sozial-Editorial

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Markus Jantzer
epd-bild/Heike Lyding

Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine sollen ab 1. Juni Grundsicherung erhalten und nicht, wie sonst bei Flüchtlingen üblich, Zahlungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Sie werden damit bessergestellt als Geflüchtete aus anderen Krisenregionen. Gibt es hierzulande also zwei Klassen von Flüchtlingen? Migrationsexperten weisen darauf hin, dass in Deutschland Geflüchtete schon immer unterschiedlich behandelt wurden, eine Neiddebatte also verfehlt sei.

Die Covid-19-Impfpflicht in Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen löst überraschende Reaktionen aus: Im Norden Deutschlands vermittelt nun ein Geschäftsmann gezielt ungeimpfte Fachkräfte an Pflegebetriebe. Er verspricht: „Fachpersonal aus Ihrer Umgebung sofort verfügbar!“ Nach epd-Recherchen ist offenbar bisher kein Unternehmen auf das bizarre Personalangebot, das „unbedingt ohne Tests und ohne Maske“ arbeiten will, eingegangen.

Ihre bunten Bauwerke sind ein Hingucker vor vielen Geschäften in ihrer Heimatstadt Hanau. Rita Ebel sammelt Lego-Steine und baut aus den Kunststoffklötzchen Rampen für Rollstuhlfahrer. Damit ist die 64-Jährige, die selbst im Rollstuhl sitzt, so erfolgreich, dass sie inzwischen auch Interessenten im Ausland beliefert. Mehr im epd video.

Ein Krankenhaus kann sich nur Operationen von approbierten Ärzten von der Krankenkasse bezahlen lassen. Sobald ein nur vermeintlicher Arzt mit einem gefälschten Unizeugnis an einem chirurgischen Eingriff mitwirkt, liegt nach einem Urteil des Bundessozialgerichts ein Verstoß gegen das gesetzliche Qualitätsgebot vor, so dass die Kasse nicht zahlen muss.

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Markus Jantzer




sozial-Politik

Krieg in der Ukraine

Hartz IV für Ukrainer sorgt für Diskussionen




Kriegsflüchtlinge bei der Ankunft am Berliner Hauptbahnhof
epd-bild/Christian Ditsch
Ab Juni sollen Ukraine-Flüchtlinge Hartz IV erhalten. Sie werden bessergestellt als andere Geflüchtete, die nur Hilfen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz bekommen. Experten sagen, eine einheitliche Behandlung von Flüchtlingen habe es nie gegeben.

Frankfurt a.M. (epd). Die Hilfsbereitschaft für die ukrainischen Flüchtlinge in Deutschland ist groß: Privatpersonen vermitteln Wohnungen, spenden Geld, Kleidung und Mitgefühl - doch beim Engagement Einzelner bleibt es nicht: Ab 1. Juni haben Flüchtlinge mit ukrainischem Pass nach ihrer Registrierung Anspruch auf Leistungen der staatlichen Grundsicherung - sie erhalten damit die gleiche Unterstützung wie Hartz-IV-Empfänger oder bereits anerkannte Schutzberechtigte. Flüchtlinge aus anderen Kriegs- und Krisengebieten müssen hingegen weiterhin einen Asylantrag stellen. Gibt es in Deutschland zwei Klassen von Flüchtlingen?

Die Diskussion über diese Frage hält Migrationsforscher Jochen Oltmer für irreführend. „Es gab schon immer und es gibt auch weiterhin mehrere Klassen von Schutzsuchenden“, sagte der Professor vom Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien der Universität Osnabrück dem Evangelischen Pressedienst (epd). Als Beispiel nennt der Historiker subsidiär Schutzberechtigte, denen kein Asyl zuerkannt wird, die aber dennoch in Deutschland bleiben dürfen, weil ihnen in ihrem Herkunftsland zum Beispiel durch Bürgerkrieg ein „ernsthafter Schaden“ droht. Einen Daueraufenthaltstitel erhalten sie meist erst nach Jahren.

Als weitere Gruppe von Schutzsuchenden nennt Oltmer rund 220.000 jüdische Kontingentflüchtlinge, die seit 1991 aus den ehemaligen Sowjetrepubliken nach Deutschland geflohen sind. Auch sie hätten Anspruch auf Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch, erklärte der Professor.

Teilhabe-Bedingungen waren noch nie gleich

Auch nach Angaben des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) wurden Flüchtlinge in Deutschland schon immer unterschiedlich behandelt. Dies betreffe „ihre Migrationsverläufe, ihre Bleibeperspektiven und eng damit verknüpft ihre Integrations- und Teilhabe-Bedingungen“, sagte die DeZIM-Leiterin der Abteilung Migration, Ramona Rischke, dem epd.

Einen Bruch sieht die Expertin allerdings im Umgang der EU mit den ukrainischen Kriegsflüchtlingen. Während deren Flüchtlings- und Migrationspolitik in den vergangenen Jahren stark darauf ausgerichtet sei, die EU von Flüchtlingen abzuschotten und deren Aufnahme und Versorgung in Nicht-EU-Staaten zu verlagern, habe sie bei den Ukraine-Flüchtlingen gezeigt, wozu sie in der Lage ist, sagte Rischke.

Syrer und Afghanen reagierten irritiert

Schutzsuchende, die sich im Asylverfahren befinden, seien von der besonderen Behandlung der Ukrainer „zu Recht irritiert“, findet der Vorsitzende des Bundeszuwanderungs- und Integrationsrats (BZI), Memet Kilic. Menschen, die aus Syrien oder Afghanistan geflohen sind, fragten sich, warum nicht auch bei ihnen die für Flüchtlinge vorteilhafte EU-Massenzustrom-Richtlinie aktiviert wurde, sagte er.

Die Geldleistungen, welche die Ukrainer ab Juni nach dem Sozialgesetzbuch erhalten, sind höher als die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Während ein alleinstehender Erwachsener aus der Ukraine hierzulande 449 Euro pro Monat erhält, sind es für Asylbewerber 82 Euro weniger (367 Euro). Auch sind die ukrainischen Kriegsflüchtlinge in Deutschland krankenversichert, während andere Schutzsuchende nur in akuten Fällen medizinisch versorgt werden.

EU-Richtlinie ursächlich für Andersbehandlung

„Auf den ersten Blick mag dieser Punkt nicht wichtig sein“, erklärte der Osnabrücker Migrationsexperte Oltmer. In den letzten Jahren habe es aber immer wieder Todesfälle gegeben, weil Schutzsuchenden ärztliche Leistungen verweigert wurden, fügte er hinzu. Auch würden ihnen therapeutische Behandlungen wie etwa für Traumata vorenthalten.

Den Ausschlag für die Andersbehandlung der ukrainischen Kriegsflüchtlinge hat die Europäische Union (EU) gegeben. Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine hat die EU erstmals die sogenannte Massenzustrom-Richtlinie in Kraft gesetzt. Damit wurde allen ukrainischen Staatsbürgern kollektiv und sofort innerhalb der EU ein Aufenthaltstitel, Zugang zum Arbeitsmarkt, zu Wohnraum, medizinischer Versorgung und zu Schulen zugesprochen.

EU-Richtlinie erspart Hunderttausende Asylverfahren

Der Asylrechtsexperte Constantin Hruschka lehnt es ab von einer Klassenbildung von Geflüchteten in Deutschland zu sprechen. „Ich sehe - aus rechtlicher Sicht - keine zwei Klassen von Geflüchteten“, sagte der Rechtswissenschaftler vom Münchner Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik dem epd. Wegen der Massenzustrom-Richtlinie würden die Ukrainer von Anfang an wie Personen behandelt, die in einem Asylentscheid in Deutschland Schutz erhalten haben.

Hruschka wies darauf hin, dass die EU die Massenzustrom-Richtlinie nach Beginn des Kriegs in der Ukraine deshalb eingesetzt habe, um die Asylverfahren zu entlasten. In die EU-Staaten sind nach UN-Angaben mehr als fünf Millionen Menschen aus der Ukraine geflohen. Für jeden Einzelnen ein Asylverfahren durchzuführen, hätte sehr lange gedauert und deren Zugang zu Integrationsangeboten über Monate verzögert, betont deshalb der DeZIM-Experte für europäische Migrations- und Flüchtlingspolitik, Marcus Engler.

Asylbewerberleistungsgesetz abschaffen

In einem Punkt, mit dem die unterschiedliche Behandlung von Geflüchteten in Deutschland direkt beendet wäre, sind sich die Expertinnen und Experten einig: Sie alle forderten im Gespräch mit dem epd die Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes, das 1993 in Kraft trat, um Asylsuchende aus dem Sozialrecht herauszunehmen und ihnen keinen finanziellen Anreiz zu geben, in der Bundesrepublik Asyl zu beantragen.

Unterstützt wird diese Forderung seit langem von Pro Asyl und dem Paritätischen Wohlfahrtsverband. Im Koalitionsvertrag haben die Ampel-Fraktionen zumindest angekündigt, das Asylbewerberleistungsgesetz „im Lichte der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts weiterentwickeln“ und den Zugang für Asylbewerber zur Gesundheitsversorgung unbürokratischer gestalten zu wollen. Unter Druck gesetzt wurden die Regierungsparteien zuletzt von der Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung, Luise Amtsberg (Bündnis 90/Die Grünen). Sie forderte die Bundesregierung auf, ihre Vorhaben in dem Bereich zügig umzusetzen, „damit die Ungleichbehandlung nicht weiter fortdauert“.

Patricia Averesch


Krieg in der Ukraine

"Round Table" im Kanzleramt für bessere Flüchtlingsintegration




Spieltisch in einer Notunterkunft für Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine
epd-bild/Udo Gottschalk
Die Sozialverbände gehen davon aus, dass viele der Ukraine-Flüchtlinge noch länger in Deutschland bleiben werden. Bei der Integration gibt es viele Baustellen: Sprachkurse, Jobs, Kita- und Schulplätze. Ein Treffen im Kanzleramt sollte Klarheit schaffen.

Berlin (epd). Sozialverbände begrüßen die Initiative der Bundesregierung, mit Ländern, Kommunen und Zivilgesellschaft die Lage der Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine in Deutschland zu verbessern. Dazu gab es am 25. April im Kanzleramt einen ersten „Round Table #Ukraine - gutes Ankommen vor Ort“. Ulrich Lilie, Präsident der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege sagte, „wir sehen uns in der Pflicht, die Versorgung und Integration der geflüchteten Menschen zu unterstützen“. Das aber sei nur gemeinsam mit den Akteuren auf allen politischen Ebenen möglich.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sprach von einem „engen Schulterschluss zwischen Bund, Ländern, Kommunen, zivilgesellschaftlichen Organisationen, Kirchen, Gewerkschaften und Helferinnen und Helfern überall in unserem Land“. Man habe binnen weniger Tage für eine unbürokratische Aufnahme in der gesamten EU gesorgt. Integrations- und Sprachkurse seien unmittelbar geöffnet worden, um ein schnelles und gutes Ankommen zu ermöglichen.

Breiter Austausch mit Kirchen und Zivilgesellschaft

Reem Alabali-Radovan (SPD), Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, die gemeinsam mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zu dem Treffen eingeladen hatte, sagte: „Viele Geflüchtete wollen so schnell wie möglich zurück in ihre Heimat, doch wann das möglich sein wird, ist ungewiss.“ Daher sollten alle die Unterstützung bekommen, die sie brauchen. Diesem Ziel diene der Round Table.

Im Mittelpunkt des Treffens stand nach ihren Angaben der Austausch mit ukrainischen und russischsprachigen Organisationen, Verbänden, Kirchen und Religionsgemeinschaften. Dabei sei es um vier spezielle Handlungsfelder gegangen: die Aufnahme, Verteilung und Unterbringung der Menschen, den Umgang mit besonders hilfebedürftigen Personengruppen, den Arbeitsmarkt sowie die schulische Bildung der geflohenen Kinder und die Aufnahme von Studentinnen und Studenten an deutschen Unis.

Malteser vermissen gesteuerte Verteilung der Menschen

„Die Verteilung der Menschen auf die Landes- und kommunalen Unterkünfte funktioniert nicht“, beklagte der Präsident des Malteser Hilfsdienstes, Georg Khevenhüller. Es gebe derzeit kein Zuweisungssystem - weder vom Bund noch in den einzelnen Bundesländern. „Das führt zu einem starken Stadt-Land-Gefälle.“ Seinen Angaben nach reisen bisher zwei Drittel der Ukrainer, die in kommunalen Unterkünften in ländlichen Regionen ankommen, sofort weiter, weil sie in Städte wollen.

Gleichzeitig forderte Khevenmüller ein Zuweisungssystem und gesetzliche Grundlagen und Erlasse, mit bundesweit gleichen Standards und Leistungen. Die augenblickliche „Parksituation“ in großen Landeseinrichtungen sollte nicht zu einer ungeregelten Dauerunterkunft werden, ergänzte der Präsident: „Unsere Erfahrungen zeigen schon jetzt deutlich, genau wie 2015/2016, dass ein Ankommen sowie die Integration und Teilhabe in kleinen Unterkünften viel sozialverträglicher und besser gelingen als in großen Einrichtungen.“

Diakonie sieht Bund bei der Finanzierung der Hilfen gefordert

Diakonie-Präsident Lilie verwies auf den großen Einsatz etwa der Migrationsfachdienste. „Für diese Angebote muss der Bund die nötigen Mittel bereitstellen“, unterstrich Lilie. Damit die Integration gelingen könne, müssten die Integrationsmöglichkeiten vor Ort und eine gute Versorgungsstruktur die wichtigsten Kriterien für die Zuweisung der Wohnorte sein. Lilie sprach sich zudem dafür aus, den Geflüchteten zügig den Zugang zum Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Auch sollten die Anerkennungsverfahren für mitgebrachte Qualifikationen deutlich vereinfacht werden.

Über die Hälfte der Schutzsuchenden seien in privaten Wohnungen aufgenommen worden, sagte Caritaspräsidentin Eva Welskop-Deffaa. Doch Gastgeber und Geflüchtete müssten jetzt dringend unterstützt werden, damit die Bereitschaft zur Unterbringung weiterbestehe. Um mögliche Konflikte zu vermeiden, brauche es vorherige Beratung, Unterstützung beim Matching und Begleitung während der Aufnahme der Menschen. Welskop-Deffaa: „Ein digitales Vermittlungsportal ist aus unserer Sicht allein nicht ausreichend. Ohne Unterstützung drohen Enttäuschung und Überforderung oder gar ein Abbruch der Aufnahme.“

Schutter: Kinder schnell einschulen

Sabina Schutter, Vorstandsvorsitzende von SOS-Kinderdorf, verwies auf die Bedeutung der Bildung für die Integration. Die Kinder „sollten die Möglichkeit haben, so schnell es geht deutsche Schulen zu besuchen, aber auch am digitalen Unterricht ihrer Heimatschulen teilzunehmen“, sagte Schutter.

Vor allem die unterschiedlichen Bedürfnisse der Kinder mit Kriegserfahrungen müssen berücksichtigt werden. Sie haben eigene, spezifische Bedarfe, etwa im Hinblick auf Bildungsangebote und Zukunftsperspektiven. Darüber hinaus gibt es Kinder, die besonders vulnerabel sind, zum Beispiel Kinder mit Beeinträchtigungen oder Kinder ohne elterliche Fürsorge. Da in ukrainischen stationären Einrichtungen zum Teil auch Kinder mit Beeinträchtigung leben, ist für diese Gruppen die Zusammenarbeit von Jugendhilfe und Eingliederungshilfe erforderlich, am besten vom Zeitpunkt der Evakuierung an - entsprechend sollten Evakuierungsbemühungen schon früh mit den Verteilstellen koordiniert werden.

Auch die schnelle Integration ukrainischer Erwachsener in den Arbeitsmarkt kann laut Schutter gut funktionieren - wenn es Unterstützungsangebote durch Sprachkurse, Beratungen und Kinderbetreuungsangebote für Alleinerziehende gibt und ihre Ausbildungen schnell anerkannt werden. „Viele Frauen sind mit Kindern gekommen und sind derzeit de facto alleinerziehend. Sie sind deshalb besonders darauf angewiesen, Unterstützung zu bekommen.“

Dirk Baas


Krieg in der Ukraine

Hunderte Lehrkräfte aus der Ukraine wollen an Schulen arbeiten




Ukrainische Kinder in einer Schule in Wunstorf.
epd-bild/Matthias Papst
Geflüchtete Lehrerinnen und Lehrer aus der Ukraine wollen auch in Deutschland im Schuldienst arbeiten. Hunderte haben sich beworben. Die designierte Familienministerin Paus will sich für eine unkompliziertere Anerkennung ihrer Abschlüsse einsetzen.

Düsseldorf, Berlin (epd). Hunderte Lehrkräfte aus der Ukraine haben sich an deutschen Schulen beworben. Einige arbeiten bereits als Willkommenskräfte, um den geflüchteten Schülerinnen und Schülern das Ankommen zu erleichtern, wie eine Umfrage der „Welt am Sonntag“ ergab. Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) kündigte an, Geflüchteten aus der Ukraine die Arbeit an deutschen Schulen und Kitas zu erleichtern.

Der Umfrage zufolge haben sich in Hessen bereits 400 Lehrkräfte aus der Ukraine beworben, in Berlin 300, in Rheinland-Pfalz 200, in Baden-Württemberg 280 und in Brandenburg 170. Als Willkommenskräfte für die geflüchteten Schülerinnen und Schüler seien bisher in Bayern 200 Menschen mit ukrainischen Sprachkenntnissen eingestellt worden und in Sachsen 122. Berlin habe 30 ukrainische Lehrkräfte verpflichtet, Hamburg 23, Schleswig-Holstein 23 und Niedersachsen 15. In Sachsen-Anhalt arbeiteten bisher acht Lehrerinnen und Lehrer aus der Ukraine, 14 weitere sollen bald folgen.

Die designierte Familienministerin Paus sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe am 24. April: „Viele Ukrainerinnen, die kommen, sind bestens qualifiziert“. Die Anerkennung der Abschlüsse sei allerdings eine Hürde. Sie werde darüber kurzfristig mit ihren Kolleginnen und Kollegen auf Bundes- und Länderebene sprechen, erklärte die Grünen-Politikerin. „Ich finde: Da muss deutlich mehr gehen.“

Paus erklärte, auch Lernangebote auf Ukrainisch im Internet seien hilfreich für die geflüchteten Kinder und Jugendlichen. Sie sollten den regulären Unterricht aber nicht ersetzen. „Wir müssen alles tun, damit die Integration gelingt“, sagte die Grünen-Politikerin. „Die geflüchteten Kinder sollen wissen, dass sie hier willkommen sind. Kontakt zu Gleichaltrigen ist da enorm wichtig.“

Nora Frerichmann


Krieg in der Ukraine

Steinmeier verspricht ukrainischen Juden Hilfe



Mithilfe jüdischer Organisationen fliehen weiter betagte Holocaust-Überlebende aus der Ukraine nach Deutschland. Bundespräsident Steinmeier nennt Putins Begründung für den Krieg zynisch.

Berlin (epd). Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat aus der Ukraine geflüchteten Holocaust-Opfern die Solidarität der Deutschen versichert. „Vertrauen Sie darauf, dass die Hilfsbereitschaft der Deutschen dauerhaft sein wird“, sagte Steinmeier am 25. April bei einem Besuch einer Berliner Pflegeeinrichtung, in der jüdische Senioren aus der Ukraine aufgenommen wurden.

„Mir bricht es das Herz“

Zugleich dankte er Bundes- und Landesregierungen sowie Kommunen und Hilfsorganisationen für die große Hilfsbereitschaft bei der Aufnahme von Geflüchteten. Bislang sind nach Angaben der Jewish Claims Conference, die zusammen mit der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden Evakuierungen und Aufnahme organisiert, mehr als 70 pflegebedürftige Holocaust-Überlebende aus der Ukraine in elf deutschen Städten aufgenommen worden.

Steinmeier zeigte sich bei dem Treffen mit den vier Frauen und zwei Männern von deren Schicksal betroffen: „Mir bricht es das Herz, Menschen zu begegnen, die zweimal im Leben vertrieben wurden.“ Die Begründung für den russischen Angriff durch Präsident Wladimir Putin, Nazismus und Faschismus in der Ukraine bekämpfen zu wollen, nannte er mit Blick auf das Schicksal der Holocaust-Überlebenden zynisch.

Rüdiger Mahlo von der Claims Conference sagte bei dem Treffen mit Steinmeier, es habe bislang rund 70 Evakuierungen jüdischer Seniorinnen und Senioren aus der Ukraine gegeben. Weitere seien vorgesehen. Die Evakuierungsfahrten erfolgten den Angaben zufolge in der Regel im Krankenwagen. Dabei habe es sich um Menschen gehandelt, die bereits in der Ukraine von jüdischen Organisationen betreut wurden.

Mit dem Roten Kreuz nach Deutschland

Mahlo verwies darauf, dass zu Beginn des Krieges der Großteil der Jüdinnen und Juden in der Ukraine angegeben habe, im Land bleiben zu wollen. Im Gespräch mit Steinmeier versicherten die Menschen im Alter zwischen 82 und 95 Jahren sowie der 62-jährige Sohn einer geflüchteten Frau, möglichst bald wieder in ihre Heimat zurückkehren zu wollen.

Die bislang nach Deutschland geflohenen Holocaust-Überlebenden sind laut Claims Conference in Pflegeheimen in Frankfurt am Main, Düsseldorf, Hannover, Köln, Würzburg, Berlin, München und weiteren Städten untergekommen. Die bettlägerigen Überlebenden wurden dazu in der Ukraine in Ambulanzen bis zur Grenze gefahren. Von dort wurden sie mit Ambulanzen des Roten Kreuzes nach Deutschland gebracht.

Lukas Philippi


Behinderung

Experte: Inklusion in Arbeitswelt muss Standard werden



Berlin (epd). Die Liga Selbstvertretung, ein Bündnis behinderter Menschen, hat am 25. April bei einer Anhörung im Bundestagsausschuss für Arbeit und Soziales von der Politik mehr Engagement bei der Umsetzung der Inklusion im Arbeitsmarkt gefordert. Inklusion und Partizipation müssten zum Standard werden , sagte der Vertreter der Liga, Otmar Miles-Paul. Dem Ausschuss lagen Anträge der CDU/CSU-Fraktion und der Linksfraktion für eine bessere Arbeitsmarktintegration vor.

„Allein die Tatsache, dass über 40.000 - und damit rund 25 Prozent der beschäftigungspflichtigen Unternehmen - keinen einzigen behinderten Menschen beschäftigen, macht deutlich, wie groß der Handlungsbedarf für einen inklusiven Arbeitsmarkt ist“, sagte Paul. Mehr als 160.000 behinderte Menschen seien arbeitslos gemeldet. Hinzu kommen nach seinen Angaben mehr als 300.000 behinderte Menschen, die weit unter dem Mindestlohn in Werkstätten für behinderte Menschen arbeiten müssten.

Während der Corona-Pandemie sei die Arbeitslosigkeit behinderter Menschen zusätzlich angestiegen. Miles-Paul forderte, die Ausgleichsabgabezahlungen für Betriebe mit 20 und mehr Mitarbeitenden, die keinen behinderten Menschen beschäftigen, zu verdoppeln. Der Experte forderte zudem gezielte Hilfen für diejenigen, die von einer Werkstatt für behinderte Menschen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt wechseln wollen.



Bundesregierung

531 Mehrgenerationenhäuser werden 2022 gefördert



Berlin (epd). 531 Mehrgenerationenhäuser (MGH) werden im laufenden Jahr mit Geldern aus dem Bundesprogramm Mehrgenerationenhaus „Miteinander - Füreinander“ (2021 bis 2028) gefördert. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung (20/1422) auf eine Anfrage der Fraktion der Linkspartei hervor, wie der Bundestag am 26. April mitteilte. 88 davon befinden sich in Bayern, 65 im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen. 23 der mit öffentlichen Geldern geförderten MGH gibt es in Mecklenburg-Vorpommern.

Mehr als die Hälfte der Häuser (55,6 Prozent) seien vollständig barrierefrei, heißt es in der Regierungsantwort. Die Förderung teilten sich Bund, Länder und Kommunen zu unterschiedlich großen Teilen.

In den Jahren 2012 bis 2019 seien bis zu 30.000 Euro pro Haus als Bundesförderung gewährt worden, seit 2020 bis zu 40.000 Euro. In der Corona-Pandemie sei die Bundesförderung je MGH 2020 und 2021 auf Antrag um jeweils bis zu 1.000 Euro aufgestockt worden, schreibt die Regierung. Weitere zehn Millionen Euro habe es im gleichen Zeitraum zur Aufstockung der MGH-Förderung im Rahmen des Aktionsprogramms „Aufholen nach Corona für Kinder und Jugendliche“ gegeben.



Gesundheit

Studie kritisiert Klinikschließungen und Bettenabbau



Berlin (epd). Die Bundesländer haben sich einer Studie zufolge trotz gesetzlicher Verpflichtung über Jahre aus der Krankenhausplanung weitgehend zurückgezogen. Unverkennbar sei, dass in den zurückliegenden Jahrzehnten Bettenabbau und Klinikschließungen „das Kernanliegen der Krankenhausplanung waren“, heißt es in der Untersuchung, die am 26. April vorgestellt wurde. In Auftrag gegeben wurde die Studie von der Linken-nahen Rosa-Luxemburg-Stiftung und dem Verein demokratischer Ärztinnen und Ärzte.

Weil die Sparziele im Gesundheitswesen stets Dominanz hatten, sank den Angaben zufolge die Zahl der Akut-Krankenhäuser von 1972 bis 1989 um 629 und zwischen 1991 und 2019 die Zahl der Allgemein-Krankenhäuser noch einmal um 588. Die Reduzierung der Bettenzahlen war demnach noch gravierender: Zwischen 1991 und 2019 sank sie um 150.031, das war ein Viertel des Bestandes.

Steuerung des stationären Sektors

Mit der Einführung des Fallpauschalensystems sei Anfang der 2000er die Pauschalfinanzierung eingeführt worden. Die Folge: Die Krankenhausplanung sei weitestgehend von einer finanziellen Steuerung abgelöst worden, schreiben die Autoren.

Die Bundesregierung hat inzwischen Reformen angekündigt. Eine Expertenkommission soll hierzu ein Konzept erarbeiten. Das „Modellprojekt NRW“ soll dabei als Vorbild dienen. Statt Betten sollen künftig verstärkt Leistungen geplant werden. Das Landesgesundheitsministerium rechnet mit Zusatzkosten von rund 200 Millionen Euro pro Jahr für die Umstrukturierung, darunter die Schließung von Abteilungen oder Einrichtungen sowie die Verlagerung von Leistungen.



Zuwanderung

EU-Kommission will legale Migration nach Europa erleichtern



Brüssel (epd). Die EU-Kommission will die legale Migration nach Europa erleichtern. Sie diene Wirtschaft und Gesellschaft, erklärte die Behörde am 27. April in Brüssel und legte ein Bündel von Maßnahmen vor. Darunter sind Änderungen an den Gesetzen zur kombinierten Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis und zum Status als langfristig Aufenthaltsberechtigter.

Die Richtlinie zur kombinierten Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis soll dem Vorschlag nach die EU-Staaten verpflichten, Anträge von Kandidaten sowohl bei sich als auch aus dem Drittland heraus entgegenzunehmen. Eine weitere Neuerung würde den Migranten das Recht geben, während des Aufenthalts den Arbeitgeber zu wechseln. Die Erlaubnis dürfte zudem bei Arbeitslosigkeit mindestens drei Monate lang nicht zurückgenommen werden.

Recht auf Familienzusammenführung gestärkt

Die zweite Reform betrifft die Richtlinie zum Daueraufenthalt, die Migranten nach fünf Jahren rechtmäßigen Aufenthalts besondere Rechte gewährt. Nach den aktuellen Vorschlägen könnten diese fünf Jahre auch in mehreren Mitgliedstaaten statt wie bisher in ein- und demselben zugebracht werden. Zudem solle künftig unter anderem die Zeit als Student anrechenbar sein. Das Recht auf Familienzusammenführung würde laut Kommission gestärkt.

Die Vorschläge gehen nun an das Europaparlament und die Mitgliedstaaten, die sie ändern und verabschieden können. Neben den Gesetzentwürfen stellte die Kommission ein auf Flüchtlinge aus der Ukraine zugeschnittenes Pilotprojekt vor. Eine Online-Plattform soll ab dem Sommer arbeitssuchende Flüchtlinge und Arbeitgeber in der EU zusammenbringen.

Jährlich kommen laut Kommission etwa zwei bis bis drei Millionen Drittstaatenangehörige legal in die EU. Das gleiche Knappheit an Arbeitskräften aus und unterstütze die wirtschaftliche Erholung nach der Corona-Krise. Zudem stärke legale Migration die Kooperation mit den Herkunftsstaaten und reduziere illegale Migration, die auf 125.000 bis 200.000 Ankünfte pro Jahr beziffert wird.




sozial-Branche

Corona

Portal "Helden-Transfer" vermittelt ungeimpfte Pflegekräfte




Vermittlungsversuch von "Pflege-Helden" per Fax
epd-bild/Dieter Sell
Es gibt keine Impfpflicht im Gesundheitswesen: Das jedenfalls behauptet ein Mann, der im Netz ein Vermittlungsportal für ungeimpfte Pflegekräfte aufgebaut hat. Mit vorläufigen Impfunfähigkeitsbescheinigungen will er den Weg zu neuen Jobs anbahnen.

Jesteburg (epd). Aus dem Faxgerät eines ambulanten Pflegedienstes in Bremen rollt langsam ein Blatt Papier. „Ein Traum wird für Sie wahr: Fachpersonal aus Ihrer Umgebung sofort verfügbar!“, verspricht die „Personalanfrage“ auf dem Bogen. Absender ist das Internet-Portal „Helden-Transfer“ aus Jesteburg bei Hamburg. Im weiteren Verlauf gibt es genauere Angaben: Eine 45-jährige Altenpflegekraft ist auf der Suche nach einem neuen Job „unbedingt ohne Tests und ohne Maske“. Unter Impfstatus steht ergänzend: „Ungeimpft mit vorläufiger Impfunfähigkeitsbescheinigung.“

„Es ist absurd“

Seit Mitte März gibt es eine bundesweite einrichtungsbezogene Corona-Impfpflicht für Beschäftigte in Krankenhäusern und in der Pflege. Ohne Nachweis droht ein Beschäftigungsverbot, das kommunale Gesundheitsämter aussprechen können. „Es ist absurd“, schimpft der Geschäftsführer von „Helden-Transfer“, Markus Bönig. „Waren Pflegekräfte und medizinisches Personal vor knapp einem Jahr in der Öffentlichkeit noch Helden, wird nun mit aller Kraft versucht, diese tapferen Menschen, die bewusst ungeimpft sind, zu vergraulen und sogar in die Berufsunfähigkeit zu treiben.“

„Helden-Transfer“ hat es sich zur Aufgabe gemacht, „alle Arbeitgeber zu finden, die diese Pflegekräfte gerne einstellen würden“. Das funktioniert Bönig zufolge, weil es nach seinen Worten gar keine Impfpflicht im Gesundheitswesen gibt: „Vom Bundestag beschlossen wurde lediglich eine Vorlagepflicht eines Immunitätsnachweises oder eines Impfunfähigkeitsnachweises beim Arbeitgeber. Das scheint das Gleiche zu sein, ist es aber rechtlich nicht.“ Der Staat verpflichte nicht zur Impfung selbst, sondern nur zur Vorlage eines Impfnachweises oder eines Nachweises, dass eine Impfung aus medizinischen Gründen etwa wegen Allergien nicht möglich sei.

Etwa 900 Suchende haben sich Bönig zufolge bereits auf seinem Portal registriert, das für die Pflegekräfte kostenlos ist. Im Erfolgsfall, also wenn ein Vertrag geschlossen wird, erhält der Arbeitnehmer eine Prämie in Höhe eines Monatsgehaltes. Die soll der neue Arbeitgeber zahlen, dazu noch ein weiteres Monatsgehalt, das als Vermittlungsvergütung an Bönig geht. „Wir haben etliche Anbahnungen auf den Weg gebracht“, ergänzt der „Helden-Transfer“-Geschäftsführer. Über Vertragsabschlüsse habe er noch keinen Überblick.

Die Staatsanwaltschaft ermittelt

Über das Portal www.liberation-express.de - Geschäftsführer ist ebenfalls Bönig - erhalten Interessierte „in wenigen Minuten“ eine vorläufige Impfunfähigkeitsbescheinigung, so dass die Regelungen zur einrichtungsbezogenen Corona-Impfpflicht „nicht greifen“. Bönig kassiert 17,49 Euro für die „privatgutachterliche Stellungnahme“ per Mausklick - ein umstrittener Weg. Es geht um Fragen der ärztlichen Sorgfaltspflicht.

Eine derartige „Bescheinigung“ sei in keiner Weise mit einem gewissenhaften ärztlichen Handeln vereinbar, meint der Sprecher der Ärztekammer in Niedersachsen, Thomas Spieker. Mittlerweile ermittelt die Staatsanwaltschaft Stade. Im Raum stehe der Vorwurf der Fälschung von Gesundheitszeugnissen, sagte ein Sprecher der Anklagebehörde dem Evangelischen Pressedienst (epd): „Geprüft wird, ob ein strafrechtlich relevantes Verhalten vorliegt.“

Unterdessen klagen unter anderem Arbeitgeber vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe gegen die einrichtungsbezogene Covid-Impfpflicht. Sie wollen weiterhin ungeimpfte Personen beschäftigen. „Dein bisheriger Arbeitgeber wusste dich nicht zu schätzen, nur weil du gesund bist und nicht an einem gentechnischen Experiment teilnehmen möchtest“, spricht Bönig Pflegekräfte an. Und stellt in Aussicht: „Wir finden alle klugen Arbeitgeber für dich, die wissen, dass es natürlich möglich ist, Ungeimpfte weiter zu beschäftigen.“

Dieter Sell


Armut

Mittagstisch setzt auf Spendenkampagne




Besucher eines Mittagstischs
epd-bild/Udo Gottschalk
Erhöhte Nachfrage, weniger Spenden, steigende Preise: Suppenküchen im Norden bekommen zunehmend Schwierigkeiten. In Neumünster soll eine Online-Spendenkampagne das Problem lösen.

Neumünster (epd). Mittagstisch- und Suppenküchen-Angebote für Bedürftige in Schleswig-Holstein stehen zunehmend vor Problemen. Die Nachfrage nach warmen Mahlzeiten steigt, aber Lebensmittelhändler spenden weniger Ware, heißt es beispielsweise von der Diakonie Altholstein. Eine Online-Spendenkampagne soll das Mittagstisch-Angebot in Neumünster jetzt retten - „damit die Besucherinnen und Besucher auch weiterhin Leib und Seele gestärkt bekommen“, heißt es im Spendenaufruf.

Rückgang an Spenden

Der Mittagstisch in Neumünster richtet sich an Wohnungslose und Bedürftige. Ein ehrenamtlicher Koch bereitet Speisen in der Küche der Tages- und Übernachtungsstelle zu. „Jeder bekommt hier einen Teller Essen, richtig schön hergerichtet“, sagt Melanie Popp, Fachbereichsleiterin der Wohnungslosenhilfe Neumünster. Im Gegensatz zu Tafel-Angeboten, die ausschließlich von Handel und Industrie gespendete Lebensmittel weiter verteilen, dürfen Mittagstisch- und Suppenküchen-Betreiber auch selbst Waren einkaufen. Inzwischen sind allerdings höchstens 30 Prozent der verwendeten Lebensmittel Spenden, erzählt Melanie Popp, „vor dem Krieg in der Ukraine ist das Verhältnis umgekehrt gewesen“.

Ein Grund sei, dass seit dem Ukraine-Krieg deutlich weniger Lebensmittelspenden des Einzelhandels eingehen als in der Vergangenheit: „Das ging gleich in der ersten Woche los“, sagt Melanie Popp. Sie vermutet, dass der Spendenrückgang auch mit gestörten Lieferketten zusammenhängt. Außerdem liefert der Handel selbst Lebensmittelspenden in die Ukraine. Das sei ist zu begrüßen, führe in Neumünster aber zu einer Verknappung, sagt Popp.

Höhere Lebensmittelkosten

Ähnliche Probleme hat die „Suppengruppe“ der Kirchengemeinde St. Georg-Borgfelde in Hamburg. Lebensmittelspenden erhält sie überwiegend von der Hamburger Tafel, sagt Gottfried Vogt aus dem Team. Doch auch die beklagt infolge des Ukraine-Kriegs „einen deutlichen Rückgang an Lebensmitteln, was sich naturgemäß bei uns auswirkt“. Hinzu kommen auch hier Lieferengpässe und steigende Preise, durch die die Gruppe Schwierigkeiten hat, ausreichend Lebensmittel zuzukaufen.

In der Suppenküche der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinde Schleswig ist die erhöhte Nachfrage schon seit dem vergangenen Jahr zu spüren, sagt Sprecherin Sabine Hinze. Auch wenn ihre Einrichtung noch ausreichend Spenden für den Einkauf bekommt, „spüren wir die höheren Lebensmittelkosten“.

Melanie Popp will das Mittagstisch-Angebot in Neumünster unbedingt aufrechterhalten. Die Online-Spendenkampagne bezeichnet sie als einen Versuch. 1.000 Euro lautet das Spendenziel.

Marcel Maack


Armut

Landesvorsitzender: Viele Tafeln am Limit




Peter Zilles
epd-bild/Tafel Bayern e.V.
Wohin man hört, die Klagen werden lauter: Viele Tafeln, die Bedürftige mit gespendeten Lebensmitteln versorgen, sehen sich an der Grenze ihrer Belastbarkeit.

Bayreuth (epd). „Bei einigen kleineren Tafeln sehen wir bereits, dass die Zahl der Ukraine-Flüchtlinge, die zu uns kommen, die Zahl der Altkunden übersteig“, berichtet Peter Zilles, Vorsitzenden der Tafeln in Bayern. Das sei „in Einzelfällen fürs Ehrenamt kaum mehr zuzumuten“. Man versuche dennoch, der Lage Herr zu werden. Noch gelinge das, doch wenn der Krieg noch länger andauere, müssten Wartelisten eingeführt werden. Die Fragen an den Tafelvorsitzenden stellte Dirk Baas.

epd sozial: Viele Flüchtlinge aus der Ukraine wenden sich bereits an die Tafeln, um Lebensmittel zu bekommen. Wie groß ist der Zulauf?

Peter Zilles: Der Zuwachs an Flüchtlingen ist sehr groß, das treibt uns seit vier Wochen um. Man muss das schon einen massiven Andrang an Neukunden nennen. Bei einigen kleineren Tafeln sehen wir bereits, dass die Zahl der Ukraine-Flüchtlinge, die zu uns kommen, die Zahl der Altkunden übersteigt. Das stellt die Helferinnen und Helfer dort vor erhebliche Probleme und ist in Einzelfällen für ein Ehrenamt kaum noch zumutbar. Besonders kleine Tafeln sind von den Räumlichkeiten, aber auch von der Menge der Lebensmittel, die sie in den Geschäften abholen, auf solch einen Zuwachs nicht vorbereitet. Diese Tafeln fahren am Limit oder sind bereits darüber hinaus.

epd: Daran sind ja die Kommunen nicht unschuldig ...

Zilles: Das stimmt, denn die Flüchtlinge werden oft von den Behörden direkt zu uns geschickt. Obwohl ja die Kommunen zunächst für die Versorgung der Menschen zuständig sind. Aber so werden wir quasi in die Pflicht genommen, uns zu kümmern und so eine staatliche Aufgabe zu übernehmen.

epd: Wie bekommen die Tafeln das organisatorisch in den Griff?

Zilles: Das ist nicht immer leicht. Wir müssen grundsätzlich die Bedürftigkeit der Menschen prüfen, die zu uns kommen. Jetzt sind wir durch den Krieg in einer Krisensituation. Die zuständigen Behörden brauchen aber mancherorts drei bis fünf Wochen für die Registrierung. In dieser Zeit müssten die Flüchtlinge ohne Unterstützung bleiben. Das kann man nicht machen. Wir helfen unbürokratisch, die Menschen bekommen Lebensmittel, aber auch immer den Hinweis: Sobald sie Dokumente bekommen haben, müssen sie diese auch vorlegen. Wir als Landesverband haben den Tafeln empfohlen, hier sehr flexibel im Sinne der Nächstenliebe zu handeln. Ich bin aber überzeugt, wenn der Krieg nicht noch Monate dauert, dann werden wir das hinkriegen, auch wenn die Aufgabe gewaltig ist.

epd: Und wenn nicht?

Zilles: Die Antwort kann nur hypothetisch sein. Die eine oder andere Tafel wird das meistern, wenn noch deutlich mehr Flüchtlinge kommen und auch länger bleiben. Bei vielen Tafeln wird es wahrscheinlich nur weitergehen können, wenn Wartelisten eingeführt werden.

epd: Welche Rolle spielen die gestiegenen Lebensmittelpreise und die Energiekosten beim Kundenzuwachs?

Zilles: Dadurch kommen schon auch mehr Menschen zu den Tafeln, das sehen wir. Aber der prozentuale Zuwachs ist im Vergleich zu den Flüchtlingen relativ gering. Nehmen wir das Beispiel Nürnberg. Die dortige Tafel unterstützte pro Woche rund 4.000 Personen. Vor gut zwei Wochen waren es 3.200 Menschen mehr. Das erleben wir in unterschiedlicher Ausprägung überall in Bayern. Stündlich werden es mehr Menschen, der Zustrom reißt nicht ab.

epd: Wie ziehen sich die Tafeln aus der Affäre, denn die zu verteilenden Spenden sind ja endlich? Müssen schon Hilfebedürftige weggeschickt werden?

Zilles: Das wäre die ultima ratio. Das wollen wir natürlich auf jeden Fall vermeiden. Wir versuchen, den Mangel, wo er denn besteht, so lange zu verwalten, wie es irgendwie geht. Aber richtig ist, dass es Überlegungen gibt, die Zahl neuer Klienten zu reduzieren. Doch wen wollen Sie ausschließen? Wen nimmt man auf, wen nicht. Ganz schwierig. Mancherorts gehen die Lebensmittelspenden der lokalen Geschäfte stark zurück, anderorts ist es eher schwierig, genügend Personen zu haben, die die Waren abholen, sortieren und auch ausgeben. Auf Dauer, das ist klar, können wir die Unterstützung der Geflüchteten nicht alleine stemmen. Da ist die Politik, da sind die Länder und Kommunen in der Pflicht, uns zu helfen.

epd: Wie blicken die Altkunden auf die nun vermehrt ankommenden Flüchtlinge. Läuft der Tafel-Alltag ohne Konflikte ab?

Zilles: Wir hatten große Befürchtungen, auch mit Blick auf die verschiedenen Nationalitäten, die vor der Tür standen. Wir haben natürlich Russlanddeutsche als Kunden, jetzt auch Ukrainer. Doch alles scheint gut zu laufen. Mir wurde nur ein einziger Vorfall eines Konfliktes gemeldet. Da war aber wohl zu viel Alkohol im Spiel. Aber es gibt auch positive Signale der gegenseitigen Unterstützung. So übersetzen Russen jetzt für die Kunden aus der Ukraine. Dass es ein Grummeln gibt bei Altkunden, wenn plötzlich viel mehr Menschen in der Warteschalge stehen, das kennen wir natürlich. Aber das gab es auch in der Vergangenheit. 2015 war das nicht anders.

epd: Konnten sich die Tafeln auf Basis der Erfahrungen vor sieben Jahren jetzt besser vorbereiten?

Zilles: Das wäre schwierig. Denn die Flüchtlinge aus der Ukraine kamen sehr überraschend, quasi von heute auf morgen. Aber für uns war klar, als der Krieg ausbrach, dass wir mit mehr Kunden würden rechnen müssen. Wir hatten etwa zwei Wochen Vorlauf, bis es dann losging mit den Neuankömmlingen. Erst in der dritten, vierten Kriegswoche sind die Zahlen exorbitant gestiegen. Eine Erfahrung aus der Flüchtlingskrise 2015 war, dass man mehr Langmut bei der Ausgabe von Lebensmitteln zeigen muss. Da muss man mit viel Verständnis herangehen. Die Kunden müssen die Abläufe und Vorgaben einer Tafelausgabe erst einmal kennenlernen. Denn sie haben auf der Flucht auch gelernt, wer vorne steht, kommt mit und die anderen bleiben zurück. Doch bei uns gilt: Auch wer länger wartet, bekommt noch etwas mit nach Hause.



Kirchen

Bahnhofsmission: Schnelle und unkomplizierte Hilfe am Gleis




Barbara Thoma und Bettina Spahn (re.) leiten die Münchner Bahnhofsmission.
epd-bild/Rudolf Stumberger
Die Bahnhofsmission München besteht seit genau 125 Jahren. Seit 1897 ist sie eine erste Anlaufstelle für Menschen, die Hilfe suchen.

München (epd). Der Münchner Hauptbahnhof bei Nacht. Alles scheint ruhig. Die Geschäfte sind geschlossen. Nur in den Räumen der Bahnhofsmission am Gleis 11 brennt noch Licht. An sieben Tagen die Woche ist 24 Stunden lang der Schalter der Mission besetzt. Auch in der Nacht halten die etwa 20 Haupt- und die rund 140 Ehrenamtlichen die Stellung. In diesem Jahr feiert die Münchner Bahnhofsmission, die in evangelischer und katholischer Trägerschaft steht, ihr 125-jähriges Bestehen.

Menschen ohne Wohnung, ohne Essen, ohne Geld

Zur Bahnhofsmission kann jeder Mensch kommen, der Hilfe sucht. Heute sind das oft Menschen ohne Wohnung, ohne Essen, ohne Geld. Die Mission bietet viele niederschwellige Angebote ohne aufwendige Bürokratie: Eine Tasse heißen Tee, ein Brot, aber auch Beratung und Vermittlung an andere Stellen. Barbara Thoma, evangelische Leiterin der Bahnhofsmission, schätzt die Flexibilität, mit der sie und ihr Team schnell Hilfe leisten können. Rund 70 Menschen beraten die Mitarbeiten täglich, etwa 500 Kontakte mit Hilfesuchenden hält das Team aufrecht.

„Für viele Menschen ist die Bahnhofsmission die erste Anlaufstelle, um Hilfe zu bekommen“, sagt Thoma, die sich die Leitungsarbeit mit Bettina Spahn von katholischer Seite teilt. Dabei ist die Mission eine Art Seismograph: Probleme und Themen, die sich in den schlichten Räumen an Gleis 11 häufen, spielen oft mit etwas zeitlichem Versatz auch gesamtgesellschaftlich eine Rolle. Die Bahnhofsmission könne daher als eine Art Frühwarnsystem für die Gesellschaft fungieren, findet Thoma.

In der Gründungszeit der Münchner Bahnhofsmission Ende des 19. Jahrhunderts nahmen vor allem junge Mädchen und Frauen Hilfe in Anspruch. Viele von ihnen kamen vom Land und suchten in der Stadt nach Arbeit und einem besseren Leben. Das böse Erwachen folgte oft schon bei der Ankunft am Münchner Bahnhof: Organisierte Händler nutzten ihre Unbedarftheit aus, boten ihnen Arbeitsplätze mit schlechten Bedingungen oder verkauften sie als Prostituierte im In- und Ausland.

Die erste katholische Bahnhofsmission Deutschlands

Diese Probleme sah die in Schweden geborene Frauenrechtlerin Ellen Amman und beschloss im Jahr 1897 zusammen mit dem „Marianischen Mädchenschutzverein“, am Münchner Hauptbahnhof die erste katholische Bahnhofsmission Deutschlands zu eröffnen. Kurz nach der katholischen eröffnete auch die evangelische Bahnhofsmission in der Landeshauptstadt.

Beide Stellen waren von Anfang an durch das Ziel verbunden, jungen Frauen Schutz und Beratung zu bieten sowie ihnen bei der Vermittlung von Arbeit und Unterkunft zu helfen. Im Jahr 1910 führte das gute Miteinander der beiden Institutionen zur Gründung der „Konferenz für Kirchliche Bahnhofsmission“. Heute tragen das Evangelische Hilfswerk und der katholische Verband „In Via“ die Arbeit am Münchner Hauptbahnhof gemeinsam. Die gegenseitige ökumenische Wertschätzung ist laut Thoma bis heute spürbar.

Die Zusammenarbeit mit der Stadt München und der Deutschen Bahn verlaufe ebenfalls gut, sagt Thoma. Zwar haben die Bahnhofmissionen einen Mietvertrag über die genutzten Räumlichkeiten der Deutschen Bahn: „Miete müssen wir aber nicht zahlen.“

Auch im neuen Gebäude des Münchner Hauptbahnhofs, das bislang nur anhand einer Großbaustelle zu erahnen ist, sei für die Bahnhofmission weiterhin Platz eingeplant. 400 Quadratmeter, verteilt über zwei Stockwerke, sollen der Bahnhofsmission dann zur Verfügung stehen. Um 1900 sah das noch ganz anders aus: Damals arbeiteten die 17 ehrenamtlichen Frauen an einem abschließbaren Schreibtisch in der Wartehalle für die 3. Klasse.

Nicht geändert hat sich jedoch das Motto des Teams: „Schnell und unkompliziert jedem Menschen helfen“, das wollen Barbara Thoma und Bettina Spahn mit ihrem Team der Bahnhofsmission immer - egal wie die Räume aussehen.

Barbara Krauße


Behinderung

"Lego-Oma" arbeitet jede freie Minute an der Barrierefreiheit




Rita Ebel werkelt in ihrer Küche an einer Rampe aus Legosteinen.
epd-bild/Christian Schmidt
Seit 2019 sammelt die Hanauer Rentnerin Rita Ebel gebrauchte Legosteine und baut daraus Einfahrhilfen für Rollstühle, Rollatoren und Kinderwagen. Inzwischen haben sie und ihr Team 78 kleine Rampen gefertigt. Und ihr Beispiel macht Schule.

Hanau (epd). Rita Ebel verbaut am Tag wahrscheinlich mehr Legosteine als die gesamte Rasselbande einer Kita. Seit 2019 fertigt die Hanauerin in ihrer Küche aus dem bunten Steckspielzeug Einfahrhilfen für Rollstühle, Rollatoren und Kinderwagen. Unterstützt wird sie dabei von Ehemann Wolfgang, Tochter Melanie, Enkelin Nora und fünf weiteren Helferinnen und Helfern. „Wir verwenden nur gebrauchte und gespendete Steine“, betont die „Lego-Oma“, wie sie liebevoll genannt wird. „Sie werden uns aus allen Regionen Deutschlands, aber auch aus Österreich und der Schweiz zugeschickt.“

1,8 Tonnen Spielsteine für 78 Rampen

Die 64-Jährige ist seit einem Unfall 1996 selbst auf den Rollstuhl angewiesen und weiß, wie viele Hindernisse bei einem Ladenbummel oder bei der Benutzung von Bussen und Bahnen auf gehbehinderte Menschen warten. Da ist es kein Wunder, dass die energiegeladene Frau mit dem Kurzhaarschnitt und der großen Brille selbst unermüdlich zum Verschwinden der Barrieren beiträgt.

Die Idee für den Rampenbau stamme von anderen Rollifahrern, erzählt die „Lego-Oma“. „Inzwischen ist sie auch in 50 anderen Städten in Deutschland, Frankreich, Österreich und der Schweiz angekommen und wird teilweise schon umgesetzt.“ Rita selbst investiert neben ihrem Teilzeitjob im Sanitätshaus fast jede freie Minute für den Bau der bunten Rampen. Darüber hinaus fällt eine Menge Verwaltungsarbeit an. „Ich sitze allein rund zwei Stunden am Tag vor dem PC, um Anfragen etwa nach der Bauanleitung zu beantworten, die inzwischen in neun Sprachen erschienen ist.“

Die angelieferten Steine werden zunächst von Wolfgang Ebel nach Größen, Formen, und Farben sortiert. Dann schlägt die Stunde der Bau-Teams, meist arbeiten Rita und Enkelin Nora sowie Tochter Melanie und ihre Freundin zusammen. Auf Granulatplatten fügen sie Steinchen für Steinchen aneinander und fixieren sie mit einem Dichtkleber.

„Für eine einspurige Rampe mit zehn Zentimeter Höhe benötigen wir zehn bis zwölf Kilo Steine“, schätzt Rita Ebel. „Das kann zehn Stunden dauern, wenn Logos und Bilder gesetzt werden bis zu 50 Stunden.“ Bisher seien in ihrer Wohnung 78 Rampen entstanden. 1,8 Tonnen Spielsteine mussten dafür verbaut werden.

„Toller Hingucker“

Ihre ein- und zweispurigen Rampen liegen vor zahlreichen Läden, Cafés, Stadtbüros und Versicherungsagenturen in und um Hanau. Dort sind meist auch Lego-Sammelstellen angedockt. Die Inhaber sind meist Fans von Oma Rita. „Dasselbe gilt sicher auch für die Menschen, die mit Rollstühlen, Rollatoren und Kinderwagen unterwegs sind“, wie Thorsten Schuster betont. Die Rampen machten bewusst, wie viele Hindernisse es im öffentlichen Raum gebe, und stachelten dazu an, sie zu beseitigen, sagt der Leiter einer Versicherungsagentur. „Außerdem sind sie ein toller Hingucker“.

Rita Ebel freut sich sehr darüber, dass das Rampenbau-Projekt so gut ankommt. „Die vielen positiven Rückmeldungen und das Lob der Menschen motivieren uns. Wir machen so lange weiter, bis keine Lego-Steine mehr gespendet werden.“ Angesichts der Tatsache, dass der Hersteller im dänischen Billund bisher rund 500 Milliarden Spielsteine verkauft hat, kann das noch sehr lange dauern.

Dieter Schneberger


Pflege

Verband fordert schnellere Anerkennung von Flüchtlingen




Bernd Meurer
epd-bild/bpa/Juergen Henkelman

Berlin (epd). Dem Verbandspräsidenten privater Pflege-Unternehmen bpa, Bernd Meurer, gehen die Anerkennungsverfahren für Flüchtlinge zu langsam. Sie seien „dringend beschleunigungsbedürftig“, sagte er in einem epd-Gespräch. „Wir sind angesichts der demografischen Entwicklung froh um jede Kraft, die in deutschen Pflegeeinrichtungen tätig wird“, sagte Meurer. „Wer in die Pflege will, sollte jederzeit unkompliziert zuwandern können und anerkannt werden“, forderte er nicht nur für den aktuellen Zustrom von Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine, sondern für Flüchtlinge insgesamt.

Für Geflüchtete aus der Ukraine gilt: Mit Beantragung eines Aufenthaltstitels besteht in der Regel Zugang zum Arbeitsmarkt und damit auch die Möglichkeit, eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung aufzunehmen. Bei Gesundheitsberufen hängt der Zeitpunkt der Arbeitsaufnahme davon ab, wie schnell die Bundesländer den ausländischen Berufsabschluss anerkennen und die Berufsausübungserlaubnis erteilen.

Ohne Ausbildungsdokumente nach Deutschland geflohen

Die Schwierigkeit besteht nach Meurers Einschätzung derzeit für Ukrainerinnen und Ukrainer darin, die Anforderungen an die Sprachkompetenz zu erfüllen. Außerdem dürften viele Kriegsflüchtlinge, die die Nachweise ihrer Berufsausbildung nicht nach Deutschland mitgebracht haben, diese auch nicht beschaffen können. „Hier sind die Bundesländer gefragt, möglichst unbürokratische Wege zu finden. Konkrete Vorschläge liegen dazu nach meinem Kenntnisstand noch nicht auf dem Tisch“, sagte der Vertreter der Pflegebranche.

Bisher gelte für ukrainische Pflegefachkräfte das Gleiche wie für alle Pflegefachkräfte aus Nicht-EU-Staaten: Sie müssen ein Berufsanerkennungsverfahren durchlaufen, um in Deutschland als Pflegefachkräfte arbeiten zu dürfen. Meurer forderte hier mehr Tempo, „zum Beispiel durch eine pauschale Anerkennung der vorhandenen Ausbildung“. Schließlich hätten die Fachpflegekräfte aus der Ukraine in der Regel einen Hochschulabschluss vorzuweisen.

Viele Pflegeeinrichtungen seien darin erfahren, internationale Kräfte zu integrieren. Besonders dringlich sei die Lage dort, wo geflüchtete pflegebedürftige Ukrainer bereits durch inländische Pflegeeinrichtungen versorgt würden. „Hier setzen wir auf die Einbeziehung der teils mitgeflüchteten Pflegekräfte. Das würde die Versorgung stärken und die Sprachbarrieren abbauen helfen“, erklärte Meurer.

Markus Jantzer


Krieg in der Ukraine

Niedersachsens Diakonie warnt vor Überlastung der Kindertagesstätten



Hannover (epd). Der Vorstandssprecher der Diakonie in Niedersachsen, Hans-Joachim Lenke, hat angesichts der vielen ukrainischen Flüchtlingskinder, die in das Bildungssystem integriert werden sollen, vor einer Überlastung der Kindertagesstätten gewarnt. Schon vor dem Krieg sei die Situation wegen des Fachkräftemangels und der Corona-Pandemie ausgesprochen angespannt gewesen, sagte Lenke dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Viele Mitarbeitende seien krank, die Leitungen müssten Gruppen zeitweise schließen und die Betreuungszeiten einschränken. „Das System fährt schon sehr, sehr stark am Rand. Und jetzt kommen noch die Kinder aus der Ukraine hinzu“, sagte Lenke.

Angst vor Überlastung

Er betonte, er sehe die dramatische Lage in der Ukraine und die Not der Geflüchteten: „Und natürlich haben wir die Träger gebeten, dass sie sich der Herausforderung stellen.“ Er fürchte aber, dass Fachkräfte Stunden reduzierten oder kündigten, wenn der Stress wachse und die Arbeitsbedingungen sich weiter verschlechterten.

Der evangelische Theologe schlug vor, dass die ukrainischen Kinder zunächst in ehrenamtlich geleiteten Mutter-Kind- oder Spiel-Gruppen betreut werden, anstatt sie sofort in die Kitas zu schicken. Allerdings sieht auch Lenke die Notwendigkeit einer geregelten Betreuung, sobald die Mütter einen Job gefunden haben.

Martina Schwager


Behinderung

Interview

Fichtmüller: Oberlinhaus soll offener Ort der Begegnung bleiben




Matthias Fichtmüller
epd-bild/Jens Schulze
Nach der tödlichen Gewalttat im Oberlinhaus vor einem Jahr, bei der vier schwerbehinderte Bewohner durch eine Angestellte getötet wurden, bleibt dem Vorstand der Einrichtung als schmerzhafte Erkenntnis: Solche Taten lassen sich nicht sicher verhindern.

Potsdam (epd). Am 28. April vor einem Jahr wurden im Potsdamer Oberlinhaus vier Menschen mit schweren Mehrfachbehinderungen von einer Pflegekraft getötet. Die Frau wurde Ende vergangenen Jahres wegen Mordes verurteilt und wegen einer schweren Persönlichkeitsstörung in die Psychiatrie eingewiesen. Eine Erkenntnis daraus sei, dass es absolute Sicherheiten nicht gebe, sagte der theologische Vorstand des evangelischen Sozialunternehmens, Matthias Fichtmüller, dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Potsdam. Kein Konzept, keine Intervention und keine Prophylaxe könnten eine solche Tat verhindern. Mit Fichtmüller sprach Yvonne Jennerjahn.

epd sozial: Wie geht es den Menschen im Oberlinhaus ein Jahr nach dem Gewaltverbrechen vom 28. April 2021?

Matthias Fichtmüller: Sowohl Bewohnerinnen und Bewohner als auch die Mitarbeitenden haben in ihren Alltag zurückgefunden. Seelsorgerliche Angebote gibt es je nach Bedarf weiterhin sowie alle Formen des Austausches wie Supervisionen, Mitarbeitergespräche und so weiter. Das Gespräch ist wichtig. Auf allen Ebenen des Oberlinhauses sind die Geschehnisse des vergangenen Jahres präsent. Manche Äußerungen während der Berichterstattung über den Prozess haben Bewohnerinnen und Bewohner und Mitarbeitende sehr irritiert, weil ihr Lebensalltag von anderen Eindrücken geprägt ist.

Nach einer Zeit der sensiblen Rücksichtnahme und nach Abschluss des Prozesses mit Urteilsverkündigung am 22. Dezember war es Bewohnerinnen und Bewohnern und Mitarbeitenden wieder möglich, sich unter respektvoller Behutsamkeit den Fragestellungen beispielsweise von Medienvertreterinnen und Medienvertretern zu öffnen. Das hat dazu geführt, dass nun auch differenziertere Wahrnehmungen aus dem Lebensalltag von Menschen, die schwerst-mehrfachbehindert sind, möglich sind.

epd: Wie haben die Gewalttaten das Leben der Menschen verändert?

Fichtmüller: Eine Erkenntnis ist: Absolute Sicherheiten kann niemand geben. Kein Konzept, keine Intervention und auch keine Prophylaxe kann solch eine Tat verhindern. Auch nicht mit einem Konzept zu Amokläufen, wie wir sie zum Beispiel in den Schulen und im Oberlin-Berufsbildungswerk haben. Natürlich haben wir Gewaltschutzkonzepte in jeder unserer Einrichtung, aber auf eine solche singuläre Tat konnten wir nicht vorbereitet sein. Nach Aussagen der Polizei hätten wir das, was am 28. April 2021 passiert ist, nicht verhindern können.

Wir haben uns zuallererst um die 60 Bewohnerinnen und Bewohner und um die Mitarbeitenden im Thusnelda-von-Saldern-Haus zu kümmern. Der 28. April 2021 hat uns nicht nur aus der Bahn geworfen, sondern uns in eine neue Verantwortung genommen: für Klientinnen und Klienten, aber auch für die Mitarbeitenden. Wir haben es von Anfang an geahnt, und im Laufe der Zeit ist es Gewissheit geworden: Es gibt Fragen im Zusammenhang mit der Tat, die wir niemals beantwortet bekommen. Und das ist ein Zustand, der alle, ob Medienvertreter, Bewohnerinnen und Bewohner oder Mitarbeitende in einer gewissen Schwebe hält. Aber wir müssen akzeptieren, dass wir auf das „Warum“ keine Antworten bekommen.

epd: Wie geht das Oberlinhaus damit um?

Fichtmüller: Immer wieder machen wir Mut, sich zu engagieren. Dazu gehört beispielsweise, sich für die Bewohnerschaftsräte aufstellen zu lassen, sich mit anderen Bewohnerschaftsräten zu vernetzen. Wir haben insofern nichts Neues erfunden, sondern das, was bereits vorhanden war, in den besonderen Fokus gerückt. Gleichzeitig wurden viele Gespräche mit den Landes- und Kommunalbeauftragten für Menschen mit Behinderungen geführt. Viele dieser Gespräche haben hier vor Ort im Oberlinhaus stattgefunden, wir stehen bis heute in einem sehr intensiven Austausch.

Das Oberlinhaus war immer ein offener Ort der Begegnung. Das soll auch so bleiben. Integration und das Zusammenleben mit Menschen mit Behinderungen gehörten immer schon in Potsdam-Babelsberg zum Alltag der Gesamtgesellschaft. Ein Ausdruck dessen war die übergroße Anteilnahme und Unterstützung aus der Nachbarschaft und aus ganz Potsdam.

epd: Anfang des Jahres wurde eine Expertenkommission angekündigt, die sich mit Standards in Wohneinrichtungen für Behinderte befassen und Ende August einen Bericht vorlegen soll. Wie weit ist die Kommission und wer gehört ihr an?

Fichtmüller: Mit der Gründung einer Expertenkommission wollen wir die Rahmenbedingungen in der Eingliederungshilfe und die Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes diskutieren. Was muss sich ändern? Wie kann das Bundesteilhabegesetz in der Eingliederungshilfe umgesetzt werden? Welche Personalaufstellung ist notwendig? Die Rahmenbedingungen und Bedürfnisse der Menschen mit Schwerstmehrfachbehinderung brauchen eine Aufmerksamkeit und eine Verbesserung, wie auch die Rahmenbedingungen der Beschäftigten in der Eingliederungshilfe. Unser ursprüngliches Ziel, bis Ende August 2022 erste Ergebnisse vorstellen zu können, werden wir aufgrund der Komplexität nicht einhalten können. Die Expertengruppe setzt sich aus Vertretern von Verbänden, Trägern, Wissenschaft, Lehre sowie Recht zusammen.

epd: Wann ist mit ersten Ergebnissen oder Zwischenergebnissen zu rechnen?

Fichtmüller: Erste Zwischenergebnisse planen wir im Spätherbst dieses Jahres kommunizieren zu können.

epd: Was muss sich aus Ihrer Sicht im System der Eingliederungshilfe für Behinderte ändern?

Fichtmüller: Wir haben in den vergangenen Monaten deutlich erkannt, dass das Wissen um Teilhabeleistungen, vor allem in der Assistenz von Menschen mit Schwerstmehrfachbehinderung, in der Öffentlichkeit sehr wenig bekannt sind. Hinzu kommt, dass auch die unterschiedlichen Bedarfe von Menschen mit Behinderungen sehr undifferenziert wahrgenommen werden, da dies tatsächlich auch eine große Komplexität hat.

Die Geschehnisse im Oberlinhaus haben ein Brennglas auf die Rahmenbedingungen von Teilhabeleistungen und Bedarfen von Menschen in besonderen Wohnformen in ganz Deutschland gelegt. Wenn es eine Lehre aus den Ereignissen des gesamten letzten Jahres gibt, dann diese, dass wir berichten müssen, wie die gesamtgesellschaftlichen Rahmenbedingungen in der Eingliederungshilfe sind. Und was die Gesellschaft oder jeder einzelne Mensch dazu beitragen kann, um sie zu verbessern. Was ist der Gesellschaft eine gute Pflege wert? Das ist keine abstrakte Frage, das betrifft auch Sie und mich. Spätestens beim Bemessungssatz für die Pflegeversicherung ist die Beantwortung dieser Frage bei jedem und jeder Einzelnen angekommen. Aber die Expertenkommission ist kein politisches Gremium. Es geht vielmehr darum, Verbesserungsideen für die Eingliederungshilfe und auch für die Ausbildung in Teilhabeberufen zu entwickeln. Dabei liegt die Prämisse auf Selbstbestimmungsmöglichkeiten der Menschen mit Behinderungen.

epd: Sollten Beschäftigte, die mit wehrlosen hilfebedürftigen Menschen arbeiten, stärker auf ihre - auch psychische - Eignung dafür geprüft werden?

Fichtmüller: Hierfür gibt es festgelegte Regularien. So werden Führungszeugnisse zur Einstellung und im regelmäßigen Turnus eingeholt.



Diakonie

Mariaberger Heime: 175 Jahre Arbeit in der Behindertenhilfe




Historisches Foto von der "Erziehungs- und Unterrichtsanstalt für schwachsinnige, taubstumme und sonst gebrechliche Kinder" (heute: Mariaberger Heime)
epd-bild/Mariaberg e.V.
Die Mariaberger Heime zählen zu den ersten diakonischen Einrichtungen in Deutschland. Vor 175 Jahren nahmen sie ihre Arbeit für Behinderte mit innovativen Ansätzen auf. Ohne Königin Olga hätte das Ganze aber nicht funktioniert.

Gammertingen-Mariaberg (epd). Der Gründungsname der Mariaberger Heime klingt in modernen Ohren wenig schmeichelhaft: „Erziehungs- und Unterrichtsanstalt für schwachsinnige, taubstumme und sonst gebrechliche Kinder“. Was vor 175 Jahren in einem ehemaligen Benediktinerinnenkloster auf der Schwäbischen Alb ins Leben gerufen wurde, war allerdings recht innovativ. Junge Menschen mit Behinderungen sollten in Mariaberg ärztliche Hilfe und Bildung bekommen.

Königin stiftete 10.000 Gulden

Heute kümmern sich in Mariaberger Einrichtungen in sieben Landkreisen insgesamt 1.750 Mitarbeiter um mehr als 3.000 Menschen. Das Wachstum war langsam, aber stetig. Zum 25-jährigen Bestehen im Jahr 1872 verzeichnete die Einrichtung 72 Zöglinge. Am Anfang brauchte es königliche Hilfe: Olga von Württemberg stiftete ein Grundkapital von 10.000 Gulden als Anschubfinanzierung.

In den 1850er-Jahren ergab eine Untersuchung, dass knapp 5.000 Menschen mit „Cretinismus“ in Württemberg lebten. Der Begriff kennzeichnete eigentlich eine durch Jodmangel ausgelöste Entwicklungsverzögerung von Kindern, umfasste dann aber oft alles, was mit geistiger Behinderung zu tun hatte. Das Heim in Mariaberg zählte unter seinem Gründer, dem Uracher Oberamtsarzt Carl Heinrich Rösch, zu den Pionieren in Therapie und Pädagogik für die Betroffenen. Sie bekamen Schulunterricht, dazu Unterweisung in praktischen Arbeiten wie Bürstenbinden, Korbflechten, Stricken und Häkeln.

Die Nationalsozialisten mit ihrem Hass auf Behinderte und dem „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ setzten 1940 von 210 Bewohnern der Anstalt 137 auf die Todesliste. Mehr als die Hälfte von ihnen konnten auf Intervention der Mariaberger Einrichtung gerettet werden, aber 61 wurden im nahegelegenen Grafeneck vergast. Seit 1990 erinnert ein Mahnmal an die Opfer der Euthanasie, im vergangenen Jahr ist eine Dauerausstellung zu diesem Thema hinzugekommen.

Der erste Angehörigenbeirat in Deutschland

Nach dem Zweiten Weltkrieg nannte sich das Haus „Erziehungsheim mit Sonderschule Mariaberg“, die Ausbildungsmöglichkeiten der Behinderten wurden stetig erweitert. Inzwischen sind es 22 Berufe, die junge Menschen in der Region erlernen können. Folgerichtig wurde 1971 auch eine „Schule für Heilerziehungspflege“ gegründet, um für den pflegerischen Nachwuchs zu sorgen. Einen neuen Weg ging man in Mariaberg 1976 mit der Einrichtung eines Angehörigenbeirats - so etwas hatte es bis dahin in Deutschland nirgends gegeben.

Mariaberg ist seit Jahrzehnten nicht nur eine soziale Einrichtung, sondern auch ein Ortsteil der Stadt Gammertingen. Die Verantwortlichen haben sich zum Ziel gesetzt, hier einen „Stadtteil mit Charme“ zu entwickeln. Damit verfolgen sie einen inklusiven Ansatz, bei dem Menschen mit und ohne Behinderung Tür an Tür wohnen. Der Präsident der Diakonie Deutschland, Ulrich Lilie, weist in einem Grußwort darauf hin, dass Mariaberg eine noch längere Tradition habe als die Diakonie Deutschland. Der Ort besitze eine „Energie tätiger Menschenliebe“.

Trotz der langen Geschichte soll das Jubiläum nur sehr bescheiden gefeiert werden. Der Gedanke an Festakte, Bankette und andere Feierlichkeiten habe „nicht angesprochen“, schreiben die Vorstände Rüdiger Böhm und Michael Sachs im Vorwort zur Jubiläumsschrift. Corona-Pandemie und Ukraine-Krieg hätten die Entscheidung gegen ein großes Fest zusätzlich beeinflusst. So begnügen sich die Mariaberger mit dem feierlichen Gottesdienst am 8. Mai, in dem der Bischof der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, Frank Otfried July, predigen wird.

Marcus Mockler



sozial-Recht

Bundessozialgericht

Kein Krankenkassen-Geld für OPs von falschem Arzt




Operation im Krankenhaus
Foto: epd-bild/Gustavo Alabiso
Zur Qualität einer ärztlichen Behandlung gehört, dass auch wirklich ein Arzt die Behandlung vornimmt. Hat dagegen ein falscher Arzt an einer Operation mitgewirkt, muss die Krankenkasse den Eingriff nicht vergüten, urteilte das Bundessozialgericht.

Kassel (epd). Ein ärztlicher chirurgischer Eingriff in einem Krankenhaus muss auch von einem „echten“ Arzt vorgenommen werden. Hat sich ein in einem Krankenhaus angestellter vermeintlicher Arzt die Approbationsurkunde mit gefälschten Zeugnissen und Urkunden erschlichen, kann die Klinik von der Krankenkasse für alle Behandlungen, an denen der falsche Mediziner mitgewirkt hat, keine Vergütung verlangen, urteilte am 26. April das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel.

Anlass des Rechtsstreits war die Beschäftigung eines vermeintlichen Chirurgen im Krankenhaus Düren. Nachdem der Mann mehrere Jahre in einer anderen Klinik gearbeitet hatte, wurde er in Düren zunächst als Assistenzarzt und dann als Facharzt für Viszeralchirurgie eingestellt. Vor seiner Einstellung hatte er mehrere Zeugnisse vorgelegt. Er konnte zudem Nachweise über seine Qualifikation als Facharzt sowie zwei Doktortitel vorweisen.

Zeugnisse und Bescheinigungen gefälscht

Die Klinik fragte noch bei der Bezirksregierung Köln nach, ob die von der Behörde ausgestellte Approbationsurkunde korrekt sei. Als von dort das Okay kam, erhielt der Mann 2009 die Anstellung.

Als dann ein Kollege sich Jahre später darüber wunderte, dass der „Arzt“ innerhalb so kurzer Zeit zwei Doktortitel erhalten hatte, forschte er nach. Daraufhin wurde der vermeintliche Arzt ertappt. Dieser hatte zwar ein Medizinstudium durchlaufen, hatte aber nie die Ärztliche Prüfung abgelegt. Er hatte Zeugnisse und Bescheinigungen gefälscht und auf diese Weise eine echte Approbationsurkunde von der Bezirksregierung erhalten. Die Nachweise über seine Facharzt-Qualifikation sowie über die Doktortitel waren ebenfalls nicht echt.

Die Approbation wurde daraufhin von der Bezirksregierung 2015 rückwirkend widerrufen. Bis dahin hatte er an 336 Operation mitgewirkt, wie etwa eine Schilddrüsenentfernung, eine Blinddarm-OP oder bei der Amputation eines Zehs. Das Amtsgericht Düren verurteilte den falschen Arzt wegen Körperverletzung in 336 Fällen sowie wegen Urkundenfälschung zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten.

Klinik verlangte Gehalt zurück

Das Krankenhaus kündigte dem Mann fristlos wegen arglistiger Täuschung und forderte von ihm das gezahlte Gehalt zurück. Das Gehalt sei ja wegen seiner Arztstellung gezahlt worden. Nach einem arbeitsgerichtlichen Vergleich zahlte der Möchtegern-Arzt schließlich 45.000 Euro zurück.

Doch die Anstellung des vermeintlichen Arztes hatte für das Krankenhaus weitere Folgen. Die Krankenkasse IKK classic verlangte für zuletzt zehn Behandlungen, an denen der falsche Chirurg beteiligt war, die gezahlte Vergütung in Höhe von insgesamt 31.600 Euro zurück. Eine Krankenkasse dürfe nicht strafbare Handlungen, hier die Körperverletzungen an den Patienten, vergüten. Dafür dürfe und müsse die Versichertengemeinschaft nicht aufkommen. Neun weitere Krankenkassen haben in weiteren Verfahren ebenfalls insgesamt rund 1,5 Millionen Euro zurückgefordert.

Der Krankenhausträger berief sich auf Vertrauensschutz. Der falsche Arzt habe eine Approbationsurkunde vorgelegt. Dies habe die Bezirksregierung auch bestätigt. Er habe zudem im Team gearbeitet, so dass nach derzeitigem Stand kein Schaden bei einem Patienten entstanden sei. Zurückgefordert werden dürften allenfalls jene Leistungen, die eindeutig dem Arzt zugeordnet werden können.

Gericht: Gesamte Behandlung „infiziert“

Das BSG urteilte, dass die IKK zu Recht die Vergütung für alle OPs zurückverlangen kann, an denen der Nicht-Arzt mitgewirkt hat. Das Gesetz sehe eine Vergütung nur für Krankenhausbehandlungen durch Ärzte vor. Dies sei „wesentlicher Bestandteil des Qualitätsgebots“. Hier sei der Operateur aber wegen seiner erschlichenen Approbation kein Arzt gewesen. Auch wenn andere Ärzte ebenfalls an den OPs beteiligt waren, könne keine Vergütung verlangt werden. Die gesamte Behandlung werde durch das Mitwirken des Nicht-Arztes „infiziert“.

Das Verfahren wurde an das Landessozialgericht Essen zurückverwiesen. Dieses müsse prüfen, an welchen abgrenzbaren Behandlungsabschnitten der Nicht-Arzt nicht beteiligt war. Für vollkommen „eigenständige Behandlungsabschnitte“ - etwa bei einer weiteren Erkrankung oder nach einer Verlegung in eine andere Abteilung - könne dem Krankenhaus eine Vergütung zustehen, vorausgesetzt, der falsche Mediziner war daran nicht beteiligt.

Ob auch Haftungsansprüche gegen die Bezirksregierung Köln bestehen, weil diese fehlerhaft die Approbationsurkunde geprüft hat und inwieweit mögliche Amtshaftungsansprüche bereits verjährt sind, hatte das BSG nicht zu entscheiden.

Az.: B 1 KR 26/21 R

Frank Leth


Bundessozialgericht

Klinik darf wichtige Abteilung nicht auslagern



Kassel (epd). Krankenhäuser müssen ihren Versorgungsauftrag selbst erfüllen und dürfen nicht wesentliche Behandlungsleistungen dauerhaft an Arztpraxen auslagern. Sie sind verpflichtet, die „räumliche, apparative und personelle Ausstattung“ für die im Krankenhausplan vorgesehenen Leistungen selbst bereitzustellen, befand das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel am 26. April in einem Urteil. Die Kasseler Richter beanstandeten die aus Kostengründen erfolgte Schließung einer Fachabteilung für Strahlentherapie in den Kreiskliniken Böblingen in Baden-Württemberg.

Das Krankenhaus wurde im Landeskrankenhausplan mit einer Abteilung für Strahlentherapie aufgenommen. 2005 wurde sie jedoch geschlossen. Stattdessen wurde ein Kooperationsvertrag mit einer Gemeinschaftspraxis für Strahlentherapie geschlossen.

Auslagerung mit Grenzen

Die Praxis übernahm danach die Strahlentherapie bei stationär behandelten Patientinnen und Patienten, so unter anderen auch bei einer an Brustkrebs erkrankten Frau. Für die Behandlung der Frau stellte das Krankenhaus inklusive der Strahlentherapie der Krankenkasse insgesamt 7.413 Euro in Rechnung. Die Krankenkasse lehnte es jedoch ab, den Anteil der Strahlentherapie zu bezahlen.

Zu Recht, befand das BSG. Denn laut Krankenhausplan gehört zum Versorgungsauftrag der Klinik auch das Vorhalten einer Abteilung für Strahlentherapie. Deshalb ist es nicht erlaubt, „dass das Krankenhaus wesentliche der von seinem Versorgungsauftrag umfassten Leistungen regelmäßig und planvoll auf Dritte auslagert“. Es müsse die „räumliche, apparative und personelle Ausstattung“ selbst vorhalten. Weil das Krankenhaus seine Strahlentherapie-Abteilung geschlossen hatte, war es nicht mehr in der Lage, seinen Versorgungsauftrag zu erfüllen. Ein Anspruch auf Vergütung für Strahlentherapieleistungen der Gemeinschaftspraxis bestehe dann nicht, entschied das Gericht.

Az.: B 1 KR 15/21 R



Bundesverwaltungsgericht

Rückkehrhilfen können Abschiebungsschutz aushebeln



Leipzig (epd). Ausreisepflichtige Ausländer können auch bei widrigen Lebensumständen in ihrem Heimatland abgeschoben werden. Denn können Rückkehrhilfen das Existenzminimum für eine gewisse Zeit in dem Heimatland gewährleisten, kann auf diese Weise eine drohende, der Abschiebung entgegenstehende unmenschliche oder erniedrigende Behandlung des Flüchtlings verhindert werden, urteilte am 21. April das Bundesverwaltungsgericht. Für die Zulässigkeit einer Abschiebung sei es nicht erforderlich, dass das Existenzminimum des Ausländers in seinem Herkunftsland „nachhaltig oder gar auf Dauer sichergestellt ist“, entschieden die Leipziger Richter.

Geklagt hatte ein afghanischer Flüchtling, der im Frühjahr 2016 in Deutschland einreiste. Sein Asylantrag blieb ohne Erfolg.

Der Verwaltungsgerichtshof (VGH) Baden-Württemberg entschied am 17. Dezember 2020, noch vor der Machtübernahme der Taliban, dass der Mann nicht abgeschoben werden dürfe. Die Mannheimer Richter begründeten dies insbesondere mit den Auswirkungen der Corona-Pandemie in der afghanischen Hauptstadt Kabul.

Keine Aussicht auf Arbeit

Die wirtschaftliche Lage in Afghanistan habe sich „infolge der COVID-19-Pandemie derart verschlechtert, dass ein Rückkehrer aus dem westlichen Ausland keine realistische Aussicht hat, auf dem Tagelöhnermarkt eine Arbeit zu finden“. Eine Sicherung der eigenen Existenz sei in Afghanistan ohne eigenes Vermögen oder ein bestehendes familiäres Netzwerk nicht möglich. Hier sei davon auszugehen, dass der Kläger bei seiner Rückkehr seine elementarsten Bedürfnisse nicht decken könne, so der VGH.

Das Bundesverwaltungsgericht urteilte jedoch, dass ein ausreisepflichtiger Ausländer keinen Abschiebungsschutz wegen einer Gefährdung der Existenzsicherung beanspruchen könne, wenn Rückkehrhilfen auf absehbare Zeit die elementarsten Bedürfnisse gewährleisten können. Das in der Europäischen Menschenrechtskonvention enthaltene Verbot einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung werde mit einer Abschiebung dann nicht verletzt.

Nur ausnahmsweise könne Abschiebungsschutz bestehen, wenn bereits vorab klar ist, dass dem Ausländer nach dem Verbrauch der Rückkehrhilfen mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Verelendung droht. Dies muss nun im Streitfall der VGH noch einmal prüfen.

Az.: 1 C 10.21



Bundesgerichtshof

Leiharbeiter müssen in neue Firma wechseln können



Karlsruhe (epd). Leiharbeitsfirmen dürfen den Wechsel eines Leiharbeitnehmers in ein reguläres Arbeitsverhältnis bei einer anderen Firma nicht erschweren oder gar faktisch verhindern. Will eine Entleihfirma den Leiharbeitnehmer fest einstellen, darf die Leiharbeitsfirma hierfür nur eine „angemessene“ und damit eine nicht zu hohe Vermittlungsprovision verlangen, entschied der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe in einem am 22. April veröffentlichten Urteil.

Geklagt hatte im Streitfall eine Leiharbeitsfirma aus Baden-Württemberg, die zwei Leiharbeitnehmer als Schweißer an ein Metallbau- und Schlossereibetrieb verliehen hatte. Der Leiharbeitsvertrag sah eine Vermittlungsprovision vor, falls der Entleihbetrieb die Mitarbeiter „abwirbt“ und in ein reguläres Arbeitsverhältnis übernimmt.

Vermittlungsprovision von knapp 15.000 Euro

Als der Schlossereibetrieb die Leiharbeiter fest bei sich einstellen wollte, verwies die Leiharbeitsfirma auf den Arbeitnehmerüberlassungsvertrag. Danach werde wegen der übernommenen Mitarbeiter eine Vermittlungsprovision in Höhe von 14.994 Euro brutto fällig. Solch eine in der Leiharbeitsbranche übliche Provision soll teilweise den wirtschaftlichen Nachteil der Leiharbeitsfirma ausgleichen, da sie einen bereitgehaltenen Mitarbeiter verliert.

Doch die vertragliche Klausel über die Vermittlungsprovision ist in dem Streitfall unwirksam, so dass gar nichts verlangt werden könne, urteilte der BGH. Zwar sei eine Provisionszahlung zulässig, sie müsse aber „angemessen“ sein. Sie dürfe nicht so hoch sein, dass der Wechsel des Leiharbeiters in ein reguläres Arbeitsverhältnis erschwert oder faktisch verhindert werde. Andernfalls werde die Berufsfreiheit der Arbeitnehmer verletzt.

Eine angemessene Provision müsse sich am Bruttogehalt beim neuen Arbeitgeber orientieren. Bei einer vorherigen Verleihdauer von drei Monaten dürfe die Provision nicht mehr als 15 Prozent des Jahresbruttoeinkommens plus Umsatzsteuer betragen. Hier habe die Leiharbeitsfirma die Vermittlungsprovision aber nicht, wie vorgeschrieben, nach dem Gehalt beim neuen Arbeitgeber berechnet.

Az.: III ZR 51/21



Bundesarbeitsgericht

Leiharbeiter haben begrenzte Rechte



Erfurt (epd). Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat die Rechte von Leiharbeitnehmern begrenzt. So führe die fehlende deutsche Genehmigung zur Arbeitnehmerüberlassung einer ausländischen Leiharbeitsfirma nicht - wie bei Leiharbeitsfirmen in Deutschland - automatisch zu einem Arbeitsvertrag zwischen Leiharbeitnehmer und der deutschen Entleihfirma, urteilte am 26. April das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt. Auch wenn die fehlende Genehmigung eine Ordnungswidrigkeit darstellt, begründe dies noch keinen Arbeitsvertrag mit dem deutschen Entleiher.

Geklagt hatte eine Französin, die ursprünglich als Fachberaterin und Ingenieurin in einem französischen Technologieberatungskonzern arbeitete. Sie wurde von ihrem französischen Arbeitgeber ab Oktober 2014 an eine deutsche Firma „verliehen“. Die deutsche Firma plante eine umfassende Umstellung ihres EDV-Systems.

Leiharbeitsfirma aus dem EU-Ausland

Als der französische Konzern der Frau nach eineinhalb Jahren kündigte, meinte sie, dass ein Arbeitsvertrag mit der deutschen Entleihfirma zustande gekommen sei. Sie verwies auf das deutsche Arbeitnehmerüberlassungsgesetz. Danach komme automatisch ein Arbeitsvertrag mit dem Entleiher zustande, wenn die Leiharbeitsfirma über keine Genehmigung zur Arbeitnehmerüberlassung verfüge. Hier habe der frühere französische Arbeitgeber nicht über solch eine Genehmigung verfügt. Die damalige entsprechende Regelung findet sich auch in der aktuellen Gesetzesfassung.

Das Landesarbeitsgericht Stuttgart gab der Klägerin noch recht. Die ausgeliehene Frau sei umfassend in die Arbeitsabläufe der deutschen Firma eingegliedert gewesen.

Doch das BAG gab der deutschen Entleihfirma recht. Zwar sehe das Gesetz durchaus vor, dass der Leiharbeitsvertrag bei einer unerlaubten Arbeitnehmerüberlassung zwischen Leiharbeiter und Verleiher unwirksam ist und damit ein Arbeitgeberwechsel zum Entleiher begründet werde. Diese deutsche Bestimmung greife aber nicht für Leiharbeitsfirmen aus dem EU-Ausland, „wenn das Leiharbeitsverhältnis dem Recht eines anderen Mitgliedstaats der Europäischen Union unterliegt“, entschied das BAG.

Az.: 9 AZR 228/21



Bundesfinanzhof

Kein Kindergeld für lange erkrankten Azubi



München (epd). Bei einer voraussichtlich länger als sechs Monate dauernden Krankheit eines volljährigen Auszubildenden geht der Kindergeldanspruch verloren. Nur wenn eine schnellere Genesung möglich erscheint, kann weiter Kindergeld gezahlt werden, entschied der Bundesfinanzhof (BFH) in einem am 21. April veröffentlichten Urteil. Dauere die Erkrankung länger, komme allenfalls ein Kindergeldanspruch wegen des Vorliegens einer Behinderung in Betracht, entschieden die Münchener Finanzrichter.

Im Streitfall ging es um einen volljährigen Auszubildenden, der im September 2018 während seiner Arbeit einen schweren Unfall mit Schädelbasisbruch und Schädel-Hirn-Trauma erlitten hatte. Es folgten mehrere Krankenhausaufenthalte und Reha-Maßnahmen, von denen die letzte 17 Monate nach dem Unfall begann. Die Familienkasse ging von einer zu langen Unterbrechung der Ausbildung aus und stoppte die Kindergeldzahlung an die Mutter.

Dauer der Erkrankung

Das Finanzgericht Münster sprach der Klägerin Kindergeld für die ersten acht Monate nach dem Unfall zu. Das Ausbildungsverhältnis habe fortbestanden, die Ausbildung habe der Azubi auch beenden wollen.

Der BFH hob dieses Urteil auf. Nur wenn eine Ausbildung wegen einer vorübergehenden Erkrankung unterbrochen wurde, bestehe der Kindergeldanspruch fort. Werde die Erkrankung voraussichtlich länger als sechs Monate andauern, könne das in Ausbildung befindliche Kind nicht mehr beim Kindergeld berücksichtigt werden.

Sei von einem besonders langwierigen Heilungsprozess auszugehen, komme ein Kindergeldanspruch nur noch wegen des Vorliegens einer Behinderung in Betracht. Im konkreten Fall müsse das Finanzgericht nun prüfen, ob in den ersten Monaten nach dem Unfall mit hoher Wahrscheinlichkeit ein langwieriger, länger als sechs Monate dauernder Heilungsprozess abzusehen war.

Az.: III R 43/20



Landesarbeitsgericht

Erkrankter Pflegekraft steht Corona-Prämie zu



Berlin (epd). Pflegekräfte können trotz einer Erkrankung die im Jahr 2020 gewährte Corona-Prämie erhalten. Voraussetzung für die Geldzahlung ist nur, dass die Fachkraft zwischen dem 1. März und 31. Oktober 2020 mindestens drei Monate in einer anerkannten Pflegeeinrichtung tätig war, entschied das Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin-Brandenburg in einem am 27. April bekanntgegebenen Urteil. Die dreimonatige Pflegetätigkeit müsse auch nicht zusammenhängend erfolgen, betonten die Berliner Richter.

Wegen der besonderen Belastungen der Pflegekräfte während der Corona-Pandemie hatte der Gesetzgeber „zum Zweck der Wertschätzung“ für die Beschäftigten der Pflegebranche eine spezielle Prämie vorgesehen. Voraussetzung hierfür war unter anderem eine mindestens drei Monate dauernde Tätigkeit in einer zugelassenen Einrichtung oder in einem ambulanten Pflegedienst zwischen März und Ende Oktober 2020.

Corona-Prämie vererbbar

So erhielten Vollzeitbeschäftigte, die Pflegebedürftige „direkt“ gepflegt oder „betreut“ haben, 1.000 Euro. Andere Beschäftigte, die in einem Umfang von mindestens 25 Prozent ihrer Arbeitszeit gemeinsam mit den Pflegebedürftigen „tagesstrukturierend, aktivierend, betreuend oder pflegend“ tätig waren, bekamen 667 Euro. Alle anderen Beschäftigten erhielten 334 Euro.

Im Streitfall hatte die klagende und mittlerweile verstorbene Pflegerin zwar mehr als drei Monate in einer Pflegeeinrichtung gearbeitet. Die Tätigkeit der Frau war jedoch durch mehrere, jeweils über 14 Tage dauernde Erkrankungen unterbrochen worden. Die Heimleitung argumentierte, dass für den Anspruch auf die Prämie drei Monate am Stück gearbeitet werden müsse.

Doch solch eine zusammenhängende Pflegetätigkeit werde vom Gesetz nicht verlangt, urteilte das LAG. Es reiche aus, dass die Pflegetätigkeit insgesamt über mindestens 90 Tage geleistet wurde. Weil die Corona-Prämie vererbbar sei, stehe hier dem Erben diese Geldzahlung zu, so das Gericht.

Az.: 5 Sa 1708/21



Arbeitsgericht

Gefälschter Impfausweis rechtfertigt Kündigung



Köln (epd). Die Vorlage eines gefälschten Impfausweises erlaubt nach Ansicht des Arbeitsgerichts Köln eine fristlose Kündigung. Das Arbeitsgericht wies die von einer früheren Arbeitnehmerin eingereichte Kündigungsschutzklage ab, wie das Gericht in dem am 21. April bekanntgegebenen Urteil entschied. Die außerordentliche fristlose Kündigung sei „durch einen wichtigen Grund gerechtfertigt“.

Die Beschäftigte hatte gegenüber ihrem Arbeitgeber, der Beratungsleistungen im Bereich der betrieblichen Gesundheitsförderung erbringt, Anfang Dezember 2021 einen gefälschten Impfausweis vorgelegt, nachdem die Geschäftsleitung zuvor erklärt hatte, dass nur noch vollständig gegen Corona geimpfte Mitarbeiter Kundentermine vor Ort wahrnehmen dürften. Aufgrund des gefälschten Impfausweises konnte die Frau weiterhin Außentermine vor Ort absolvieren. Tatsächlich hatte sie sich aber erst nach den im Impfausweis genannten Terminen immunisieren lassen. Als der Arbeitgeber die Fälschung des Ausweises aufgrund von Überprüfungen nachweisen konnte, sprach er gegen die Beschäftigte eine fristlose Kündigung aus.

Nach Ansicht der Arbeitsrichter war die Entlassung gerechtfertigt. Dadurch dass die Klägerin ihren vollständigen Impfschutz durch Vorlage eines falschen Impfnachweises zu belegen versucht habe, habe sie das für eine auch nur befristete Fortführung des Arbeitsverhältnisses notwendige Vertrauen verwirkt. Zudem stelle die Missachtung der 2G-Regel im Präsenzkontakt zu den Kunden „eine erhebliche Verletzung der Verpflichtung“ der Beschäftigten zur Wahrung der Interessen des Arbeitgebers dar.

Az.: 18 Ca 6830/21




sozial-Köpfe

Kirchen

Bochumer Caritas beruft neue Vorstände




Alexander Mauer (li.) und Dominik Spanke
epd-bild/Caritas Bochum
Der Caritasverband für Bochum und Wattenscheid bildet einen neuen Vorstand. Alexander Mauer hat zum 1. April die Nachfolge von Hans-Werner Wolff angetreten. Am 1. Juli wird ihn Dominik Spanke im Vorstand unterstützen.

Alexander Mauer und Dominik Spanke treten die Nachfolge von Hans-Werner Wolff als Vorstände im Bochumer Caritasverband an. Wolff ist am 1. April zum Caritasverband Mettmann gewechselt. Gemeinsam werden beide den katholischen Wohlfahrtsverband mit seinen rund 40 Einrichtungen und 700 Mitarbeitenden leiten. Der gebürtige Bochumer Mauer hat sich für die nächsten Wochen einiges vorgenommen: „Der Ukraine-Krieg und die Aufnahme der Geflüchteten in Bochum halten uns in Atem, daneben müssen wir weiter unsere Verantwortung in der Pflege, Betreuung und Beratung ohne Abstriche wahrnehmen.“

Zuletzt war der Rechtsanwalt und Master of Organizational Management als Unternehmensberater und zuvor in internationalen Verantwortungen bei Aral und BP tätig. Mit seiner neuen Aufgabe vollzieht er einen Perspektivwechsel: „Bisher habe ich für Unternehmen und ihren Erfolg gearbeitet. Mich nun als überzeugter Christ in den Dienst der Caritas zu stellen und für die Verbesserung der Lebensumstände der Menschen in unserer Stadt und Region einzusetzen, ist eine große und erfüllende Aufgabe.“

Mit Dominik Spanke, seit 2010 Caritasdirektor in Hattingen, hat er einen erfahrenen „Caritas-Mann“ an seiner Seite. Der gebürtige Sauerländer ist Sozialarbeiter und Caritaswissenschaftler. Sein Wechsel nach Bochum ist Auslöser für erneute Beratungen der Caritasverbände, die bestehende Zusammenarbeit zu vertiefen und eine Fusion anzustreben. „Im engeren Miteinander können sich die Dienste fachlich besser austauschen und ergänzen“, umreißt Spanke seine Ideen für die gemeinsame Zukunft.

Hans-Werner Wolff hat sich nach vier Jahren an der Spitze des Caritasverbands verabschiedet. Im Namen des Caritasrats und der katholischen Kirche in Bochum und Wattenscheid würdigte Stadtdechant Michael Kemper die Verdienste des 56-jährigen Betriebswirts und Personalfachkaufmanns um den Neubau des Frauenhauses: „Ohne deinen Einsatz könnten wir wahrscheinlich noch nicht verkünden, dass Anfang April der Umzug in das neue Gebäude erfolgt. Du hast alle Hebel in Bewegung gesetzt, um die Finanzierung dieses Großprojekts trotz denkbar schlechter Ausgangslage zu stemmen. Dafür gilt dir für immer unser aller Dank.“



Weitere Personalien



Eva-Maria Armbruster, die acht Jahre Vorstand Sozialpolitik des Diakonischen Werks Württemberg war, geht zum 1. Mai in den Ruhestand. Zuständig war Armbruster für die Bereiche Alter und Pflege, Kinder, Jugend und Familie, Behindertenhilfe und Psychiatrie sowie Freiwilliges Engagement. Nachfolger Armbrusters wird Kornelius Knapp, der bisher bei der Landeshauptstadt Stuttgart für Bildungspartnerschaften zuständig ist.

Tobias Albrecht wird Geschäftsführer der neuen Johannes-Diakonie RegioCare der Johannes-Diakonie Mosbach. In diese Gesellschaft werden zum 1. Juli die eva Seniorendienste, Tochtergesellschaft der Evangelischen Gesellschaft (eva, Stuttgart), integriert. Albrecht, der derzeit regionale Behindertenhilfe-Angebote der Johannes-Diakonie leitet, wird im Sommer die Geschäftsführung der Johannes-Diakonie RegioCare zusätzlich übernehmen. Die 135 Beschäftigte der eva Seniorendienste sollen von der neuen Trägerin übernommen und nach dem gleichen Tarif wie bisher bezahlt werden.

Nadja Lück (42) übernimmt am 1. Mai die Leitung der Caritas-Region Schwarzwald-Alb-Donau. Sie tritt die Nachfolge von Manuela Mayer an, die zehn Jahre lang den Verband leitete und sich nun neuen Aufgaben zuwendet. Die Region Schwarzwald-Alb-Donau ist eine von neun Caritas-Regionen in der Diözese Rottenburg-Stuttgart. Lück ist Diplom-Verwaltungswirtin (FH) und war zunächst bei der Europcar Autovermietung GmbH als Innendienstkoordinatorin und später als Station Managerin am Berliner Alexanderplatz mit Leitungsfunktion tätig. Seit 2013 verantwortete sie als Regionalleiterin für Ostdeutschland eine privatrechtliche Stiftung im Umfeld der Deutschen Bahn AG und begleitete später für die Stiftungsfamilie BSW & EWH die digitale Transformation und eine digitale Spendenkampagne zugunsten der Flutopfer im Ahrtal.

Insa Schöningh übergibt nach mehr als 17 Jahren an der Spitze des Familienverbandes der Evangelischen Kirche in Deutschland eaf das Ruder an ihre Nachfolgerin Svenja Kraus. „Mit Insa Schöningh verlieren wir eine exzellente Bundesgeschäftsführerin und Kämpferin für die Interessen von Familien. Sie hat die eaf bundesweit profiliert und im engen Austausch mit den Landesarbeitskreisen und Fachverbänden dazu beigetragen, dass die protestantische, progressive Stimme in der Familienpolitik gehört wurde“, würdigte Martin Bujard, Präsident der eaf, Schöningh zum Abschied. Die neue Geschäftsführerin, Svenja Kraus, hat mehrjährige Berufserfahrung in Politik und strategischer Kommunikation. hat: „Wir sind davon überzeugt, dass Svenja Kraus mit ihrer pragmatischen Art und fundierten Kenntnissen des politischen Berlins die Arbeit erfolgreich weiterführt und gleichzeitig mehrere neue Akzente setzt“, so Bujard.

Ursula Lehr ist am 25. April im Alter von 91 Jahren gestorben. Die ehemalige Bundesfamilienministerin habe mit ihrem Einsatz „für ein aktives, engagiertes und möglichst gesundes Älterwerden“ die Einstellung zu älteren Menschen in Deutschland geprägt, erklärte die Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen (Bagso) in Bonn. Ursula Lehr war Inhaberin des Lehrstuhls für Gerontologie an der Universität Heidelberg und von 1988 bis 1991 Bundesministerin für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit im Kabinett von Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU). In dieser Zeit verabschiedete sie den ersten Altenbericht der Bundesregierung. Von 2009 bis 2015 hatte die CDU-Politikerin den Vorsitz der Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen inne.




sozial-Termine

Veranstaltungen bis Mai



Wir haben Tagungen, Seminare, Workshops und Webinare aufgelistet, die aktuell geplant sind. Wegen der Corona-Epidemie sagen Veranstalter allerdings Termine auch kurzfristig ab. Wir bitten unsere Leserinnen und Leser, das zu beachten.

Mai

9.-11.5.

Online-Fortbildung „Einführung ins SGB II und aktuelle Rechtsprechung“

der AWO Bundesakademie

Tel.: 030/26309-139

9.-12.5. Bamberg

Fachwoche „Beratung im Wandel - Fachwoche Katholische Schwangerschaftsberatung“

der Fortbildungsakademie des Deutschen Caritasverbandes

Tel.: 0761/200-1700

10.5.

Webinar „Soziale Arbeit neu gedacht? - Innovationsfähigkeit in sozialen Einrichtungen“

der Contec Unternehmensberatung

Tel.: 0234/452730

10.5.

Webinar „Neu als Führungskraft - Die neue Führungsrolle selbstbewusst ausfüllen“

der BFS Service GmbH

Tel.: 0221/97356-159

11.5. Netphen

Seminar „Ressourcenaktivierende Arbeit in der psychosozialen Begleitung und Beratung“

der AWO Bundesakademie

Tel.: 030/26309-139

16.-18.5. Essen

Seminar „Psychiatrische Krankheitsbilder - Grundlagen“

der Bundesakademie für Kirche und Diakonie

Tel.: 0172/3012819

20.-21.5.

Seminar „Sprachmittlung in verschiedenen Settings sozialer Arbeit“

der Bundesakademie für Kirche und Diakonie

Tel.: 0174/3473485