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Erklärung des Kolpingwerks zur Zukunft des Mindestlohns




Der Mindestlohn steigt ab Januar auf 12,82 Euro.
epd-bild/Heike Lyding
Im kommenden Jahr feiert der gesetzliche Mindestlohn sein zehnjähriges Bestehen. Inzwischen ist er weithin akzeptiert. Seine Höhe bietet jedoch regelmäßig Anlass zu Diskussionen. Die Umsetzung einer EU-Richtlinie könnte Abhilfe schaffen. Doch bislang zeigt die Bundesregierung kein Interesse an einer fristgerechten Reform. Das Kolpingwerk sieht dringenden Handlungsbedarf. epd sozial dokumentiert die Erklärung des katholischen Verbands.

Knapp zehn Jahre nach seiner Einführung gilt der Mindestlohn als Erfolgsgeschichte. Entgegen früheren Bedenken hat er weder zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit noch zu einer Schwächung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit geführt. Mit 46 Millionen Beschäftigten hat der deutsche Arbeitsmarkt Anfang des Jahres einen Rekordwert erreicht, während der Niedriglohnsektor stetig geschrumpft ist und die Bundesrepublik kürzlich zur drittgrößten Volkswirtschaft nach den USA und China aufgestiegen ist. Nach Berechnungen des Bundesarbeitsministeriums haben von der gesetzlich festgelegten Lohnuntergrenze bislang mehr als sechs Millionen Menschen profitiert.

Mit einem gesetzlichen festgelegten Stundenlohn von mindestens 12,41 Euro verfügt Deutschland zwar inzwischen über ein höheres Mindestlohnniveau. Dies geht allerdings im Wesentlichen auf eine Entscheidung des Bundestages vom Sommer 2022 zurück. Damals wurde eine außerordentliche und deutliche Anhebung auf 12 Euro beschlossen, um sich der international anerkannten Schwelle zur Vermeidung von Armutsgefährdung anzunähern. Ordnungspolitisch hatte dies eine Umgehung der Mindestlohnkommission zur Folge, der laut Gesetz die jährliche Anpassung des Mindestlohns obliegt.

Anpassung des Mindestlohns unterliegt einseitigen Kriterien

Grundlage der jährlichen Mindestlohnerhöhung ist das Mindestlohngesetz. Dieses gibt der paritätisch von Arbeitgeber- und ArbeitnehmervertreterInnen besetzten Kommission einen eng gesteckten Rahmen vor. So bemisst sich die Anhebung des Mindestlohns vorrangig entlang der zurückliegenden Entwicklung der Tariflöhne. Andere volkswirtschaftliche Kenngrößen, wie die Entwicklung der Lebenshaltungskosten, finden keine direkte Berücksichtigung. Der bisher einseitige Bewertungsmaßstab sorgt seit Jahren für kontroverse Diskussionen.

Deutlich wurde dies bei der letzten Mindestlohnerhöhung, die im vergangenen Herbst von Sozialverbänden und Gewerkschaften, aber auch von Seiten der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA) heftig kritisiert wurde. Stein des Anstoßes war eine Erhöhung um lediglich 41 Cent, die angesichts horrender Preissteigerungsraten - vor allem bei Lebensmitteln und sonstigen Gütern des täglichen Bedarfs - unter den Erwartungen blieb. Angesichts dieser moderaten Anhebung vergrößert sich der Abstand des Mindestlohns zur Armutsgefährdungsschwelle erneut. Diese liegt bei 60 Prozent des mittleren Einkommens.

Die im Oktober 2022 verabschiedete EU-Mindestlohnrichtlinie setzt an dieser Problematik an. Sie gibt den Mitgliedsstaaten zwar keine verbindliche Lohnuntergrenze vor. Sie setzt aber einen gemeinsamen Orientierungsrahmen, demzufolge mindestens vier Kriterien bei der Festlegung eines nationalen Mindestlohns zu berücksichtigen sind. Neben der Lohnentwicklung und dem jeweils vorherrschenden Lohnniveau eines Landes gehört dazu die Berücksichtigung von Produktivitätszuwächsen und die Entwicklung der Lebenshaltungskosten. Die Richtlinie sieht eine Umsetzung in nationales Recht bis zum 15. November 2024 vor.

Das deutsche Mindestlohngesetz wird diesem ausgewogenen Bewertungsansatz mit seinem starren Blick auf die Entwicklung der Tariflöhne nicht gerecht. Faktisch ist die Mindestlohnkommission auf dieser Basis kaum noch arbeitsfähig, wie die Uneinigkeit von Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften bei der letzten Mindestlohnerhöhung verdeutlicht hat. So wurde die Erhöhung auf 12,41 Euro entgegen dem Votum der VertreterInnen auf Arbeitnehmerseite durchgesetzt - eine Vorgehensweise, die dem Verständnis von konsensorientierter Sozialpartnerschaft gänzlich widerspricht.

Mindestlohn nicht zum politischen Spielball machen

Ohne eine Reform des Mindestlohngesetzes besteht die Gefahr, dass die Höhe der gesetzlichen Lohnuntergrenze regelmäßig zum Gegenstand von Wahlkämpfen und damit zum Spielball der Politik wird. Dies widerspricht der Idee einer stabilen Mindestlohnentwicklung, die im Einvernehmen zwischen den Sozialpartnern und frei von politischen Eingriffen gesteuert wird. Denn es gehört zum Markenkern der sozialen Marktwirtschaft, dass Lohnpolitik von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite gemeinsam geregelt wird.

KOLPING fordert die Bundesregierung auf, noch in dieser Legislaturperiode eine Reform des Mindestlohngesetzes anzustoßen, die auf Basis der aktuellen EU-Richtlinie einen ausgewogenen Kriterienkatalog zur jährlichen Anpassung der gesetzlichen Lohnuntergrenze definiert. Preissteigerungen müssen neben der Lohnentwicklung genauso Berücksichtigung finden wie auch die Entwicklung der gesamtwirtschaftlichen Produktivität. Beachtung finden sollte auch die Armutsfestigkeit von Löhnen mit Blick auf den Ruhestand. Wer den Großteil seines Lebens in Vollzeit zum Mindestlohn arbeitet, muss im Alter Anspruch auf eine gesetzliche Rente haben, die nicht unter dem Existenzminimum liegt.

Eine Reform des Mindestlohngesetzes kann die Basis dafür schaffen, ein dauerhaft armutsfestes Mindestlohnniveau zu erreichen. Es kann der Mindestlohnkommission darüber hinaus den nötigen Spielraum eröffnen, um die jährlichen Erhöhungen des Mindestlohns wieder in gutem Einvernehmen zu beschließen. Eine Reform könnte auch zum Ziel haben, die Besetzung der Kommission neben VertreterInnen aus Wirtschaft, Gewerkschaften und Wissenschaft um ExpertInnen aus Sozialverbänden zu erweitern.

Bundesvorstand des Kolpingwerkes Deutschland Paderborn/Köln, den 30. August 2024