Bayreuth (epd). „Bei einigen kleineren Tafeln sehen wir bereits, dass die Zahl der Ukraine-Flüchtlinge, die zu uns kommen, die Zahl der Altkunden übersteig“, berichtet Peter Zilles, Vorsitzenden der Tafeln in Bayern. Das sei „in Einzelfällen fürs Ehrenamt kaum mehr zuzumuten“. Man versuche dennoch, der Lage Herr zu werden. Noch gelinge das, doch wenn der Krieg noch länger andauere, müssten Wartelisten eingeführt werden. Die Fragen an den Tafelvorsitzenden stellte Dirk Baas.
epd sozial: Viele Flüchtlinge aus der Ukraine wenden sich bereits an die Tafeln, um Lebensmittel zu bekommen. Wie groß ist der Zulauf?
Peter Zilles: Der Zuwachs an Flüchtlingen ist sehr groß, das treibt uns seit vier Wochen um. Man muss das schon einen massiven Andrang an Neukunden nennen. Bei einigen kleineren Tafeln sehen wir bereits, dass die Zahl der Ukraine-Flüchtlinge, die zu uns kommen, die Zahl der Altkunden übersteigt. Das stellt die Helferinnen und Helfer dort vor erhebliche Probleme und ist in Einzelfällen für ein Ehrenamt kaum noch zumutbar. Besonders kleine Tafeln sind von den Räumlichkeiten, aber auch von der Menge der Lebensmittel, die sie in den Geschäften abholen, auf solch einen Zuwachs nicht vorbereitet. Diese Tafeln fahren am Limit oder sind bereits darüber hinaus.
epd: Daran sind ja die Kommunen nicht unschuldig ...
Zilles: Das stimmt, denn die Flüchtlinge werden oft von den Behörden direkt zu uns geschickt. Obwohl ja die Kommunen zunächst für die Versorgung der Menschen zuständig sind. Aber so werden wir quasi in die Pflicht genommen, uns zu kümmern und so eine staatliche Aufgabe zu übernehmen.
epd: Wie bekommen die Tafeln das organisatorisch in den Griff?
Zilles: Das ist nicht immer leicht. Wir müssen grundsätzlich die Bedürftigkeit der Menschen prüfen, die zu uns kommen. Jetzt sind wir durch den Krieg in einer Krisensituation. Die zuständigen Behörden brauchen aber mancherorts drei bis fünf Wochen für die Registrierung. In dieser Zeit müssten die Flüchtlinge ohne Unterstützung bleiben. Das kann man nicht machen. Wir helfen unbürokratisch, die Menschen bekommen Lebensmittel, aber auch immer den Hinweis: Sobald sie Dokumente bekommen haben, müssen sie diese auch vorlegen. Wir als Landesverband haben den Tafeln empfohlen, hier sehr flexibel im Sinne der Nächstenliebe zu handeln. Ich bin aber überzeugt, wenn der Krieg nicht noch Monate dauert, dann werden wir das hinkriegen, auch wenn die Aufgabe gewaltig ist.
epd: Und wenn nicht?
Zilles: Die Antwort kann nur hypothetisch sein. Die eine oder andere Tafel wird das meistern, wenn noch deutlich mehr Flüchtlinge kommen und auch länger bleiben. Bei vielen Tafeln wird es wahrscheinlich nur weitergehen können, wenn Wartelisten eingeführt werden.
epd: Welche Rolle spielen die gestiegenen Lebensmittelpreise und die Energiekosten beim Kundenzuwachs?
Zilles: Dadurch kommen schon auch mehr Menschen zu den Tafeln, das sehen wir. Aber der prozentuale Zuwachs ist im Vergleich zu den Flüchtlingen relativ gering. Nehmen wir das Beispiel Nürnberg. Die dortige Tafel unterstützte pro Woche rund 4.000 Personen. Vor gut zwei Wochen waren es 3.200 Menschen mehr. Das erleben wir in unterschiedlicher Ausprägung überall in Bayern. Stündlich werden es mehr Menschen, der Zustrom reißt nicht ab.
epd: Wie ziehen sich die Tafeln aus der Affäre, denn die zu verteilenden Spenden sind ja endlich? Müssen schon Hilfebedürftige weggeschickt werden?
Zilles: Das wäre die ultima ratio. Das wollen wir natürlich auf jeden Fall vermeiden. Wir versuchen, den Mangel, wo er denn besteht, so lange zu verwalten, wie es irgendwie geht. Aber richtig ist, dass es Überlegungen gibt, die Zahl neuer Klienten zu reduzieren. Doch wen wollen Sie ausschließen? Wen nimmt man auf, wen nicht. Ganz schwierig. Mancherorts gehen die Lebensmittelspenden der lokalen Geschäfte stark zurück, anderorts ist es eher schwierig, genügend Personen zu haben, die die Waren abholen, sortieren und auch ausgeben. Auf Dauer, das ist klar, können wir die Unterstützung der Geflüchteten nicht alleine stemmen. Da ist die Politik, da sind die Länder und Kommunen in der Pflicht, uns zu helfen.
epd: Wie blicken die Altkunden auf die nun vermehrt ankommenden Flüchtlinge. Läuft der Tafel-Alltag ohne Konflikte ab?
Zilles: Wir hatten große Befürchtungen, auch mit Blick auf die verschiedenen Nationalitäten, die vor der Tür standen. Wir haben natürlich Russlanddeutsche als Kunden, jetzt auch Ukrainer. Doch alles scheint gut zu laufen. Mir wurde nur ein einziger Vorfall eines Konfliktes gemeldet. Da war aber wohl zu viel Alkohol im Spiel. Aber es gibt auch positive Signale der gegenseitigen Unterstützung. So übersetzen Russen jetzt für die Kunden aus der Ukraine. Dass es ein Grummeln gibt bei Altkunden, wenn plötzlich viel mehr Menschen in der Warteschalge stehen, das kennen wir natürlich. Aber das gab es auch in der Vergangenheit. 2015 war das nicht anders.
epd: Konnten sich die Tafeln auf Basis der Erfahrungen vor sieben Jahren jetzt besser vorbereiten?
Zilles: Das wäre schwierig. Denn die Flüchtlinge aus der Ukraine kamen sehr überraschend, quasi von heute auf morgen. Aber für uns war klar, als der Krieg ausbrach, dass wir mit mehr Kunden würden rechnen müssen. Wir hatten etwa zwei Wochen Vorlauf, bis es dann losging mit den Neuankömmlingen. Erst in der dritten, vierten Kriegswoche sind die Zahlen exorbitant gestiegen. Eine Erfahrung aus der Flüchtlingskrise 2015 war, dass man mehr Langmut bei der Ausgabe von Lebensmitteln zeigen muss. Da muss man mit viel Verständnis herangehen. Die Kunden müssen die Abläufe und Vorgaben einer Tafelausgabe erst einmal kennenlernen. Denn sie haben auf der Flucht auch gelernt, wer vorne steht, kommt mit und die anderen bleiben zurück. Doch bei uns gilt: Auch wer länger wartet, bekommt noch etwas mit nach Hause.