München (epd). Der Münchner Hauptbahnhof bei Nacht. Alles scheint ruhig. Die Geschäfte sind geschlossen. Nur in den Räumen der Bahnhofsmission am Gleis 11 brennt noch Licht. An sieben Tagen die Woche ist 24 Stunden lang der Schalter der Mission besetzt. Auch in der Nacht halten die etwa 20 Haupt- und die rund 140 Ehrenamtlichen die Stellung. In diesem Jahr feiert die Münchner Bahnhofsmission, die in evangelischer und katholischer Trägerschaft steht, ihr 125-jähriges Bestehen.
Zur Bahnhofsmission kann jeder Mensch kommen, der Hilfe sucht. Heute sind das oft Menschen ohne Wohnung, ohne Essen, ohne Geld. Die Mission bietet viele niederschwellige Angebote ohne aufwendige Bürokratie: Eine Tasse heißen Tee, ein Brot, aber auch Beratung und Vermittlung an andere Stellen. Barbara Thoma, evangelische Leiterin der Bahnhofsmission, schätzt die Flexibilität, mit der sie und ihr Team schnell Hilfe leisten können. Rund 70 Menschen beraten die Mitarbeiten täglich, etwa 500 Kontakte mit Hilfesuchenden hält das Team aufrecht.
„Für viele Menschen ist die Bahnhofsmission die erste Anlaufstelle, um Hilfe zu bekommen“, sagt Thoma, die sich die Leitungsarbeit mit Bettina Spahn von katholischer Seite teilt. Dabei ist die Mission eine Art Seismograph: Probleme und Themen, die sich in den schlichten Räumen an Gleis 11 häufen, spielen oft mit etwas zeitlichem Versatz auch gesamtgesellschaftlich eine Rolle. Die Bahnhofsmission könne daher als eine Art Frühwarnsystem für die Gesellschaft fungieren, findet Thoma.
In der Gründungszeit der Münchner Bahnhofsmission Ende des 19. Jahrhunderts nahmen vor allem junge Mädchen und Frauen Hilfe in Anspruch. Viele von ihnen kamen vom Land und suchten in der Stadt nach Arbeit und einem besseren Leben. Das böse Erwachen folgte oft schon bei der Ankunft am Münchner Bahnhof: Organisierte Händler nutzten ihre Unbedarftheit aus, boten ihnen Arbeitsplätze mit schlechten Bedingungen oder verkauften sie als Prostituierte im In- und Ausland.
Diese Probleme sah die in Schweden geborene Frauenrechtlerin Ellen Amman und beschloss im Jahr 1897 zusammen mit dem „Marianischen Mädchenschutzverein“, am Münchner Hauptbahnhof die erste katholische Bahnhofsmission Deutschlands zu eröffnen. Kurz nach der katholischen eröffnete auch die evangelische Bahnhofsmission in der Landeshauptstadt.
Beide Stellen waren von Anfang an durch das Ziel verbunden, jungen Frauen Schutz und Beratung zu bieten sowie ihnen bei der Vermittlung von Arbeit und Unterkunft zu helfen. Im Jahr 1910 führte das gute Miteinander der beiden Institutionen zur Gründung der „Konferenz für Kirchliche Bahnhofsmission“. Heute tragen das Evangelische Hilfswerk und der katholische Verband „In Via“ die Arbeit am Münchner Hauptbahnhof gemeinsam. Die gegenseitige ökumenische Wertschätzung ist laut Thoma bis heute spürbar.
Die Zusammenarbeit mit der Stadt München und der Deutschen Bahn verlaufe ebenfalls gut, sagt Thoma. Zwar haben die Bahnhofmissionen einen Mietvertrag über die genutzten Räumlichkeiten der Deutschen Bahn: „Miete müssen wir aber nicht zahlen.“
Auch im neuen Gebäude des Münchner Hauptbahnhofs, das bislang nur anhand einer Großbaustelle zu erahnen ist, sei für die Bahnhofmission weiterhin Platz eingeplant. 400 Quadratmeter, verteilt über zwei Stockwerke, sollen der Bahnhofsmission dann zur Verfügung stehen. Um 1900 sah das noch ganz anders aus: Damals arbeiteten die 17 ehrenamtlichen Frauen an einem abschließbaren Schreibtisch in der Wartehalle für die 3. Klasse.
Nicht geändert hat sich jedoch das Motto des Teams: „Schnell und unkompliziert jedem Menschen helfen“, das wollen Barbara Thoma und Bettina Spahn mit ihrem Team der Bahnhofsmission immer - egal wie die Räume aussehen.