die Impfpflicht in Einrichtungen des Gesundheits- und Sozialwesens sorgt für Nervosität in der Branche: Bis 15. März müssen die Arbeitgeber den Gesundheitsämtern alle Beschäftigten melden, die weder zweimal geimpft sind, noch einen gültigen Genesungsnachweis haben, noch eine medizinische Kontraindikation gegen eine Corona-Impfung nachweisen. Die Behörden können dann gegen diese Personen ein sofortiges Beschäftigungsverbot verhängen. Doch tun sie das wirklich? Immerhin riskieren sie damit - mindestens in einigen Regionen Deutschlands - einen empfindlichen Einbruch bei der medizinischen und sozialen Versorgung der Bevölkerung.
Die evangelische Kirchengemeinde Schale bei Osnabrück beteiligt sich an dem von der Bundesregierung gestarteten Pilotprojekt „Neustart im Team (NesT)“, ein humanitäres Aufnahmeprogramm für besonders schutzbedürftige Flüchtlinge. Eine Gruppe von Ehrenamtlichen der Gemeinde begleitet dabei eine Familie aus Somalia ins für sie unbekannte Leben in Deutschland. Dazu gehört auch, dass sie ihr in den ersten zwei Jahren die Wohnung bezahlt.
Ilka Brühl wurde mit einer Lippenspalte geboren, der zweithäufigsten menschlichen Fehlbildung. Die 29-Jährige wurde wegen ihres Aussehens viel gehänselt. Aber sie hat sich davon nicht unterkriegen lassen. „Beleidigungen treffen mich schon lange nicht mehr“, sagt sie. Als Autorin und Influencerin appelliert sie an die Menschen, ihr Ich und ihr Anderssein zu akzeptieren. Mehr über die Mutmacherin im epd-Video.
Erwerbstätige Menschen mit Behinderung können auch nach dem Erreichen des Rentenalters kostenlos Hilfen am Arbeitsplatz bekommen. Nach einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts sind die Kosten für eine Arbeitsassistenz von den Integrationsämtern oder Reha-Trägern zu übernehmen.
Lesen Sie täglich auf dem Twitteraccount von epd sozial Nachrichten aus der Sozialpolitik und der Sozialbranche. Auf diesem Kanal können Sie mitreden, Ihren Kommentar abgeben und über Neuigkeiten Ihrer Einrichtung berichten. Gern lese ich auch Ihre E-Mail.
Markus Jantzer
Frankfurt a.M. (epd). Beschäftigte der Gesundheits- und Sozialbranche müssen bis zum 15. März ihre Arbeitgeber darüber informieren, dass sie zwei Mal geimpft sind oder einen gültigen Genesenen-Nachweis haben. Alternativ müssen sie eine medizinische Kontraindikation gegen eine Covid-19-Impfung vorlegen. Tun sie das nicht, droht ihnen ein Beschäftigungsverbot - mit unübersehbaren Konsequenzen für sie selbst, aber auch für die soziale und medizinische Versorgung der Bevölkerung in Deutschland.
Nach der vom Bundestag am 10. Dezember beschlossenen Reform des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) gilt ab 16. März eine sogenannte einrichtungsbezogene Impfpflicht für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Kliniken, Pflegeheimen, Arzt- und Zahnarztpraxen, Rettungs- und Pflegediensten, Geburtshäusern und anderen medizinisch-pflegerischen Einrichtungen. Der maßgebliche Paragraf 20a des Gesetzes enthält einige „unbestimmte Rechtsbegriffe“, wie der Rechtsexperte des Landes-Caritasverbandes für Oldenburg, Klaus Brokamp, kritisiert. Es sei nicht einmal klar abgegrenzt, für welche Einrichtungen der Sozialbranche die Impfpflicht gilt und für welche nicht, sagte er dem Evangelischen Pressedienst (epd).
Weitere Fragen, die für die soziale Versorgung der Bevölkerung in Deutschland zentral sind, sind derzeit völlig offen. So ist unbekannt, wie hoch die Impfquote in der Sozial- und Gesundheitsbranche in Deutschland derzeit ist, wie sehr sie etwa von der allgemeinen Impfquote der Gesamtbevölkerung in Höhe von rund 73 Prozent abweicht. Nach einer Umfrage der Caritas in Niedersachsen bei etwas mehr als 100 katholischen Sozialbetrieben sind nur in sechs Betrieben alle Beschäftigten geimpft.
Bei den bundesweit knapp 25.000 Beschäftigten der Johanniter-Unfall-Hilfe ist nach Angaben der Bundesgeschäftsstelle eine durchschnittliche Impfquote von mehr als 80 Prozent erreicht. Ob die Johanniter auch nach dem 15. März ihre Angebote mit dem dann noch zur Verfügung stehenden Personal aufrechterhalten können, soll „eine Detailabfrage klären, die gerade durch die Personalabteilungen der Verbände vorbereitet wird“, teilte eine Sprecherin dem epd mit.
Das Deutsche Rote Kreuz (DRK) wies gegenüber dem epd darauf hin, dass die Einrichtungen bei externem Personal, das regelmäßig in die DRK-Betriebe kommt, kein Auskunftsrecht haben, „so dass noch überhaupt nicht absehbar ist, wer hier nach dem 15. März noch in der Einrichtung tätig werden kann. Generell muss man sagen, dass die Verantwortung zur Umsetzung der Impfpflicht vom Gesetzgeber den ohnehin stark belasteten Einrichtungen überlassen wird“, kritisiert das DRK.
Unklar ist, wie die bisher impfunwilligen Beschäftigten auf den Druck, der durch die einrichtungsbezogene Impfpflicht auf sie ausgeübt wird, reagieren werden: Eilen sie nun zu den Impfzentren, warten sie erst einmal ab und lassen es auf ein Beschäftigungsverbot ankommen?
Nach dem Infektionsschutzgesetz „kann“ das Gesundheitsamt einer Person, die keinen zweifelsfreien Immunitätsnachweis vorlegt, den Zugang zu ihrem Arbeitsplatz untersagen. Die Behörde hat somit einen Ermessensspielraum. Wie weit die mehr als 400 Gesundheitsämter in Deutschland ihn nutzen werden, ist ungewiss. Im Übrigen hängt die Reaktionszeit der Gesundheitsämter auch von ihrer jeweiligen Auslastung ab. Wird allerdings ein Beschäftigungsverbot ausgesprochen, haben Widerspruch und Anfechtungsklage dagegen keine aufschiebende Wirkung.
Die Unternehmen der Gesundheits- und Sozialbranche können also die Entscheidung des Gesundheitsamtes abwarten. Bis dahin kann der Betrieb über den 16. März hinaus wie gewohnt weiterlaufen und seine Dienste für Seniorinnen, Patienten, Pflegebedürftige, Menschen mit Behinderung und andere Klientinnen und Klienten in vollem Umfang anbieten, erklärt der Jurist Brokamp.
Was Neuanstellungen nach dem 16. März angeht, ist das Gesetz unmissverständlich: Diese Personen dürfen nur in den Gesundheits- und Sozialeinrichtungen arbeiten, wenn sie einen gültigen Immunitätsnachweis oder eine Impf-Kontraindikation vorgelegt haben. Dabei gilt - wie auch bei den bereits Beschäftigten: Zwei Impfungen genügen, eine Boosterimpfung ist nicht erforderlich. Der Genesenen-Nachweis muss mindestens 28 Tage alt sein und darf nicht mehr als drei Monate alt sein. Verstoßen Arbeitnehmer und Arbeitgeber gegen die Vorschriften, werden gegen sie Bußgelder verhängt.
Hildesheim, Hannover (epd). Michaela Eichert muss gerade viel organisieren. Einzelne Bewohnerinnen und Bewohner im Hildesheimer Christophorusstift sind isoliert, weil sie sich mit dem Coronavirus infiziert haben. Einige Pflegekräfte sind in Quarantäne und Dienste müssen neu verteilt werden. „Zum Glück sind es bisher milde Verläufe, Erkältungssymptome oder gar keine“, sagt die leitende Pflegerin im vollstationären Bereich des Heimes. Ein anderes Thema rückt da einen Moment lang in den Hintergrund, das derzeit Pflegeheime, Kliniken oder auch Praxen beschäftigt: die Impfpflicht für das Personal, die ab Mitte März gilt.
„Das ist ein sehr gemischtes Thema, nach wie vor“, sagt Eichert, und das, obwohl in der Hildesheimer Einrichtung die weit überwiegende Mehrheit der Mitarbeitenden geimpft ist. „Es gibt immer noch einige wenige, die wollen zum Beispiel warten, bis ein anderer Impfstoff entwickelt ist“, berichtet sie. Manche würden wohl dabei bleiben, trotz der Folgen.
Geschäftsführer Sven Schumacher spricht von „einer Handvoll“. In stationären Einrichtungen der evangelischen Altenpflege in Niedersachsen seien es vielleicht fünf Prozent, sagt Schumacher, der auch Vorstandsvorsitzender des Niedersächsischen Evangelischen Verbandes für Altenhilfe und Pflege (NEVAP) mit mehr als 300 Mitgliedseinrichtungen ist.
Bundesweit lag laut Monitoring des Robert Koch-Institutes (RKI) bis Ende November in Langzeitpflegeeinrichtungen die Impfquote unter den Beschäftigten bei 81 Prozent - allerdings bei einer breiten Streuung zwischen den Einrichtungen. Genaue Zahlen fehlen. So verweist der Bundesverband privater Pflegedienste auf die Daten des RKI. Heike Prestin von der Diakonie in Deutschland hält Quoten für wahrscheinlich, die mit den allgemeinen Impfquoten korrespondieren. „Natürlich gibt es regionale Unterschiede“, sagt sie.
Träger wie die Diakonie fürchten deshalb je nach Region unterschiedliche Auswirkungen. „Zu den drängendsten Fragen gehört auch die Sicherstellung der Versorgung der uns anvertrauten Menschen“, betont Prestin. „Wenn ungeimpfte Mitarbeitende freigestellt werden, müssen Möglichkeiten geschaffen werden, die Ausfälle zu kompensieren.“ Das sei bei den häufig dünnen Personaldecken schwierig. „Hier braucht es etwa Regelungen, die eine Abweichung von gesetzlich vorgesehenen Personalvorgaben möglich machen.“
Im hannoverschen Klinikkonzern Diakovere hat es laut Sprecher Matthias Büschking noch keine Kündigungen mit Blick auf die nahende Impfpflicht gegeben. Rund 95 Prozent der Mitarbeitenden seien geimpft, sagt er. Diakovere hat in einem seiner Krankenhäuser ein eigenes Impfzentrum, es gebe eine Hotline für Fragen und immer wieder Gespräche. „Wir möchten erst einmal überzeugen und keinen zusätzlichen Druck ausüben“, betont Büschking.
Nach dem Gesetz müssen die Arbeitgeber den Gesundheitsbehörden melden, wer ab dem Stichtag 15. März nicht geimpft ist. Die Ämter können dann ein Betretungsverbot für die jeweilige Einrichtung und ein Beschäftigungsverbot aussprechen. Hans-Peter Daub vom Diakonischen Dienstgeberverband in Niedersachsen sieht das kritisch. „Als Unternehmer halte ich eine solche Ungleichbehandlung einer Berufsgruppe für sehr schwierig“, sagt Daub. Er fordert deshalb eine allgemeine Impfpflicht.
In der Pandemie sei die einrichtungsbezogene Impfpflicht eine weitere Last, die Pflegenden aufgebürdet werde, ist auch NEVAP-Vorsteher Schumacher überzeugt. Seit zwei Jahren arbeiteten sie unter großer Anspannung mit Ängsten und massivem Einsatz. Michaela Eichert spürt dies ganz aktuell angesichts des Corona-Ausbruches im Christophorusstift. „Wir sind ein gutes Team, alle ziehen an einem Strang“, sagt sie. Davon, dass die Impfungen insgesamt die Situation verbessert haben, ist sie trotz des Ausbruches überzeugt.
Berlin (epd). Die Warnungen vor negativen Auswirkungen der Corona-Impfpflicht für das Pflege- und Gesundheitspersonal werden lauter. Die Präsidentin des Deutschen Caritasverbandes, Maria Welskop-Deffaa, sagte am 18. Januar in Berlin, es sei durchaus denkbar, dass die Impfpflicht ihr Ziel verfehle, die Situation in den Einrichtungen zu stabilisieren. Der Paritätische Gesamtverband spricht in einem Brandbrief an alle Bundestagsabgeordneten von „großer Sorge“ bei seinen Mitgliedseinrichtungen. Die Diakonie Deutschland fordert, die Einrichtungen dürften nicht alleingelassen werden.
Caritas-Chefin Welskop-Deffaa erklärte, wenn wegen der Impfpflicht Personal abwandere, werde man schnell nachsteuern müssen. In ihrem Verband gebe es entsprechende Signale aus Bundesländern wie Thüringen, Bayern oder Baden-Württemberg, wo die Zahl der Impfskeptiker höher und auch unter den Beschäftigten in Caritas-Einrichtungen größer sei als etwa in Nordrhein-Westfalen oder Schleswig-Holstein. Die Leitungen berichteten, dass Kolleginnen und Kollegen ankündigten, sich ab März andere Beschäftigungen zu suchen, sagte sie.
Welskop-Deffaa erinnerte daran, dass die Caritas gefordert hatte, die Einführung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht mit einer erweiterten oder allgemeinen Impfpflicht zu verknüpfen, um solche Entwicklungen zu vermeiden. Das werde nicht mehr gelingen, da eine breitere Impfpflicht voraussichtlich erst im Sommer wirksam werden könne, sagte sie. Umso wichtiger sei der Blick auf den kommenden Herbst. Sie erwarte von der Politik, dass sie das Land vorbereite, sagte die Caritas-Chefin. Die Zustimmung der Bevölkerung zu den Corona-Maßnahmen werde sonst weiter sinken.
Der Paritätische Gesamtverband drängt in einem am 18. Januar veröffentlichten Brief an die Abgeordneten auf eine Entscheidung des Bundestags über eine allgemeine Impfpflicht „deutlich vor dem jetzt diskutierten Zeitpunkt Ende März“. Der Vorsitzende Rolf Rosenbrock und Geschäftsführer Ulrich Schneider fordern eine „Impfgesamtstrategie“. Dass die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht wieder in Frage gestellt werde, führe in den Einrichtungen, für die sie schon bald gelten soll, zu Verunsicherungen. Zudem sei mit Verschärfungen der Personallage zu rechnen, wenn es tatsächlich in größerem Umfang zu Beschäftigungsverboten wegen Impfverweigerung komme - gerade mit Blick auf das Versorgungsgefälle zwischen Stadt und Land.
Der Verband wirbt eindringlich dafür, „die Fristen für die allgemeine und die einrichtungsbezogene Impfpflicht zu harmonisieren“. Das Verhältnis dieser beiden Impfszenarien müsse „austariert werden“, erklärt der Paritätische. Gebraucht werde eine abgestimmte und kohärente bundesweite Impfstrategie.
Der Bundestag hatte im Dezember mit breiter Mehrheit eine Impfpflicht für das Personal in Krankenhäusern, Pflegeheimen und Behinderteneinrichtungen beschlossen, weil sie besonders gefährdete Menschen betreuen. Wer keine Immunität oder eine medizinische Kontraindikation gegen eine Corona-Impfung nachweisen kann, der oder dem droht vom 16. März an ein Beschäftigungsverbot. Der Paritätische und auch die Diakonie kritisierten, zahlreiche Fragen zur Umsetzung seien noch ungeklärt.
Diakonie-Vorständin Maria Loheide forderte einheitliche Regeln für das ganze Bundesgebiet und betonte, dass aus Sicht der Pflege die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht folgen muss. Sie wäre ein wichtiges Zeichen gesamtgesellschaftlicher Verantwortung, sagte Loheide. „Bei der zum 15. März beschlossenen einrichtungsbezogenen Impfpflicht sind noch viele rechtliche Fragen der Umsetzung ungeklärt. Hier muss die Politik rasch handeln, damit kein bundesweiter Flickenteppich entsteht.“ Die örtlichen Gesundheitsämter bräuchten Leitlinien für einheitliche Kriterien. „Das darf nicht zu Lasten der Einrichtungen und ihrer Träger geschehen. Viele Träger sind in verschiedenen Städten und Landkreisen aktiv - für deren Mitarbeitende muss gleiches Recht gelten.“
„Wilfried Wesemann, Chef des Deutschen Evangelischer Verbandes für Altenarbeit und Pflege (Devap), sagte mit Blick auf fehlendes Personal, “die Kompensation der Ausfälle darf nicht an denjenigen hängen bleiben, die ohnehin schon verantwortlich handeln und geimpft sind. Das ist bei den häufig dünnen Personaldecken schwierig."
Der Deutsche Pflegerat geht davon aus, dass Kündigungen vorwiegend von Beschäftigten mit unterstützenden Tätigkeiten wie Betreuungsassistenten oder Küchenpersonal zu erwarten sind. Pflegerats-Präsidentin Christine Vogler sagte, in diesen Berufsgruppen herrsche „eine etwas geringe Impfquote“ als beim Pflegepersonal.
Nürnberg (epd). Testgang durch den Neubau des „Zukunftsmuseums“, Nicole ist zufrieden. „Die Barrierefreiheit ist topp, es ist echt klasse“, sagt sie nach den ersten Schritten, bei denen sie sich von Journalisten begleiten lässt. Nicole bewegt sich mit einer VR-Brille (VR = virtual reality) auf dem Kopf durch den Ausstellungsbereich „Raum und Zeit“, der sich dem alten Menschheitstraum von fernen Galaxien und unendlichen Weiten widmet.
Die verwendete VR-Brille, eine sogenannte HoloLens, ist bei vielen Computerspielen bereits Standard. In diesem Fall hat das „Zukunftsmuseum“ das Nürnberger Jungunternehmen Inclusify beauftragt, eine Software für den inklusiven Museumsbesuch zu programmieren. Sie soll Menschen mit starker Seheinschränkung oder völlig Blinden einen autonomen Museumsbesuch ermöglichen. Über räumliche Tonsignale werden die Besucher zu den Exponaten in den Ausstellungsbereichen geführt. In einem weiteren Schritt werden die Inhalte an einzelnen Stationen so aufbereitet, dass sich auch Sehbehinderte eigenständig über die Exponate informieren können.
Nicole ist als Kleinkind mit gut anderthalb Jahren komplett erblindet und seitdem von der Welt der Sehenden weitgehend ausgeschlossen. Bei anderen Museumsbesuchen hat sie unterschiedliche Erfahrungen gemacht. Im Deutsche Bahn Museum Nürnberg konnte sie auch in die große Halle mit den Lokomotiven aus den verschiedenen Epochen. Damit sie sich einen Überblick verschaffen konnte, bekam sie ein besonderes inklusives Angebot. Den Adler, einen Nachbau von Deutschlands erster Lokomotive aus dem Jahr 1835, durfte sie anfassen und ausnahmsweise auch einsteigen. Schlechte Erfahrungen machte sie dagegen in einem Schokoladenmuseum. Als sie sich für eine Führung anmelden wollte, sei sie brüsk abgewiesen worden.
Derzeit sind im Deutschen Museum Nürnberg die Ausstellungsinhalte für die VR-Brille noch nicht fertig programmiert, Nicoles erstes Fazit beim Probelauf lautet aber: „Ich werde die Brille benutzen.“ Allerdings würde sie lieber die bisherigen akustischen Signale in andere Töne ändern. Außerdem fühle sich die Brille nach einiger Zeit schwer an, „wie ein halber Helm“. Immerhin führt die Brille zum Beispiel zur Station über die Gefahren des Weltraumschrotts. Dort kann die junge Frau die Informationen in Blindenschrift lesen.
Taktile Stationen sind Bestandteil der inklusiven Angebote im neuen „Zukunftsmuseum“. Grundsätzlich haben die Ausstellungsplaner auch Aspekte wie die Sichthöhen von Infotexten und gute Lesbarkeit durch Kontraste und Farbgebung beachtet. Außerdem finden sich in dem Ausstellungskonzept Stationen für Mehr-Sinne-Erfahrungen, die beispielsweise hörbar, berührbar oder auch mal riechbar sind. Um weitere Barrieren abzubauen, werden Medienstationen untertitelt und von Gebärdensprache begleitet. Audiostationen bieten eine Klinkenbuchse, damit Besucher eigene Kopfhörer nutzen können.
Der nächste Schritt bei der Inklusion ist das digitale Leitsystem mit der VR-Brille. Am Ende will das „Zukunftsmuseum“ aber allen Besuchern einen Mehrwert bieten. „Wir sehen das 'Zukunftsmuseum' auch als Plattform, neue, inklusive Konzepte und Technologien auszuprobieren und sie in der praktischen Umsetzung und in der Betrachtung ihrer Akzeptanz zu evaluieren“, sagt Louisa Bohn vom „Zukunftsmuseum“. So wolle man für eine stärkere Inklusion in unserer Gesellschaft beitragen, dem Thema Raum bieten und das Bewusstsein dafür fördern.
Für Inclusify-Gründer und Chef Marco Richardson ist das Blindenleitsystem mit der HoloLens-Brille nur ein erster Schritt. Technisch lässt sich das digitale System nahezu beliebig erweitern. Er spricht nicht mehr von virtueller Realität, sondern „Extended Reality“, also einer „erweiterten Realität“. Man kann eben auch Gebärdensprache oder Audiofiles einspielen - „für ganz individuelle und autonomere Museumserlebnisse für alle Menschen“.
Braunschweig (epd). „Schweinenase“ lautet das erste Wort in Ilka Brühls Biografie. Die junge Braunschweigerin schildert darin, wie ein Schuljunge sie hänselte. Die erste Szene des Buchs umreißt, womit die 29-Jährige sich viele Jahre auseinandersetzen musste. Sie wurde mit einer Lippenspalte geboren, ein Teil ihres Gesichts war nicht richtig zusammengewachsen. Trotz mehrerer Operationen bleibt die Fehlbildung deutlich erkennbar.
Selbstzweifel, Sorgen und auch manche Hänselei gehörten und gehören zu Ilka Brühls Alltag. Sie hat gelernt, damit umzugehen. „Beleidigungen treffen mich schon lange nicht mehr“, sagt sie bestimmt. Doch zufriedengeben will sie sich damit nicht. „Es gibt viele, die auf ihrer Reise zum Selbst noch nicht so weit sind wie ich. Denen möchte ich helfen.“
Brühl sieht sich als Mutmacherin und als Lotsin. Ihre Zielgruppe sind grundsätzlich alle Menschen, die mit Selbstzweifeln kämpfen. Sie erreicht sie auf Facebook und Instagram. Sie schreibt ein eigenes Blog und produziert einen Podcast unter dem Titel „Du bist wunderbar“. „Da kann ich alles thematisieren, was mir am Herzen liegt“, sagt sie. Entscheidend sei jedoch auf allen Plattformen, dass sie sich authentisch präsentieren möchte. „Auch wenn das Wort vielleicht abgedroschen klingt.“
Viele Influencer präsentierten sich immer gut gelaunt, seien stets perfekt gestylt und vermittelten so ihren Followern letztlich ein unerreichbares Ideal und eine Fantasiewelt. „Ich will anders sein“, betont Brühl. „Ich zeige mich nicht nur an meinen besten Tagen. Zwar bin ich grundsätzlich positiv eingestellt, aber ich habe auch melancholische Phasen, die ich nicht verstecken will.“ Mehr als 34.000 Menschen folgen ihr bei Instagram. „Ich allein mache für sie vielleicht keinen großen Unterschied. Aber ich bin eine Stimme.“
Der Kampf für mehr Akzeptanz ist ihr wichtig. Sogar gegen Widerstände in der eigenen Familie setzte sie ihn durch, etwa als sie dafür ihren Job als Maschinenbau-Ingenieurin bei VW aufgab. Der sei zwar „spannend gewesen, aber mehr auch nicht“, sagt sie mit einem Schulterzucken. Ihr neuer Weg gebe ihr und anderen eine Perspektive und die Aussicht auf Erfüllung. Das habe auch ihre Familie inzwischen erkannt. Letztlich steht ihr Werdegang ein weiteres Mal als Beispiel für die schwierige Reise zu sich selbst.
Als freiberufliche Autorin und Illustratorin versucht Brühl, ihre Werte auch über Bücher an Kinder und Jugendliche zu vermitteln. Gerade Kinderbücher faszinieren sie. „Die haben in der Kürze eine tolle Message.“ Ihr erstes Buch „Milo, der Naschkater“ erzählt die Geschichte vom Vegetarier Milo, der sich am liebsten von süßem Kuchen ernährt. Damit lebt auch Milo den Lesern Andersartigkeit vor. Sorgsam hat Brühl diese Botschaft in den Hintergrund gestellt. „Wichtig für die Kinder ist doch vor allem eine tolle Geschichte“, sagt sie.
Ihr sei wichtig, dass Kinder sich nicht ausgegrenzt und allein fühlen müssen, wenn sie sich einmal anders wahrnähmen. Ihr nächstes Buch „Die Plagegeister und der weiße Löwe“ wird im März erscheinen und sich an eine etwas jugendlichere Leserschaft richten. Weitere Kinderbücher sollen folgen. Und auch in Vorträgen und in Kooperation mit Unternehmen will Brühl ihre Botschaft weiter in die Welt tragen. „Ich möchte den Leuten helfen, dass sie die Vielfalt als etwas Bereicherndes wahrnehmen.“
Berlin (epd). Die Pläne der Ampelkoalition für eine Abschaffung des Werbeverbots für Abtreibungen werden konkret. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) präsentierte am 17. Januar in Berlin einen Entwurf zur Abschaffung des umstrittenen Paragrafen 219a. Dies solle ermöglichen, dass Ärztinnen und Ärzte auch auf ihren Internetseiten sachlich über Schwangerschaftsabbrüche aufklären können, sagte Buschmann. Mit der Streichung des Paragrafen werde ein „unhaltbarer Rechtszustand“ beendet. Bislang müssten Mediziner mit Ermittlungen und Verurteilungen rechnen, wenn sie etwa über Methoden einer Abtreibung aufklären.
SPD, Grüne und FDP hatten bereits in ihrem Koalitionsvertrag festgelegt, den Paragrafen 219a streichen zu wollen. „Ich glaube, wir müssen das Recht der Gegenwart anpassen“, sagte Buschmann. Der Strafrechtsparagraf zum Schwangerschaftsabbruch stamme aus einer Zeit, in der es das Internet noch nicht gegeben habe. Am Schutz des ungeborenen Lebens ändere sich dadurch nichts, betonte Buschmann. Die Verankerung der Abtreibung im Strafgesetzbuch mit den Paragrafen 218 und 219 bliebe dadurch erhalten. Demnach steht ein Schwangerschaftsabbruch grundsätzlich unter Strafe, nach einer Beratung im ersten Drittel der Schwangerschaft bleibt er aber straffrei.
Der Paragraf 219a im Strafgesetzbuch verbietet die Werbung für Schwangerschaftsabbrüche aus wirtschaftlichen Interessen und in „grob anstößiger Weise“. Das führte in der Vergangenheit zu Verurteilungen von Ärztinnen und Ärzten, die aus ihrer Sicht sachlich auf der Internetseite ihrer Praxis darüber informiert hatten, dass sie Abtreibungen durchführen und welche Methoden sie anwenden.
Eine von ihnen war die Gießener Ärztin Kristina Hänel, die nun ihre Genugtuung zum Ausdruck brachte. Dem Evangelischen Pressedienst (epd) sagte sie, es seien „anstrengende, bewegte Jahre“ gewesen, seit sie sich 2017 wegen eines Verstoßes gegen das Werbeverbot für Abtreibungen vor dem Amtsgericht Gießen verantworten musste. Es erfülle sie mit „tiefer Zufriedenheit“, dass die Ärzteschaft sich nun endlich ärztlichen Aufgaben und der medizinischen Versorgung widmen und die Justiz ihre Kräfte in die Verfolgung echter Straftaten legen könne.
Hänel war 2017 vom Amtsgericht Gießen zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Nach Ausschöpfung des Rechtswegs zog sie bis vor das Bundesverfassungsgericht.
Bundesfamilienministerin Anne Spiegel (Grüne) wies darauf hin, dass sich Frauen, die ungewollt schwanger werden, sich in einer äußerst schwierigen Situation befänden. „Sie begegnen oftmals Bevormundung und Vorverurteilung, wo sie dringend Unterstützung und Beratung bräuchten.“ Viele Frauen suchten zuallererst im Internet nach Rat. Aber ausgerechnet Ärztinnen und Ärzte, die fachlich am besten qualifiziert seien, dürften im Netz nicht über Schwangerschaftsabbrüche aufklären. „Diese Hürde müssen wir im Sinne der Betroffenen schnellstens aus dem Weg räumen.“
In der vergangenen Legislaturperiode hatte die SPD mit dem damaligen Koalitionspartner Union einen Kompromiss geschlossen, wonach das Werbeverbot gelockert, aber nicht abgeschafft wurde. Der nun vorliegende Entwurf zur Abschaffung des Paragrafen 219a muss zunächst innerhalb der Regierung abgestimmt und dann vom Bundestag beraten werden.
Bonn (epd). Derzeit ist der Schwangerschaftsabbruch rechtswidrig, bleibt aber unter der Voraussetzung einer psychosozialen Beratung bis zur zwölften Schwangerschaftswoche straffrei. „Dieser einmalige Kompromiss, der beiden Seiten etwas abverlangt, sollte nicht aufs Spiel gesetzt werden“, sagte der Bundesvorsitzende von donum vitae, Olaf Tyllack, im epd-Interview. Die Fragen stellte Dirk Baas.
epd sozial: Die neue Bundesregierung will Änderungen im Bereich der Schwangerschaftskonfliktberatung und beim Schwangerschaftsabbruch vornehmen. Wird da womöglich ohne Not ein zwar umstrittener, gleichwohl bewährter Kompromiss gefährdet?
Olaf Tyllack: Wir halten den 1995 geschlossenen Kompromiss für den bestmöglichen Weg, um der ethischen, rechtlichen und psychosozialen Dimension eines Schwangerschaftskonfliktes gerecht zu werden. Im Ergebnis hat der Kompromiss, dass der Schwangerschaftsabbruch rechtswidrig, aber unter der Voraussetzung der psychosozialen Beratung bis zur 12. Woche straffrei bleibt, zu einer tragfähigen Praxis beigetragen. Dieser einmalige Kompromiss, der beiden Seiten etwas abverlangt, sollte nicht aufs Spiel gesetzt werden. Im Übrigen muss man differenzieren: Wären sich die Koalitionsparteien in dieser Frage bereits einig, hätten sie vermutlich nicht erst eine Kommission angekündigt, die Regulierungen für den Schwangerschaftsabbruch außerhalb des Strafgesetzbuches prüfen soll.
epd: Eine Petition, die im November an Bundestagsabgeordnete übergeben wurde, fand 110.000 Unterzeichnerinnen und Unterzeichner. Die Forderung: eine vollständige Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen und eine rechtliche Regelung außerhalb des Strafgesetzbuches. Wie kommentieren Sie diesen Wunsch?
Tyllack: Die im Strafgesetzbuch verankerte Regelung zur Beratung im Schwangerschaftskonflikt dient gleichermaßen dem ungeborenen Leben und der schwangeren Frau, während in der Petition ausschließlich die Perspektive der ungewollt schwangeren Frau und der Ärztinnen und Ärzte, die Schwangerschaftsabbrüche anbieten, eingenommen wird. Und anders als in der Petition dargestellt, wird durch die Beratungsregelung eine Kriminalisierung von Frauen, die sich nach der Beratung für einen Abbruch entscheiden, gerade verhindert. Ich sehe keine andere Lösung, da der Staat eine Schutzpflicht auch für das ungeborene Kind hat, der er durch die verpflichtende psychosoziale Beratung nachkommt. Erst so kann der Schwangerschaftskonflikt von beiden Seiten betrachtet und dem ungeborenen Kind in der Beratung eine Stimme verliehen werden.
epd: Schwangerschaftsabbrüche gelten in Deutschland schon seit über 150 Jahren als Straftat. Ist es nicht doch nötig, hier zu anderen, vielleicht auch zeitgemäßeren Lösungen zu kommen?
Tyllack: Die gesetzliche Regelung war in dieser langen Zeit immer wieder in der Diskussion und wurde schon mehrfach reformiert. Immer war die gefundene Regelung auch ein Ausdruck der jeweiligen Zeit. Ich halte das Schutzkonzept des Staates, das auf Hilfe statt auf Strafe setzt, nach wie vor für zeitgemäß. Es stärkt die Frau in ihrer verantworteten Entscheidung. Ein straffreier Schwangerschaftsabbruch mit adäquater medizinischer Versorgung und Nachbetreuung gewährleistet das Recht der Frau auf körperliche Unversehrtheit. Dieses Recht der Frau steht aber nicht über dem Recht des ungeborenen Kindes auf Leben und Unversehrtheit - die psychosoziale Beratung eröffnet die Chance, dass auch diese Stimme zu Wort kommt.
epd: Dagegen gibt es aber offenkundig auch Widerspruch.
Tyllack: In der Tat sehen manche als Gradmesser des Zeitgemäßen beim Thema Schwangerschaftsabbruch ausschließlich die reproduktive Selbstbestimmung der Frau. Ob der Deutsche Bundestag tatsächlich mehrheitlich diese Meinung teilt, erscheint mir aber durchaus offen. Für mich ist jedenfalls offenkundig, dass das Bundesverfassungsgericht, wenn es in der Linie seiner bisherigen Rechtsprechung bleibt, einen solchen Weg nicht billigen könnte. Und wohl kaum jemand würde auf die Idee kommen, dass das in unserem Grundgesetz niedergelegte Gebot des wirksamen Schutzes der Menschenwürde und des Rechts auf Leben nicht mehr zeitgemäß wäre.
epd: Den Reformaufruf unterstützen immerhin 172 verschiedene Organisationen. Liegen die wirklich alle falsch?
Tyllack: Viele der 172 Organisationen setzen sich ausdrücklich und in erster Linie für die Rechte von Frauen ein. Beim Schwangerschaftsabbruch handelt es sich aber nicht ausschließlich und auch nicht in erster Linie um ein gleichstellungspolitisches Thema. Daher reicht es nicht aus, nur die Seite zu hören und zu berücksichtigen, die aktuell eine Änderung des geltenden Rechts anstrebt, auch wenn sie ihr Anliegen lautstark mit vielen unterstützenden Stimmen vorträgt. Donum vitae und viele andere, gerade auch kirchliche Organisationen versuchen, eine solche Polarisierung zu vermeiden und nehmen neben dem Selbstbestimmungsrecht der Frau auch das ungeborene Leben in den Blick.
epd: Das angekündigte Reformvorhaben gleicht der Quadratur des Kreises, sind doch zwei Rechtsgüter gegeneinander abzuwägen: der Schutz des ungeborenen Lebens und der Zugang zu freier, legaler und sicherer Abtreibung. Wie soll das funktionieren?
Tyllack: Nach meiner Überzeugung wird man den beiden Rechtsgütern Lebensschutz und Selbstbestimmung nur durch einen Kompromiss gerecht, wie ihn das geltende Recht darstellt. Mit einem jeden Kompromiss sind immer auch Zugeständnisse verbunden. Es ist eine wichtige demokratische Qualität, für tragfähige Konfliktlösungen bei hochstrittigen Themen kompromissfähig zu sein, auch wenn man sich von seinem persönlichen Standpunkt eine klarere Lösung gewünscht hätte. Ohne diese Kompromissfähigkeit hätte es die seit über 25 Jahren geltende Regelung nicht geben können.
epd: Die Ampel-Parteien wollen den Paragrafen 219a aus dem Strafgesetzbuch zu streichen. Er untersagt Ärztinnen und Ärzten, Informationen über Schwangerschaftsabbrüche öffentlich zur Verfügung zu stellen. Minister Buschmann nennt die Regelung „absurd“. Was sagen Sie?
Tyllack: Ich halte die Regelung nicht für absurd, sondern für angemessen. In der Tat ist sie erklärungsbedürftig: Menschliches Leben verdient einen hohen und wirksamen Schutz - in diesem Sinne regelt § 219a StGB das Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche. Weil der Abbruch einer Schwangerschaft von der Rechtsordnung grundsätzlich abgelehnt wird, sollen Ärztinnen und Ärzte ihn nicht gleichwertig in einer Reihe mit anderen von ihnen angebotenen Leistungen darstellen. Zugleich muss aber in jedem Fall gewährleistet sein, dass ungewollt schwangere Frauen Zugang haben zu allen relevanten Informationen ebenso wie zu Ärztinnen und Ärzten, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Auch die Arbeit der Ärztinnen und Ärzte muss rechtssicher erfolgen können.
epd: Kritiker sagen, es gebe keine hinreichende Informationen.
Tyllack: Die Information der Frauen über alle Aspekte eines Schwangerschaftsabbruchs ist insbesondere über die flächendeckend zugängliche Konfliktberatung gewährleistet, außerdem natürlich auch über das vor einem Abbruch erforderliche ärztliche Aufklärungsgespräch. Weitere Maßnahmen, zum Beispiel eine über die Bundesärztekammer öffentlich zugängliche Liste von Ärztinnen und Ärzten, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, wurden mit der erst 2019 erfolgten Reform des § 219a beschlossen und umgesetzt. Dieser Reform ist eine mehrjährige intensive Diskussion vorausgegangen, und auch hier wurde unter vielen Mühen ein nach meiner Einschätzung sinnvoller Kompromiss gefunden. Mit der Umsetzung sind erkennbar noch nicht alle zufrieden. Aber die neue Bundesregierung sollte sich mehr Zeit nehmen, um zu einer Bewertung der Maßnahmen zu kommen, statt als erstes den mühsam errungenen Kompromiss zu verwerfen.
epd: Die Union und auch die großen Kirchen warnen vor neuen rechtlichen Regelungen. Die CDU/CSU sieht bei einer Abschaffung des Werbeverbots „die Gefahr, dass Informationen und Geschäftsinteressen vermischt werden“. Ist das wirklich zu befürchten und damit das Kernargument gegen Reformen?
Tyllack: Diese Gefahr ist sicherlich nicht ganz von der Hand zu weisen. Doch für mich ist das Kernargument, wie oben dargelegt, die mit einer Streichung des Werbeverbots verbundene Umwertung.
epd: Sehen Sie die Gefahr eines Dammbruches, dass nach dem Paragrafen 219a auch der Paragraf 218, der Abtreibungen unter Strafe stellt, fallen könnte?
Tyllack: Es gibt bei vielen die Befürchtung eines Domino-Effekts. Doch von der angekündigten Prüfung einer alternativen Regelung außerhalb des Strafrechts erwarte ich angesichts der klaren Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes für einen effektiven Schutz des ungeborenen Lebens kein Signal für einen Systemwechsel.
epd: Was macht Sie da so sicher?
Tyllack: Ich bin überzeugt, dass auch in den Regierungsparteien genau zwischen den einzelnen Fragen unterschieden wird. Mein Eindruck ist, dass eine Abschaffung des Werbeverbots gesellschaftlich leichter zu vermitteln ist. Das ist bei der geltenden Beratungsregelung anders. Für eine Änderung sehe ich weder eine gesellschaftliche noch eine politische Mehrheit. Wer sich für eine Änderung dieser Regelung einsetzt, muss auch erklären, wie die doppelte Anwaltschaft für die schwangere Frau und das ungeborene Leben in einer alternativen gesetzlichen Regelung sichergestellt werden soll. Viele Frauen sind ausgesprochen dankbar für die Beratung, die ihnen im Schwangerschaftskonflikt Orientierung ermöglicht und Grundlage für eine informierte und gewissenhafte Entscheidung ist.
Mainz (epd). Nach Überzeugung des rheinland-pfälzischen Justizministers Herbert Mertin (FDP) sprechen keine grundlegenden verfassungsrechtlichen Hürden gegen die Einführung einer Corona-Impfpflicht. „Schwieriger dürfte die Frage sein, die richtige Form zu finden, diese Impfpflicht durchzusetzen“, sagte er dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Mainz. „Wenn man jeden Einzelnen erfassen will, muss man auch das dafür nötige Personal bereitstellen.“
Die Einrichtung eines bundesweiten Impfregisters sei nicht zwingend erforderlich. „Auch im Straßenverkehr wird die Einhaltung der Regeln mit stichprobenartigen Kontrollen sichergestellt“, erklärte Mertin. Er gehe zudem davon aus, dass sich ein Großteil der bislang ungeimpften Menschen nach dem Inkrafttreten einer Impfpflicht umentscheide: „Die meisten Menschen halten sich an Gesetze, selbst wenn sie an der einen oder anderen Stelle ihre Zweifel daran haben.“
Die Einführung einer Impfpflicht würde den Worten des FDP-Politikers zufolge nicht daran scheitern, dass die Impfung keinen vollständigen Schutz vor Infektion und Erkrankung bietet: „Das Gesundheitssystem vor dem Zusammenbruch zu bewahren und gegebenenfalls andere Grundrechtseingriffe, die ja weiter auf die Menschen einprasseln, wieder zurücknehmen zu können, wäre ebenfalls ein legitimes Ziel.“ Voraussetzung für die Impfpflicht sei, dass die vorhandenen Impfstoffe „für einen gewissen Zeitraum eine nennenswerte Abmilderung der Plage“ herbeiführen könnten.
Auf bestimmte Details der Impfpflicht wolle er sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht festlegen. Ob wirklich alle Bürgerinnen und Bürger oder nur die eher vulnerablen Gruppen ab einer bestimmten Altersgrenze sich impfen lassen müssen, sollten zunächst Wissenschaftler diskutieren. Auch innerhalb der Landesregierung gebe es dazu noch keine einheitliche Meinung: „Die Positionierung zu Gesetzgebungsverfahren erfolgt immer erst, wenn ein konkreter Gesetzesentwurf vorliegt und zur Entscheidung ansteht.“
Berlin (epd). Ein neues Internetportal macht die Erfahrungsberichte von 100 Betroffenen sexualisierter Gewalt öffentlich. Die Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs schaltete am 19. Januar das Portal „www.geschichten-die-zaehlen.de“ frei. Das Portal stelle die Perspektive der Opfer in den Mittelpunkt und nicht die Täter, sagte Kommissionsmitglied Matthias Katsch am 19. Januar während einer Online-Pressekonferenz. Es signalisiere Betroffenen, ihr Schicksal sei wichtig.
Das Portal sei ein „Herzensprojekt“ der Kommission, sagte die pensionierte Richterin Brigitte Tilmann. Zudem sei es deutschlandweit einzigartig. Die Geschichten stammen aus dem Arbeitszeitraum der Kommission und wurden in den vergangenen anderthalb Jahren ausgewählt und für die Veröffentlichung bearbeitet. Seit 2016 habe es mehr als 2.000 Anhörungen von Frauen und Männern gegeben, die in ihrer Kindheit und Jugend von sexuellem Missbrauch betroffen waren.
Die Berichte bilden unterschiedliche Tatkontexte ab, etwa in Schulen, Heimen, Sportvereinen, Kirchen sowie Familien. Die Tatzeiträume erstrecken sich von der Nachkriegszeit bis in die 2000er Jahre. Viele Menschen sprächen in ihren Erfahrungsberichten erstmals öffentlich über ihre Erlebnisse, sagte Tilmann. Mit der Veröffentlichung zolle man den Betroffenen Respekt und Anerkennung, nicht nur für das erlittene Leid, sondern auch für den Weg der Bewältigung, betonte Katsch, der selbst als Minderjähriger Opfer von Missbrauch im kirchlichen Umfeld wurde.
Über Missbrauch zu schreiben, sei eine Gratwanderung, sagte Tilman, ehemalige Präsidentin des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main. Es stelle sich die Frage, wie explizit die Darstellung sein könne, damit Voyeurismus nicht gefördert werde, andererseits die Taten aber auch nicht verharmlost würden. So seien die Geschichten sensibel bearbeitet worden. Die Seite enthält zudem Hinweise auf ein anonymes Infotelefon und ist auch in leichter Sprache abrufbar.
Tilmann, die auch Kommissionsmitglied ist, sprach von einem „würdigen Erinnerungsort“, der auch fortbestehen soll, wenn es die Kommission nicht mehr gibt. Weitere Berichte sollen hinzukommen.
Osnabrück (epd). „Fertig“: Das ist das erste Wort der ihr so fremden Sprache, das Hibo Mohamed verinnerlicht hat. Weil die Deutschen „fertig“ so oft gebrauchen. Als die 30-jährige Somalierin diesen Eindruck mit Hilfe eines Dolmetschers übermittelt, brechen ihre neuen Unterstützerinnen in Lachen aus. In diesem Moment ahnt man, dass es gelingen könnte: Ein Team aus Einheimischen nimmt eine geflüchtete Familie unter seine Fittiche und sorgt für gutes Ankommen in Deutschland.
So kommt es, dass an diesem Samstag in der Evangelischen Kirchengemeinde Schale bei Osnabrück eine bunte Gesellschaft zusammenkommt: Hibo Mohamed, ihr Ehemann Abdirashid und ihre beiden jüngsten Kinder. Dazu zwei ehrenamtliche Dolmetscher, drei Frauen aus dem Singkreis der Gemeinde und das Pastorenehepaar Annette und Roland Wendland. Sie alle wollen gemeinsam den „Neustart im Team“ (NesT) wagen.
So heißt das Programm, das die Bundesregierung vor zwei Jahren gestartet hat. Das Ziel: Besonders schutzbedürftige Menschen aus Krisenregionen dieser Welt sollen mit Hilfe guter Begleitung in der Zivilgesellschaft Wurzeln in Deutschland schlagen. Mindestens fünf Ehrenamtliche müssen sich dafür zu einer Gruppe zusammentun. Sie sollen sich nicht nur um die Geflüchteten kümmern, sondern auch eine Wohnung für sie suchen - und die ersten beiden Jahre die Mietkosten übernehmen. 64 Teams gibt es bundesweit bislang. Dass es nicht mehr sind, hat auch mit Corona zu tun.
Die Familie aus Somalia, die im Osnabrücker Land eine Zukunft sucht, hat schlimme Zeiten hinter sich: Sie lebte mehr als sieben Jahre als Geflüchtete in Äthiopien, weil in ihrem Heimatland Krieg und Terror herrschen. Noch länger suchten die Eltern ärztliche Hilfe für ihren ältesten Sohn Ahmed. Der hatte sich als Fünfjähriger beim Spielen am Kopf verletzt - so schwer, dass es zur Hirnblutung kam. Mehrere Operationen brachten keine Besserung. „Er hätte in Deutschland super behandelt werden können“, meint Pastorin Annette Wendland. Es kommt nicht dazu: Wiederholt sei der rettende Flug in letzter Minute abgesagt worden, berichtet Mutter Hibo mit leiser Stimme. Am 18. Oktober 2020 stirbt der Zwölfjährige. Erst ein knappes Jahr später, am 2. September 2021, landet die Familie in Frankfurt am Main.
Schon bei der Ankunft zeigt sich, dass das NesT-Team gut vorbereitet ist: „Ohne den ehrenamtlichen Dolmetscher, der uns zum Flughafen begleitet hat, hätten wir nicht gewusst, wen wir mitnehmen sollen“, erzählt Roland Wendland. Bereits im Mai hatten die Helferinnen mit Hilfe von Kirchengeldern eine kleine Wohnung angemietet: Aufrufe im Gemeindeblatt überzeugten eine Vermieterin, beim Neustart mitzuhelfen. Auch für die Einrichtung sorgten die Ehrenamtlichen.
Die Neuankömmlinge wiederum erweisen sich als lernbegierig. Der Sprachkurs, den die Kirchengemeinde auch für andere Geflüchtete anbietet, interessiert sie sehr. Viermal die Woche fährt eine der Ehrenamtlichen die Eltern deshalb im Wechsel aus dem zwölf Kilometer entfernten Dorf, in dem die Familie wohnt, zum Unterricht und zurück. Seit Januar können die Kinder ihre neue Heimat im Kindergarten der Gemeinde kennenlernen.
Manche der Helferinnen sehen die somalische Familie heute das erste Mal. Es kommt zu rührenden Momenten. „Wir haben Glück, dass ihr uns da rausgeholt habt“, lässt Abdirashid übersetzen. „Dafür sind wir sehr dankbar. Ihr seid gute Menschen.“ Martha Hesselmann antwortet grinsend: „Das wird sich zeigen!“ und erntet Lachen. Die 68-Jährige ist gelernte Fotografin und Musikerin und beschreibt den Gewinn, den ihr das Projekt bringt, so: „Ein anderer Wind weht uns um die Nase.“ Ihre 53-jährige Mitstreiterin Ute Bußmann, Physiotherapeutin, möchte „Einblicke in eine andere Kultur bekommen“. Und Karin Linke (63), die den Kindergarten der Gemeinde leitet, hat sich bereits um mehrere Geflüchteten-Familien gekümmert, „weil sie den Menschen weiterhelfen will“.
Auch dem Pastoren-Ehepaar ist das Projekt ein Herzensanliegen. Seit Jahren engagiert sich das Paar für Geflüchtete, hat mehrere im Kirchenasyl untergebracht. Neu an NesT sei, „dass wir die Leute vorher nicht kennen“, sagt Roland Wendland. Der Pastor kennt die Kritik am Programm: Der Staat wälze seine Aufgabe an Privatleute ab. In gewisser Hinsicht stimme das. Aber: „Wir ersparen den Menschen, dass sie auf ganz gefährlichen Wegen nach Deutschland kommen.“
Eigentlich hatten der 63-Jährige und seine Mitstreiterinnen sich eine Familie aus Syrien gewünscht; eine Frau aus dem Singkreis stammt von dort. Doch dann wurden es die vier, die nun neben ihnen sitzen. Weil die nicht mehr als einige Brocken Englisch sprechen, würde es ohne die Hilfe einer somalischen Familie aus dem Nachbardorf nicht klappen, sagt der Pastor. „Die gehen mit einkaufen, kümmern sich sehr und sind Gold wert.“ Auch dass die beiden Dolmetscher heute gekommen sind, ist ihrem Einsatz zu verdanken.
Noch eine wichtige Aufgabe kommt den Landsleuten von Hibo und Abdirashid zu: Sie dienen als Vorbilder. Nach zwei Jahren im Osnabrücker Land sprechen sie gut deutsch und können für sich sorgen, weil der Mann einen Job bei einem Maschinenbauer gefunden hat. Abdirashid hat verstanden, was von ihm erwartet wird: Selbstverständlich wolle er arbeiten. In seiner Heimat war er Lastwagenfahrer, erzählt er, später verkaufte er Tee an einem kleinen Kiosk. „Wir werden tun, was wir tun können.“
Ob sich die Eltern vorstellen können, irgendwann in ihre Heimat zurückzukehren? Idee des NesT-Programms ist ausdrücklich, dass die Geflüchteten bleiben sollen. Abdirashid ist zwiegespalten: „Das ist meine Heimat, das Land, in dem ich geboren bin“, sagt er. „Wenn sich die Lage eines Tages ändern würde …“ Für Hibo hingegen ist die Sache klar: „Frauen haben keine Rechte in Somalia“, sagt sie. Ihre Zukunft sieht sie in Deutschland.
Neusäß, Karlsruhe (epd). Eine Wohnung in Deutschland zu finden ist schwer. Besonders schwierig gestaltet sich die Wohnungssuche für Flüchtlinge. Zum Mangel an bezahlbaren Wohnungen kämen Vorurteile der Vermieter, sagte Susanne Kern von der Flüchtlingshilfe Neusäß (Kreis Augsburg) dem Evangelischen Pressedienst (epd). Geflüchtete hätten angeblich „andere Gepflogenheiten“, habe etwa eine Maklerumfrage der Flüchtlingshilfe ergeben.
Die Flüchtlingshilfe Neusäß entwickelte bereits 2016 einen Leitfaden zur Mieterqualifizierung. Das 50 Seiten lange Nachschlagewerk in leichter Sprache gibt Hinweise zum Verhalten bei Wohnungsbesichtigungen, zur Kommunikation mit Vermietern und dem Verständnis von Hausordnung und Mietvertrag. „Ziel der Schulung ist es, Vertrauen zu schaffen“, so Kern.
Als „Neusässer Konzept“ wurde der Leitfaden, den es mittlerweile auch in digitalem Format gibt, über das bayerische Staatsministerium verbreitet. Die Veröffentlichung wurde zur Erfolgsgeschichte. Mehr als 30.000 Hefte haben die Mütter und Väter des „Neusässer Konzepts“ in den vergangenen Jahren bundesweit verschickt. 2017 erhielten sie den Schwäbischen Integrationspreis für ihre Idee.
Wie trenne ich korrekt den Müll, wie heize und lüfte ich richtig, was ist mit Hausordnung gemeint? Antworten auf diese und andere Fragen erhalten die Teilnehmer bei der Mieterqualifizierung. „Einige Flüchtlinge wissen nicht, wie man einen elektrischen Herd bedient“, weiß Kern. An den fünf Abenden der Schulung würden diese und andere alltagspraktische Dinge geübt.
Diese Grundregeln der Wohnungssuche und der Hausordnung müsste man nach Ansicht von Martina Weiß am besten schon „in der Schule lernen“. Die Integrationsbeauftragte von Bad Schönborn im Landkreis Karlsruhe hat zuletzt zwölf Geflüchtete in ihrem Ort gecoacht.
Bleibeberechtigte Flüchtlinge benötigen neben einem festen Arbeitsvertrag eine Wohnung, um ein selbstständiges Leben zu führen, sagte die stellvertretende Vorsitzende der Flüchtlingshilfe in Bad Schönborn und Kronau, Grana Nawabi. Nur so könnten sie ihren Aufenthaltsstatus verbessern oder einen Familiennachzug erreichen.
Sie kennt die Schwierigkeiten geflüchteter Menschen, eine Wohnung zu finden. Auch Vermieter, die selbst einen Migrationshintergrund haben, würden vor der Vermietung an Flüchtlinge zurückschrecken, sagte sie. Nawabi berichtet von einem Flüchtling, der trotz abgeschlossener Ausbildung zum Schreiner und Arbeitsstelle keine Wohnung findet und noch immer in der Sammelunterkunft lebt.
Besonders schwierig sei die Wohnungssuche für Familien mit mehr als zwei Kindern, weiß die gebürtige Afghanin. Als sie vor 41 Jahren nach Deutschland flüchtete, habe sie nach drei Monaten eine Wohnung gefunden, erinnert sie sich. Bei einem Treffen mit der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel 2017 hatte Nawabi die zwei Hauptprobleme bei der Integration Geflüchteter angesprochen: die Arbeitssuche und die Wohnungssuche.
In Deutschland gebe es wenig Platz für günstigen Wohnraum, sagte Gudrun Troes von der Baugenossenschaft Ardensia eG in Karlsruhe, die gerade einem Flüchtling eine Wohnung vermittelt hat. „Wir achten auf eine gesunde Mischung“, betonte die für soziale Fragen zuständige Mitarbeiterin. Nur so könne Integration in das Wohnumfeld gelingen.
Der Dienstleister erhält viele Anfragen, auch von Flüchtlingen. Auf eine Wohnung kämen binnen kurzer Zeit 60 Bewerbungen, sagte Gudrun Troes. „Wir können aber nicht jedem Bedürftigen helfen“, betont sie. „Wo keine Wohnung ist, können wir nichts bieten.“
Die Hoffnung der Flüchtlingshelfer ruht auf der Qualifizierung der Mieter. Die Schulungen zur Mieterqualifizierung werden von Städten und Landkreisen unterstützt. Angeboten werden die freiwilligen Zertifizierungskurse sowohl von professionellen Coaches als auch von Kirchen und Flüchtlingshelfern. Das Zertifikat habe schon manche Kündigung vermieden, ist die Erfahrung von Susanne Kern.
Hamburg (epd). Der Sozialexperte Uwe Mletzko fordert für Menschen mit Behinderung mehr Arbeitsplätze, barrierefreie Wohnungen und auch mehr inklusive Freizeitangebote. Vor allem in der Gesundheitsversorgung sehe er noch „große Defizite“, sagte der Direktor der Evangelischen Stiftung Alsterdorf dem Evangelischen Pressedienst (epd). Mletzko ist seit Jahresanfang in Alsterdorf tätig. Er ist Nachfolger von Hanns-Stephan Haas, der vor einem Jahr sein Amt niedergelegt hatte.
Mletzko ist seit 17 Jahren führend in diakonischen Unternehmen tätig. Zuletzt war er Theologischer Geschäftsführer der Diakovere in Hannover, Niedersachsens größtem Diakonieunternehmen. Ehrenamtlich war er zehn Jahre lang Vorstandsmitglied des Bundesverbandes evangelische Behindertenhilfe, sechs Jahre davon als Vorsitzender.
Die Evangelische Stiftung Alsterdorf habe er in den vergangenen 20 Jahren als besonders innovatives Unternehmen wahrgenommen, sagte Mletzko. Auf dem Gelände der ehemaligen „Anstalten“ habe sich mit dem Alsterdorfer Markt ein Quartier entwickelt, in dem Inklusion gelebt werde. Von diesem Modell sollten auch andere Quartiere der Stadt profitieren.
Trotz aller Fortschritte in der Inklusion sieht der neue Alsterdorf-Direktor noch viele ungelöste Aufgaben. So hält er eine höhere Ausgleichsabgabe für Betriebe, die keine behinderten Menschen beschäftigen, für sinnvoll. Viel wichtiger sei ihm aber ein Wandel in den Köpfen der Betriebe. Mit Beratung und Praktika könnten viele Betriebe lernen, wie produktiv behinderte Menschen sein können.
Eine große Herausforderung sei auch die Verbesserung des Gesundheitswesens für erwachsene Menschen mit Behinderung, sagte Mletzko. Er wisse aus Gesprächen, dass vielen Ärzten das Fachwissen fehle, welchen Einfluss die jeweilige Behinderung auf die zu diagnostizierende Krankheit habe. Häufig mangele es an der Sprachfähigkeit behinderter Menschen. Mittlerweile gebe es Vereinbarungen mit den Krankenkassen, so dass eine Vertrauensperson die Behandlung begleiten kann.
Aufgewachsen in Bremervörde studierte Mletzko Theologie in Bielefeld und Heidelberg. Berührungspunkt mit der Diakonie habe es durch die eigene Familie und seine Arbeit neben dem Studium gegeben. „Behinderung war immer irgendwo Thema.“ Eine enge Verbindung zwischen Kirche und Diakonie ist ihm wichtig.
Dass die Evangelische Stiftung Alsterdorf auch Menschen ohne Kirchenmitgliedschaft beschäftigt, hält der neue Direktor für richtig. Wichtiger für ein diakonisches Unternehmen seien gelebte christliche Werte - allen voran die Menschenwürde. „Wenn die Haltung stimmt, dann ist viel erreicht.“ Für ihn gehört zum christlichen Menschenbild, nicht die Defizite des Menschen in den Vordergrund zu stellen, sondern ein gutes Leben. Zugleich unterstütze er Angebote im Unternehmen, um Gespräche über den eigenen Glauben zu initiieren.
Die Evangelische Stiftung Alsterdorf ist mit rund 6.500 Mitarbeitenden eines der bundesweit größten Sozialunternehmen. Die Aufgabenfelder umfassen Assistenz-, Wohn- und Bildungsangebote für Menschen mit Behinderung sowie Angebote in der Kinder- und Jugendhilfe. Zur Stiftung zählen auch das Evangelische Krankenhaus, Kitas und die Bugenhagenschulen.
Im Rahmen der demografischen Entwicklung gibt es fast bundesweit einen generellen Fachpersonalmangel, sowohl in der Medizin als auch in der Pflege. Notwendig erscheint daher ein guter „Care-Case-Mix“, im Ergebnis geht es dabei um einen Case-Mix entsprechenden rationalen Personaleinsatz in der Pflege, der von der Solidargemeinschaft finanziert werden muss und bezahlt werden kann. Dafür sind entsprechende Rahmenbedingungen gefordert. Für einen wirkungsvollen Personaleinsatz wird unter anderem sowohl solides Grundlagenwissen als auch Fachwissen benötigt.
Mit dem Pflegeberufegesetz wurde mit dem Konzept der Kompetenzorientierung ein völlig neuer Ausbildungsansatz etabliert. In den Rahmenplänen der Fachkommission nach § 53 Pflegeberufegesetz (PflBG) heißt es dazu: „Mit dem Konzept der Kompetenzorientierung nimmt der Gesetz- und Verordnungsgeber die Perspektive auf die Lernenden und ihre Entwicklung im Prozess des Lebenslangen Lernens ein. Er orientiert sich damit zugleich an “modernen berufspädagogischen Konzepten, die eng mit denen der Handlungsorientierung verknüpft sind." Dies gilt es für die Steigerung der Attraktivität des Pflegeberufes zu nutzen. Der Erwerb pflegerischer Handlungskompetenzen vollzieht sich im Zusammenspiel von Pflegepraxis, Pflegeschule und der Eigenverantwortung der Auszubildenden.
Die Kompetenzen müssen zukünftig die Grundlage für die Verantwortungs- und Aufgabenverteilung zwischen den Gesundheitsfachberufen in der interprofessionellen Pflege sein.
Die Weiterbildungsstrukturen müssen sich an den aktuellen und perspektivischen Bedingungen des Wandels orientieren. Gebraucht werden interagierende, modulhafte und vor allem durchlässige Bildungsangebote mit guter Anschlussfähigkeit, um Aufstiegs- und Karrieremöglichkeiten zu bieten und den Beruf attraktiver zu machen.
Entsprechend müssen die von der Fachkommission entwickelten Module zur Übertragung heilkundlicher Tätigkeiten auf die Pflegefachpersonen schnellstmöglich in die Weiterbildung integriert und allen - also auch dem Bestandspersonal - zugänglich gemacht werden. Mittel- und langfristig wird der Versorgungsbedarf in quantitativer und qualitativer Hinsicht aus den folgenden Gründen deutlich steigen: Demografische Entwicklung, veränderte Altersbilder und sozio-kulturelle Erwartungen sowie medizinisch-technische Entwicklung. Dies erfordert entsprechend angepasste personelle Versorgungsstrukturen im Pflegebereich:
Die verschiedenen Qualifizierungsniveaus müssen interagieren und sich verschränken und sind zwingend bundeseinheitlich zu definieren. Politisch ist für entsprechende Rahmenbedingungen zu sorgen.
Mit dem Pflegeberufegesetz sind in § 4 für Pflegefachpersonen vorbehaltene Tätigkeiten definiert worden. Dies ist ein Meilenstein und war pflegepolitisch überfällig und notwendig. Der § 4 PflBG ist im Rahmen von Aus-, Fort- und Weiterbildung ernst zu nehmen. Vorbehaltsaufgaben sind inhaltlich auszugestalten und müssen in rahmenvertragliche Grundlagen einfließen.
Die im Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz (GVWG) vorgesehene verpflichtende Durchführung von Modellvorhaben zur Übertragung ärztlicher Tätigkeiten auf Pflegefachpersonen (§ 64d SGB V), bei denen es sich um die selbstständige Ausübung von Heilkunde handelt, müssen auf den Weg gebracht und die Ergebnisse zeitnah umgesetzt werden. Nur durch eine interprofessionelle Arbeit und einem guten Zusammenwirken von Ärzten und Pflegefachpersonen kann die pflegerische Versorgung langfristig sichergestellt werden. Die im Gesetz vorgesehen Fristen sind zu lang und sollten im Sinne einer besseren pflegerischen Versorgung im Zusammenspiel aller Professionen von den Krankenkassen und Kassenärztlichen Vereinigungen nicht ausgereizt werden.
Im Pflegebereich wurden schon immer ärztlich delegierte Aufgaben übernommen. Perspektivisch werden Pflegefachpersonen vermehrt sogenannte Substitutionsaufgaben, d.h. nach ärztlicher Diagnose, heilkundliche Tätigkeiten selbständig und ohne ärztliche Veranlassung übernehmen. Hierzu sind eindeutige Regelungen notwendig.
Pflegefachpersonen werden perspektivisch ein deutlich breiteres Aufgabenspektrum übernehmen, damit sind entsprechende Zuweisungen der Kompetenz und Verantwortung notwendig. Die Anwendung des Deutschen Qualifikationsrahmen (DQR)1 findet statt. Die Pflegeberufe sollen nach dem PflBG dem DQR Niveau 5 zugeordnet werden (Konzertierte Aktion Pflege 2019, Arbeitsgruppe 3 Innovative Versorgungsansätze und Digitalisierung).
Unterscheidet man den erforderlichen Personalzuwachs nach Qualifikationsniveau, so besteht laut Rothgang-Gutachten 2 vom Februar 2020 für eine durchschnittliche Einrichtung ein Personalmehrbedarf von 69 Prozent bei dem Pflegeassistenzpersonal und von 3,5 Prozent bei dem Fachpersonal. Für den ambulanten Bereich liegen noch keine Erhebungen vor; hier besteht Forschungsbedarf.
Langfristig kann qualitätsvolle Pflege nur sichergestellt werden, wenn auf Bundesebene eine einheitliche Lösung für die Qualifizierung gefunden wird: Der Devap fordert seit Jahren eine bundesweit einheitliche, zweijährige generalistische Pflegeassistenzausbildung, um Vergleichbarkeit herzustellen. Es muss endlich eine Homogenisierung zwischen den Länderregelungen geben (DQR 3). Dies würde dazu beitragen, dass nicht nur in quantitativer, sondern auch in qualitativer Hinsicht die Pflege eine Angleichung erfährt.
Ein Paradigmenwechsel ist unabdingbar: die Assistenzausbildung darf nicht nur als Zwischenstufe wahr-genommen werden, sondern als eigener Ausbildungsgang. Es muss ein berufsständisches Verständnis geschaffen werden. Hierfür müssen besondere Kompetenzen definiert werden.
Die unterschiedliche Versorgungslandschaft in den Ländern führt nicht zu gleichwertigen Lebensverhältnissen. Insgesamt müssen bessere Bedingungen für Pflegeleistungen geschaffen werden: + Ambulant: weg mit dem „verrichtungsorientierten Bauchladenprinzip“, hin zu einem ergebnis-orientierten Aufgabenprinzip bei auskömmlicher Zeitfinanzierung. + Stationär: Steigerung der Personalquoten mit sinnvoller Arbeits- und Aufgabenteilung zwischen Pflegefach- und Pflegeassistenzpersonen.
Mitgedacht werden muss, dass diese neue Verteilung der Kompetenzen auch Auswirkungen auf die Vergütung haben wird und dies derzeit eine Erhöhung der Beteiligung für die Pflegebedürftigen impliziert (Siehe „Strategiepapier Devap Altenarbeit und Pflege 2021 bis 2025“). Bei den Überlegungen zum neuen Personalmix müssen nicht nur Assistenz- und Pflegefachpersonen berücksichtigt werden, sondern auch akademisch qualifizierte Personen und Quereinsteiger ohne Pflegeausbildung. Aktuell fehlen bei den Trägern hierfür die passenden Strukturen (Kompetenzprofil und entsprechende Vergütung). Im Rahmen der hochschulischen Pflegeausbildung fehlt zudem eine Refinanzierung der Praxisanleitung, beispielsweise über den Ausbildungsfonds.
Bonn (epd). Der BIVA-Pflegeschutzbund wirbt für eine grundlegende Pflegereform, um die Eigenanteile der Heimbewohner an den Kosten zu begrenzen. „Das finanzielle Risiko muss für die Betroffenen kalkulierbar sein. Dies geht nur, wenn die Eigenanteile fest gedeckelt sind. Wir fordern von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) eine echte Pflegereform“, sagte Vorsitzender Manfred Stegger am 19. Januar in Bonn.
Mit dem Jahreswechsel trat die Pflegereform der alten Bundesregierung in Kraft. Damit erhalten Heimbewohner einen Zuschuss zu den Pflegekosten, dessen Höhe mit der Dauer des Heimaufenthalts steigt: Im ersten Jahr trägt die Pflegekasse fünf Prozent des pflegebedingten Eigenanteils, im zweiten Jahr 25 Prozent, im dritten Jahr 45 Prozent und danach 70 Prozent. „Da aber gleichzeitig mehr Personal und die Zahlung von Tariflöhnen vereinbart wurden, werden die Kosten für die Pflegebedürftigen wieder steigen. Hinzu kommen stetig steigende Kosten für Unterkunft, Verpflegung und Investitionen“, rechnet Stegger vor.
Berücksichtige man alle Faktoren, dann würden die Bewohner in den ersten beiden Jahren im Pflegeheim trotz der Reform finanziell höher belastet als zuvor. Nach Berechnungen des Pflegeökonomen Heinz Rothgang werde langfristig rund ein Drittel der Heimbewohnerinnen und Heimbewohner auf Sozialhilfe angewiesen sein.
Der BIVA-Pflegeschutzbund fordere seit langem eine Umkehr des finanziellen Risikos von den Versicherten auf die Versicherung im Sinne eines sogenannten Sockel-Spitze-Tausches, sagte Stegger. Demnach sollten Betroffene einen fixen Beitrag leisten und das darüber hinausgehende Risiko von der Pflegeversicherung getragen werden - wie bei einer Kaskoversicherung mit Selbstbeteiligung. „Der neue Bundesgesundheitsminister hat jetzt die Chance, die Probleme richtig anzupacken“, so der Vorsitzende.
Potsdam (epd). Nach dem von einer Pflegekraft Ende April verübten Mord an vier Schwerstbehinderten im Potsdamer Oberlinhaus ist vor dem Arbeitsgericht Potsdam nun auch über die Kündigung der Heimleiterin Heike J. verhandelt worden. Zu den Kündigungsgründen sei in der Güteverhandlung am 14. Januar nicht Stellung genommen worden, sagte Gerichtssprecher Robert Crumbach dem Evangelischen Pressedienst (epd) im Anschluss. Beide Parteien hätten erklärt, dass sie versuchen wollen, sich zu einigen. Ein Kammertermin zur Entscheidung sei für 9. März geplant.
Über die bereits kurz nach dem Gewaltverbrechen ausgesprochene Kündigung der langjährigen Pflegekraft Ines R. will das Arbeitsgericht erneut am 1. Februar verhandeln. Sie wurde am 22. Dezember unter anderem wegen Mordes zu 15 Jahren Haft verurteilt und wegen einer schweren Persönlichkeitsstörung in die Psychiatrie eingewiesen.
In dem Mordprozess vor dem Landgericht Potsdam hatte es unter anderem kritische Berichte über die Arbeitsbedingungen in der Behinderten-Wohneinrichtung des evangelischen Sozialunternehmens gegeben. Das Oberlinhaus habe der Heimleiterin vor der fristlosen Kündigung am 20. Dezember zunächst andere Arbeitsmöglichkeiten angeboten, sagte Crumbach. Die Klägerin habe dies jedoch abgelehnt. Eine ordentliche Kündigung sei aufgrund ihrer langen Beschäftigungszeit bei dem Diakonie-Unternehmen nicht möglich.
Das Oberlinhaus will nun eine Expertenkommission einsetzen, um Probleme in der Behindertenhilfe wie eine unzureichende Finanzierung und Personalausstattung zu thematisieren.
Leipzig (epd). Schwerbehinderte Menschen können für eine Arbeit im Rentenalter Anspruch auf Kostenübernahme für eine Arbeitsassistenz haben. Damit die zuständigen Integrationsämter oder Reha-Träger die Arbeitsassistenz finanzieren, muss der Betroffene im Rentenalter einer Erwerbstätigkeit nachgehen, „die geeignet ist, dem Aufbau beziehungsweise der Sicherung einer wirtschaftlichen Lebensgrundlage zu dienen“, urteilte am 12. Januar das Bundesverwaltungsgericht. Für einen wirksamen Kostenerstattungsanspruch müssten zudem Arbeitsassistenzleistungen bereits erbracht worden sein, die „zum Ausgleich behinderungsbedingter Nachteile notwendig sind“, so die Leipziger Richter.
Um schwerbehinderten Menschen eine Erwerbstätigkeit zu ermöglichen, sieht das Gesetz eine Kostenerstattung für eine notwendige Arbeitsassistenz vor. Die Assistenzkräfte sollen behinderungsbedingte Nachteile im Job ausgleichen.
Meist erhalten blinde und gehörlose Menschen oder Rollstuhlfahrer eine Arbeitsassistenz von den Integrationsämtern oder von Reha-Trägern wie der Rentenversicherung finanziert. Hierfür steht Betroffenen ein individuell bestimmtes Persönliches Budget zu, mit dem sie die Arbeitsassistenzkräfte bezahlen können.
Im konkreten Fall übte der schwerbehinderte blinde Kläger eine selbstständige Tätigkeit als Lehrer, Berater und Gewerbetreibender aus. Für seinen Beruf war er auf eine Arbeitsassistenz angewiesen. Die Assistenzkraft erhielt bei einer Tätigkeit von 22 Wochenstunden einen monatlichen Lohn in Höhe von 1.650 Euro. Als zuständiger Träger für die Arbeitsassistenz finanzierte der Hessische Landeswohlfahrtsverband (LWV) die Unterstützungsleistung.
Als der blinde Mann ab Juli 2016 auch eine Rente erhielt, lehnte der LWV die weitere Finanzierung der Assistenz ab. Eine Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben sei nicht mehr erforderlich. Mit dem Eintritt in das Rentenalter finde „die Arbeitsphase ihren Abschluss“.
Doch der Kläger dachte gar nicht daran, mit seiner Berufstätigkeit aufzuhören. Er erziele mit seiner Tätigkeit ein Jahreseinkommen von 23.000 Euro. Seine Rente sei viel zu gering, um seinen Lebensunterhalt angemessen sichern zu können. Daher sei er auf seine berufliche Tätigkeit angewiesen. Für diese sei auch weiterhin eine Arbeitsassistenz notwendig.
Der Hessische Verwaltungsgerichtshof (VGH) in Kassel urteilte noch, dass der Kläger mit Erreichen des Rentenalters nicht mehr die Übernahme der Kosten für die Arbeitsassistenz verlangen könne. Der Zweck der Förderung der Teilhabe schwerbehinderter Menschen am Arbeitsleben sei mit dem Erreichen der Altersgrenze und dem Erhalt einer Rente entfallen.
Dem widersprach nun das Bundesverwaltungsgericht. Gehen schwerbehinderte Menschen auch im Rentenalter einer Erwerbstätigkeit nach, können sie weiterhin Anspruch auf Übernahme der Kosten für eine notwendige Arbeitsassistenz haben. Weder sei im Gesetz eine Altersgrenze für den Anspruch auf Übernahme der Arbeitsassistenzkosten vorgesehen, noch lasse sich dies aus Sinn und Zweck der Bestimmungen entnehmen.
Um die Kostenübernahme beanspruchen zu können, sei lediglich erforderlich, dass der schwerbehinderte Mensch „einer nachhaltig betriebenen Erwerbstätigkeit nachgeht, die geeignet ist, dem Aufbau beziehungsweise der Sicherung einer wirtschaftlichen Lebensgrundlage zu dienen“. Zudem müssten tatsächlich Arbeitsassistenzleistungen erbracht worden sein, „die unter Berücksichtigung der konkreten Arbeitsumstände zum Ausgleich behinderungsbedingter Nachteile notwendig sind“, urteilte das Bundesverwaltungsgericht. Ob diese Voraussetzungen im Streitfall vorlagen, muss nun der VGH Kassel noch prüfen.
Bereits am 23. Januar 2018 hatte das Bundesverwaltungsgericht den Anspruch auf eine notwendige Arbeitsassistenz für schwerbehinderte Menschen auch für eine zweite Teilzeitbeschäftigung als begleitende Hilfe bekräftigt. Denn die notwendige Arbeitsassistenz dient nicht nur der Verhinderung drohender Arbeitslosigkeit, sondern auch der Chancengleichheit schwerbehinderter Menschen im Arbeitsleben. Die Hilfe dürfe deshalb nicht wegen eines zweiten Teilzeit-Beschäftigungsverhältnisses verweigert werden.
Im konkreten Fall bekam damit der blinde und zu 100 Prozent schwerbehinderte Kläger im Grundsatz recht. Er arbeitete in Teilzeit als Beamter in Luxemburg. Seit 2008 übt er ebenfalls eine Teilzeitbeschäftigung in einer von ihm gegründeten Künstleragentur aus.
Um diese Beschäftigung ausüben zu können, beantragte er erfolglos beim zuständigen Integrationsamt die Übernahme der Kosten für eine Arbeitsassistenz. Er sei ja schon als Beamter in den Arbeitsmarkt integriert, so die Behörde.
Das Bundesverwaltungsgericht betonte jedoch, dass schwerbehinderte Menschen selbst entscheiden dürfen, welchen Beruf sie ausüben und ob sie in Vollzeit arbeiten oder mehreren Teilzeitbeschäftigungen nachgehen. Eine notwendige Arbeitsassistenz diene nämlich auch der Chancengleichheit schwerbehinderter Menschen im Arbeitsleben.
Az.: 5 C 6.20 (Arbeitsassistenz, Rentenalter)
Az.: 5 C 9.16 (Arbeitsassistenz, Teilzeitbeschäftigung)
Karlsruhe (epd). Ein adoptiertes Kind kann von seiner leiblichen Mutter Auskunft über den Namen des leiblichen Vaters verlangen. Kann sich die Mutter an ihn nicht erinnern, muss sie jene Männer benennen, mit denen sie in der Empfängniszeit Sex hatte oder damalige Kontaktpersonen fragen, die Hinweise auf mögliche Erzeuger geben könnten, entschied der Bundesgerichtshof in einem am 19. Januar gefällten Beschluss. Denn auch adoptierte Kinder hätten ein Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung, betonten die Karlsruher Richter.
Im konkreten Fall ging es um eine 1984 geborene Frau, die von ihrer leiblichen Mutter erfolglos Auskunft über ihren leiblichen Vater verlangte. Die Mutter hatte die Antragstellerin im Alter von 16 Jahren geboren. Sie hatte damals die Hauptschule ohne Schulabschluss beendet. Ihre Schwangerschaft bemerkte sie erst im siebten Monat. Nach der Geburt lebte sie mit dem Kind zunächst in einer Mädchen-Wohngemeinschaft. Die Tochter wurde dann bald zur Adoption freigegeben.
Wer der leibliche Vater des Kindes ist, blieb im Dunkeln. Ein im Jahr 1985 durchgeführtes Vaterschaftsfeststellungsverfahren blieb ebenso erfolglos wie ein Vaterschaftstest bei einem weiteren Mann. Die Mutter gab an, sich nicht an den Vater erinnern zu können. Dem adoptierten Kind reichte das nicht aus. Sie verlangte vor Gericht die Herausgabe von Name und Anschrift ihres leiblichen Vaters. Das Oberlandesgericht Stuttgart verpflichtete die Mutter, zumindest alle Männer zu benennen, mit denen sie in der Empfängniszeit Sex hatte.
Der Bundesgerichtshof entschied, dass die adoptierte Antragstellerin einen Rechtsanspruch auf Kenntnis ihrer Abstammung habe. Dass die leibliche Mutter nach der Adoption des Kindes nicht mehr die rechtliche Mutter sei, stehe dem Auskunftsanspruch nicht entgegen. Denn der Anspruch sei bereits vor der Adoption entstanden. Die Mutter habe auch nicht vorgetragen, dass mit der Benennung der möglichen Väter ihr Recht auf Achtung ihrer Privat- und Intimsphäre verletzt werde.
Allein die Mitteilung, dass sie sich an keinen möglichen Erzeuger erinnern könne, reiche zur Erfüllung des Auskunftsanspruchs nicht aus. So habe das Oberlandesgericht mehrere mögliche Kontaktpersonen von damals aufgelistet, die Hinweise über potenzielle leibliche Väter geben könnten. Diese Nachfragemöglichkeiten seien der leiblichen Mutter möglich und zumutbar.
Az.: XII ZB 183/21
Erfurt (epd). Praktikanten steht für ein sechsmonatiges vorgeschriebenes Praktikum zur Zulassung zum Studium kein gesetzlicher Mindestlohn zu. Der gesetzlich festgelegte Ausschluss vom Mindestlohn gilt nicht nur für Praktika während einer schulischen oder universitären Ausbildung, sondern auch für Vorpraktika, die zur Zulassung eines Studiums verlangt werden, urteilte am 19. Januar das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt.
Im Streitfall wollte die Klägerin an einer privaten, staatlich anerkannten Hochschule Medizin studieren. Für die Zulassung zum Studium sah die Studienordnung unter anderem einen sechsmonatigen Krankenpflegedienst vor. Die Klägerin absolvierte daraufhin 2019 ein Praktikum in einer Krankenpflegestation einer Klinik in Trier. Eine Vergütung erhielt sie für ihre Arbeit nicht.
Nach Ende des Praktikums verlangte die junge Frau vom Klinikbetreiber den gesetzlichen Mindestlohn für 28 Wochen und eine Arbeitszeit von 7,25 Stunden täglich. Insgesamt stünden ihr so 10.269 Euro zu. Zwar sehe das Mindestlohngesetz für Pflichtpraktika während einer schulischen oder universitären Ausbildung keinen Mindestlohn-Anspruch vor. Sie habe aber ihr Praktikum vor Beginn des Studiums absolviert. Daher greife die gesetzliche Ausnahme von der Vergütungspflicht nicht.
Sowohl das Landesarbeitsgericht in Mainz als nun auch das BAG urteilten, dass die Klägerin keinen Mindestlohn beanspruchen könne. Sehe eine Studienordnung verpflichtend für die Zulassung zum Studium ein Praktikum vor, könne kein Mindestlohn verlangt werden. Nach der Gesetzesbegründung beziehe sich der Ausschluss vom Mindestlohn nicht nur auf die Zeit während des Studiums, sondern auch davor. Keine Rolle spiele es, dass es hier um ein Studium an einer privaten Universität ging. Diese sei schließlich staatlich anerkannt, erklärten die BAG-Richter.
Az.: 5 AZR 217/21
Weimar (epd). Die in Thüringen geltenden Beschränkungen für Ungeimpfte haben nach einem Beschluss des Oberverwaltungsgerichtes Weimar vom 13. Januar Bestand. Die Richter hätten es abgelehnt, die Regelungen der aktuellen Corona-Verordnung des Landes, die zwischen geimpften und genesenen Personen einerseits und ungeimpften Personen andererseits differenzieren, in einem Eilverfahren außer Vollzug zu setzen, teilte das Gericht am 19. Januar in Weimar mit. Die Antragsteller seien nach eigenen Angaben ungeimpft und begründeten dies unter anderem damit, dass die sogenannten mRNA-Impfstoffe nur über eine Notfallzulassung verfügten.
Gerade vor dem Hintergrund der Ausbreitung der Omikron-Variante sei es „nicht zweifelhaft“, dass der Verordnungsgeber mit den Regeln legitime Ziele des Gesundheitsschutzes verfolge, die der Verhütung von gravierenden Krankheiten und Todesfällen sowie der Abwendung einer Überlastung des Gesundheitssystems dienten, entschied das Gericht. Es sah die Einschränkungen für ungeimpfte Personen durch Zugangsregelungen und die nächtliche Ausgangsbeschränkung als verhältnismäßig an. Zudem erweise sich die eingewandte Gefährlichkeit der Impfung „als stark überzeichnet“, erklärte das Gericht.
Az.: 3 EN 764/21
Karlsruhe (epd). Eine in einem Staat weit verbreitete Zwangsverheiratung von Witwen mit ihren Schwagern stellt eine Verfolgung wegen des Geschlechts dar. Dies hat das Verwaltungsgericht Karlsruhe in einem am 13. Januar veröffentlichten Urteil entschieden und eine aus Gambia stammende Klägerin als Flüchtling anerkannt.
Die Klägerin gehört dem Volk der Wolof an. Als sie im November 2019 von Gambia über den Senegal und Dänemark nach Deutschland floh, stellte sie beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) einen Asylantrag. Die Zuständigkeit Deutschlands für das Asylverfahren wurde gerichtlich bestätigt.
In ihrem Asylantrag gab die Frau an, wegen ihres Geschlechts in Gambia verfolgt zu werden. Als ihr Ehemann starb, sei sie mit ihrem Schwager zwangsverheiratet worden. Diese sogenannte Leviratsehe ist in Gambia verbreitet. Ihr Schwager und dessen Familie hätten sie regelmäßig geschlagen und gedroht, sie umzubringen. Die Polizei habe dennoch nichts unternommen.
Das Bamf lehnte den Asylantrag ab. Es fehle an einem Verfolgungsgrund. Die Klägerin sei als Frau nicht wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe verfolgt worden.
Das Verwaltungsgericht erkannte die Klägerin jedoch als Flüchtling an. Die von der Polizei und Behörden geduldete Zwangsheirat der Witwe mit ihrem Schwager stelle eine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung und geschlechtsspezifische Verfolgung dar. Die Angaben der Klägerin seien auch glaubhaft. In manchen Gebieten Gambias sei die sogenannte Leviratsehe weit verbreitet.
Die Klägerin habe auch keine realistische Chance, außerhalb des Familienverbandes an einem anderen Ort in Gambia zu überleben.
Az.: A 19 K 1998/21
Köln (epd). Die außerordentliche Kündigung der Justiziarin des Erzbistums Köln wegen der Mitnahme eines Bürostuhls ins Homeoffice war laut einem Urteil des Arbeitsgerichts Köln nicht rechtens. Das Arbeitsgericht gab der Kündigungsschutzklage der Frau am 18. Januar statt, wie eine Sprecherin mitteilte.
Die unabgesprochene Mitnahme von Eigentum des Arbeitgebers nach Hause stelle zwar eine Pflichtverletzung dar, in der konkreten Situation reiche die Mitnahme des Bürostuhls aber nicht aus, um die außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen, hieß es. Das Erzbistum habe wegen der Corona-Pandemie kurz vor Ostern 2020 der Tätigkeit im Homeoffice generell Vorrang vor der Präsenztätigkeit im Büro eingeräumt, die dafür notwendige Ausstattung aber nicht kurzfristig zur Verfügung gestellt.
Nach Bewertung des Gerichts ist das Arbeitsverhältnis der Klägerin durch die vom Erzbistum Köln ausgesprochene „Versetzung in den Ruhestand“ auch nicht in ein Ruhestandsverhältnis überführt worden. Ein von der Klägerin gefordertes Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 50.000 Euro lehnte das Gericht hingegen ab. Gegen das Urteil kann Berufung beim Landesarbeitsgericht Köln eingelegt werden.
Die Klägerin war seit dem Jahr 2008 beim Erzbistum Köln beschäftigt. Mit ihrer Klage wendete sich die Juristin gegen die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses unter anderem durch die außerordentliche Kündigung vom 22. Juli 2021. Zudem hatte das Erzbistum die Klägerin im Sommer vergangenen Jahres mit der Begründung, sie sei dauerhaft dienstunfähig, in den Ruhestand versetzt. Auch das befand das Gericht als unwirksam. Die dafür notwendige ärztliche Prognose sei nicht gerechtfertigt gewesen, hieß es.
Überdies verlangte die Klägerin in dem Verfahren Schmerzensgeld unter anderem wegen unzureichender Schulung und Supervision in Zusammenhang mit der Aufarbeitung der Missbrauchsfälle im Erzbistum. Dieser Einschätzung folgte das Arbeitsgericht nicht. Die Aufarbeitung der Missbrauchsfälle sei notwendig gewesen, die damit verbundenen Belastungen für die betrauten Arbeitnehmer unvermeidbar, erklärte es. Der Klägerin als Leiterin der Stabsabteilung Recht im Erzbistum sei es zuzumuten gewesen, selbst um die für sie notwendige Unterstützung durch das Erzbistum nachzusuchen.
Az.: 16 Ca 4198/21
Luxemburg (epd). Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat die Rechte von Leiharbeitern mit Blick auf Urlaub und Zuschläge zum Arbeitslohn gestärkt. In einem Fall aus Deutschland urteilte der EuGH am 13. Januar in Luxemburg, dass genommener bezahlter Jahresurlaub nicht dazu führen dürfe, dass Zuschläge entfallen. Sonst könnte dies vom Urlaubnehmen abhalten.
Hintergrund ist ein Tarifvertrag für Zeitarbeitnehmer. Dieser bestimmt, dass in Monaten mit 23 Arbeitstagen 25 Prozent Mehrarbeitszuschlag für jede geleistete Arbeitsstunde fällig werden, die über 184 geleistete Arbeitsstunden hinausgeht.
Ein Beschäftigter klagte, da er keine Zuschläge erhielt. Er hatte im fraglichen Monat mit 23 Arbeitstagen an 13 Tagen 121,75 Stunden gearbeitet und dann Urlaub genommen. Dieser entsprach 84,7 Stunden, sodass er über die 184 Stunden kam. Der Tarifvertrag sah jedoch den Ausschluss des Urlaubs für die Berechnung vor - was EU-Recht verletzt, wie der EuGH nun feststellte.
Az.: C-514/20
Berlin (epd). Vor Halle 30 auf dem Großmarkt am Westhafenkanal gegenüber der Justizvollzugsanstalt Plötzensee laden Mitarbeiter der Berliner Tafel unter grauem Winterhimmel Paletten mit Lebensmitteln aus und werfen sich Scherzworte zu. In der Halle wird jede Plastikschale mit Tomaten geöffnet und der Inhalt sortiert. Nicht mehr einwandfreies Obst und Gemüse kommt in die Tonne, der Rest wird sortenrein oder gemischt in Kiepen gepackt. „Je nach Größe der Einrichtung“, erklärt Sabine Werth, Gründerin der Berliner Tafel. Am 16. Januar wurde die gebürtige Berlinerin 65 Jahre alt - denkt jedoch nicht ans Aufhören. Sie wünscht sich zum Geburtstag Spenden für die Tafel.
Eingesammelt werden Lebensmittel, die ansonsten auf dem Müll landen würden. Die Tafel verteilt sie an insgesamt 350 soziale Einrichtungen in der Stadt. Diese hätten für ihre Küchen einen unterschiedlichen Bedarf, je nachdem wie häufig sie Mahlzeiten anbieten, erklärt Werth. Angefangen hat Werth vor 29 Jahren mit einer Gruppe Frauen, die nach New Yorker Vorbild bei Banketten Lebensmittel einsammelten: „Das war die Zeit, als Obdachlose mit Knüppelgewalt von der Polizei in ganz Deutschland aus den Innenstädten an die Stadtränder verfrachtet wurden.“
Damals nutzte sie sie ihr eigenes Auto. Heute stehe der Kauf von zehn neuen Transportern an, sagt die Frau mit der Ausstrahlung einer entschiedenen und fröhlichen Macherin: „Wir fahren zu 1.000 Stellen in der Woche, an guten Tagen sind wir mit 16 Touren unterwegs, entsprechend viele Autos brauchen wir.“
Nur einwandfreie Lebensmittel würden verteilt, sagt Werth. Deshalb sieht sie die Tafeln auch nicht als Wohlfahrtseinrichtungen: „Für mich ist es abwegig, Lebensmittel zu kaufen und sie zu verteilen, denn dann sind wir nichts anderes als Gutmenschen, die Almosen verteilen.“ Es gebe zu viel, das als überflüssig gelte und das vielmehr „bei Menschen landen muss, denen es schlecht geht“, sagt die überzeugte Lebensmittelretterin.
Werth gründete 1987 das nach eigenen Angaben erste private Pflegeunternehmen in Deutschland. Dessen Slogan „Wenn Sie nicht die Kinder hüten, sondern das Bett, dann rufen Sie uns an!“ spricht Bände über die anpackende und unverzagte Herangehensweise seiner Gründerin. „Leute zu ihrem Glück zwingen, finde ich richtig klasse“, lacht sie. „Möglichst, wenn sie aus der politischen Riege sind“, fügt die versierte Netzwerkerin mit einem verschmitzten Lachen hinzu. So sei es ihr etwa im Kontakt mit der ehemaligen Berliner Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) gelungen, Termine für ein Impfmobil an einen Teil der 26 Tafel-Ausgabe-Stellen zu bekommen.
Dass sie auch unangenehm werden kann, wird deutlich, als Werth von einer Modekette an der Berliner Gedächtniskirche erzählt, die sie aufforderte, dafür zu sorgen, dass Obdachlose vor ihrem Ladeneingang verschwinden. „Das sind Augenblicke, in denen ich den Bezirk und den Senat einschalte“, sagt sie leichthin.
Mittlerweile unterstützt die Berliner Tafel nach Angaben ihrer Gründerin jeden Monat 130.000 bedürftige Menschen mit Lebensmitteln. Dabei gehe es nicht um Versorgung, das sei Aufgabe des Staats, betont Werth. Im Bundesverband Tafel Deutschland sind heute insgesamt 960 Tafeln mit mehr als 2.000 Ausgabestellen organisiert.
Miriam Meßling ist zur Vizepräsidentin des Bundessozialgerichts (BSG) ernannt worden. Sie folgt in dieser Position Thomas Voelzke, der in den Ruhestand getreten ist. Meßling, 1973 in Wuppertal geboren, ist seit 2016 Richterin am BSG. Sie war zunächst dem für die Sozialhilfe und das Asylbewerberleistungsrecht zuständigen 7./8. Senat, danach dem für das Beitragsrecht zuständigen 12. Senat und schließlich bis zu ihrer Ernennung zur Vorsitzenden Richterin dem für die gesetzliche Krankenversicherung zuständigen 1. Senat zugewiesen. Als Vorsitzende Richterin steht sie seit 1. September dem für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen 4. Senat und seit 1. Dezember auch dem für das Arbeitsförderungsrecht zuständigen 11. Senat vor.
Stefan Schwartze ist zum neuen Patientenbeauftragten der Bundesregierung ernannt worden. Schwartze will, wie er erklärte, sich in dieser Funktion „bei der Weiterentwicklung des Gesundheitswesens zielgerichtet als Sprachrohr der Patientinnen und Patienten für deren Rechte und Interessen stark machen“. Insbesondere werde er sich dafür einsetzen, das Gesundheitssystem transparenter zu gestalten, die Patientenrechte zu stärken und die Gesundheitskompetenz der Bürgerinnen und Bürger durch Unterstützungs- sowie Beratungsangebote weiter zu verbessern. Der gelernte Industriemechaniker Schwartze wurde 1974 in Bad Oeynhausen geboren und ist seit 1994 Mitglied der SPD. Seit 2009 wurde er viermal in Folge für den Wahlkreis Herford - Minden-Lübbecke II direkt in den Deutschen Bundestag gewählt. Dort war er in den vergangenen zwei Legislaturperioden Sprecher der Arbeitsgruppe Petitionen der SPD-Bundestagsfraktion.
Ansgar Veer (58) ist zum stellvertretenden Vorsitzenden des Katholischen Krankenhausverbands Deutschlands (kkvd) gewählt worden. Der Posten war nach der Wahl der Mitgliederversammlung im November noch vakant. Der bisherige stellvertretende Vorsitzende Ingo Morell (63) war dort zum neuen kkvd-Vorsitzenden bestimmt worden. Veer ist seit 2012 Hauptgeschäftsführer der St. Bonifatius Hospitalgesellschaft im niedersächsischen Lingen. Der Träger ist ein Verbund von vier Krankenhäusern und verschiedenen Altenpflegeeinrichtungen. Er leitet seit 1995 das Bonifatius Hospital in Lingen. Veer ist zudem Mitglied diverser Gremien der Niedersächsischen und der Deutschen Krankenhausgesellschaft.
Markus Wolf (40) wird neuer Kaufmännischer Direktor der Diakovere Krankenhäuser in Hannover. Er übernimmt seine neue Aufgabe zum 1. März. Die Stelle ist seit dem Weggang von Christian Thiemann zum Helios Konzern in Nienburg im vergangenen Mai unbesetzt. Wolf ist zurzeit Kaufmännischer Direktor am Nordstadt-Klinikum in Hannover. Zur Diakovere Krankenhaus gGmbH gehören die evangelischen Krankenhäuser Annastift, Friederikenstift und Henriettenstift. Diakovere ist mit mehr als 5.000 Beschäftigten Niedersachsens größtes frei gemeinnütziges Gesundheitsunternehmen.
Susanne Wagenmann ist zur alternierenden Vorsitzenden des AOK-Aufsichtsrates für die Arbeitgeberseite gewählt worden. Sie übernimmt den Staffelstab von Volker Hansen, der in den Ruhestand geht. Mit Carola Reimann, die bereits am 1. Januar ihr Amt als Vorstandsvorsitzende angetreten hat, und Wagenmann stehen nun zwei Frauen an der Spitze der Krankenkasse. Wagenmann ist seit Herbst 2020 als Abteilungsleiterin Soziale Sicherung bei der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) tätig. Zuvor war die promovierte Volkswirtin unter anderem in leitender Position in der ärztlichen Selbstverwaltung beschäftigt. Seit April 2021 ist sie alternierende Vorstandsvorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation. Beim Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen engagiert sich Wagenmann zudem ehrenamtlich als Kuratoriumsmitglied.
Wir haben Tagungen, Seminare, Workshops und Webinare aufgelistet, die aktuell geplant sind. Wegen der Corona-Epidemie sagen Veranstalter allerdings Termine auch kurzfristig ab. Wir bitten unsere Leserinnen und Leser, das zu beachten.
26.1.
Online-Kurs: „Grundlagen im Vergaberecht“
der Paritätischen Akademie Süd
Tel.: 0171-7375667
27.1. Erfurt
Seminar „Reform des Stiftungsrechts - Neuerungen, Chancen und Risiken“
der Unternehmensberatung Solidaris
Tel.: 02203/8997-221
Februar
3.-17.2.
Online-Seminar: „Digitale Öffentlichkeitsarbeit und Social Media für soziale Einrichtungen“
der Paritätischen Akademie Süd
Tel.: 0711/286976-10
7.2.
Online-Fortbildung: „Flucht und Behinderung - Rechtliche Möglichkeiten in der Flüchtlings- und Behindertenhilfe“
der Bundesakademie für Kirche und Diakonie
Tel.: 0174/3473485
9.-11.2.
Online-Fortbildung „Jenseits der Routine: Führen in Turbulenzen“
Tel.: 030/26309-139
10.2. Köln
Seminar „Die neue Generation von Quartierszentren“
der BFS Service GmbH
Tel.: 0221/97356-159
15.2. Berlin
Seminar „Strategisches Management und Management-Modelle in Non-Profit-Organisationen - Wie kann besseres Management gelingen?“
der BFS Service GmbH
Tel.: 0221/97356-159
17.2.
Online-Fortbildung: „Beratung und Begleitung von getrennt lebenden Eltern und deren Kindern und Jugendlichen“
der Paritätischen Akademie Süd
Tel.: 0711/286976-10