sozial-Editorial

Liebe Leserin, lieber Leser,




Dirk Baas
epd-bild/Heike Lyding

in der elektronischen Patientenakte (ePA) haben die Versicherten künftig alle ihre Gesundheitsdokumente stets beisammen. Sofern sie das wollen. Sie können diesen lebenslangen digitalen Aktenordner auch ablehnen. Ab Januar 2025 soll die ePA für 70 Millionen gesetzlich Versicherte nach und nach mit allen relevanten Gesundheitsdokumenten gefüllt werden. Ein Quantensprung der Digitalisierung, der jedoch nicht frei von Kritik ist, auch weil erst die Praxis zeigen wird, ob die ePA sicher vor Hackern ist. Aber was bringt die ePA konkret? Wer verwaltet die Daten? Und wie können Patientinnen und Patienten der Einrichtung einer ePA widersprechen? Diese und viele andere Fragen beantwortet epd sozial in einer kompakten Zusammenstellung.

Zu Beginn der kalten Jahreszeit nehmen die Winterhilfen der Sozialverbände für Menschen, die auf der Straße leben, wie jedes Jahr ihre Arbeit auf. Doch auch die Bürgerinnen und Bürger sind gefordert, einen wachen Blick auf obdachlose Personen zu werfen. Dabei ist nicht viel erforderlich. „Wenn Menschen draußen bei Minusgraden schlafen, ist es durchaus angemessen, sie zu wecken und nachzufragen“, raten etwa die Malteser. Sofern die Person ansprechbar ist, sollte sie gefragt werden, ob und welche Hilfe benötigt wird. Weitere Tipps zur Hilfe hat epd sozial zusammengestellt.

Viele Länder in Europa sind weltweit auf der Suche nach Fachpersonal aus der Pflege. Unumstritten ist das nicht, denn es soll vermieden werden, dass dort die Pflegeversorgung durch Abwanderung in Gefahr gerät. Wie können Pflegefachkräfte auf ethisch vertretbare Weise aus Drittstaaten angeworben werden? Um eine faire Personalakquise sicherzustellen, hat das Kuratorium Deutsche Altershilfe (KDA) ein spezielles Gütezeichen entwickelt. Ann-Christin Wedeking, die Leiterin der Geschäftsstelle der „Gütegemeinschaft Anwerbung und Vermittlung von Pflegekräften aus dem Ausland“, erläutert im Gastbeitrag für epd sozial, wie das Siegel erlangt wird und was es bewirkt.

Nach einem Urteil des Kirchengerichtshofs in Hannover kann in einer diakonischen Einrichtung nicht auf gesetzlich verbriefte Mitbestimmungsrechte verzichtet werden. Das gilt auch dann, wenn die Mitarbeitervertretung mitbestimmungspflichtige Arbeitszeitänderungen ohne ihre Zustimmung zeitweise duldet, entschied der Kirchengerichtshof in Hannover. Bei einseitigen Arbeitszeitanordnungen der Leitung einer diakonischen Einrichtung hat die Mitarbeitervertretung einen Unterlassungsanspruch.

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Ihr Dirk Baas




sozial-Politik

Gesundheit

Elektronische Patientenakte: Das Ende der Zettelwirtschaft




Auch auf die Hausarztpraxen kommen mit der ePA völlig neue Anforderungen und Arbeitsabläufe zu.
epd-bild/Tim Wegner
20 Jahre dauerten die Vorarbeiten zur elektronischen Patientenakte (ePA). Ab Januar 2025 soll dieser persönliche Aktenordner für 70 Millionen gesetzlich Versicherte mit allen relevanten Gesundheitsdokumenten gefüllt werden. Ein Quantensprung der Digitalisierung, der nicht frei von Kritik ist.

Frankfurt a.M. (epd). Laborwerte, Röntgenbilder, Arztbriefe, Befunde, Medikationspläne, Impfausweis, der Mutterpass, das Untersuchungsheft für Kinder und das Zahnbonusheft: All das soll ab Januar nach und nach in der elektronischen Patientenakte (ePA) archiviert und damit für Kliniken und Arztpraxen schnell zugänglich werden. Doch ob die verpflichtend zu nutzende ePA ein Gewinn für die Patientenversorgung wird, hängt vor allem davon ab, wie gut sie technisch umgesetzt wird. Und davon, dass möglichst viele Versicherte diese lebenslange Dokumentensammlung tatsächlich nutzen, denn sie können die ePA auch einfach ablehnen.

Mit der ePA, an der 20 Jahre lang gearbeitet wurde, sollen die bisher in Praxen und Krankenhäusern abgelegten Patientendaten zusammengetragen und sicher auf deutschen Servern gespeichert werden: ein digitaler Quantensprung und das Ende der Zettelwirtschaft. Doch es gibt auch Kritik an dem ambitionierten Vorhaben. Denn erst die Zukunft wird zeigen, ob die sensiblen Daten wirklich sicher vor Hackern sind.

Sicherer, persönlicher Aktenordner

„Im Januar 2025 erhalten alle gesetzlich Krankenversicherte ohne deren Zutun eine ePA von ihrer Krankenkasse. Sie ermöglicht es ihnen und berechtigten Personen - wie ihren behandelnden Ärzten - ihre Gesundheitsdaten sicher zu verwalten“, teilte die AOK Rheinland mit. Zukünftig werde es auch möglich sein, die ePA bequem auf dem Smartphone einzusehen. Die Nutzung sei freiwillig, betont die Kasse: „Wer keine ePA wünsche, kann einfach widersprechen.“ (Opt-out-Verfahren)

Die Erwartungen von Gesundheitspolitikern, Medizinern und Forschenden an die Digitalreform sind groß. Neu ist die ePA nicht, es gibt sie bereits seit Juli 2021 auf freiwilliger Basis für Versicherte bei ihrer Krankenkasse. Doch weniger als ein Prozent der Versicherten nutzt sie bisher, wohl auch, weil das Verfahren als sehr bürokratisch gilt. Im Bundesgesundheitsministerium preist man die Vorteile des neuen Systems: „Statt einer Blattsammlung zu Hause oder einzelnen Befunden in den Softwaresystemen verschiedener Praxen stehen Ärztinnen und Ärzten sowie Versicherten die relevanten Informationen und Dokumente sicher und auf einen Blick zur Verfügung.“

Hoffen auf reibungslose Einführung

Auf alle Befunde gebündelt zugreifen zu können und nicht Patientenunterlagen hinterhertelefonieren zu müssen, darin sieht der Landesvorsitzende des Bayerischen Hausärzteverbandes, Wolfgang Ritter, große Chancen für eine bessere Versorgung der Patienten. Gleichzeitig unterstreicht er, dass alles von einer guten Funktionalität der ePA abhängt. Er erinnert an die Startschwierigkeiten mit dem E-Rezept: „Zeitweilig hatten Praxen vielerorts mit Unterbrechungen der Telematikinfrastruktur zu kämpfen.“ Das habe oft einen Neustart des Praxissystems erforderlich gemacht - im durchgetakteten Praxisalltag führte das zu hohen Zeitverlusten.

Zudem sei beim Start des E-Rezeptes in den Praxen viel Beratungsarbeit zu leisten gewesen, weil die Patientinnen und Patienten über die Funktionalitäten nicht im Vorfeld aufgeklärt wurden. „Das darf sich nicht wiederholen, zumal die Einführung der ePA mitten in die Infektsaison fällt“, macht Ritter deutlich.

Schnellerer Zugriff auf Dokumente möglich

Die ePA, so die Hoffnung vieler Fachleute, soll die Patientenversorgung besser und sicherer machen, der Forschung im Gesundheitsbereich Schub geben und Bürokratie eindämmen. „Durch den schnellen Zugriff auf die Gesundheitsdaten können Ärztinnen, Apotheker und Pflegekräfte die Therapie besser auf Vorerkrankungen abstimmen oder einfacher Koexistenzen zwischen Krankheiten erkennen“, so die für die digitale Infrastruktur in Deutschland zuständige „gematik GmbH“.

Zunächst wird die digitale Akte vier bis sechs Wochen lang in Franken, Hamburg und in Teilen Nordrhein-Westfalens erprobt. Verlaufen die Tests reibungslos, soll der bundesweite „Roll-out“ erfolgen. Als Starttermin wird nach Informationen des Bundesministeriums für Gesundheit der 15. Februar 2025 angestrebt. Ab Anfang März 2025, so der Plan, wird sie deutschlandweit nutzbar.

Von Beginn an sind Medikationslisten, Arzt- und Befundberichte in der ePA einsehbar. Später kommen noch der digitale Medikationsprozess (ab Sommer 2025) und Laborbefunde (ab Anfang 2026) dazu - ein gewaltiges Unterfangen, denn es gibt 73 Millionen gesetzlich Versicherte. Die privaten Krankenversicherungen können ihren Versicherten ebenfalls eine ePA anbieten. Viele Anbieter bereiten das laut dem Bundesgesundheitsministerium gerade vor.

Lauterbach rührt die Werbetrommel

Ende September startete Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) eine breit angelegte Informationskampagne zur ePA als sogenannte Opt-out-Variante. Das heißt, alle gesetzlich Versicherten erhalten die ePA, es sei denn, sie widersprechen. „Damit machen wir die ePA massentauglich“, erklärte Lauterbach. Zusammen mit der Krankenhausreform werde die ePA die Gesundheitsversorgung stärker prägen als alle anderen von der aktuellen Bundesregierung angestoßenen Maßnahmen im Gesundheitswesen.

Immerhin: An der flächendeckenden Information der Bürgerinnen und Bürger rund hundert Tage vor dem anvisierten offiziellen Start scheint es nicht zu fehlen: Social-Media-Kanäle werden genutzt, es gibt Plakate und Flyer, einen durch Deutschland tourenden Infobus sowie Radio- und Fernsehspots.

Wichtig zu wissen ist auch, dass mit der ePA nicht alle Abläufe in der medizinischen Behandlung anders werden: „Die elektronische Patientenakte ersetzt nicht die Behandlungsdokumentation im Praxisverwaltungssystem“, teilt die Kassenärztliche Bundesvereinigung mit. Ärztinnen und Ärzte seien nach Gesetz und Berufsordnung verpflichtet, alle medizinisch relevanten Informationen für die Behandlung eines Patienten zeitnah in der Patientenakte festzuhalten - elektronisch oder auf Papier. Auch Psychologische Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten sind zur Dokumentation der Behandlung verpflichtet: „An dieser Pflicht ändert sich mit der ePA nichts.“

Datenschützer bleiben kritisch

Kritik an dem künftigen Speichersystem kommt unter anderem von Datenschützern. Der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber (SPD) monierte unter anderem den erforderlichen aktiven Widerspruch, wenn man die ePA nicht nutzen will. „Man wird nicht zum gläsernen Patienten, wenn man die ePA nutzt. Trotzdem hätte der Gesetzgeber Einschränkungen machen müssen, wenn es um besonders sensible Gesundheitsdaten geht wie Abtreibungen, HIV-Infektionen oder psychologische Gutachten. Diese sollten nicht automatisch gespeichert werden. Da bedarf es durchaus mehr Vertrauensbildung und das muss jetzt mit guter Kommunikation und mit klaren Regelungen nachgeholt werden“, sagte er der AOK Rheinland/Hamburg.

Fachleute warnen zudem, dass bestimmte gespeicherte Gesundheitsdaten zu Stigmatisierungen führen könnten, wie etwa Diagnosen von HIV, psychischen Erkrankungen oder Suchterkrankungen. Zwar ließen sich diese Daten aus der ePA heraushalten. Dennoch könnten bestimmte Medikamente auf der Medikamentenliste Rückschlüsse auf diese Krankheiten zulassen.

Die Verbraucherzentrale Bundesverband befürchtet, dass es trotz hoher Sicherheitsstandards zu Datenlecks und Cyberangriffen kommen kann. So könnten sensible Gesundheitsdaten in falsche Hände geraten. Und, so die Organisation: „Die ePA braucht eine stabile technische Infrastruktur. Systemausfälle, technische Fehler oder eine langsame Internetverbindung können den Zugang zur ePA erschweren. Menschen ohne geeignetes Endgerät haben keinen eigenständigen Zugriff und Einblick in ihre eigene ePA.“ Zudem seien längst nicht alle Patientinnen und Patienten hinreichend technisch versiert, um die ePA effektiv zu nutzen.

Dirk Baas


Gesundheit

So funktioniert die elektronische Patientenakte



In der elektronischen Patientenakte (ePA) haben die Versicherten künftig alle ihre Gesundheitsdokumente immer beisammen. Aber was bringt ihnen das konkret? Wer verwaltet die Daten? Und wie können Patientinnen und Patienten der Einrichtung einer ePA widersprechen? Diese und viele andere Fragen beantwortet epd sozial in dieser Zusammenstellung. Quelle sind die Angaben der "gematik", die die Gesamtverantwortung für die Telematikinfrastruktur im deutschen Gesundheitswesen trägt.

Wie kommen Versicherte ab 2025 an die ePA?

Die neue ePA für alle ist die sogenannte Opt-Out-Version der elektronischen Patientenakte, die es schon seit 2021 gibt. Bislang war es so, dass alle Patientinnen und Patienten selbst eine ePA bei ihrer Krankenkasse beantragen mussten. Das ist in Zukunft nicht mehr der Fall, denn für alle gesetzlich Versicherten in Deutschland wird automatisch eine elektronische Patientenakte angelegt - außer, sie widersprechen aktiv. Auch Privatversicherten kann die ePA angeboten werden.

Welche Infos werden dort enthalten sein?

In der ePA für alle werden relevante Gesundheitsdaten gebündelt und für den medizinische Versorgungsalltag nutzbar gemacht. Kliniken, Praxen und Therapeuten füllen die Akte und bekommen dafür unterschiedlich hohe Honorare von Krankenkassen. Die ePA verschafft dem behandelnden medizinischen Personal besseren Überblick, etwa bei den Medikationslisten. Durch den schnellen Zugriff auf die Gesundheitsdaten können Ärztinnen, Apotheker und Pflegekräfte ihre Patientinnen und Patienten individueller behandeln und so beispielsweise die Therapie besser auf Vorerkrankungen abstimmen oder einfacher Koexistenzen zwischen Krankheiten erkennen.

Wie kommen die Unterlagen in die Akte?

Zum einen können Versicherte diese selbst einscannen und hochladen. Ältere Dokumente wie Arztbriefe lassen sich so digitalisieren. Versicherte können die Pflege der ePA aber auch ihren Ärztinnen oder Ärzten überlassen. Dazu müssen sie ihnen eine entsprechende Freigabe erteilen. Die Hoheit über die eigenen Gesundheitsdaten bleibt stets bei den Versicherten selbst. Sie entscheiden, mit welchen Ärztinnen und Ärzten in Praxen und Kliniken, Apotheken und medizinischen Fachangestellten sie ihre Daten teilen - und für wie lange. Denn Berechtigungen können jederzeit wieder entzogen werden.

Wer pflegt die Medikationsliste in der ePA?

Die Medikationsliste in der ePA wird automatisch mit allen ausgestellten und eingelösten E-Rezepten befüllt. Es braucht keine manuelle Befüllung seitens der Praxen, Krankenhäuser und Apotheken.

Wie wird der Datenschutz sichergestellt?

Sämtliche Daten werden nur verschlüsselt in die ePA übertragen und sind dort für niemanden erreichbar - nicht einmal für die Krankenkassen als Betreiber des ePA-Aktensystems. Nur Patientinnen und Patienten selbst oder zugriffsberechtigte Ärzte und Therapeuten haben die Möglichkeit, Daten aus der ePA abzurufen und auch bestimmte Dokumente zu löschen.

Wo sind die Server, auf denen die ePA-Daten liegen?

Die Verarbeitung der Daten wird im Auftrag der Krankenkassen von zwei Anbietern übernommen. Beide betreiben eigene Rechenzentren, die sich auf deutschem Boden befinden und die einer entsprechenden Sicherheitsüberprüfung unterzogen werden. Es wird je Anbieter mehrere Rechenzentren an mehreren Standorten geben.

Was machen ältere Patienten ohne einen Computer oder ein Handy?

Grundsätzlich benötigt man als Patientin oder Patient keinen Computer und kein Handy für die ePA. Aber: Wer Daten selbst verwalten möchte, benötigt dazu die App der eigenen Krankenkasse. Wer das nicht möchte, kann beispielsweise Vertreterinnen und Vertreter ermächtigen, die Daten einzusehen und zu pflegen, wie etwa Familienangehörige. Für Widersprüche, zum Beispiel, wenn man einer Institution gar keinen Zugriff auf die ePA geben möchte, kann man sich außerdem an die Ombudsstelle der jeweiligen Krankenkasse wenden. Zudem legen die Kassen auf Wunsch auch eine ePA für Versicherte an, die nicht im Internet sind und auch kein Handy haben. Nach entsprechender Registrierung und mit einem speziellen Login sind dann die Daten aus der Akte in der Hausarztpraxis am Rechner abrufbar.

Werden Dokumente und Befunde irgendwann aus der ePA gelöscht?

Die ePA ist als eine lebenslange Akte konzipiert, Dokumente werden also nicht automatisch gelöscht. Patientinnen und Patienten sowie das von ihnen berechtigte medizinische Personal hat aber die Möglichkeit, jederzeit ausgewählte Dokumente aus der ePA zu löschen.

Werden Dokumente automatisch in die ePA geladen oder können Ärztinnen und Ärzte selbst entscheiden, was sie in die ePA laden wollen?

Nein, Dokumente werden nicht automatisch in die ePA geladen. Die einzigen Daten, die tatsächlich automatisch in die ePA gelangen, sind E-Rezept-Daten für die Medikationsliste.

Wer stellt die Daten in die ePA?

Ärztinnen und Ärzte sowie geschultes Personal in den jeweiligen Einrichtungen soll die Daten der aktuellen Behandlung in die ePA stellen. Gleichzeitig können auch Patientinnen und Patienten Dokumente in ihre ePA stellen. Diese Dokumente sind dann entsprechend gekennzeichnet.

Können Patientinnen und Patienten alle Dokumente aus ihrer ePA entfernen?

Ja, Patientinnen und Patienten können sämtliche Dokumente selbst aus der ePA löschen.

Wird der Arztbrief durch die ePA überflüssig?

Nein, der Arztbrief wird nicht überflüssig. Der Arztbrief muss auch weiterhin verschickt werden, damit die empfangenen Einrichtungen ihn auch lokal in ihrem System gespeichert haben. Zudem ist der Arztbrief per Mail schneller in der Einrichtung. So können Folgebehandlungen beispielsweise schon vorbereitet werden, auch wenn die Patientin beziehungsweise der Patient noch nicht mit der ePA in der Praxis war.

Bekommen Kinder und Jugendliche auch eine ePA?

Ja, Kinder und Jugendliche bekommen auch eine ePA ab dem Zeitpunkt, zu dem sie gesetzlich krankenversichert sind. Ab dem Start des 15. Lebensjahres können sie dann selbst entscheiden, ob sie eine ePA nutzen wollen. Vorher können die Eltern beziehungsweise die Erziehungsberechtigten der ePA für Ihre Kinder widersprechen.

Ab wann ist geplant, dass die Krankenkassen die Versicherten zum Opt-Out, also zum Widerspruch, informieren? Gibt es da Fristen für die Versicherten?

Die Krankenkassen haben zum Teil seit Mai 2024 begonnen zu informieren, vermehrt steigen nun im Herbst weitere Krankenkassen in die Kommunikation mit ein. Der spätestmögliche Termin sind sechs Wochen vor Anlage der ePA-Aktenkonten zum 15. Januar 2025.

Dirk Baas


Gesundheit

Ein Königreich für einen Kinderarzt




Untersuchung beim Kinderarzt
epd-bild/Christoph Böckheler
"Tut uns leid, wir nehmen keine neuen Patienten an." Diesen Satz hören Eltern auf der Suche nach einem Kinderarzt in ihren Wohnorten Ort immer öfter. Helfen können die Terminservicestellen der Kassenärztlichen Vereinigungen - ein Blick nach Baden-Württemberg.

Pforzheim, Stuttgart (epd). Anna N. wägt gut ab, ob ihr dreijähriger Sohn wirklich zum Kinderarzt muss. Der Grund: Sie lebt ohne Auto in Pforzheim, ihr Kinderarzt hat seine aber in Ettlingen. „Ich frage mich dann, ob ich einem fiebernden Kind wirklich die zwei Stunden mit Öffis zumuten kann, oder ob es nicht auch ohne Arzt geht.“ Sie traue sich inzwischen zu, Kinderkrankheiten einschätzen zu können. Manchmal lasse sie sich telefonisch beraten. „Es bleibt aber ein Restzweifel. Nicht, dass ich einmal eine falsche Entscheidung treffe“, sagt die 33-Jährige.

Obwohl ihr Kinderarzt nicht direkt greifbar ist, ist Anna glücklich, dass es ihn gibt. „Ich hätte heulen können vor Freude, als ich endlich wieder einen Kinderarzt hatte.“ Ihr vorheriger Arzt sei im Sommer 2023 in den Ruhestand gegangen, danach wählte sich Anna die Finger wund. „Ich habe alle in Pforzheim angerufen und den Enzkreis bis ins hinterste Eck abgeklappert.“

Am Telefon werden Eltern zügig abgewimmelt

Anna ist mit ihren Erfahrungen kein Einzelfall. Pforzheimer Sprechstundenhilfen wirken bei Testanrufen, als seien sie darauf getrimmt, Eltern am Telefon zügig abzuwimmeln. Eine Karlsruher Praxis erklärt, sie hätte wegen Personalmangel einen Patientenannahme-Stopp. Von einem Lörracher Kinderarzt heißt es, er nehme nur noch Neugeborene an.

Die Stadt Stuttgart veröffentlichte eine Mitteilung, dass „die ambulante kinder- und jugendärztliche Versorgungslage in Stuttgart prekär ist“. Weil über ein Drittel der Stuttgarter Kinderärzte in den nächsten Jahren in den Ruhestand gehen, werde sich die Situation noch weiter verschärfen, heißt es weiter. Die Stadt arbeite an Strategien, um Kinderärzte anzulocken. „Mit einem kommunalen Förderprogramm wollen wir die Arbeitsbedingungen für Kinderärztinnen und Kinderärzte in Stuttgart attraktiv gestalten und damit die ambulante Versorgungsstruktur für Kinder und Jugendliche verbessern“, sagt die Gesundheitsplanerin am Gesundheitsamt, Christina Cyppel. Dafür stünden insgesamt 260.000 Euro bereit.

Fördergelder für neue Praxen

Niederlassungswillige Kinder- und Jugendärzte können im Falle einer Neugründung einer Berufsausübungsgemeinschaft bis zu 80.000 Euro beantragen. Auch Anstellungen, Zweigpraxisgründungen, Praxisübernahmen und Fusionen sind förderfähig. Eine zusätzliche Förderung von 40.000 Euro können Ärztinnen und Ärzte erhalten, wenn sie sich in einem Stadtbezirk ohne bisherige pädiatrische Praxis niederlassen.

Und doch wird sich die Lage wohl noch verschärfen. Der Grund: die Altersstruktur der Ärzteschaft. Die Zahlen der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) sind eindeutig: Im ersten Quartal 2024 waren 22 der insgesamt 65 tätigen Kinder- und Jugendmediziner in Stuttgart 60 Jahre alt und älter. Über ein Drittel der aktuell tätigen Ärztinnen und Ärzte werden also voraussichtlich in den nächsten fünf bis zehn Jahren in den Ruhestand gehen.

Auf change.org steht seit Mitte Oktober die Petition „Alarmstufe Rot: Wo sind unsere Kinderärzte?“ „Für zahlreiche Eltern aus den Kreisen Calw, Freudenstadt, Rottweil und weiteren angrenzenden Landkreisen ist es derzeit unmöglich, einen Kinderarzt zu finden“, heißt es darin. Die Praxen seien überlastet.

KVBW: Bedarfsplanung ist nur eine Rechengröße

Die KVBW sagt auf epd-Anfrage, dass keine Informationen vorliegen, wie viele Kinder keinen Kinderarzt haben. Allerdings hätten nur wenige Orte im Land einen Versorgungsgrad deutlich unter 100 Prozent. Das seien Biberach, Calw, Pforzheim und Rottweil. „Wir wissen jedoch, dass auch in Gebieten mit einem Versorgungsgrad über 100 Prozent Eltern keinen Kinderarzt finden“, sagt Pressereferentin Gabriele Kiunke-Schwarz. Bei der Bedarfsplanung handle es sich um eine rein rechnerische Größe, die Wahrnehmung vor Ort könne davon abweichen.

Der Berliner Kinderarzt Steffen Lüder hat einen Notruf in Form des Buches „Who cares? - Wie das Gesundheitssystem das Leben unserer Kinder gefährdet“ ausgesandt. Darin berichtet Lüder, wie an einem Tag zu seinen 23 angekündigten noch 122 weitere kranke Kinder in seine Praxis kamen.

„Eltern fehlt das Wissen über akute Krankheiten“

Er sieht verschiedene Gründe für die Engpässe: Ein Baustein sind Eltern, die wegen Bagatellen zum Mediziner gehen. „Gleichzeitig grassieren nach der Corona-Isolation die Atemwegsinfekte heftiger und die Zahl an chronischen Erkrankungen und Allergien nimmt seit Jahren zu“, analysiert er. Zudem habe sich die Zahl der Vorsorgeuntersuchungen seit ihrer Einführung verdoppelt. „Das geht nicht zusammen“, sagte er dem Magazin „Focus“. Vielen Eltern fehle es an sozialem Wissen, erläutert Lüder: Viele Eltern wüssten nicht mehr, wann Kinder wirklich zum Arzt müssen und wann vielleicht auch einfach Bettruhe und warme oder kalte Wickel reichen. „Und die Notaufnahme beziehungsweise die Kinderrettungsstellen sind für akute, schwere Krankheitsfälle, nicht weil klein Peter einen Mückenstich hat“, so der Arzt.

Weitere Ursachen sind in seinen Augen Mediziner, die in Teilzeit beschäftigt sind, und immer mehr angestellte Ärzte: „Ein angestellter Arzt arbeitet seine Stunden ab, nicht zwingend die Warteschlange in der Praxis“, schreibt er. Weitere Themen sind zu wenige Studienplätze, ausführliche Dokumentationspflichten und Alltagsprobleme bei der Digitalisierung. „Das ist Zeit, die mir bei der Behandlung meiner Patienten fehlt“, so Lüder.

Leonie Mielke


Arbeit

Debatte um Abschaffung von telefonischer Krankschreibung




Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung
epd-bild/Norbert Neetz
Die Arbeitgeber befürchten einen Missbrauch der telefonischen Krankschreibung und fordern ihre Abschaffung. Doch vorliegende Daten widersprechen dieser Befürchtung. Neu in der Diskussion: die Teilkrankschreibung.

Mannheim, München (epd). Angesichts des aktuell hohen Krankenstands fordern die Arbeitgeber die Abschaffung der telefonischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Eine Studie des Leibniz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) sieht zwischen beidem aber keinen Zusammenhang. Ärztevertreter sprachen sich für den Beibehalt dieser Regelung aus. Die Bundesvorsitzende des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes, Nicola Buhlinger-Göpfarth, nannte in der „Rheinischen Post“ (28. Oktober) die telefonische Krankschreibung „eine der ganz wenigen erfolgreichen politischen Maßnahmen zur Entbürokratisierung des Gesundheitswesens“.

Zuvor hatte der Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände, Steffen Kampeter, der „Rheinischen Post“ gesagt, er vermute Missbrauch bei der telefonischen Krankschreibung. Ungerechtfertigte Praktiken von digitalen Geschäftemachern müssten unterbunden werden. Auch Finanzminister Christian Lindner (FDP) hatte die telefonische Krankschreibung infrage gestellt.

Großer Teil des Anstiegs ist nur scheinbar

Das ZEW publizierte am 28. Oktober eine Studie über die Ursachen des Anstiegs der Fehlzeiten, in der es zu anderen Schlussfolgerungen als Kampeter und Lindner kam. Denn demnach mehren sich auch Krankschreibungen zwischen 4 und 14 Tagen Dauer. Eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung per Telefon gibt es aber nur für maximal fünf Kalendertage. Die Regelung war im Dezember 2023 dauerhaft eingeführt worden, nachdem sie während der Corona-Pandemie lediglich auf Zeit möglich war.

Der ZEW-Studie zufolge führt vor allem eine bessere Erfassung zu mehr gemeldeten Fehlzeiten. „Seit dem 1. Januar 2022 wurde mit dem Beginn der elektronischen AU-Bescheinigung (eAU) die Datenerfassung deutlich verbessert“, heißt es darin. Vorher seien viele Krankschreibungen den Krankenkassen schlicht nicht gemeldet worden und daher in der Statistik nicht aufgetaucht.

Neben diesem nur scheinbaren Anstieg gibt es laut der Studie es aber auch einen realen. „Seit der Corona-Pandemie sind viele Menschen offensichtlich vorsichtiger bei Infektionskrankheiten geworden, um andere nicht anzustecken“, sagte der Wirtschaftswissenschaftler Nicolas Ziebarth, Leiter des ZEW-Forschungsbereichs „Arbeitsmärkte und Sozialversicherungen“ und einer der Autoren der Studie, dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Forscher verweist auf Erfahrungen in Skandinavien

Ziebarth schlug vor, Teilzeitkrankschreibungen als Arbeitnehmerrecht zu ermöglichen. Skandinavische Länder hätten mit solchen Modellen Fehlzeiten reduzieren können, sagte er: „Es ist ein veraltetes Schwarz-Weiß-Denken, dass man entweder arbeiten kann oder nicht.“ Teilzeitkrankschreibungen seien sicher nicht für alle Beschwerden oder in allen Berufen möglich. Bei manchen psychischen Krankheiten etwa seien Betroffene durchaus arbeitsfähig, allerdings weniger belastbar als sonst. „Auch bei manchen Rückenleiden wäre sicher denkbar, dass man nach Hause gehen darf, wenn es nicht mehr geht“, sagte der Forscher.

Er verwies darauf, dass Arbeitgeber Modelle mit Teilzeitkrankschreibungen schon heute in ihren Betrieben einführen könnten und appellierte an sie, dies zu tun. „Das können sie sofort machen“, sagte er. Es sei sinnvoll, dies nicht nur als Möglichkeit für Arbeitgeber, sondern auch als Recht für Arbeitnehmer einzuführen: „Das wird sicher nicht alles von Grund auf ändern, aber es wäre ein Baustein, um Fehltage zu reduzieren.“

Denkbar sind nach Ziebarths Worten auch Vereinbarungen, denen zufolge leicht erkrankte Arbeitnehmer auch im Homeoffice arbeiteten oder mit medizinischer Schutzmaske zur Arbeit kämen. Er räumte allerdings ein, dass dies ein schwieriger Grenzbereich sei, in dem Arbeitgeber ungerechtfertigten Druck auf ihre Angestellten ausüben könnten. „Das ginge nur mit beiderseitigem Einverständnis“, erklärte er.

Auch Ärztepräsident Klaus Reinhardt sprach sich für die Möglichkeit von Teilzeitkrankschreibungen aus. Eine „praktikable Form von Teilzeitkrankschreibung für einige Stunden täglich“ könne für mehr Flexibilität sorgen, sagte der Präsident der Bundesärztekammer den Zeitungen der Funke-Mediengruppe am 30. Oktober. Die Arbeitswelt habe sich durch Digitalisierung und Homeoffice verändert. Dennoch unterscheide das Gesundheitswesen weiter starr nach Arbeitsfähig- und -unfähigkeit.

Bei Bagatellinfekten etwa biete das Homeoffice unter Umständen die Möglichkeit für Arbeitnehmer, begrenzt berufliche Aufgaben wahrzunehmen, dabei den Kontakt zu Kolleginnen und Kollegen im Büro zu vermeiden und sich dennoch zu erholen. „Klar ist natürlich, dass dabei das Wohlergehen und die ungefährdete Genesung der Erkrankten immer an erster Stelle stehen muss“, ergänzte der Präsident der Bundesärztekammer.

Ärzte wollen telefonische Krankschreibung beibehalten

Eine Sprecherin von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) verteidigte die telefonische Krankschreibung, schloss aber zugleich nicht aus, dass Patienten sie ausnutzen. Sie verwies auf den Beschluss der Ampel-Koalition, die telefonische Krankschreibung im Rahmen ihrer Wachstumsinitiative für die Wirtschaft zu überprüfen und möglicherweise anzupassen, wenn dies „bürokratiearm“ möglich sei.

Die Hausärztevertreterin Buhlinger-Göpfarth sah keinen Zusammenhang zwischen mehr Fehlzeiten und telefonischer Krankschreibung. „Die Unterstellungen, dass sich die Menschen mithilfe der Telefon-AU einen schlanken Fuß machen, können wir aus unserer täglichen Arbeit nicht bestätigen“, sagte die Fachärztin für Allgemeinmedizin. Diese Möglichkeit jetzt abzuschaffen, wäre absurd, sagte sie.

Nils Sandrisser, Bettina Markmeyer


Drogen

Hannover und Frankfurt starten Modellversuch zum Verkauf von Cannabis




Cannabis: Konsumverbot auf dem Bahnhof von Hannover
epd-bild/Dirk Baas
Seit Frühjahr und Sommer ist der Konsum und Anbau von Cannabis in Deutschland teilweise legal. Mit Hannover und Frankfurt wollen zwei Städte in einem Modellversuch nun einen kontrollierten Verkauf des Rauschmittels an besonderen Abgabestellen erproben.

Hannover, Frankfurt a.M. (epd). Als erste Städte in Deutschland starten Hannover und Frankfurt am Main einen gemeinsamen Modellversuch zur kontrollierten Abgabe von Cannabis an Verkaufsstellen im Stadtgebiet. In Hannover sind bis zu drei Verkaufsstellen geplant, wie die Stadt am 30. Oktober mitteilte. Begleitet wird das Projekt von einer wissenschaftlichen Studie der Medizinischen Hochschule Hannover. Daran werden voraussichtlich etwa 4.000 Menschen teilnehmen. Der Verkauf soll Anfang 2025 beginnen.

„Wir gehen damit einen wichtigen Schritt. Denn die regulierte Abgabe von Cannabis hat in vielerlei Hinsicht großes Potenzial. Sie kann Verbraucher schützen, die Justiz entlasten und den illegalen Drogenhandel reduzieren. Frankfurt ist bereit. Frankfurt ist soweit“, sagte Elke Voitl, Dezernentin für Soziales und Gesundheit in Frankfurt, am 30. Oktober.

Wichtige Erkenntnisse für den Zugang zu Cannabis

Wissenschaftlich begleitet wird das Projekt in Frankfurt von Professor Heino Stöver von der Frankfurt University of Applied Sciences. „Eine der zentralen Fragen der wissenschaftlichen Begleitung beschäftigt sich mit den Auswirkungen eines legalen Erwerbs von Cannabis, einschließlich Beratungsmöglichkeit, auf das eigene Gesundheitsverhalten der Klienten. Daraus können Schlüsse nicht nur für die Prävention, sondern auch für die zukünftige Gestaltung des Zugangs zu Cannabis gezogen werden“, sagte Stöver.

„Uns geht es um die Anerkennung gesellschaftlicher Realitäten“, sagte Oberbürgermeister Belit Onay (Grüne). „Die Zahlen konsumierender Menschen aller Altersgruppen in Deutschland steigen stetig.“ Das zeige, dass Verbote nur eingeschränkt funktionierten. Hinzu kämen erhebliche gesundheitliche Risiken durch steigende Werte der psychoaktiven Substanz Tetrahydrocannabinol (THC) und Verunreinigungen in Cannabis-Produkten auf dem Schwarzmarkt. Die Stadt erhoffe sich von dem Projekt auch einen verbesserten Jugendschutz. Der illegale Markt solle zurückgedrängt werden.

Testlauf über fünf Jahre

Das Modellprojekt läuft über fünf Jahre. Teilnehmen können volljährige Personen, die ihren Wohnsitz in Hannover haben. Sie müssen bereit sein, regelmäßig und aktiv an wissenschaftlichen Befragungen mitzuwirken. Einen vergleichbaren Versuch gibt es nach Angaben der Stadt bislang bereits in Wiesbaden. Dort wird Cannabis allerdings nur in ausgewählten Apotheken ausgegeben.

In Hannover erhalten alle Teilnehmenden einen pseudonymisierten Ausweis, mit dem nur sie an den Abgabestellen einkaufen können. Über diesen Ausweis und einen QR-Code auf den Verpackungen kann sichergestellt werden, dass die gesetzliche Abgabemenge eingehalten wird. Wer Produkte an Dritte weitergibt, wird sofort ausgeschlossen. Zudem kann bei einem Auffinden der Verpackung aufgeklärt werden, ob die mitführende Person auch tatsächlich selbst der Käufer des Produkts war.

Hauptinteresse gilt wissenschaftlichen Resultaten

„Unser Hauptinteresse sind die wissenschaftlichen Erkenntnisse“, sagte Hannovers Sozialdezernentin Sylvia Bruns (FDP). Diese gäben Aufschluss über die Auswirkungen eines legalen Verkaufs und auf die Häufigkeit des Konsums: „Wir wollen uns damit von Vermutungen und ideologischen Debatten entfernen.“

Bei dem Modellversuch arbeiten die Projektpartner mit dem Berliner Unternehmen Sanity Group zusammen, das sich bislang auf die medizinische Nutzung von Cannabis spezialisiert hat. Die Firma betreibt bereits seit Ende 2023 zwei Verkaufsstellen als Teil einer vergleichbaren Studie in der Schweiz. Sie hat kürzlich in 30 deutschen Städten Stichproben zu Cannabis auf dem Schwarzmarkt erhoben, auch in Hannover.

Das Personal der Verkaufsstellen solle entsprechend geschult werden, um die Konsumenten beraten zu können, hieß es. Bei auffälligem Konsumverhalten könne das Personal eingreifen, bevor eine Abhängigkeit entstehe. „Die Daten aus dieser Studie könnten künftig eine wichtige Grundlage für die Gestaltung einer zukunftsorientierten Drogenpolitik bilden“, sagte Professorin Kirsten Müller-Vahl von der Medizinischen Hochschule Hannover. „Langfristig können die Ergebnisse der Studie dabei unterstützen, sichere Rahmenbedingungen für Konsumierende zu schaffen und die öffentlichen Gesundheitsressourcen effektiver zu nutzen.“

Michael Grau, Dirk Baas


Sachsen

Baby-Boomer-Effekte verschärfen Personalnot in der Pflege



Dresden (epd). In Sachsen werden laut einer Studie in den nächsten zehn Jahren altersbedingt rund 20 Prozent des Pflegepersonals ausscheiden und müssen ersetzt werden. Neben erheblichen Finanzierungslücken in der Pflegeversicherung bedrohe die steigende Personalnot zunehmend die Versorgung pflegebedürftiger Menschen, heißt es in dem am 27. Oktober in Dresden veröffentlichten Landespflegereport der DAK Krankenkasse.

Spitze sich die Lage noch weiter zu, könne der Pflegenachwuchs die altersbedingten Berufsaustritte der Baby-Boomer nicht mehr auffangen. So werde die ohnehin dünne Arbeitsmarktreserve im Freistaat von rund 1.800 Fachkräften im Jahr 2025 auf lediglich 600 Fachkräfte im Jahr 2030 abschmelzen.

12.800 Personen gehen in den Ruhestand

2023 gab es laut Landespflegereport rund 65.000 professionell Pflegende in Sachsen. Mehr als 12.800 von ihnen erreichten in den nächsten zehn Jahren das Renteneintrittsalter. Der tatsächliche Bedarf an Pflegekräften dürfte dann vor dem Hintergrund einer kontinuierlich wachsenden Zahl pflegebedürftiger Menschen noch weitaus größer sein, hieß es. Geschätzt werde, dass in den nächsten 25 Jahren bundesweit rund 2,3 Millionen Menschen mehr als heute auf pflegerische Unterstützung angewiesen sein werden.

Als Lösungsansätze werden beispielsweise ambulant betreute Pflege-Wohngemeinschaften vorgeschlagen, die von Pflegekräften und Menschen aus der Nachbarschaft gemeinsam betreut werden. Auch der von der Evangelischen Hochschule Dresden angebotene Studiengang Community Health Nursing als Ausbildung zu einer Art Gemeindeschwester sei im ländlichen Raum ein Weg.



Künstliche Intelligenz

Forschungsverbund untersucht soziale Roboter



Erlangen (epd). Ein Forschungsverbund untersucht in den kommenden zwei Jahren, wie sozial automatisierte Systeme und Roboter sein können. Es gehe weniger darum, Roboter zu entwickeln, die Menschen äußerlich ähneln, „sondern vielmehr Szenarien zu erforschen, in denen die Maschinen mit Menschen interagieren“, sagt Nina Merz vom Lehrstuhl für Fertigungsautomatisierung und Produktionssystematik (FAPS) laut Mitteilung der Universität Erlangen-Nürnberg vom 29. Oktober. Dazu wolle man verstehen und lernen, wie Menschen Emotionen ausdrücken und lesen können, wie sie Empathie empfinden und wie diese Fähigkeiten auf automatisierte Systeme übertragen werden können.

Im Forschungsverbund „FORSocialRobots“ arbeiten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verschiedener Lehrstühle der Uni Erlangen-Nürnberg zusammen mit der Universität Augsburg und verschiedenen Fraunhofer-Instituten, unterstützt von Partnern aus der Industrie.

Ziel: Soziale Fähigkeiten der Roboter verbessern

Das Ziel des Projekts sei, dass Menschen und Roboter in flexiblen Teams effektiv in verschiedenen Lebensbereichen zusammenarbeiten können. In den Anwendungsfeldern Inspektion, Logistik, Produktion, Service, Seniorenheim und Demenzzentrum sollen die sozialen Fähigkeiten von Robotern verbessert werden.

Soziale Interaktionen seien typischerweise hochkomplex und fein nuanciert. Hinzu komme, dass Roboter zuweilen technisch noch nicht so leistungsfähig sind und zudem hohe Kosten entstehen, wenn sie für die unterschiedlichsten Einsatzszenarien eigens angepasst werden müssen. Darum bestehe ein Ziel darin, zu prüfen, welche Erkenntnisse - egal, ob sie in einer Fabrikhalle, in einem Restaurant oder in einem Pflegeheim gewonnen werden - sich auf andere Einsatzzwecke und -orte übertragen lassen.




sozial-Branche

Armut

Hintergrund

Sozialverbände: So kommen Obdachlose besser durch den Winter




Obdachloser in Bremen (Archivbild)
epd-bild/Dieter Sell
Die meisten Menschen gehen betreten oder achtlos vorbei, wenn ihnen Obdachlose begegnen. Dabei ist nicht viel erforderlich, um Mitmenschen zu unterstützen, die auf der Straße leben. Fünf Tipps für effektive Hilfe in der kalten Jahreszeit.

Hannover, Köln (epd). Mit dem Herbst kommen Nässe, Kälte und Dunkelheit. Vor allem für obdachlose Menschen beginnt damit die härteste Zeit des Jahres. Rund 50.000 Menschen leben nach Schätzungen der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe ganzjährig auf der Straße. Tipps für zielgerichtete Hilfe geben Sozialverbände wie Caritas, Diakonie und Heilsarmee:

Obdachlose nicht ignorieren: Selbst wenn es für viele befremdlich oder unangenehm sein mag, Obdachlose direkt anzusprechen, raten die Malteser dazu, Kontakt zu suchen - und das möglichst klar und direkt. „Zeige Respekt, begegne auf Augenhöhe, stell eine Frage oder biete eine Kleinigkeit an“, heißt es in einer Empfehlung der katholischen Hilfsorganisation. Viele Obdachlose nähmen ein Gesprächsangebot dankbar auf.

Auf lokale Hilfsangebote verweisen: Nahezu alle Städte und Kommunen haben Hilfsangebote für Obdachlose. Dazu zählen neben sogenannten Notschlafstätten auch Tagesaufenthalte, die auf der Straße lebenden Menschen Wärme, einen geschützten Raum und eine Mahlzeit bieten, mitunter auch Dusche, Waschmaschine, Wundversorgung und Beratung durch geschulte Mitarbeitende. In der kalten Jahreszeit betreiben die Sozialverbände in vielen Städten zudem mobile Hilfsangebote. Ein Überblick über Hilfsangebote für Obdachlose findet sich auf den Internet-Seiten der jeweiligen Stadt oder Kommune sowie bei den ortsansässigen Sozialverbänden wie Diakonie, Caritas, Arbeiterwohlfahrt oder dem Deutschen Roten Kreuz.

Notfälle erkennen: Insbesondere wenn es friert, ist ein aufmerksamer Blick für Obdachlose geboten. „Wenn Menschen draußen bei Minusgraden schlafen, ist es durchaus angemessen, sie zu wecken und nachzufragen“, raten die Malteser. Sofern die Person ansprechbar ist, sollte sie gefragt werden, ob und welche Hilfe benötigt wird. Das katholische Hilfswerk empfiehlt zudem, die Telefonnummern der örtlichen Kälte- und Wärmebusse abzuspeichern. Diese fahren die Schlafstellen von Obdachlosen an und bringen Betroffene im Bedarfsfall zu einer Notschlafstelle. Ist eine Person nicht ansprechbar oder ihr Gesundheitszustand unklar, sollte unverzüglich die Notrufnummer 112 gewählt werden.

Spenden: Als Faustregel für Spenden raten die Malteser: „Nur das weitergeben, was du selbst auch annehmen würdest.“ Dies gelte insbesondere für Kleider-, Decken- und Schlafsack-Spenden. In vielen Städten und Kommunen betreiben die ortsansässigen Hilfswerke Kleiderkammern, in denen gut erhaltene, wintertaugliche Textilien abgegeben werden können. Oft veröffentlichen die Organisationen dazu im Internet Bedarfslisten, damit vor allem Dinge abgegeben werden, die auf der Straße lebende Menschen tatsächlich brauchen. Wer sich mit Sachspenden direkt an Obdachlose wenden will, sollte nach Empfehlungen der evangelisch-freikirchlichen Heilsarmee stets zuerst die Grundbedürfnisse im Blick haben: Nahrung, Wärme und Hygiene. So seien Brot, abgepackte Wurst und Käse sinnvoll.

Eine andere Möglichkeit, Obdachlose zu unterstützen, ist laut Heilsarmee ein Hygienebeutel, bestückt mit Artikeln wie Zahnbürste und Zahnpasta, Deoroller, Duschgel, Hautcreme, Lippenpflege, Taschentüchern, Pflaster und Verbandsmaterial, Rasierzeug für Männer und Tampons oder Damenbinden für Frauen.

Nicht urteilen: Spätestens, wenn es um eine Geldspende geht, haben viele Menschen die Sorge, dass die Zuwendung für Alkohol und andere Drogen ausgegeben wird. Deshalb bevorzugen viele Helfende Lebensmittelspenden. Doch diese sind aus Sicht der Malteser nicht in jedem Fall sinnvoll: „Vielleicht hat die Person bereits drei Kaffee und Brötchen bekommen und könnte mit zwei Euro einfach mehr anfangen.“ Selbst wenn ein Obdachloser eine Spende tatsächlich in eine Flasche Korn investieren sollte, dürfe dies nicht von Geldspenden abschrecken: „Was man selbst dazu denkt, sollte nicht dazu führen, aus Prinzip nicht zu helfen.“

Daniel Behrendt


Migration

"Erst geflüchtet, jetzt geschätzt"



Geflüchtete werden in Deutschland in vielen Firmen als Mitarbeitende geschätzt. Doch viele sind oft lange ohne Job. Eine Hamburger Flüchtlingshilfe will das ändern und hat dazu eine Infokampagne gestartet.

Hamburg (epd). Viktoriia Marchenko kommt aus Charkiw in der Ukraine. Als Russland ihr Heimatland überfiel, floh sie mit ihrer Familie nach Deutschland. Ein paar Wochen wollten sie bleiben, das war vor 2,5 Jahren. „Meine Tochter war zwei Jahre alt als wir aus Charkiw fliehen mussten. Sie lebt länger in Hamburg, als in der Ukraine“, sagt sie. Wann sie wieder nach Hause können, weiß Viktoriia nicht.

Die 36-jährige Ukrainerin begann Deutsch zu lernen. Heute arbeitet sie als Buchhalterin in einer Hamburger Werbeagentur. Parallel macht sie eine Online-Fortbildung. Dass Viktoriia sich erfolgreich am deutschen Arbeitsmarkt etabliert hat, ist kein Einzelfall, sagt Helga Rodenbeck. Sie ist Flüchtlingsberaterin in der Kirchengemeinde Blankenese in Hamburg. „Die machen einen tollen Job.“

Ukrainer: Beschäftigungsquote von knapp 30 Prozent

Erst ein Teil der über eine Million Ukrainerinnen und Ukrainer, die seit Kriegsbeginn nach Deutschland gekommen sind, hat Arbeit gefunden: Im Juli 2024 hatten rund 265.800 Flüchtlinge eine Beschäftigung. Rund 213.200 von ihnen waren sozialversicherungspflichtig beschäftigt, weitere 52.600 übte eine geringfügige Beschäftigung aus. Die Beschäftigungsquote lag im Juli 2024 bei 29,4 Prozent. Zum Vergleich: Bei Menschen mit ausländischer Staatsbürgerschaft betrug die Quote 53,2 Prozent.

„Ich habe hier viele Gespräche geführt mit Unternehmen und alle sagen, wie gut sich die Geflüchteten machen“, sagt Helga Rodenbeck. Um zu zeigen, welchen Stellenwert die Neuankömmlinge bei den Firmen in Hamburg haben, hat der Runde Tisch Blankenese eine Infokampagne gestartet.

Aktion durch Spenden finanziert

Finanziert durch Spenden sind Plakate und Flyer entstanden, die von den Erfolgsgeschichten der Geflüchteten berichten. „Das war nur durch die Spenden und viele hilfsbereite Menschen möglich.“ Unterstützung bekam Rodenbeck von einer Marketing-Managerin und einem Fotografen - alles kostenfrei. „Und dank einer großen Werbeagentur sind unsere Fotos dann auch in den U-Bahnen zu sehen gewesen.“

Zu den Menschen, die auf den Plakaten gezeigt werden, gehört auch Benjamin Amini. Der junge Afghane kam 2017 nach Deutschland, ohne Sprachkenntnisse. Heute ist er Schiffsmechaniker auf einem Lotsenschiff der Hamburg Port Authority.

„Das ist mein Arbeitsplatz“, sagt er und zeigt stolz auf die Wellen der Elbe. Der 28-Jährige ist glücklich angekommen zu sein. „Frau Helga Rodenbeck ist ein Engel. Der Runde Tisch Blankenese hat mir so viel geholfen, als ich damals hier ankam. Beim Deutsch lernen, aber auch als Kontakt.“ Einen Ort zu haben, um mit anderen Menschen zu reden und Schach spielen zu können, sei für ihn nach der Ankunft sehr wichtig gewesen, sagt Benjamin. „Ich bin dankbar für die Chance, in Sicherheit leben zu können.“

„Geflüchteten zeigen, dass wir sie anerkennen“

„Erst geflüchtet, jetzt geschätzt“ ist das Motto der Infokampagne. Die Flüchtlingsberatung in der Kirchengemeinde Blankenese möchte damit auch den Neu-Hamburgerinnen und -Hamburgern eine Botschaft schicken. „Wir wollten den Geflüchteten zeigen, dass wir sie anerkennen. Dass sie spüren können, wie sehr sie geschätzt werden“, sagt Helga Rodenbeck. Immerhin: Die Beschäftigungsquote der Geflüchteten, die zwischen 2013 und 2019 nach Deutschland kamen, ist gestiegen. Sieben Jahre nach ihrer Ankunft lag sie bei 60 Prozent, acht Jahre nach ihrer Ankunft bei 68 Prozent. Für die Kohorte, die 2015 ankam, lag die Beschäftigungsquote im Jahr 2022 bei 64 Prozent.

Einfach sei es für die Menschen nicht, sich auf dem deutschen Arbeitsmarkt zu etablieren, erklärt die Flüchtlingsberaterin, die schon 30 Jahre Erfahrung in ihrem Beruf hat. „Die größte Hürde sind die Behörden“, ist sie sich sicher. Viele Geflüchtete können in Deutschland einen wertvollen Beitrag leisten, wenn man sie denn lässt, davon ist Rodenbeck überzeugt.

Viktoriia Marchenko hat es geschafft. Sie liebt ihren Arbeitsplatz in einem modernen Bürogebäude unweit des Hamburger Fischmarkts. Und nicht nur sie ist glücklich: „Meine Tochter spricht jetzt sehr gut Deutsch und hat viele Freunde. Sie sagt immer 'Mama, ich möchte hier bleiben.“

Hagen Grützmacher


Pflege

Gastbeitrag

Gütezeichen: Faire Vermittlung von ausländischem Personal




Ann-Christin Wedeking
epd-bild/Jonas Gross
Wie können Pflegefachkräfte auf ethisch vertretbare Weise aus Drittstaaten angeworben werden? Um eine faire Personalakquise sicherzustellen, hat das Kuratorium Deutsche Altershilfe (KDA) ein spezielles Gütezeichen entwickelt. Ann-Christin Wedeking, die Leiterin der Geschäftsstelle der "Gütegemeinschaft Anwerbung und Vermittlung von Pflegekräften aus dem Ausland", erläutert im Gastbeitrag für epd sozial, wie das Siegel erlangt wird und was es bewirkt.

In der Gesundheits- und Pflegebranche werden bereits seit den 1960er Jahren Pflegefachkräfte angeworben. Seit den späten 2000er Jahren wird der Fokus dabei zunehmend auf eine ethisch vertretbare und faire Anwerbung gelegt. Internationale Organisationen wie die International Labour Organization (ILO) und die World Health Organization (WHO) haben bereits mit verschiedenen Konventionen, Code of Conducts, Leitlinien und der Initiative „Fair Recruitment“ wichtige Beiträge zu dem Diskurs geleistet.

In Deutschland wurde der Grundstein für das Gütezeichen „Faire Anwerbung Pflege Deutschland“ (folgend: Gütezeichen) in der Konzertierten Aktion Pflege, einem Zusammenschluss aus den Bundesministerien für Gesundheit, Arbeit und Soziales sowie für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gelegt. Die Entwicklung und Einführung eines Gütezeichens zur Regulierung der privatwirtschaftlich organisierten Personalvermittlung von Pflegefachpersonen ist eine von vielen Maßnahmen, um die Attraktivität des Pflegeberufs weiter zu steigern, Personal zu gewinnen und die Arbeitsbedingungen hierzulande zu verbessern.

Gütesiegel des Bundesgesundheitsministeriums

Das Kuratorium Deutsche Altershilfe (KDA) wurde vom Bundesgesundheitsministerium mit der Entwicklung des Gütezeichens beauftragt und hat dafür das Deutsche Kompetenzzentrum für internationale Fachkräfte in den Gesundheits- und Pflegeberufen eingerichtet. Die operative Umsetzung der Gütesicherung erfolgt in Selbstverwaltung durch die „Gütegemeinschaft Anwerbung und Vermittlung von Pflegekräften aus dem Ausland e. V.“ Sie erteilt das staatliche Gütesiegel des Bundesgesundheitsministeriums als RAL-Gütezeichen. RAL ist die Dachorganisation aller Gütegemeinschaften, sie soll das Gütezeichensystem und den Begriff Gütezeichen gegen Missbrauch schützen.

Unter Einbindung verschiedener Stakeholder wurde ein Anforderungskatalog mit sechs leitenden Prinzipien (Schriftlichkeit für die Überprüfbarkeit, Unentgeltlichkeit des Vermittlungsprozesses für Pflegefachpersonen, Angemessenheit des wirtschaftlichen Risikos, Transparenz zu Strukturen, Leistungen und Kosten, Nachhaltigkeit und Partizipation, Gesamtverantwortung) und operationalisierten Indikatoren entwickelt. Sie leiten sich ab aus dem internationalen Diskurs und den internationalen Standards zu fairen Rekrutierungspraktiken sowie den Erfahrungen von Personalserviceagenturen, vermittelten Pflegefachpersonen und Arbeitgebenden im Gesundheitswesen.

Das Gütezeichen soll den Arbeitgebern Orientierung bei der Auswahl einer geeigneten Agentur geben, gleichzeitig die Pflegefachpersonen vor Überschuldung schützen und ihnen einen fairen Anwerbeprozess auf Grundlage selbstbestimmter Entscheidungen ermöglichen. Die Personalserviceagenturen und selbstanwerbenden Einrichtungen können mit dem Gütezeichen nach innen und außen darstellen, dass sie sich den ethisch vertretbaren und fairen Anwerbekriterien verpflichtet haben und ihre Prozesse entsprechend daran orientieren.

Keine Kosten für angeworbene Fachkräfte

Um die Einhaltung der Kriterien zu überprüfen, wird eine unabhängige Prüfung auf Grundlage des Anforderungskataloges vorgenommen. Dafür stellt der Antragsteller Nachweise zur Einhaltung der Kriterien zur Verfügung, die dann einer Plausibilitätsprüfung unterzogen werden. Das sind nicht nur AGB, eine Grundsatzerklärung, Unterlagen zum Risikomanagement und der Zugang zu Beschwerdemöglichkeiten, sondern auch Vermittlungsverträge mit den Kandidaten und Kooperationsverträge mit Auftraggebern und eventuell Unterauftragnehmern.

Konkret geregelt sein muss in diesen Dokumenten zum Beispiel die konsequente Einhaltung des Employer-Pays-Prinzips, also dass der Pflegefachperson keine Kosten für die Vermittlung entstehen - auch nicht für zugehörige Kosten, wie zum Beispiel den Sprachkurs. Die Verträge sind schriftlich und in adressatengerechter Weise zu verfassen, das heißt, dass der Vertrag nicht nur in Deutsch, sondern auch in übersetzter Form in der Sprache des jeweiligen Herkunftslandes vorgelegt wird.

Auch soll den Pflegefachpersonen vor der Vertragsunterzeichnung die Informationsbroschüre zur Erwerbsmigration in die Pflege nach Deutschland gegeben werden. Die interessierte Pflegefachperson hat so die Möglichkeit, sich neutral zu bestimmten Themen, die mit der Entscheidung: „Möchte ich als Pflegefachperson nach Deutschland gehen und was bedeutet das konkret?“ zu informieren. Diese Informationsbroschüre stellt das KDA kostenlos und übersetzt in elf Sprachen zur Verfügung.

Deutschland als attraktives Ziel

Wenn die Dokumente geprüft wurden, findet ein Prüfgespräch statt - meist per Videokonferenz. In diesem Gespräch wird eine zufällige Stichprobe von der Prüfperson gezogen, anhand derer die Einhaltung der Kriterien an konkreten Beispielen geprüft wird. Vermittelte oder sich im Vermittlungsprozess befindliche Pflegefachpersonen bekommen die Möglichkeit, durch eine schriftliche Befragung Stellung zum Prozess zu nehmen.

Seit der ersten Gütezeichen-Erteilung im Jahr 2022 haben mehr als 60 Personalserviceagenturen den Prüfprozess erfolgreich durchlaufen. Das Gütezeichen kann dabei helfen, den Standort Deutschland als attraktives Zielland für interessierte Pflegefachpersonen zu kennzeichnen. Weil immer mehr Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen in Ausschreibungen auf das Gütezeichen bei Personalvermittlungsagenturen bestehen, kann das erworbene Siegel auch als Wettbewerbsvorteil dienen.

Die Einhaltung der Kriterien wird im zweijährigen Zyklus von unabhängigen Prüfpersonen bei den Unternehmen geprüft. Die erste Runde der sogenannten erneuten Fremdüberwachung/ Rezertifizierung findet aktuell statt.

Ann-Christin Wedeking leitet die Geschäftsstelle der "Gütegemeinschaft Anwerbung und Vermittlung von Pflegekräften aus dem Ausland" in Berlin.


Pflege

Diakonie startet Telepflege-Projekt in Baden und Württemberg



Karlsruhe (epd). Fünf Einrichtungen der Diakonie Baden und Württemberg haben ein Modellprogramm zur Erprobung von Telepflege gestartet. Das Projekt „Virtuelle Fürsorge: Innovative Ansätze zur Telepflege“ sei eines von zwölf bundesweiten Projekten, teilte die Diakonie am 29. Oktober in Karlsruhe mit. Die Diakonie sei der einzige Projektteilnehmer in Baden-Württemberg.

Beim Modellprogramm sind fünf ambulante Dienste dabei. Dies sind die Diakonie ambulant Schwarzwald-Baar, die Evangelische Sozialstation Karlsruhe, die Diakoniestation Lahr, die Evangelische Sozialstation Nördliche Bergstraße und die Kirchliche Sozialstation Sinsheim. Die technische Umsetzung der Telepflege erfolgt durch den Einsatz von Smartphones, Computern und Tablets, die mit einem zertifizierten Videodienstanbieter verbunden sind.

Ziel: Ältere Menschen sollen länger zu Hause bleiben können

Zum Projekt gehören die Anleitung, Beratung und Schulung von Pflegebedürftigen, professionellen Pflegern und pflegenden Angehörigen. Es soll dazu beitragen, dass pflegebedürftige Menschen länger zu Hause bleiben können. Es gibt audiovisuelle Schulungen zu spezifischen Krankheitsbildern und virtuelle Unterstützung bei pflegerischen Maßnahmen durch examinierte Pflegefachkräfte. Pflegende Angehörige können sich in Beratungsbesuche Ihrer Angehörigen einwählen. Für professionelle Pfleger gibt es einen Videoaustausch.

„Unser Ziel ist es, telepflegerische Anwendungsfelder wissenschaftlich gestützt zu erproben, damit alle Beteiligten besser unterstützt werden“, erklärte Christin Schinke, Referentin für Qualitätsentwicklung, Pflegeausbildung, Fachkräftesicherung und Digitalisierung bei der Diakonie Baden. „Wir möchten herausfinden, ob und wie sich die Versorgung von Pflegebedürftigen durch telepflegerische Anwendungen verbessern lässt und für welche Anwendungsfelder diese Lösungen geeignet sind.“

Versorgungslücken finden und schließen

Ein weiterer wichtiger Aspekt des Projekts sei die Entlastung der Pflegedienste. Durch die Vermeidung von Terminen und Leerzeiten während An- und Abfahrten sollen Personal- und Zeitressourcen freigesetzt und so Versorgungslücken in der Pflege geschlossen werden.

Das wissenschaftlich begleitete Projekt läuft bis zum 31. August 2025. Es wird auch untersucht, welche Anforderungen die Pflegeeinrichtungen bei der technischen Ausstattung erfüllen müssen und welche Qualifikationen das Personal mitbringen muss, um mit dem Einsatz telepflegerischer Lösungen umzugehen.



Pflege

Verbände: Rolle der Fachkräfte bei Reformen ausweiten



Berlin (epd). Mehrere Fachverbände fordern, dass die Pflegeberufe in den geplanten Reformen des Gesundheitswesens eine zentrale Rolle einnehmen. „Das Pflegekompetenzgesetz (PKG) lässt noch Schritte zur Entwicklung dieser Berufsbilder vermissen“, heißt es in einer gemeinsamen Mitteilung des Deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe (DBfK), des Vereins demokratischer Ärztinnen (vdää) und des Vereins demokratischer Pharmazeutinnen und Pharmazeuten (VdPP) vom 30. Oktober. Ähnlich äußerte sich der Arbeitgeberverband Pflege (AGVP).

Die Bundesregierung plant derzeit Reformen für den ambulanten, den stationären und den Notfallbereich. Zusätzlich soll es mit dem Gesundes-Herz-Gesetz Neuerungen bei der Prävention geben. All diese Versorgungsbereiche sind den drei Verbänden zufolge auf neue Berufsbilder und die Umverteilung von medizinischen und pflegerischen Aufgaben zwischen Ärzten und Pflegefachkräften angewiesen. Doch die Fachverbände vermissen im Pflegekompetenzgesetz weitreichendere Weichenstellungen, um diesen Anforderungen gerecht zu werden. Sie fordern, dass künftig Pflegefachpersonen „eine maßgebliche und verantwortungsvolle Rolle im künftigen Berufemix übernehmen können“.

Gegen das Festhalten am Arztvorbehalt

Bernadette Klapper, Bundesgeschäftsführerin des DBfK, rügte, das Festhalten am Arztvorbehalt blockiere eine wirkungsvolle Neuordnung der Versorgungsprozesse. Michael Janßen, Vorstandsmitglied des vdää*, sagte: „Es ist paradox, dass die Ärztinnen und Ärzte sich über Überlastung beschweren, aber gleichzeitig die Kompetenzübertragung auf andere Berufsgruppen hemmen. Die Stärkung der Pflegeberufe muss notfalls auch gegen den Widerstand der organisierten Ärzteschaft durchgesetzt werden.“

Thomas Greiner, Präsident des AGVP, sagte am 30. Oktober: „Den Pflegeprofis in den Heimen wird nicht zugetraut, gute Versorgung eigenständig zu organisieren.“ Wer gute und bezahlbare Pflege für alle wolle, müsse Freiräume für die Pflegefachleute und Einrichtungen schaffen.



Arbeit

Dokumentation

Erklärung des Kolpingwerks zur Zukunft des Mindestlohns




Der Mindestlohn steigt ab Januar auf 12,82 Euro.
epd-bild/Heike Lyding
Im kommenden Jahr feiert der gesetzliche Mindestlohn sein zehnjähriges Bestehen. Inzwischen ist er weithin akzeptiert. Seine Höhe bietet jedoch regelmäßig Anlass zu Diskussionen. Die Umsetzung einer EU-Richtlinie könnte Abhilfe schaffen. Doch bislang zeigt die Bundesregierung kein Interesse an einer fristgerechten Reform. Das Kolpingwerk sieht dringenden Handlungsbedarf. epd sozial dokumentiert die Erklärung des katholischen Verbands.

Knapp zehn Jahre nach seiner Einführung gilt der Mindestlohn als Erfolgsgeschichte. Entgegen früheren Bedenken hat er weder zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit noch zu einer Schwächung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit geführt. Mit 46 Millionen Beschäftigten hat der deutsche Arbeitsmarkt Anfang des Jahres einen Rekordwert erreicht, während der Niedriglohnsektor stetig geschrumpft ist und die Bundesrepublik kürzlich zur drittgrößten Volkswirtschaft nach den USA und China aufgestiegen ist. Nach Berechnungen des Bundesarbeitsministeriums haben von der gesetzlich festgelegten Lohnuntergrenze bislang mehr als sechs Millionen Menschen profitiert.

Mit einem gesetzlichen festgelegten Stundenlohn von mindestens 12,41 Euro verfügt Deutschland zwar inzwischen über ein höheres Mindestlohnniveau. Dies geht allerdings im Wesentlichen auf eine Entscheidung des Bundestages vom Sommer 2022 zurück. Damals wurde eine außerordentliche und deutliche Anhebung auf 12 Euro beschlossen, um sich der international anerkannten Schwelle zur Vermeidung von Armutsgefährdung anzunähern. Ordnungspolitisch hatte dies eine Umgehung der Mindestlohnkommission zur Folge, der laut Gesetz die jährliche Anpassung des Mindestlohns obliegt.

Anpassung des Mindestlohns unterliegt einseitigen Kriterien

Grundlage der jährlichen Mindestlohnerhöhung ist das Mindestlohngesetz. Dieses gibt der paritätisch von Arbeitgeber- und ArbeitnehmervertreterInnen besetzten Kommission einen eng gesteckten Rahmen vor. So bemisst sich die Anhebung des Mindestlohns vorrangig entlang der zurückliegenden Entwicklung der Tariflöhne. Andere volkswirtschaftliche Kenngrößen, wie die Entwicklung der Lebenshaltungskosten, finden keine direkte Berücksichtigung. Der bisher einseitige Bewertungsmaßstab sorgt seit Jahren für kontroverse Diskussionen.

Deutlich wurde dies bei der letzten Mindestlohnerhöhung, die im vergangenen Herbst von Sozialverbänden und Gewerkschaften, aber auch von Seiten der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA) heftig kritisiert wurde. Stein des Anstoßes war eine Erhöhung um lediglich 41 Cent, die angesichts horrender Preissteigerungsraten - vor allem bei Lebensmitteln und sonstigen Gütern des täglichen Bedarfs - unter den Erwartungen blieb. Angesichts dieser moderaten Anhebung vergrößert sich der Abstand des Mindestlohns zur Armutsgefährdungsschwelle erneut. Diese liegt bei 60 Prozent des mittleren Einkommens.

Die im Oktober 2022 verabschiedete EU-Mindestlohnrichtlinie setzt an dieser Problematik an. Sie gibt den Mitgliedsstaaten zwar keine verbindliche Lohnuntergrenze vor. Sie setzt aber einen gemeinsamen Orientierungsrahmen, demzufolge mindestens vier Kriterien bei der Festlegung eines nationalen Mindestlohns zu berücksichtigen sind. Neben der Lohnentwicklung und dem jeweils vorherrschenden Lohnniveau eines Landes gehört dazu die Berücksichtigung von Produktivitätszuwächsen und die Entwicklung der Lebenshaltungskosten. Die Richtlinie sieht eine Umsetzung in nationales Recht bis zum 15. November 2024 vor.

Das deutsche Mindestlohngesetz wird diesem ausgewogenen Bewertungsansatz mit seinem starren Blick auf die Entwicklung der Tariflöhne nicht gerecht. Faktisch ist die Mindestlohnkommission auf dieser Basis kaum noch arbeitsfähig, wie die Uneinigkeit von Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften bei der letzten Mindestlohnerhöhung verdeutlicht hat. So wurde die Erhöhung auf 12,41 Euro entgegen dem Votum der VertreterInnen auf Arbeitnehmerseite durchgesetzt - eine Vorgehensweise, die dem Verständnis von konsensorientierter Sozialpartnerschaft gänzlich widerspricht.

Mindestlohn nicht zum politischen Spielball machen

Ohne eine Reform des Mindestlohngesetzes besteht die Gefahr, dass die Höhe der gesetzlichen Lohnuntergrenze regelmäßig zum Gegenstand von Wahlkämpfen und damit zum Spielball der Politik wird. Dies widerspricht der Idee einer stabilen Mindestlohnentwicklung, die im Einvernehmen zwischen den Sozialpartnern und frei von politischen Eingriffen gesteuert wird. Denn es gehört zum Markenkern der sozialen Marktwirtschaft, dass Lohnpolitik von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite gemeinsam geregelt wird.

KOLPING fordert die Bundesregierung auf, noch in dieser Legislaturperiode eine Reform des Mindestlohngesetzes anzustoßen, die auf Basis der aktuellen EU-Richtlinie einen ausgewogenen Kriterienkatalog zur jährlichen Anpassung der gesetzlichen Lohnuntergrenze definiert. Preissteigerungen müssen neben der Lohnentwicklung genauso Berücksichtigung finden wie auch die Entwicklung der gesamtwirtschaftlichen Produktivität. Beachtung finden sollte auch die Armutsfestigkeit von Löhnen mit Blick auf den Ruhestand. Wer den Großteil seines Lebens in Vollzeit zum Mindestlohn arbeitet, muss im Alter Anspruch auf eine gesetzliche Rente haben, die nicht unter dem Existenzminimum liegt.

Eine Reform des Mindestlohngesetzes kann die Basis dafür schaffen, ein dauerhaft armutsfestes Mindestlohnniveau zu erreichen. Es kann der Mindestlohnkommission darüber hinaus den nötigen Spielraum eröffnen, um die jährlichen Erhöhungen des Mindestlohns wieder in gutem Einvernehmen zu beschließen. Eine Reform könnte auch zum Ziel haben, die Besetzung der Kommission neben VertreterInnen aus Wirtschaft, Gewerkschaften und Wissenschaft um ExpertInnen aus Sozialverbänden zu erweitern.

Bundesvorstand des Kolpingwerkes Deutschland Paderborn/Köln, den 30. August 2024



Betreuung

Kritik an Höhe der Vergütung im Referentenentwurf



Berli (epd). Mehrere Sozialverbände fordern Korrekturen im Gesetzentwurf des Bundesministeriums der Justiz zur Neuregelung der Vormünder- und Betreuervergütung und zur Entlastung von Betreuungsgerichten und Betreuern (VBVG). Der Evangelische Bundesfachverband für Teilhabe (BeB) begrüßt zwar den Ansatz der Reform. Doch hält er den Entwurf an anderer Stelle für unzureichend. Das Wunsch- und Wahlrecht mittelloser Betreuter werde in wesentlichen Punkten eingeschränkt, heißt es in einer am 29. Oktober verbreiteten Mitteilung. Auch die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGF) mahnte Nachbesserungen an.

„Die geplante Reform gefährdet die Betreuungssituation insbesondere für Menschen, die ihrer eigenen Wohnung leben wollen und nicht über ausreichend finanzielle Mittel verfügen“, warnte Frank Stefan, Vorstandsvorsitzender des BeB. „Die moderate allgemeine Erhöhung der Vergütungssätze reicht nicht aus. Sie deckt den Aufwand nicht, sodass viele Betreuungsvereine und Berufsbetreuer und -betreuerinnen gezwungen sein werden, ihr Angebot einzuschränken. Das wird das Wunsch- und Wahlrecht der Betreuten erheblich einschränken.“

Wunsch nach Paradigmenwechsel in der Betreuung

Der BeB fordert zudem eine faire Vergütung für eine assistierende Form von Betreuung, die den Aufwand für die Unterstützung eigenständiger Entscheidungen der Betreuten berücksichtigt. „Der Paradigmenwechsel hin zur assistierenden Betreuung ist dringend geboten“, betonte Stefan. „Dieser Tatsache muss endlich auch vergütungsrechtlich Rechnung getragen werden.“

Ähnliche Bedenken äußerte auch die BAGFW. Sie fordert eine Anpassung der Vergütungsstruktur, weil sich andernfalls die finanzielle Situation der Betreuungsvereine in Deutschland weiter verschärfen werde.

„Die vorgesehenen Vergütungen reichen nicht aus, um die strukturellen Defizite der Vereine zu beheben, die durch langjährige Unterfinanzierung entstanden sind“, betonte Michael Groß, Präsident der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege. Besonders die fehlende Dynamisierung der Vergütung und die unzureichende Berücksichtigung steigender Personalkosten, die durch die anstehenden Tarifverhandlungen 2025 weiter zunehmen werden, sind zentrale Kritikpunkte.

Warnung vor existenzieller Bedrohung

Viele Betreuungsvereine sehen laut Groß in den geplanten Regelungen eine existenzielle Bedrohung. Mit den vorgesehenen Vergütungen können die Vereine ihre tarifgebundenen Mitarbeiterinnen nicht mehr ausreichend finanzieren. Bereits jetzt arbeiteten die Vereine an der Belastungsgrenze. Schon die zurückliegende Vergütungsanpassung im Jahr 2019 habe nicht ausgereicht, um die im Zeitraum von 2005 bis 2019 entstandenen Kostensteigerungen aufzufangen.

Der Referentenentwurf sieht den Angaben nach keine automatische Anpassung der Vergütung an zukünftige Tarif- und Kostensteigerungen vor, sondern nur eine erneute Evaluation. „Diese fehlende Planbarkeit führt dazu, dass viele Betreuungsvereine schließen und Berufsbetreuerinnen sich andere Tätigkeitsfelder suchen müssen“, so Groß weiter.

Die BAGFW hat eine Postkarten-Aktion initiiert, an der jeder Betreuungsverein teilnehmen könne. Ziel sei es, die Politik in den Kommunen auf die Not der Betreuungsvereine aufmerksam wird und sich gegen den geplanten Gesetzesentwurf wendet.

Dirk Baas


Verbände

Malteser: Verbundweite Auszeichnung mit Zertifikat "audit berufundfamilie"



Köln (epd). Der gesamte Malteser-Verbund ist für seine familienbewusste Unternehmenskultur mit dem Qualitätssiegel ‚audit berufundfamilie‘ ausgezeichnet worden. „Damit sind die Malteser die erste Organisation in Deutschland, die dieses Siegel ausnahmslos für alle Unternehmenseinheiten führen darf“, heißt es in einer Mitteilung vom 28. Oktober. Den Angaben nach darf das Prädikat bundesweit an 700 Standorten geführt werden, vom Rettungsdienst über die Pflege bis hin zu Jugendhilfe, Krankenhaus, Hausnotruf und Verwaltung.

Das Zertifikat ‚audit berufundfamilie‘ ist ein Nachweis, der belegt, wie engagiert ein Arbeitgeber in der Förderung der Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Privatleben ist. „Diese Auszeichnung ist eine großartige Anerkennung unserer fortlaufenden Bemühungen und unterstreicht, wie weit wir bereits auf dem Weg zur nachhaltigen Gestaltung einer strategischen, familien- und lebensphasenbewußten Personalarbeit gekommen sind“, so Personalvorstand Ulf Reermann. Mit der Auszeichnung verpflichten sich die Malteser, Beruf, Familie und Leben auch in den kommenden Jahren noch besser miteinander zu vereinbaren.

Neu: Expertenhotline für pflegende Angehörige

Zu den bereits etablierten familienbewussten Angeboten bei den Maltesern zählt zum Beispiel, dass Führungskräfte systematisch dahin entwickelt werden, die Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Leben im Alltag und in den Jahresgesprächen für Mitarbeitende zu berücksichtigen. Wer Angehörige pflegt, wird jetzt auch durch eine Expertenhotline unterstützt. Hinzu kommen Gesundheitstage und Fitnessangebote, kostenfreie Angebote zur mentalen Gesundheit sowie eine Krisenberatung in schwierigen Lebenslagen.

Die nächsten Schritte und Maßnahmen für mehr Familienfreundlichkeit habe man bereits im Blick, hieß es. Darunter befänden sich eine weitere Flexibilisierung von Arbeitszeit- und Arbeitsort, der Ausbau der Unterstützung und Begleitung beim Aus- und Wiedereinstieg vor und nach Familienphasen sowie neue Angebote der betrieblichen Gesundheitsförderung.




sozial-Recht

Kirchengerichtshof

Verzicht auf gesetzliche Mitbestimmungsrechte nicht möglich




Der Kirchengerichtshof hat die Mitbestimmungsrechte bei der Arbeitszeit von Teilzeitbeschäftigten geklärt.
epd-bild/Werner Krüper
Auf gesetzlich verbriefte Mitbestimmungsrechte kann in einer diakonischen Einrichtung nicht verzichtet werden. Das gilt auch dann, wenn die Mitarbeitervertretung mitbestimmungspflichtige Arbeitszeitänderungen ohne ihre Zustimmung zeitweise duldet, entschied der Kirchengerichtshof in Hannover.

Hannover (epd). Bei einseitigen Arbeitszeitanordnungen der Leitung einer diakonischen Einrichtung hat die Mitarbeitervertretung (MAV) einen Unterlassungsanspruch. Nur weil die einseitige Anordnung der Dienststellenführung vorübergehend geduldet wurde, geht damit nicht ein Verzicht der MAV auf ihre Mitbestimmungsrechte einher, entschied der Kirchengerichtshof der Evangelischen Kirche in Deutschland (KGH) in einem am 25. Oktober veröffentlichten Beschluss. In weiteren Entscheidungen klärten die Hannoveraner Richter zudem die Mitbestimmungsrechte bei der Arbeitszeit von Teilzeitbeschäftigten und bei der außerordentlichen Kündigung eines MAV-Mitgliedes.

Im ersten Verfahren ging es um eine diakonische Einrichtung der stationären Altenhilfe im Bereich des Diakonischen Werkes Rheinland-Westfalen-Lippe. Die Dienststellenleitung konnte sich mit der MAV nicht über die monatlichen Dienstpläne, insbesondere die Vertretungsregeln, verständigen. Ein Einigungsstellenverfahren zu den Dienstplänen wurde nicht zu Ende geführt. Als Verhandlungen über ein Ausfallmanagement begonnen wurden, duldete die MAV zunächst kurzfristige Änderungen der Dienstpläne ohne ihre ausdrückliche Zustimmung.

MAV erklärte das Scheitern der Einigung

Danach wurde die MAV nicht mehr über Dienstplanänderungen informiert. Erst vor dem Kirchengericht konnte in einem Gütetermin noch einmal ein Stillhalteabkommen zur Entwicklung eines Ausfallmanagements bis zum 30. November 2022 geschlossen werden. Nach Ablauf der Frist zog die MAV wieder vor das Kirchengericht wegen der Verletzung ihrer Mitbestimmungsrechte und erklärte das Scheitern der Einigung.

Das Kirchengericht entschied, dass das Mitbestimmungsverfahren bei kurzfristigen Ausfällen von Beschäftigten nicht eingehalten werden könne. Die Dienststellenleitung wandte zudem ein, dass sich die MAV zu dem Entwurf eines Ausfallmanagements nicht geäußert habe.

Der KGH betonte, dass die MAV aus ihrem „unstreitigen Mitbestimmungsrecht“ einen Unterlassungsanspruch geltend machen könne. Auch wenn sich die MAV noch in Verhandlungen über ein Ausfallmanagement befinde, bedeute das nicht, dass damit die Geltung gesetzlicher Mitbestimmungsregeln ausgesetzt seien. „Eine solche Duldung ist außerdem unbeachtlich“, so das oberste Kirchengericht. Denn auf Mitbestimmungsrechte könne nicht verzichtet werden.

„Kein alleiniges Gestaltungsrecht“ der Dienststellenleitung

„Der Dienstellenleitung kann damit auch nicht nur vorübergehend das alleinige Gestaltungsrecht in einer mitbestimmungspflichtigen Angelegenheit überlassen werden“, heißt es in dem Beschluss. Sie habe sich auch nicht um eine Entscheidung der Einigungsstelle oder um eine Duldungsverfügung bemüht, so das Gericht.

In einem weiteren Beschluss stärkte der KGH die Rechte von Teilzeitbeschäftigten. Sieht eine Dienstvereinbarung vor, dass die Arbeitszeit generell in Dienstplänen festgelegt wird, über die die MAV mitbestimmt, gelte das auch für die Arbeitszeit eines Teilzeitbeschäftigten.

Im konkreten Fall ging es um eine Physiotherapeutin einer diakonischen Einrichtung in Mitteldeutschland. Die Frau hatte die unbefristete Fortsetzung ihrer Teilzeitbeschäftigung im Umfang von 92,5 Prozent einer Vollzeitstelle beantragt. Die tägliche Arbeitszeit sollte von 7.21 Uhr bis 15.30 Uhr gehen. Die Dienststelle stimmte zwar der Stundenzahl zu, nicht aber der Lage der Arbeitszeit. Denn das Organisationskonzept sehe dienstags immer einen Termin um 17.15 Uhr vor, der besetzt werden müsse. Außerdem könne sie die Arbeitszeit von Teilzeitmitarbeitern ohne Zustimmung der MAV festlegen.

Verweis auf das Teilzeit- und Befristungsgesetz

Die MAV verweigerte ihre Zustimmung zu der beabsichtigten Ablehnung des Teilzeitwunschs. Zu Recht, befand nun der KGH. Die Dienstvereinbarung sehe ein Mitbestimmungsrecht der MAV vor, ohne zwischen Vollzeit- und Teilzeitkräften zu unterscheiden. Nach dem Teilzeit- und Befristungsgesetz hätten Arbeitnehmer einen Teilzeitanspruch, es sei denn, betriebliche Gründe stünden dem entgegen. Das sei hier aber nicht der Fall. Denn in der Dienststelle gebe es 18 Physiotherapeutinnen und -therapeuten, sodass nicht ersichtlich sei, warum nicht einer von ihnen die Dienstagstermine besetzen könne, so das Gericht

Will eine Dienststelle einem MAV-Mitglied fristlos kündigen, muss die MAV dem zustimmen. Eine Verweigerung der Zustimmung muss die MAV zwar begründen. Auf den Umfang der Begründung komme es aber nicht an, so das Kirchengericht. Vielmehr müsse die Dienststellenleitung vor Gericht die Tatsachen vorbringen, die eine fristlose Kündigung rechtfertigen, so der KGH zum Streit um die Kündigung eines stellvertretenden MAV-Vorsitzenden in einer diakonischen Einrichtung der Jugendhilfe der Evangelischen Kirche von Westfalen.

Az.: I-0124/7-2023 (Arbeitszeitanordnung)

Az.: I-0124/1-2022 (Teilzeit)

Az.: II-0124/31-2023 (MAV-Mitglied)

Frank Leth


Landessozialgericht

Kassen müssen drei Versuche bei Kinderwunschbehandlung zahlen



Potsdam (epd). Nach einer Gerichtsentscheidung müssen Krankenkassen bei einer erfolglosen Kinderwunschbehandlung drei Versuche mit der derselben Methode bezahlen. In einer am 29. Oktober bekanntgemachten Entscheidung des Landessozialgerichtes Berlin-Brandenburg in Potsdam verweisen die Richterinnen und Richter auf das Sozialgesetzbuch V. Dort heißt es: „Die Leistungen der Krankenbehandlung umfassen auch medizinische Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft, wenn nach ärztlicher Feststellung hinreichende Aussicht besteht, dass durch die Maßnahmen eine Schwangerschaft herbeigeführt wird; eine hinreichende Aussicht besteht nicht mehr, wenn die Maßnahme dreimal ohne Erfolg durchgeführt worden ist.“

Für die Anzahl der erfolglosen Versuche ist demnach nur auf dieselbe Behandlungsmethode abzustellen. Dass daneben auch weitere erfolglose Versuche mit anderen Methoden unternommen wurden, ist grundsätzlich unbeachtlich, befand das Gericht.

Frau wollte drei Versuche finanziert haben

Geklagt hatte eine Frau, die im August 2019 ihr 40. Lebensjahr vollendete. Sie war zu dem Zeitpunkt bereits Mutter einer Tochter, die im Wege einer sogenannten intracytoplasmatischen Spermieninjektion (ICSI) geboren wurde. Die Klägerin unternahm zwei weitere Versuche mit dieser Methode sowie drei weitere Versuche der Kinderwunschbehandlung mit kryokonservierten Eizellen im Vorkernstadium. Bis auf eine ICSI im Jahr 2015 zahlte die Frau alle Behandlungsversuche selbst.

Lediglich eine im Jahr 2018 durchgeführte ICSI führte zu einer Schwangerschaft mit Fehlgeburt. Im Jahr 2019 unternahm die Klägerin abermals zwei erfolglose Versuche der Kinderwunschbehandlung mittels ICSI. Ihre Krankenkasse lehnte die - vom Gesetz vorgesehene - Übernahme der hälftigen Kosten ab, weil bereits mehr als drei Behandlungsversuche fehlgeschlagen seien. Die hiergegen gerichtete Klage vor dem Sozialgericht Potsdam blieb ohne Erfolg.

Kasse muss Hälfte der Kosten übernehmen

Der 16. Senat des Landessozialgerichts hat der Frau nunmehr recht gegeben und die Krankenkasse verurteilt, die geltend gemachten hälftigen Kosten für die beiden erfolglosen ICSI-Behandlungen im Jahr 2019 zu übernehmen.

Das Gericht betonte, dass unterschiedliche Maßnahmen der künstlichen Befruchtung bei der Zählung der erfolglosen Behandlungsversuche grundsätzlich nicht addiert werden dürfen. Das ergebe sich aus Wortlaut und Zweck der gesetzlichen Regelung. Daher seien die drei erfolglosen Versuche der Befruchtung von kryokonservierten Eizellen nicht mitzuzählen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zugelassen.



Oberverwaltungsgericht

Arzt muss für Wiedererlangung der Approbation Reife zeigen



Saarlouis (epd). Bekommt ein Arzt die Approbation entzogen, weil er eine Frau sexuell genötigt hat, muss er sein Fehlverhalten aufarbeiten und Reife zeigen, ehe er wieder als Arzt arbeiten darf. Zeigt er keine ausreichende Einsicht, könne er weiter als unwürdig zur Ausübung des Arztberufs angesehen werden, entschied das Oberverwaltungsgericht (OVG) des Saarlandes in Saarlouis in einem kürzlich veröffentlichten Beschluss vom 18. September 2024.

Im konkreten Fall ging es um einen Anästhesisten, der schon einmal verurteilt wurde, allerdings wegen dreifachen Abrechnungsbetrugs im April 2005 zu einer Geldstrafe von 250 Tagessätzen. Die Approbationsbehörde widerrief daraufhin die Approbation des Arztes. Das Verwaltungsgericht bestätigte diese Entscheidung.

Zwei Gründe für Entzug der Approbation

Als der Arzt beim OVG die Zulassung der Berufung beantragt hatte, wurde bekannt, dass er am 31. Mai 2010 von einem Amtsgericht zu einer einjährigen Bewährungsstrafe verurteilt worden war. Er hatte die Arzthelferin eines Kollegen, mit dem er bei ambulanten Operationen zusammengearbeitet hatte, sexuell genötigt. Dies war dann erst recht ein Grund für den Verlust seiner Approbation.

Im Juni 2019 beantragte der Kläger die Wiedererteilung der Approbation. Seine private Lebensführung sei untadelig, fachliche Fehler seien ihm nicht vorgeworfen worden. Die sexuelle Nötigung bestritt er. Die Verurteilung beruhe nur auf Bekundungen der Anzeigeerstatterin. Er habe der Frau auch nicht, wie von ihr behauptet, nach der „angeblichen Tat“ nachgestellt.

Betrug eingesehen, Nötigung nicht

Die Wiedererteilung der Approbation lehnte das Verwaltungsgericht Saarlouis ab. Der Antrag auf Zulassung der Berufung blieb vor dem OVG erfolglos. Es fehle bei dem Arzt ein innerer Reifeprozess, in dem er sein Fehlverhalten ausreichend hinterfragt und dieses eingesehen habe. Nur so sei er würdig, den Arztberuf wieder ausüben zu können. Hinsichtlich des Abrechnungsbetrugs habe der Arzt sein Fehlverhalten eingesehen, nicht aber bei der sexuellen Nötigung.

Der Einwand des Arztes, die abgeurteilte sexuelle Nötigung habe mit seiner beruflichen Tätigkeit nichts zu tun gehabt, gehe fehl. Denn die Frau habe sich aus Respekt vor dem Kläger und ihrem Chef nicht getraut, ihn in die Schranken zu weisen. Nach dem Vorfall habe der Arzt sogar die Nähe der Frau gesucht und sie damit in große Angst versetzt. Der Kläger könne die Tat auch nicht mit dem Argument kleinreden, dass die Arzthelferin ja noch nicht einmal zivilrechtlich Schmerzensgeldansprüche geltend gemacht habe, so das OVG.

Az.: 1 A 104/23



Landgericht

Betagter Mieter muss Wohnung nicht wegen Baumaßnahmen räumen



Berlin (epd). Vermieter müssen bei Modernisierungs- und Baumaßnahmen Rücksicht auf betagte und gesundheitlich eingeschränkte Mieter nehmen. Sie können in der Regel nicht verlangen, dass der Mieter für die Dauer der Bauarbeiten seine Wohnung räumt, urteilte am 22. Oktober das Landgericht Berlin II. Das könne ausnahmsweise nur verlangt werden, wenn die notwendigen Instandhaltungsmaßnahmen wegen Baufälligkeit erforderlich sind, so das Gericht.

Im konkreten Fall ging es um einen heute 85-jährigen Mieter, der seit seiner Geburt in einem Berliner Reihenhaus wohnt. Als seine Vermieterin das Haus modernisieren und instandsetzen wollte, stellte sich der Mieter quer.

Urteil: Mieter muss Wohnung öffnen

Eine andere Kammer des Landgerichts verurteilte ihn schließlich 2021 zur Duldung der Baumaßnahmen. Er müsse den Handwerkern nach rechtzeitiger Ankündigung werktags zu den Arbeitszeiten Zutritt zur Wohnung gewähren.

Mit diesem Urteil im Rücken forderte die Vermieterin den Mann auf, zwischen Juli und September 2023 für „Baufreiheit“ zu sorgen und das Haus zwischenzeitlich zu räumen. Denn während der Bauphase sei die Bewohnbarkeit der Immobilie nicht gewährleistet, so die Eigentümerin. Der Mieter lehnte das ab. Er sei nur zur Duldung und Zutrittsgewährung, nicht aber zur Räumung der Wohnung verpflichtet, lautete seine Begründung.

Räumung nur in Ausnahmefällen

Dem stimmte nun auch die 65. Zivilkammer des Landgerichts zu. Der Mieter sei zur „Duldung“ verpflichtet. Das bedeute kein aktives Handeln, sondern beschränke sich auf ein passives Zulassen der Maßnahmen und die Gewährung des Zutritts zur Wohnung. Eine Räumung könne der Vermieter nur unter engen Voraussetzungen verlangen, etwa bei Baufälligkeit des Hauses. Dieser Fall liege hier aber nicht vor, so das Gericht.

Die Vermieterin müsse vielmehr Rücksicht auf den hochbetagten Mieter zu nehmen. Im Gegensatz zu jungen und gesunden Mietern seien gesundheitlich eingeschränkte Mieter „besonders schutzbedürftig“. Das Gesetz gehe von einer Pflichtverletzung des Vermieters aus, wenn eine bauliche Veränderung in einer Weise durchgeführt werde, die geeignet sei, zu erheblichen, objektiv nicht notwendigen Belastungen des Mieters zu führen. Die Rücksichtnahmepflicht bestehe unabhängig davon, ob der Mieter für sich einen Härtefall geltend gemacht habe.

Az.: 65 S 139/24



Verwaltungsgericht

Arbeitsassistenz auch in Elternzeit möglich



Mainz (epd). Eine schwerbehinderte Arbeitnehmerin muss bei einer verringerten Arbeitszeit während der Elternzeit nicht ihren Anspruch auf Kostenübernahme für eine Arbeitsassistenz verlieren. Beträgt die arbeitsvertragliche Wochenarbeitszeit in der Elternzeit weiterhin mindestens 15 Stunden und ruht der reduzierte Arbeitsumfang, muss das Integrationsamt weiterhin eine Arbeitsassistenz ermöglichen, entschied das Verwaltungsgericht Mainz in einem am 18. Oktober bekanntgegebenen Urteil.

Die mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 100 schwerbehinderte Klägerin arbeitete unbefristet als Projektleiterin. Ihre wöchentliche Arbeitszeit betrug laut Arbeitsvertrag 20 Wochenstunden. Damit die Frau ihre Arbeit ausüben kann, hatte das Integrationsamt ihr eine Arbeitsassistenz finanziert.

Gesetzliches Ziel auch bei zeitweiliger Stundenreduktion

Als die Klägerin ein Kind bekam und in Elternzeit ging, reduzierte sie ihre wöchentliche Arbeitszeit auf 10 Stunden. Das Integrationsamt lehnte daraufhin die Bewilligung der Arbeitsassistenz ab. Diese könne nur bei einem förderfähigen Beschäftigungsverhältnis finanziert werden. Eine solches liege vor, wenn der behinderte Mensch mindestens für 15 Stunden wöchentlich beschäftigt sei.

Das Verwaltungsgericht urteilte dennoch, dass die Klägerin die Kostenübernahme für die notwendige Arbeitsassistenz verlangen könne. Das gesetzliche Ziel sei es, schwerbehinderten Menschen zu ermöglichen, sich im Wettbewerb mit nichtbehinderten Arbeitnehmern zu behaupten. Hierfür sei es unerlässlich, dass der Anspruch auf Kostenübernahme für eine Arbeitsassistenz auch bei einer vorübergehenden elternzeitbedingten Verringerung der Arbeitszeit bestehen bleibe.

Entscheidend sei, dass die vertragliche Arbeitszeit weiterhin mindestens 15 Stunden pro Woche betrage. Zwar habe die Klägerin ihre Arbeitszeit während der Elternzeit verringert. Die reduzierte Arbeitszeit stelle jedoch einen ruhenden Teil des Arbeitsverhältnisses dar. Nach dem Ende der Elternzeit lebe der volle vertragliche Umfang wieder auf und diene der Sicherung der wirtschaftlichen Lebensgrundlage.

Az.: 1 K 140/24.MZ




sozial-Köpfe

Diakonie

Thomas Scherrieb übernimmt Leitungsamt bei der Stiftung Liebenau




Thomas Scherrieb
epd-bild/Stiftung Liebenau/Picasa
Wechsel an der Spitze des Geschäftsbereiches Lebensräume und Quartiersarbeit der Stiftung Liebenau in Meckenbeuren: Der bisherige Chef Andreas Schmid übergibt die Leitung des Bereichs sowie mehrerer Quartiersprojekte an Thomas Scherrieb.

Meckenbeuren (epd). Den Wechsel in der Leitung des Arbeitsfeldes Lebensräume für Jung und Alt und der Quartiersarbeit gab Stiftungsvorstand Berthold Broll bei einem Fachtag für alle Gemeinwesenarbeiterinnen und -arbeiter der Stiftung Liebenau bekannt. Dabei hob er hervor, dass Andreas Schmid den gesellschaftsübergreifenden Bereich Lebensräume/Quartiersarbeit trotz seines begrenzten Zeitbudgets wesentlich vorangebracht habe. Er dankte ihm für sein Engagement. „Sie können sich nun wieder zu 100 Prozent auf die Führung der RheinMain Bildung gGmbH in Frankfurt konzentrieren, die unter Ihrer Führung in den vergangenen Jahren ein so dynamisches Wachstum erlebt hat“, so Broll.

Geleitet wird der Bereich Lebensräume und Quartiersarbeit künftig von Thomas Scherrieb, der sowohl mit der Stiftung Liebenau als auch mit den Lebensräumen für Jung und Alt seit Jahrzehnten vertraut ist. Von 1994 bis Anfang 2000 war er für die Stiftung tätig, dann erhielt er einen Ruf ans Kloster Hegne.

Fachliche Steuerungsgruppe unterstützt die Leitung

Dort hat er sich in seiner Funktion als Geschäftsführer 23 Jahre lang sehr engagiert für das Kloster und seine Werke eingesetzt und diese maßgeblich mitgestaltet. Seit Gründung der Stiftung Kloster Hegne im Jahre 2018 bis zu seinem Ruhestand 2023 war er zudem deren Vorstand.

„Expertise und Erfahrung einerseits, aber auch Weitblick und Führungserfahrung andererseits sind die Qualitäten, die uns als Stiftungsvorstand bewogen haben, Herrn Scherrieb diese neue Aufgabe anzubieten“, so Broll.

Unterstützt wird die neue Leitung der Lebensräume/Quartiersarbeit von einer fachlichen Steuerungsgruppe aus der Stiftung Liebenau. Alexandra Stryck wird als Koordinatorin der Geschäftsstelle agieren. Ulrich Kuhn wiederum wird als Zuständiger für die fachliche Konzeptentwicklung sein inhaltliches und fachliches Wissen und seine Erfahrungen in diesem Bereich beisteuern. Aus dem Bereich Finanzen wird Matthias Schyra mit seinem Team seine wirtschaftliche Expertise einbringen.



Weitere Personalien



Fritz Graßmann, Vorstand des Diakonischen Werks Augsburg, ist zum Vorsitzenden des Diakonischen Rats in Bayern gewählt worden. Er ist für die kommenden sechs Jahre mitverantwortlich für die diakonische Arbeit im Freistaat, wo die Diakonie rund 1.260 Mitglieder und mehr als 100.000 Mitarbeitende hat. Matthias Heidler, Geschäftsführer in der Augustinum Gruppe, wurde in der konstituierenden Sitzung des Rats zum stellvertretenden Vorsitzenden gewählt. Pfarrer Jochen Keßler-Rosa, der das Gremium in den vergangenen sechs Jahren leitete, trat aus Altersgründen nicht mehr zur Wahl an und wurde auf der Mitgliederversammlung in den Ruhestand verabschiedet.

Jürgen Bender, der saarländische Pflegebeauftragte, hat am 31. Oktober den Evangelischen Freiheitspreis Saar erhalten. Die evangelischen Kirchenkreise und Kirchenbezirke im Saarland zeichneten ihn für „sein herausragendes Engagement für Pflegebedürftige und deren Angehörige“ sowie im Bereich Arbeitsmarkt und Armutsbekämpfung aus. Der frühere Präsident des Landessozialgerichts erhielt die mit 2.000 Euro dotierte Auszeichnung beim Reformationsempfang in der evangelischen Stadtkirche St. Wendel. Der Preis ehrt seit 2022 Einzelpersonen oder Gruppen, die „besonderes Wirken aus christlicher Motivation“ in Kirche, Ökumene, im Dialoge der Religionen oder in der Gesellschaft zeigen.

Theresia Degener, Juristin und Gründerin des Bochumer Zentrums für Disability Studies (Bodys), verlässt die Evangelischen Hochschule Bochum (EvH Bochum) und geht in den Ruhestand. Degener gelte als „Aktivistin der ersten Stunde“ und setze sich seit mehr als 40 Jahren für die Rechte und die Gleichbehandlung von Menschen mit Behinderung ein, teilte die Hochschule mit. Sie sei unter anderem maßgeblich an der Entstehung der UN-Behindertenrechtskonvention beteiligt und habe das Bodys unter ihrer Führung zu einer wichtigen Institution in der Forschung und Lehre im Bereich der Behindertenrechte geführt, hieß es. Die Heilpädagogik-Experten Kathrin Römisch und Stefan Schache übernehmen nach dem Ausscheiden von Degener die kommissarische Leitung des Zentrums.

Karin Bogoczek, die neue Direktorin der Evangelischen Fachschule für Sozialpädagogik in Stuttgart-Botnang, wird am 7. November in einem Gottesdienst in ihr Amt eingeführt. Nach ihrer einstimmigen Wahl im Juni hat Bogoczek die Schulleitung bereits zum Schuljahresbeginn übernommen. Sie hat nach ihrem Sozialpädagogikstudium und einem Magisterabschluss in Germanistik, Geschichte und Philosophie viele Jahre die Fächer Deutsch und Gemeinschaftskunde unterrichtet. Seit 2019 arbeitete sie als Lehrerin an der Evangelischen Fachschule für Sozialpädagogik Herbrechtingen, die zum selben Trägerverein gehört. Dort war sie in den vergangenen zwei Jahren stellvertretende Schulleiterin. Aktuell bildet die Botnanger Fachschule 270 Erzieherinnen und Erzieher aus, 30 Lehrkräfte unterrichten parallel neun Kurse. Zur Fachschule gehört auch der evangelische Kindergarten.

Virginia Wangare Greiner, Sozialarbeiterin, und die Ärztin Cornelia Strunz sind in Berlin mit dem „HeldinnenAward 2024“ der Alice-Schwarzer-Stiftung ausgezeichnet worden. Die beiden Frauen bekämpften mit ihrem Engagement die Genitalverstümmelung mitten in Deutschland, erklärte die Stiftung zur Begründung. Der Preis ist mit 10.000 Euro dotiert und wurde zum zweiten Mal verliehen. Virginia Wangare Greiner ist in Tansania und Kenia aufgewachsen und lernte dort als junge Sozialarbeiterin ihren Mann kennen, einen deutschen Entwicklungshelfer. 1986 gingen beide nach Deutschland. Sie gründete 1996 den Verein Maisha für afrikanische Migrantinnen und Migranten. Die Geehrte rief zahlreiche Aufklärungskampagnen gegen Genitalverstümmelung in Deutschland ins Leben. Cornelia Strunz behandelt den Angaben zufolge seit 2013 Opfer von Genitalverstümmelung. Die Ärztin arbeitet im Krankenhaus Waldfriede in Berlin-Zehlendorf und veranstaltet Benefizkonzerte für das dortige „Desert Flower Center“, das Opfern von Genitalverstümmelung medizinische Hilfe und psychosoziale Betreuung bietet.




sozial-Termine

Veranstaltungen bis Dezember



November

13.11. Berlin:

Seminar „Der Krankenhaus-Jahresabschluss 2024 - Aktuelle Entwicklungen und Einzelfragen“

der Unternehmensberatung Solidaris

Tel.: 02203/8997-133

19.11. Berlin:

Fallberatung „Kirchliche Besteuerung im Griff“

der Akademie für Kirche und Diakonie

Tel.: 0172/2883106

20.-21.11.:

Online-Fachveranstaltung „Forum Migrationssozialrecht und Integration“

des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge

Tel.: 030/62980-606

27.11. Berlin:

Seminar „Mit Gewaltfreier Kommunikation (GfK) zu mehr Verständnis und Verbundenheit - auch im Konflikt“

der Paritätischen Akademie Berlin

Tel.: 030/27582-8221

27.11. Köln:

Seminar „Der Jahresabschluss gemeinnütziger Einrichtungen - Grundlagen, Besonderheiten, Vorbereitung und Gestaltungsmöglichkeiten“

der Unternehmensberatung Solidaris

Tel.: 0221/20930

Dezember

2.-5.12. Freiburg:

Seminar „Systemische Organisationsentwicklung - Veränderungsprozesse wirksam gestalten“

der Fortbildungsakademie des Deutschen Caritasverbands

Tel.: 0761/200-1700

5.12.:

Online-Veranstaltung „Power statt Pause: Motivation und Gesundheit im Turbo-Check“

der Akademie für Kirche und Diakonie

Tel.: 0173/2637308