genutzten Dokumente direkt löschen. "Wer das nicht über das Herz bringt, kann die Dateien zunächst auf ein externes Medium auslagern." Ist der Speicher dann frei von ungenutzten Dingen, empfiehlt Hertramph sich in einem zweiten Schritt eine Struktur für den Computer zu überlegen, in der man neue Dateien einsortieren soll. Für laufende Projekte und aktuelle Unterlagen eigne sich etwa ein Prozess-Bereich, erklärt er. Für Informationen, die von Zeit zu Zeit benötigt werden, biete sich ein Nachschlage-Bereich an. Hertramph selbst prüft alle zwei Wochen, ob er das Sortier-System auf seinem Computer beibehält.

Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik empfiehlt ebenfalls "den Übergang von den grauen Wintermonaten zum erwachenden Frühling" für einen digitalen Frühjahrsputz zu nutzen. Allerdings mahnt das Amt, Betriebssysteme, Programme und Browser nicht nur einmal im Jahr zu aktualisieren, sondern so bald wie möglich. Alte Software sei nicht nur "unnötiger Datenballast", sondern könne auch ein Sicherheitsrisiko darstellen, heißt es auf der Bundesamt-Webseite.

Im Büro erleichtere ein ordentlich strukturierter Computer sogar das Arbeiten, sagt "Digital Cleaning"-Experte Hertramph. "Je aufgeräumter meine digitale Umgebung ist, desto schneller finde ich eine gewünschte Datei wieder." Und wer seine Zeit nicht mit sinnlosem Suchen nach Dateien verschwende, arbeite letztlich auch konzentrierter.

Patricia Averesch (epd)


Staatsschutz ermittelt nach versuchter Brandstiftung an Moschee

Der Staatsschutz der Polizei Duisburg geht einem möglichen versuchten Brandanschlag auf einen islamischen Kultur- und Bildungsverein im niederrheinischen Wesel nach. Wie die Duisburger Polizei am 2. Januar mitteilte, fanden Beamte am Silvestermorgen in der Nähe des Vereinsheims, das auch als Moschee genutzt wird, Hinweise auf eine versuchte Brandstiftung. Es seien Lappen, Glasflaschen, ein Flaschenhals und ein Feuerzeug entdeckt worden.

Zunächst gingen die Sicherheitskräfte den Angaben zufolge von einem Einbruch aus, da eine Scheibe im ersten Stock beschädigt wurde. Nun ermitteln die Beamten, ob es sich um eine politisch motivierte Tat handelt. Laut Polizei wurde niemand verletzt und es entstand ein geringer Sachschaden.



Vermummte Männer verwüsten jüdischen Friedhof in Geilenkirchen

Zwei 21 und 33 Jahre alte Männer sollen in der Nacht zum 30. Dezember einen jüdischen Friedhof in Geilenkirchen (Kreis Heinsberg) verwüstet haben. Die beiden Tatverdächtigen hatten auf dem Friedhof über 40 Grabsteine umgeworfen und teilweise mit blauer Farbe besprüht, wie die Polizei in Aachen mitteilte. Die beiden Männer waren dunkel gekleidet und vermummt, bei der Tat wurden sie von einem Zeugen beobachtet.

Die herbeigerufene Polizei konnte das Duo in der Nähe des Tatorts stellen und bei ihnen Sturmhauben sowie Spraydosen mit blauer Farbe sicherstellen, wie die Polizei mitteilte. Die beiden aus dem benachbarten Gangelt stammenden Männer sind den Angaben zufolge bereits polizeilich bekannt. Der Staatsschutz übernahm die weiteren Ermittlungen.



"Die Partei" will Klimaforscher zur Bundestagswahl aufstellen

Martin Sonneborn, Vorsitzender der Satirepartei "Die Partei", wünscht sich Klimawissenschaftler im Bundestag. Zur nächsten Wahl suche "Die Partei" seriöse Klimaforscher, die bereit sind, sich aufstellen zu lassen, sagte Sonneborn dem Internetportal "t-online" in einem am 31. Dezember veröffentlichten Interview. "Die Partei" wolle mit 20 Wissenschaftlern auf den vorderen Listenplätzen antreten. Die Wahlperiode des Parlaments endet 2021.

"Falls wir die Fünf-Prozent-Hürde wider Erwarten schon bei der nächsten Wahl schaffen sollten, wäre es nicht verkehrt, ein paar engagierte Wissenschaftler in den Bundestag zu schicken", sagte der EU-Parlamentarier Sonneborn, ehemals Chefredakteur der Satirezeitschrift "Titanic". Derzeit fehle Sachverstand von Klimawissenschaftlern im deutschen Parlament.



Mikrozensus 2020: Statistiker befragen in NRW 80.000 Haushalte

In Nordrhein-Westfalen werden auch in diesem Jahr wieder Haushalte zu ihren Lebensbedingungen und Einkommensverhältnissen befragt. Die Befragungen der rund 80.000 Haushalte etwa zur Bildungs- und Erwerbssituation, Anzahl der Kinder oder zu einem Zuwanderungshintergrund seien gleichmäßig auf alle Wochen des Jahres verteilt, teilte das statistische Landesamt am 6. Januar in Düsseldorf mit. Im Januar 2020 würden beispielsweise in 53 zufällig ausgewählten Düsseldorfer Bezirken etwa 424 Haushalte kontaktiert. Für den überwiegenden Teil der Fragen besteht nach dem Mikrozensusgesetz Auskunftspflicht.

In NRW sind für den sogenannten Mikrozensus aktuell rund 300 Interviewerinnen und Interviewer unterwegs. Die Befrager kündigten ihren Besuch zuvor schriftlich an und legitimierten sich durch einen Ausweis, erklärte das statistische Landesamt. Sie seien zur strikten Verschwiegenheit verpflichtet. Abgefragt werden den Angaben nach unter anderem persönliche Merkmale wie Alter, Familienstand, Staatsangehörigkeit, Schulbesuch und Erwerbstätigkeit. Die Haushalte können auch online antworten oder einen Papierfragebogen ausfüllen.

Seit 1957 finden bundesweit solche Haushaltsbefragungen statt. Es handelt sich um eine sogenannte Flächenstichprobe, das heißt, es werden Straßenzüge beziehungsweise Gebäude nach einem mathematischen Zufallsverfahren ausgewählt, wie die Statistiker erläuterten. Die Haushalte, die in diesen "ausgelosten" Gebäuden wohnen, werden bis zu vier Mal zum Mikrozensus befragt. Ab diesem Jahr ist auch die europäische Erhebung zu Einkommen und Lebensbedingungen als Unterstichprobe im Mikrozensus integriert. Sie ist die zentrale Datenquelle zur Erfassung von Armut und sozialer Ausgrenzung in den Ländern der Europäischen Union.




Soziales

In ersten Berufsjahren beachtliche Gehaltserhöhungen möglich


Zwei junge Arbeitskräfte in der Pflege (Archivbild)
epd-bild/Jürgen Blume
Es ist wohl ein Klassiker unter den guten Vorsätzen für das neue Jahr: Den Chef auf eine Gehaltserhöhung ansprechen. Gute Argumente erhöhen die Chance, in einem solchen Gespräch tatsächlich Gehör zu finden.

Für Beschäftigte sind nach Angaben der Hans-Böckler-Stiftung im ersten Drittel ihrer Karriere "beachtliche Gehaltssteigerungen" möglich. Das gewerkschaftsnahe Institut beruft sich dabei auf eine Auswertung von 195.000 Datensätzen des Portals "Lohnspiegel.de". Für ältere Kollegen und Beschäftigte in einfacheren Tätigkeiten könne sich ein Lohnvergleich bei konkurrierenden Unternehmen lohnen, erklärte die Stiftung am 3. Januar in Düsseldorf.

Am Anfang des Berufslebens wachse der eigene Erfahrungsschatz besonders schnell und viele Beschäftigte übernähmen dann mehr Verantwortung, sagte Malte Lübker, Experte für Tarif- und Einkommensanalysen bei der Böckler-Stiftung. "Das macht einen für den Arbeitgeber wertvoller." Mit etwas Verhandlungsgeschick lasse sich das in bare Münze umwandeln.

Laut Lübker verdienen Angestellte mit fünf Jahren Berufserfahrung im Schnitt 13 Prozent mehr als Neueinsteiger, mit zehn Jahren liegt der Vorsprung bereits bei 22 Prozent. Nach 20 Jahren im Beruf verdienen Hochqualifizierte im Durchschnitt 46 Prozent mehr als Anfänger im gleichen Beruf; bei den Helfer- und Anlerntätigkeiten betrage das Plus 19 Prozent.

"Kritischer Blick auf eigene Gehaltsabrechnung"

Für Beschäftigte in einfacheren Tätigkeiten sei der Verweis auf die Gehälter bei anderen Arbeitgebern häufig das beste Argument. Das von der Stiftung betriebene Portal "Lohnspiegel.de" biete für mehr als 500 Berufe einen Lohn- und Gehaltscheck an. Auch den Entgeltatlas der Bundesagentur für Arbeit empfiehlt Lübker als Informationsquelle.

"Der kritische Blick auf die eigene Gehaltsabrechnung ist besonders wichtig, wenn der Arbeitgeber keinen Tarifvertrag anwendet", sagte Arbeitsmarktexperte Lübker. Denn Arbeitnehmer in Unternehmen ohne Tarifvertrag verdienen im Schnitt gut zehn Prozent weniger als vergleichbare Beschäftigte in tarifgebundenen Betrieben der gleichen Branche und ähnlicher Größe, wie er ausführte.

Durch guten Auftritt überzeugen

Nach Daten des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) arbeiteten im Jahr 2018 nur noch 54 Prozent der Beschäftigten in einem tarifgebundenen Betrieb, verglichen mit 68 Prozent im Jahr 2000. Tarifverträge sehen neben den von den Gewerkschaften ausgehandelten Lohnerhöhungen häufig auch Erfahrungsstufen vor, mit denen das Gehalt bei längerer Betriebszugehörigkeit in regelmäßigen Abständen automatisch ansteigt. "Wenn der Tarifvertrag fehlt, hat man es da leider häufig deutlich schwerer", erklärte Lübker.

Wer in einem Einzelgespräch mehr Gehalt fordert, sollte durch einen guten Auftritt überzeugen können, sagte Lübker. Ein gutes Argument kann demnach der eigene Beitrag zum Erfolg des Unternehmens sein, etwa dass man sich als guter Teamplayer erwiesen oder dass man zusätzliche Aufgaben im Betrieb übernommen hat.



"Mit ihr braucht es keine Worte"


Altenpflegerin Anika Niebler kommuniziert in Gebärdensprache.
epd-bild / Harald Koch
Wenn Pflegerin Anika Niebler ihre Patienten besucht, dann gibt es kleine Gesten statt großer Worte. Der Grund: Die 23-jährige ambulante Altenpflegerin ist gehörlos und kommuniziert in Gebärdensprache.

Täglich kommt Anika Niebler zu Christa und Erhard Bark. Das Ehepaar lebt im hannoverschen Stadtteil Kirchrode und begrüßt die junge Altenpflegerin bereits im Hausflur mit der Gebärde für "Guten Morgen". Die gehörlose 23-Jährige verabreicht dem 77-jährigen Mann Epilepsie-Medikamente und zieht ihm Kompressionsstrümpfe an. Jeden dritten Tag wechselt sie zudem seine Schmerzpflaster.

"Anika sieht sofort, wie es meinem Mann geht", sagt Christa Bark. "Mit ihr braucht es keine Worte." Zuerst war das Ehepaar unschlüssig. Wie sollte das klappen mit einer Pflegerin, die sie nicht hört? "Aber Anika hat es uns so leicht gemacht", schwärmt Bark. Die junge Frau geht sehr auf die Klienten ein, ihr entgeht nichts. Und einige hilfreiche Gebärden hat das Ehepaar aus der Situation heraus schnell gelernt. Die restliche Kommunikation läuft mit Stift und Papier, Lippenlesen oder einer Handy-App mit Spracherkennung.

Problemlose Einarbeitung

So wie den Barks ging es auch den Johannitern in Hannover. Sie waren sich erst mal unsicher. Doch Niebler fegte alle Vorbehalte bereits im ersten Gespräch vom Tisch. Ihre dreijährige Ausbildung zur Altenpflegerin hat sie gerade abgeschlossen. "Sie hat ein offenes Wesen, ist hochmotiviert und fährt Auto", sagt Johanniter-Sprecherin Sylke Heun. Ihre Einarbeitung ging schnell und problemlos - auch im Vergleich zu hörenden Kolleginnen.

Den Beruf hat sich die junge Frau genau ausgesucht. Zuerst hatte sie es in typischen Arbeitsfeldern für Gehörlose probiert - wo es meist um Handarbeit ohne nennenswerten Umgang mit Menschen geht. Drei Wochen machte sie ein Praktikum in der Schneiderwerkstatt des Hamburger Schauspielhauses, drei weitere Wochen übte sie sich in einem Zahntechniklabor. "Doch das hat mir nicht gefallen. Ich brauche Kontakt zu Menschen", berichtet Niebler in Gebärdensprache, die ihre Mutter Christine übersetzt.

Lob für Geduld

Die damals noch in Tostedt lebende junge Frau absolvierte ein Praktikum in einem Hamburger Altenheim für Gehörlose. Diese Arbeit war genau das Richtige, dorthin musste sich die junge Frau nicht quälen, sondern sie ging mit Freude. Es folgten eine Ausbildung an der Gehörlosenfachschule für soziale Berufe in Rendsburg und der Führerschein dort mit einem erfahrenen Fahrlehrer.

Was andere hören, kompensiert sie auf ihre Weise. Geräusche wie Hupen und Martinshörner im Straßenverkehr beispielsweise spürt sie in ihrem Bauch. Das Kompensieren gelingt ihr auch im Arbeitsalltag. Mit ihren Augen nimmt sie viel mehr wahr als andere Sehende, erläutert Mutter Christine. Sie merkt an der Mimik, ob es stimmt, was ein Klient ihr sagt. Patienten loben sie für ihre Geduld und akkurate Arbeit. Durch Gespräche nebenbei kann Anika Niebler nicht abgelenkt werden: ob beim Waschen, Essen anreichen oder der Gabe von Insulinspritzen.

Hilfe braucht sie nur beim Thema Fortbildung. Sie würde sich gern weiterqualifizieren, auch um mehr arbeiten zu können. Für solch einen Kurs benötigt die junge Pflegerin Unterstützung durch Gebärdendolmetscher, doch diese sind teuer und in Niedersachsen erhalten gehörlose Menschen keine finanzielle Unterstützung. Inklusion bedeutet, dass Politik den Zugang gehörloser Menschen in Beruf und Fortbildung ermöglichen muss. Anika Niebler wird auch für dieses Problem eine Lösung finden.

Stefan Korinth (epd)


Zahl der Gewebespenden steigt

Die Zahl der Gewebespenden in Deutschland ist erneut gestiegen. Im vergangenen Jahr spendeten insgesamt 2.753 Menschen ihr Gewebe, wie die Deutsche Gesellschaft für Gewebetransplantation (DGFG) am 1. Januar in Hannover mitteilte. 5.740 Gewebe seien zur Transplantation vermittelt worden. 2018 waren 2.732 Spenderinnen und Spender registriert worden.

Die DGFG organisiert einen großen Teil der Gewerbespenden in der Bundesrepublik. In ihrem Netzwerk kooperieren nach eigenen Angaben zahlreiche Universitätskliniken, kommunale und konfessionelle Krankenhäuser, aber auch große Klinikverbünde.

Zu den transplantierbaren Geweben gehören Augenhornhaut, Herzklappen, Blutgefäße, Knochen und Weichteilgewebe, Haut, Eihaut der Fruchtblase sowie Inselzellen. Gewebe können als Lebendorganspende oder nach dem Tod gespendet werden. Die Entnahme von Organen und Geweben nach dem Tod ist nur zulässig, wenn dem die verstorbene Person zu Lebzeiten oder stellvertretend die Angehörigen zugestimmt haben.

Grundsätzlich werden Gewebe häufiger verpflanzt als Organe, wie es hieß. Gewebetransplantationen seien weniger mit medizinischen Komplikationen verbunden als Organtransplantationen. Am häufigsten waren 2019 der DGFG zufolge Hornhautspenden. Die Gesellschaft habe 3.605 Patientinnen und Patienten mit einem Hornhauttransplantat versorgen können.



Künstliche Befruchtung: Kostenübernahme trotz Fehlgeburtsrisikos


Eine künstlich befruchtete Eizelle mit schlüpfender Blastozyste am Tag 6 nach der Befruchtung unter dem Mikroskop (Archivbild)
epd-bild / Jürgen Blume
Private Krankenkassen dürfen einem unfruchtbaren Mann Leistungen für eine künstliche Befruchtung nicht verweigern, nur weil bei seiner Ehefrau wegen ihres Alters eine schlechtere Prognose für eine Lebendgeburt besteht, urteilte der Bundesgerichtshof.

Ehepaare fortgeschrittenen Alters haben einen Anspruch auf Kostenübernahme einer künstlichen Befruchtung durch die private Krankenversicherung. Ein PKV-Unternehmen darf einem unfruchtbaren Mann Leistungen für eine künstliche Befruchtung nicht verweigern, nur weil bei seiner Ehefrau wegen ihres Alters eine schlechtere Prognose für eine Lebendgeburt besteht, entschied der Bundesgerichtshof (BGH) in einem am 2. Januar veröffentlichten Urteil. (AZ:.: IV ZR 323/18)

Vor Gericht war ein Mann aus Bremen gezogen, der wegen einer zu geringen Zahl an Spermien unfruchtbar ist. Nur mit Hilfe einer künstlichen Befruchtung ist ein gemeinsames Kind mit seiner Ehefrau noch möglich. Der Mann beantragte daher bei seiner privaten Krankenversicherung die Kostenübernahme für die künstliche Befruchtung mitsamt Embryotransfer.

Die Krankenkasse lehnte die Übernahme der Behandlungskosten in Höhe von 17.508 Euro ab. Private Krankenkassen übernehmen normalerweise die volle Kostensumme, anders als gesetzliche Krankenversicherungen, die lediglich einen 50-prozentigen Zuschuss gewähren müssen.

Geringe Erfolgsaussichten

Hier hatte der Privatversicherer allerdings die Kostenübernahme wegen geringer Erfolgsaussichten der Behandlung abgelehnt, da die Ehefrau des Klägers bereits 44 Jahre alt war. In dieser Altersgruppe gebe es ein hohes Fehlgeburtsrisiko.

Doch der Behandlungserfolg ist an einer ausgelösten Schwangerschaft und nicht an einem angenommenen altersbedingten Fehlgeburtsrisiko zu messen, befand der BGH. Für jeden Befruchtungsversuch habe es eine Wahrscheinlichkeit von mindestens 15 Prozent gegeben, dass ein Embryotransfer zur erwünschten Schwangerschaft führt. Damit bestehe eine ausreichende Erfolgsaussicht der Behandlung.

Es gehöre auch zum Selbstbestimmungsrecht der Ehegatten, "sich den Kinderwunsch in fortgeschrittenem Alter unter Inkaufnahme altersspezifischer Risiken zu erfüllen", urteilten die Karlsruher Richter. Nur wenn aufgrund individueller gesundheitlicher Beeinträchtigungen der Eltern eine Lebendgeburt wenig wahrscheinlich erscheine, könne anderes gelten. Dies sei hier aber nicht der Fall.



Jungen suchen sich bei Suzidgedanken selten Hilfe


Sören Friedrich
epd-bild/Ben Kuhlmann

Um die Suizidrate bei männlichen Teenagern zu senken, braucht es nach Expertenansicht mehr geschlechtssensible Hilfsangebote. "Es muss mehr Aufklärung und einen niedrigschwelligen Zugang zu Hilfen geben", sagte Sören Friedrich, Leiter des Zentrums für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie in Bochum, dem Evangelischen Pressedienst (epd). Derzeit suchten sich Jungen bei suizidalen Gedanken noch weitaus seltener Unterstützung als Mädchen. "Das Thema ist immer noch sehr schambehaftet und die Hürden, sich Hilfe zu holen, sind oftmals sehr hoch", kritisierte er.

In Deutschland bringen sich etwa dreimal so viele Jungen im Teenageralter um wie Mädchen – und das obwohl weibliche Jugendliche laut Friedrich deutlich häufiger Suizidgedanken haben und Suizidversuche begehen. Generell seien die Suizidraten bei Männern allen Altersklassen höher, ein Phänomen, das sich weltweit beobachten lasse.

Eine mögliche Erklärung sei, dass Jungen und Männer häufiger zu "harten" Methoden griffen, um sich umzubringen, sagte Friedrich. Dazu gehörten zum Beispiel Erhängen, Sprünge aus tödlicher Höhe oder Suizid durch Waffen, "also Methoden, bei denen die Wahrscheinlichkeit gering ist, dass sie noch gerettet werden können", erklärte der Psychotherapeut für Kinder und Jugendliche. Warum männliche Jugendliche eher diese Methoden wählten, sei noch nicht ausreichend erforscht.

Schwieriger Lebensabschnitt Pubertät

Selbstmorde unter Jugendlichen seien zwar relativ selten, sagte Friedrich, "trotzdem ist Suizid in der Altersstufe die zweithäufigste Todesursache nach Verkehrsunfällen". In herausfordernden Lebensabschnitten wie der Pubertät häuften sich Selbstmorde. "In dieser Phase der Identitätsentwicklung gibt es viel Unsicherheit und das belastet die Jugendlichen", erklärte der Psychotherapeut. Weitere Risikofaktoren seien Konflikte in der Familie, in der Beziehung und im Freundeskreis oder Verlusterfahrungen. Psychische Störungen, besonders depressive Störungen spielten ebenfalls eine wesentliche Rolle.

Warnsignale für Eltern, Lehrer und Betreuer können anhaltende Traurigkeit, sozialer Rückzug, Unruhe, Konzentrationsschwäche, starker Alkohol- und Drogenkonsum und Schlafstörungen sein, sagte Friedrich. Bei Jungen äußerten sich Depressionen auch in einer gereizten und aggressiven Stimmung. "Das deutlichste Zeichen, dass ein Jugendlicher Suizidgedanken hat, ist aber, dass er darüber spricht", sagte er. Wichtig sei es dann, den Teenager ernst zu nehmen und offen mit ihm zu sprechen. Auch bei Anzeichen sollten die Bezugspersonen das Gespräch suchen: "Das direkte Ansprechen wird oftmals als Entlastung wahrgenommen und ist ein erster Schritt, Hilfe zu bekommen."

epd-Gespräch: Jana-Sophie Brüntjen


Demminer Tafel weist AfD-Spende zurück

Das Kreisdiakonische Werk Greifswald hat eine Spende der AfD Demmin in Höhe von 200 Euro für die Demminer Tafel zurücküberwiesen. "Eine Annahme der Spende würde allen Werten, für die die Diakonie steht, widersprechen", sagte Diakonie-Geschäftsführer Jörg Raddatz am 3. Januar. Die AfD sei eine Partei mit nationalistischen und rechtsextremen Tendenzen und Vorstellungen. "Von einer solchen Partei nehmen wir keine Spende an." Der Demminer Tafel solle dadurch aber kein Schaden entstehen.

Die AfD-Fraktion der Demminer Stadtvertretung hatte nach einer Erhöhung der Sitzungsgelder erklärt, künftig einen Teil ihrer Aufwandsentschädigungen für gemeinnützige Zwecke zu spenden. Eine Mitarbeiterin der Tafel hatte sich nach Angaben des Kreisdiakonischen Werks ohne Absprache mit der Geschäftsführung an die AfD-Fraktion gewandt und um eine Spende für die geplante Weihnachtsfeier gebeten. Nach Eingang der Spende hatte die Diakonie dann kurz vor Weihnachten den Betrag zurückgebucht. Die AfD-Fraktionsvorsitzende Norina Mittendorf sprach daraufhin von einer "Schande". Der "Nordkurier" hatte zuerst darüber berichtet.

Entscheidung im Einzelfall

Die Diakonie stehe im Gegensatz zur AfD für eine weltoffene Gesellschaft, die Menschen unabhängig von ihrer Herkunft, ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Orientierung unterstützt, erklärte die Geschäftsführung des Werks in Greifswald. Eine Annahme der Spende sei damit unvereinbar.

Die Diakonie Deutschland hat in einer Handreichung empfohlen, bei AfD-Spenden eine öffentlichkeitswirksame Vereinnahmung durch die Partei zu vermeiden und anhand der konkreten Umstände im Einzelfall zu entscheiden. "Ein Hilfswerk darf eine Spende annehmen, muss es aber nicht", heißt es in entsprechenden Empfehlungen zum Umgang mit Rechtspopulismus



Aeternitas: Kassen sollen Leichenschaugebühren tragen

Die Verbraucherinitiative für Bestattungskultur Aeternitas fordert, dass künftig die Krankenkassen die Gebühren für Leichenschauen übernehmen. Angehörige könnten auf diese Weise von den Kosten entlastet werden, teilte Aeternitas am 2. Januar in Königswinter mit. Es sei angemessen, dass im Falle des Todes die Solidargemeinschaft der Versicherten für den Einzelnen aufkomme. Grund für die Forderung ist eine Erhöhung der Gebühren für Leichenschauen in der ärztlichen Gebührenordnung. Angehörige müssen seit Januar mit Kosten zwischen 103 und 265 Euro pro Leichenschau rechnen, statt bislang 76,56 Euro.

Reform der Gebührenordnung begrüßt

Die genaue Höhe der Kosten berechnet sich abhängig von Dauer, Umfang der Leistung, Todesumständen, Uhrzeit, Wochentag sowie der Entfernung der Arztpraxis zum Ort der Leichenschau. Aeternitas begrüße grundsätzlich die Reform der Gebührenordnung, da die bisherigen Gebührensätze nicht mehr angemessen schienen, heißt es in der Mitteilung. Die niedrigen Gebühren hätten in einigen Fällen dazu geführt, dass Ärzte falsch abrechneten und überhöhte Rechnungen für Leichenschauen schrieben. Doch auch nach der Reform blieben die Gebührensätze intransparent für die Angehörigen, kritisierte der Aeternitas-Rechtsreferent Torsten Schmitt.

Nicht im Sinne der Verbraucher sei außerdem, dass anders als bisher auch eine vorläufige Leichenschau zum Beispiel durch den Rettungsdienst abgerechnet werden könne. Da die eingehende Leichenschau dennoch erforderlich sei, kämen für Angehörige unter Umständen Beträge von mehr als 400 Euro zusammen.

Jeder Verstorbene muss in Deutschland einer eingehenden ärztlichen Leichenschau unterzogen werden, bevor er bestattet werden darf. Sie dient dazu, den Tod eines Menschen rechtssicher festzustellen und die Todesursache festzuhalten. Auch aus Gründen der öffentlichen Gesundheitsfürsorge (etwa bei der Seuchenbekämpfung) und zur möglichen Aufdeckung strafbarer Handlungen wird sie in Deutschland von Ärzten verpflichtend vorgenommen. Eine Leichenschau ist jedoch keine Obduktion.



Frauenhäuser im Saarland erhalten 360.000 Euro pro Jahr vom Bund

Die Frauenhäuser im Saarland erhalten in den kommenden vier Jahren rund 360.000 Euro pro Jahr aus dem Bundesinvestitionsprogramm "Gemeinsam gegen Gewalt an Frauen". Mit dem Geld sollen Lücken im saarländischen Hilfesystem geschlossen und eine Weiterentwicklung ermöglicht werden, wie das saarländische Frauenministerium am 2. Januar in Saarbrücken mitteilte. Mit den Mitteln solle in erster Linie der Ausbau der Schutzhäuser für Frauen und ihre Kinder finanziert werden. "Dabei legen wir besonderen Wert auf die adäquate bauliche Gestaltung und Ausstattung der Frauenhäuser für die Zielgruppe von Frauen mit Behinderungen", sagte Ministerin Monika Bachmann (CDU).

Zudem soll den Frauen der Übergang vom Frauenhaus ins neue Leben erleichtert werden. "Wir müssen die Frauen so gut wie möglich begleiten und den Übergang von dem geschützten Leben im Frauenhaus zur Selbstständigkeit sanfter gestalten", sagte Bachmann, die seit Jahresbeginn auch Vorsitzende der Gleichstellungs- und Frauenministerkonferenz ist.

Bundesinvestitionsprogramm

Das 2020 gestartete Bundesinvestitionsprogramm "Gemeinsam gegen Gewalt an Frauen" stellt bis 2023 bundesweit bis zu 120 Millionen Euro zur Verfügung. Gefördert werden der Aus-, Um- und Neubau, die Sanierung und der Erwerb von Hilfseinrichtungen im Rahmen innovativer Projekte, die von Gewalt betroffene Frauen betreuen.

Weiter ausgebaut wird nach Aussage der Ministerin auch das Projekt "Kraft in der Krise", das bereits seit 2015 über Landesmittel gefördert wird. Dieses Angebot richtet sich an alle Frauen, die mit ihren Kindern Zuflucht in den Frauenhäusern der Arbeiterwohlfahrt (AWO) suchen. Ziel ist es, das durch häusliche Gewalt beeinträchtigte Selbstwertgefühl der Kinder und die Mutter-Kind-Interaktion zu stärken.



Diakonie: Fachseminar für Altenpflege wird Pflegeschule Witten

Das Fachseminar für Altenpflege der Diakonie Ruhr wird künftig Pflegeschule Witten heißen. Damit wolle man der Umstellung auf die neue Pflegeausbildung Rechnung tragen, teilte die Ausbildungsstätte in Witten mit. Der erste Kurs im Zuge der generalistischen Ausbildung zur Pflegefachfrau oder zum Pflegefachmann werde am 1. April 2020 starten, sagte Schulleiterin Marion Hohmann.

Die neue Ausbildung geht auf eine Reform des Pflegeberufegesetzes zurück und fasst die bisherigen Ausbildungsgänge in der Alten-, Kranken- und der Kinderkrankenpflege zu einer Ausbildung zusammen. Künftige Absolventen können gleichwertig in allen Versorgungsbereichen eingesetzt werden.



Evangelische Bank lobt Nachhaltigkeitspreis 2020 aus

Die Evangelische Bank hat einen Nachhaltigkeitspreis 2020 ausgeschrieben. Insgesamt 20.000 Euro würden ausgelobt für beispielhafte Projekte, die die 17 nachhaltigen Entwicklungsziele der Vereinten Nationen mit Leben füllen, teilte das Unternehmen in Kassel mit. Mit den nachhaltigen Entwicklungszielen (Sustainable Development Goals) und der Agenda 2030 habe sich die Weltgemeinschaft 2015 einen verbindlichen Rahmen gesteckt, um die globale Entwicklung zu einer nachhaltigen, klima- und umweltverträglichen Wirtschaftsweise voranzubringen.

Dieses Ziel stelle nicht nur Wirtschaft, Wissenschaft und Politik, sondern die gesamte Gesellschaft vor vielfältige Herausforderungen, heißt es in der Ausschreibung. "Viele Initiativen haben sich auf den Weg gemacht und leisten schon jetzt lokal oder regional ihren Beitrag. Sie rufen wir auf, sich zu zeigen und mit ihrem Engagement Mut zu machen. Es geht darum, Vorbild zu sein und Lust auf die Zukunft zu machen", sagte der Vorstandsvorsitzende Thomas Katzenmayer.

Bewerbungen sind ab sofort bis zum 16. April möglich. Bewerben können sich Initiativen aus Kirche, Diakonie, Caritas, freier Wohlfahrtspflege, der Gesundheits- und Sozialwirtschaft, Kommunen oder Schulen, wie Pressesprecher Albrecht Weisker sagte. Drei Sieger-Initiativen würden am 10. September in Berlin prämiert. Über die Sieger werde außerdem jeweils ein Film gedreht. Die Bank schreibt alle zwei Jahre einen Nachhaltigkeitspreis zu einem jeweils wechselnden Thema aus.




Medien & Kultur

Countdown Passion


Vorbereitung Passionsspiele Oberammergau 2020
epd-bild/Angelika Warmuth
Vor 400 Jahren haben die Oberammergauer versprochen, alle zehn Jahre die Passion Christi aufzuführen, wenn niemand mehr an der Pest stirbt. 2020 ist es wieder soweit - und das ganze Dorf macht mit.

Im oberbayerischen Oberammergau läuft seit Jahresbeginn der Countdown: In vier Monaten feiern die 42. Passionsspiele Premiere. 2.300 Einheimische stehen dann - neben Beruf und Schule - 103 Spieltage lang auf der Bühne. Gastronomie und Hotellerie laufen auf Hochtouren, um zwischen 16. Mai und 4. Oktober rund 500.000 Besucher zu versorgen. Und auch die Kirchen fahren Sonderschichten mit mehr als 30 Seelsorgern und Kirchenmusikern.

Für den evangelischen Ortspfarrer Peter Sachi ist diese Passion eine Doppelpremiere: Obwohl er kein gebürtiger Oberammergauer ist, darf er im Chor mitsingen. "Eine große Ehre", sagt der 63-Jährige. Dafür lässt sich der Theologe seit Aschermittwoch 2019 auch den ersten Bart seines Lebens wachsen - wie es Pflicht ist für alle mitwirkenden Männer. Für rund 70 Aufführungen ist Sachi im "hohen Bass" eingeteilt. Daneben ist er mitverantwortlich für das ökumenische Begleitprogramm der beiden Ortskirchen.

Die Passion ist nicht irgendein Theaterstück. Sie ist ein monumentales Epos um die letzten Tage Jesu, auf die Bühne gebracht alle zehn Jahre seit 1634. Damals hatten die Oberammergauer gelobt, die Passion in genau diesem Rhythmus aufzuführen, wenn niemand mehr an der Pest sterbe.

Fünfeinhalb Stunden Spielzeit

Die reine Spielzeit beträgt knapp fünfeinhalb Stunden. Das ist für Darsteller wie Zuschauer ein körperlicher und emotionaler Marathon. Wenn das Volk aus 900 Kehlen "Ans Kreuz mit ihm!" brüllt, wenn der Jesus-Darsteller 20 Minuten lang am vier Meter hohen Kreuz hängt, sorgt das bei vielen Besucherinnen und Besucher für seelische Erschütterung, weiß Pfarrer Sachi.

"Wir öffnen deshalb in der Pause von 17 bis 20 Uhr unsere Gemeinderäume für Gespräche und Begegnungen", sagt der Seelsorger. Vor jeder Aufführung gibt es eine theologische Einführung vor und einen geistlichen Impuls hinter der Bühne. 16 Pfarrerinnen und Pfarrer und 10 Kantoren aus ganz Deutschland bereitet allein die evangelische Kirche mit einem zweitägigen Seminar Ende Januar auf ihren Passions-Einsatz vor. "Wir haben aus allen Erdteilen Menschen mit ihren geistlichen Traditionen zu Besuch", erklärt Sachi die akribische Vorarbeit.

Im Passionstheater wird derweil gesägt, gehämmert, genäht, geklebt: Das Bühnenbild wird komplett erneuert, eine strenge Tempelanlage ist Schauplatz des Geschehens. An den Wänden vor der Schneiderei hängen schon die 63 Schilde der künftigen Römer. Drinnen entstehen mehr als 2.000 Kostüme. 400 Quadratmeter türkischen Kelim, 1.200 Meter handbedruckten Stoff und sechs Kilometer Textil allein für die Gewänder des Volks verarbeiten die 14 Schneiderinnen.

Seit Aschermittwoch wachsen Bart und Haare

In der "Flügelei" nebenan wachsen aus Truthahnfedern mächtige Engelsschwingen für die biblischen Standbilder zwischen den Spielszenen. Viel Zeit ist nicht mehr: "Ende Februar muss alles fertig sein, denn ab 9. März werden drei Wochen lang die Fotos für den Bildband zum Spiel gemacht", erklärt Pressesprecher Frederik Mayet, der gleichzeitig Hauptdarsteller ist: Zum zweiten Mal spielt er die Rolle des Jesus.

Seit Aschermittwoch 2019 wachsen Haare und Bart, seit Oktober übt der 100-köpfige Chor, seit Anfang Dezember proben die Schauspieler. Der Tanker "Passion" ist auf Kurs, mittlerweile stampfen die Motoren in immer schnellerem Takt. Mitte Februar gibt es die ersten "Volksproben" auf der winterkalten Freiluftbühne. "Dann stehen plötzlich 900 Leute auf der Bühne", sagt Mayet. Mitte April kommen Chor und Orchester dazu. "Dann wird das Spiel zusammengebaut", erklärt der Jesus-Darsteller.

Am letzten April- und ersten Maiwochenende werde Tag und Nacht geprobt, denn am 8. und 9. Mai finden - erstmals in der Geschichte der Passion - Jugendtage statt. 8.000 junge Leute dürfen sich dann für kleines Geld die Probespiele der Passion ansehen.

Denn der Traditionsabbruch der Kirchen könnte auch Oberammergau treffen: Wer kommt in 20 oder 30 Jahren noch zur Passion? Mit den Jugendtagen will Spielleiter Christian Stückl eine neue Generation an die Spiele heranführen. "Für uns ist das schon die Premiere", sagt Frederik Mayet. Offiziell eröffnet werden die Spiele am 16. Mai mit einem ökumenischen Gottesdienst von Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm und Kardinal Reinhard Marx.

Wirtschaftsfaktor

Der Ernst, mit dem die Oberammergauer Laiendarsteller ihre Rollen studieren und die Zeit, die sie dafür opfern, ist die faszinierende Seite der Passion. Die profane Seite ist der Wirtschaftsmotor, der Oberammergau und der Region fünf Monate lang Einnahmen beschert: Die Zimmerpreise ziehen auf das Kräftigste an, und jeder Imbiss rüstet sich, um die Besucher zu verköstigen.

5.200 Einwohner hat Oberammergau, 4.600 Zuschauer passen ins Passionstheater: Um den Ausnahmezustand im Dorf zu bewältigen, sind zahlreiche Polizisten, Feuerwehrleute und Sanitäter im Einsatz. Dieses Mal greift außerdem ein mehrstufiges Sicherheitskonzept. Der Veranstaltungsbereich rund ums Theater ist für Fahrzeuge gesperrt, es wird Einlasskontrollen und Security geben.

Das System funktioniere dank Shuttle-Bussen und Sonderfahrplan der Bahn reibungslos, sagt Mayet: "20 Minuten nach Spielende sind alle weg." Die Oberammergauer selbst haben immer nur kurze Verschnaufpausen: Lediglich Montag und Mittwoch sind spielfreie Tage.

Im langen Spannungsbogen bis Oktober gebe es deshalb auch mal Ärger und Stimmungstiefs, sagt Pfarrer Peter Sachi. Trotzdem seien die Passionsspiele "ein Sammelort für die Menschen im Dorf". Vom Baby bis zum Greis spielten alle mit: "Die Integrationskraft des Spiels erstaunt mich immer wieder." Und wenn sich dann am 4. Oktober der Vorhang für die nächsten zehn Jahre schließe, "dann fließen Tränen". Seit 1634 ist das der Rhythmus von Oberammergau. Für Pfarrer Sachi ist es: ein Wunder.

Susanne Schröder (epd)


Kirchenkenner mit Kamera


Andreas Keller stellt Tausende Fotos von Kirchen ins Netz
epd-bild/Marcus Mockler
Mehr als 7.000 Fotos von Kirchen hat er bereits ins Netz gestellt: Andreas Keller, Ex-Intendant der Stuttgarter Bachakademie, teilt seine Begeisterung für Gotteshäuser weltweit mit.

Sein Berufsleben gehörte der Musik, sein Ruhestand gehört der Fotografie. Andreas Keller, pensionierter Intendant der Internationalen Stuttgarter Bachakademie, macht im Internet Aufnahmen von Kirchen verfügbar. Weit über 7.000 Bilder hat er nach eigenen Angaben bereits hochgeladen, es könnten noch Tausende folgen.

Gotteshäuser faszinieren den 75-Jährigen. "Ich habe die Hälfte meines Lebens in Kirchen verbracht", sagt er. Nicht aufgrund besonderer Frömmigkeit, sondern weil viele Konzerte, Aufnahmen und TV-Produktionen in Kirchen stattfanden. Seit er die heiligen Hallen von außen und innen fotografiert, sind sie für ihn noch interessanter geworden.

"Es ist wie bei dem Kinderspiel 'Ich sehe was, was Du nicht siehst'", erläutert er. Deshalb nimmt er sich für seine Aufnahmen viel Zeit. Erst einmal setzt er sich in einer Kirche nur hin, lässt den Raum auf sich wirken. Er versucht, hinter Glasfenstern, Gewölben und Kunstschätzen die Botschaften zu verstehen, die Architekten und Gestalter vermitteln wollten.

Auswahl der Kirchen eher zufällig

Einen halben bis eineinhalb Tage dauert der erste Foto-Einsatz vor Ort. Zunächst entstehen rund 800 Aufnahmen. Beim Sichten und Nachbearbeiten des Materials am Computer fallen ihm neue Fragen zum Raum ein, weshalb er immer ein zweites, manchmal sogar ein drittes Mal hinfährt, um sein Bildangebot zu vervollständigen.

Die besten Fotos zeigt Keller auf zwei Internetseiten: kirchen-online.com und kirchen-online.org. Das Material ist so aufbereitet, dass Nutzer gezielt Kirchen suchen können. Inzwischen gibt es auch eine Rubrik zu Heiligen und Rosenkranzbildern. Wer beispielsweise Darstellungen des von Pfeilen durchbohrten Heiligen Sebastian sehen möchte, wird schnell in ganz verschiedenen Kirchen fündig.

Die Auswahl der Gotteshäuser ist eher zufällig. Keller hat seine Heimatstadt Stuttgart vorzüglich dokumentiert, dazu die Bodenseeregion, wo er sich regelmäßig aufhält. Außerdem gibt es einen reichen Fundus aus der Schweizer Region Surselva, wo er ebenfalls immer wieder zu Gast ist. Der Hobby-Fotograf hat keine Ambitionen, die Kirchen im deutschsprachigen Raum systematisch zu erfassen - diese Herausforderung wäre ihm zu groß.

Kollegen schenkten ihm zum Abschied eine Kamera

Zumal Keller noch einige Ehrenämter bekleidet. So leitet er den Stuttgarter Verein "Zeichen der Erinnerung", der an die Deportation von Juden während der Nazi-Zeit erinnert. Sei einem halben Jahr ist er zudem Vorsitzender des Fördervereins der Stuttgarter Brenz-Kirche am Killesberg. Die völlig ungewohnte Architektur des Gotteshauses mit Flachdach und abgerundeten Ecken wurde von den Nationalsozialisten durch ein aufgesetztes Spitzdach und scharfe Ecken "germanisiert" - und der Verein möchte nun den ursprünglichen Zustand wiederherstellen.

Angefangen mit dem Fotografieren hat Keller 2008 mit dem Eintritt in den Ruhestand. Zum Abschied schenkten ihm die Kollegen von der Bachakademie eine Spiegelreflexkamera. Die ersten Jahre konzentrierte er sich auf Großaufnahmen von Blumen und gab bald einen Foto-Kalender in die Druckerei. Der Musiker ließ es sich nicht nehmen, darin zu den Sonn- und Feiertagen die passende Kantate von Johann Sebastian Bach zu vermerken.

Dann schwenkte er um auf die Kirchenfotografie. Seine Aufnahmen kündigt er immer beim zuständigen Pfarramt an. Das hat den Vorteil, dass er oft in Bereichen sein Stativ aufstellen kann, die andere Besucher nicht betreten dürfen, etwa im Chor. In einer Schweizer Kirche hatte er einmal unangemeldet Streifzüge durch den Raum unternommen - und dabei die Alarmanlage ausgelöst. Eine solche Panne soll nicht mehr passieren.

Marcus Mockler (epd)


Trauer um Opernregisseur Harry Kupfer

Seine Weltkarriere begann in der DDR, mit seinen Operninszenierungen setzte er im In- und Ausland Maßstäbe. Nun ist Harry Kupfer mit 84 Jahren gestorben. Die Trauer in der Kultur- und Musikwelt ist groß.

Der Opernregisseur Harry Kupfer ist tot. Der frühere Chefregisseur der Komischen Oper Berlin sei am 30. Dezember mit 84 Jahren nach längerer Krankheit in Berlin gestorben, teilte seine Agentur am 31. Dezember in Wien mit. Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU), Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) und die Kulturwelt reagierten mit Betroffenheit und würdigten den gebürtigen Berliner, dessen Weltkarriere in der DDR begann, als herausragende Persönlichkeit. Trauerbekundungen kamen auch von der Berliner Staatsoper Unter den Linden und den Vereinigten Bühnen Wien.

Das Land verliere "eine wahre Regielegende der deutschen Operngeschichte", erklärte Grütters: "Seine Inszenierungen waren prägend für das realistische, das menschliche Musiktheater." Damit habe Harry Kupfer sowohl in der ostdeutschen als auch später in der westdeutschen Opernlandschaft Maßstäbe gesetzt, die bis heute gültig seien. Harry Kupfer werde "als leiser Grenzgänger in Erinnerung bleiben, der mit seinen sinnlichen Aufführungen wie kaum ein zweiter die verbindende Kraft der Musik ins Rampenlicht zu holen vermochte".

"Virtuoses Regiehandwerk"

Berlins Regierender Bürgermeister erklärte, die Arbeit des Opernregisseurs sei wegweisend. "Harry Kupfer gehörte zu den Großen seines Fachs und hat über viele Jahrzehnte die Musiktheaterlandschaft in unterschiedlichsten Funktionen und besonders herausragend als künstlerischer Leiter der Komischen Oper geprägt", betonte Müller: "Er hat an vielen Stellen auch international großen Eindruck hinterlassen."

"Der Tod von Harry Kupfer erfüllt das Ensemble der Komischen Oper Berlin mit großer Trauer", erklärte das Opernhaus. Kaum eine andere Künstlerpersönlichkeit sei der Komischen Oper künstlerisch und emotional so tief verbunden gewesen wie Harry Kupfer, der von 1981 bis 2002 Chefregisseur des Hauses war, betonte Intendant und Chefregisseur Barrie Kosky. Seine "außerordentlichen künstlerischen Instinkte, sein virtuoses Regiehandwerk", die Liebe zu Detail und Rhythmus und auch sein Humor hätten ihn zu einem der "außergewöhnlichsten und einflussreichsten Musiktheater-Regisseure der vergangenen 60 Jahre" gemacht.

Schweigeminute

Mit seinen mehr als 200 Inszenierungen habe Harry Kupfer "die Kunst der Opernregie auf eine neue Höhe geführt" und ihr nachhaltige Impulse für die Gegenwart und Zukunft gegeben, erklärte die Staatsoper Unter den Linden. Im Konzert zum Jahreswechsel mit Daniel Barenboim sei mit einer Schweigeminute an den Regisseur erinnert worden. Der Künstler sei "einer der profiliertesten Opernregisseure Europas" gewesen, erklärten die Vereinigten Bühnen Wien.

Harry Kupfer, dessen Karriere 1958 in der DDR in Stralsund begann und ihn über Chemnitz, damals Karl-Marx-Stadt, Weimar und Dresden nach Ost-Berlin führte, habe zu den bedeutendsten Regisseuren der Operngeschichte gezählt, betonte sein Management. Ausgangspunkt von Harry Kupfers internationalem Weltruhm war nach Angaben seiner Agentur die Inszenierung von Wagners "Fliegendem Holländer" 1978 im westdeutschen Bayreuth. Zum wichtigsten Weggefährten sei der Dirigent Daniel Barenboim geworden, mit dem Kupfer ab 1992 den Zyklus sämtlicher Werke Richard Wagners an der Berliner Staatsoper gestaltet habe.



LWL unterstützt Schulfahrten zu NS-Gedenkstätten mit 100.000 Euro

Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) fördert nun auch Schulfahrten zu NS-Gedenkstätten und Erinnerungsorten. Seit Jahresbeginn stehen dafür zusätzlich 100.000 Euro im LWL-Mobilitätsfonds zur Verfügung, wie LWL-Kulturdezernentin Barbara Rüschoff-Parzinger am 3. Januar mitteilte. Beantragt werden können Besuche von Synagogen, dem Jüdischen Museum in Dorsten, der Wewelsburg in Büren bei Paderborn oder der Villa ten Hompel in Münster.

"Nur in der tatsächlichen Auseinandersetzung mit der Geschichte vor Ort können wir verdeutlichen, wie wichtig es ist, sich mit der Vergangenheit zu befassen, um für die Zukunft zu lernen", betonte Rüschoff-Parzinger. Die Liste der Gedenkstätten umfasst derzeit 15 Orte in der Region, weitere sollen dazukommen.

In der Region Westfalen befinden sich verschiedene NS-Gedenkstätten und Erinnerungsorte. Bundesweit bekannt ist die dreieckige Wewelsburg im Kreis Paderborn, die während des Nationalsozialismus zu einem ideologischen Zentrum der SS ausgebaut werden sollte. Das Jüdische Museum Dorsten im Kreis Recklinghausen beleuchtet anhand ausgewählter Biografien das jüdische Leben in Deutschland vom Mittelalter über NS-Zeit bis heute. An interaktiven Stationen werden etwa die hebräische Schrift und Sprache erklärt sowie der jüdische Kalender mit seinen Feiertagen.

Mehr Schul- und Kitafahrten in LWL-Museen

Bei dem Geschichtsort Villa ten Hompel in Münster handelt es sich um das frühere Wohnhaus des Zementfabrikanten Rudolf ten Hompel (1878-1948). In der Dauerausstellung geht es um die Verbrechen der Ordnungspolizei im Zweiten Weltkrieg, Entnazifizierung nach 1945 und den Versuch der "Wiedergutmachung" der Bundesrepublik gegenüber ehemals Verfolgten.

Der Landschaftsverband unterstützt bereits seit April 2019 Schul- und Kitafahrten in LWL-Museen. "Die Anzahl der Kinder und Jugendlichen, die ein LWL-Museum besucht haben, ist seitdem um über zehn Prozent gewachsen", zog Rüschoff-Parzinger am Freitag eine positive Bilanz.



Picassos und Miros Enkel feiern Museumsgeburtstag in Münster mit

Das Kunstmuseum Pablo Picasso in Münster feiert sein 20-jähriges Bestehen unter anderem mit einer Ausstellung. Im September ist eine große Themenausstellung mit insgesamt über 100 Werken der spanischen Künstlerfreunde Picasso und Joan Miró geplant, wie das Museum am 2. Januar ankündigte. Zur Jubiläumsfeier in Münster haben sich demnach auch die beiden Künstlerenkel Oliver Widmaier Picasso und Joan Punyet Miró angekündigt.

Das Ausstellungsprogramm für 2020 beginnt am 1. Februar mit der Sonderschau "Picasso und Matisse: Beauty Is A Line", wie es weiter hieß. Die Ausstellung widmet sich der Linie als Gestaltungsmittel. Sie ist zeitgleich bis 24. Mai im Rijksmuseum Twenthe im niederländischen Enschede zu sehen. Den Sommer über präsentiert das Picasso-Museum dann Fotografien von berühmten Fotografen der Agentur Magnum sowie Highlights aus den eigenen Sammlung.

Mehr als 78.000 Besucher in 2019

Für das Ausstellungsjahr 2019 hat das Picasso-Museum eine positive Bilanz gezogen. "Mit mehr als 78.000 Besuchern freuen wir uns über ein erfolgreiches Museumsjahr", sagte Andrea Hagemann vom Vorstand des Museums. Auch die aktuelle Sonderschau "Im Rausch der Farbe - Von Gauguin bis Matisse" entwickele sich zum Besuchermagneten. Bis zum 19. Januar sind rund 60 Gemälde, Skulpturen, Zeichnungen und Grafiken unter anderem von Henri Matisse, Paul Gauguin, André Derain, Georges Braque, Robert Delaunay sowie Auguste Rodin und Edgar Degas im Museum zu sehen.



Care ruft zum Schreibwettbewerb 2020 auf

Die Hilfsorganisation Care lädt junge Literaturfans zur Teilnahme an seinem diesjährigen Schreibwettbewerb ein. Unter dem Motto "Es wird einmal..." können Autorinnen und Autoren im Alter von 14 bis 25 Jahren ein Gedicht, eine Kurzgeschichte oder einen Songtext einreichen, wie Care am 2. Januar in Bonn mitteilte. Bewertet werden die Werke in zwei Altersgruppen: von 14 bis 18 Jahren und von 19 bis 25 Jahren. Einsendeschluss ist der 12. Januar.

Der Care-Schreibwettbewerb findet bereits zum siebten Mal statt. Eine prominente Jury bewertet die besten Beiträge, die am 20. März anlässlich des internationalen Literaturfestivals lit.COLOGNE in Köln ausgezeichnet werden.




Entwicklung

Welternährungsprogramm: Viele Hungerkrisen zu Jahresbeginn


Mitarbeiter des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen im Südsudan (Archivbild)
epd-bild/WFP/George Fominyen
In Afrika südlich der Sahara zeichnen sich laut Welternährungsprogramm zum neuen Jahr eskalierende Hungerkrisen ab. Insgesamt rechnet die UN-Organisation 2020 mit einem Bedarf von zehn Milliarden US-Dollar für seine Einsätze in mehr als 80 Ländern.

Zum neuen Jahr sind laut Welternährungsprogramm (WFP) allein in Afrika südlich der Sahara viele Millionen Menschen auf lebensrettende Nahrungsmittelhilfe angewiesen. In Simbabwe, im Südsudan, der Demokratischen Republik Kongo und in der Sahel-Region zeichneten sich im ersten Halbjahr weiter eskalierende Hungerkrisen ab, heißt es in einem zum Jahreswechsel in Rom veröffentlichten WFP-Bericht. Insgesamt rechnet die UN-Organisation 2020 mit einem Bedarf von zehn Milliarden US-Dollar (etwa neun Milliarden Euro) für seine Einsätze in mehr als 80 Ländern.

Inmitten einer zusammenbrechenden Wirtschaft sei die Lage in Simbabwe äußerst prekär. In dem südostafrikanischen Land beginne die Zeit des Jahres, in der Nahrung immer besonders knapp ist. Zudem sei die Zahl der Hungernden dort bereits auf den höchsten Stand seit rund zehn Jahren gestiegen: Rund 7,7 Millionen Menschen und damit die Hälfte der Bevölkerung litten Hunger. Das WFP plane zunächst eine Versorgung von mehr als vier Millionen Menschen. Die derzeitigen Vorräte gingen aber Ende Februar aus, und dringender Nachschub sei nötig, appellierte Vizelandesdirektor Niels Balzer an die internationale Gemeinschaft.

Strudel der Dürrekrise

Zudem könnten weitere Länder in der Region in den kommenden Monaten tiefer in den Strudel der Dürrekrise hineingezogen werden, warnte die Organisation. Im Nachbarland Sambia etwa bräuchten vermutlich zwei Millionen Menschen Lebensmittelhilfe. Es sei das erste Mal in 15 Jahren, dass das WFP dort derartige Hilfe leisten müsse, meldete der britische Sender BBC am 3. Januar. Normalerweise sei Sambia nicht darauf angewiesen, doch der Klimawandel habe Teile des Landes zu Hungerregionen verwandelt.

Zu den Brennpunkten zählt der WFP-Bericht unter anderem auch Haiti, wo Unruhen die Wirtschaft lähmen und die Lebensmittelpreise extrem angestiegen sind. Dort seien rund 3,7 Millionen Menschen - oder ein Drittel der Bevölkerung - auf Hilfe angewiesen. Eine Million davon leide bereits unter schwerem Hunger. In Afghanistan verschärfe Dürre die Krise, schätzungsweise mehr als elf Millionen Menschen hätten in den nächsten Monaten nicht genug zu essen. Im Mittleren Osten habe der WFP neben dem Leiden im Jemen auch steigende Hilfsbedürftigkeit im Irak oder im Libanon im Blick.

"Im vergangenen Jahr wurde der WFP um dringende umfassende Hilfe im Jemen, in Mosambik nach dem Zyklon 'Idai', in Burkina Faso und vielen weiteren Krisen gebeten, um Hungersnöte abzuwenden", erklärte WFP-Nothilfedirektorin Margot Van Der Velden zu dem neuen Report. "Wenn wir nun die Seite für 2020 aufschlagen, steht der WFP vor neuen, gewaltigen humanitären Herausforderungen, die wir ganz dringend angehen müssen."



Unicef: Fast 4.500 syrische Kinder fliehen täglich vor Gewalt


Ein obdachloser Junge an seinem Schlafplatz auf einer Straße in Qamishli in Syrien (Archiv-Bild)
epd-bild/Sebastian Backhaus

Im Bürgerkriegsland Syrien fliehen den Vereinten Nationen zufolge jeden Tag fast 4.500 Kinder vor schwerer Gewalt. Angriffe auf Schulen, Krankenhäuser und andere Einrichtungen für Kinder seien nahezu alltäglich geworden, kritisierte die Direktorin des UN-Kinderhilfswerks Unicef, Henrietta Fore, am 2. Januar in New York. Ihr zufolge haben die UN im vergangenen Jahr Angriffe auf 145 Schulen und 82 Krankenhäuser registriert, mehr als 90 Prozent davon in der umkämpften Provinz Idlib im Nordwesten Syriens.

Appell an Kriegsparteien

Die Lage für syrische Kinder nach fast neun Jahren Bürgerkrieg bezeichnete Fore als düster. Erst am 1. Januar seien fünf Kinder im Alter zwischen 6 und 13 Jahren getötet worden, als Raketen in ihre Grundschule in der Stadt Sarmin eingeschlagen seien. Diejenigen, die oft zum wiederholten Male fliehen müssten, litten unter dem brutalen Winterwetter in der Region, zu dem Stürme, starke Regenfälle und fallende Temperaturen gehörten. Obwohl Unicef versuche, die Not zu lindern, reichten die Bemühungen nicht aus. Nur ein Ende des Kriegs könne die Lage der Kinder nachhaltig verbessern.

Fore rief alle Kriegsparteien auf, die Angriffe auf Kinder und zivile Einrichtungen umgehend zu stoppen. Die Gewalt im Nordwesten Syriens müsse umgehend beendet und humanitären Helfern Zugang zu allen hilfsbedürftigen Kindern gewährt werden, auch von Nachbarländern aus über Grenzen hinweg.

Kampf um Idlib

Die Armee des syrischen Machthabers Baschar al-Assad und die verbündeten Streitkräfte Russlands versuchen, das Gebiet Idlib und angrenzende Regionen zurückzuerobern. Es handelt sich um eines der letzten großen Gebiete in der Hand der Assad-Gegner. Dort verschanzen sich Zehntausende islamistische Kämpfer. Außerdem harren rund drei Millionen Zivilisten in Idlib aus.

Der Syrien-Krieg begann 2011 mit einem Volksaufstand gegen Assad. Hunderttausende Menschen kamen seither ums Leben. Millionen Menschen wurden in die Flucht gezwungen.




Ausland

Umgang mit Homosexuellen: Methodisten vor Trennung

Seit Jahrzehnten sorgt das Thema Homosexualität für Streit bei den Methodisten. Jetzt scheint eine Trennung der Kirche die Lösung zu sein.

Die Vereinigte Methodistenkirche steht im Streit über den Umgang mit Homosexuellen vor einer Trennung. Konservative Gemeinden sollen mit finanzieller Unterstützung der United Methodist Church eine neue Kirche gründen, erklärte die Kirche am 3. Januar (Ortszeit). Vertreter konkurrierender Fraktionen hätten sich auf diesen Kompromiss geeinigt, der vom Bischofsrat befürwortet werde. Die verbleibenden Gemeinden würden umstrukturiert und seien frei im Umgang mit Lesben, Schwulen, Bi- und Transsexuellen. Die Generalversammlung muss dem Entscheid bei ihrem Treffen im Mai noch zustimmen.

Die deutschen Methodisten werteten den Vorschlag der international besetzten Mediationsgruppe positiv. Der lange Streit über die Haltung der Kirche zu Homosexualität könnte durch eine geordnete Trennung ein Ende finden, erklärte die Evangelisch-methodistische Kirche in Deutschland am 5. Januar. "Die einstimmige Einigung auf einen gemeinsamen Vorschlag ist das Besondere in dieser Situation." Zentral sei der Fortbestand der weltweiten methodistischen Kirche. "Hinsichtlich der Segnung gleichgeschlechtlicher Paare und der Ordination Homosexueller wird sich die bestehende Kirche öffnen, ohne dass diese Neuausrichtung für alle Teile der bestehenden Kirche umgesetzt werden müsste."

Langer Streit

Ihre Haltung zu sexuellen Minderheiten beschäftigt die Methodisten seit Jahrzehnten. In den USA haben manche Pastoren gleichgeschlechtliche Ehen gesegnet. Hunderte Methodistengemeinden heißen lesbische, schwule, bi- und transsexuelle Christen willkommen. Konservative US-Kirchenmitglieder und besonders viele Mitgliedskirchen aus Afrika lehnen das grundsätzlich ab.

Einen vorläufigen Höhepunkt hatte der Konflikt bei der Generalversammlung im Februar 2019 erreicht. Delegierte beschlossen mit 438 zu 384 Stimmen, an ihren Vorschriften gegen die gleichgeschlechtliche Ehe und gegen in Partnerschaft lebende schwule und lesbische Pastoren festzuhalten und verschärfte Sanktionen einzuführen.

Der nun mit Hilfe eines Mediators errungene Kompromiss soll den Methodisten den Weg aus dem festgefahrenen Konflikt weisen. Die 16 Verfasser und Verfasserinnen des Kompromisspapiers sind Laien, Pastoren und Bischöfe mit weit auseinandergehenden Haltungen zu sexuellen Minderheiten. Nach Darstellung des kirchlichen Informationsdienstes besteht daher wohl eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass die Vorlage die innerkirchlichen Auseinandersetzungen "beenden oder zumindest stark reduzieren" werde.

Der Methodismus bildete sich im 18. Jahrhundert in England als Erweckungsbewegung. In den USA ist die Methodistenkirche nach dem Südlichen Baptistenverband die zweitgrößte protestantische Kirche. Rund sieben Millionen der mehr als zwölf Millionen Methodisten weltweit leben in den USA. Doch die Gemeinden verlieren dort seit Jahren Mitglieder, wie aus Kirchenstatistiken hervorgeht. In afrikanischen Ländern dagegen gewinnt sie stark dazu. Das Kompromisspapier trägt den Titel "Protocol of Reconciliation and Grace Through Separation" (Protokoll für Versöhnung und Gnade durch Trennung).