sozial-Politik

Krieg in der Ukraine

Hartz IV für Ukrainer sorgt für Diskussionen




Kriegsflüchtlinge bei der Ankunft am Berliner Hauptbahnhof
epd-bild/Christian Ditsch
Ab Juni sollen Ukraine-Flüchtlinge Hartz IV erhalten. Sie werden bessergestellt als andere Geflüchtete, die nur Hilfen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz bekommen. Experten sagen, eine einheitliche Behandlung von Flüchtlingen habe es nie gegeben.

Frankfurt a.M. (epd). Die Hilfsbereitschaft für die ukrainischen Flüchtlinge in Deutschland ist groß: Privatpersonen vermitteln Wohnungen, spenden Geld, Kleidung und Mitgefühl - doch beim Engagement Einzelner bleibt es nicht: Ab 1. Juni haben Flüchtlinge mit ukrainischem Pass nach ihrer Registrierung Anspruch auf Leistungen der staatlichen Grundsicherung - sie erhalten damit die gleiche Unterstützung wie Hartz-IV-Empfänger oder bereits anerkannte Schutzberechtigte. Flüchtlinge aus anderen Kriegs- und Krisengebieten müssen hingegen weiterhin einen Asylantrag stellen. Gibt es in Deutschland zwei Klassen von Flüchtlingen?

Die Diskussion über diese Frage hält Migrationsforscher Jochen Oltmer für irreführend. „Es gab schon immer und es gibt auch weiterhin mehrere Klassen von Schutzsuchenden“, sagte der Professor vom Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien der Universität Osnabrück dem Evangelischen Pressedienst (epd). Als Beispiel nennt der Historiker subsidiär Schutzberechtigte, denen kein Asyl zuerkannt wird, die aber dennoch in Deutschland bleiben dürfen, weil ihnen in ihrem Herkunftsland zum Beispiel durch Bürgerkrieg ein „ernsthafter Schaden“ droht. Einen Daueraufenthaltstitel erhalten sie meist erst nach Jahren.

Als weitere Gruppe von Schutzsuchenden nennt Oltmer rund 220.000 jüdische Kontingentflüchtlinge, die seit 1991 aus den ehemaligen Sowjetrepubliken nach Deutschland geflohen sind. Auch sie hätten Anspruch auf Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch, erklärte der Professor.

Teilhabe-Bedingungen waren noch nie gleich

Auch nach Angaben des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) wurden Flüchtlinge in Deutschland schon immer unterschiedlich behandelt. Dies betreffe „ihre Migrationsverläufe, ihre Bleibeperspektiven und eng damit verknüpft ihre Integrations- und Teilhabe-Bedingungen“, sagte die DeZIM-Leiterin der Abteilung Migration, Ramona Rischke, dem epd.

Einen Bruch sieht die Expertin allerdings im Umgang der EU mit den ukrainischen Kriegsflüchtlingen. Während deren Flüchtlings- und Migrationspolitik in den vergangenen Jahren stark darauf ausgerichtet sei, die EU von Flüchtlingen abzuschotten und deren Aufnahme und Versorgung in Nicht-EU-Staaten zu verlagern, habe sie bei den Ukraine-Flüchtlingen gezeigt, wozu sie in der Lage ist, sagte Rischke.

Syrer und Afghanen reagierten irritiert

Schutzsuchende, die sich im Asylverfahren befinden, seien von der besonderen Behandlung der Ukrainer „zu Recht irritiert“, findet der Vorsitzende des Bundeszuwanderungs- und Integrationsrats (BZI), Memet Kilic. Menschen, die aus Syrien oder Afghanistan geflohen sind, fragten sich, warum nicht auch bei ihnen die für Flüchtlinge vorteilhafte EU-Massenzustrom-Richtlinie aktiviert wurde, sagte er.

Die Geldleistungen, welche die Ukrainer ab Juni nach dem Sozialgesetzbuch erhalten, sind höher als die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Während ein alleinstehender Erwachsener aus der Ukraine hierzulande 449 Euro pro Monat erhält, sind es für Asylbewerber 82 Euro weniger (367 Euro). Auch sind die ukrainischen Kriegsflüchtlinge in Deutschland krankenversichert, während andere Schutzsuchende nur in akuten Fällen medizinisch versorgt werden.

EU-Richtlinie ursächlich für Andersbehandlung

„Auf den ersten Blick mag dieser Punkt nicht wichtig sein“, erklärte der Osnabrücker Migrationsexperte Oltmer. In den letzten Jahren habe es aber immer wieder Todesfälle gegeben, weil Schutzsuchenden ärztliche Leistungen verweigert wurden, fügte er hinzu. Auch würden ihnen therapeutische Behandlungen wie etwa für Traumata vorenthalten.

Den Ausschlag für die Andersbehandlung der ukrainischen Kriegsflüchtlinge hat die Europäische Union (EU) gegeben. Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine hat die EU erstmals die sogenannte Massenzustrom-Richtlinie in Kraft gesetzt. Damit wurde allen ukrainischen Staatsbürgern kollektiv und sofort innerhalb der EU ein Aufenthaltstitel, Zugang zum Arbeitsmarkt, zu Wohnraum, medizinischer Versorgung und zu Schulen zugesprochen.

EU-Richtlinie erspart Hunderttausende Asylverfahren

Der Asylrechtsexperte Constantin Hruschka lehnt es ab von einer Klassenbildung von Geflüchteten in Deutschland zu sprechen. „Ich sehe - aus rechtlicher Sicht - keine zwei Klassen von Geflüchteten“, sagte der Rechtswissenschaftler vom Münchner Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik dem epd. Wegen der Massenzustrom-Richtlinie würden die Ukrainer von Anfang an wie Personen behandelt, die in einem Asylentscheid in Deutschland Schutz erhalten haben.

Hruschka wies darauf hin, dass die EU die Massenzustrom-Richtlinie nach Beginn des Kriegs in der Ukraine deshalb eingesetzt habe, um die Asylverfahren zu entlasten. In die EU-Staaten sind nach UN-Angaben mehr als fünf Millionen Menschen aus der Ukraine geflohen. Für jeden Einzelnen ein Asylverfahren durchzuführen, hätte sehr lange gedauert und deren Zugang zu Integrationsangeboten über Monate verzögert, betont deshalb der DeZIM-Experte für europäische Migrations- und Flüchtlingspolitik, Marcus Engler.

Asylbewerberleistungsgesetz abschaffen

In einem Punkt, mit dem die unterschiedliche Behandlung von Geflüchteten in Deutschland direkt beendet wäre, sind sich die Expertinnen und Experten einig: Sie alle forderten im Gespräch mit dem epd die Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes, das 1993 in Kraft trat, um Asylsuchende aus dem Sozialrecht herauszunehmen und ihnen keinen finanziellen Anreiz zu geben, in der Bundesrepublik Asyl zu beantragen.

Unterstützt wird diese Forderung seit langem von Pro Asyl und dem Paritätischen Wohlfahrtsverband. Im Koalitionsvertrag haben die Ampel-Fraktionen zumindest angekündigt, das Asylbewerberleistungsgesetz „im Lichte der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts weiterentwickeln“ und den Zugang für Asylbewerber zur Gesundheitsversorgung unbürokratischer gestalten zu wollen. Unter Druck gesetzt wurden die Regierungsparteien zuletzt von der Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung, Luise Amtsberg (Bündnis 90/Die Grünen). Sie forderte die Bundesregierung auf, ihre Vorhaben in dem Bereich zügig umzusetzen, „damit die Ungleichbehandlung nicht weiter fortdauert“.

Patricia Averesch