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Flüchtlinge

Ein Neustart mit der Hilfe von Ehrenamtlichen




Eine Flüchtlingsfamilie aus Somalia mit Ehrenamtlichen vor der Kirche in Schale
epd-bild/Dmitrij Leltschuk
In einem Modellprojekt helfen Ehrenamtliche Geflüchteten, in Deutschland anzukommen. Das Erfolgsrezept: Die Aufgaben werden auf viele Schultern verteilt, und die Ehrenamtlichen übernehmen für die ersten zwei Jahre die Wohnungsmiete.

Osnabrück (epd). „Fertig“: Das ist das erste Wort der ihr so fremden Sprache, das Hibo Mohamed verinnerlicht hat. Weil die Deutschen „fertig“ so oft gebrauchen. Als die 30-jährige Somalierin diesen Eindruck mit Hilfe eines Dolmetschers übermittelt, brechen ihre neuen Unterstützerinnen in Lachen aus. In diesem Moment ahnt man, dass es gelingen könnte: Ein Team aus Einheimischen nimmt eine geflüchtete Familie unter seine Fittiche und sorgt für gutes Ankommen in Deutschland.

Begleitung in die Zivilgesellschaft

So kommt es, dass an diesem Samstag in der Evangelischen Kirchengemeinde Schale bei Osnabrück eine bunte Gesellschaft zusammenkommt: Hibo Mohamed, ihr Ehemann Abdirashid und ihre beiden jüngsten Kinder. Dazu zwei ehrenamtliche Dolmetscher, drei Frauen aus dem Singkreis der Gemeinde und das Pastorenehepaar Annette und Roland Wendland. Sie alle wollen gemeinsam den „Neustart im Team“ (NesT) wagen.

So heißt das Programm, das die Bundesregierung vor zwei Jahren gestartet hat. Das Ziel: Besonders schutzbedürftige Menschen aus Krisenregionen dieser Welt sollen mit Hilfe guter Begleitung in der Zivilgesellschaft Wurzeln in Deutschland schlagen. Mindestens fünf Ehrenamtliche müssen sich dafür zu einer Gruppe zusammentun. Sie sollen sich nicht nur um die Geflüchteten kümmern, sondern auch eine Wohnung für sie suchen - und die ersten beiden Jahre die Mietkosten übernehmen. 64 Teams gibt es bundesweit bislang. Dass es nicht mehr sind, hat auch mit Corona zu tun.

Die Familie aus Somalia, die im Osnabrücker Land eine Zukunft sucht, hat schlimme Zeiten hinter sich: Sie lebte mehr als sieben Jahre als Geflüchtete in Äthiopien, weil in ihrem Heimatland Krieg und Terror herrschen. Noch länger suchten die Eltern ärztliche Hilfe für ihren ältesten Sohn Ahmed. Der hatte sich als Fünfjähriger beim Spielen am Kopf verletzt - so schwer, dass es zur Hirnblutung kam. Mehrere Operationen brachten keine Besserung. „Er hätte in Deutschland super behandelt werden können“, meint Pastorin Annette Wendland. Es kommt nicht dazu: Wiederholt sei der rettende Flug in letzter Minute abgesagt worden, berichtet Mutter Hibo mit leiser Stimme. Am 18. Oktober 2020 stirbt der Zwölfjährige. Erst ein knappes Jahr später, am 2. September 2021, landet die Familie in Frankfurt am Main.

Lernbegierige Neuankömmlinge

Schon bei der Ankunft zeigt sich, dass das NesT-Team gut vorbereitet ist: „Ohne den ehrenamtlichen Dolmetscher, der uns zum Flughafen begleitet hat, hätten wir nicht gewusst, wen wir mitnehmen sollen“, erzählt Roland Wendland. Bereits im Mai hatten die Helferinnen mit Hilfe von Kirchengeldern eine kleine Wohnung angemietet: Aufrufe im Gemeindeblatt überzeugten eine Vermieterin, beim Neustart mitzuhelfen. Auch für die Einrichtung sorgten die Ehrenamtlichen.

Die Neuankömmlinge wiederum erweisen sich als lernbegierig. Der Sprachkurs, den die Kirchengemeinde auch für andere Geflüchtete anbietet, interessiert sie sehr. Viermal die Woche fährt eine der Ehrenamtlichen die Eltern deshalb im Wechsel aus dem zwölf Kilometer entfernten Dorf, in dem die Familie wohnt, zum Unterricht und zurück. Seit Januar können die Kinder ihre neue Heimat im Kindergarten der Gemeinde kennenlernen.

Manche der Helferinnen sehen die somalische Familie heute das erste Mal. Es kommt zu rührenden Momenten. „Wir haben Glück, dass ihr uns da rausgeholt habt“, lässt Abdirashid übersetzen. „Dafür sind wir sehr dankbar. Ihr seid gute Menschen.“ Martha Hesselmann antwortet grinsend: „Das wird sich zeigen!“ und erntet Lachen. Die 68-Jährige ist gelernte Fotografin und Musikerin und beschreibt den Gewinn, den ihr das Projekt bringt, so: „Ein anderer Wind weht uns um die Nase.“ Ihre 53-jährige Mitstreiterin Ute Bußmann, Physiotherapeutin, möchte „Einblicke in eine andere Kultur bekommen“. Und Karin Linke (63), die den Kindergarten der Gemeinde leitet, hat sich bereits um mehrere Geflüchteten-Familien gekümmert, „weil sie den Menschen weiterhelfen will“.

„Frauen haben keine Rechte in Somalia“

Auch dem Pastoren-Ehepaar ist das Projekt ein Herzensanliegen. Seit Jahren engagiert sich das Paar für Geflüchtete, hat mehrere im Kirchenasyl untergebracht. Neu an NesT sei, „dass wir die Leute vorher nicht kennen“, sagt Roland Wendland. Der Pastor kennt die Kritik am Programm: Der Staat wälze seine Aufgabe an Privatleute ab. In gewisser Hinsicht stimme das. Aber: „Wir ersparen den Menschen, dass sie auf ganz gefährlichen Wegen nach Deutschland kommen.“

Eigentlich hatten der 63-Jährige und seine Mitstreiterinnen sich eine Familie aus Syrien gewünscht; eine Frau aus dem Singkreis stammt von dort. Doch dann wurden es die vier, die nun neben ihnen sitzen. Weil die nicht mehr als einige Brocken Englisch sprechen, würde es ohne die Hilfe einer somalischen Familie aus dem Nachbardorf nicht klappen, sagt der Pastor. „Die gehen mit einkaufen, kümmern sich sehr und sind Gold wert.“ Auch dass die beiden Dolmetscher heute gekommen sind, ist ihrem Einsatz zu verdanken.

Noch eine wichtige Aufgabe kommt den Landsleuten von Hibo und Abdirashid zu: Sie dienen als Vorbilder. Nach zwei Jahren im Osnabrücker Land sprechen sie gut deutsch und können für sich sorgen, weil der Mann einen Job bei einem Maschinenbauer gefunden hat. Abdirashid hat verstanden, was von ihm erwartet wird: Selbstverständlich wolle er arbeiten. In seiner Heimat war er Lastwagenfahrer, erzählt er, später verkaufte er Tee an einem kleinen Kiosk. „Wir werden tun, was wir tun können.“

Ob sich die Eltern vorstellen können, irgendwann in ihre Heimat zurückzukehren? Idee des NesT-Programms ist ausdrücklich, dass die Geflüchteten bleiben sollen. Abdirashid ist zwiegespalten: „Das ist meine Heimat, das Land, in dem ich geboren bin“, sagt er. „Wenn sich die Lage eines Tages ändern würde …“ Für Hibo hingegen ist die Sache klar: „Frauen haben keine Rechte in Somalia“, sagt sie. Ihre Zukunft sieht sie in Deutschland.

Ulrich Jonas


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